STADTLEBEN Text: Hanka Meves-Fricke DAS ANYWAY KÖLN Jugendzentrum und zweites Zuhause Die Corona-Krise hatte uns noch nicht erreicht, als ich das erste Mal zum Jugendzentrum anyway in die Kamekestraße 14, gleich in der Nähe des Westbahnhofs, fuhr. Einige Jugendliche hatten es sich im Eingang bequem gemacht. Sie lachten mich an, als ich über ihre Beine stieg, um mich mit Thomas Haas zu treffen. Thomas betreut hier als festangestellter Mitarbeiter unter anderem die Gastronomie und die Pat:innen. „Neu hier?“, rief mir einer hinterher. „Ich mach einen Beitrag über euch“, antwortete ich und schon waren wir im Gespräch. CSD-Demo mit dem anyway, Foto © Marius Steffen. 8 KÄNGURUplus 03/21
STADTLEBEN Für die Jugendlichen im anyway ist das Jugendzentrum ein zweites Zuhause. Das anyway steht für „any way“: Jeder Weg ist möglich. Jugendliche von 14 bis 27 Jahren können hier mit anderen jun- gen Lesben, Schwulen, Bis, Trans*, Inter* und Queers (LSBTIQ*) gemeinsam chil- len, etwas trinken, kickern, Billard spielen, Partys feiern und tanzen – einfach eine Menge Spaß haben. Für Neue gibt es einen „Coming-in-Day“, an dem sie sich einfach mal umschauen können, ob das anyway ein Ort für sie sein kann. Auf der Website des anyway gibt es zwei kurze Filme, in denen Charlie und Julian erzählen, wie ihr Coming-out war und warum für sie das anyway wichtig ist. Charlie berichtet, dass sie ihren Eltern einen Brief geschrieben hat, weil ihr das leichter fiel, als ihnen zu erzählen, wie sie sich fühlt. Zum Glück haben ihre Eltern das cool aufgenommen. Einige Mitschüler in ihrer Schule jedoch haben ihr zuge- rufen, sie würde in die Jungenumkleide gehören, weil sie auf Frauen steht. „Da geht man dann einfach ins anyway und dann vergisst man das …, weil man weiß, hier gibt es so etwas nicht.“ „Im anyway kann man einfach sein, wer man ist“, er- gänzt Julian, der selbst sowohl bei seiner Familie als auch im Freundeskreis viel Akzeptanz erlebt hat. Doch das ist nicht bei allen Jugendlichen so. Julian erzählt, dass er in der Schule einen Freund hatte, der sich als schwul geoutet und dessen Mutter ihn dann nicht mehr als Sohn angesehen hat. Mit Konflikten ist das Coming-out auch bei vielen Jugend- lichen verbunden, die aus dem Ausland nach Köln gezogen sind und deren Familien aus verschiedenen Gründen Probleme mit der Akzeptanz der queeren Gemeinschaft haben. DAS ERSTE QUEERE JUGENDZENTRUM EUROPAS Köln ist ein Vorreiter der queeren Akti- vitäten. Das anyway wurde bereits 1998 gegründet und ist so das erste queere Jugendzentrum Europas. Dreh- und An- gelpunkt ist das Café, in dem sich die Jugendlichen und die Mitarbeiter:innen regelmäßig treffen. Doch jetzt ist Corona- Zeit und das anyway musste die Treffen ins Virtuelle verlegen. Jugend liche be- lastet Social Distancing besonders – Jugendliche, die in ihrem engen fami- liären Umfeld nicht oder nicht überall ihr wahres Ich zeigen können, noch mehr. In den Zoom-Treffen können sich die Jugendlichen über queere Literatur und Podcasts austauschen oder beim anyway.tv in Schauspielrollen schlüp- fen und ihre kreative Ader ausprobieren. Es gibt Treffpunkte für Neue und Erfahre- ne, zum Speeddating, nur für Jungs oder nur für Mädchen. Es gibt Spieleabende und zu Weihnachten wurde gebacken. Übrigens organisieren die hauptamt- lichen Mitarbeiter:innen die Treffen immer gemeinsam mit ehrenamtlich ar- beitenden Jugendlichen. Mehr als fünfzig Ehrenamt liche arbeiten hier mit. BARRIEREFREI Das anyway ist nicht nur offen für queere Jugendliche, Interessierte können auch immer ihre heterosexuellen Freund:innen mitbringen. Doch nicht nur in diesem Sinne ist das Jugendzentrum barrierefrei: Jugendliche, die körperliche Behinderungen haben, sind natürlich willkom- men. Wichtig zu wissen ist, dass es ein barriere freies WC gibt. Viel wichtiger ist jedoch die offene Atmosphäre hier. WEBSERIE KUNTERGRAU Im Netz ist das anyway besonders durch die Webserie „Kuntergrau“ bekannt. Es gibt einige Webserien für LSBTIQ*, je- doch nur wenige, die das tatsächliche Leben nach dem Coming-out zeigen. In „Kuntergrau“ treten junge Erwachsene auf, die sich geoutet haben. Sie leben in Beziehungen, die mal gut, mal nicht so gut laufen, und erzählen vom ganz normalen Leben in Köln. Bereits in der ersten Staffel wurde das Thema HIV an- gesprochen. Die zweite Staffel wagte sich an Themen wie „Ich liebe mehrere“ und Sexarbeit heran und brach so mit Tabus. In der dritten Staffel geht es um Gewalt gegen schwule Männer und wie es ist, wenn der Freund ein Auslandsjahr in Köln macht und der Abschied vorherzusehen ist. Für die dritte Staffel von „Kuntergrau“ haben die jungen Filmemacher:innen 65 Drehtage und tausende Stunden Arbeit investiert. Es hat sich gelohnt: Mehr als drei Millionen Zuschauer:innen hat „Kuntergrau“ erreicht und gehört da- mit zu den erfolgreichsten Webserien zum Thema. https://kuntergrau.net/ ANGEBOTE FÜR SCHULEN Mit dem Projekt „WiR* – Wissen ist Respekt“ klärt das anyway in Schulen auf. Trotz aller Aufklärung gibt es im- mer noch viele Vorurteile gegenüber der LSBTIQ*-Gemeinschaft. Schnell werfen Jugendliche mal den Satz „Du bist doch schwul“ in die Runde, was als Schimpf- wort gedacht ist. Klassengemeinschaften schließen Schüler:innen, die nach ihrer Identität suchen, aus den gemeinsamen Aktivitäten aus. Das kann bis hin zu psy- chischer und physischer Gewalt führen. Wenn jedoch Jugendliche selbst über ihr Coming-out vor Jugendlichen sprechen, ist das so genannte Anderssein nicht mehr so fremd. Die Workshops dienen nicht nur der Aufarbeitung, wenn bereits Jugendliche gedisst wurden, sondern auch der Prävention und dem besse- ren Verständnis, dass Vielfalt eine große Stärke der Gemeinschaft sein kann. Auch während der Kontaktbeschränkungen bietet das anyway diese Workshops an, natürlich online. JUGENDBERATUNG Seit 2020 wird das anyway von der Stadt Köln mit einer Stelle für Jugendberatung gefördert. Nicht umsonst, aber kosten- los beraten die Mitarbeiter:innen zu dem persönlichen Coming-out oder Fragen, die in Freundschaft, Beziehung und Familie zum Thema aufkommen. Dabei sind die Berater:innen offen für ein Ge- spräch und das gemeinsame Sortieren der Fragen und Probleme, um schließlich Lösungen für das Leben zu entwickeln. Sie sind alle speziell geschult und können zur sexuellen Orientierung und zu Trans* professionell Antworten geben. ALLE SEHNEN SICH NACH REALEN TREFFEN Jetzt im Frühjahr schauen alle im anyway gebannt auf die Entwicklung der Corona- Pandemie. Möglichst schnell möchten sie sich wieder hier treffen. Zoom-Treffen sind eine gute Sache, doch das Leben ist schöner, wenn sie sich sehen und vor al- lem auch mal wieder umarmen können. Info anyway e.V. Kamekestr. 14 50672 Köln www.anyway-koeln.de Caféabend im anyway © anyway e. V. KÄNGURUplus 03/21 9