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REPORTAGE 24.4.2021 |Nummer 17

Jäger der verlorenenSchätze

DATTELN. Bücher,Ikonen, Statuen: Dr.HeinrichMichaelKnechten, Pfarrerder AltenKircheinHorneburg, ist

Sammler durch und durch. Die kunsthistorischenSchätze der Kirche sind seineHerzensangelegenheit.

VonSimoneHollenhorst

Bodenlanges

schwarzes

Gewand, eine goldene

Kreuzkette um

den Hals, weißer

Bart, schwarze Haube, ein

Lächeln auf den Lippen und

ein Blitzen in den Augen –

vor allem, wenn esumdie

Bilder, Figuren und Schätze

der Alten Kirche in Horneburg

geht. WerDr. Heinrich

Michael Knechten (71), der

von 1982 bis 1984 Kaplan in

der Gemeinde St. Josef in

Oer-Erkenschwick war, heute

als Pfarrer der in Horneburg

beheimateten russisch-orthodoxen

Gemeinde

der heiligen Boris und Gleb

trifft, dem wird schnell klar,

dass eresmit einem Original

zu tun hat –und mit einem

wandelnden Lexikon.

Kaum öffnet der Pfarrer

die Holztür zu der Kirche an

der Horneburger Straße und

gibt seinen Besuchern den

Blick frei auf das Innere des

einschiffigen, kleinen Gotteshauses,

sprudelt es aus

ihm heraus. Dass die Alte

Kirche doch auch bitte so

genannt werden solle. Und

nicht etwa Schlosskapelle

Horneburg, wie so oft geschrieben.

Der Pfarrerund seine

„Krimis“

Schließlich sei sie nie die

Kirche des Schlosses gewesen,

sagt er und liefert einen

Exkurs über die Freiheit

Horneburg, wodamals

sieben Kneipen und drei

Destillerien zu Hause waren,

über das Schloss, die

Kirche und Pater Erwin auf

seinem Motorrad, der die

Kirche 1968 zur Seelsorgestelle

für Russen machte.

Doch am liebsten erzählt

Knechten von den Krimis,

wie er sie nennt. In den

Hauptrollen: Die Kunstschätze

der Kirche, die verloren

geglaubt oder durch

den Zahn der Zeit nicht

mehr zu erkennen waren.

Sie an ihrem Platz zu wissen,

das ist für den Pfarrer

das Schönste. Dafür nimmt

er einiges in Kauf, kein Weg

ist zu weit, keine bürokratische

Hürde zu hoch, wenn

es darum geht, dass die ursprüngliche

Ausstattung

wieder zusammenfindet.

Da ist zum Beispiel die Geschichte

des verschollenen

Kreuzwegs. Als die Kirche

PfarrerDr. HeinrichMichael Knechten ist froh, dass das Gemälde vonMaria Magdalena wieder

an seinem Platz ist–ganz oben aufdem Hochaltar der AltenKirche. FOTO:MARTINPYPLATZ

1965 byzantinisch umgestaltet

wurde, landeten einige

Tafeln des Kreuzweges im

Keller des Pfarrhauses, andere

wanderten in den Heizungskeller

der Neuen Kirche,

zwei Stationen verschlug

es in das Dattelner

Stadtarchiv. Irgendwann

wusste niemand mehr so

recht, wo sie abgeblieben

waren. Seit 2014 versuchte

Knechten, die Bilder des

Kreuzwegs wieder zusammenzuführen

und in die Alte

Kirche zurückzuholen.

Kein leichtes Unterfangen.

So lagen die Bilder imStadtarchiv

etwa mit der Vorderseite

nach unten und wurden

eigentlich nur durch

Zufall wiederentdeckt. „Da

bin ich stante pede hin und

habe sie abgeholt“, berichtet

der Pfarrer. Die Exemplare

aus dem Heizungskeller

hingegen waren durch Öl

beschmutzt worden und

mussten aufwendig gereinigt

werden. Erst 2019

konnten alle 14 Tafeln wieder

in der Alten Kirche angebracht

werden. Dort hängen

sie heute an zwei Wänden

in Reih und Glied. „Die

Bilder sind sehr expressionistisch“,

sagt Knechten.

Das gebe es nicht sohäufig.

Gerüchteküche ums

„schwarzeBild“ brodelte

Während sich beim Kreuzweg-Krimi

bereits das „Happy

End“ andeutete, steckte

der Pfarrer aber schon wieder

in der nächsten turbulenten

Geschichte rund um

das „schwarze Bild“. Sage

und schreibe sechs Jahre

hat es gedauert, bis das Gemälde

seinen ursprünglichen

Platz, ganz oben am

Hochaltar, wieder einnehmen

konnte. Bis dahin klaffte

dort ein Loch. „Da gab es

Gerüchte, ich hätte das Bild

verkauft, oder indie Gräfte

geschmissen“, sagt Knechten

und lacht. In Wahrheit

setzte der Geistliche sprichwörtlich

Himmel und Hölle

in Bewegung, um das Bild

professionell restauriert zu

wissen. Damit nicht genug.

Der Rücktransport aus Dresden

musste organisiert werden

und das alte, wertvolle

Gemälde wieder an seinen

Platz in fünf Metern Höhe

angebracht werden. Eigens

dafür musste zunächst eine

besondere Konstruktion angefertigt

werden. „Solange

lag das Bild dann in der Kirche

auf dem Boden herum“,

sagt Knechten. So hat ihm

Maria Magdalena die eine

oder andere schlaflose

Nacht beschert. Erst als sie

wieder sicher anihrem angestammten

Platz hing,

fand der Pfarrer Ruhe.

Nicht alle Ikonenbilder, also

Heiligenbilder, die inder

Alten Kirche an den Wänden

hängen, sind wertvoll.

„Das hier, Perlenstickerei,

ist nicht wertvoll, sieht aber

hübsch aus“, sagt Knechten.

Viele Bilder seien aus Papier,

eines zum Beispiel eine Fotokopie.

Und nicht allen

Ikonen muss der Pfarrer

hinterherjagen. Vier golden-schimmernde

Bilder,

die hoch oben an der Kirchenwand

hängen, fanden

ihren Weg ganz von selbst

zu Knechten. „Die standen

auf einmal vor der Tür“,

sagt der Pfarrer. Er weiß,

dass sich seine Sammelleidenschaft

mittlerweile herumgesprochen

hat.

Die Gestaltung des Innenraums

übernimmt Knechten

selbst. In einer Ecke hat

er zum Beispiel ausschließlich

Marien-Ikonen angeordnet.

In einer anderen hängt

ein Bild ziemlich tief unten

–extra für Kinder, auf Augenhöhe,

wie der Pfarrer erklärt.

Mittlerweile sind die

Kirchenwände gut gefüllt.

Doch Platzprobleme fürchtet

der Geistliche nicht:

„Wir haben ja hier die Höhe“,

sagt er, hebt den Blick

und deutet auf freie Flächen.

Das nächsteProjekt: Der

Hochaltar von1717

Mittlerweile steckt Knechten

schon wieder in dem

nächsten Projekt. Der barocke

Hochaltar von 1717, das

Herzstück der Kirche, soll

gereinigt und konserviert

werden. Sechs verschiedene

Farbschichten weist die meterhohe

Holzkonstruktion,

die wohlgemerkt aus einem

Stück geschnitzt ist, heute

auf. Nach und nach hat

Knechten auch fast alle Figuren

zusammen, die darauf

ursprünglich einmal ihren

Platz hatten. Zwei barocke

Holzfiguren, jeweils ohne

Hand, zum Beispiel. Die

seien aufgrund der Beschädigung

wohl weggeschmissen

worden und letztlich in

Recklinghausen gelandet.

Um sie indie Alte Kirche

zurückzuholen, musste

Knechten den einen oder

anderen Kampf austragen.

Jetzt ist der 71-Jährige gespannt,

wie der Altar aufgearbeitet

wird und welche geheime

Geschichte das barocke

Werk noch preisgibt.

Apropos geheim: Wereinen

Blick hinter den Hochaltar

werfen darf, der findet dort

eine hohe Leiter und Staubwedel

–natürlich mit extralangen

Teleskopstielen. Regelmäßig

wird geputzt. Die

Kirchenschätze sollen

schließlich keinen Staub ansetzen...

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