Leseprobe_Richard Strauss und die Juden
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Dietrich Kröncke<br />
<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Juden</strong><br />
Jüdische Fre<strong>und</strong>e, Dichter <strong>und</strong> Musiker<br />
Die Jahre 1933–1949<br />
Band I
<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Juden</strong>
Dietrich Kröncke<br />
<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Juden</strong><br />
Jüdische Fre<strong>und</strong>e, Dichter <strong>und</strong> Musiker<br />
Die Jahre 1933–1949<br />
Band I
Coverabbildung:<br />
Josef Tautenhayn d. J., Medaille zu <strong>Strauss</strong>’ 60. Geburtstag 1924<br />
Dietrich Kröncke:<br />
<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Juden</strong><br />
Jüdische Fre<strong>und</strong>e, Dichter <strong>und</strong> Musiker<br />
Die Jahre 1933–1949, Band I<br />
Hollitzer Verlag, Wien 2021<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
Satz <strong>und</strong> Umschlaggestaltung: Nikola Stevanović<br />
Druck <strong>und</strong> Bindung: EU<br />
© Hollitzer Verlag, Wien 2021<br />
www.hollitzer.at<br />
ISBN 978-3-99012-917-3
Inhalt<br />
Zum jüdischen Selbstverständnis – ein Vorwort von Heiner Wajemann 7<br />
Einleitung 13<br />
Antisemitische Äußerungen in Briefen <strong>und</strong> Schriften 17<br />
1. Jüdische Familienmitglieder 29<br />
2. Jüdische Autoren 45<br />
3. Jüdische Widmungsträger 85<br />
4. Jüdische Komponisten 125<br />
5. Jüdische Musiker 181<br />
6. Jüdische Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte 309<br />
Schlussbetrachtung 435<br />
Abbildungen 443<br />
Abkürzungsverzeichnis 444<br />
Literaturverzeichnis 445<br />
Personenverzeichnis 457
Vorwort<br />
Zum jüdischen Selbstverständnis – ein Vorwort<br />
Es ist mir als Musikdozent <strong>und</strong> Pastor eine Freude, ein Vorwort zum Thema<br />
„<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Juden</strong>“ zu schreiben.<br />
Sch’ma Jisrael! Höre Israel! Dieses Glaubensbekenntnis gehört zur jüdischen<br />
Identität. Gläubige oder auch atheistische <strong>Juden</strong> vermögen das Sch’ma Jisrael<br />
zuע rezitieren: „Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins“. Jüdische ַמ ׁ<br />
Komponisten haben <strong>die</strong>ses Glaubensbekenntnis vertont, so Arnold Schönberg. Er<br />
ist dreimal konvertiert, vom <strong>Juden</strong>tum zum katholischen Glauben, zum Protestantismus<br />
<strong>und</strong> wieder zurück zum <strong>Juden</strong>tum. 1947 hat er <strong>die</strong> Komposition „A<br />
survivor from Warsaw“ geschaffen. Darin singen <strong>die</strong> Opfer, Ghetto-Insassen,<br />
in hebräischer Sprache <strong>die</strong>ses Glaubensbekenntnis auf eine Zwölftonreihe. Im<br />
Konzert erschüttert <strong>die</strong> Komposition heute noch, 75 Jahre nach der Befreiung der<br />
Vernichtungslager in Auschwitz, in denen so viele ermordet wurden. Der hier<br />
in <strong>die</strong>ser Arbeit genannte Felix Mendelssohn Bartholdy hat in <strong>die</strong> Partitur seines<br />
Oratoriums „Elias“ op. 70 Formulierungen aus dem Sch’ma übernommen, „Höre,<br />
Israel, höre des Herrn Stimme“. Beide Komponisten kehren also am Ende ihres<br />
Lebens zu ihren Glaubenswurzeln zurück, Schönberg auch in seinen Psalmen <strong>und</strong><br />
seiner unvollendeten Oper „Moses <strong>und</strong> Aaron“. Sch’ma Jisrael!<br />
Über <strong>die</strong> Ambivalenz von <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> gegenüber <strong>die</strong>sen beiden jüdischen<br />
Musikern kann man in der Arbeit von Dietrich Kröncke viel erfahren, auch ich,<br />
der ich mich seit meiner Promotion über <strong>die</strong> Chorwerke von <strong>Strauss</strong> mit ihm<br />
<strong>und</strong> seiner Musik beschäftige. Interessant ist, dass <strong>Strauss</strong> 1948 seinem Fre<strong>und</strong>e<br />
Papst [1886–1956] Mendelssohns Oratorien „Elias“ <strong>und</strong> „Paulus“ empfiehlt. Bei<br />
der Auflistung jüdischer Frauen <strong>und</strong> Männer im Leben <strong>und</strong> Werk von <strong>Richard</strong><br />
<strong>Strauss</strong> geht es auch darum, inwieweit <strong>die</strong> Personen ihren Glauben gepflegt, ihre<br />
Religion praktiziert haben. Im <strong>Juden</strong>tum wie im Christentum oder im Islam<br />
gibt es viele differierende <strong>und</strong> auszudiffenzierende Denominationen. Es gibt seit<br />
langem orthodoxes <strong>und</strong> liberales <strong>Juden</strong>tum, jüdische Assimilationen, Reformjudentum<br />
mit Synagoge oder auch jüdische, aber eher säkulare Kulturzentren.<br />
Schon immer haben sich <strong>die</strong> <strong>Juden</strong> heftig über ihre Religion gestritten, wie etwa<br />
am Anfang von Wildes „Salomé“, <strong>die</strong> <strong>Strauss</strong> so genial vertont hat (vgl. 2. 5).<br />
Was ist <strong>die</strong> richtige mosaische Religion? Gibt es auch atheistisches, esoterisches,<br />
synkretes <strong>Juden</strong>tum ohne Glauben <strong>und</strong> Religionsausübung?<br />
Es werden in den Kurzbiografien jüdische Personen erwähnt, <strong>die</strong> über einen<br />
Staat Israel nachdenken <strong>und</strong> nach Palästina emigrieren. So führt Bronislaw<br />
Huberman (vgl. 5. 33) schon 1936 mit Hilfe von Heinrich Simon (vgl. 6. 86)<br />
das „Palestine Orchestra“ zusammen. Toscanini [1867–1957] dirigierte am<br />
26. Dezember 1936 das erste Konzert in Tel Aviv. Aus <strong>die</strong>sem Orchester wurde<br />
ְשלֵא ָרְׂשִי<br />
7
Vorwort<br />
dann 1948 bei der Staatsgründung das „Israel Philharmonic Orchestra“, dessen<br />
erster Chefdirigent William Steinberg [1899–1978] aus Köln war. <strong>Strauss</strong> ist<br />
ihm nie begegnet. Adolf Weißmann (vgl. 6. 97) gründet 1927 das „Komitee zur<br />
Förderung des Musikwesens in Palästina“. <strong>Strauss</strong> kannte Huberman <strong>und</strong> Simon,<br />
Weißmann <strong>und</strong> Kestenberg (vgl. 6. 50) <strong>und</strong> andere nach Palästina Emigrierte,<br />
hervorzuheben eine seiner Lieblingssängerinnen, Rose Pauly (vgl. 5. 54).<br />
Welches religiöse Profil haben <strong>die</strong> in der Arbeit genannten jüdischen Mitbürger<br />
von <strong>Strauss</strong>? Darüber gibt es in den Biografien nur wenige Hinweise. Das liegt<br />
zum einen daran, dass <strong>die</strong> meisten Genannten in ihrem Leben wenig mit jüdischer<br />
Religion zu tun hatten, <strong>und</strong> zum anderen daran, dass <strong>Strauss</strong> selbst kaum an religiösen<br />
Fragestellungen interessiert war. Als er an seinem op. 64 arbeitet, schreibt<br />
er beim Tod Gustav Mahlers:„Der Jude Mahler konnte im Christentum noch<br />
Erhebung finden […] Ich will meine Alpensinfonie den ‚Antichrist‘ nennen als<br />
da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch <strong>die</strong> Arbeit, Anbetung<br />
der ewigen herrlichen Natur.“ Dieses berühmte Credo weist auf Nietzsche<br />
hin, aber auch auf <strong>die</strong> Gottes-, Kirchen- <strong>und</strong> Glaubensferne von <strong>Strauss</strong>. Zum<br />
mosaischen Glauben gibt es von <strong>Strauss</strong> keine Äußerungen. Im humanistischen<br />
Ludwiggymnasium in München hat <strong>Strauss</strong> zwar Latein- <strong>und</strong> Griechisch-Unterricht<br />
absolviert, jedoch nicht Hebräisch gelernt.<br />
Mit der Aufklärung im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert beginnt <strong>die</strong> Entwicklung des modernen<br />
<strong>Juden</strong>tums in Mitteleuropa, so mit Moses Mendelssohn [1729–1786] zusammen<br />
mit seinem christlichen Gegenüber Gotthold Ephraim Lessing [1729–1781] <strong>und</strong><br />
anderen Geistesgrößen. Es entsteht allmählich eine innerjüdische Richtung für<br />
<strong>die</strong>jenigen Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Musiker, mit denen <strong>Strauss</strong> überwiegend zu tun hat, das<br />
Reformjudentum. Nach dem Code Napoléon von 1807 <strong>und</strong> der projüdischen<br />
Gesetzgebung in Preußen werden immer mehr jüdische Gemeinden liberal <strong>und</strong><br />
führen in den synagogalen Kultus Modernismen ein, besonders wichtig <strong>die</strong><br />
Predigt in der Landessprache. Auch <strong>die</strong> Musik in der Synagoge wird reformiert.<br />
Stellvertretend sei Israel Jacobson [1768–1828] in Seesen genannt, der <strong>die</strong> vorher<br />
verbotene Orgel erstmals in den Tempel einbauen lässt, der dadurch innerjüdischen<br />
Widerstand erfährt, aber großen Einfluss in deutschen Synangogen <strong>und</strong><br />
amerikanischen Gemeinden gewinnt, übrigens auch auf Heinrich Heine (vgl. 2. 1).<br />
Welches jüdische Selbstverständnis auch immer einzelne Personen haben, es geht<br />
immer um das „Haus Israel“ – so jedenfalls vom berühmten Rabbi Leo Trepp<br />
[1913–2010] 1969 benannt – <strong>und</strong> nie um <strong>die</strong> Kategorie „Rasse“.<br />
<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> lernt in seiner langen Laufbahn viele jüdische Menschen<br />
kennen, <strong>die</strong> assimiliert, progressiv oder liberal leben, deren Vorfahren, deren<br />
verwandtschaftliche Traditionen jedoch große jüdische Kantoren, sogar Rabbiner<br />
aufweisen. Zu <strong>die</strong>sen Assimilierten gehören sicherlich Hermann Levi (vgl. 3. 6),<br />
8
Vorwort<br />
der sich als konfessionslos bezeichnet, oder <strong>die</strong> „religionslosen“ Eltern von<br />
Stefan Zweig (vgl. 2. 4). Man kann also ohne Glauben Jude sein. Der Begriff<br />
der Konversion ist in <strong>die</strong>sem reform-jüdischen Zusammenhang als wichtiger<br />
Tatbestand herauszustellen. Häufig wird in den hier wiedergegebenen Biografien<br />
auf konvertierte Musiker <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e von <strong>Strauss</strong> hingewiesen. Viele <strong>Juden</strong>,<br />
übrigens ausschließlich Männer, lassen sich taufen, von Walter Braunfels (vgl.<br />
4. 1) bis zu Paul Wittgenstein (vgl. 3. 20), in den nachfolgenden Kurzbiografien<br />
immerhin über 30 Personen. Diese wenden sich dem Christentum zu – ob nun<br />
aus Überzeugung oder aus beruflichen, karrierebedingten Zwängen oder gesellschaftlich-politischen<br />
Gründen. Insgesamt scheint der Religionswechsel zum<br />
Protestantismus zahlenmäßig denjenigen zum Katholizismus zu übertreffen. Im<br />
künstlerischen Umfeld von <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> in den Theater-, Konzert- <strong>und</strong> Opernzünften<br />
kommen orthodoxe <strong>Juden</strong> kaum <strong>und</strong> ultraorthodoxe, f<strong>und</strong>amentalistische<br />
<strong>Juden</strong> – soweit bekannt – gar nicht vor.<br />
Schließlich ist Dietrich Kröncke ausdrücklich für sein <strong>Strauss</strong>-Engagement<br />
zu danken! Seine Recherchen führen tief hinein in <strong>die</strong> jüdische Geschichte des<br />
19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Er verknüpft <strong>die</strong> oft grausamen Einzelschicksale mit<br />
der Sicht auf <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> seine jüdischen Familienmitglieder, Musiker, Dichter,<br />
Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte. Die beschriebenen Zeitumstände berücksichtigen jeweils<br />
das Phänomen des Antisemitismus dem Thema der Arbeit entsprechend, weniger<br />
jedoch das jüdische Leben in Musikerkreisen. In <strong>die</strong>sen oder im großbürgerlichen<br />
<strong>Juden</strong>tum selbst, in dem sich <strong>Strauss</strong> häufig bewegt, taucht kaum <strong>die</strong> Fragestellung<br />
des theologischen Antijudaismus auf, wie er vom Johannesevangelium, von<br />
Martin Luther her bedacht werden muss, auch nicht in seiner Garmischer Familie.<br />
Beeindruckend ist, dass Kröncke in der Eltern- <strong>und</strong> Großelterngeneration der<br />
behandelten Musiker sehr viele jüdische Kantoren in Mitteleuropa ausfindig<br />
gemacht hat.<br />
Sicherlich wird <strong>die</strong> historische wissenschaftliche Forschung zum vorliegenden<br />
Thema weitergeführt werden müssen, evtl. sogar <strong>und</strong> dezi<strong>die</strong>rt in der Hochschule<br />
für Musik Hannover, in der es das ambitionierte <strong>und</strong> renommierte „Europäische<br />
Zentrum für jüdische Musik“ (EZJM) gibt. Dieses Institut wird genauso wie <strong>die</strong><br />
Kirchen mit ihrem interreligiösen Dialog oder manche Politiker in Berlin dafür<br />
sorgen, dass in der Gesellschaft der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland oder insgesamt<br />
in Europa in <strong>die</strong>sen 2020er-Jahren semitophile Tendenzen wie durch <strong>die</strong>se neue<br />
<strong>Strauss</strong>-Publikation gefördert werden, also durch das positive Zugehen auf das<br />
Hebräische, auf jüdische Traditionen, Sprache <strong>und</strong> Kultusausübungen.<br />
Möge <strong>die</strong> vorliegende Arbeit als F<strong>und</strong>grube <strong>und</strong> Nachschlagwerk viele von<br />
<strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> Musik begeisterte Leserinnen <strong>und</strong> Leser finden. Mit den Briefzitaten<br />
<strong>und</strong> Biografien wird das Erfassen von <strong>Strauss</strong>’ Leben <strong>und</strong> Werk einfacher <strong>und</strong> in<br />
9
Vorwort<br />
der Bewertung gerechter werden. Möge dabei aus erinnernder Nachdenklichkeit<br />
Erkenntnisgewinn, historisches Verantwortungsbewusstsein, Diskursfähigkeit<br />
<strong>und</strong> segensreiche Kommunikation gedeihen!<br />
Dr. Heiner Wajemann, Pastor <strong>und</strong> Dozent an der Hochschule<br />
für Musik, Theater <strong>und</strong> Me<strong>die</strong>n Hannover (HMTMH)<br />
Wintermoor, im Herbst 2020<br />
10
Vorwort<br />
<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong>, Zeichnung von Hermann Ebers, Bleistift (1932)<br />
11
12<br />
Vorwort
Einleitung<br />
Einleitung<br />
In <strong>Strauss</strong>’ langem Leben <strong>und</strong> Wirken vom Juni 1864 bis zum September 1949<br />
erscheinen <strong>die</strong> Jahre von 1933 bis 1949 für uns in Deutschland besonders wichtig.<br />
Die Nazizeit <strong>und</strong> <strong>die</strong> Nachkriegszeit machen <strong>die</strong>se Jahre für <strong>die</strong> Persönlichkeit<br />
des nun schon alten <strong>Strauss</strong> von besonderer Bedeutung. Viel ist darüber in den<br />
letzten Jahren geschrieben worden, viel wird darüber geredet. „Wie können Sie<br />
nur Lieder <strong>die</strong>ses Monsters, <strong>die</strong>ses Antisemiten <strong>Strauss</strong> singen“, wurde noch 2019<br />
eine Sängerin nach einem Konzert gefragt.<br />
An <strong>die</strong> 80 Aufsätze 1 <strong>und</strong> lange Kapitel in allen <strong>Strauss</strong>-Biografien sind dafür<br />
ein Zeugnis. „Das in Fachkreisen am meisten diskutierte Thema ist genau <strong>die</strong><br />
bedauerliche Beziehung des Komponisten zur nationalsozialistischen Regierung“,<br />
schrieb der amerikanische Musikwissenschaftler <strong>und</strong> <strong>Strauss</strong>-Forscher Bryan<br />
Gilliam [*1953] in der FAZ vom 7. April 2014. Es gibt kaum eine Arbeit über<br />
das Werk <strong>und</strong> das Leben von <strong>Strauss</strong>, in der nicht Aspekte seiner Zeitgenossenschaft<br />
mit den Nationalsozialisten untersucht, besser gesagt, kritisch <strong>und</strong> vielfach<br />
unausgewogen dargestellt werden. Oft wird dabei auf <strong>die</strong> Gedanken Anderer mit<br />
zahlreichen Fußnoten hingewiesen, ohne eigene Analyse <strong>und</strong> <strong>die</strong> Berücksichtigung<br />
der Fakten. Ein umfassendes Werk, das <strong>die</strong>se letzte Zeit im Leben des großen<br />
Komponisten nicht einseitig darstellt, gibt es nicht. Willi Schuh 2 hat umfangreich<br />
<strong>die</strong> ersten 34 Jahre im Leben des Komponisten beleuchtet. Eine ähnlich umfassende,<br />
an Quellen orientierte <strong>und</strong> nicht nur auf Meinungen beruhende Biografie<br />
der letzten 17 Lebensjahre des Komponisten ist noch nicht geschrieben. Vielleicht<br />
stand <strong>die</strong>ser bislang das Verdikt Adornos im Wege.<br />
Als Hilfestellung für <strong>die</strong>se Arbeit <strong>und</strong> als Quelle für <strong>die</strong>, <strong>die</strong> an <strong>Strauss</strong>’ Musik<br />
<strong>und</strong> Leben interessiert sind, seien im Folgenden jüdische Musiker, Zeitgenossen,<br />
Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Verwandte vorgestellt <strong>und</strong> zitiert, <strong>die</strong> <strong>Strauss</strong> in seinem Leben<br />
begleitet haben. Der Antisemitismus explo<strong>die</strong>rte in Deutschland nach 1933. Er<br />
wurde eine der tragenden Säulen der mörderischen Nazi-Ideologie. „Kämen <strong>die</strong><br />
Nationalsozialisten an <strong>die</strong> Regierung, dann würden sie <strong>die</strong> Macht […] auf Gr<strong>und</strong><br />
der heiligen Mehrheit der Zahl brutal anwenden, um mit Hilfe <strong>die</strong>ser legalen<br />
Macht <strong>die</strong> <strong>Juden</strong> auszurotten“, hatte Hitler wahnhaft bekennend schon 1925<br />
öffentlich erklärt. 3<br />
Wie konnte <strong>Strauss</strong> in <strong>die</strong>ser mörderischen Zeit leben, wie ging er mit dem<br />
rassistischen Antisemitismus um? Mit vielen jüdischen Zeitgenossen hatte <strong>Strauss</strong><br />
engen Kontakt, mit manchem von ihnen verbindet <strong>Strauss</strong> nur ein kurzes Zusam-<br />
1 Jürgen May: „<strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> <strong>und</strong> das Nationalsozialistische Deutschland“, in: <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong><br />
Jahrbuch 2015, Wien: Hollitzer, 2017², S. 119 ff.<br />
2 Willi Schuh: <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong>, Jugend <strong>und</strong> frühe Meisterjahre. Zürich: Atlantis Verlag, 1976.<br />
3 Peter Longerich: Hitler. München: Siedler Verlag, 2015, S. 178.<br />
13
Einleitung<br />
mentreffen. Ihre so verschiedenen, zum Teil grausamen Schicksale werden kurz<br />
dargestellt. Ihnen seien damit kleine Gedenksteine gewidmet. Dieses so entstandene<br />
kleine Lexikon soll helfen, <strong>die</strong> Fragen nach <strong>Strauss</strong> in der Zeit des Nationalsozialismus<br />
besser zu beantworten.<br />
Die Aufstellung ist unterteilt in:<br />
1. Jüdische Familienmitglieder<br />
2. Jüdische Autoren<br />
3. Jüdische Widmungsträger<br />
4. Jüdische Komponisten<br />
5. Jüdische Musiker<br />
6. Jüdische Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte<br />
Zuvor sei dargestellt, wann <strong>und</strong> inwieweit <strong>Strauss</strong> Äußerungen von sich gegeben<br />
hat, <strong>die</strong> auf eine antisemitische Einstellung hindeuten. Alle – soweit bekannt –<br />
veröffentlichten Briefe <strong>und</strong> Schriften wurden untersucht. H<strong>und</strong>erte von Briefen<br />
liegen noch im Archiv oder in privaten Sammlungen <strong>und</strong> sind nicht publiziert. Sie<br />
konnten nur zu einem kleinen Teil ausgewertet werden. Nach dem lexikalischen<br />
Hauptteil wird untersucht, ob sich aus alledem eine eindeutige Meinung bilden<br />
lässt über <strong>Strauss</strong>’ Verhältnis zum <strong>Juden</strong>tum, zu jüdischen Mitbürgern <strong>und</strong> Musikern.<br />
Auf <strong>die</strong> Forschungsergebnisse zu den Ausformungen des Antisemitismus<br />
wird nicht eingegangen.<br />
Um <strong>Strauss</strong>’ bayerische Herkunft in <strong>die</strong>ser Hinsicht zu beleuchten, sei lediglich<br />
angemerkt, dass sich im ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>ert der <strong>Juden</strong>hass wieder<br />
einmal breit machte in Europa, in Deutschland <strong>und</strong> besonders im wilhelminischen<br />
Preußen. 1750 hatte Friedrich II. [1712–1786] noch das „revi<strong>die</strong>rte Generalprivileg“<br />
zugunsten der <strong>Juden</strong> erlassen. 1812 folgt das „<strong>Juden</strong>edikt“ Friedrich<br />
Wilhelms III., das <strong>die</strong> integrierten <strong>Juden</strong> den preußischen Bürgern gleichstellte.<br />
Wilhelm von Humboldt [1767–1835] <strong>und</strong> Karl August von Hardenberg [1750–<br />
1822] waren <strong>die</strong> Väter des Edikts.<br />
Das „<strong>Juden</strong>edikt“ in Bayern war weit weniger liberal. <strong>Juden</strong> wurde ein eingeschränktes<br />
Wohnrecht verliehen – wie etwa auch Protestanten in München <strong>und</strong><br />
Katholiken in Nürnberg. Erst <strong>die</strong> Verfassungen von 1871 <strong>und</strong> 1919 änderten <strong>die</strong>se<br />
Situation der <strong>Juden</strong> in Bayern, dem Land, in dem <strong>Strauss</strong> seine Wurzeln hat. 1847<br />
wurde dann in Preußen das „Gesetz über <strong>die</strong> Verhältnisse der <strong>Juden</strong>“ erlassen.<br />
Stellungen beim Militär <strong>und</strong> der Polizei sowie der Richterschaft blieben eingeschränkt.<br />
1869 folgte im Norddeutschen B<strong>und</strong> das „Gesetz zur Gleichstellung der<br />
Konfessionen“, es wurde 1871 Gesetz im Kaiserreich. <strong>Juden</strong> erlangten in Deutschland<br />
<strong>und</strong> besonders auch in Österreich herausragende Stellungen.<br />
14
Einleitung<br />
Gleichzeitig zu <strong>die</strong>ser Liberalisierung entstanden aber bereits seit 1819 gegenläufige<br />
Bewegungen. In Prag, Budapest <strong>und</strong> Würzburg kam es zu Ausschreitungen.<br />
Neben dem religiös bestimmten Antijudaismus wurde im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
der rassistische Antisemitismus geboren, zum Teil auch als Antwort auf <strong>die</strong><br />
Liberalisierung. In <strong>die</strong>se Zeit wurde am 11. Juni 1864 <strong>Strauss</strong> in das bürgerliche<br />
München hineingeboren.<br />
Aus seinen Schriften <strong>und</strong> Briefen werden enzyklopädisch, chronologisch<br />
Zitate wiedergegeben, aus denen eine antisemitische Haltung <strong>und</strong> ihre Entwicklung<br />
im Laufe seines Lebens erkennbar werden kann. Prägend für <strong>die</strong>se Entwicklung<br />
waren vor allem:<br />
1. Sein Vater Franz [1822–1905], der im Zuge der Zeit immer häufiger auch durch<br />
antisemitische Äußerungen auffiel. Wenn <strong>Strauss</strong> über seinen Vater schreibt:<br />
„Er hielt streng auf Rhythmus; wie oft schrie er mich an: ,Du eilst ja wie<br />
ein Jude‘“, 4 dann waren das Redensarten, <strong>die</strong> damals sehr üblich waren, <strong>und</strong><br />
wenig zur antisemitischen Haltung des Sprechenden aussagten. Heute, nach<br />
Auschwitz, müssen <strong>die</strong> Worte anders gemessen werden. Meine Großmutter<br />
sprach gern von einer „<strong>Juden</strong>schule“, wenn es bei Tisch zu laut wurde, obwohl<br />
sie weder der Nationalsozialistischen Partei nahegestanden hatte, noch eine<br />
antisemitische Einstellung hatte. Das waren Phrasen, <strong>die</strong> dem Antisemitismus<br />
<strong>die</strong> Türen öffneten. Nach dem Holocaust sind sie unmöglich.<br />
2. Sein „Mentor“, der Musiker, Komponist <strong>und</strong> Wagner-Fanatiker Alexander<br />
Ritter [1833–1896], den <strong>Strauss</strong> in Meiningen kennenlernte <strong>und</strong> später in<br />
München „Onkel“ nannte. Er wurde, Wagner folgend, dessen Nichte Franziska<br />
[1829–1895] er heiratete, zunehmend zu einem krassen Antisemiten. So<br />
nennt er den Uraufführungsdirigenten Wagners, Hermann Levi (vgl. 3. 6), eine<br />
„<strong>Juden</strong>sau“ 5 . Das charakterisiert Ritter, der in den 1880er-Jahren sehr großen<br />
Einfluss auf <strong>Strauss</strong> erlangte, auf das Anschaulichste. „Hier in München duftet<br />
alles so knobelauchig“, schreibt er an <strong>Strauss</strong> am 8. Dezember 1887. 6<br />
3. Cosima Wagner [1837–1930], bei der recht deutlich antisemitische Züge in<br />
ihren Briefen <strong>und</strong> Tagebüchern zu erkennen sind. Sie drückt sich nicht so<br />
drastisch aus wie „Neffe Ritter“. Schlimmer ist da schon ihr Sohn Siegfried<br />
[1869–1930].<br />
Von <strong>die</strong>sen drei Personen <strong>und</strong> den Strömungen der Zeit musste sich <strong>Strauss</strong> erst<br />
„freischwimmen“ – nicht nur in musikalischer Hinsicht.<br />
4 Marion Beyer, Jürgen May <strong>und</strong> Walter Werbeck: <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> späte Aufzeichnungen. Mainz:<br />
Schott 2016, S. 245.<br />
5 Franz Trenner (Hg.): Cosima Wagner – <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong>, Ein Briefwechsel. Tutzing: Schneider, 1978,<br />
S. 132.<br />
6 Charles Youmans (Hg.): „Alexander Ritter, Zehn Briefe an <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong>“, in: R. Str.-Bl.<br />
Heft 35 (1996), S. 6.<br />
15
16<br />
Einleitung
Antisemitische Äußerungen in Briefen <strong>und</strong> Schriften<br />
Antisemitische Äußerungen in<br />
Briefen <strong>und</strong> Schriften<br />
Von <strong>Strauss</strong> gibt es eine Fülle problematischer Äußerungen. Schon im Briefwechsel<br />
mit seinem Jugendfre<strong>und</strong> Ludwig Thuille [1861–1907], herausgegeben<br />
1980 vom großen <strong>Strauss</strong>-Kenner Franz Trenner [1915–1992], sind antisemitische<br />
Äußerungen enthalten. Besonders im Briefwechsel mit Cosima Wagner,<br />
den Trenner gleichfalls herausgab, fallen eine Reihe von Antisemitismen auf, <strong>die</strong><br />
möglicherweise der Zeit geschuldet waren, heute aber unerträglich sind.<br />
Im frühen Brief des 13-Jährigen vom 4. April 1878 an Thuille heißt es: 1<br />
Im Abonnementskonzert […] 2.) spielte ein Blitzjude, namens Josephy [Joseffy]<br />
(vgl. 5. 38) aus Wien das herrliche EMoll-conzert von Chopin […] Josephy ist<br />
ein guter Klavierspieler, aber (nach Papa) ein jüdischer Schlamperer; 3.) Scherzo<br />
von Goldmark (vgl. 4. 5) , wieder von einem <strong>Juden</strong>. Sch<strong>und</strong>. Alle Details übergehe<br />
ich. 4.) Spielte Josephy 1.) eine „Chromatische Fantasie“ von J. S. Bach<br />
[1685–1750], <strong>die</strong> sehr trocken <strong>und</strong> lang ist, aber doch schön ist. 2.) <strong>die</strong> bekannte<br />
Gavotte von Martini [1706–1784]; 3.) eine selbstkomponierte „Stu<strong>die</strong> über<br />
Chopins [1810–1849] DesDurwalzer“, <strong>die</strong> ein ächtes Virtuosenstückchen ist;<br />
Josephy hätte aber besser gethan, wenn er den Walzer gelassen hätte, wie ihn<br />
Chopin geschrieben hat.<br />
Auch aus der Erwähnung des Vaters wird deutlich, woher <strong>die</strong> antisemitisch<br />
gefärbten Zeilen rühren.<br />
Am 13. Januar 1884 macht sich der 19-Jährige gegenüber Thuille lustig 2 : „In<br />
Leipzig habe ich […] bei dem ganzen Gewandthauscollegium Besuche gemacht,<br />
wobei mir Jadassohn (vgl. 5. 34) versicherte, daß ich es ,Gott der gerechte, zu<br />
thun haben wärde mit lauter ährlichen Laiten‘.“ Am Schluss des Briefes dann der<br />
Witz: „Das Stück klang so nach Mendelsohn, daß ich glaubte, es sei von Reinecke<br />
[1824–1910], es war aber doch von Jadassohn. Gut. Nicht wahr“. Im Briefwechsel<br />
sind einerseits auch antisemitische Äußerungen Thuilles enthalten, andererseits<br />
unter den Fre<strong>und</strong>en immer wieder höchstes Lob geäußert für jüdische Komponisten<br />
<strong>und</strong> Musiker wie Levi (vgl. 3. 6), Joachim (vgl. 5. 36) oder seine Frau<br />
Amalie Weiss (vgl. 5. 75). <strong>Strauss</strong> schrieb Mendelssohn übrigens sein Leben lang<br />
falsch mit einem „s“.<br />
Mit Brief vom 7. Februar 1884 an seinen Vater äußert sich der 19-jährige<br />
<strong>Strauss</strong> aus Berlin über das gesellschaftliche Großereignis des „Subskriptionsballs“:<br />
1 Franz Trenner (Hg.): <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> – Ludwig Thuille. Ein Briefwechsel. Tutzing: Schneider,<br />
1980, S. 44.<br />
2 <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> – Ludwig Thuille, Briefwechsel, S. 73.<br />
17
Antisemitische Äußerungen in Briefen <strong>und</strong> Schriften<br />
„[…] außerdem Komödianten, <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> Offiziere wimmelten nur so, beim<br />
Umzug des Hofes konnte man keine Hand rühren“, eine seltsame Addition. 3 Sonst<br />
werden in <strong>die</strong>sem Brief jüdische Künstler <strong>und</strong> Bekannte in Berlin nicht erwähnt.<br />
An seine Schwester Johanna berichtet der 19-Jährige aus Berlin am 5. März<br />
1884: „Letzten Freitag war ich mit [dem Schwager seines Onkels Georg Pschorr]<br />
[1830–1894] Fischer-Dick bei dem Irrenarzt Mendel (vgl. 6. 60) geladen, wo fast<br />
lauter, aber feine <strong>Juden</strong> waren. Frl. Bleichröder (vgl. 6. 14) war auch da.“ 4<br />
Als <strong>Strauss</strong> in Frankfurt großen Erfolg hat, meldet er dem Zeitgeist entsprechend<br />
dem Vater am 9. Januar 1887: „Die Komiteejuden waren ganz weg, haben<br />
mir 300 Mark Ehrenhonorar geschenkt“. Philosemitisch klingt das nicht. 5<br />
Als <strong>Strauss</strong>’ Vater plötzlich gegen seinen Willen aus Altersgründen entlassen<br />
wird, sind Vater <strong>und</strong> Sohn zu Unrecht sehr verbittert über den Dirigenten Levi<br />
(vgl. 3. 6). 6 Beide ziehen über Levi her, auch mit antisemitischen Untertönen.<br />
<strong>Strauss</strong> schreibt am 11. Juni 1889: 7 „Hannas Brief […] hat mir <strong>die</strong> niederträchtige<br />
Handlungsweise unseres Taktjuden wieder so recht hell vor Augen geführt.“<br />
Früher war der junge <strong>Strauss</strong> Levi dankbar für <strong>die</strong> Uraufführung seiner d-moll-<br />
Symphonie <strong>und</strong> widmete ihm seine Concertouvertüre. Später vor allem in<br />
Bayreuth kommen sich Levi <strong>und</strong> <strong>Strauss</strong> wieder näher.<br />
Nachdem Cosima Wagner 8 in einigen Briefen über <strong>die</strong> <strong>Juden</strong> in Frankfurt<br />
antisemitisch herzieht, schließt sich <strong>Strauss</strong> im Brief vom 19. Januar 1890 an<br />
Cosima an <strong>und</strong> schreibt von der „Primadonnen- <strong>und</strong> <strong>Juden</strong>wirtschaft der Frankfurter<br />
Opernbörse“, <strong>die</strong> er nicht mit Weimar tauschen möchte.<br />
Antisemitisch klingt es auch, wenn <strong>Strauss</strong> aus Weimar am 2. Februar 1890 9<br />
an seinen Vater schreibt „ Die <strong>Juden</strong> um B[ülow] herum [Marsop (vgl. 6. 59) etc.]<br />
haben mir das Leben arg verbittert.“<br />
Drei Tage später wird er noch drastischer:<br />
Endlich bin ich wieder in […] Weimar, nachdem ich mich aus dem scheußlichen<br />
<strong>Juden</strong>getriebe Berlins, in dem man kaum mehr als zwei Möglichkeiten hat,<br />
entweder überfahren zu werden oder einem Spitzbuben in <strong>die</strong> knoblauchduftenden<br />
Hände zu fallen […] Bülow hat seinen „Don Juan“ mit einer Heidenangst<br />
vor einem Mißerfolg einstu<strong>die</strong>rt (den er jetzt nicht mehr ertragen kann, da er<br />
furchtbar eitel wird <strong>und</strong> zwar hauptsächlich durch seine scheußliche jüdische<br />
3 Willi Schuh (Hg.): <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> Briefe an <strong>die</strong> Eltern . Zürich: Atlantis Verlag, 1954, S. 41.<br />
4 Günter Brosche <strong>und</strong> Karl Dachs (Hg.): <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> Autographen in München <strong>und</strong> Wien. Tutzing:<br />
Schneider, 1979, S. 340.<br />
5 Elternbriefe, S. 100.<br />
6 Roswitha Schötterer: „Franz <strong>Strauss</strong>, der Vater“ in: <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> Ausstellung 9. Garmisch-<br />
Partenkirchen, 2003.<br />
7 Elternbriefe, S. 105.<br />
8 <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> – Cosima Wagner, Briefwechsel, S. 22.<br />
9 Elternbriefe, S. 127.<br />
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Antisemitische Äußerungen in Briefen <strong>und</strong> Schriften<br />
Umgebung der Wölfe, Ochsen, Köche [Hermann Wolff (vgl. 6. 100), Siegfried<br />
Ochs (vgl. 4. 12), Max Koch (1855–1931)] etc.) 10<br />
Am 3. März 1890 11 schreibt er an Cosima Wagner „Bayreuth <strong>und</strong> Jerusalem (<strong>und</strong><br />
alles, was von des letzten Geiste getränkt <strong>und</strong> zerfressen ist) sind eben Pole, <strong>die</strong><br />
sich wohl nie berühren werden.“ Cosima wird sich über <strong>die</strong>se Bemerkung gefreut<br />
haben. Am 22. März 1890 teilt er Cosima Wagner mit, 12 Pauline de Ahna – seine<br />
spätere Frau – habe in Kassel vorgesungen, nun sollte sie sich auch in Schwerin<br />
vorstellen, „schließlich wird aber Schwerin <strong>und</strong> Kassel ziemlich gleich sein, in<br />
beiden Städten ist ein Jude Kapellmeister.“ Und so geht es weiter im Briefwechsel<br />
des jungen Musikers mit der „hohen Frau“ in Bayreuth. Im Schreiben vom<br />
20. Juni 1891 13 kritisiert er den Dirigenten Levi: „Unser jüdischer Profos prügelte<br />
wieder den Takt“.<br />
Am 7. Oktober 1891 14 bedankt er sich „für <strong>die</strong> Zusendung ihres herrlichen<br />
Briefes an Davidsohn [1835–1897]: „Ich bedaure nur, daß derselbe in der Privatschatulle<br />
des dummen <strong>Juden</strong> liegenbleiben <strong>und</strong> nicht der Öffentlichkeit übergeben<br />
werden soll!“. Noch rabiater klingt es, wenn <strong>Strauss</strong> am 3. November 1891 15<br />
schreibt:<br />
Denn als Künstler will man sich doch […] mitteilen; aber <strong>die</strong>se Bande: Deutsche<br />
genannt, sich noch um Teilnahme für ein ernstes künstlerisches Beginnen<br />
wenden, ist einfach Torheit. Ja, <strong>die</strong> <strong>Juden</strong> haben’s weit gebracht mit uns! Also nie<br />
mehr soll der arme Parsifal aus jüdischer Folterkammer entlassen werden, warum<br />
muß das arme Werk Levis „Ver<strong>die</strong>nste“ büßen? Doch verzeihen Sie.<br />
An seinen Vater klingt 1891 16 unterschwelliger Antisemitismus wieder an, wenn<br />
er stöhnt: „Frau Wagner ist <strong>die</strong> Liebenswürdigkeit <strong>und</strong> Güte selbst […] durch sie<br />
wird mir der […] Berliner Aufenthalt zur wahren Herzensfreude. Morgen Bülow,<br />
Marsop, Wolff.“<br />
Am 1. März 1892 17 schreibt <strong>Strauss</strong> nach Hause: „Bülow schimpft gegenwärtig<br />
furchtbar auf <strong>die</strong> <strong>Juden</strong> <strong>und</strong> Wolff besonders […] Was soll Bülow machen? Er ist<br />
den <strong>Juden</strong> verfallen <strong>und</strong> kann aus den Schlingen nicht mehr heraus.“ Man spürt<br />
auch den Einfluss des antisemitischen Musikers <strong>und</strong> Wagnerianers Ritter, der sich<br />
zu <strong>Strauss</strong>’ Mentor aufschwang. <strong>Strauss</strong> sprach dann oft wie gesagt vom „lieben<br />
10 Elternbriefe, S. 128.<br />
11 <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> – Cosima Wagner, Briefwechsel, S. 28.<br />
12 Ebd., S. 36.<br />
13 <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> – Cosima Wagner, Briefwechsel, S. 95.<br />
14 Ebd., S. 101 f.<br />
15 Ebd., S. 107.<br />
16 Elternbriefe, S. 131.<br />
17 Ebd., S. 150.<br />
19
Antisemitische Äußerungen in Briefen <strong>und</strong> Schriften<br />
Onkel Ritter“. <strong>Strauss</strong>’ Vater mahnt den Sohn am 16. März 1893: 18 „Levi fürchtet<br />
bei Dir Ritters Einfluß auf Dich […] Ritter ist Antisemit <strong>und</strong> ich glaube, einmal<br />
durch einen <strong>Juden</strong> zu Schaden gekommen […] Mir scheint, Levi möchte jetzt nach<br />
allen Seiten hin versöhnend wirken.“<br />
Auch im Brief vom 17. Juni 1892 19 an Hans Sommer [1837–1922] aus Bad<br />
Reichenhall, wo sich <strong>Strauss</strong> zur Kur aufhielt, klingen möglicherweise rassistische<br />
Antisemitsmen 20 an: „Nur das Intermezzo aus Cavalleria rusticana hat<br />
mir einen Schrecken eingejagt; ich glaube, wir Deutschen oder besser wir Arier<br />
müssten jeden, auch den geringsten Anschein vermeiden, als ob wir uns nach<br />
Erfolg sehnten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Presse doch nur Leuten bereitet, nicht vergönnt, <strong>die</strong> sich<br />
ihr als ‚Stammesgenossen‘ präsentieren können.“ Möglich ist, dass <strong>Strauss</strong> in<br />
seinem Hinweis auf das „Intermezzo“ in Mascagnis [1863–1945] Oper „Cavaleria<br />
Rusticana“ auch <strong>die</strong> Italiener <strong>und</strong> ihre Opernanhänger allgemein ironisch als<br />
Nicht-Arier bezeichnen will. Dass Guido Menasci [1867–1925], 21 der aus Giovanni<br />
Vergas [1840–1922] Novelle ein Libretto für Mascagni geschrieben hatte, Jude<br />
war, wusste <strong>Strauss</strong> wohl nicht. Sommer spricht in seinem Brief an <strong>Strauss</strong> von<br />
„der Seuche des Ausländischen“ <strong>und</strong> von „welscher Verseuchung“. Im Schreiben<br />
vom 20. Februar 1902 22 bezeichnet <strong>Strauss</strong> <strong>die</strong> Deutschen als „Angst-Arier“.<br />
Auch das spricht gegen einen antisemitischen Bezug, vielmehr lediglich für eine<br />
ironische Ablehnung der italienischen Oper. Deutsch <strong>und</strong> Arisch – Welsch <strong>und</strong><br />
Italienisch sind wohl <strong>die</strong> gegensätzlichen Begriffspaare.<br />
Am 23. März 1893 23 schreibt <strong>Strauss</strong> an Cosima Wagner aus Kairo: „Wenn<br />
man so weit weg ist, entschwindet der alberne Kunsttrödel, den <strong>die</strong> <strong>Juden</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Juden</strong>genossen da in unserer lieben Heimat aufführen, beinahe einem aus den<br />
Augen <strong>und</strong> der ,letzte Hort‘ Bayreuth steht allein.“ Diese Antisemitismen sind in<br />
erster Linie der Empfängerin Cosima Wagner geschuldet.<br />
Nicht Ausdruck von Antisemitismus scheint es zu sein, wenn <strong>Strauss</strong> in<br />
seinem typischen bajuwarischen Humor am 22. Dezember 1907 24 an Hans<br />
Sommer schreibt: „Ich bin Vorsitzender der Komponistengenossenschaft: infolgedessen<br />
kein Künstler, kein Musiker, kein Idealist, sondern nur so etwas wie ein<br />
Mittelding zwischen einem polnischen Pferdejuden <strong>und</strong> einem bulgarischen<br />
Mäusefallen-Händler.“<br />
18 Elternbriefe, S. 168.<br />
19 Christian Cöster (Hg.): <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> im Briefwechsel mit Hans Sommer, Hermann Bahr <strong>und</strong> Willy<br />
Levin. Mainz: Schott, 2019, S. 49 f.<br />
20 Ebd., S. 50.<br />
21 Ebd., S. 53 f.<br />
22 Cöster (Hg.): <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> im Briefwechsel, S. 111.<br />
23 <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> – Cosima Wagner, Briefwechsel, S. 153.<br />
24 Cöster (Hg.): <strong>Richard</strong> <strong>Strauss</strong> im Briefwechsel, S. 161.<br />
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