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sortimenterbrief Mai 2021

Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Mai 2021.

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die großen themen unserer zeit<br />

Für wen haben Sie Ihr neues Buch<br />

geschrieben?<br />

Hirschhausen: Viele Menschen spüren,<br />

dass etwas nicht mehr stimmt mit der<br />

Welt, wie wir sie kannten: Die Pandemie,<br />

der kaputte Wald, der Verlust an Tieren,<br />

oder auch das Wetter, das verrücktspielt.<br />

Ich zeige, wie eng diese Krisen unserer<br />

Zeit miteinander verbunden sind. Und<br />

wie jeder von uns mit seiner Gesundheit<br />

in Mitleidenschaft gezogen wird, heute<br />

schon und erst recht in Zukunft. Positiv<br />

formuliert ist das ein Buch für jeden,<br />

der gerne lebt. Und es gibt wie in allen<br />

meinen Büchern tolle Grafiken, Fotos<br />

und auch etwas zum Schmunzeln und<br />

Lachen. Denn wir könnten es wirklich<br />

schöner haben. Und gesünder.<br />

Wie der Titel des Buches bereits<br />

andeutet, möchten Sie in erster Linie<br />

die unzähligen Wechselwirkungen<br />

aufzeigen, die in der Beziehung<br />

zwischen dem Menschen – dem,<br />

was er tut und denkt – und der Erde<br />

bestehen. Als ein grundsätzliches<br />

Problem nennen Sie in Anlehnung an<br />

Ernst Ulrich von Weizsäcker die „Jetzt-<br />

Besoffenheit“ unserer Gesellschaft. Wie<br />

ist das genau zu verstehen?<br />

Hirschhausen: Der Begriff der „Jetzt-<br />

Besoffenheit“ drückt aus, was uns fehlt:<br />

eine Balance zwischen Langfristigkeit<br />

und Kurzfristigkeit. Die Idee eines<br />

ständigen Wachstums ist in einer vollen<br />

Welt für alle tödlich. Wir sind die einzige<br />

Art auf der Erde, die längerfristig in die<br />

Zukunft denken kann, aber wir tun es<br />

nur sehr begrenzt. Jane und Ernst sind<br />

für mich so etwas wie „spirituelle Paten“<br />

dieses Buches geworden, deshalb stehen<br />

sie auch am Anfang. Denn das Thema<br />

hat auch eine bislang wenig beachtete<br />

seelische Dimension. Ich glaube, wir<br />

verbrauchen so viel, weil wir nicht<br />

wissen, was wir wirklich brauchen. Und<br />

die kostbarsten Dinge sind keine, die der<br />

„Markt“ regelt: Kein Mensch kann sich<br />

seine eigene Außentemperatur kaufen.<br />

Noch nicht mal Privatpatienten.<br />

Sie gliedern die Kapitel sehr ungewöhnlich<br />

nach Körperfunktionen.<br />

Warum?<br />

Hirschhausen: Weil jeder von uns<br />

Atmen, Trinken, Essen und Schwitzen<br />

aus eigener Anschauung kennt.<br />

Und weil Feinstaub das Atmen,<br />

Mikroplastik das Trinken, industrielle<br />

Landwirtschaft das Essen und Hitze<br />

die Temperaturregulation massiv<br />

beeinträchtigen. Wir leben ja nicht im<br />

luftleeren Raum, sondern als Menschen<br />

auf der Erde, in einem Körper, der<br />

Grundbedürfnisse hat und der den<br />

Naturgesetzen unterliegt. Wer meint,<br />

dass die Wirtschaft wichtiger ist als die<br />

Gesundheit, kann ja mal versuchen,<br />

beim Geldzählen eine Weile lang die<br />

Luft anzuhalten.<br />

Eckart von Hirschhausen: Mensch, Erde!<br />

Wir könnten es so schön haben<br />

528 Seiten, dg. vierfarbig, zahlr. Illustrationen und<br />

Fotos, Hardcover, 978-3-423-28276-5<br />

€ 24,70 | dtv, ET: 18. <strong>Mai</strong><br />

Ihr Buch haben Sie dezidiert aus<br />

der Perspektive eines Mediziners<br />

verfasst. Wenn Sie über Themen wie<br />

Treibhausgas, Plastik, Fleischkonsum<br />

oder Feinstaub schreiben, denken Sie<br />

immer auch die negativen Auswirkungen<br />

auf den menschlichen Organismus<br />

und die Psyche mit. Die Forschung<br />

zu vielen Zusammenhängen steckt<br />

jedoch noch in den Kinderschuhen, wie<br />

etwa zu den psychischen Folgen von<br />

Luftverschmutzung oder Hitze …<br />

Hirschhausen: Ja, das hat mich auch<br />

gewundert, dass große Forschungseinrichtungen<br />

das Thema Hitze und<br />

Hirn zum Beispiel nicht intensiv<br />

voranbringen, wo doch jeder weiß, wie<br />

sehr uns die „Hundstage“ belasten,<br />

dass wir schlechtere Entscheidungen<br />

treffen, wenn wir „keinen kühlen<br />

Kopf bewahren“. Warum endet jedes<br />

Fieberthermometer bei 41 Grad? Weil<br />

wir mehr schlichtweg nicht aushalten<br />

an Körpertemperatur. Die Eiweißstoffe<br />

im Hirn gehen kaputt. Das weiß jeder,<br />

der schon mal ein Ei gekocht hat,<br />

dass Proteine, die einmal ihre Form<br />

durch Überhitzung verändert haben,<br />

nicht mehr in die ursprüngliche<br />

Form zu bringen sind. Wir haben<br />

wirklich übersehen, wie sehr wir auch<br />

als Menschen biologische Wesen<br />

sind, mit einem sehr anfälligen und<br />

verletzlichen Körper. Und das habe<br />

ich als Ausgangspunkt für mein Buch<br />

gewählt, weil ich mich mit dem Körper<br />

auskenne – und jeder der Leser ja auch<br />

selber einen hat.<br />

Ein weiteres interessantes Phänomen,<br />

das mit den psychischen Auswirkungen<br />

in Zusammenhang steht, ist das der<br />

„Solastalgie“. Was bedeutet diese<br />

Wortneuschöpfung?<br />

Hirschhausen: Den Begriff<br />

„Solastalgie“ prägte der australische<br />

Umweltwissenschaftler Glenn Albrecht,<br />

nachdem intakte Landschaften durch<br />

riesige Kohlebagger brutal zerstört<br />

worden waren und die Menschen der<br />

betreffenden Regionen einen Schmerz<br />

fühlten, für den es keine Worte gab.<br />

Vor ihren Augen ging etwas verloren,<br />

das ihnen seit Kindertagen ans Herz<br />

gewachsen war, der Trost, den die Natur<br />

zu spenden vermocht hatte, war ihnen<br />

genommen. Fast jeder kennt dieses<br />

Gefühl: Ich erlebe es zum Beispiel zu<br />

Weihnachten auf dem Weg zur Kirche,<br />

wenn ich merke, dass es für „mitten im<br />

kalten Winter“ viel zu warm ist. Oder<br />

<strong>sortimenterbrief</strong> 5/21<br />

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