Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Frederyk Sandys (1829–1904) – Medea, 1866–1868<br />
sophos-Begriffes kreisen. Ein eigenes Kapitel bekommt<br />
Aristophanes (93-106), in seinen Komödien<br />
begegnet der sophia-Begriff massenhaft – wie<br />
ein Schlagwort, das eine grassierende Krankheit<br />
benennt. In den Wolken avanciert Sokrates zum<br />
„Obersophisten” in seiner „Denkerbude”; das<br />
Bühnenarrangement ist nichts anderes als eine<br />
Persiflage sophistischer Lehrmeisterei, Sokrates<br />
wird den Menschen als Bringer eines durch sophia<br />
zu erreichenden Glücks (eudaimonia) vorgestellt.<br />
In Platons Denken erreicht der Sophia-Begriff den<br />
Zenit. Seine Dialoge sind in aller Regel eine Auseinandersetzung<br />
mit den Sophisten, denen er Sokrates<br />
als Gesprächspartner gegenüberstellt. „Sophia<br />
ist die Erkenntnis oder Einsicht in die Lebens- und<br />
Weltzusammenhänge, die auf einer sittlichen<br />
Grundlage beruht und mit deren Hilfe ein dauerhaftes<br />
politisches Ordnungsmodell ,konstruiert’<br />
werden kann” (109). Aristoteles besitzt ein völlig<br />
anderes Verhältnis zum Wert und Begriff sophia,<br />
sie ist methodisch gewonnenes „Wissen”, sie ist<br />
zweckfreie Wissenschaft. In den weiteren Kapiteln<br />
beobachtet Friedrich Maier die Entwicklung der<br />
großen philosophischen Schulen bei den Römern:<br />
„Griechische Weisheit auf römischem Boden” und<br />
zieht die Linie weiter zu christlichen Denkern, dann<br />
in groben Zügen über die Höhepunkte am Ende<br />
der Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit bis<br />
in die aktuelle Welt des technologischen Zeitalters,<br />
das von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz<br />
beherrscht wird. Dabei geraten die Fundamente<br />
des abendländischen Wertekodex in den Blick.<br />
Nicht nur Vernunft, sondern Weisheit und Weitblick<br />
scheinen heute umso mehr benötigte Tugenden,<br />
vor allem in der Politik und in der Gestaltung<br />
von Wirtschaft und Sozialleben, auch für die Pädagogik<br />
im Bereich von Schule und Universität.<br />
Und wer, so mag man fragen, kann die sich globalisierende<br />
Welt im Kampf um ein menschliches und<br />
menschenwürdiges Leben mehr voranbringen als<br />
eben diese antike Tugend der Weisheit?<br />
Entwurf zum Firmenschild der Helios Actien-Gesellschaft,<br />
Köln 1891 (nach dem gleichnamigen Ölgemälde von Hans<br />
Thoma, 1839–1924, 1886)<br />
Friedrich Maier, EUROPA. Seine verborgenen<br />
FUNDAMENTE (Puchheimer Kulturvorträge),<br />
298 Seiten, Broschur, mit 8 Bildern und Abbildungen,<br />
Idea-Verlag 2<strong>02</strong>1, ISBN 978-3-<br />
88793-174-2, 22 €<br />
Eben erscheint wieder ein Buch, das den<br />
Fragen nachgeht, die Friedrich Maier ein<br />
Gelehrtenleben lang beschäftigt haben<br />
und nicht loslassen: Der Autor und Journalist<br />
Tom Holland, geboren 1968, er<br />
studierte in Cambridge und Oxford Geschichte<br />
und Literaturwissenschaft, stellt sich in seinem<br />
neuen Buch Herrschaft. Die Entstehung des Westens<br />
(Klett-Cotta, Mai 2<strong>02</strong>1) die Frage: »Wie wurde<br />
der Westen zu dem, was er heute ist? Welches<br />
Erbe schlägt sich in seiner Gedanken- und Vorstellungswelt<br />
nieder?« Tom Holland schildert die<br />
Geschichte des Westens ausgehend von seinem<br />
antiken und christlichen Erbe. Er schlägt einen<br />
großen erzählerischen Bogen von den Perserkriegen,<br />
den revolutionären Anfängen des Christentums<br />
in der Antike über seine Ausbreitung im<br />
europäischen Mittelalter bis hin zu seiner Verwandlung<br />
in der Moderne.<br />
Heranziehen kann man auch ein Buch des neuen<br />
DAV-Bundesvorsitzenden Stefan Freund (herausgegeben<br />
zusammen mit Nina Mindt): Antike<br />
Konzepte für ein modernes Europa. Die Klassische<br />
Philologie und die Zukunft eines Jahrhundertprojekts<br />
(Studia Montana, Polyphem-Verlag<br />
2<strong>02</strong>1, 278 S.). Die Autoren stellen »die Antike<br />
und die Sprachen Latein und Griechisch in den<br />
Mittelpunkt. Sie stehen für sehr viel von dem,<br />
was Europa in seinem Denken verbindet: die griechische<br />
und die römische Kultur, das Christentum<br />
und die Welt des Mittelalters, den Humanismus<br />
und die Anfänge der modernen Wissenschaften.<br />
In Beiträgen aus italienischer und deutscher<br />
Perspektive werden die Identität Europas aus<br />
seinen Anfängen, die Rezeption der Antike als<br />
roter Faden in der europäischen Kultur, die Relevanz<br />
des Latein- und Griechischunterrichts sowie<br />
die Potentiale der Klassischen Philologie für die<br />
Weiterentwicklung des europäischen Gedankens<br />
beleuchtet«.<br />
Dieser Frage nach den Fundamenten Europas und<br />
und nach der europäischen Identität ist Friedrich<br />
Maier zeitlebens nachgegangen. In Lektürebänden<br />
für den altsprachlichen Unterricht, in zahllosen<br />
Aufsätzen, in der vielbändigen Auxilia-Reihe,<br />
in Lehrbüchern und in vielen, vielen Vorträgen.<br />
Ein eben erschienenes Buch von 300 Seiten mit<br />
dem Untertitel ›Puchheimer Kulturvorträge‹ gibt<br />
lebhaft Zeugnis von diesem ganz außerordentlichen<br />
Engagement. Versammelt sind 23 Vorträge,<br />
die er alle in seinem Heimatort Puchheim bei<br />
München gehalten hat, die aber alle ihre eigene<br />
Geschichte haben insofern, als er sie bei anderen<br />
Anlässen und anders akzentuiert an vielen<br />
Stationen seines wissenschaftlichen Wirkens gehalten<br />
hat, bei DAV-Bundeskongressen, an den<br />
120 JAHRGANG LXV · LGBB <strong>02</strong> / 2<strong>02</strong>1<br />
LGBB <strong>02</strong> / 2<strong>02</strong>1 · JAHRGANG LXV<br />
121