WuM-0121_gesamt
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40 WIRTSCHAFT+MARKT
DIE DEUTSCHE
RATSPRÄSIDENTSCHAFT
HAT EINE EUROPÄISCHE
KRISE VERHINDERT
Dr. Christian Ehler, Mitglied des Europäischen Parlaments, über die
Ergebnisse der deutschen Ratspräsidentschaft, den Klimaschutz in
Europa und die Kritik an den europäischen Institutionen
W+M: Herr Dr. Ehler, wie bewerten Sie die Ergebnisse
der deutschen Ratspräsidentschaft?
W+M: Welche Zukunftswirkungen gehen denn
von der deutschen Ratspräsidentschaft aus?
Dr. Christian Ehler: Es ist ja ein Stück weit
die Tragik der Ratspräsidentschaft von Angela
Merkel, aber überhaupt der Politiker-Generation
in Deutschland und in Europa in den
letzten fünfzehn Jahren, dass die Politik quasi
im permanenten Krisenmodus stattfindet. Und
die Größe der deutschen Ratspräsidentschaft
liegt vielleicht darin, eine in ihren Konsequenzen
gar nicht verstandene europäische Krise
verhindert zu haben. Wenn Sie gerade mit
meinen Kollegen aus Südeuropa sprechen, die
auch sehr kritisch Deutschland gegenüber sind,
herrscht schon allgemein das Gefühl vor, dass
ohne die deutsche Ratspräsidentschaft Europa
wahrscheinlich in eine Krise gekommen wäre
in einer Größenordnung, wie sie vorher noch
nicht bekannt war. Wenn man es ganz pauschal
nehmen will, hat die deutsche Ratspräsidentschaft
ein doch erschüttertes Europa wieder
auf die Füße gestellt. Zu Beginn der deutschen
Ratspräsidentschaft gab es ja weder einen
europäischen Haushalt noch eine finanzielle
Einigung, wie man mit der Covid-Pandemie und
ihren Folgen umgehen kann.
Dr. Christian Ehler: Ich glaube, man wird
Ende des Jahres erst wirklich absehen können,
wie die deutsche Ratspräsidentschaft
einzuordnen ist. Dann lassen sich die Dinge,
die unter der deutschen Ratspräsidentschaft
begonnen wurden, bewerten. Dazu zählen die
großen Gesetzgebungs- und Regulierungsprozesse
für den europäischen digitalen Binnenmarkt,
z. B. den Data Governance Act, den
Data Service Act oder den Data Market Act.
Und das gilt auch für das Thema Green Deal
und für das Corona-Recovery-Programm.
W+M: Glauben Sie, dass sich die deutsche
Ratspräsidentschaft in den deutschen Medien
adäquat widergespiegelt hat?
Dr. Christian Ehler: Ich glaube, dass die Medien
im Moment das Problem haben, dass die
zunehmende Komplexität und die Gleichzeitigkeit
von Themen fast gar keine entsprechend
komplexe Widerspiegelung findet. Wir
haben eine mediale Wiedergabe, die doch sehr
auf Personen und Konflikte zugeschnitten
ist. Aber wenn Sie jetzt eine Umfrage machen
würden unter den 50 wichtigsten CEOs in
Europa, was denn entscheidend in diesen
Tagen und Monaten ist, dann werden sie
wahrscheinlich gar nicht so heroische Themen
haben in der Art von „Driftet Europa auseinander?“,
sondern die Antworten würden sehr
binnenmarktbezogen sein.
W+M: Welche Themen wären dies?
Dr. Christian Ehler: Wir haben beispielsweise
mit dem Ziel der CO 2
-Reduktionen um
55 Prozent in diesem Jahrzehnt einen geradezu
transformatorischen Prozess angestoßen. Wir
haben jetzt neun Jahre Zeit, sämtliche industrieintensive
Industrien und Sektoren in Europa
technisch so umzubauen, dass wir 55 Prozent
weniger CO 2
emittieren. Das heißt aber, dass
wir das Karbon aus sämtlichen Verbrennungsprozessen
herausnehmen müssen. Das ist eine
Revolution vergleichbar mit dem Beginn der
chemischen Industrie im 19. Jahrhundert.
Foto: CDU Brandenburg
W+M – FRÜHJAHR/SOMMER 2021