2 Deckblatt 2004 - Bundeskanzleramt Österreich
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10 Internationaler Kulturaustausch<br />
Der politische Höhepunkt des Jahres<br />
<strong>2004</strong> war zweifellos die Erweiterung<br />
der EU um zehn neue Mitgliedstaaten.<br />
15 Jahre nach dem Fall des<br />
Eisernen Vorhangs ist <strong>Österreich</strong><br />
damit in die Mitte des wiedervereinigten<br />
Europas gerückt. Die anhaltende<br />
skeptische Einstellung vieler Bürgerinnen<br />
und Bürger gegenüber der EU<br />
stellt eine besorgniserregende Entwicklung<br />
dar, mit der sich nicht nur<br />
<strong>Österreich</strong>, sondern die meisten EU-<br />
Mitgliedstaaten konfrontiert sehen.<br />
Betreibt man Ursachenforschung,<br />
stellt sich erwartungsgemäß heraus,<br />
dass dabei sowohl allgemeine gesellschaftspolitische<br />
als auch länderspezifische<br />
Einflussfaktoren eine starke<br />
Rolle spielen.<br />
Einer der Hauptgründe des ansteigenden<br />
EU-Skeptizismus mag im<br />
mangelnden kollektiven Bewusstsein<br />
bezüglich unserer gemeinsamen europäischen<br />
Identität liegen. So stellt sich<br />
die unumgängliche Frage, ob die Gefahr<br />
der Distanz zwischen Europas<br />
Bürgerinnen und Bürgern und seiner<br />
Politik nicht über viele Jahre hindurch<br />
stark unterschätzt wurde. Denn die<br />
vorherrschende Unzufriedenheit und<br />
das Misstrauen gegenüber den EU-<br />
Institutionen in der Bevölkerung haben<br />
sich nachhaltig auch auf die Akzeptanz<br />
des Projekts Europa als solches<br />
ausgewirkt.<br />
Eine Dosis Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
lässt sich allerdings nicht<br />
einfach so verordnen, zumal es sich<br />
dabei um ein Empfinden handelt, das<br />
sich erst sukzessive entwickeln muss.<br />
Es ist jedoch möglich, in diesen Entwicklungsprozess<br />
in einer unterstützenden<br />
Art und Weise einzugreifen:<br />
Europäische, nationale und regionale<br />
Einrichtungen aller Mitgliedstaaten<br />
müssen in Zukunft wieder verstärkt<br />
daran arbeiten, um das Projekt<br />
Europa in den Herzen seiner Bürgerinnen<br />
und Bürger zu verankern.<br />
Auf der Suche nach Lösungen, wie<br />
man – nachdem die geographischen<br />
Grenzen der EU neu definiert<br />
wurden – die emotionalen Grenzen in<br />
den Köpfen der Menschen überwinden<br />
kann, stellt sich die Frage nach<br />
.45 Struktur der Ausgaben<br />
der Rolle der Kultur als einende Kraft<br />
im europäischen Integrationsprozess.<br />
Das aktuelle Kulturprogramm KULTUR<br />
2000 fördert diesem Ziel entsprechend<br />
die grenzüberschreitende Mobilität und<br />
den interkulturellen Austausch. Das in<br />
Planung befindliche Nachfolgeprogramm<br />
KULTUR 2007, dessen Beschlussfassung<br />
unter den österreichischen<br />
Ratsvorsitz 2006 fallen könnte,<br />
soll inhaltlich einen noch viel größeren<br />
Aktionsbereich abdecken und auch<br />
die Kulturschaffenden in den westlichen<br />
Balkanstaaten mit einbeziehen.<br />
Die Integrationswirkung der Kultur<br />
wird auf der politischen Ebene<br />
zwar immer wieder betont und hochgeschätzt,<br />
oft hat man jedoch den Eindruck,<br />
Ankündigungen gehen über<br />
den Charakter von anlassbezogenen<br />
Lippenbekenntnissen nicht hinaus. Die<br />
viel beachtete Aussage des neuen<br />
Kommissionspräsidenten José Manuel<br />
Barroso anlässlich der Berliner Konferenz<br />
„Europa eine Seele geben“ im<br />
November <strong>2004</strong>, „auf der Werteskala<br />
seien die kulturellen Werte höher einzustufen<br />
als ökonomische“, mag auch<br />
in dieser Hinsicht als Richtschnur des<br />
politischen Handelns gelten.<br />
Ziel des neuen Kulturprogramms ist<br />
es jedenfalls, durch den Ausbau<br />
der kulturellen Zusammenarbeit in<br />
Europa zur Entwicklung einer europäischen<br />
Identität beizutragen. Diese ist<br />
pluralistisch, denn jeder einzelne Mitgliedstaat<br />
hat seine eigene, unverkennbare<br />
Identität, die er wahren und<br />
auch ausleben möchte. In Anbetracht<br />
dieser Tatsache erscheint es unerlässlich<br />
hervorzuheben, dass die Besinnung<br />
auf gemeinsame Werte – wie<br />
Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit,<br />
Solidarität – keineswegs einen Widerspruch<br />
zur Eigenständigkeit aller<br />
Nationen und Regionen bedeutet,<br />
sondern eine Bereicherung für uns<br />
alle mit sich bringt. Anlässlich der<br />
bevorstehenden Ratspräsidentschaft<br />
im Jahr 2006 sieht sich <strong>Österreich</strong><br />
erneut der Chance und Herausforderung<br />
gegenübergestellt, seine Rolle<br />
als integrationsförderndes Kulturland<br />
ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen<br />
und die Wiederannäherung Europas<br />
an seine Bürgerinnen und Bürger<br />
aktiv mitzugestalten.<br />
Katrin Kneissel<br />
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