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recke:in - Das Magazin der Graf Recke Stiftung Ausgabe 3/2021

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ERZIEHUNG & BILDUNG<br />

Seiten<br />

blick!<br />

Was machen unsere Mitarbeitenden eigentlich,<br />

wenn sie nicht im Dienst s<strong>in</strong>d?<br />

Mit 27 Jahren traf Kerst<strong>in</strong> Sittig<br />

e<strong>in</strong>e Entscheidung, die<br />

nicht nur ihr eigenes Leben<br />

bereichern sollte: Damals<br />

beschloss die heutige Teamleiter<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wohngruppe Kompass <strong>der</strong> <strong>Graf</strong> <strong>Recke</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>in</strong> Düsseldorf-Wittlaer, den Motorradführersche<strong>in</strong><br />

zu machen. Ihr damaliger<br />

Lebensgefährte war begeisterter Biker, »und<br />

ich hatte ke<strong>in</strong>e Lust, nur h<strong>in</strong>tendrauf zu<br />

sitzen«, erklärt Kerst<strong>in</strong> Sittig ihre damalige<br />

Motivation. Mit Folgen: Bis heute ist das<br />

Motorrad ihre größte Leidenschaft, wie sie<br />

bekennt.<br />

Dabei waren die Anfänge durchaus<br />

bescheiden: E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Suzuki hatte sich<br />

Kerst<strong>in</strong> Sittig nach bestandener Prüfung<br />

zunächst zugelegt. »Die Masch<strong>in</strong>e musste<br />

auch von e<strong>in</strong>er nicht so großen Person gut<br />

zu handeln se<strong>in</strong>«, erklärt die 53-Jährige. Man<br />

müsse sie auch schieben und im Zweifel<br />

aufrichten können. <strong>Das</strong> allerd<strong>in</strong>gs war bis<br />

heute kaum e<strong>in</strong>mal notwendig, sie habe<br />

sich »noch nie richtig auf die Nase gelegt«,<br />

wie sie erzählt. Sie fahre mit dem Motorrad<br />

vorausschauen<strong>der</strong> als mit dem Auto, versuche<br />

auch die an<strong>der</strong>en Verkehrsteilnehmer<br />

e<strong>in</strong>zuschätzen. »Mir ist bewusst, dass ich<br />

ke<strong>in</strong>e Knautschzone habe.«<br />

Was ebenfalls hilft: Es geht Kerst<strong>in</strong> Sittig<br />

nicht ums schnelle Fahren, son<strong>der</strong>n ums<br />

sogenannte Cruisen, sie liebt die Kurven<br />

und die vorbeiziehende Landschaft, wie<br />

sie betont. »Ich kann dabei wun<strong>der</strong>bar den<br />

Kopf freikriegen. Ich werde dann e<strong>in</strong>s mit<br />

dem Moped.« <strong>Das</strong> gel<strong>in</strong>gt ihr sogar, wenn sie<br />

den Arbeitsweg ab und an auf zwei statt auf<br />

vier Rä<strong>der</strong>n fährt. Im Auto mache sie sich<br />

auf dem Rückweg häufig noch Gedanken<br />

über den Tag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohngruppe. »Auf dem<br />

Motorrad ist das alles sofort weg. Da komm<br />

ich ganz schnell runter, das kommt e<strong>in</strong>er<br />

Therapie schon ganz nahe.« Sie lacht.<br />

BEGEISTERUNG WUCHS<br />

MIT DEN MASCHINEN<br />

E<strong>in</strong>e Honda CBF 500 Naked Bike steht bei<br />

Kerst<strong>in</strong> Sittig <strong>der</strong>zeit im alten Hof <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Scheune, e<strong>in</strong>e Honda 750er Chopper Shadow<br />

geschützt unterm Vordach. Mit dieser<br />

war sie vor nicht allzu langer Zeit sogar<br />

<strong>in</strong> Kroatien unterwegs. »Die Küste entlangzufahren,<br />

das war ganz wun<strong>der</strong>voll«,<br />

schwärmt sie. In den Süden gelangte das<br />

Motorrad allerd<strong>in</strong>gs auf dem Hänger. Nicht,<br />

weil sich Sittig ke<strong>in</strong>e tausend Kilometer im<br />

Sattel zutrauen würde. »Ich will nicht mit<br />

kle<strong>in</strong>em Gepäck anreisen. Aus dem Alter b<strong>in</strong><br />

ich raus«, sagt sie mit e<strong>in</strong>em Gr<strong>in</strong>sen.<br />

Ihre Begeisterung h<strong>in</strong>gegen ist mit<br />

den Masch<strong>in</strong>en offensichtlich ebenfalls<br />

gewachsen. Und so war es für Kerst<strong>in</strong> Sittig<br />

gar ke<strong>in</strong>e Frage, dass sie ihrem geme<strong>in</strong>samen<br />

Hobby treu bleiben würde, als ihr Lebensgefährte<br />

vor acht Jahren starb. Die Kontakte,<br />

die sie <strong>in</strong> die Biker-Szene aufgebaut hatte,<br />

waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge sehr hilfreich. Mit Freunden<br />

macht sie sich weiterh<strong>in</strong> regelmäßig auf<br />

zu geme<strong>in</strong>samen Touren an die Mosel o<strong>der</strong><br />

Ausfahrten zu Biker-Treffs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eifel.<br />

Doch ganz gleich, ob zu zweit o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er größeren Gruppe: Wenn sie auf dem<br />

Moped sitze, konzentriere sie sich ganz aufs<br />

Fahren, sagt Kerst<strong>in</strong> Sittig; sie habe auch<br />

bewusst ke<strong>in</strong>e Sprechanlage im Helm. »<strong>Das</strong><br />

s<strong>in</strong>d Momente, die man ganz für sich alle<strong>in</strong>e<br />

hat.« Es ist e<strong>in</strong> wichtiger Ausgleich für die<br />

53-Jährige, die sonst »schon hauptsächlich<br />

für an<strong>der</strong>e da ist«, wie sie bekennt. <strong>Das</strong> gilt<br />

für ihre Arbeit als Erzieher<strong>in</strong> mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen ganz beson<strong>der</strong>s. Etwas<br />

an<strong>der</strong>es wäre für sie, die selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

sozialen Brennpunkt aufgewachsen ist, aber<br />

nie <strong>in</strong>frage gekommen, wie sie mit Überzeugung<br />

sagt.<br />

MOTORRAD UND ROCK<br />

GEHÖREN ZUSAMMEN<br />

In ihrer Freizeit geht Kerst<strong>in</strong> Sittig gerne<br />

auf Konzerte. »Und natürlich stehe ich auf<br />

Gitarrenmusik«, me<strong>in</strong>t sie und lacht. Auf<br />

ihrer Playlist stehen daher Rockbands wie<br />

AC/DC o<strong>der</strong> Led Zeppel<strong>in</strong> ganz oben, sie<br />

könne sich aber auch für Re<strong>in</strong>hard Mey<br />

begeistern. Dazu kommt e<strong>in</strong> Faible für alles<br />

Handwerkliche; vom Häkeln, das ihr e<strong>in</strong>e<br />

»Die Küste<br />

entlangzufahren,<br />

das war ganz<br />

wun<strong>der</strong>voll.«<br />

Kerst<strong>in</strong> Sittig<br />

Kolleg<strong>in</strong> beigebracht hat, bis h<strong>in</strong> zum Dachdecken<br />

ihrer Gartenhütte. »Ich saß auch<br />

schon auf me<strong>in</strong>em Haus, rittl<strong>in</strong>gs auf dem<br />

Dachfirst, und habe den Schornste<strong>in</strong> verputzt.«<br />

Noch lieber aber sitzt Kerst<strong>in</strong> Sittig<br />

freilich auf e<strong>in</strong>er ihrer beiden Hondas. E<strong>in</strong><br />

Leben ohne Moped sei für sie nicht denkbar,<br />

sagt sie. Ihren mittlerweile 32-jährigen Sohn<br />

hatte sie daher schon mitgenommen, »als<br />

<strong>der</strong> noch ganz kle<strong>in</strong> war«. Ke<strong>in</strong>e Frage, dass<br />

dieser nun ebenfalls Motorrad fährt, genau<br />

wie die Schwiegertochter. Doch auch <strong>in</strong> die<br />

an<strong>der</strong>e Richtung blieb ihr Entschluss von<br />

damals nicht ohne Konsequenzen.<br />

Als sie sich vor e<strong>in</strong>em guten Vierteljahrhun<strong>der</strong>t<br />

für den Motorrad-Führersche<strong>in</strong><br />

angemeldet hatte, ihre ersten, vorsichtigen<br />

Runden auf e<strong>in</strong>em Parkplatz drehte,<br />

erwachte auch bei ihrem Vater e<strong>in</strong>e offenbar<br />

versteckte Leidenschaft. »Er war damals<br />

50 und hat dann tatsächlich mit mir den<br />

Führersche<strong>in</strong> gemacht.« Kerst<strong>in</strong> Sittig freut<br />

das bis heute: Ihr Vater, sagt sie, sei mittlerweile<br />

77 Jahre alt – »und er fährt immer<br />

noch«. //<br />

3/<strong>2021</strong> <strong>recke</strong>: <strong>in</strong> 21

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