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recke:in - Das Magazin der Graf Recke Stiftung Ausgabe 3/2021

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WOHNEN & PFLEGE<br />

OHNE WENN<br />

UND ABER<br />

<strong>Das</strong>s Toni Scheibenberger Freude<br />

an se<strong>in</strong>em Job hat, steht außer<br />

Frage. Mehr noch: »Ich liebe<br />

diesen Beruf«, sagt er mit Überzeugung.<br />

Doch selbst das wäre für ihn als<br />

Voraussetzung für e<strong>in</strong>e Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege<br />

nicht genug. Man müsse, sagt er, »e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Haltung mitbr<strong>in</strong>gen, um <strong>in</strong> diesem<br />

Beruf leben zu können. Er muss Berufung<br />

se<strong>in</strong>.« Er kann das auch begründen: In <strong>der</strong><br />

Pflege gehe es im Worts<strong>in</strong>ne »um Leben und<br />

Tod«, sagt er. Um ganzheitlich pflegen zu können,<br />

müsse man »empathisch se<strong>in</strong> und echt«.<br />

Gewichtige Worte e<strong>in</strong>es gerade e<strong>in</strong>mal<br />

32-Jährigen s<strong>in</strong>d das, und doch strahlt Toni<br />

Scheibenberger so gar nichts Verbissenes<br />

aus, im Gegenteil. Selbst jetzt, nach e<strong>in</strong>er<br />

Frühschicht im Seniorenzentrum Zum<br />

Königshof <strong>in</strong> Düsseldorf-Unterrath, wirkt<br />

Scheibenberger entspannt und locker.<br />

»Ke<strong>in</strong>e Frage, es ist oft stressig«, me<strong>in</strong>t er.<br />

Aber das sei je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Beruf doch auch,<br />

wenn man ihn ernst nehme. »Ich weiß ja,<br />

was mich erwartet.«<br />

DA SEIN, WENN’S BRENNT<br />

Wie ernst es ihm mit se<strong>in</strong>em Plädoyer für<br />

den eigenen Berufsstand ist, kann man<br />

bei Toni Scheibenberger sogar an se<strong>in</strong>em<br />

Wohnort ablesen: Dieser liegt lediglich fünf<br />

Gehm<strong>in</strong>uten vom Königshof entfernt. »Ich<br />

möchte da se<strong>in</strong>, wenn’s brennt«, begründet<br />

er diese Wahl. Sollte es beispielsweise kurzfristig<br />

Ausfälle im Team geben, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Coronazeit nicht selten, sei er als stellvertreten<strong>der</strong><br />

Wohnbereichsleiter schnell da<br />

und könne die Personalfrage mit klären.<br />

»O<strong>der</strong> im Zweifel auch mal selbst e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen«,<br />

wie er sagt.<br />

So viel Engagement zahlt sich aus: 2018<br />

ist <strong>der</strong> exam<strong>in</strong>ierte Altenpfleger von <strong>der</strong><br />

Spree an den Rhe<strong>in</strong> gewechselt und hatte<br />

nach e<strong>in</strong>em Dreivierteljahr bereits Leitungsverantwortung.<br />

»<strong>Das</strong> zeigt mir, dass die <strong>Stiftung</strong><br />

was mit mir vorhat«, freut er sich.<br />

Ke<strong>in</strong>en Moment hat er daher se<strong>in</strong>en Umzug<br />

bereut, auch wenn er ursprünglich <strong>der</strong> Liebe<br />

wegen von Berl<strong>in</strong> nach Düsseldorf zog. Die<br />

Beziehung hielt nicht, »aber ich habe mich<br />

mittlerweile <strong>in</strong> die Stadt verliebt«, gesteht er<br />

mit e<strong>in</strong>em Lächeln. Die Rhe<strong>in</strong>län<strong>der</strong> seien<br />

sehr nett, man stehe nirgendwo lange alle<strong>in</strong>.<br />

»In Berl<strong>in</strong> macht dagegen je<strong>der</strong> eher se<strong>in</strong><br />

eigenes D<strong>in</strong>g.«<br />

Und doch hat für ihn dort beruflich alles<br />

begonnen, bereits mit 17 Jahren direkt nach<br />

<strong>der</strong> Realschule. Als Praktikant <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Altenheim habe er ältere Damen und Herren<br />

im Rollstuhl durch Lichtenberg geschoben,<br />

erzählt Toni Scheibenberger. Se<strong>in</strong> Berufsziel<br />

stand danach schnell fest: »Mir war bewusst,<br />

dass das die Menschen s<strong>in</strong>d, die nach dem<br />

Krieg alles wie<strong>der</strong> aufgebaut haben«, sagt<br />

er. »Ich hatte schon damals den Wunsch,<br />

diesen Menschen etwas wie<strong>der</strong>zugeben.«<br />

DIE GESCHICHTEN HINTER DEN MENSCHEN<br />

Von Anfang an sei er an ihren Biografien<br />

<strong>in</strong>teressiert gewesen, an den Geschichten<br />

h<strong>in</strong>ter den Menschen, sagt er. »Die Weisheiten,<br />

die sie mir mitgeben, haben mich so<br />

viel weitergebracht.« Ruhiger zu werden war<br />

so e<strong>in</strong> Ratschlag. Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat sei er früher<br />

»e<strong>in</strong> bisschen aufgedreht gewesen«, räumt<br />

Toni Scheibenberger e<strong>in</strong>. Er sei mit den<br />

Jahren erwachsener und reifer geworden, sei<br />

nicht mehr ganz so extrovertiert. Und auch,<br />

wenn er <strong>in</strong> jedem Raum wohl nach wie vor<br />

<strong>der</strong> Eitelste sei: »Ich brauche heute ke<strong>in</strong>e<br />

Stunde mehr im Bad.« Er lacht.<br />

An <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung zu se<strong>in</strong>em Beruf hat<br />

sich für den 32-Jährigen h<strong>in</strong>gegen im Pr<strong>in</strong>zip<br />

bis heute nichts geän<strong>der</strong>t: Den älteren<br />

Menschen da abzuholen, wo er gerade steht,<br />

sei die Grundlage, sich die Zeit zu nehmen,<br />

ihm zu helfen und auch Feedback wahrzunehmen,<br />

<strong>der</strong> Kern se<strong>in</strong>er Arbeit. »Geme<strong>in</strong>sam<br />

mit e<strong>in</strong>em Lächeln aus e<strong>in</strong>er Situation zu<br />

kommen, ist das erstrebenswerte Ziel«, formuliert<br />

es Scheibenberger. Nicht immer<br />

könne das gel<strong>in</strong>gen, sicherlich, was für<br />

ihn aber weniger e<strong>in</strong> Personalproblem ist.<br />

Schwierig wird es aus Sicht des Altenpflegers<br />

vielmehr, wenn e<strong>in</strong> Mensch multimorbid<br />

ist, also mehrere Krankheiten<br />

gleichzeitig auftreten, o<strong>der</strong> etwa durch<br />

e<strong>in</strong>e Herzattacke komplett aus se<strong>in</strong>em<br />

gewohnten Leben herausgerissen wurde.<br />

»Wenn ich weiß, ich kann nichts für ihn<br />

tun, ihm nicht helfen.« So wichtig es sei,<br />

e<strong>in</strong>e Beziehung aufzubauen, so notwendig<br />

sei <strong>in</strong> solchen Fällen die Abgrenzung, um<br />

die eigene Belastung im Rahmen zu halten,<br />

betont er. »Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Angehöriger, das<br />

darf man nicht vergessen.« Schwierig sei das<br />

aber, wenn Menschen e<strong>in</strong>sam seien »und<br />

auch alle<strong>in</strong>e sterben werden«.<br />

Was Toni Scheibenberger <strong>in</strong> solchen<br />

Momenten aufrecht hält, das ist »das beste<br />

Team <strong>der</strong> Welt«, als das er se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

und Kollegen im Wohnbereich 2 bezeichnet.<br />

Und e<strong>in</strong>e gute Portion Humor. <strong>Das</strong> helfe,<br />

wirklich. Er versuche deshalb, immer e<strong>in</strong>en<br />

kessen Spruch zu br<strong>in</strong>gen, sagt <strong>der</strong> gebürtige<br />

Berl<strong>in</strong>er. »Um für an<strong>der</strong>e auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

dunklen Stunde e<strong>in</strong> Licht zu se<strong>in</strong>.« Ke<strong>in</strong><br />

Wun<strong>der</strong>, dass Julia Schnei<strong>der</strong>, Leiter<strong>in</strong> des<br />

Sozialtherapeutischen Dienstes im Königshof,<br />

ihren Kollegen für e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n hält,<br />

»<strong>der</strong> im Haus von allen geliebt wird«.<br />

»DAS GEHT JA NIE WIEDER WEG«<br />

Etwas Beson<strong>der</strong>es ist Toni Scheibenberger<br />

wohl alle<strong>in</strong> aufgrund se<strong>in</strong>es Äußeren, se<strong>in</strong>e<br />

Tattoos s<strong>in</strong>d kaum zu übersehen. »Im Pr<strong>in</strong>zip<br />

ist me<strong>in</strong> ganzer Körper e<strong>in</strong>e Baustelle«,<br />

verrät er mit e<strong>in</strong>em Gr<strong>in</strong>sen. Nur das Gesicht<br />

soll am Ende frei bleiben. Die Bewohner<br />

reagierten überwiegend positiv auf se<strong>in</strong>en<br />

Körperschmuck, so se<strong>in</strong>e Erfahrung. »<strong>Das</strong><br />

geht ja nie wie<strong>der</strong> weg«, sei die üblichste,<br />

verwun<strong>der</strong>te Reaktion. Irritiert reagierten<br />

zuweilen demenziell verän<strong>der</strong>te Bewohner,<br />

die tendenziell mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

verhaftet seien, als Tätowierungen noch <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>en Milieus verbreitet waren »und e<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e Bedeutung hatten«.<br />

Eben deshalb käme es Toni Scheibenberger,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Freizeit gerne Badm<strong>in</strong>ton<br />

spielt, die Natur genießt o<strong>der</strong> für<br />

Freunde und Familie kocht, nie <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n,<br />

sich e<strong>in</strong>en Totenkopf stechen zu lassen. Se<strong>in</strong><br />

Hauptmotiv s<strong>in</strong>d Vögel, die für ihn e<strong>in</strong> Symbol<br />

<strong>der</strong> Freiheit darstellen. »True Life« steht<br />

als Gegenpart auf se<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gerrücken. Denn<br />

das »wahre Leben« verliert <strong>der</strong> Altenpfleger,<br />

allen Träumen zum Trotz, eben nie aus dem<br />

Blick: »Ich b<strong>in</strong> jeden Tag mittendr<strong>in</strong>.« //<br />

3/<strong>2021</strong> <strong>recke</strong>: <strong>in</strong> 27

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