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WOHNEN & PFLEGE<br />
OHNE WENN<br />
UND ABER<br />
<strong>Das</strong>s Toni Scheibenberger Freude<br />
an se<strong>in</strong>em Job hat, steht außer<br />
Frage. Mehr noch: »Ich liebe<br />
diesen Beruf«, sagt er mit Überzeugung.<br />
Doch selbst das wäre für ihn als<br />
Voraussetzung für e<strong>in</strong>e Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege<br />
nicht genug. Man müsse, sagt er, »e<strong>in</strong>e<br />
gewisse Haltung mitbr<strong>in</strong>gen, um <strong>in</strong> diesem<br />
Beruf leben zu können. Er muss Berufung<br />
se<strong>in</strong>.« Er kann das auch begründen: In <strong>der</strong><br />
Pflege gehe es im Worts<strong>in</strong>ne »um Leben und<br />
Tod«, sagt er. Um ganzheitlich pflegen zu können,<br />
müsse man »empathisch se<strong>in</strong> und echt«.<br />
Gewichtige Worte e<strong>in</strong>es gerade e<strong>in</strong>mal<br />
32-Jährigen s<strong>in</strong>d das, und doch strahlt Toni<br />
Scheibenberger so gar nichts Verbissenes<br />
aus, im Gegenteil. Selbst jetzt, nach e<strong>in</strong>er<br />
Frühschicht im Seniorenzentrum Zum<br />
Königshof <strong>in</strong> Düsseldorf-Unterrath, wirkt<br />
Scheibenberger entspannt und locker.<br />
»Ke<strong>in</strong>e Frage, es ist oft stressig«, me<strong>in</strong>t er.<br />
Aber das sei je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Beruf doch auch,<br />
wenn man ihn ernst nehme. »Ich weiß ja,<br />
was mich erwartet.«<br />
DA SEIN, WENN’S BRENNT<br />
Wie ernst es ihm mit se<strong>in</strong>em Plädoyer für<br />
den eigenen Berufsstand ist, kann man<br />
bei Toni Scheibenberger sogar an se<strong>in</strong>em<br />
Wohnort ablesen: Dieser liegt lediglich fünf<br />
Gehm<strong>in</strong>uten vom Königshof entfernt. »Ich<br />
möchte da se<strong>in</strong>, wenn’s brennt«, begründet<br />
er diese Wahl. Sollte es beispielsweise kurzfristig<br />
Ausfälle im Team geben, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Coronazeit nicht selten, sei er als stellvertreten<strong>der</strong><br />
Wohnbereichsleiter schnell da<br />
und könne die Personalfrage mit klären.<br />
»O<strong>der</strong> im Zweifel auch mal selbst e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen«,<br />
wie er sagt.<br />
So viel Engagement zahlt sich aus: 2018<br />
ist <strong>der</strong> exam<strong>in</strong>ierte Altenpfleger von <strong>der</strong><br />
Spree an den Rhe<strong>in</strong> gewechselt und hatte<br />
nach e<strong>in</strong>em Dreivierteljahr bereits Leitungsverantwortung.<br />
»<strong>Das</strong> zeigt mir, dass die <strong>Stiftung</strong><br />
was mit mir vorhat«, freut er sich.<br />
Ke<strong>in</strong>en Moment hat er daher se<strong>in</strong>en Umzug<br />
bereut, auch wenn er ursprünglich <strong>der</strong> Liebe<br />
wegen von Berl<strong>in</strong> nach Düsseldorf zog. Die<br />
Beziehung hielt nicht, »aber ich habe mich<br />
mittlerweile <strong>in</strong> die Stadt verliebt«, gesteht er<br />
mit e<strong>in</strong>em Lächeln. Die Rhe<strong>in</strong>län<strong>der</strong> seien<br />
sehr nett, man stehe nirgendwo lange alle<strong>in</strong>.<br />
»In Berl<strong>in</strong> macht dagegen je<strong>der</strong> eher se<strong>in</strong><br />
eigenes D<strong>in</strong>g.«<br />
Und doch hat für ihn dort beruflich alles<br />
begonnen, bereits mit 17 Jahren direkt nach<br />
<strong>der</strong> Realschule. Als Praktikant <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Altenheim habe er ältere Damen und Herren<br />
im Rollstuhl durch Lichtenberg geschoben,<br />
erzählt Toni Scheibenberger. Se<strong>in</strong> Berufsziel<br />
stand danach schnell fest: »Mir war bewusst,<br />
dass das die Menschen s<strong>in</strong>d, die nach dem<br />
Krieg alles wie<strong>der</strong> aufgebaut haben«, sagt<br />
er. »Ich hatte schon damals den Wunsch,<br />
diesen Menschen etwas wie<strong>der</strong>zugeben.«<br />
DIE GESCHICHTEN HINTER DEN MENSCHEN<br />
Von Anfang an sei er an ihren Biografien<br />
<strong>in</strong>teressiert gewesen, an den Geschichten<br />
h<strong>in</strong>ter den Menschen, sagt er. »Die Weisheiten,<br />
die sie mir mitgeben, haben mich so<br />
viel weitergebracht.« Ruhiger zu werden war<br />
so e<strong>in</strong> Ratschlag. Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat sei er früher<br />
»e<strong>in</strong> bisschen aufgedreht gewesen«, räumt<br />
Toni Scheibenberger e<strong>in</strong>. Er sei mit den<br />
Jahren erwachsener und reifer geworden, sei<br />
nicht mehr ganz so extrovertiert. Und auch,<br />
wenn er <strong>in</strong> jedem Raum wohl nach wie vor<br />
<strong>der</strong> Eitelste sei: »Ich brauche heute ke<strong>in</strong>e<br />
Stunde mehr im Bad.« Er lacht.<br />
An <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung zu se<strong>in</strong>em Beruf hat<br />
sich für den 32-Jährigen h<strong>in</strong>gegen im Pr<strong>in</strong>zip<br />
bis heute nichts geän<strong>der</strong>t: Den älteren<br />
Menschen da abzuholen, wo er gerade steht,<br />
sei die Grundlage, sich die Zeit zu nehmen,<br />
ihm zu helfen und auch Feedback wahrzunehmen,<br />
<strong>der</strong> Kern se<strong>in</strong>er Arbeit. »Geme<strong>in</strong>sam<br />
mit e<strong>in</strong>em Lächeln aus e<strong>in</strong>er Situation zu<br />
kommen, ist das erstrebenswerte Ziel«, formuliert<br />
es Scheibenberger. Nicht immer<br />
könne das gel<strong>in</strong>gen, sicherlich, was für<br />
ihn aber weniger e<strong>in</strong> Personalproblem ist.<br />
Schwierig wird es aus Sicht des Altenpflegers<br />
vielmehr, wenn e<strong>in</strong> Mensch multimorbid<br />
ist, also mehrere Krankheiten<br />
gleichzeitig auftreten, o<strong>der</strong> etwa durch<br />
e<strong>in</strong>e Herzattacke komplett aus se<strong>in</strong>em<br />
gewohnten Leben herausgerissen wurde.<br />
»Wenn ich weiß, ich kann nichts für ihn<br />
tun, ihm nicht helfen.« So wichtig es sei,<br />
e<strong>in</strong>e Beziehung aufzubauen, so notwendig<br />
sei <strong>in</strong> solchen Fällen die Abgrenzung, um<br />
die eigene Belastung im Rahmen zu halten,<br />
betont er. »Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Angehöriger, das<br />
darf man nicht vergessen.« Schwierig sei das<br />
aber, wenn Menschen e<strong>in</strong>sam seien »und<br />
auch alle<strong>in</strong>e sterben werden«.<br />
Was Toni Scheibenberger <strong>in</strong> solchen<br />
Momenten aufrecht hält, das ist »das beste<br />
Team <strong>der</strong> Welt«, als das er se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen<br />
und Kollegen im Wohnbereich 2 bezeichnet.<br />
Und e<strong>in</strong>e gute Portion Humor. <strong>Das</strong> helfe,<br />
wirklich. Er versuche deshalb, immer e<strong>in</strong>en<br />
kessen Spruch zu br<strong>in</strong>gen, sagt <strong>der</strong> gebürtige<br />
Berl<strong>in</strong>er. »Um für an<strong>der</strong>e auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
dunklen Stunde e<strong>in</strong> Licht zu se<strong>in</strong>.« Ke<strong>in</strong><br />
Wun<strong>der</strong>, dass Julia Schnei<strong>der</strong>, Leiter<strong>in</strong> des<br />
Sozialtherapeutischen Dienstes im Königshof,<br />
ihren Kollegen für e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n hält,<br />
»<strong>der</strong> im Haus von allen geliebt wird«.<br />
»DAS GEHT JA NIE WIEDER WEG«<br />
Etwas Beson<strong>der</strong>es ist Toni Scheibenberger<br />
wohl alle<strong>in</strong> aufgrund se<strong>in</strong>es Äußeren, se<strong>in</strong>e<br />
Tattoos s<strong>in</strong>d kaum zu übersehen. »Im Pr<strong>in</strong>zip<br />
ist me<strong>in</strong> ganzer Körper e<strong>in</strong>e Baustelle«,<br />
verrät er mit e<strong>in</strong>em Gr<strong>in</strong>sen. Nur das Gesicht<br />
soll am Ende frei bleiben. Die Bewohner<br />
reagierten überwiegend positiv auf se<strong>in</strong>en<br />
Körperschmuck, so se<strong>in</strong>e Erfahrung. »<strong>Das</strong><br />
geht ja nie wie<strong>der</strong> weg«, sei die üblichste,<br />
verwun<strong>der</strong>te Reaktion. Irritiert reagierten<br />
zuweilen demenziell verän<strong>der</strong>te Bewohner,<br />
die tendenziell mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
verhaftet seien, als Tätowierungen noch <strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>en Milieus verbreitet waren »und e<strong>in</strong>e<br />
an<strong>der</strong>e Bedeutung hatten«.<br />
Eben deshalb käme es Toni Scheibenberger,<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Freizeit gerne Badm<strong>in</strong>ton<br />
spielt, die Natur genießt o<strong>der</strong> für<br />
Freunde und Familie kocht, nie <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n,<br />
sich e<strong>in</strong>en Totenkopf stechen zu lassen. Se<strong>in</strong><br />
Hauptmotiv s<strong>in</strong>d Vögel, die für ihn e<strong>in</strong> Symbol<br />
<strong>der</strong> Freiheit darstellen. »True Life« steht<br />
als Gegenpart auf se<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gerrücken. Denn<br />
das »wahre Leben« verliert <strong>der</strong> Altenpfleger,<br />
allen Träumen zum Trotz, eben nie aus dem<br />
Blick: »Ich b<strong>in</strong> jeden Tag mittendr<strong>in</strong>.« //<br />
3/<strong>2021</strong> <strong>recke</strong>: <strong>in</strong> 27