WOHNEN & PFLEGE In dunklen Stunden e<strong>in</strong> Licht Für Toni Scheibenberger kam nie etwas an<strong>der</strong>es <strong>in</strong>frage als e<strong>in</strong>e Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege. Schon als 17-Jähriger schob er im Praktikum Senior<strong>in</strong>nen und Senioren im Rollstuhl durch Berl<strong>in</strong>-Lichtenberg. Seit 2018 arbeitet <strong>der</strong> 32-Jährige im Seniorenzentrum Zum Königshof, mittlerweile als stellvertreten<strong>der</strong> Wohnbereichsleiter. Er möchte den alten Menschen etwas wie<strong>der</strong>geben – und profitiert doch von <strong>der</strong>en Weisheiten. Er sei mit den Jahren auch deshalb ruhiger und reifer geworden, sagt er. Auffallen tut er im Haus allerd<strong>in</strong>gs immer noch. Von Achim <strong>Graf</strong> 26 <strong>recke</strong>: <strong>in</strong> 3/<strong>2021</strong>
WOHNEN & PFLEGE OHNE WENN UND ABER <strong>Das</strong>s Toni Scheibenberger Freude an se<strong>in</strong>em Job hat, steht außer Frage. Mehr noch: »Ich liebe diesen Beruf«, sagt er mit Überzeugung. Doch selbst das wäre für ihn als Voraussetzung für e<strong>in</strong>e Tätigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege nicht genug. Man müsse, sagt er, »e<strong>in</strong>e gewisse Haltung mitbr<strong>in</strong>gen, um <strong>in</strong> diesem Beruf leben zu können. Er muss Berufung se<strong>in</strong>.« Er kann das auch begründen: In <strong>der</strong> Pflege gehe es im Worts<strong>in</strong>ne »um Leben und Tod«, sagt er. Um ganzheitlich pflegen zu können, müsse man »empathisch se<strong>in</strong> und echt«. Gewichtige Worte e<strong>in</strong>es gerade e<strong>in</strong>mal 32-Jährigen s<strong>in</strong>d das, und doch strahlt Toni Scheibenberger so gar nichts Verbissenes aus, im Gegenteil. Selbst jetzt, nach e<strong>in</strong>er Frühschicht im Seniorenzentrum Zum Königshof <strong>in</strong> Düsseldorf-Unterrath, wirkt Scheibenberger entspannt und locker. »Ke<strong>in</strong>e Frage, es ist oft stressig«, me<strong>in</strong>t er. Aber das sei je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Beruf doch auch, wenn man ihn ernst nehme. »Ich weiß ja, was mich erwartet.« DA SEIN, WENN’S BRENNT Wie ernst es ihm mit se<strong>in</strong>em Plädoyer für den eigenen Berufsstand ist, kann man bei Toni Scheibenberger sogar an se<strong>in</strong>em Wohnort ablesen: Dieser liegt lediglich fünf Gehm<strong>in</strong>uten vom Königshof entfernt. »Ich möchte da se<strong>in</strong>, wenn’s brennt«, begründet er diese Wahl. Sollte es beispielsweise kurzfristig Ausfälle im Team geben, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Coronazeit nicht selten, sei er als stellvertreten<strong>der</strong> Wohnbereichsleiter schnell da und könne die Personalfrage mit klären. »O<strong>der</strong> im Zweifel auch mal selbst e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen«, wie er sagt. So viel Engagement zahlt sich aus: 2018 ist <strong>der</strong> exam<strong>in</strong>ierte Altenpfleger von <strong>der</strong> Spree an den Rhe<strong>in</strong> gewechselt und hatte nach e<strong>in</strong>em Dreivierteljahr bereits Leitungsverantwortung. »<strong>Das</strong> zeigt mir, dass die <strong>Stiftung</strong> was mit mir vorhat«, freut er sich. Ke<strong>in</strong>en Moment hat er daher se<strong>in</strong>en Umzug bereut, auch wenn er ursprünglich <strong>der</strong> Liebe wegen von Berl<strong>in</strong> nach Düsseldorf zog. Die Beziehung hielt nicht, »aber ich habe mich mittlerweile <strong>in</strong> die Stadt verliebt«, gesteht er mit e<strong>in</strong>em Lächeln. Die Rhe<strong>in</strong>län<strong>der</strong> seien sehr nett, man stehe nirgendwo lange alle<strong>in</strong>. »In Berl<strong>in</strong> macht dagegen je<strong>der</strong> eher se<strong>in</strong> eigenes D<strong>in</strong>g.« Und doch hat für ihn dort beruflich alles begonnen, bereits mit 17 Jahren direkt nach <strong>der</strong> Realschule. Als Praktikant <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Altenheim habe er ältere Damen und Herren im Rollstuhl durch Lichtenberg geschoben, erzählt Toni Scheibenberger. Se<strong>in</strong> Berufsziel stand danach schnell fest: »Mir war bewusst, dass das die Menschen s<strong>in</strong>d, die nach dem Krieg alles wie<strong>der</strong> aufgebaut haben«, sagt er. »Ich hatte schon damals den Wunsch, diesen Menschen etwas wie<strong>der</strong>zugeben.« DIE GESCHICHTEN HINTER DEN MENSCHEN Von Anfang an sei er an ihren Biografien <strong>in</strong>teressiert gewesen, an den Geschichten h<strong>in</strong>ter den Menschen, sagt er. »Die Weisheiten, die sie mir mitgeben, haben mich so viel weitergebracht.« Ruhiger zu werden war so e<strong>in</strong> Ratschlag. Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat sei er früher »e<strong>in</strong> bisschen aufgedreht gewesen«, räumt Toni Scheibenberger e<strong>in</strong>. Er sei mit den Jahren erwachsener und reifer geworden, sei nicht mehr ganz so extrovertiert. Und auch, wenn er <strong>in</strong> jedem Raum wohl nach wie vor <strong>der</strong> Eitelste sei: »Ich brauche heute ke<strong>in</strong>e Stunde mehr im Bad.« Er lacht. An <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung zu se<strong>in</strong>em Beruf hat sich für den 32-Jährigen h<strong>in</strong>gegen im Pr<strong>in</strong>zip bis heute nichts geän<strong>der</strong>t: Den älteren Menschen da abzuholen, wo er gerade steht, sei die Grundlage, sich die Zeit zu nehmen, ihm zu helfen und auch Feedback wahrzunehmen, <strong>der</strong> Kern se<strong>in</strong>er Arbeit. »Geme<strong>in</strong>sam mit e<strong>in</strong>em Lächeln aus e<strong>in</strong>er Situation zu kommen, ist das erstrebenswerte Ziel«, formuliert es Scheibenberger. Nicht immer könne das gel<strong>in</strong>gen, sicherlich, was für ihn aber weniger e<strong>in</strong> Personalproblem ist. Schwierig wird es aus Sicht des Altenpflegers vielmehr, wenn e<strong>in</strong> Mensch multimorbid ist, also mehrere Krankheiten gleichzeitig auftreten, o<strong>der</strong> etwa durch e<strong>in</strong>e Herzattacke komplett aus se<strong>in</strong>em gewohnten Leben herausgerissen wurde. »Wenn ich weiß, ich kann nichts für ihn tun, ihm nicht helfen.« So wichtig es sei, e<strong>in</strong>e Beziehung aufzubauen, so notwendig sei <strong>in</strong> solchen Fällen die Abgrenzung, um die eigene Belastung im Rahmen zu halten, betont er. »Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Angehöriger, das darf man nicht vergessen.« Schwierig sei das aber, wenn Menschen e<strong>in</strong>sam seien »und auch alle<strong>in</strong>e sterben werden«. Was Toni Scheibenberger <strong>in</strong> solchen Momenten aufrecht hält, das ist »das beste Team <strong>der</strong> Welt«, als das er se<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen im Wohnbereich 2 bezeichnet. Und e<strong>in</strong>e gute Portion Humor. <strong>Das</strong> helfe, wirklich. Er versuche deshalb, immer e<strong>in</strong>en kessen Spruch zu br<strong>in</strong>gen, sagt <strong>der</strong> gebürtige Berl<strong>in</strong>er. »Um für an<strong>der</strong>e auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dunklen Stunde e<strong>in</strong> Licht zu se<strong>in</strong>.« Ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>, dass Julia Schnei<strong>der</strong>, Leiter<strong>in</strong> des Sozialtherapeutischen Dienstes im Königshof, ihren Kollegen für e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n hält, »<strong>der</strong> im Haus von allen geliebt wird«. »DAS GEHT JA NIE WIEDER WEG« Etwas Beson<strong>der</strong>es ist Toni Scheibenberger wohl alle<strong>in</strong> aufgrund se<strong>in</strong>es Äußeren, se<strong>in</strong>e Tattoos s<strong>in</strong>d kaum zu übersehen. »Im Pr<strong>in</strong>zip ist me<strong>in</strong> ganzer Körper e<strong>in</strong>e Baustelle«, verrät er mit e<strong>in</strong>em Gr<strong>in</strong>sen. Nur das Gesicht soll am Ende frei bleiben. Die Bewohner reagierten überwiegend positiv auf se<strong>in</strong>en Körperschmuck, so se<strong>in</strong>e Erfahrung. »<strong>Das</strong> geht ja nie wie<strong>der</strong> weg«, sei die üblichste, verwun<strong>der</strong>te Reaktion. Irritiert reagierten zuweilen demenziell verän<strong>der</strong>te Bewohner, die tendenziell mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit verhaftet seien, als Tätowierungen noch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Milieus verbreitet waren »und e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Bedeutung hatten«. Eben deshalb käme es Toni Scheibenberger, <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Freizeit gerne Badm<strong>in</strong>ton spielt, die Natur genießt o<strong>der</strong> für Freunde und Familie kocht, nie <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n, sich e<strong>in</strong>en Totenkopf stechen zu lassen. Se<strong>in</strong> Hauptmotiv s<strong>in</strong>d Vögel, die für ihn e<strong>in</strong> Symbol <strong>der</strong> Freiheit darstellen. »True Life« steht als Gegenpart auf se<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>gerrücken. Denn das »wahre Leben« verliert <strong>der</strong> Altenpfleger, allen Träumen zum Trotz, eben nie aus dem Blick: »Ich b<strong>in</strong> jeden Tag mittendr<strong>in</strong>.« // 3/<strong>2021</strong> <strong>recke</strong>: <strong>in</strong> 27