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Zeitschrift quer ver.di Frauen Bayern (2/2021) Migration

Migration ist ein globales Phänomen. Es gibt kein Land, das keine grenzüberschreitende Zu- oder Abwanderung oder Wanderungsbewegungen im Landesinneren verzeichnet. Grund genug, sich einmal ausführlicher mit diesem Thema zu beschäftigen. Und auch mal die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen ..

Migration ist ein globales Phänomen. Es gibt kein Land, das keine grenzüberschreitende Zu- oder Abwanderung oder Wanderungsbewegungen im Landesinneren verzeichnet. Grund genug, sich einmal ausführlicher mit diesem Thema zu beschäftigen. Und auch mal die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen ..

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Migrant*innen, Bildung und<br />

Arbeitsmarkt<br />

Ich arbeite seit über 30 Jahren im Sekretariat<br />

eines sonderpädagogischen Förderzentrums in<br />

einer kleinen Stadt in <strong>Bayern</strong>. Ich habe einen<br />

<strong>Migration</strong>shintergrund, bin also zweisprachig<br />

aufgewachsen.<br />

Bildung ist der zentrale Faktor für ein<br />

Gelingen von Integration. Ob es nun<br />

Kinder von „Gastarbeitern“ oder von<br />

geflüchteten Menschen betrifft – <strong>di</strong>e<br />

deutsche Sprache ist <strong>di</strong>e erste große<br />

Herausforderung für unsere auslän<strong>di</strong>schen<br />

Mitbürger*innen.<br />

Nehmen wir an, dass Familie X aus<br />

einem Kriegsgebiet geflohen ist. Das<br />

Ankommen in einem anderen Land,<br />

dessen Sprache man nicht <strong>ver</strong>steht,<br />

geschweige denn spricht – auf der<br />

einen Seite steht das Glück, keine<br />

Angst mehr vor Verfolgung haben zu<br />

müssen, und auf der anderen Seite<br />

steht das Unbekannte.<br />

Nun gilt in Deutschland: Alle Kinder<br />

(auch <strong>di</strong>e geflüchteten) haben einen<br />

Anspruch auf einen Platz in der Kindertagesstätte,<br />

und auch <strong>di</strong>e Schulpflicht besteht für<br />

„Flüchtlingskinder“. Stu<strong>di</strong>en des Leibniz-Instituts<br />

zeigen aber, dass Kinder mit Fluchterfahrung<br />

deutlich seltener einen Kindergarten<br />

oder eine Kindertagesstätte besuchen. Oft<br />

liegt keine Kita in der Nähe, <strong>di</strong>e zu Fuß oder<br />

gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen<br />

wäre.<br />

Also kommen <strong>di</strong>ese Kinder seltener oder gar nicht<br />

mit deutschsprechenden Alterskamerad*innen<br />

in Kontakt. Um der Bedeutung frühkindlicher<br />

Bildung gerecht zu werden, wären mehr Einrichtungen<br />

und vor allem mehrsprachiges Betreuungspersonal<br />

notwen<strong>di</strong>g.<br />

Kommen <strong>di</strong>ese Kinder<br />

dann ins schulpflichtige Alter<br />

und konnten noch keine<br />

ausreichenden Deutschkenntnisse<br />

erwerben, gibt<br />

es große Probleme. Neben<br />

dem Erwerb der deutschen<br />

Sprache in Wort und Schrift<br />

müssen sie auch für <strong>di</strong>e anderen<br />

grundlegenden Fächer<br />

lernen: Das bedeutet<br />

doppelte Belastung und damit<br />

Schwierigkeiten, Hausaufgaben<br />

selbstän<strong>di</strong>g zu<br />

erarbeiten. Auch wenn der<br />

größte Teil der Flüchtlingseltern<br />

mit großem Engagement<br />

<strong>ver</strong>sucht, <strong>di</strong>e Kinder zu<br />

unterstützen, können sie oft nicht (ausreichend)<br />

helfen, weil sie selbst vor einer Sprachbarriere<br />

stehen. Hier helfen unterstützende Methoden<br />

wie Hausaufgaben- und Nachmittagsbetreuung<br />

und das Besuchen kleiner Lerngruppen, am besten<br />

mit mehrsprachigen Fachkräften.<br />

© Andrea Damm, pixelio.de<br />

Parallel zur Bildung der Kinder sollte auch in der<br />

Erwachsenenbildung mehr Augenmerk auf <strong>di</strong>e<br />

Unterweisung in der deutschen Sprache gerade<br />

bei den Müttern gelegt werden. Sie leisten<br />

<strong>di</strong>e Hauptarbeit bei der Kindererziehung und bei<br />

den Hausaufgaben. Nur so kann <strong>di</strong>e notwen<strong>di</strong>ge<br />

Unterstützung daheim erfolgen. Leider scheitert<br />

es häufig am mangelnden Angebot von Sprachkursen<br />

für <strong>di</strong>e Erwachsenen oder (wie bei uns<br />

auf dem Land) an der schlechten Verkehrsanbindung.<br />

Ohne Deutschkenntnisse können Eltern<br />

aber nicht hilfreich zur Seite stehen.<br />

Es sollte aber auch erwähnt werden, dass viele<br />

Migrantinnen oft im hohen Maß Fachkenntnisse<br />

erworben haben. Hier könnten bereits vorhandene<br />

Ausbildungen und Stu<strong>di</strong>enlehrgänge<br />

schneller anerkannt und so <strong>di</strong>e <strong>Frauen</strong> in den<br />

Arbeitsmarkt integriert werden.<br />

Vielen Migrant*innen bleibt wegen mangelnder<br />

Deutschkenntnisse eine weiterführende Schule<br />

<strong>ver</strong>wehrt. Viele arbeiten deswegen im Niedriglohnsektor.<br />

Sie <strong>ver</strong><strong>di</strong>enen nicht viel, oft sind es<br />

ungesicherte (Mini-)Jobs – und damit sind sie<br />

auch <strong>di</strong>ejenigen, <strong>di</strong>e als Erste gekün<strong>di</strong>gt werden.<br />

Gerade in der Corona-Pandemie hat sich deutlich<br />

gezeigt, wie sehr wir auf <strong>Frauen</strong> in der Pflege<br />

und in der Altenbetreuung angewiesen sind.<br />

Das ganze Gefüge würde zusammenbrechen,<br />

wenn es <strong>di</strong>e Reinigungskräfte, das Küchenpersonal<br />

und <strong>di</strong>e Pflegekräfte mit <strong>Migration</strong>shintergrund<br />

nicht mehr gäbe.<br />

Geringer Ver<strong>di</strong>enst bedeutet langfristig eine<br />

kleine Rente, das ist gleichbedeutend mit Altersarmut.<br />

Das führt oft dazu, dass Unterstützung<br />

durch den Staat in Anspruch genommen werden<br />

muss. Eine Investition in Bildung und Chancengleichheit<br />

in Schulen, Stu<strong>di</strong>um und Ausbildung<br />

zur Bekämpfung <strong>di</strong>eses strukturellen Rassismus<br />

ist dringend geboten – und es baut zugleich<br />

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