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Zeitschrift quer ver.di Frauen Bayern (2/2021) Migration

Migration ist ein globales Phänomen. Es gibt kein Land, das keine grenzüberschreitende Zu- oder Abwanderung oder Wanderungsbewegungen im Landesinneren verzeichnet. Grund genug, sich einmal ausführlicher mit diesem Thema zu beschäftigen. Und auch mal die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen ..

Migration ist ein globales Phänomen. Es gibt kein Land, das keine grenzüberschreitende Zu- oder Abwanderung oder Wanderungsbewegungen im Landesinneren verzeichnet. Grund genug, sich einmal ausführlicher mit diesem Thema zu beschäftigen. Und auch mal die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen ..

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Ein Stück Torte bitte!<br />

Wie kommt eigentlich ein Mann dazu, einen Artikel<br />

über Feminismus zu schreiben?<br />

Ich bin in <strong>di</strong>eses Thema nahezu ungewollt hineingerutscht<br />

als jemand, der das Thema Feminismus<br />

nur aus Polit-Talkshows aus den<br />

Öffentlich-Rechtlichen kannte. Ich kann nicht behaupten,<br />

dass ich es wirklich <strong>ver</strong>standen hätte.<br />

In Fernsehsendungen sieht man immer nur <strong>di</strong>e<br />

gleichen fünf Menschen, <strong>di</strong>e immer wieder über<br />

<strong>di</strong>e gleichen Themen sprechen: Gendern, weibliche/männliche<br />

Ampel-Figürchen und <strong>di</strong>e Einführung<br />

von Unisex-Toiletten. Wenn man also<br />

das Thema Feminismus nur aus solchen Shows<br />

kennt, erhält man eine <strong>ver</strong>schobene Sicht der<br />

Dinge – Feminist*innen <strong>di</strong>skutieren nur über<br />

„belanglose“ Themen. Dabei behaupte ich, dass<br />

man mit einer richtig guten Auswahl von Gästen<br />

sehr gut und fun<strong>di</strong>ert <strong>di</strong>skutieren könnte.<br />

So saß ich also irgendwann in Seminaren, Orgagruppen<br />

und Gremien als Queerfeminist und<br />

wunderte mich, wieso alles so weiß um mich<br />

herum ist. Beschäftigt man sich als nicht-weiße<br />

Person mit der Geschichte von marginalisierten<br />

Gruppierungen, so sind es meistens weiße<br />

Menschen, <strong>di</strong>e an vorderster Front stehen und<br />

das wahrgenommene Gesicht <strong>di</strong>eser Bewegung<br />

sind – ganz egal, wie kritisch vielleicht <strong>di</strong>e Positionen<br />

einiger Vorzeigepersonen (z.B. Alice<br />

Schwarzer) mittlerweile sein mögen.<br />

Wer räumt einen Platz?<br />

Als politisch und gewerkschaftlich akti<strong>ver</strong><br />

Mensch hat man in der Organisation <strong>di</strong>e ein<br />

oder andere Rede gehört, es wird betont, wie<br />

bunt, also vielfältig und multikulturell doch <strong>di</strong>ese<br />

Organisation ist. Schaut man sich <strong>di</strong>e Hauptamtlichen<br />

und Funktionär*innen an, so stellt man<br />

fest, dass es damit nicht so weit her ist.<br />

Wieso eigentlich?<br />

Es gibt bekanntlich nur eine Torte, <strong>di</strong>e <strong>ver</strong>teilt<br />

werden kann. Jede neue Person, <strong>di</strong>e ein Stück<br />

abhaben möchte, macht das Stückchen Torte einer<br />

anderen Person streitig. Wer wird also freiwillig<br />

den Stuhl am Verhandlungstisch räumen?<br />

Immer dann, wenn es um Macht und Zugeständnisse<br />

geht, sitzen alle sehr gemütlich am Tisch.<br />

Die Idee, <strong>di</strong>esen Tisch zu <strong>ver</strong>größern, damit dort<br />

mehr Stühle Platz haben, kommt den meisten<br />

nicht in den Sinn – vielmehr geht es um <strong>di</strong>e Frage,<br />

wer seinen/ihren Stuhl räumen sollte, damit<br />

<strong>di</strong>e neue Gruppierung am Tisch Platz findet.<br />

Wieso Feminismus intersektionell gedacht<br />

werden muss<br />

Die Forderungen für marginalisierte Gruppen<br />

in Deutschland sind aus weißer Perspektive<br />

gedacht. Als weiße Feministin reicht es zum<br />

Beispiel aus, auf den Gender Pay Gap hinzuweisen.<br />

Wenn man dafür sorgen würde, dass<br />

<strong>di</strong>e ungleiche Bezahlung von Mann und Frau<br />

überwunden würde, wäre damit <strong>di</strong>eses Thema<br />

für <strong>di</strong>e weiße Frau erle<strong>di</strong>gt. Nicht so für nicht-weiße<br />

<strong>Frauen</strong>, denn sie werden nicht nur wegen ihres<br />

Geschlechts <strong>di</strong>skriminiert. Denn neben dem<br />

Gender Pay Gap existiert auch der Migrant Pay<br />

Gap, der besagt, dass Deutsche mit <strong>Migration</strong>shintergrund<br />

und Ausländer*innen schlechter<br />

bezahlt werden als Deutsche ohne <strong>di</strong>esen Hintergrund.<br />

Kann man bei einer schwarzen Frau<br />

also behaupten, dass sie nur aufgrund ihres Geschlechts<br />

<strong>di</strong>skriminiert wird, oder spielen andere<br />

Diskriminierungsformen wie zum Beispiel Rassismus<br />

auch eine Rolle?<br />

Genau hierfür braucht es den intersektionalen<br />

Feminismus.<br />

Nicht-weiße <strong>Frauen</strong> <strong>ver</strong>einen im Schnitt mehr<br />

Diskriminierungsformen auf sich als ihre weißen<br />

Mitstreiterinnen. Die dadurch entstehende Benachteiligung<br />

zieht sich durch das ganze Leben.<br />

Eine schwarze Frau, <strong>di</strong>e schlechter bezahlt wird<br />

als ihre weiße Kollegin, wird folglich auch eine geringere<br />

Rente als ihre weiße Kollegin bekommen.<br />

Was also ist zu tun?<br />

Wenn ich den Anspruch habe, als Feminist*in<br />

alle <strong>Frauen</strong> anzusprechen, dann müssen meine<br />

Forderungen <strong>di</strong>e Probleme aller miteinschließen<br />

und ich muss bereit sein, <strong>di</strong>ese <strong>Frauen</strong> zu befähigen,<br />

für sich selbst zu sprechen und ihnen <strong>di</strong>e<br />

dafür nötige Bühne zu geben. Es geht nicht darum,<br />

anderen ihren Platz streitig zu machen, sondern<br />

darum, alle <strong>Frauen</strong> in Deutschland abzuholen,<br />

partizipieren und vor allem mitgestalten zu<br />

lassen, damit alle sich unseren gemeinsamen<br />

Anliegen und Forderungen für mehr Gerechtigkeit<br />

anschließen.<br />

Die erste Feministin, der ich länger und gerne (in<br />

einer Polit-Talkshow) zugehört habe, war Lady<br />

Bitch Ray – eine türkisch-stämmige Feministin<br />

und Rapperin. Sie hat ähnliche Erfahrungen wie<br />

ich im türkischen Patriarchat gemacht. Wenn sie<br />

<strong>di</strong>e Ketten des Patriarchats durchbrechen kann<br />

und zu sich stehen kann, dann kann ich das als<br />

schwuler türkischer Mann auch. Repräsentation<br />

ist also viel wichtiger, als man manchmal denkt.<br />

Oguz Sherif Akman, <strong>Migration</strong> Mittelfranken &<br />

Landesmigration <strong>Bayern</strong><br />

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