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Mitteilungsblatt Thüringer Pfarrverein 2. Halbjahr 2021

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erem Hinsehen als Zwang zum Leben.

Einen solchen Zwang zum Leben haben

die Karlsruher Richter aber einstimmig

verneint. Daher muss seitens der EKD

die Frage beantwortet werden, wovor

sollen Menschen, die zum Sterben

entschlossen sind, eigentlich geschützt

werden? Vorm Sterben? Das verstehe

ich nicht unter „Würde wahren“ (so aber

Elisabeth Schmidt-Gräb, Zeitzeichen

3/2021). Diese wird doch damit mit Füßen

getreten.

Zum anderen muss gefragt werden, wie

weit Vertreter einer reinen NEIN-Haltung

vom elenden Leiden und Sterben

von Menschen weg sind. Es ist höchste

Zeit, dass Denk- und Diskussionsblockaden,

die von kirchlichen Funktionseliten

ausgehen, aufgebrochen und beendet

werden. Sie dienen nämlich nicht

den sterben wollenden Menschen. Dabei

wäre zuvörderst theologisch zu zeigen

und zu begründen, warum es den

ethischen Grundsätzen evangelischer

Theologie und Seelsorge eher entsprechen

sollte, den Sterbewunsch eines

Schwerstkranken abzulehnen als ihn zu

erfüllen. Im Zentrum geht es damit um

die Frage nach der Funktion von Normen

in konkreten, besonderen Situationen

von Menschen. Hier ist daran zu

erinnern, dass Evangelische Ethik keine

reine Norm-Ethik kennt, sondern Normen

in konkreten Situationen reflektiert.

Drittens: Wenn eine insgesamt überschaubare

Zahl kirchlicher und diakonischer

Oberhirten den assistierten Suizid

für sich ablehnt, ist das dem Karlsruher

Urteil zufolge deren gutes Recht.

Mehr Inanspruchnahme von kirchlicher

„Meinungsfreiheit“ in Richtung Öffentlichkeit

braucht es nicht nur in dieser

Sache nicht. Der Weg von kirchlicher

„Meinungsfreiheit“ zur „Beeinflussung“

von Menschen ist bekanntlich nicht weit

(siehe weiter unten). Und der zum Missbrauch

von Macht auch nicht.

Mehrheit für assistierten Suizid

Zuletzt hat die Reaktion auf das Theaterstück

„Gott“ von Ferdinand von Schirach

wieder gezeigt, dass sich seit mehr

als zwei Jahrzehnten meist zwischen 60

und 80 Prozent der deutschen Bevölkerung

- das gilt übrigens so auch für beide

Konfessionen - für assistierten Suizid

aussprechen. Die evangelische wie die

römisch-katholische Amtskirche setzen

sich, wie gezeigt, bis heute nicht nur

nicht mit dem Karlsruher Urteil auseinander,

sie setzen sich vielmehr darüber

hinaus „amtsbewusst“ (wie Ende 2015

die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten

bei der Abstimmung über den §

217 StGB) rigoros über Volkes Stimme

hinweg. Und insinuieren immer wieder,

theologisch zu Unrecht, es würde damit

gegen das 5. Gebot verstoßen. Richtig

ist, dass im Falle des assistierten Suizids

nicht Menschen Menschen töten,

sondern Sterbewillige ihr Leben beenden

wollen und dafür um Hilfe bitten.

Ich kann Isolde Karle (Professorin für

Praktische Theologie an der Uni Bochum

und EKD-Ratsmitglied) sehr gut

verstehen, wenn sie mit ihren Mitstreitern

nach langen klärenden Bemühungen

zu dem Ergebnis kommt, die EKD

sei „nicht diskussionsfähig“ (epd vom

25.01.2021). Gleichsam die Bestätigung

dafür liefert ein Erlanger Ethiker und

EKD-Ratsmitglied, dem zufolge solche

Mitteilungen aus dem Thüringer Pfarrverein Nr. 02-2021 29

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