blaettle 19 - März/April 2018
#BarrierefreiesLeben - Vielfalt und Gemeinschaft fördern
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10 | blättle Ausgabe <strong>19</strong> | <strong>März</strong>/<strong>April</strong> <strong>2018</strong> Titelthema | 11<br />
Hermann-Keßler-Schule: Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes Leben<br />
> Ein generelles gleichberechtigtes Zugangsrecht zu allen Lebensbereichen, auch zur Bildung, das ist einer der Eckpfeiler, wenn<br />
Inklusion irgendwann selbstverständlich sein soll. So früh wie möglich müsste dieser barrierefreie Zugang zur Bildung dann eigentlich<br />
stattfinden. Aber wie passen dann Fördereinrichtungen wie die Hermann-Keßler-Schule (HKS) in Möttingen in die Inklusionsdebatte?<br />
Hier wird nicht inklusiv beschult, sondern hier werden Kinder mit Behinderung spezifisch gefördert. Dass genau das den Grundstein für<br />
ein möglichst selbstbestimmtes Leben legen kann, erklärt Gabriele Allgayer-Pfaff die Direktorin der Schule.<br />
Ulrich Schneid,<br />
Teamleiter „Reha Team“.<br />
Die Hermann-Keßler-Schule in Möttingen ist ein Lern- und<br />
Lebensraum für Kinder- und Jugendliche mit hohem Förderbedarf.<br />
Neben der Schule, in der Kinder und Jugendliche im<br />
Alter von 3 bis <strong>19</strong> Jahren betreut werden, gehören auch die<br />
Heilpädagogische Tagesstätte und die Schulvorbereitende Einrichtung<br />
(SVE) zur Einrichtung. „Wir sehen es als unseren Kernauftrag an, die<br />
Kinder und Jugendlichen im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten<br />
auf ein möglichst selbstständiges Leben vorzubereiten. Wir arbeiten<br />
ressourcenorientiert und individualisiert, sodass sich persönliche<br />
Stärken entwickeln können und so viel Hilfe und Unterstützung wie<br />
nötig angeboten wird. Unsere Fördereinrichtung ermöglicht somit ein<br />
Erlernen, Weiterentwickeln und auch Erproben der persönlichen Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten in einem gewissen Schonraum. Aber natürlich<br />
ist die Welt kein „Schonraum“ – daher ist es ein wichtiger Bestandteil<br />
aller Bildungs- und Freizeitangebote hier im Haus, verschiedenste<br />
Erfahrungen und Begegnungen auch außerhalb der Hermann-Keßler-<br />
Schule zu ermöglichen. Und hier möchte ich betonen, dass Inklusion<br />
nicht nur eine Aufgabe der Schulen ist, sondern ein gesamtgesellschaftlicher<br />
Auftrag und eine Frage der inneren Haltung eines jeden<br />
einzelnen. Mit den Sonderschulen, die es vor Jahren gab, könne man<br />
die Hermann-Keßler-Schule nicht vergleichen: „Wir sind ein Angebot<br />
und so wollen wir auch gesehen werden. Eltern können unser<br />
Angebot annehmen, oder die Möglichkeit wählen, ihr Kind in einem<br />
Regelkindergarten oder einer Regelschule anzumelden“, erklärt<br />
Allgayer-Pfaff.<br />
Ergänzend zum schulischen Lernen bietet die Heilpädagogische Tagesstätte<br />
den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, eigene Interessen<br />
zu entdecken und zu entwickeln, sinnvolle Freizeitgestaltung zu erleben<br />
und neue soziale Erfahrungen zu machen. „Ein wichtiger Baustein für<br />
die Förderung sind unsere umfangreichen Therapieangebote. Neben<br />
den medizinischen Therapien wie Logopädie, Ergo- und Physiotherapie<br />
bieten wir auch Musiktherapie und therapeutisches Reiten an. Dabei<br />
bietet die enge Verzahnung von therapeutischer und pädagogischer<br />
Arbeit eine optimale Fördermöglichkeit für unsere Kinder und Jugendlichen.<br />
In der Tagesstätte möchten wir die Kinder und Jugendlichen<br />
anleiten, damit sie ihr Leben größtmöglich selbständig führen können“,<br />
Fasching an der<br />
Hermann- Keßler-Schule.<br />
erklärt Allgayer-Pfaff. „Wir haben zum Beispiel Partnerklassen an<br />
der Grundschule Mönchsdeggingen. Gemeinsam veranstalten<br />
wir regelmäßig Projekttage oder Schulfeste und haben fortlaufenden<br />
Arbeitsgemeinschaften wie zum Beispiel unsere Schulband. Durch<br />
dieses selbstverständliche Miteinander werden Barrieren abgebaut<br />
und findet soziales Lernen bei allen Beteiligten statt. Gezielte, spezifische<br />
Förderung und gemeinsames Erleben in einem pädagogisch<br />
gut durchdachten und strukturierten Rahmen, umgesetzt von engagiertem<br />
Fachpersonal – das ist meine persönliche Idealvorstellung von<br />
inklusivem schulischen Lernen“, so Allgayer-Pfaff zusammenfassend.<br />
Das sind selbstverständliche Begegnungen, durch die Barrieren<br />
abgebaut und das Miteinander gefördert werden. Gerade diese Begegnungen<br />
geben den Kindern auch später im sozialen Leben Sicherheit“,<br />
ist Allgayer-Pfaff sicher.<br />
Aber auch die berufliche Eingliederung ist ein wichtiger Aufgabenbereich<br />
der HKS. Nach dem Besuch der Grund- und Mittelschulstufe<br />
besuchen die Jugendlichen die Berufsschulstufe. Hier werden die<br />
jungen Menschen mit vielen praktischen Erfahrungen auf ein möglichst<br />
selbstständiges Leben vorbereitet. „Während der Berufsschulzeit bieten<br />
wir den Schülerinnen und Schülern untern anderem die Möglichkeit<br />
verschiedene Praktika zu absolvieren. Hierbei arbeiten wir eng mit dem<br />
Integrationsfachdienst (IFD) zusammen und vermitteln so im ganzen<br />
Landkreis Praktikumsstellen“, so die Direktorin. Insgesamt gelinge es<br />
durch diese Maßnahmen rund ein Viertel der Schüler auf den ersten<br />
Arbeitsmarkt zu vermitteln.<br />
Ein weiteres Angebot, um die Jugendlichen auf ein selbstbestimmtes<br />
Leben vorzubereiten ist das Wohntraining. „In der Zeit des Wohntrainings<br />
wohnen die Jugendlichen in unserer Wohnung in Nördlingen –<br />
natürlich mit Betreuung. Dort können sie Erfahrungen sammeln, wie es<br />
ist, wenn man ohne die Eltern in einer eigenen Wohnung lebt und sich<br />
selbst versorgen muss“, erklärt Gabriele Allgayer-Pfaff. „Das Wohntraining<br />
gehört neben den vielen Schullandheimaufenthalten oder der<br />
Abschlussfahrt nach Berlin für die Jugendlichen zu den Highlights ihrer<br />
Schulzeit“ so Allgayer-Pfaff abschließend. |<br />
Fotos: Diana Hahn; Agentur für Arbeit<br />
Menschen passen in keine Schablone – Individuell fördern<br />
> Ein großer Schritt nach der Schule ist der Eintritt in den Arbeitsmarkt. Dieser neue Lebensabschnitt bringt oft große Herausforderungen<br />
mit sich – für Menschen mit und ohne Behinderung. Dafür, dass Menschen mit Behinderung nach ihrer schulischen Ausbildung<br />
gleichberechtigt am Arbeitsleben teilhaben können, sorgt bei der Agentur für Arbeit in Donauwörth Ulrich Schneid, Teamleiter für<br />
Rehabilitation und Schwerbehinderte mit seinem Team. Das „Reha-Team“ kümmert sich um Jugendliche und Erwachsene, denen der<br />
Start oder auch der Wiedereinstieg in das Berufsleben schwerfällt.<br />
Viele glauben, dass unsere Abteilung nur dafür zuständig ist,<br />
dass Schulabgänger mit Behinderung einen Arbeitsplatz oder<br />
eine Ausbildung finden. Das ist aber nicht ganz richtig. Denn<br />
wir kümmern uns auch um Menschen, deren Handicap erst<br />
während ihres Erwachsenenlebens hinzugekommen ist, und die deshalb<br />
ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben können“, erzählt Ulrich<br />
Schneid. Es gibt also zwei Personengruppen, die von Ulrich Schneid und<br />
seinem Team betreut werden. Zum einen sind das Förderschüler, die<br />
vor ihrem Eintritt in das Berufsleben stehen. „Die Schüler können sich<br />
von uns beraten lassen. Dazu schicken wir auch immer wieder Rehabilitationsberater<br />
in die Schulen, die den Jugendlichen erklären, wie ihr<br />
Weg nach der Förderschule aussehen könnte. Neben der Beratung in den<br />
Schulen bieten wir aber auch persönliche Beratungsgespräche an, in<br />
denen wir dann die individuelle Situation besprechen. Natürlich steht<br />
den Jugendlichen aber auch jederzeit das BIZ (Berufsinformationszentrum)<br />
offen, um sich selbst über ihre Möglichkeiten zu informieren“, so<br />
Schneid.<br />
„Bevor die gemeinsame Entscheidung mit den Jugendlichen und meist<br />
den Eltern getroffen wird, welcher Beruf für die jeweilige Person der<br />
Richtige ist, steht ein Test an, um die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen<br />
zu beurteilen. Im Anschluss wird dieser dann mit den Jugendlichen<br />
besprochen. Je nachdem wie das individuelle Ergebnis ausfällt, gibt es<br />
dann die Möglichkeit einer regulären betrieblichen Ausbildung, einer<br />
trägergestützten Ausbildung – zum Beispiel über das Kolping-Bildungswerk,<br />
den Besuch von Berufsvorbereitenden Maßnahmen oder auch die<br />
Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bei der trägergestützten<br />
Ausbildung erhält der Auszubildende eine Vollausbildung.<br />
Vollausbildung oder die Möglichkeit, an einer sogenannten theorievereinfachten<br />
Ausbildung teilzunehmen. „Um die Schüler schon im Vorfeld<br />
richtig einschätzen zu können, ist uns die enge Zusammenarbeit und der<br />
Austausch mit den Schulen besonders wichtig. Die Schulen haben die<br />
Möglichkeit die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum zu beobachten<br />
und können uns dadurch auch wertvolle Informationen bezüglich<br />
der Neigungen und Fähigkeiten der jeweiligen Schüler geben“, betont<br />
Ulrich Schneid.<br />
Bei allen Möglichkeiten, die das Team rund um Ulrich Schneid anbietet,<br />
steht allerdings immer eine Grundvoraussetzung im Fokus: die Eignung.<br />
„Wenn jemand partout einen Beruf ausüben möchte, für den er nicht<br />
geeignet ist, dann kann er diesen Weg alleine gehen. Allerdings muss<br />
sich niemand Sorgen machen, dass er nicht zurückkommen kann,<br />
wenn er feststellt, dass es nicht geklappt hat. Wir helfen dann trotzdem<br />
wieder gerne weiter“, so Schneid. Generell hätte man solche Fälle<br />
zwar nicht oft, aber wenn, dann wären es die richtig schweren Fälle,<br />
erzählt Schneid von seinen Erfahrungen. „Meist liegt es daran, dass die<br />
Anforderungen des gewünschten Berufs nicht richtig eingeschätzt<br />
werden. Wir versuchen dann in Gesprächen Alternativen aufzuzeigen“,<br />
sagt Schneid. „Für uns ist es vor allem wichtig, dass wir dazu beitragen,<br />
ein vernünftiges Fundament zu schaffen, worauf später aufgebaut<br />
werden kann“, erklärt Schneid.<br />
Unterstützung beim Wiedereinstieg<br />
Auch wer seine bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen<br />
nicht mehr ausüben kann oder auf Grund einer Behinderung oder<br />
drohenden Behinderung Unterstützung beim Einstieg in das Berufsleben<br />
benötigt, kann sich von Ulrich Schneid und seinem Team beim<br />
Wiedereinstieg in den Beruf unterstützen lassen. „Um Menschen mit<br />
Behinderung individuell und umfassend über die Möglichkeiten der<br />
beruflichen Eingliederung zu beraten und mit ihnen oder auch den<br />
Arbeitgebern die erforderlichen Maßnahmen und Leistungen festzulegen,<br />
gibt es bei uns spezielle Beratungsfachkräfte. Für den jeweiligen<br />
Bereich werden dann auch Fachdienste, wie der Ärztliche Dienst,<br />
Berufspsychologischer Service und Technischer Beratungsdienst,<br />
hinzugezogen, um den Förderbedarf der einzelnen Person festzulegen.<br />
Das bedeutet, es wird entschieden, welche Fördermöglichkeiten wir<br />
bewilligen können. Das kann auch schon mal ein Aufzug oder eine<br />
Hebevorrichtung sein, wenn es den Zweck erfüllt und wirtschaftlich<br />
ist“, erklärt Schneid. In diesem Bereich gäbe es so viele Lösungen<br />
wie Probleme, denn jede Maßnahme, so Schneid weiter, müsse ganz<br />
genau auf den individuellen Einzelfall abgestimmt werden. „Es gibt<br />
keine Schablone die man immer wieder anlegen kann“, so Schneid.<br />
Auch sei auf den ersten Blick für Außenstehende manchmal schwer<br />
zu durchschauen, welcher Rehabilitationsträger für welches Anliegen<br />
zuständig ist. Deshalb rät Ulrich Schneid: „Wenn man nicht weiß,<br />
wer zuständig ist, kann man sich an uns wenden. Wir sorgen dann<br />
dafür, dass das Anliegen an die richtige Adresse weitergeleitet wird<br />
und so schnellstmöglich geholfen werden kann.“ |