SCHWEIN GEHABT - Herrmannsdorfer Landwerkstätten
SCHWEIN GEHABT - Herrmannsdorfer Landwerkstätten
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TEAMWORK | Reich gedeckter Tisch für das Hühnchen nach kräftiger Vorarbeit des Schweines.<br />
WEGWEISUNG | Die <strong>Herrmannsdorfer</strong> <strong>Landwerkstätten</strong> praktizieren seit 20 Jahren Bio-Handwerk. VISIONÄR | Bio allein ist ihm nicht<br />
D<br />
<strong>SCHWEIN</strong> <strong>GEHABT</strong><br />
MISSION »SYMBIOTISCHE LANDWIRTSCHAFT«<br />
Wenn man als Schwein zum Bio-Bauern kommt, hat man schon tierisch viel Glück gehabt.<br />
Die Versuchstiere der »Symbiotischen Landwirtschaft« des Bio-Pioniers Karl Ludwig Schweisfurth<br />
haben sogar einen Sechser im Lotto gewonnen, sozusagen: lebenslanges Suhlen im Paradies auf Erden.<br />
er Mann steht am Elektrozaun, der notdürftig ein gut<br />
eingestreutes Gelände mit einigen Hühnerställen, viel<br />
wildem Unterholz und ausgedehntem matschigem Brachland<br />
umfasst, und doziert: »Schauen Sie«, beginnt er, »dieses<br />
hier sind seltene Bilder: Schweine und Hühner in<br />
friedlicher Eintracht.« Normalerweise, lässt er<br />
uns Städter wissen, sind sich Schweine und Hühner<br />
gar nicht grün. Wenn man die zusammenbringe,<br />
seien nach kurzer Zeit alle Schweine satt<br />
und alle Hühner tot.<br />
Wie er es geschafft habe, die Tiere so einträchtig aneinander<br />
zu gewöhnen, wollen wir wissen. Nun, das habe schon<br />
etwas gedauert, man müsse die Tiere langsam zueinander-<br />
Gemeinschaften<br />
sind stark – auch<br />
bei den Tieren<br />
führen, bis sich die Symbiose einstelle, sagt der 78-jährige<br />
Schweisfurth und schweigt über Kollateralschäden. Er redet<br />
dagegen gerne über sein Alterswerk, die »Symbiotische Landwirtschaft«.<br />
»Symbiose« ist das Schlüsselwort, das Zusammenleben<br />
von Lebewesen verschiedener Art zu gegen-<br />
seitigem Nutzen. Bei Schwein und Huhn heißt das:<br />
Die Schweine beschützen die Hühner vor räuberischen<br />
Füchsen, vor reißenden Habichten, sie brechen<br />
den Vögeln auf der Suche nach eigenem Futter<br />
die feste Erdkrume auf, in deren feuchter Melange<br />
sich dann tausenderlei Kleinstgetier und Samen zum begierigen<br />
Aufpicken schutzlos darbieten. Die Hühner revanchieren<br />
sich für Security und Service mit einer ausgiebigen Fellpflege<br />
MENSCHEN | eve 5.08 | 26
genug. Karl Ludwig Schweisfurth hat das Thema für sein Spätwerk gefunden.<br />
während der Ruhezeiten des Paarhufers. »Dann sitzen sie<br />
auf dem Borstenvieh und picken ihm die Parasiten weg«,<br />
erzählt uns der Spiritus Rector der »Symbiotischen Landwirtschaft«,<br />
und das sei auch noch mal nahrhaft. Auch<br />
Schafe sind hinzugekommen zu dem immer größer werdenden<br />
Garten Eden am Rande der bundesweit bekannten<br />
<strong>Herrmannsdorfer</strong> <strong>Landwerkstätten</strong>, dem Vorzeigemodell<br />
ökologischer Landwirtschaft in Glonn südöstlich von München.<br />
Wissenschaftlich begleitet wird die ungewöhnliche<br />
WG von der eigens gegründeten »Ersten privaten landwirtschaftlichen<br />
Versuchsanstalt für die Symbiotische Landwirtschaft«<br />
unter Leitung des auf ökologische Tierzucht<br />
spezialisierten Agrarwissenschaftlers Dr. Günter Postler.<br />
EINE CHANCE FÜR DIE NATUR | Die konventionelle<br />
Landwirtschaft und industrielle Viehzucht, so begreifen<br />
wir mit dem alten Schweisfurth an seinem Acker stehend<br />
schnell, hat alles künstlich separiert: Die Kühe zu den<br />
Kühen, die Hühner zu den Hühnern, die Schweine in elender<br />
Ödnis zu den Schweinen, das Korn in monotoner Tris -<br />
tesse zum Korn, bar jedes schützenden Beikrautes in anfälliger<br />
Monokultur bis zum Horizont. Kein Platz für Symbiosen.<br />
Die Natur aber hat alles füreinander und in Bezug<br />
auf das andere geschaffen und perfekt eingerichtet. Perfektion<br />
durch Abwechslung, Kreativität durch Vielfalt. So<br />
funktionieren gesunde Systeme. Was läge näher, als ><br />
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METZGEREI | Schlachtwarmes Kuttern.<br />
FÜTTERUNG | Karl Schweisfurth.<br />
KÄSEREI | Lange Reifung im Lager.<br />
EINSATZ | Ökologisches Lernen.<br />
diesem Grundgedanken wieder Raum<br />
zu geben durch das Zusammenlegen des<br />
künstlich Getrennten? Schweisfurth hat<br />
eine Vision von einer integrativen Landwirtschaft,<br />
in der Stabilität, Vielfalt und<br />
Produktivität von gegenseitigem Nutzen<br />
der Arten getragen werden, die weit über<br />
die Wirklichkeit des real existierenden<br />
Ökolandbaus hinausgeht.<br />
Karl Ludwig Schweisfurth indessen<br />
ist nicht irgendwer, kein spleeniger<br />
Eigenbrötler auf einer weit abgelegenen<br />
Scholle. Schweisfurth war einer der ganz<br />
großen Manager in der industriellen<br />
Fleischproduktion in Europa. Er dirigierte<br />
einen Marktführer des Kaufens,<br />
Tötens und Vermarktens von Fleisch,<br />
schloss international Kontrakte und<br />
pushte die Produktivität auf<br />
Höchstleistungen – 3.000<br />
Schlachtungen pro Tag.<br />
Mitte der 80er-Jahre aber<br />
nagten die Zweifel an der<br />
Richtigkeit seines Tuns so<br />
elementar an ihm, dass nur ein radikaler<br />
Schlussstrich und Neubeginn in die<br />
Zukunft wies. »Im Januar 1984, während<br />
des Fastens«, berichtet er uns, »war<br />
der Entschluss gefasst: Ich steige aus und<br />
beginne noch mal von vorne, mit den<br />
Erfahrungen von 30 intensiv gelebten<br />
Jahren.« Das war der Anfang der heute<br />
legendären <strong>Herrmannsdorfer</strong> <strong>Landwerkstätten</strong><br />
und der Schweisfurth-Stiftung.<br />
KURZE WEGE, GUTE QUALITÄT |<br />
In Herrmannsdorf riecht Deutschland<br />
nicht nach Gammelfleisch, sondern<br />
nach Natur. Glück liegt in der Luft. Seit<br />
zehn Jahren hat bereits der Sohn Karl<br />
Schweisfurth die unternehmerische Leitung<br />
der Werkstätten inne. Er streut<br />
gerade frisches Gras zu den Schweinen<br />
und sagt: »Wenn wir Frische füttern, ist<br />
auch das Fleisch frischer.« Die Ställe liegen<br />
mitten in der Anlage, bewohnt von<br />
55 Erwachsenen, 25 Kindern und allerlei<br />
Getier. Handwerker kreuzen die Hofstätte,<br />
Jugendliche, die ihr Ökologisches<br />
Praktikum absolvieren, toben vor der<br />
Mensa, Münchner sind im Wagen vorgefahren,<br />
um im hofeigenen Bio-Laden<br />
einzukaufen. Herrmannsdorf hat ein<br />
Netzwerk von 70 ökologisch wirtschaftenden<br />
Bauern und Herstellern in der<br />
Region geschaffen. Herrmannsdorf<br />
heißt Integration: die Verarbeitung der<br />
ökologisch erzeugten Pflanzen und Tiere<br />
in Metzgerei, Bäckerei, Käserei und<br />
Brauerei sowie die Vermarktung der<br />
Lebensmittel in bester ökologischer<br />
Die glücklichsten<br />
Schweine sind<br />
Selbstversorger<br />
Qualität. Auf diese Weise sind die vielen<br />
Stufen der Verarbeitung durch kurze<br />
Wege vereint; es wird wieder Nähe hergestellt<br />
zwischen dem Ort, an dem die<br />
Pflanzen und Tiere wachsen, und dem<br />
Ort, wo sie zu Lebensmitteln umgewandelt<br />
und auch vermarktet werden. »Ich<br />
habe zwei Welten des Fleisches kennengelernt«,<br />
fasst Karl Ludwig Schweisfurth<br />
zusammen, »die der industriellen Produktion<br />
und die der handwerklichen<br />
ökologischen Erzeugung.« Dem <strong>Herrmannsdorfer</strong><br />
System sind quantitativ<br />
Grenzen gesetzt, aber es ist anderenorts<br />
reproduzierbar.<br />
Die Schweine der »Symbiotischen<br />
Landwirtschaft« leben das ganze Jahr frei<br />
auf der Weide. »Im Sommer fressen sie<br />
fast nur, was sie selbst fin-<br />
den«, erklärt uns Schweisfurth.<br />
Würmer und Schne -<br />
cken sind die natürliche<br />
Eiweißquelle, im selbst<br />
gepflügten Acker wachsen<br />
Wurzelgemüse und Gräser, die selbst<br />
geerntet werden, Obstbäume sorgen für<br />
den Nachtisch, und der Dünger bleibt auf<br />
dem Feld. Kreislaufwirtschaft. Nachts, in<br />
der Hütte, zieht die Wärme der Schweine<br />
von der unteren Etage in die obere zu den<br />
Hühnern und wärmt das Federvieh.<br />
»Erstaunlich, wie gesund die sind«, findet<br />
der gelernte Metzger. »Im Winter höre ich<br />
sie nie husten, selbst bei Regen und Frost<br />
nicht«, erklärt Schweisfurth stolz.<br />
Der natürliche Feind des Schweines<br />
ist der Mensch. Erreicht ein »Symbiose-<br />
Schwein« die 150-kg-Marke, ist es mit<br />
dem schönen Leben vorbei. Dann profitiert<br />
der Gourmet von der guten Aufzucht,<br />
ganz unsymbiotisch. »Achtsames<br />
Töten ohne Angst und Stress und ohne<br />
Qual« ist Teil der <strong>Herrmannsdorfer</strong> Philosophie,<br />
sagt Schweisfurth. Stress ändere<br />
den pH-Wert und verschlechtere die Qualität<br />
des Fleisches. Das kennen auch wir<br />
Menschen: Negativer<br />
Stress<br />
macht<br />
sauer. �<br />
jre<br />
BADELUST | Vergnügtes<br />
Suhlen im See.<br />
MENSCHEN | eve 5.08 | 28