Subkulturen im Fokus - auf harald-ruessler.de
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<strong>Subkulturen</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> – unter beson<strong>de</strong>rer<br />
Berücksichtigung <strong>de</strong>r Psychobillies<br />
Bachelor Arbeit<br />
<strong>im</strong> Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften<br />
Studiengang Soziale Arbeit<br />
<strong>de</strong>r<br />
Fachhochschule Dortmund –<br />
University of Applied Science and Arts<br />
Christian Talarek, 7072193<br />
Erstprüfer: Prof. Dr. Harald Rüssler<br />
Zweitprüfer: Dr. Manfred Heßler<br />
Bearbeitungszeitraum: 1. April 2010 bis 1. September 2010<br />
Hagen, September 2010
Inhaltsverzeichnis<br />
Abstract S. 4<br />
Vorwort S. 5<br />
1. Einleitung S. 7<br />
2. Subkultur und Szene – begriffliche Sondierungen S. 9<br />
3. Subkulturelle Vorläufer/Verwandtschaften von Psychobilly S. 32<br />
3.1. Skinheads S. 32<br />
3.2. Punk S. 45<br />
3.3. Rockabillies, Teddyboys und Halbstarke S. 57<br />
3.3.1. Rockabillies S. 57<br />
3.3.2. Teddyboys S. 63<br />
3.3.3. Halbstarke S. 65<br />
4. Die Subkultur <strong>de</strong>r Psychobillies: Exemplarische Einsichten –<br />
Qualitative Interviews mit Subkulturangehörigen S. 68<br />
4.1. Die Geschichte von Psychobilly S.68<br />
4.2. Methodisches Setting S. 75<br />
4.3. Ergebnisdarstellung S. 78<br />
4.3.1. Ist die Psychobillysubkultur politisch? S. 79<br />
4.3.2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n? S. 85<br />
4.3.3. Wie verhält es sich mit <strong>de</strong>m Geschlechterverhältnis<br />
in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur? S. 95<br />
4.3.4. Gehört die Psychobillysubkultur zu <strong>de</strong>n Rockabillies<br />
o<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lt es sich um eine autonome Szene? S. 100<br />
4.3.5. Wie ist das Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>? S. 106<br />
4.3.6. Was be<strong>de</strong>utet Spaß in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur? S. 112<br />
4.4. Zusammenfassen<strong>de</strong> Betrachtung S. 123<br />
2
5. Literaturverzeichnis S. 131<br />
Anhang S. 134<br />
Ei<strong>de</strong>sstattliche Erklärung S. 138<br />
Erklärung nach § 25(1) BPO S. 139<br />
3
5. Literaturverzeichnis<br />
Brackenridge, Craig (2003): Let’s Wreck. Psychobilly Flashbacks from the eighties<br />
& beyond. Retford, Stormscreen Productions<br />
Brake, Mike (1981): Soziologie <strong>de</strong>r jugendlichen <strong>Subkulturen</strong>. Eine Einführung.<br />
Frankfurt/New York, Campus<br />
Colegrave, Steve/Sullivan, Chris (2005): Punk. München, Rolf Heyne GmbH & Co.<br />
KG<br />
Du<strong>de</strong>nredaktion, Die (1991): Der kleine Du<strong>de</strong>n. Fremdwörterbuch. Ein Nachschlagewerk<br />
für <strong>de</strong>n täglichen Gebrauch. Über 15 000 Fremdwörter mit mehr als 90 000<br />
Angaben zur Be<strong>de</strong>utung, Aussprache und Grammatik. Mannhe<strong>im</strong>, F. A. Brockhaus<br />
AG<br />
Elias, Norbert (1969): Über <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Zivilisation. Soziogenetische und Psychogenetische<br />
Untersuchungen. Wandlungen <strong>de</strong>s Verhaltens in <strong>de</strong>n weltlichen Oberschichten<br />
<strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s. Bern, Verlag A. Francke<br />
El-Nawab (2005): Rockabillies – Rock’n’Roller – Psychobillies. Portrait einer Subkultur.<br />
Berlin, Archiv <strong>de</strong>r Jugendkulturen Verlag KG<br />
El-Nawab (2007): Skinheads, Gothics, Rockabillies: Gewalt, Tod und Rock’n’Roll.<br />
Eine ethnographische Studie zur Ästhetik von jugendlichen <strong>Subkulturen</strong>. Berlin, Archiv<br />
<strong>de</strong>r Jugendkulturen Verlag KG<br />
Farin, Klaus/Sei<strong>de</strong>l Eberhard (2002): Skinheads. München, C.H. Beck oHG<br />
Farin, Klaus (1999): Skinhead – A Way Of Life. Eine Jugendbewegung stellt sich<br />
selbst dar. Berlin, Archiv <strong>de</strong>r Jugendkulturen e.V.<br />
131
Griese, Hartmut M. (2000): Jugend (Sub) Kultur (EN) und Gewalt. Analyse, Materialen,<br />
Kritik. Soziologische und pädagogikkritische Beiträge. Münster, LIT<br />
Hitzler, Ronald/Bucher,Thomas/Nie<strong>de</strong>rbacher, Arne (2001): Leben in Szenen. Formen<br />
jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Opla<strong>de</strong>n, Leske + Budrich<br />
Kunsthalle Wien/Matt, Gerald/Mießgang, Thomas (2008): Punk. No One is innocent.<br />
Kunst – Stil – Revolte. Nürnberg, Verlag für mo<strong>de</strong>rne Kunst<br />
Kunsthalle Wien/Matt, Gerald/Mießgang, Thomas (2008): Punk. No One is innocent.<br />
Kunst – Stil – Revolte. Gerald Matt: Vorwort. Nürnberg, Verlag für mo<strong>de</strong>rne Kunst<br />
Kunsthalle Wien/Matt, Gerald/Mießgang, Thomas (2008): Punk. No One is innocent.<br />
Kunst – Stil – Revolte. Thomas Mießgang: No One is innocent. Nürnberg, Verlag für<br />
mo<strong>de</strong>rne Kunst<br />
Kunsthalle Wien/Matt, Gerald/Mießgang, Thomas (2008): Punk. No One is innocent.<br />
Kunst – Stil – Revolte. Jon Savage: The World’s End: London Punk 1976-77. Nürnberg,<br />
Verlag für mo<strong>de</strong>rne Kunst<br />
Kunsthalle Wien/Matt, Gerald/Mießgang, Thomas (2008): Punk. No One is innocent.<br />
Kunst – Stil – Revolte. Glenn O’Brien: Punk ist New York, New York ist Punk.<br />
Nürnberg, Verlag für mo<strong>de</strong>rne Kunst<br />
Ma<strong>de</strong>r, Matthias (1996): Oi! – The Book Vol. 1. Berlin, Jeske/Ma<strong>de</strong>r GbR<br />
Menhorn, Christian (2001): Skinheads: Portrait einer Subkultur. Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n, Nomos<br />
Verlag<br />
Steinert, Erika/Thiele, Gisela (2000): Sozialarbeitsforschung für Studium und Praxis.<br />
Einführung in die qualitativen und quantitativen Metho<strong>de</strong>n. Köln, Fortis Verlag<br />
132
Fanzines<br />
Psychomania – Fanzine für Psychobilly+Punkabilly+Rockabilly (Frühjahr 2006):<br />
No. 2. Dessau: Halb 7 Records<br />
Psychomania – Fanzine für Psychobilly+Punkabilly+Neorockabilly (Winter/Frühling<br />
2010): No. 7. Dessau: Halb 7 Records<br />
Internetquellen<br />
Rechtsrock. Online: http://pages.unibas.ch/<strong>de</strong>ja-<br />
vu/archiv/aktuellarchiv/naz<strong>im</strong>usik.html<br />
Stand 1. August 2010<br />
Blood&Honour. Online:<br />
http://nipberlin.<strong>de</strong>/daten/in<strong>de</strong>x.php?option=com_content&task=view&id=119&Itemid=64<br />
Stand 1. August 2010<br />
133
Abstract<br />
<strong>Subkulturen</strong> <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> – unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>r Psychobillies<br />
Von Christian Talarek<br />
Die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit beschäftigt sich mit <strong>Subkulturen</strong>. Es wird <strong>auf</strong> die Geschichte<br />
<strong>de</strong>r Punk- und <strong>de</strong>r Skinheadsubkultur eingegangen, sowie auch <strong>auf</strong> die Teddyboys,<br />
die Halbstarken und die Rockabillies. Der Schwerpunkt dieser Arbeit behan<strong>de</strong>lt die<br />
Psychobillysubkultur. Es gibt viele Figurationen und Gemeinsamkeiten zu <strong>de</strong>n vorher<br />
erwähnten <strong>Subkulturen</strong>. Diese Arbeit beschreibt zunächst die Geschichte <strong>de</strong>r<br />
verwandten Szenen, damit <strong>de</strong>r Leser Psychobilly besser versteht. Auch die Begriffe<br />
Subkultur und Szene wer<strong>de</strong>n näher erläutert.<br />
Psychobilly ist eine Musikrichtiung, welche die Melodie und <strong>de</strong>n Ryhtmus von Rockabilly,<br />
mit <strong>de</strong>r Aggressivität und Geschwindigkeit von Punkrock vereint. Die<br />
Psychobillysubkultur war in <strong>de</strong>n 80er Jahren <strong>auf</strong> ihrem Höhepunkt, ist in <strong>de</strong>n 90er<br />
Jahren <strong>de</strong>utlich geschrumpft und hat in <strong>de</strong>n letzten Jahren <strong>im</strong>mer mehr Anhänger<br />
gefun<strong>de</strong>n. Berühmte Psychobillybands wie „the Meteors“, „Mad Sin“ und „Tiger<br />
Army“ sind weit über die Psychobillyssubkultur bekannt.<br />
Aufgrund <strong>de</strong>r kaum vorhan<strong>de</strong>nen Literatur über diese Subkultur habe ich mich ins<br />
Feld begeben, um 5 Psychobillies zu interviewen und so Informationen über<br />
Psychobilly zu gewinnen. Die Auswertung <strong>de</strong>r 5 Interviews macht einen Hauptteil<br />
dieser Arbeit aus und gibt Anworten <strong>auf</strong> die Fragen:<br />
1. Ist die Psychobillysubkultur politisch?<br />
2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n?<br />
3. Wie verhält es sich mit <strong>de</strong>m Geschlechterverhältnis in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur?<br />
4. Gehört die Psychobillysubkultur zu <strong>de</strong>n Rockabillies o<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lt es sich um eine<br />
autonome Szene?<br />
5. Wie ist das Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>?<br />
6. Was be<strong>de</strong>utet Spaß in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur?<br />
4
Vorwort<br />
Ursprünglich wollte ich mich mit einer an<strong>de</strong>ren Thematik in meiner Bachelor Arbeit<br />
befassen. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, die politischen Werte und Normen<br />
<strong>de</strong>r <strong>Subkulturen</strong> <strong>de</strong>r Punks, Skinheads und Psychobillies gegenüberzustellen. Diese<br />
drei <strong>Subkulturen</strong> ähneln sich in vielerlei Hinsichten und <strong>de</strong>r Betrachter von Außen<br />
wird bis <strong>auf</strong> die Äußerlichkeiten nur wenige Unterschie<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n. Allerdings hat Politik<br />
in diesen drei <strong>Subkulturen</strong> einen völlig an<strong>de</strong>ren Stellenwert und diesen wollte<br />
ich anhand von Interviews mit Anhängern <strong>de</strong>r unterschiedlichen Szenen herausstellen.<br />
Doch schon bei meiner Recherche nach geeigneter Literatur musste ich feststellen,<br />
dass es genug Material über Skinheads und Punks gab, aber nahezu keine Literatur<br />
über Psychobilly. In <strong>de</strong>r Bibliothek <strong>de</strong>r TU Dortmund konnte ich kein einziges<br />
Buch über diese Thematik fin<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Bibliothek <strong>de</strong>r FH Dormund fand ich ein<br />
Buch, in <strong>de</strong>r die Psychobillyszene lediglich als Begleiterscheinung <strong>de</strong>r<br />
Rockabillyszene behan<strong>de</strong>lt wird. (El-Nawab 2007)<br />
Zusätzlich zu diesem Problem hätte eine Arbeit über drei <strong>Subkulturen</strong> und ihre Unterschie<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>n zeitlichen, sowie <strong>de</strong>n inhaltlichen Rahmen einer Bachelor Arbeit gesprengt.<br />
Daher einigte ich mich mit Herrn Prof. Dr. Rüssler darüber, dass ich <strong>de</strong>n<br />
Hauptfokus meiner Arbeit <strong>auf</strong> die relativ unbekannte Subkultur Psychobilly richten<br />
sollte.<br />
Ich wer<strong>de</strong> in meiner Arbeit <strong>auf</strong> die Geschichte sowie die Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Punk- und<br />
Skinheadkultur eingehen, da es große Parallelen zu diesen <strong>Subkulturen</strong> und <strong>de</strong>r<br />
Psychobillyszene gibt. Ohne die Punkszene wür<strong>de</strong> es Psychobilly sicherlich nicht in<br />
dieser Form geben. Da es kaum Literatur zu dieser Thematik gibt, habe ich mich ins<br />
Feld begeben, um mit Psychobillies zu sprechen. Ich wollte mehr erfahren über die<br />
Subkultur, die es zwar seit 30 Jahren gibt, aber we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Öffentlichkeit noch<br />
von <strong>de</strong>r Wissenschaft Beachtung gefun<strong>de</strong>n hat. Zu diesem Zwecke interviewte ich 5<br />
Psychobillies.<br />
Ich fin<strong>de</strong> es sehr motivierend über etwas zu schreiben, worüber es noch keine 300<br />
Diplom-Arbeiten o<strong>de</strong>r Dissertationen gibt. Zu<strong>de</strong>m freue ich mich darüber, Außenstehen<strong>de</strong>n<br />
eine Subkultur näher zu bringen, die genau so viel Beachtung verdient hat,<br />
wie an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> auch. Es gibt Psychobillybands, die von ihrer Musik leben<br />
können und Psychobillyfans reisen teilweise durch ganz Deutschland, um ihre Lieblingsbands<br />
zu sehen. Manche Anhänger dieser Subkultur reisen sogar durch halb<br />
5
Europa um an best<strong>im</strong>mten Szeneevents wie <strong>de</strong>m Satanic Stomp in Speyer, <strong>de</strong>m<br />
Psychobilly Meeting in Pinada in Spanien und an Psychomania in Potsdam teilzuhaben.<br />
Ich habe es auch schon selber erlebt, dass Psychobillies aus England extra für<br />
ein Meteorskonzert nach Bochum gereist sind. Ich möchte ergrün<strong>de</strong>n, woher diese<br />
Begeisterung und Aufopferung für eine Musikszene kommt, die <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
Punk, <strong>im</strong> Untergrund stattfin<strong>de</strong>t. Psychobilly fin<strong>de</strong>t keine Beachtung in <strong>de</strong>n Medien.<br />
Auf Viva und MTV sind keine Psychobillyvi<strong>de</strong>os zu sehen und es l<strong>auf</strong>en auch keine<br />
Radiosendungen, die Musik von Bands wie Mad Sin, Tiger Army o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
„Nekromantix“ spielen. Trotz<strong>de</strong>m existiert die Szene seit über 30 Jahren. Zu<strong>de</strong>m<br />
fin<strong>de</strong> ich es interessant, Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Psychobillyszene zu interviewen und so neue<br />
Eindrücke zu sammeln. Die Arbeit <strong>im</strong> Feld ist mir völlig neu und ich sehe es als Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
für mich an. Durch meine jahrelange Erfahrung <strong>im</strong> Subkulturmilieu<br />
konnte ich sehr schnell Interviewpartner gewinnen und registrierte eine große Begeisterung<br />
bei <strong>de</strong>n Menschen, über ihre größte Lei<strong>de</strong>nschaft zu sprechen.<br />
In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat es sich <strong>im</strong>mer mehr etabliert, dass meist berühmte<br />
Psychobillybands wie the Meteors, „Demented Are Go“ und Mad Sin <strong>auf</strong> großen<br />
Punkfestivals wie <strong>de</strong>m Force Attack, <strong>de</strong>m Back to Future Festival und <strong>de</strong>m Endless<br />
Summer Festival spielen. Dementsprechend vermischt sich auch das Publikum eines<br />
solchen Festivals und es zelten unpolitische Psychobillies neben linksgerichteten<br />
Punkrockern und Sharpskinheads.<br />
Es kommt also zu einer „Figuration“ (Norbert Elias) zwischen <strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong>.<br />
Daher ist das Thema sehr aktuell, da hier viele Jugendkulturen <strong>auf</strong>einan<strong>de</strong>r treffen.<br />
Diese Kulturen haben aber alle eine unterschiedliche Geschichte und gera<strong>de</strong> die<br />
Skinheadszene hat seit <strong>de</strong>r Unterwan<strong>de</strong>rung von Rechts starke Imageprobleme in <strong>de</strong>r<br />
Öffentlichkeit. Es ist von daher sehr interessant, diese Phänomene zu beobachten und<br />
ob es zu weiteren Annäherungen <strong>de</strong>r Szenen untereinan<strong>de</strong>r kommt o<strong>de</strong>r ob es zu<br />
Brüchen <strong>auf</strong>grund von differenzierten politischen Ansichten kommt. Daher befrage<br />
ich die Psychobillies zu <strong>de</strong>ren Einstellungen gegenüber an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>.<br />
6
1. Einleitung<br />
Zielsetzung ist in erster Linie das Gewinnen von Informationen über Psychobilly.<br />
Aufgrund <strong>de</strong>r kaum vorhan<strong>de</strong>nen Literatur können sich Außenstehen<strong>de</strong> kaum ein<br />
Bild von Psychobilly machen.<br />
Psychobilly ist eine Musikrichtung, die Rockabilly mit Punk vereint. Psychobilly ist<br />
eine Subkultur, die starke Verflechtungen mit <strong>de</strong>r Rockabilly-, Punk- und<br />
Skinheadszene <strong>auf</strong>weist. Psycho steht für das Wort Psychopath bzw. Psychopathie.<br />
Billy ist ein Slangausdruck aus <strong>de</strong>m Amerikanischen und steht für einen dort typischen<br />
Namen. Dar<strong>auf</strong> geh ich später ein.<br />
„Psychopath <strong>de</strong>r; -en, -en: Mensch mit abnormen Erscheinungen <strong>de</strong>s Gefühls- u.<br />
Gemütslebens.“ (Der kleine Du<strong>de</strong>n 1991: 343)<br />
„Psychopathie die; -: Abartigkeit <strong>de</strong>s geistig-seelischen Verhaltens (Med.;<br />
Psychol.).“ (Der kleine Du<strong>de</strong>n 1991: e.b.d.)<br />
Das wichtigste Symbol <strong>de</strong>r Psychobillyszene ist die Frisur. Psychos (die Kurzform<br />
für Psychobilllies) tragen entwe<strong>de</strong>r eine Tolle, wie sie Elvis Presley damals getragen<br />
hat, o<strong>de</strong>r einen so genannten Flat. Bei <strong>de</strong>m Flat han<strong>de</strong>lt es sich um eine Frisur, bei<br />
<strong>de</strong>r die Seiten und <strong>de</strong>r Hinterkopf kahl geschoren sind. Das Haupthaar wird von hinten<br />
nach vorne <strong>im</strong>mer länger. Der Flat wird entwe<strong>de</strong>r als ein Riesenhörnchen bzw.<br />
Spike nach vorne gestylt o<strong>de</strong>r wie eine gigantische Tolle nach oben. Der Flat wird<br />
dabei bevorzugt in blond o<strong>de</strong>r schwarz gefärbt. Einige Psychos bevorzugen auch<br />
buntere Farben, wie blau, rot und grün.<br />
Daher kann es auch leicht zu Verwechslungen kommen, da die Kleidung <strong>de</strong>r<br />
Psychobillyszene starke Parallelen zur Punk und Skinbewegung hat. So können<br />
Psychobillies schnell Opfer von stereotypen Ansichten <strong>de</strong>r Gesellschaft wer<strong>de</strong>n, die<br />
sie mit Punks und Skinheads o<strong>de</strong>r gar Nazis verwechseln. Gera<strong>de</strong> ältere<br />
Psychobillies, die <strong>auf</strong>grund von Haarausfall keinen Flat und keine Tolle mehr tragen<br />
können, wer<strong>de</strong>n leicht mit Skinheads verwechselt, was negative Folgen haben kann.<br />
Kaum eine Subkultur muss mit so vielen Vorurteilen wie die Skinheads kämpfen.<br />
Skinheads sind durch die Anschläge <strong>auf</strong> Asylantenhe<strong>im</strong>e in <strong>de</strong>n 90er Jahren in<br />
Deutschland zum Synonym für Frem<strong>de</strong>nhass, Intoleranz und Gewalt gewor<strong>de</strong>n. Sobald<br />
<strong>im</strong> Osten eine Gruppe Auslän<strong>de</strong>r von Rechten zusammengeschlagen wird, beherrschen<br />
Bil<strong>de</strong>r von Springerstiefeln, mit weißen Schnürsenkeln, die Medien. Völlig<br />
7
undifferenziert wird je<strong>de</strong>r rechte Schläger als Skinhead tituliert. Die wenigsten Menschen<br />
kennen die Geschichte <strong>de</strong>r Skinheads, in <strong>de</strong>r jamaikanische und englische Jugendliche<br />
zusammen Ska Konzerte besucht haben. Die Medien berichten zwar gerne<br />
über rechtsradikale Skinheads, doch genau so gerne wird ausgeblen<strong>de</strong>t, dass es sich<br />
bei <strong>de</strong>n Skinheads um eine höchst heterogene Szene han<strong>de</strong>lt, in <strong>de</strong>r es von ganz links<br />
bis ganz rechts die unterschiedlichsten politischen Ansichten gibt.<br />
Da <strong>de</strong>m Großteil <strong>de</strong>r Bevölkerung Psychobilly völlig fremd ist, wer<strong>de</strong>n Psychobillies<br />
oft stigmatisiert und stereotypen Ansichten über an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> untergeordnet.<br />
In <strong>de</strong>n Büchern von Susanne El-Nawab wird recht kurz <strong>auf</strong> die Psychobillyszene<br />
eingegangen. Der Großteil ihrer Bücher han<strong>de</strong>lt von Rockabillies, die sicherlich eine<br />
entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle in <strong>de</strong>r Geschichte von Psychobilly spielen. In meinen Interviews<br />
habe ich ergrün<strong>de</strong>t, wie wichtig diese Wurzeln für die Psychobillyszene sind und ob<br />
sie Psychobilly nicht als etwas völlig eigenes betrachten, dass autonom von <strong>de</strong>r<br />
Rockabillyszene existiert. Durch meine Interviews möchte ich <strong>de</strong>m Leser die<br />
Psychobillyszene allgemein näher bringen. Aus welchem Milieu stammen<br />
Psychobillies? Sind Psychobillies berufstätig? Sind die Berufsfel<strong>de</strong>r eher heterogen<br />
o<strong>de</strong>r kann gesagt wer<strong>de</strong>n, dass ein Großteil dieser Szene eher handwerklichen und<br />
Arbeiterberufen nachgeht? Wie sind die Menschen zu dieser Subkultur gekommen?<br />
Wie sieht <strong>de</strong>r Lebensstil aus? Welche Einstellungen herrschen in <strong>de</strong>r Szene? Woran<br />
erkennt man einen Psychobilly? Worum geht in <strong>de</strong>n Texten von Psychobillybands?<br />
In meiner Arbeit wer<strong>de</strong> ich zunächst <strong>auf</strong> die Begriffe Subkultur und Szene eingehen.<br />
Anschließend beschreibe ich <strong>auf</strong> die Geschichte von Musiksubkulturen. Ich wer<strong>de</strong><br />
vom Beginn <strong>de</strong>s Rock`n`Roll in <strong>de</strong>n 50er Jahren über die Teddy Boys, die Mods in<br />
<strong>de</strong>n 60er Jahren, die Skinheads gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er, die Punks in <strong>de</strong>n 70er Jahren<br />
und die Anfänge <strong>de</strong>s Psychobilly in <strong>de</strong>n 80er Jahren berichten. Ich möchte so die<br />
diversen Figurationen zwischen <strong>de</strong>n unterschiedlichen <strong>Subkulturen</strong> beleuchten und<br />
<strong>auf</strong> die Wurzeln <strong>de</strong>r Psychobillyszene eingehen. Danach wer<strong>de</strong> ich <strong>auf</strong> die Ergebnisse<br />
meiner Interviews eingehen und diese analysieren. 6 Hauptfragen stehen dabei <strong>im</strong><br />
<strong>Fokus</strong> <strong>de</strong>r Interviews. Bei <strong>de</strong>r ersten Hauptfrage wollte ich erfahren, ob es sich bei<br />
<strong>de</strong>r Psychobillysubkultur um eine politische Szene han<strong>de</strong>lt. Während <strong>de</strong>r Interviews<br />
mit 2 älteren Angehörigen <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur, die die diversen Transformationsprozesse<br />
<strong>de</strong>r Szene über Jahrzehnte beobachtet haben, hat sich <strong>de</strong>r zweite Fragepunkt<br />
ergeben: Ist die Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n? Das Geschlechterverhältnis<br />
bei <strong>de</strong>n Psychobillies best<strong>im</strong>mte die dritte Hauptfrage. Bei <strong>de</strong>r vierten<br />
8
Hauptfrage wollte ich Erkenntnisse gewinnen, ob die Psychobillies sich als Teil <strong>de</strong>r<br />
Rockabillysubkultur sehen o<strong>de</strong>r sich als autonome Szene verstehen. Die fünfte<br />
Hauptfrage sollte <strong>de</strong>m Leser das Verhältnis <strong>de</strong>r Psychos zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong><br />
vermitteln. Den letzten Fragepunkt bil<strong>de</strong>tete: Was be<strong>de</strong>utet Spaß in <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur?<br />
2. Subkultur und Szene – begriffliche Sondierungen<br />
Auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Seiten wer<strong>de</strong> ich <strong>auf</strong> die Begriffe „Subkultur“ und „Szene“ eingehen.<br />
Zunächst beschreibe ich, wann <strong>de</strong>r Begriff Subkultur zum ersten Mal von<br />
Soziologen verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> und was subkulturelle Stile beinhalten. Das Verhältnis<br />
von <strong>de</strong>r Subkultur zur I<strong>de</strong>ntität wird genau so Thema sein, wie die Entwicklung eines<br />
theoretischen Bezugsrahmens für die Untersuchung von <strong>Subkulturen</strong>. Danach erkläre<br />
ich die Eigenschaften von Szenen und wie diese <strong>auf</strong>gebaut sind. Szenetreffpunkte<br />
gehören genau so zum Inhalt, wie die Dynamik in Szenen, die Organisation, die Kultur<br />
und die Be<strong>de</strong>utung von Szenen <strong>im</strong> gesellschaftlichen Kontext zu großen Institutionen<br />
wie Recht, Politik und Wirtschaft.<br />
Zum Begriff Subkultur<br />
Laut Mike Brake wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begriff Subkultur das erste Mal von <strong>de</strong>n Soziologen<br />
McLung Lee (1945) und M. Gordon (1947) verwen<strong>de</strong>t. Sie sahen die Subkultur als<br />
ein Subsystem <strong>de</strong>r nationalen Kultur an. Der Schwerpunkt ihrer Forschungen lag in<br />
<strong>de</strong>n Sozialisationsformen von sektorisierten Kulturen in einer Gesellschaft, die als<br />
vielfältig angesehen wur<strong>de</strong>. (Vgl. Brake 1981: 15)<br />
„Kultur wur<strong>de</strong> als „erlerntes Verhalten“ verstan<strong>de</strong>n.“ (Brake 1981: e.b.d.)<br />
Der Kulturbegriff ist laut Taylor (1871) aber noch viel umfassen<strong>de</strong>r:<br />
„Kultur o<strong>de</strong>r Zivilisation, <strong>im</strong> weiteren ethnographischen Sinn verstan<strong>de</strong>n, ist jenes<br />
komplexe Ganze, das das Wissen, <strong>de</strong>n Glauben, die Kunst, die Moral<strong>auf</strong>fassung, die<br />
Gesetze, die Sitten und alle an<strong>de</strong>ren Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die sich<br />
<strong>de</strong>r Mensch als Mitglied <strong>de</strong>r Gesellschaft aneignet.“ (Brake 1981: 15, zit. nach Taylor<br />
1871: 10)<br />
Kroeber und Kluckhohn (1952) greifen bei ihrer Definition von Kultur <strong>auf</strong> 160<br />
Merkmale aus <strong>de</strong>r Sozialwissenschaft zurück:<br />
9
Kultur beinhaltet eine <strong>de</strong>utliche und einbeziehen<strong>de</strong> Symbolik, die menschliche Leistung<br />
best<strong>im</strong>mt, einschließlich ihrer Darstellung in <strong>de</strong>r Kunst. Kultur besteht auch aus<br />
Verhaltensmustern. Hauptsächlich besteht Kultur aus überlieferten Ansichten und<br />
<strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen Wertmaßstäben, welche geschichtlich gereift sind. (Vgl.<br />
Brake 1981: e.b.d.)<br />
„Kulturelle Wertsysteme sind einerseits das Produkt menschlicher Handlungsweisen<br />
und an<strong>de</strong>rerseits die Voraussetzung für späteres Verhalten.“ (Brake 1981: e.b.d., zit.<br />
nach Kroeber/Kluckhohn 1952: 2)<br />
Ford (1942) sah Kultur als Lösungsmuster für Probleme, die <strong>auf</strong>grund von überlieferten<br />
Verhalten, bewältigt wer<strong>de</strong>n (vgl. Brake 1981: e.b.d.).<br />
„Menschliche Handlungsweisen hängen von <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Probleme ab, die je<strong>de</strong>r bewältigen<br />
muß. (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Cohen 1955: 51)<br />
Kultur ist äußerst heterogen. Es gibt diverse Bereiche, die ineinan<strong>de</strong>r überfließen und<br />
ebenso gibt es Sphären, die voneinan<strong>de</strong>r getrennt sind. Je<strong>de</strong> komplexe Gesellschaft<br />
besteht aus diversen, unterschiedlichen Kulturen, die auseinan<strong>de</strong>r gehen und es existiert<br />
eine Reihe von Untergruppen und <strong>Subkulturen</strong>. Die <strong>Subkulturen</strong> und Untergruppen<br />
müssen sich mit ihren Werten und Normen, sowie ihrem Lebensstil gegen die<br />
dominante Kultur, <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Klasse behaupten. Die herrschen<strong>de</strong> Schicht<br />
rechtfertigt ihre Kontrolle über die unteren Schichten, durch ihr Konzept <strong>de</strong>r ganzheitlichen<br />
Kultur.<br />
Menschen wer<strong>de</strong>n in differenzierte, äußerst heterogene soziale Schichten geboren. In<br />
<strong>de</strong>n diversen Regionen entwickeln sich die unterschiedlichsten Werte und Normen,<br />
die über soziale Kontakte nach außen vermittelt wer<strong>de</strong>n. Das Individuum kann nur<br />
überleben, in<strong>de</strong>m es kollektiv o<strong>de</strong>r individuell Sozialkontakte <strong>auf</strong>baut. Zwischen <strong>de</strong>m<br />
Individuum und <strong>de</strong>n sozialen Kontakten fin<strong>de</strong>t eine wechselseitige Beeinflussung<br />
statt. Die Kultur einer Gruppe besteht aus <strong>de</strong>n Werten, die sie verkörpert und ihren<br />
Ansichten. Die Figuration <strong>de</strong>r Beziehungen und <strong>de</strong>r Ausdrucksmittel formt unsere<br />
I<strong>de</strong>ntität. (Vgl. Brake 1981: 15-16)<br />
„Die Kultur als vermitteln<strong>de</strong> Instanz formt so unser Weltbild und best<strong>im</strong>mt unsere<br />
Entwicklung mit“ (Brake 1981: 16).<br />
Wir orientieren uns an <strong>de</strong>n Werten, die die herrschen<strong>de</strong> Kultur uns vorgibt. Wenn die<br />
Orientierungsmöglichkeiten auch begrenzt sind, so bieten die sozialen Rahmenbe-<br />
10
dingungen doch Platz für individuelle Vorlieben. Die Rahmenbedingungen wie<strong>de</strong>rum<br />
sind von <strong>de</strong>r Wirtschaft abhängig. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.).<br />
„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien<br />
Stücken, nicht unter selbstgewählten, son<strong>de</strong>rn unter unmittelbar vorgefun<strong>de</strong>nen, gegebenen<br />
und überlieferten Umstän<strong>de</strong>n.“ (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Marx 1852:<br />
115)<br />
Während herrschen<strong>de</strong> Klassen durchaus existieren, ist die Vorherrschaft einer Kultur<br />
jedoch anzuzweifeln. Je<strong>de</strong> bestehen<strong>de</strong> soziale Gruppe hat Werte. Die Wertesysteme<br />
sind allerdings heterogen und unterliegen Verän<strong>de</strong>rungen und Umwertungen. Bei<br />
Verschiebungen <strong>de</strong>s Klassengefüges sind in <strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts,<br />
auch die bürgerlichen Werte <strong>auf</strong> die Werte <strong>de</strong>r Aristokraten geprallt. (Vgl. Brake<br />
1981: 16).<br />
„In Gesellschaften, die <strong>auf</strong> komplexe Weise verästelt sind, gibt es <strong>im</strong>mer mehrere<br />
Kulturen. Die Mehrzahl dieser Kulturen sind Klassenkulturen, wobei die <strong>Subkulturen</strong><br />
als Subsysteme dieser großen kulturellen Konfigurationen begriffen wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
<strong>Subkulturen</strong> beinhalten Elemente <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n Klassenkultur (auch Stammkultur,<br />
parent culture, genannt), heben sich jedoch zugleich von ihr ab.“ (Brake 1981:<br />
16-17).<br />
Die herrschen<strong>de</strong> Kultur übt Einfluss <strong>auf</strong> die <strong>Subkulturen</strong> aus, da sie schwer ausgeblen<strong>de</strong>t<br />
wer<strong>de</strong>n kann, da sie auch die Massenmedien beherrscht. Downes (1966) ist<br />
<strong>de</strong>r Meinung, dass <strong>Subkulturen</strong>, die gesellschaftlich akzeptiert wer<strong>de</strong>n, differenziert<br />
betrachtet wer<strong>de</strong>n müssen, von <strong>de</strong>linquenten <strong>Subkulturen</strong>. In manchen Berufsgruppen,<br />
können sich <strong>Subkulturen</strong> bil<strong>de</strong>n und diese wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Gesellschaft an<strong>de</strong>rs<br />
wahrgenommen, als Gruppen, die sich <strong>auf</strong>grund von soziokulturellen Begebenheiten<br />
straffällig verhalten und somit mit <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Normen brechen. Je<strong>de</strong><br />
Subkultur hängt an einer Klassenkultur. Dabei kann sich die Subkultur eng an <strong>de</strong>r<br />
Klassenkultur orientieren, o<strong>de</strong>r gar oppositionell zu dieser sein und etwas Gegensätzliches<br />
bil<strong>de</strong>n. (Vgl. Brake 1981: 17)<br />
Es gibt allerdings auch klar <strong>de</strong>finierte <strong>Subkulturen</strong> mit eklatanten Merkmalen, die<br />
laut Miller (1968) „…ein Spektrum verschie<strong>de</strong>ner Orientierungspunkte, die ungeteilte<br />
Aufmerksamkeit und ein Höchstmaß an emotionaler Zuwendung erfor<strong>de</strong>rn.“ (Brake<br />
1981: e.b.d., zit. nach Miller 1968: 6)<br />
Die oben genannten Kriterien helfen dabei, <strong>Subkulturen</strong> nach Alter, Schichtzugehörigkeit<br />
und speziellen Merkmalen zu ordnen. Be<strong>im</strong> Begriff <strong>de</strong>r jugendlichen Subkul-<br />
11
tur muss man beachten, dass es eklatante Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n Jugendlichen<br />
diverser Schichten und Alterszugehörigkeiten gibt. Jugendliche und Heranwachsen<strong>de</strong><br />
bewegen sich in äußerst heterogenen <strong>Subkulturen</strong>, mit ganz eigenen Werten und<br />
Normen. Sie führen einen ganz speziellen Lebensstil. Man kann nicht von einer einzigen<br />
Jugendkultur ausgehen, in <strong>de</strong>r alle jungen Leute unter Dreißig vereint sind.<br />
Allein schon die Existenz von <strong>Subkulturen</strong> zeigt, wie viele und differenzierte Alternativen<br />
zur vermeintlich dominieren<strong>de</strong>n Kultur bestehen.<br />
Wenn Menschen eigene Wert- und Normvorstellungen haben, eigene Formen <strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>lns entwickeln und diese Handlungsweisen auch organisieren, dann können<br />
<strong>Subkulturen</strong> entstehen. Menschen fin<strong>de</strong>n in <strong>Subkulturen</strong> zueinan<strong>de</strong>r, um Problemlösungen<br />
zu fin<strong>de</strong>n, für kollektive erlebte Anpassungsprobleme, für die es noch keine<br />
Lösung gibt. Downes (1966) gibt zu beachten, dass <strong>Subkulturen</strong> nicht nur innerhalb<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft entstehen können, son<strong>de</strong>rn auch ‚<strong>im</strong>portiert` wer<strong>de</strong>n können, wie<br />
z.B. die Kultur von Immigranten.<br />
Eine Subkultur kann jedoch nur bestehen, wenn die Werte und Normen für ihre Mitglie<strong>de</strong>r<br />
ihre Be<strong>de</strong>utung behalten. Die Subkultur übt Einfluss <strong>auf</strong> die I<strong>de</strong>ntität und die<br />
Vorstellungen <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r aus. Zu<strong>de</strong>m wird ein Rollenverhalten eingeübt und es<br />
fin<strong>de</strong>t eine Befassung mit <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit statt.<br />
Der Begriff Subkultur ist nicht sehr genau. Die verschie<strong>de</strong>nen kulturellen und strukturellen<br />
Elemente wer<strong>de</strong>n nur ungefähr beschrieben und über die Entstehung <strong>de</strong>r<br />
<strong>Subkulturen</strong>, ihre Grenzen, und über ihre Transformationsprozesse ist zu wenig bekannt.<br />
(Vgl. Brake 1981: 17-19)<br />
Subkulturelle Stile<br />
Strukturelle Bedingungen sind die Grundlage für die Entstehung von <strong>Subkulturen</strong>. Je<br />
nach sozialer Lage erleben best<strong>im</strong>mte Gruppen von Personen starke Wi<strong>de</strong>rsprüche in<br />
<strong>de</strong>n herrschen<strong>de</strong>n Bedingungen. Für diese Wi<strong>de</strong>rsprüche scheint es auch keine Lösung<br />
zu geben und so prallt <strong>de</strong>r kulturelle Hintergrund Einzelner <strong>auf</strong> die herrschen<strong>de</strong>,<br />
bürgerliche Kultur und bil<strong>de</strong>t einen Gegensatz zu dieser. Die Bildung einer Subkultur<br />
hängt dabei auch <strong>im</strong>mer von <strong>de</strong>n geschichtlichen Umstän<strong>de</strong>n ab.<br />
Was <strong>Subkulturen</strong> ausmacht, ist ihr Stil. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.)<br />
So schreibt A.K. Cohen (1965):<br />
„Über ein best<strong>im</strong>mtes Verhalten vermittelt sich das Gefühl <strong>de</strong>r Zugehörigkeit zur<br />
Subkultur bzw. wird eine neue Rolle eingenommen. Dies umfasst die Art <strong>de</strong>r getra-<br />
12
genen Kleidung, die Körpersprache, die Art und Weise, wie man sich bewegt, die<br />
Vorlieben und Abneigungen, die Themen, über die man spricht, und die Meinungen,<br />
die man vertritt.“ (Brake 1981: e.b.d., zit. nach Cohen 1965: 1).<br />
Der Stil lässt Rückschlüsse <strong>auf</strong> die Zugehörigkeit einer best<strong>im</strong>mten Subkultur zu und<br />
das Erscheinungsbild allein kann schon als Provokation und Missbilligung <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n<br />
Werte und Normen interpretiert wer<strong>de</strong>n. Der Stil umfasst drei Bestandteile:<br />
a) Image. Das Äußere prägt das Image. Das An<strong>de</strong>rssein wird z.B. in <strong>de</strong>r Frisur, <strong>de</strong>r<br />
Kleidung, Schmuck und ähnlichem ausgedrückt.<br />
b) Haltung. Zur Haltung zählen die Körpersprache, die Art <strong>de</strong>r Bewegungen und <strong>de</strong>r<br />
körperliche Ausdruck <strong>im</strong> Allgemeinen.<br />
c) Jargon. Hier han<strong>de</strong>lt es sich um spezielle Wörter, Slangs und <strong>de</strong>ren Geschichte.<br />
In je<strong>de</strong>r Konsumgesellschaft wer<strong>de</strong>n mit Hilfe <strong>de</strong>r Massenmedien Idole und Stars<br />
kreiert. Das hat zur Folge, dass sich viele normale Bürger, genau wie ihr Star, klei<strong>de</strong>n,<br />
die Sprechweise <strong>im</strong>itieren o<strong>de</strong>r ihre Lie<strong>de</strong>r nachspielen. Sie transformieren so<br />
ihre eigene I<strong>de</strong>ntität. So n<strong>im</strong>mt sich ein Mädchen aus <strong>de</strong>r Arbeiterklasse, als klassenloses<br />
Mädchen wahr, dass sich genau, wie viele an<strong>de</strong>re auch, so stylt, wie Marilyn<br />
Monroe. Bei <strong>Subkulturen</strong> kann man ähnliche Phänomene beobachten. So grenzen<br />
sich <strong>Subkulturen</strong> bewusst durch ihr Image und ihren Stil von <strong>de</strong>m Durchschnittsbürger<br />
ab. Man flüchtet vor <strong>de</strong>r Realität und baut sich eine neue I<strong>de</strong>ntität <strong>auf</strong>, jenseits<br />
von Klassen, Bildung und Berufen. Beson<strong>de</strong>rs wenn man sich in <strong>de</strong>r Hierarchie <strong>de</strong>r<br />
normalen Gesellschaft unten befin<strong>de</strong>t.<br />
Ricoeur (1972) erkennt, dass <strong>Subkulturen</strong> sich von herrschen<strong>de</strong>n Trends abgrenzen.<br />
Über die Interaktion mit an<strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Subkultur bil<strong>de</strong>t sich eine I<strong>de</strong>ntität.<br />
Be<strong>im</strong> Auftreten innerhalb <strong>de</strong>r Subkultur muss <strong>de</strong>r Stil <strong>de</strong>r Person authentisch sein.<br />
Dabei wird viel Wert <strong>auf</strong> das Image und das Auftreten gelegt. Das richtige Auftreten<br />
wird be<strong>im</strong> Umgang mit wichtigen Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Subkultur erlernt. (Vgl. Brake<br />
1981: 19-21)<br />
„Durch unser Äußeres wird eine Vielzahl von Be<strong>de</strong>utungen transportiert. Speziell die<br />
Kleidung drückt eine Menge gleichzeitig aus. Sie verweist <strong>auf</strong> unseren sozialen<br />
Background und unser individuelles Zeichensystem, mittels <strong>de</strong>ssen wir kommunizieren<br />
und unsere Absichten darlegen.“ (Brake 1981: 21, zit. nach Carter 1967)<br />
13
Schon in <strong>de</strong>r Art, wie wir uns klei<strong>de</strong>n, verraten wir, ob wir mit gängigen Normen<br />
übereinst<strong>im</strong>men o<strong>de</strong>r nicht. Auch wenn wir die Kleidung, die wir tragen, für unseren<br />
persönlichen Stil halten, so fließt auch <strong>im</strong>mer, wenn auch in verfrem<strong>de</strong>ter Form, unsere<br />
Umwelt mit ein. Der Verstand spielt dabei kaum eine Rolle, da gewisse Dinge<br />
emotionalisiert wer<strong>de</strong>n. Nach einem ähnlichen Prinzip lässt sich auch <strong>de</strong>r Erfolg von<br />
Filmen, von Werbung, und von Musik erklären. Es wird nicht unbedingt drüber<br />
nachgedacht, son<strong>de</strong>rn es wird sich instinktiv für etwas entschie<strong>de</strong>n. (Vgl. Brake<br />
1981: 21-22)<br />
„Die Ausdrucksmittel weisen auch <strong>auf</strong> einen best<strong>im</strong>mten Lebensstil hin.“ (Brake<br />
1981: 22)<br />
Symbole und Mo<strong>de</strong> können zu Ausdrucksmitteln von <strong>Subkulturen</strong> umfunktioniert<br />
wer<strong>de</strong>n. Dadurch wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zusammenhang und die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Symbolik verän<strong>de</strong>rt.<br />
Ein Beispiel dafür wäre <strong>de</strong>r Kleidungsstil <strong>de</strong>r Teddy Boys, welcher, die ursprüngliche<br />
Symbolik <strong>de</strong>r Kleidung, völlig verfrem<strong>de</strong>t hat. So entsteht ein neuer Stil,<br />
<strong>de</strong>r für die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r Subkultur sehr wichtig ist und dabei die modischen Attribute<br />
von ihrer ursprünglichen Be<strong>de</strong>utung befreit. Die Mitglie<strong>de</strong>r eine Subkultur erkennen<br />
an<strong>de</strong>re Mitglie<strong>de</strong>r daran, dass diese, die modischen Attribute öffentlich verwen<strong>de</strong>n.<br />
(Vgl. Brake 1981: 22-23)<br />
„Willis (1972) weist dar<strong>auf</strong> hin, dass zwischen Objekten, ihrer neuen Be<strong>de</strong>utung und<br />
<strong>de</strong>n Verhaltensformen ein innerer Zusammenhang, eine „Homologie“ (<strong>im</strong> Sinne von<br />
Levis-Strauss), besteht.“ (Brake 1981: 23)<br />
<strong>Subkulturen</strong>, soziale Wirklichkeit und I<strong>de</strong>ntität<br />
Die Stile von <strong>Subkulturen</strong> sind <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r einen Seite eine Scheinlösung, für die <strong>im</strong> System<br />
enthaltenen Wi<strong>de</strong>rsprüche und <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite bieten sie <strong>de</strong>m Individuum<br />
die Möglichkeit, eine unabhängige I<strong>de</strong>ntität zu bil<strong>de</strong>n und ein besseres Selbstwertgefühl<br />
<strong>auf</strong>zubauen. Welcher Subkultur das Individuum beitritt, hängt stark vom Zufall<br />
ab. (Vgl. Brake 1981: 23)<br />
„Empirisch lässt sich jedoch <strong>de</strong>r Eintritt in eine best<strong>im</strong>mte Subkultur <strong>auf</strong> Schichtenzugehörigkeit,<br />
soziales Umfeld (community), Ausbildung und die damit verbun<strong>de</strong>nen<br />
Chancen zurückführen.“ (Brake 1981: e.b.d.)<br />
Wie intensiv die Bindung an die Subkultur ist und wie stark <strong>de</strong>r subkulturelle Lebensstil<br />
ausgelebt wird, ist allerdings höchstverschie<strong>de</strong>n und variiert unter <strong>de</strong>n diversen<br />
Mitglie<strong>de</strong>rn. Eine ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle spielt das Alter, da es oft junge Leu-<br />
14
te sind, die einer Subkultur beitreten. In dieser Zeit herrscht viel Bewegung <strong>im</strong> Leben<br />
<strong>de</strong>r jungen Leute und sie befin<strong>de</strong>n sich of <strong>im</strong> Entwicklungsstadium zwischen <strong>de</strong>m<br />
Been<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Schule, <strong>de</strong>n Beginn einer Ausbildung bzw. das Eintreten in das Berufsleben<br />
und <strong>de</strong>r Heirat. In dieser Entwicklungsphase fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Subkultur eine Nachsozialisation<br />
statt. (Vgl. Brake 1981: 24)<br />
„Berger/Luckman (1969) weisen dar<strong>auf</strong> hin, dass sich Verhaltensmuster in <strong>de</strong>r Pr<strong>im</strong>ärsozialisation<br />
quasi über eine Manipulation herausbil<strong>de</strong>n, d.h. unter Ausnutzung<br />
<strong>de</strong>r kulturellen Abhängigkeit….“ (Brake 1981: e.b.d.)<br />
Über die Pr<strong>im</strong>ärsozialisation wachen begrenzte Bezugspersonen. Diese Bezugspersonen<br />
müssen vom Kind akzeptiert wer<strong>de</strong>n. Da die Auswahl <strong>de</strong>r Erwachsenen äußerst<br />
begrenzt ist, hat das Individuum keine Probleme, sich mit <strong>de</strong>ren Weltanschauung<br />
zu i<strong>de</strong>ntifizieren. Das Kind kennt schlicht keine an<strong>de</strong>re Welt, es kennt die Vielfalt<br />
<strong>de</strong>r Welt nicht, son<strong>de</strong>rn nur die Welt <strong>de</strong>r Bezugspersonen. So wird diese Welt,<br />
die von <strong>de</strong>n Erwachsenen vermittelt wird, als die einzige Welt die existiert: Die Welt<br />
„tout court“ (Vgl. Brake 1981: e.b.d.).<br />
„Kin<strong>de</strong>r nehmen die Welt somit wahr, ohne einen Begriff von <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r sozialen<br />
Wirklichkeit zu haben.“ (Brake 1981: e.b.d.)<br />
Im Umgang mit <strong>de</strong>n Eltern o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren wichtigen Bezugspersonen entsteht eine<br />
wechselseitige Beziehung. In dieser verinnerlichen die Kin<strong>de</strong>r die Verhaltensweisen<br />
<strong>de</strong>r Eltern. Soziale Institutionen wer<strong>de</strong>n laut Berger und Luckmann Teil <strong>de</strong>r Symbolwelt.<br />
In dieser Symbolwelt scheint alles einen Sinn zu haben und sie wird als die einzige<br />
Welt akzeptiert, die es gibt. Das Kind empfin<strong>de</strong>t die Merkmale dieser Symbolwelt<br />
als ‚objektive’ Wahrheit. So entwickelt das Kind ein Ordnungssystem und vermei<strong>de</strong>t<br />
so eine chaotische Wahrnehmung <strong>de</strong>r Außenwelt. Das Kind beginnt eine Vorstellung<br />
zu entwickeln, wie die Welt funktioniert und wie sie sein sollte. Doch da auch die<br />
Symbolwelt nicht perfekt ist, müssen Fehler und Abweichungen von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>alvorstellung<br />
geleugnet wer<strong>de</strong>n. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.)<br />
Mary Douglas (1970) ist <strong>de</strong>r Meinung, dass es eine <strong>de</strong>r Aufgaben von Kultur ist, die<br />
Symbolwelt in öffentlich akzeptierte Verhaltensweisen zu zerkleinern:<br />
„Kultur stellt ein Bin<strong>de</strong>glied zwischen <strong>de</strong>n in einer Gemeinschaft existieren<strong>de</strong>n<br />
Wertmaßstäben und <strong>de</strong>m Individuum dar. Man wird in dieses fundamentale Kategoriensystem,<br />
in einen positiven Bezugsrahmen, hineingeboren. Ansichten und Wertmaßstäbe<br />
sind darin fein säuberlich geordnet. Die herrschen<strong>de</strong> Kultur verfügt über<br />
15
ausreichend Autorität, um über ihre Werte individuelle Anpassung zu produzieren.<br />
Das geht jedoch noch weiter, <strong>de</strong>nn konformes Verhalten einzelner fin<strong>de</strong>t schließlich<br />
<strong>im</strong>mer Nachahmer. Der öffentliche Charakter <strong>de</strong>r Kultur macht sie so zum repressiven<br />
Instrument.“ (Brake 1981: 24, zit. nach Douglas 1970: 102)<br />
Sie ist auch <strong>de</strong>r Meinung, dass Verhalten, welches von <strong>de</strong>r Stammkultur abweicht,<br />
entwe<strong>de</strong>r positive o<strong>de</strong>r negative Resonanzen zur Folge hat.<br />
Moral spielt in <strong>de</strong>r westlichen Welt eine große Rolle und beinhaltet grundlegen<strong>de</strong><br />
Werte. Diese Werte sind für best<strong>im</strong>mte Personen essentiell und nicht zu hinterfragen.<br />
Diese Menschen lassen es nicht zu, dass best<strong>im</strong>mte Werte in Frage gestellt wer<strong>de</strong>n<br />
und nutzen <strong>de</strong>n Moralbegriff für ihre Sicht <strong>de</strong>r Dinge aus. (Vgl. Brake 1981: 25)<br />
„Für diese Personen sind sie unumstrittener und absoluter Teil <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit.“<br />
(Brake 1981: e.b.d.)<br />
Eine Abweichung von Werten, die von großen Teilen <strong>de</strong>r Gesellschaft, vom Moralbegriff<br />
gestützt wer<strong>de</strong>n, be<strong>de</strong>utet nichts an<strong>de</strong>res, als das die Richtigkeit <strong>de</strong>r Symbolwelt<br />
angezweifelt wird. Soziale Außenseiter wer<strong>de</strong>n als Ausgestoßene gesehen, da<br />
sie die Symbolwelt <strong>de</strong>r Mehrheit nicht akzeptieren. Immigranten wer<strong>de</strong>n zu Außenseitern,<br />
da sich ihre Kultur teilweise eklatant von <strong>de</strong>r Stammkultur unterschei<strong>de</strong>t.<br />
Durch das Leugnen <strong>de</strong>r Symbolwelt, bzw. durch die differenzierte Auslebung von<br />
Kultur, wird die Definition <strong>de</strong>r Wirklichkeit, <strong>de</strong>r Befürworter, <strong>de</strong>r Stammkultur in<br />
Frage gestellt. Diese Meinung vertreten Berger und Luckman (1969).<br />
<strong>Subkulturen</strong> verleihen <strong>de</strong>r Abweichung eine Begründung, eine Struktur und eine I<strong>de</strong>ologie.<br />
<strong>Subkulturen</strong> stellen die Gültigkeit <strong>de</strong>r Symbolwelt in Frage und wirken sich<br />
durch ihre offene Herausfor<strong>de</strong>rung an die Gesellschaft, attraktiv <strong>auf</strong> neue Möchtegernmitglie<strong>de</strong>r<br />
aus. Der Neuling verän<strong>de</strong>rt durch die Werte und Normen <strong>de</strong>r Subkultur<br />
sein Selbstbild. Glaser (1966) spricht in diesem Fall von <strong>de</strong>r ‚differentiellen I<strong>de</strong>ntifikation’.<br />
Wenn jemand versucht, die strukturellen Probleme seiner Schicht hinter sich zu lassen,<br />
in<strong>de</strong>m er, über <strong>de</strong>n Einstieg in eine Subkultur, sein Selbstwertgefühl verbessert,<br />
dann kann man von einer positiven Orientierung an eine subkulturelle Bezugsgruppe<br />
sprechen. Die Gesellschaft wird nun aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Subkultur betrachtet. Das<br />
Weltbild verän<strong>de</strong>rt sich und die soziale Wirklichkeit wird an<strong>de</strong>rs ausgelegt. (Vgl.<br />
Brake 1981: 24-26)<br />
„So gesehen sind die <strong>Subkulturen</strong> wichtige außerfamiliäre Sozialisationsinstanzen.<br />
Sie zeigen an, daß das Leben nicht in Arbeit und Schule <strong>auf</strong>geht.“ (Brake 1981: 26)<br />
16
Die Symbolwelt lässt nicht nur Raum, für die Interpretation <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit,<br />
son<strong>de</strong>rn sie bietet auch moralische Orientierungspunkte. Diese können sich allerdings<br />
verän<strong>de</strong>rn, da sie nicht statisch sind. Der Orientierungsrahmen <strong>de</strong>r Symbolwelt,<br />
wird durch die alternativen Handlungs- und Lebensweisen <strong>de</strong>r Subkultur, <strong>im</strong>mer<br />
weiter. Deviantes Verhalten wird weitgehend integriert und es wer<strong>de</strong>n zwangsläufig<br />
neue I<strong>de</strong>en und Vorstellungen <strong>auf</strong>genommen. Allerdings bleibt die Subkultur<br />
ein Fremdkörper, <strong>de</strong>n man nicht einschätzen kann. Die vorherrschen<strong>de</strong> Sicht <strong>de</strong>r<br />
Realität wird von <strong>de</strong>r Subkultur akzeptiert, und trotz<strong>de</strong>m verkörpert sie die Devianz<br />
und das An<strong>de</strong>rssein. (Vgl. Brake 1981: e.b.d.)<br />
„Dem Konzept <strong>de</strong>r Subkultur liegen <strong>de</strong>mnach best<strong>im</strong>mte intragesellschaftlich vermittelte<br />
und erfahrene Ängste und Unsicherheiten gegenüber <strong>de</strong>m „Frem<strong>de</strong>n“ zugrun<strong>de</strong>;<br />
Subkulturforschung ist <strong>im</strong>mer auch Ethnologie <strong>im</strong> eigenen Land, Erforschung <strong>de</strong>s<br />
Unberechenbaren und oft Unverständlichen; Reaktion <strong>auf</strong> bisher unbekannte Phänomene<br />
und Provokationen – mit <strong>de</strong>m Ziel: Nachvollziehen, Verstehen, Beeinflussen,<br />
Kontrollieren, Integrieren, Kolonialisieren.“ (Griese 2000: 28)<br />
Die Entwicklung eines theoretischen Bezugsrahmens zur Untersuchung von<br />
<strong>Subkulturen</strong><br />
Becker (1963) ist <strong>de</strong>r Meinung, dass es bei Forschungen zu Abweichungen nötig ist,<br />
die Verän<strong>de</strong>rung von Moralbegriffen zu beachten, und eine Analyse eines solchen<br />
Prozesses durchzuführen.<br />
Lemert (1951) gibt noch an<strong>de</strong>re Punkte an, die man bei einem Bezugsrahmen für<br />
<strong>Subkulturen</strong> beachten sollte:<br />
1. Der Charakter <strong>de</strong>s abweichen<strong>de</strong>n sozialen Verhaltens. Hierbei wird differenziert<br />
zwischen „normalen“ und abweichen<strong>de</strong>m Verhalten. Zu<strong>de</strong>m wird das Verhältnis <strong>de</strong>r<br />
Subkultur zur Gesellschaft beleuchtet und wie die Interaktionen innerhalb <strong>de</strong>r Subkultur<br />
abl<strong>auf</strong>en.<br />
2. Die Reaktion <strong>de</strong>r Öffentlichkeit <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Außenseiter. Hier wird speziell dar<strong>auf</strong><br />
geachtet, wie die Massenmedien die öffentliche Meinung zu <strong>de</strong>m Phänomen Subkultur<br />
prägen? Wird die Subkultur stigmatisiert, toleriert o<strong>de</strong>r abgelehnt?<br />
3. Die Geschichte <strong>de</strong>r Außenseiter. Hier wird <strong>auf</strong> die Sozialisationsbedingungen eingegangen.<br />
Zu<strong>de</strong>m wird hinterfragt, wie sich die I<strong>de</strong>ntität bzw. die gewisse Auffassungen<br />
verän<strong>de</strong>rt haben.<br />
17
4. Die soziale Stellung <strong>de</strong>s Außenseiters. Welcher Beruf wird ausgeübt und welches<br />
Einkommen wird erzielt? Liegt hier ein Grund für abweichen<strong>de</strong>s Verhalten vor?<br />
(Vgl. Brake 1981: 26-27)<br />
„Je<strong>de</strong>r theoretische Bezugsrahmen beinhaltet naturgemäß die Art <strong>de</strong>s Einstiegs in die<br />
Subkultur und das Verhältnis <strong>de</strong>r Subkultur zu Gesellschaft, d.h. die vielfältigen sozio-kulturellen<br />
Abhängigkeiten.“ (Brake 1981: 27)<br />
Individuelles abweichen<strong>de</strong>s Verhalten muss bei solchen Untersuchungen ebenfalls<br />
berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Die öffentliche Reaktion <strong>auf</strong> die Devianz muss genau so betrachtet<br />
wer<strong>de</strong>n, wie strukturelle und sozialpsychologische Faktoren. Soziale Konfliktfel<strong>de</strong>r<br />
und an<strong>de</strong>re Ursachen für abweichen<strong>de</strong>s Verhalten, müssen ebenso erforscht<br />
wer<strong>de</strong>n. Forschungen über <strong>Subkulturen</strong> sollten sich an einen Bezugsrahmen<br />
halten, <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>rmaßen <strong>auf</strong>gebaut ist:<br />
1. Der Charakter <strong>de</strong>r Subkultur<br />
a) Hier muss analysiert wer<strong>de</strong>n, wie sich die Subkultur unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s<br />
sozio-ökonomischen Umfel<strong>de</strong>s entwickelt hat.<br />
b) Das Image und <strong>de</strong>r Stil <strong>de</strong>r Subkultur muss analysiert wer<strong>de</strong>n und zu<strong>de</strong>m wird die<br />
Attraktivität <strong>auf</strong> potentielle Neueinsteiger beleuchtet und welche Lösungen für Probleme<br />
angeboten wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Die öffentliche Reaktion <strong>auf</strong> die Subkultur<br />
Hier muss geprüft wer<strong>de</strong>n, wie die Massenmedien <strong>auf</strong> die Subkultur reagieren. Zu<strong>de</strong>m<br />
muss beachtet wer<strong>de</strong>n, ob die Medien das Verhalten <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r genau sowie<br />
wichtige Bezugspersonen beeinflussen können. Außer<strong>de</strong>m spielt auch die moralische<br />
Instanz, die in Form <strong>de</strong>r Medien vertreten wird, eine große Rolle.<br />
3. Das Sozialgefüge <strong>de</strong>r Subkultur<br />
Hier geht es um die Normen, Werte, Metaphern und Verhaltensweisen <strong>de</strong>r Subkultur<br />
und ihr Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit.<br />
4. Kontinuität und Diskontinuität <strong>de</strong>r Subkultur.<br />
Hier wer<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungsprozesse einer Subkultur näher beleuchtet, da die wenigsten<br />
<strong>Subkulturen</strong> über Jahre unverän<strong>de</strong>rt bestehen. Es wird analysiert, wieso sich die<br />
Außendarstellung einer Subkultur verän<strong>de</strong>rt hat und wie mit generationsspezifischen<br />
Verän<strong>de</strong>rungen umgegangen wird. (Vgl. Brake 1981: 27-29)<br />
18
Die Jugend wird zum sozialen Problem – die Entwicklung <strong>de</strong>s Subkultur-<br />
Konzepts in <strong>de</strong>r Deliquenzforschung und <strong>de</strong>r Aufstieg <strong>de</strong>r Jugendkultur<br />
Jugendliche sind von wirtschaftlichen Krisen, Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Berufsstruktur und<br />
<strong>de</strong>s Ausbildungssektors beson<strong>de</strong>rs betroffen. Die Zugehörigkeit zu best<strong>im</strong>mten<br />
Schichten und die Generationszugehörigkeit spielen auch eine Rolle. Jugendliche<br />
<strong>Subkulturen</strong>, die zu <strong>de</strong>vianten Verhalten neigen, kommen meistens aus <strong>de</strong>r Unterschicht,<br />
da gera<strong>de</strong> die Kin<strong>de</strong>r von Arbeitern stark von ökonomischen Krisen betroffen<br />
sind. Bei <strong>de</strong>r Analyse von <strong>Subkulturen</strong> müssen drei Faktoren ausdifferenziert<br />
wer<strong>de</strong>n. (Vgl. Brake 1981: 30-31)<br />
„Erstens, historisch gesehen, spezifische Probleme innerhalb einer Klassenfraktion;<br />
zweitens die Subsysteme, also <strong>Subkulturen</strong>, und die aktuellen Transformationsprozesse,<br />
die sie durchl<strong>auf</strong>en; und drittens die Art und Weise, wie die Subkultur von<br />
innen heraus gestaltet und gelebt wird.“ (Brake 1981: 31)<br />
Jugendliche fin<strong>de</strong>n meistens gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schulzeit zu <strong>Subkulturen</strong>, da sie einen<br />
emotionalen Rückhalt darstellen, <strong>de</strong>r <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>r schlechten Perspektiven <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m<br />
Arbeitsmarkt dringend benötigt wird. Die Subkultur stellt hierbei nur eine Scheinlösung<br />
für real existieren<strong>de</strong> Probleme dar. Matza (1962) sieht die Zeit <strong>de</strong>r Jugend als<br />
eine Zeit an, in <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>r rebelliert. Dabei differenziert er in drei kulturellen Ausdrucksformen:<br />
Radikalismus, Delinquenz und Bohéme. Brake hingegen beobachtete<br />
vier Hauptgruppen:<br />
1. Angepasste Jugendliche<br />
Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich um konforme Jugendliche, die sich zwar nach <strong>de</strong>r neuesten<br />
Mo<strong>de</strong> klei<strong>de</strong>n, aber damit nichts zum Ausdruck bringen wollen und nie Kontakt zu<br />
einer Jugendkultur hatten.<br />
2. Delinquente Jugendliche<br />
Delinquente Jugendliche kommen meistens aus <strong>de</strong>r Unterschicht und sind männlich.<br />
Bei ihren Vergehen geht es meistens um Körperverletzung, Diebstahl und Sachbeschädigung.<br />
Bei diesen Jugendlichen spiegelt sich meistens die soziale Lage <strong>de</strong>r Eltern<br />
und <strong>de</strong>ren kultureller Horizont.<br />
3. Kulturrebellen<br />
Diese Jugendlichen stammen meistens aus <strong>de</strong>r Mittelschicht und sie haben ein Interesse<br />
am Lebensstil <strong>de</strong>r Bohème. Sie bewun<strong>de</strong>rn Literatur und Künstler, doch sind<br />
meistens Außenstehen<strong>de</strong>, da sie selber nie künstlerisch tätig wer<strong>de</strong>n.<br />
4. Politisch militante Jugendliche<br />
19
Bei dieser Gruppe han<strong>de</strong>lt es sich um Jugendliche, die in Organisationen, Bürgerinitiativen<br />
und Ähnlichem politisch engagiert sind und ihre Ziele teils auch durch militante<br />
Aktionen erreichen wollen. Bei <strong>de</strong>n Gruppen kann es sich um Massenbewegungen<br />
han<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r um spezifische, politische Fraktionen. Bei <strong>de</strong>n Gruppen kann es<br />
sich auch um ethnische Min<strong>de</strong>rheiten han<strong>de</strong>ln, wie z.B. bei <strong>de</strong>n Black Panthern o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Young Lords (radikale Puertoricaner) in <strong>de</strong>n USA. (Vgl. Brake 1981: 31-32)<br />
<strong>Subkulturen</strong> wer<strong>de</strong>n für Jugendliche interessant, wenn folgen<strong>de</strong> Ausgangspunkte<br />
vorliegen:<br />
1. <strong>Subkulturen</strong> bieten eine Scheinlösung für Wi<strong>de</strong>rsprüche <strong>im</strong> Wirtschaftssystem und<br />
strukturelle Probleme. Ökonomische Probleme wirken sich oft schichtspezifisch aus,<br />
wer<strong>de</strong>n aber als Generationskonflikt wahrgenommen.<br />
2. Die Jugendlichen erlangen über die Subkultur eine neue I<strong>de</strong>ntität, da die klassischen<br />
Orientierungspunkte wie Schule, Beruf und Familie nicht mehr genügend Sinn<br />
stiften. Die Jugendlichen können sich eher mit <strong>de</strong>n Symbolen, I<strong>de</strong>ologien und Lebensstilen<br />
<strong>de</strong>r <strong>Subkulturen</strong> i<strong>de</strong>ntifizieren.<br />
3. In <strong>Subkulturen</strong> wer<strong>de</strong>n alternative Lebensweisen, <strong>im</strong> Vergleich zur sonstigen sozialen<br />
Wirklichkeit, gelebt. Die Kultur kann sowohl vom sozialen Umfeld best<strong>im</strong>mt<br />
wer<strong>de</strong>n, als auch von <strong>de</strong>n Massenmedien.<br />
4. Der subkulturelle Lebensstil wird als sinnvoll empfun<strong>de</strong>n und bietet einen Kontrast<br />
zur stumpfen, monotonen Arbeitswelt.<br />
5. <strong>Subkulturen</strong> be<strong>de</strong>uten beson<strong>de</strong>rs für männliche Jugendliche einen individuellen<br />
Ausweg aus schwerwiegen<strong>de</strong>n Problemen. Gera<strong>de</strong> junge Männer aus <strong>de</strong>r Arbeiterklasse<br />
fin<strong>de</strong>n über <strong>Subkulturen</strong> zu einer neuen I<strong>de</strong>ntität.<br />
Das frühe Erwachsenenalter und in <strong>de</strong>r Adoleszenz können als sekundäre Sozialisationsphase<br />
angesehen wer<strong>de</strong>n, da junge Menschen ihre Umwelt erkun<strong>de</strong>n, neue I<strong>de</strong>en<br />
entwickeln und neue Werte bil<strong>de</strong>n. (Vgl. Brake 1981: 32-33) Gesellschaftskritik von<br />
Heranwachsen<strong>de</strong>n wird meist nicht ernst genommen und so schreibt Berger (1963)<br />
dazu:<br />
„Durch die Annahme einer „Übergangsphase bei Heranwachsen<strong>de</strong>n“ beschönigt man<br />
funktionale Probleme einer Gesellschaft, <strong>de</strong>ren Integrationsfähigkeit vielmehr einer<br />
Kritik unterzogen wer<strong>de</strong>n sollte. Befin<strong>de</strong>n sich die Jugendlichen lediglich in einem<br />
„Durchgangsstadium“, dann müssen Erwachsene ihr Verhalten ihnen gegenüber<br />
20
nicht selbstkritisch reflektieren, <strong>de</strong>nn früher o<strong>de</strong>r später wer<strong>de</strong>n „die ja schon vernünftig<br />
wer<strong>de</strong>n.““ (Brake 1981: 35, zit. nach Berger 1963a: 407)<br />
Wenn die mittlerweile erwachsen gewor<strong>de</strong>nen Heranwachsen<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer noch nicht<br />
„vernünftig“ sind und mit Selbstvertrauen die gesellschaftlichen Normen missachten,<br />
dann kann für die Gesellschaft ein ernstes Problem entstehen. <strong>Subkulturen</strong> be<strong>de</strong>uten<br />
für Jugendliche aus <strong>de</strong>n unteren Schichten, dass sie sich einen Freiraum erschaffen<br />
haben, <strong>de</strong>n Jugendliche aus <strong>de</strong>r Mittelschicht, in <strong>de</strong>r Universität fin<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong><br />
wird <strong>de</strong>r erkämpfte Freiraum genossen und man ist offen für neue I<strong>de</strong>en.<br />
Der Kampf für gesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungen wird als sinnvoll erachtet, <strong>de</strong>nn<br />
<strong>Subkulturen</strong> haben einen rebellischen Charakter. Meistens bleibt es bei <strong>de</strong>r rebellischen<br />
Haltung und es folgen dar<strong>auf</strong> keine entsprechen<strong>de</strong>n Taten. (Vgl. Brake 1981:<br />
35-36)<br />
„Dennoch enthalten sie <strong>de</strong>n Ke<strong>im</strong> eines radikalen Dissenz mit <strong>de</strong>r Gesellschaft.“<br />
(Brake 1981: 36)<br />
Die Ordnungshüter sind sich <strong>de</strong>ssen durchaus bewusst und empfin<strong>de</strong>n gewisse Handlungsweisen<br />
von <strong>Subkulturen</strong> als bedrohlich, was auch nicht unbegrün<strong>de</strong>t ist, da diese<br />
Gruppen politisch extrem nach links o<strong>de</strong>r rechts tendieren können. Solange rebellisches<br />
Verhalten von Jugendlichen <strong>de</strong>n Stempel „Übergangsphase“ <strong>auf</strong>gedrückt bekommt,<br />
kann man die wahren Ursachen weiterhin bequem ignorieren. (Vgl. Brake<br />
1981: e.b.d.)<br />
Zwischenresümee<br />
Brake sagt, dass je<strong>de</strong> komplexe Gesellschaft aus diversen Kulturen besteht und es<br />
<strong>im</strong>mer <strong>Subkulturen</strong> bzw. Untergruppen gibt. Diese müssen gegen die dominante Kultur<br />
bestehen und sich und ihren Lebensstil behaupten. Kein Individuum kann ohne<br />
an<strong>de</strong>re soziale Kontakte überleben, da sich durch die wechselseitige Beziehung zu<br />
an<strong>de</strong>ren Menschen die eigene I<strong>de</strong>ntität herausbil<strong>de</strong>t. Die Werte <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n<br />
Kultur dienen als Leitfa<strong>de</strong>n. Die sozialen Rahmenbedingungen wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />
Lage best<strong>im</strong>mt. Laut Brake hängen <strong>Subkulturen</strong> <strong>im</strong>mer an Klassenkulturen.<br />
Dabei kann die Subkultur sich an <strong>de</strong>r Klassenkultur orientieren, von dieser abweichen,<br />
o<strong>de</strong>r eine Opposition zu dieser darstellen. Jugendliche wachsen unter <strong>de</strong>n<br />
heterogensten Lebensumstän<strong>de</strong>n <strong>auf</strong> und so können sich die differenzierten Lebensstile<br />
mit ihren Werten und Normen eklatant voneinan<strong>de</strong>r unterschei<strong>de</strong>n. Es gibt keine<br />
einheitliche Jugendkultur. Brake schreibt, dass die strukturellen Bedingungen einer<br />
21
Gesellschaft verantwortlich sind für die Bildung von <strong>Subkulturen</strong>. Jugendliche erleben<br />
Wi<strong>de</strong>rsprüche und Ungerechtigkeiten, für die es keine Lösung gibt. Durch einen<br />
best<strong>im</strong>mten Stil drücken die Jugendlichen die Zugehörigkeit zu einer Subkultur aus<br />
und allein schon das Aussehen, kann als Ablehnung <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Kultur angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Brake nennt drei Bestandteile <strong>de</strong>s Stils: Das Image, die Haltung und <strong>de</strong>n Jargon.<br />
Be<strong>im</strong> Image han<strong>de</strong>lt es sich um die Frisur, die Kleidung und allgemein das Äußere.<br />
Zu <strong>de</strong>r Haltung zählt Brake die Körpersprache, die Art <strong>de</strong>r Bewegungen und <strong>de</strong>n<br />
körperlichen Ausdruck <strong>im</strong> Allgemeinen. Das lässt durchaus Raum für Kritik, da Brake<br />
bei <strong>de</strong>r Haltung überhaupt nicht <strong>auf</strong> die Weltanschauung eingeht. Mit <strong>de</strong>m Jargon<br />
sind spezielle Wörter, Slangs und <strong>de</strong>ren Geschichte gemeint. Die Ausdrucksmittel<br />
verkörpern einen best<strong>im</strong>mten Lebensstil. An <strong>de</strong>n modischen Attributen erkennen<br />
Mitglie<strong>de</strong>r einer Subkultur Gleichgesinnte. Wie intensiv die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Lebensstil<br />
<strong>de</strong>r Sukultur ausleben, ist höchst individuell. Meist treten junge Leute einer Subkultur<br />
bei, die sich in einer Entwicklungsphase befin<strong>de</strong>n, wie z.B. vor <strong>de</strong>r Beendigung<br />
<strong>de</strong>r Schule, <strong>de</strong>m Beginn einer Ausbildung o<strong>de</strong>r kurz vor <strong>de</strong>m Eintritt in das<br />
Berufsleben. In <strong>de</strong>r Subkultur fin<strong>de</strong>t eine Nachsozialisaton statt. <strong>Subkulturen</strong> bieten<br />
eine I<strong>de</strong>ologie, eine Begründung und eine Struktur zur Abweichung von <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n<br />
Kultur. Das macht <strong>de</strong>n Reiz für potentielle Mitglie<strong>de</strong>r aus. Durch <strong>de</strong>n Eintritt<br />
in eine Subkultur versucht das Indidviduum, eine neue I<strong>de</strong>ntität <strong>auf</strong>zubauen, und<br />
die stukturellen Probleme seiner Schicht hinter sich zu lassen. So sind <strong>Subkulturen</strong><br />
wichtige Sozialisationsinstanzen, da hier Werte und Normen jenseits von Schule und<br />
Beruf <strong>auf</strong>gebaut wer<strong>de</strong>n. Die Subkultur stellt eine Scheinlösung dar für die realen,<br />
strukturellen Probleme <strong>de</strong>s Individuums. <strong>Subkulturen</strong> sind beson<strong>de</strong>rs interessant für<br />
Jungendliche, die aus Familie, Beruf und Schule keinen Sinn für sich ziehen können.<br />
<strong>Subkulturen</strong> sind interessant für Jugendliche, die <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Suche nach alternativen<br />
Lebensweisen sind. <strong>Subkulturen</strong> ziehen auch Jugendliche an, die einen starken Kontrast<br />
zum monotonen, langweiligen Arbeitsalltag suchen. Zu<strong>de</strong>m be<strong>de</strong>uten <strong>Subkulturen</strong><br />
Freiheit für Jugendliche aus <strong>de</strong>n unteren Schichten, die Jugendliche <strong>de</strong>r oberen<br />
Schichten <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Universität fin<strong>de</strong>n.<br />
22
Zum Begriff Szene<br />
„Szenen, <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Basis jugendlichen Sprachgebrauchs und unter Berücksichtigung<br />
einschlägiger theoretischer Literatur (v.a. Irwin 1977 und Schulze 1992) – vorläufig<br />
– i<strong>de</strong>altypisierend <strong>de</strong>finiert, sollen heißen: Thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke<br />
von Personen, die best<strong>im</strong>mte materiale und/o<strong>de</strong>r mentale Formen <strong>de</strong>r kollektiven<br />
Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen<br />
Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher<br />
2001: 20)<br />
Szenen sind Gesinnungsgemeinschaften, thematisch fokussierte Netzwerke, sowie<br />
kommunikative und interaktive Teilzeit-Gestaltungsformen<br />
Jugendliche suchen an<strong>de</strong>re Jugendliche, die ihre Gesinnungen, Lei<strong>de</strong>nschaften und<br />
Interessen teilen. Solche Gesinnungsfreun<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer öfter in Szenen (z.B. die<br />
Gothic Szene, die Skater Szene etc.) gefun<strong>de</strong>n, und nicht mehr in <strong>de</strong>r Schulklasse,<br />
<strong>de</strong>m Sportverein o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Nachbarschaft. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001:<br />
e.b.d.)<br />
Szenen haben <strong>im</strong>mer ein zentrales Thema. Dabei können sich die Themen über Musik,<br />
politischen Einstellungen, Konsumartikel, Sport bis zu best<strong>im</strong>mten Weltanschauungen<br />
drehen. Die Szenegänger verbin<strong>de</strong>t das gemeinsame Interesse am Szenethema<br />
und sie sind vertraut mit <strong>de</strong>n typischen Einstellungen und Handlungsweisen<br />
<strong>de</strong>r Szene. Das Szenethema bil<strong>de</strong>t einen Rahmen für Gemeinsamkeiten, Einstellungen<br />
und Handlungsweisen, dominiert allerdings nicht zwangsläufig <strong>de</strong>n Alltag einer<br />
Szene. Um diesen Rahmen (z.B. die Politik in <strong>de</strong>r Antifaszene) fin<strong>de</strong>n diverse Interaktionen<br />
und Kommunikation statt. In <strong>de</strong>r Szene, um die Szene herum und darüber<br />
hinaus. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 20-21)<br />
Kommunikation und Interaktion prägen durch ihre zentrale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>n Begriff<br />
<strong>de</strong>r Szene. Die Lebensumstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Szenemitglie<strong>de</strong>r sind oft heterogen und keineswegs<br />
kollektiv. Daher ist die Existenz <strong>de</strong>r Szene gebun<strong>de</strong>n an die ständige Kommunikation<br />
und die Erzeugung gemeinsamer Interessen. Die Zugehörigkeit zur Szene<br />
wird dabei durch best<strong>im</strong>mte Rituale, Zeichen und Symbole inszeniert. (Vgl. Hitzler,<br />
Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 21)<br />
„Vor allem in diesem Sinne läßt sich eine Szene mithin als Netzwerk von Personen<br />
verstehen, die best<strong>im</strong>mte materiale und/o<strong>de</strong>r mentale Formen <strong>de</strong>r kollektiven (Selbst)<br />
23
Stilisierung teilen und diese Gemeinsamkeiten kommunikativ stabilisieren, modifizieren<br />
o<strong>de</strong>r transformieren.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: e.b.d.)<br />
In <strong>de</strong>n diversen Szenen gibt es allerdings <strong>de</strong>utliche Unterschie<strong>de</strong> zur Reichweite <strong>de</strong>r<br />
Szenenzugehörigkeit. Während Punks sich meistens in sehr vielen Lebensbereichen<br />
wie Punks benehmen, gibt die Technoszene zum Vergleich keine Verhaltensmuster<br />
außerhalb <strong>de</strong>r Szene vor. Die Gemeinsamkeit aller Szenen beruht <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
religiösen Gemeinschaften dar<strong>auf</strong>, dass sie nie in allen Lebensbereichen Normen<br />
o<strong>de</strong>r Werte vorgeben. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: e.b.d.)<br />
Szenen dienen <strong>de</strong>r sozialen Verortung, haben ihre eigene Kultur und sind labile<br />
Gebil<strong>de</strong><br />
„Szenen sind <strong>im</strong> schlichten Wortsinn ‚Inszenierungsphänomene’, <strong>de</strong>nn sie manifestieren<br />
sich für ‚Mitglie<strong>de</strong>r’ und für Außenstehen<strong>de</strong> nur insofern, als sie ‚sichtbar’<br />
sind, d.h. an Orten, an <strong>de</strong>nen Kommunikation und Interaktion stattfin<strong>de</strong>n.“ (Hitzler,<br />
Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 22)<br />
Die Beteiligung an einer Szene erfor<strong>de</strong>rt die Präsenz <strong>de</strong>r Akteure, die kommunikativ<br />
o<strong>de</strong>r auch interaktiv sein kann. So wird die Abgrenzung zu einem Publikum erreicht,<br />
welches lediglich ein best<strong>im</strong>mtes Erlebnisangebot konsumiert. Für eine Szene ist ein<br />
Publikum <strong>im</strong>mer sehr wichtig, da die Szenegänger sich vor <strong>de</strong>r Allgemeinheit <strong>im</strong>mer<br />
wie<strong>de</strong>r neu inszenieren und „<strong>auf</strong>treten“ können. Szenen leben von <strong>de</strong>r Wahrnehmung<br />
<strong>de</strong>r Außenstehen<strong>de</strong>n, die die Szenegänger <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>r von ihnen erwählten Symbole,<br />
Rituale und Verhaltensweisen erkennen können. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher<br />
2001: e.b.d.)<br />
Um Zugang zu best<strong>im</strong>mten Szenen zu erlangen, reicht meistens Interesse an <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Thematik aus. Um als vollwertiges Mitglied einer Szene akzeptiert zu<br />
wer<strong>de</strong>n, muss sich ein Individuum das szenetypischen Know How aneignen. Das<br />
Aneignen von Kompetenzen, die für die jeweilige Szene von Be<strong>de</strong>utung sind, wird<br />
durchaus alleine erworben. So klettern Sportkletterer auch alleine o<strong>de</strong>r Anhänger <strong>de</strong>r<br />
Hardcoreszene hören sich alleine Hardcoremusik an und erlangen so Wissen bzw.<br />
die Fertigkeiten, die von an<strong>de</strong>ren Szenemitglie<strong>de</strong>rn geschätzt wer<strong>de</strong>n. (Vgl. Hitzler,<br />
Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 22-23)<br />
Szenen haben kaum Sanktionsinstanzen, die Ein- und Austritte verhin<strong>de</strong>rn. Die Verbun<strong>de</strong>nheit<br />
zu einer Szene ist normalerweise freiwillig und es bestehen höchstens<br />
24
teilzeitliche und themenspezifische Normierungsmöglichkeiten. Dies führt zu einem<br />
labilen Wir-Bewußtsein aus zwei Grün<strong>de</strong>n:<br />
1. Wir-Gefühle entstehen durch die wechselseitige, freiwillige Inszenierung <strong>de</strong>r Szenemitglie<strong>de</strong>r<br />
(durch Verwendung von Zeichen, Ritualen, Verhaltensweisen etc.) und<br />
nicht durch Gemeinsamkeiten bei <strong>de</strong>r Bildung, <strong>de</strong>r Berufe und <strong>de</strong>r Herkunft. (Vgl.<br />
Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 23).<br />
„Das heißt, das ‚Wir’ (-Bewußtsein) konstituiert sich eben nicht <strong>auf</strong>grund vorgängiger<br />
gemeinsamer Stan<strong>de</strong>s- und Lebenslagen-Interessen, son<strong>de</strong>rn <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>s Glaubens<br />
an eine gemeinsame I<strong>de</strong>e(…).“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 23)<br />
2. Das Wir-Gefühl wird nur <strong>im</strong> Rahmen <strong>de</strong>r Szene produziert und Aktivitäten in <strong>de</strong>r<br />
selbigen sind nur ein Teilzeitengagement. Das Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu<br />
einer Szene ist zwar latent vorhan<strong>de</strong>n, doch best<strong>im</strong>men Beruf, Ausbildung und Familie<br />
<strong>de</strong>n Alltag. Das Szenebewusstsein bekommt also nur in Sequenzen Priorität. (Vgl.<br />
Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 24)<br />
Szenen haben typische Treffpunkte, sind Netzwerke von Gruppen, sowie vororganisierte<br />
Erfahrungsräume<br />
Szenetreffpunkte sind von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung, da sich hier die Szene offenbart<br />
und nachbil<strong>de</strong>t. Die Orte, an <strong>de</strong>nen man an<strong>de</strong>ren Szenemitglie<strong>de</strong>rn begegnen kann,<br />
sind bekannt. Die örtlichen Szenetreffpunkte sind <strong>de</strong>m Szenegänger sehr vertraut und<br />
er weiß auch, welche Personen er dort höchstwahrscheinlich antreffen wird. Die Szenetreffpunkte<br />
(z.B. Kulturzentren) in an<strong>de</strong>ren Städten hingegen sind <strong>de</strong>m Szenegänger<br />
nicht so vertraut, und er kennt nur typisches, weil er dort zu Besuch war o<strong>de</strong>r<br />
über an<strong>de</strong>re Szenekontakte über <strong>de</strong>n Treffpunkt gesprochen hat. Von wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>ren<br />
Städten weiß er nur, dass es dort auch szenetypische Treffpunkte gibt und an<br />
welchen Stellen er sich über die Lokalität informieren könnte. (Vgl. Hitzler, Bucher,<br />
Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 24)<br />
„Gruppierungen wer<strong>de</strong>n offensichtlich vor allem dadurch zu einem Teil von Szenen,<br />
dass sie sich <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Basis gemeinsamer Interessenlagen zu an<strong>de</strong>ren Gruppierungen<br />
hin öffnen und sich selber eben nicht nur als Gruppe, son<strong>de</strong>rn (auch) als Teil einer<br />
Szene begreifen.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 25)<br />
Szenen erscheinen <strong>im</strong> Gegensatz zu Institutionen und Organisationen unstrukturiert.<br />
Szenemitglie<strong>de</strong>r sind Mitglie<strong>de</strong>r einer o<strong>de</strong>r mehrer Gruppen, die alle ein Teil <strong>de</strong>r<br />
Szene sind. Die Kommunikation ist in <strong>de</strong>r Gruppe sehr dicht und unter <strong>de</strong>n Gruppen<br />
25
selber eher spärlich. Doch die Kommunikation zwischen <strong>de</strong>n Gruppen macht die<br />
Szene aus, da sich die Szenemitglie<strong>de</strong>r nicht mehr persönlich kennen, son<strong>de</strong>rn sich<br />
an Äußerlichkeiten, Symbolen, Ritualen und an an<strong>de</strong>ren szenespezifischen Merkmalen<br />
erkennen. Die Szene besteht <strong>im</strong> Gegensatz zu Peer-Groups nicht aus altershomogenen<br />
Gruppen, son<strong>de</strong>rn auch aus älteren Leuten, die ein jugendliches Selbstverständnis<br />
haben. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 25-26)<br />
Ein unverzichtbares wichtiges Element <strong>de</strong>r Szene besteht aus einem Event, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Szenemitglie<strong>de</strong>rn ein Erlebnis bieten soll, welches alle szenetypischen Bedürfnisse<br />
befriedigt. Bei <strong>de</strong>m Event han<strong>de</strong>lt es sich um eine vororganisierte Veranstaltung, die<br />
das Wir-Gefühl <strong>de</strong>r Szene intensivieren soll. So ein Event erfor<strong>de</strong>rt Organisation und<br />
Leistung, und in <strong>de</strong>n meisten Szenen wird so eine Veranstaltung kommerzialisiert.<br />
Ein positiver Effekt besteht darin, dass Szenemitglie<strong>de</strong>r, die einen Event organisieren,<br />
davon leben können, bzw. sogar Arbeitsplätze schaffen können. (Vgl. Hitzler,<br />
Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 26)<br />
Szenen strukturieren sich um Organisationseliten, sind dynamisch und liegen<br />
quer zu bisherigen Gesellungsformen und großen gesellschaftlichen Institutionen<br />
In Szenen entstehen Organisationseliten, die meist aus langjährigen Szenemitglie<strong>de</strong>rn<br />
bestehen, die die Stärken einer Szene erkennen und diese kommerziell nutzen. Sie<br />
organisieren Szeneevents, strukturieren Szenetreffpunkte und produzieren Veranstaltungen.<br />
Während dieser Organisationsarbeit ergeben sich Kontakte zu an<strong>de</strong>ren Organisationseliten<br />
und es entsteht ein Netz aus überregionalen Kontakten. Mitglie<strong>de</strong>r<br />
dieses Szenenetzwerkes sind <strong>im</strong> Gegensatz zu <strong>de</strong>n normalen Szenegängern privilegiert<br />
und nutzen diese Vorteile gezielt aus, so gibt es z.B. kaum eine Technoparty<br />
ohne V.I.P. Bereich. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 27)<br />
„Organisationseliten bil<strong>de</strong>n eine Art ‚Szenemotor` insofern, als die Rahmenbedingungen<br />
szenetypischer Erlebnisangebote in erster Linie dort produziert wer<strong>de</strong>n und<br />
auch Innovationen sehr oft ihren Ursprung dort haben.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher<br />
2001: e.b.d.)<br />
Die Eliten nehmen eine zentrale Stellung in <strong>de</strong>r Szene ein, um die sich die Freun<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Elite bzw. sehr präsente Szenegänger formieren und um diese bei<strong>de</strong>n Gruppen<br />
bewegen sich die normalen Szenemitglie<strong>de</strong>r. Allerdings besteht eine Szene nicht nur<br />
aus einem Netzwerk <strong>de</strong>r Elite, son<strong>de</strong>rn sie setzt sich aus mehreren Netzwerken (die<br />
26
ebenfalls Kontakt miteinan<strong>de</strong>r haben) zusammen. Dabei gibt es zentrale Figuren,<br />
Leute, die eher am Ran<strong>de</strong> stehen und Menschen, die kaum noch organisatorisch tätig<br />
sind, allerdings durch ihre Freundschaft zur Elite Privilegien genießen. Manche Leute<br />
nehmen auch kaum noch an Szeneevents teil und sind kaum noch zu unterschei<strong>de</strong>n<br />
von <strong>de</strong>n normalen Szenegängern. Wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re Leute kennen die Elite, verbringen<br />
ihre Zeit aber eher mit normalen Szenegängern. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher<br />
2001: 28)<br />
„Gera<strong>de</strong> eine solche Unschärfe bzw. eine solche Offenheit und Durchlässigkeit<br />
macht Szenen aus.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: e.b.d.)<br />
Es herrscht grundsätzlich viel Bewegung in Szenen. In <strong>de</strong>r Erlebnisgesellschaft muss<br />
sich eine Szene <strong>auf</strong> einem Markt voller Angebote und Optionen <strong>im</strong> freizeitkulturellen<br />
Bereich beweisen, in<strong>de</strong>m sie erlebniswerte Ereignisse bieten kann. Wenn ein beson<strong>de</strong>rs<br />
erlebniswertes Ereignis angeboten wird, dann wird <strong>de</strong>r Besucher eine starke<br />
Bindung mit <strong>de</strong>m Event eingehen, was zur Folge hat, dass <strong>de</strong>r quantitative Zugang<br />
begrenzt wer<strong>de</strong>n muss, da sonst je<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Szene ist. Wenn ein eher extensiviertes<br />
Ereignis am Wochenen<strong>de</strong> stattfin<strong>de</strong>t, dann wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlich weniger Leute kommen<br />
und <strong>de</strong>m Event wird weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht, was <strong>de</strong>n Event natürlich<br />
weniger attraktiv macht. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 29)<br />
„In diesem Zusammenhang erweist sich je<strong>de</strong>s Szenegeschehen als ausgesprochen<br />
dynamisch, weil es <strong>de</strong>r Organisationselite gelingen muß, solche erlebniswerten Ereignisse<br />
anzubieten, welche sowohl die Außeralltäglichkeit <strong>de</strong>r Teilnahme – und<br />
damit die relevante Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>s Teilnehmers – als auch die mentale und emotionale<br />
Zugänglichkeit <strong>de</strong>s jeweiligen Events auch für Gelegenheits-Szenegänger hinlänglich<br />
zu gewährleisten.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: e.b.d.)<br />
Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich allerdings um eine äußerst schwierige Aufgabe, die kaum<br />
einem Organisator <strong>auf</strong> Dauer gelingen kann. Wenn es aber kein Organisator schafft,<br />
Leute dauerhaft und massenhaft an seine Events zu bin<strong>de</strong>n, dann wird die Szene<br />
nicht dauerhaft bestehen und abgelöst wer<strong>de</strong>n durch instabilen Trends und Mo<strong>de</strong>n.<br />
(Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: e.b.d.)<br />
Szenen könnten <strong>de</strong>n Umbruch in eine ‚an<strong>de</strong>re’ Mo<strong>de</strong>rne be<strong>de</strong>uten. Szenen liegen<br />
quer zu institutionell gestützten Gesellschaftsbereichen wie Recht, Wirtschaft und<br />
Politik. Die Mitglie<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>t die Faszination an einem Thema und die dar<strong>auf</strong><br />
<strong>auf</strong>bauen<strong>de</strong>n Einstellungen, Ausdrucksmittel und Motive. In einer pluralisierten,<br />
ausdifferenzierten Gesellschaft beruht die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Szenegänger nicht <strong>auf</strong><br />
27
<strong>de</strong>n gleichen Lebenslagen. Die unterschiedlichsten Organisationsfigurationen und<br />
Regelungen <strong>de</strong>r Gesellschaft be<strong>de</strong>uten für das Individuum, die differenziertesten<br />
Kombinationen von Verpflichtungen, Notwendigkeiten und Neigungen. So können<br />
sich kaum noch gemeinsame Interessen entwickeln. Die Mitglie<strong>de</strong>r einer Szene haben<br />
äußerst heterogene Lebenslagen und das macht die Attraktivität für Szenegänger<br />
aus und das nicht nur für Jugendliche. (Vgl. Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 30)<br />
„Sinnschemata, Orientierungsmuster und Wertekataloge, <strong>auf</strong> die die Individuen dann<br />
wie<strong>de</strong>rum innerhalb organisierter Netzwerke – etwa <strong>im</strong> Arbeitsmarkt – rekurrieren<br />
können, müssen sich mithin zwangsläufig zunehmend unabhängig von Lebenslagen<br />
ausbil<strong>de</strong>n. Dementsprechend zeichnen sich Szenen mehr und mehr als jene „Orte“ <strong>im</strong><br />
sozialen Raum ab, an <strong>de</strong>nen I<strong>de</strong>ntitäten, Kompetenzen und Relevanzhierarchien <strong>auf</strong>gebaut<br />
und interaktiv stabilisiert wer<strong>de</strong>n, welche die Chancen zur zu gelingen<strong>de</strong>n<br />
Bewältigung <strong>de</strong>s je eigenen Lebens über die Dauer <strong>de</strong>r Szene-Vergemeinschaftung<br />
hinaus (also relativ dauerhaft) erhöhen können“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001:<br />
30).<br />
Zwischenresümee:<br />
Jugendliche fin<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer seltener Gleichgesinnte, die ihre Hobbys und Interessen<br />
teilen, in <strong>de</strong>r Schule, <strong>de</strong>r Nachbarschaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Sportverein. Statt<strong>de</strong>ssen wer<strong>de</strong>n<br />
die Jugendlichen in Szenen fündig. Eine Szene hat <strong>im</strong>mer ein zentrales Thema, wie<br />
z.B. das Skaten. Durch das Szenethema ergeben sich Gemeinsamkeiten, Einstellungen<br />
und Handlungsweisen, allerdings muss die Szene nicht zwangsläufig ein Thema<br />
<strong>im</strong> Alltag sein. Die Mitglie<strong>de</strong>r einer Szene haben einen äußerst heterogenen sozialen<br />
Hintergrund. Oft haben Szenen gemeinsame Symbole und Rituale. Eine Szene entwickelt<br />
keine Handlungsnormen für alle Bereiche <strong>de</strong>s Lebens, ganz <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
religiösen Gemeinschaften. Um zu einer Szene dazuzugehören, reicht meistens Interesse<br />
an <strong>de</strong>r Thematik aus und es muss ein best<strong>im</strong>mtes Know How erworben wer<strong>de</strong>n,<br />
um von an<strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>rn anerkannt zu wer<strong>de</strong>n. In Szenen kann man je<strong>de</strong>rzeit einund<br />
austreten, da es sich um labile Gebil<strong>de</strong> han<strong>de</strong>lt. Das Wir-Gefühl einer Szene beruht<br />
nicht <strong>auf</strong> <strong>de</strong>nselben Lebenslagen, son<strong>de</strong>rn am gemeinsamen Interesse an einem<br />
Thema o<strong>de</strong>r einer I<strong>de</strong>e. Familie und Beruf best<strong>im</strong>men <strong>de</strong>n Alltag. Das Engagement<br />
in einer Szene erfolgt meistens in Teilzeit. Szenen bestehen aus mehreren Gruppen<br />
und sind <strong>im</strong> Vergleich zu Institutionen und Organisationen unstrukturiert. Die Altersstruktur<br />
<strong>de</strong>r Szenemitlie<strong>de</strong>r ist nicht homogen. Szenen bauen sich um Organisations-<br />
28
eliten aus, die die Stärken <strong>de</strong>r Szene kommerziell nutzen und auch überregionale<br />
Kontakte knüpfen. Sie organisieren auch Szeneevents, die versuchen, alle Bedürfnisse<br />
<strong>de</strong>r Szene zu befriedigen (z.B. große Musikfestivals o<strong>de</strong>r Riesen Netzwerkpartys).<br />
Durch die Organisation von solchen Szeneevents können manche Organisatoren von<br />
ihrer Arbeit für die Szene leben. Szenen verbin<strong>de</strong>n Menschen mit <strong>de</strong>nselben Interessen,<br />
die allerdings völlig heterogene Lebenslagen haben. Das macht für Viele <strong>de</strong>n<br />
Reiz einer Szene aus. Szenen haben mit institutionell gestützten Gesellschaftsbereichen<br />
wie Wirtschaft, Recht und Politik, nichts zu tun. Hitzler, Bucher und Nie<strong>de</strong>rbacher<br />
vertreten die Meinung, dass es in unserer mo<strong>de</strong>rnen, ausdifferenzierten und individualisierten<br />
Gesellschaft <strong>im</strong>mer schwieriger wird, Menschen mit <strong>de</strong>nselben Interessen<br />
in <strong>de</strong>r Nachbarschaft o<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Beruf zu fin<strong>de</strong>n. Sie glauben, dass Szenen in <strong>de</strong>r<br />
heutigen Gesellschaft die „Orte“ sind, wo die eigene I<strong>de</strong>ntität <strong>auf</strong>gebaut wird, neue<br />
Kompetenzen erworben wer<strong>de</strong>n und wo völlig neue Relevanzhierarchien entstehen.<br />
Sie vertreten auch die Meinung, dass man als Mitglied einer Szene die Chancen erhöht,<br />
das eigene Leben zu bewältigen.<br />
Begründung für die Auswahl <strong>de</strong>s Begriffes Subkultur<br />
In <strong>de</strong>r Jugendforschung gibt es Befürworter und Gegner <strong>de</strong>s Subkulturbegriffes.<br />
Während Brake (1981) und Farin (1995) weiterhin diesen Begriff verwen<strong>de</strong>n, ist<br />
Baacke <strong>de</strong>r Meinung, dass dieser Begriff nicht mehr aktuell ist und dazu negativ besetzt.<br />
(Vgl. El-Nawab 2007: 19)<br />
„Während Baacke 1972 noch von <strong>Subkulturen</strong> sprach, wen<strong>de</strong>t er sich 1987 vom<br />
Subkulturbegriff ab, weil „<strong>Subkulturen</strong> keine Sub-Aggregate einzelner Gesellschaften<br />
sind“, son<strong>de</strong>rn „kulturelle Gruppierungen, die sich international ausbreiten und<br />
unter <strong>de</strong>m gleichen Erscheinungsbild ganz unterschiedliche Formen von Selbstständigkeit<br />
und Abhängigkeit ausagieren.““ (El-Nawab 2007: 19, zit. nach Baacke 1987:<br />
95)<br />
Auch Christian Menhorn (2001) benutzt <strong>de</strong>n Begriff Subkultur in seinem Buch über<br />
Skinheads.<br />
Hitzler, Bucher und Nie<strong>de</strong>rbacher (2001) bevorzugen, wie bereits dargelegt, <strong>de</strong>n Begriff<br />
„Szene“.<br />
Jugendliche, die subkulturellen Szenen angehören, bevorzugen <strong>de</strong>n Begriff „Subkultur“.<br />
Sie grenzen sich bewusst von <strong>de</strong>r Gesellschaft ab und genießen die negative<br />
Konnotation dieses Begriffes. El-Nawab (2007) verwen<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Begriff „jugendliche<br />
29
Subkultur“ als Gegensatz zur „Jugendkultur“, da bei letzterem Begriff nur ausgesagt<br />
wird, dass es sich um eine jugendliche Kultur han<strong>de</strong>lt. (Vgl. El-Nawab 2007: 20)<br />
„Dabei wird jedoch das subversive, kritische, rebellische (und manchmal eben auch<br />
bedrohliche) Element von Gegenwelten bzw. Gegenkulturen verwischt, die man in<br />
<strong>de</strong>r Tradition von Clarke u.a. (1979a) als symbolische Wi<strong>de</strong>rstandsformen interpretieren<br />
und <strong>de</strong>ren Stil als verschlüsselte Antwort <strong>auf</strong> gesamtgesellschaftliche Entwicklungen<br />
sehen kann.“ (El-Nawab 2007: e.b.d.)<br />
El-Nawab benutzt <strong>de</strong>n Begriff „jugendliche Subkultur“, da sie <strong>de</strong>r Auffassung ist,<br />
dass dieser am besten die Abweichung <strong>de</strong>r Protagonisten aus <strong>de</strong>r Skinhead-, Gothicund<br />
Rockabillieszene beschreibt. Sie verwen<strong>de</strong>t zwar auch <strong>de</strong>n Begriff „Szene“,<br />
doch liegt <strong>de</strong>r Hauptgrund in <strong>de</strong>r besseren Lesbarkeit. (Vgl. El-Nawab 2007: e.b.d.)<br />
Ansonsten äußert sie sich zu <strong>de</strong>m Begriff „Szene“ wie folgt: „Szene“ ist ähnlich allgemein<br />
gehalten wie Jugendkultur und <strong>auf</strong> verschie<strong>de</strong>nste „normale“ modische<br />
Gruppierungen anwendbar, d.h. z.B. auch <strong>auf</strong> die Schick<strong>im</strong>icki-Szene, viele Trendsportarten<br />
etc., also <strong>auf</strong> Bereiche, <strong>de</strong>nen zumeist je<strong>de</strong>r gesellschaftskritische Moment<br />
fehlt und die sich von ihrem Selbstverständnis auch gar nicht als Gegenwelten o<strong>de</strong>r<br />
alternative Lebensformen begreifen.“ (El-Nawab 2007: e.b.d.)<br />
Hitzler/Bucher/Nie<strong>de</strong>rbacher (2001) erkennen keine Protesthaltung in Szenen, son<strong>de</strong>rn<br />
eine: „Entpflichtung gegenüber zivilisatorischen Wichtigkeiten und<br />
Richtigkeiten.“ (Hitzler, Bucher, Nie<strong>de</strong>rbacher 2001: 234)<br />
El-Nawab hingegen erkennt, dass <strong>Subkulturen</strong> die Trends und die Angepasstheit <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft ablehnen. Zu<strong>de</strong>m entwickeln <strong>Subkulturen</strong> eigene Werte, Normen und<br />
Verhaltensmuster, die sich an <strong>de</strong>n zivilen Normen und <strong>de</strong>r zivilen Moralvorstellung<br />
orientieren, aber dabei äußerst differenzierte Eigenheiten entwickeln können. Der<br />
Protest drückt sich in erster Linie durch das Image aus, und nicht durch politische<br />
Handlungen. So wirkt diese Protesthaltung zwar eher symbolisch, doch das än<strong>de</strong>rt<br />
nichts daran, dass diese Einstellung existiert. (Vgl. El-Nawab 2007: 20)<br />
Ich persönlich schließe mich <strong>de</strong>r Meinung von Susanne El-Nawab an. Die oben <strong>auf</strong>geführten<br />
Argumente sind meiner Meinung nach absolut zutreffend. Hitzler, Bucher,<br />
und Nie<strong>de</strong>rbacher (2001) haben in ihrem Buch völlig heterogene „Szenen“ näher<br />
betrachtet. Dabei reichte die Palette von Daily Soap Guckern, über die Antifa bis hin<br />
zu Trendsportlern und sogar zu Jugendlichen in <strong>de</strong>r Deutschen Lebens-Rettungs-<br />
Gesellschaft. Wenn man Daily Soaps guckt (wie Millionen Menschen in Deutsch-<br />
30
land) rebelliert man nicht und man wird normalerweise auch nicht von seiner Umwelt<br />
als son<strong>de</strong>rbar o<strong>de</strong>r gar gefährlich eingeschätzt. Wenn auch manche Trendsportarten<br />
durchaus ungewöhnlich sind, so fühlen sich die Mitmenschen we<strong>de</strong>r provoziert<br />
durch die Sportart, noch bil<strong>de</strong>n sie vorschnell Vorurteile über die Sportler. Bei einem<br />
völlig zutätowierten Psychobilly mit grünem Flat (die Frisur <strong>de</strong>r Psychobillyszene,<br />
eine Mischung aus Tolle und Irokesenschnitt), <strong>de</strong>r vom Kleidungsstil, durchaus Parallelen<br />
zur Skinheadszene <strong>auf</strong>weist, wird dies völlig an<strong>de</strong>rs bewertet. Von <strong>de</strong>r Frisur<br />
und <strong>de</strong>m Kleidungsstil wer<strong>de</strong>n be<strong>im</strong> Normalbürger Assoziationen zu Skinheads<br />
und Punks geweckt. Und gera<strong>de</strong> Skinheads genießen in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit einen völlig<br />
fatalen Ruf, als Schläger und Neonazis. Punks hingegen gelten als arbeitsscheu<br />
und ungewaschen. Mit solchen Vorurteilen müssen Jugendliche bei <strong>de</strong>r Deutschen<br />
Lebens-Rettungs-Gesellschaft eher selten rechnen. Psychobillies grenzen sich aber<br />
bewusst von <strong>de</strong>r „normalen“ Gesellschaft ab und stehen zu ihrem Lebensstil und<br />
ihrer Musik. So haben Psychobillies auch ganz eigene Verhaltensweisen. Der Tanzstil<br />
<strong>de</strong>r Psychobillies unterschei<strong>de</strong>t sich auch massiv von konventionellen, gesellschaftlichen<br />
Tänzen. Be<strong>im</strong> so genannten Wrecking (engl. für zertrümmern, vernichten,<br />
zugrun<strong>de</strong> richten) kann es schnell zu blauen Augen, Prellungen o<strong>de</strong>r Platzwun<strong>de</strong>n<br />
kommen und darüber sind sich alle Beteiligten klar und gehen <strong>de</strong>nnoch dieses<br />
Risiko ein. Bei gewissen Konzerten sollte genau überlegt wer<strong>de</strong>n, welches Bandshirt<br />
getragen wird, da es bei <strong>de</strong>r falschen Wahl durchaus zu Konflikten kommen kann.<br />
Während in <strong>de</strong>r „normalen“ Gesellschaft zum Vollrausch Anlässe wie Weihnachtsfeiern,<br />
Fasching und Fußballweltmeisterschaften gewählt wer<strong>de</strong>n, verzichten<br />
Psychobillies gänzlich <strong>auf</strong> solche Rahmenbedingungen und so wird an <strong>de</strong>n meisten<br />
Wochenen<strong>de</strong>n ein exzessiver Lebensstil gepflegt. Auch die Einstellung zur illegalen<br />
Drogen unterschei<strong>de</strong>t sich teilweise stark von <strong>de</strong>r gängigen Ablehnung. Psychobillies<br />
pflegen also einen eigenen Lebensstil, teilweise mit eigenen Werten und Normen,<br />
und grenzen sich durch Aussehen und Verhalten, absolut bewusst von <strong>de</strong>r Mehrheit<br />
ab. Daher bin ich <strong>de</strong>r Meinung, dass hier von einer Subkultur gesprechen wer<strong>de</strong>n<br />
sollte, da die Attitü<strong>de</strong> von Psychobilly durchaus rebellisch ist, auch wenn sie nicht<br />
politisch best<strong>im</strong>mt wird. Der Begriff „Szene“ wird auch oft von meinen Interviewpartnern<br />
benutzt und ich bin <strong>de</strong>r Meinung, dass er sich aus rein sprachlichen Grün<strong>de</strong>n<br />
sehr gut verwen<strong>de</strong>n lässt. Der Begriff „Subkultur“, ist aber meiner Meinung nach <strong>de</strong>r<br />
Ausdruck, <strong>de</strong>r am zutreffensten ist. Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong> ich <strong>auf</strong> die <strong>Subkulturen</strong> <strong>de</strong>r<br />
Skinheads und Punks eingehen. Anschließend gehe ich noch <strong>auf</strong> die Geschichte von<br />
31
Rock’n’Roll ein. Die Skinheadsubkultur ist äußerst heterogen, kompliziert und von<br />
unglaublich vielen Vorurteilen überschattet. Daher befasse ich mich intensiver mit<br />
dieser Subkultur, da es mir wichtig ist, zu zeigen, dass Skinheads nicht nur Rassisten,<br />
Faschisten und Nazis sind. Ich wer<strong>de</strong> auch <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m Großteil <strong>de</strong>r Medien<br />
verschwiegenen, schwarzen Einfluss <strong>auf</strong> die Skinheadbewegung eingehen. Ebenso<br />
wie <strong>auf</strong> die S.H.A.R.P. (Skinheads Against Racial Prejudice) Bewegung, innerhalb<br />
<strong>de</strong>r Skinszene. Punk ist um einiges bekannter und größer als die Skinheadbewegung<br />
und daher beschreibe ich nur die Anfänge <strong>de</strong>s Punk in London und New York. Bei<br />
Punk han<strong>de</strong>lt es sich auch um eine äußerst heterogene Szene, in <strong>de</strong>r die diversesten<br />
Meinungen zu Themen, wie z.B. Politik, Essen, Musik, Konsum und Lebensstilen<br />
herrschen. Auf alle Eigenheiten und Spezialisierungen <strong>de</strong>r Punkszene einzugehen,<br />
wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>finitiv über <strong>de</strong>n Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Meiner Meinung nach<br />
ist es unerlässlich, etwas über diese bei<strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong> zu schreiben, da die meisten<br />
Leute aus <strong>de</strong>r Psychobillyszene früher Punks, Skins o<strong>de</strong>r Rockabillies waren. Keiner<br />
meiner Interviewpartner war direkt in <strong>de</strong>r Psychobillyszene, son<strong>de</strong>rn alle waren vorher<br />
in einer an<strong>de</strong>ren Subkultur. Zu<strong>de</strong>m gibt es auch sonst viele Figurationen zwischen<br />
diesen unterschiedlichen <strong>Subkulturen</strong>.<br />
3. Subkulturelle Vorläufer/Verwandtschaften von<br />
Psychobilly<br />
3.1. Skinheads<br />
Seit 1969 gibt es die Skinheadsubkultur. Skinheads verstehen sich als Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
„working class“. Die meisten Skins sind sich ihrer proletarischen Wurzeln sehr bewusst<br />
und stolz dar<strong>auf</strong>. Der Skinheadkult stammt aus England und wur<strong>de</strong> maßgeblich<br />
von <strong>de</strong>n „Ru<strong>de</strong> Boys“ (Jugendliche mit jamaikanischem Migrationshintergrund)<br />
beeinflusst. Durch eine Unterwan<strong>de</strong>rung von Rechts hat sich in <strong>de</strong>n Medien und <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft das Bild verfestigt, dass alle Skinheads Nazis und Rassisten sind, was<br />
schlichtweg falsch ist. Die Skinheadsubkultur ist eine äußerst heterogene Szene.<br />
Auch in <strong>de</strong>n politischen Ansichten. Die Pschobillysubkultur wies beson<strong>de</strong>rs in ihrer<br />
Anfangszeit, in <strong>de</strong>n 80er Jahren, starke Parallen in <strong>de</strong>r Kleidung (Bomberjacken,<br />
Domestosjeans und Springerstiefel) zur Skinheadszene <strong>auf</strong>. Zu<strong>de</strong>m gab es noch einige<br />
an<strong>de</strong>re Figurationen zwischen diesen bei<strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong>, was zu Verwechslun-<br />
32
gen und Übertragungen bei <strong>de</strong>r „normalen“ Gesellschaft führte. Ich wer<strong>de</strong> <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n<br />
näher <strong>auf</strong> diese Subkultur eingehen, damit <strong>de</strong>r Leser besser verstehen kann,<br />
dass nicht alle Skinheads Nazis sind und was es be<strong>de</strong>uten kann, wenn man mit einem<br />
Skinhead verwechselt wird und welche Vorurteile über Skins herrschen.<br />
Geschichte <strong>de</strong>r Skinheads<br />
Im Folgen<strong>de</strong>n beschreibe ich die Geschichte <strong>de</strong>r Skinheads. Zunächst wer<strong>de</strong> ich <strong>auf</strong><br />
die Entstehung <strong>de</strong>s Skinheadkultes eingehen. Anschließend gehe <strong>auf</strong> eins <strong>de</strong>r größten<br />
Probleme <strong>de</strong>r Skinheadsubkultur ein: Rassismus. Danach wer<strong>de</strong> ich mich mit Punkrock,<br />
2 Tone, <strong>de</strong>r National Front, Margret Thatcher und ihrer Be<strong>de</strong>utung für die<br />
Skinheadsubkultur befassen. Southall, Skinheads in Deutschland, Rechtsrock, Blood<br />
& Honour und S.H.A.R.P. (SkinHeads Against Racial Prejudice) bil<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re wichtige<br />
Säulen in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Skinheads. Daher wer<strong>de</strong> ich auch diese Thematiken<br />
näher erläutern.<br />
England erlebte in <strong>de</strong>n 50er und 60er Jahren einen wirtschaftlichen Wan<strong>de</strong>l, von <strong>de</strong>m<br />
auch die Arbeiterklasse in England profitierte. Einige schafften <strong>de</strong>n Aufstieg und die<br />
alten Arbeiterviertel wur<strong>de</strong>n saniert. Während einige Arbeiter in Neubausiedlungen<br />
umzogen, fühlten sich die verbliebenen Anwohner als Bürger zweiter Klasse. Immobilienhändler<br />
ließen Viertel, in Erwartung <strong>auf</strong> eine künftige Sanierung und <strong>de</strong>n damit<br />
verbun<strong>de</strong>nen Gewinnen, verfallen. Der Kampf um diese restlichen billigen Wohnungen<br />
wur<strong>de</strong> härter. So lebten in Städten wie Brixton, Birmingham, Bradfort und <strong>de</strong>m<br />
Londoner East End die weiße Unterschicht zusammen mit Einwan<strong>de</strong>rern aus <strong>de</strong>r<br />
Karibik, Pakistan, Indien und Westafrika. (Vgl. Farin und Sei<strong>de</strong>l 2002: 25)<br />
„Die alte (weiße) Homogenität <strong>de</strong>r Viertel löste sich <strong>auf</strong>. Die Einwan<strong>de</strong>rung und die<br />
tägliche Konfrontation mit <strong>de</strong>n Aufsteigern hinterließ bei <strong>de</strong>n eingesessenen Familien,<br />
<strong>de</strong>m Kern <strong>de</strong>r traditionellen britischen Arbeiterklasse, das Gefühl, fremd <strong>im</strong><br />
eigenen Land zu sein, zu einem aussterben<strong>de</strong>n Stamm zu gehören. Die Antwort <strong>de</strong>r<br />
Skinheads <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Wan<strong>de</strong>l und die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r unmittelbaren<br />
Nachbarschaft war „die magische Rückgewinnung <strong>de</strong>r Gemeinschaft“, wie es <strong>de</strong>r<br />
Soziologe John Clarke bezeichnet. Das Gefühl, <strong>im</strong> Zentrum dieser Vielzahl unterdrücken<strong>de</strong>r<br />
und ausbeuterischer Kräfte zu stehen, bringt ein Bedürfnis nach Gruppensolidarität<br />
hervor, das, obwohl es grundsätzlich <strong>de</strong>fensiv ist, bei <strong>de</strong>n Skinheads<br />
mit einem aggressiven Inhalt gekoppelt war.“ (Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 26)<br />
33
In <strong>de</strong>n frühen 50er Jahren rebellierten die Arbeiterjugendlichen gegen die Monotonie<br />
<strong>de</strong>s Alltags und wollten Spaß in ihr Leben bringen, und dafür war <strong>de</strong>r Rock’n’Roll<br />
<strong>de</strong>r richtige Soundtrack. In <strong>de</strong>n 50er und 60er Jahren verkörperte eine Jugendszene<br />
eine Haltung. Am Anfang <strong>de</strong>r 50er Jahre waren es die Teddyboys, die gegen die gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse rebellierten und gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50er Jahre wur<strong>de</strong>n sie<br />
von <strong>de</strong>n Mods abgelöst. Als Mod hörte man Ska und Northern Soul, fuhr Vespas,<br />
hatte teure Klamotten und gab sich <strong>de</strong>r Prahlerei und <strong>de</strong>m Schein <strong>de</strong>s Seins hin. Als<br />
Mod war man L<strong>auf</strong>bursche in einer Bank o<strong>de</strong>r Ähnliches und man versuchte, die<br />
kleinbürgerlichen Wurzeln durch einen extravaganten Lebensstil zu verbergen und<br />
sich als etwas Höheres darzustellen. Aber es gab auch die Hard-Mods. Diese zogen<br />
Bier teuren Cocktails vor und legten keinen Wert <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n dandyhaften Kleidungsstil.<br />
Die Hard Mods trugen auch am Wochenen<strong>de</strong> Shirts, Jeans und Stiefel, die um einiges<br />
praktischer bei <strong>de</strong>n vielen Schlägereien am Wochenen<strong>de</strong> waren. In <strong>de</strong>n meisten<br />
Industriestädten gab es Hard-Mod Gangs. Musik spielte zwischen 1966 und 1969<br />
nicht die große Rolle <strong>im</strong> Leben <strong>de</strong>r Mod Gangs. Es gab einfach nichts Neues. Die<br />
schwarzen Jugendlichen aus <strong>de</strong>r Nachbarschaft ignorierten die angesagte Musik aus<br />
<strong>de</strong>m Radio und hörten die Rhythmen aus <strong>de</strong>n Slums von Kingston: Reggae und Ska.<br />
Die Mods ent<strong>de</strong>ckten die Liebe zu dieser Musik, da sie außer von <strong>de</strong>n schwarzen<br />
Ru<strong>de</strong> Boys nicht gehört wur<strong>de</strong> und somit konnte man sich mit dieser Musik wun<strong>de</strong>rbar<br />
von <strong>de</strong>r restlichen Gesellschaft abgrenzen. Ska ist um 1960 entstan<strong>de</strong>n. Ska ist<br />
ein Sammelbegriff für Blue Beat, Rocksteady und die frühen Formen <strong>de</strong>s Reggae.<br />
Ska ist eine sehr fröhliche, tanzbare Musik, die sich sehr gut zum feiern eignet. Es<br />
gab sehr erfolgreiche Ska Nummern wie z.B. „My Boy Lollipop“ von Millie Small<br />
und „Miss Jamaica“ von J<strong>im</strong>my Cliff, doch allgemein kam Ska Musik bei <strong>de</strong>r breiten<br />
Masse nicht an. Der Sound galt als pr<strong>im</strong>itiv, dreckig und unprofessionell. Ska wur<strong>de</strong><br />
zur Musik <strong>de</strong>r Un<strong>de</strong>rdogs, <strong>de</strong>r schwarzen Ru<strong>de</strong> Boy Gangs. Die weißen Hard-Mods<br />
orientierten sich an <strong>de</strong>n Ru<strong>de</strong> Boys und wur<strong>de</strong>n später zu Skinheads, die diese Musik<br />
geliebt haben. Den schwarzen Musikern blieb das nicht verborgen und so sangen<br />
viele Künstler über <strong>de</strong>n Skinhead Kult, z. B. Laurel Aitken (<strong>de</strong>r Text ist ins Deutsche<br />
übersetzt):<br />
Meine Schwester sagt, sie will keinen Mann, sie will keinen Mann, wenn es kein<br />
Skinhead ist. Skinhead!<br />
Ich gehe zurück in die Slums, wenn die Bewegung zusammenbricht. Hip to the Hop!<br />
34
An<strong>de</strong>re schwarze Musiker huldigten ihren kurzhaarigen Fans ebenfalls mit Lie<strong>de</strong>rn<br />
über die Subkultur, wie z.B. Desmond Riley mit „A message to you“, „Skinhead<br />
Moondust“ und „Skinhead’s don’t fear“ von <strong>de</strong>n Hot Rod Allstars und „Skinhead<br />
Shuffle“ von the Mohawks. (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 26-32)<br />
1969 gilt als das Jahr in England, wo <strong>de</strong>r Skinhead Kult seinen Anfang nahm. Inspiriert<br />
von <strong>de</strong>n jamaikanischen Ru<strong>de</strong> Boy Gangs, die als beson<strong>de</strong>rs cool und hart galten,<br />
schnitten sich die weißen Jugendlichen die Haare ab, krempelten ihre Jeans hoch<br />
und trugen dazu schwere Arbeiterstiefel. Fertig war <strong>de</strong>r Skinhead Look. Die meisten<br />
Skinheads kamen aus <strong>de</strong>r Fußball Hooligan Szene. Die großen Vereine hatten damals<br />
tausen<strong>de</strong> Skinhead Anhänger. Die Skinhead Krawalle bei <strong>de</strong>n Fußballspielen zogen<br />
bald die Aufmerksam <strong>de</strong>r Medien <strong>auf</strong> sich und es wur<strong>de</strong> nach Ursachen für die Gewalt<br />
gesucht. Soziale Ungleichheiten hatten best<strong>im</strong>mt auch ihren Anteil, aber für die<br />
meisten Skins war <strong>de</strong>r Spaßfaktor entschei<strong>de</strong>nd, bei <strong>de</strong>n Fußballschlachten. Es gab<br />
damals einige britisch-jamaikanische Skinheadgangs. (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 32-<br />
33).<br />
„Skinhead-Sein, das war in diesen Tagen eine Frage <strong>de</strong>s Klassenstandpunktes und<br />
nicht <strong>de</strong>r Hautfarbe.“ (Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 34)<br />
Rassismus<br />
Die Skinheads hörten Ska und akzeptierten die afro-karibischen Jugendlichen. Die<br />
schwarzen Ru<strong>de</strong> Boys waren genau so gewaltbereit wie die Skinheads und so zogen<br />
damals Ru<strong>de</strong> Boys und Skinheads durch die Straßen und jagten Hippies, Schwule<br />
o<strong>de</strong>r Pakistani. Den eigenen Stadtteil zu verteidigen gehörte, für viele Skins genau so<br />
zur Parole Spaß, wie <strong>de</strong>r Fight bei Fußballspielen. Die Skinheads, die es mittlerweile<br />
<strong>im</strong> ganzen Land gab, legten ein Gewaltverhalten an <strong>de</strong>n Tag, wie es von an<strong>de</strong>ren<br />
Gangs auch bekannt war. Bevorzugte Opfer waren Repräsentanten <strong>de</strong>r Erwachsenengeneration,<br />
Vertreter <strong>de</strong>s Bürgertums o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Establishments, gegnerische Fußballfans,<br />
sexuelle Min<strong>de</strong>rheiten, an<strong>de</strong>re Jugendkulturen und soziale Min<strong>de</strong>rheiten.<br />
Skinheads suchten <strong>im</strong>mer Ärger und dabei war es ihnen egal, ob sie sich mit Rekruten<br />
<strong>de</strong>r Armee prügelten o<strong>de</strong>r mit Stu<strong>de</strong>nten. Allerdings gab es schon damals Probleme<br />
mit Rassismus, da Pakistani bevorzugte Opfer von vielen Skinheadban<strong>de</strong>n waren.<br />
Das so genannte „Paki-Bashing“ führte sogar dazu, dass sich die pakistanische<br />
Regierung darüber beschwerte, da 25 % <strong>de</strong>r pakistanischen Stu<strong>de</strong>nten Opfer von<br />
35
Gewalt wur<strong>de</strong>n. Allerdings war Rassismus ein Problem von ganz England und nicht<br />
nur <strong>de</strong>r Skinheadsubkultur. In Birmingham gewann 1964 <strong>de</strong>r Tory Kandidat Peter<br />
Griffith seinen Wahlkampf mit <strong>de</strong>m Slogan: „Wenn sie einen Nigger zum Nachbarn<br />
haben wollen, müssen sie Labour wählen“. Da England genau wie Deutschland, <strong>auf</strong><br />
Arbeitskräfte aus <strong>de</strong>m Ausland angewiesen war, da es mehr Arbeitsplätze als Arbeitnehmer<br />
gab, wur<strong>de</strong>n Gastarbeiter angeworben. 1961 zogen 140 000 nicht-weiße<br />
Einwan<strong>de</strong>rer nach England. Viele „Kolonialherren“ konnten es nicht fassen, dass <strong>auf</strong><br />
einmal nach Jahrhun<strong>de</strong>rten <strong>de</strong>s Plün<strong>de</strong>rns frem<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r, Menschen aus an<strong>de</strong>ren<br />
Kulturen in ihre Nachbarschaft zogen. Die politischen Eliten <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s versuchten<br />
<strong>de</strong>n Rassismus zu nutzen, um ihre Macht zu erhalten und nicht von einer erstarkten<br />
Arbeiterklasse unter Druck zu geraten. Durch die Betonung ethnischer Unterschie<strong>de</strong><br />
wollten sie jegliche Solidarität zwischen <strong>de</strong>r Arbeiterklasse und <strong>de</strong>n Einwan<strong>de</strong>rern<br />
unterbin<strong>de</strong>n.<br />
1962 wur<strong>de</strong> ein Einwan<strong>de</strong>rungsgesetz erlassen (Commonwealth Immigrants Act),<br />
dass es nicht-weißen Einwan<strong>de</strong>rern erschweren sollte, nach England zu kommen.<br />
Das „Paki-Bashing“ war mit einer beson<strong>de</strong>ren kulturellen Problematik überlagert. Es<br />
gab Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n asiatischen Einwan<strong>de</strong>rern und <strong>de</strong>r westindischen<br />
Einwan<strong>de</strong>rern. Die westindischen Einwan<strong>de</strong>rer waren von ihren kulturellen Verhaltensweisen<br />
<strong>de</strong>r Arbeiterklasse viel näher, als die asiatischen Einwan<strong>de</strong>rer, die eher<br />
familien- und erfolgsorientiert waren und mehr in die Richtung <strong>de</strong>r verhassten Mittelklasse<br />
tendierten. Zu<strong>de</strong>m waren die Skinheads mit <strong>de</strong>n afro-karibischen Jugendlichen<br />
durch die Ska und Reggae Musik verbun<strong>de</strong>n. Zu<strong>de</strong>m waren die Ru<strong>de</strong> Boys und<br />
an<strong>de</strong>re schwarze Gangs gut organisiert und zeigten rassistischen Skinheads ganz<br />
schnell ihre Grenzen <strong>auf</strong>. (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 38-43)<br />
Punkrock<br />
Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre flaute die erste Skinhead Welle ab. Viele zogen sich <strong>auf</strong>grund<br />
<strong>de</strong>r vielen Schlägereien zurück und es fehlte auch an musikalischen Impulsen. Das<br />
än<strong>de</strong>rte sich 1976/77 als <strong>de</strong>r Punk kam. Die „Sex Pistols“ waren zwar eine Mogelpackung,<br />
die von Geschäftsleuten wie eine Boy Band zusammengecastet wur<strong>de</strong>n, aber<br />
die Musik und die rebellischen Texte erreichten viele Jugendliche, die Punk als Lebenseinstellung<br />
ernst nahmen. Als das „Vortex“ in London eingeweiht wur<strong>de</strong>, spielte<br />
die Kultgruppe „Sham 69“ vom Dach <strong>de</strong>s Nachbarhauses, was die Einwohner <strong>auf</strong>grund<br />
<strong>de</strong>r Lautstärke nur wenig begeisterte. Die Polizei drehte <strong>de</strong>n Strom ab und<br />
36
nahm <strong>de</strong>n Sänger J<strong>im</strong>my Pursey fest. Dieser wur<strong>de</strong> <strong>auf</strong> Kaution frei gelassen und das<br />
Konzert wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Keller weitergeführt. Sham 69 ist für viele Punks und Skins eine<br />
absolute Kultkapelle, was zweifellos an ihrem Hit „If the kids are united liegt“.<br />
Bands wie „Cock Sparrer“, „Cockney Rejects“ und Sham 69 gaben <strong>de</strong>m Punk einen<br />
noch rauheren und härteren Touch und nannten es Streetpunk, Real Punk o<strong>de</strong>r Working<br />
Class Punk. Viele Punks wollten sich von <strong>de</strong>n Mittelklassepunks abgrenzen und<br />
wur<strong>de</strong>n zu Skinheads und auch die alte Gar<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Skinheads begann sich für Punkrock<br />
zu begeistern. Bands wie die „Angelic Upstarts“ erreichten schnell ein gemischtes<br />
Publikum, welches aus Punks und Skins bestand. Bei Bands wie „Blitz“ o<strong>de</strong>r<br />
„Infa-Riot“ bestan<strong>de</strong>n die Bandmitglie<strong>de</strong>r aus Punks und Skins. „Cockney Rejects“<br />
verpasste <strong>de</strong>r neuen Punkmusik ihren neuen Namen: Oi-Musik. Statt hey hey brüllten<br />
die Rejects Oi! Oi! Oi! und so entstand <strong>de</strong>r Begriff Oi-Musik. (Vgl. Farin und Sei<strong>de</strong>l<br />
2002: 43-47).<br />
2 Tone<br />
Der alte Skinhead Reggae gewann in diesen Tagen auch wie<strong>de</strong>r mehr an Be<strong>de</strong>utung.<br />
Bands wie die Specials, die aus schwarzen und weißen Musikern bestan<strong>de</strong>n, hatten<br />
viel Erfolg <strong>im</strong> Jahre 77 und ein Jahr später waren heutige Skinhead Kultbands wie<br />
„Bad Manners“ und „Madness“ in <strong>de</strong>n britischen Charts. Die Texte über Arbeitslosigkeit,<br />
Sexismus, Staatsgewalt und Sex kamen auch in <strong>de</strong>r Punkszene sehr gut an.<br />
Steel Pulse waren die erste Band, die keinen Punk spielte und <strong>im</strong> Vortex <strong>auf</strong>treten<br />
durfte. Punks und Skins feierten zu dieser Zeit zusammen. Schwarze und Weiße. Das<br />
multikulturelle Feiern und Zusammenstehen war <strong>de</strong>n Rechten ein Dorn <strong>im</strong> Auge und<br />
so wur<strong>de</strong>n 2 Tone Konzerte bald Angriffsziele <strong>de</strong>r rechten Szene. Die Presse konzentrierte<br />
ihre Aufmerksamkeit mehr <strong>auf</strong> die Krawalle, die es durch Rechte <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n<br />
Konzerten gab, als <strong>auf</strong> das friedliche Zusammenleben von Menschen mit an<strong>de</strong>rer<br />
Hautfarbe und an<strong>de</strong>rer Herkunft. In <strong>de</strong>r Londoner Evening News wur<strong>de</strong> ein Foto von<br />
<strong>de</strong>r Band „Selecter“ veröffentlicht, die eine schwarze Sängerin haben, mit <strong>de</strong>r Unterzeile:<br />
„Don’t rock with the Sieg Heiles.“ (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 47-50)<br />
National Front und Margret Thatcher<br />
1967 grün<strong>de</strong>te sich die National Front. Bis 1976 nahm dies kaum jemand zur Kenntnis.<br />
Als asiatische Flüchtlinge <strong>auf</strong>genommen wur<strong>de</strong>n, begannen die Boulevardblätter<br />
mit einer Hetzkampagne über eine nie da gewesene Asylantenflut und <strong>de</strong>n Miss-<br />
37
auch von Sozialhilfe. Die National Front gewann 1977 mit ihrem Wahlslogan „If<br />
they are black, send them back“ über 200.000 Wählerst<strong>im</strong>men. Die National Front<br />
veranstaltete regelmäßig Aufmärsche in schwarze Wohnviertel, die meistens in wüsten<br />
Straßenschlachten en<strong>de</strong>ten. Margret Thatcher bediente sich selber einer rassistischen<br />
Wahlkampfpropaganda, die sie 1977/ 78 zur Premierministerin machte. Mit<br />
Versprechungen, wie <strong>de</strong>r Beendigung <strong>de</strong>r Immigration, konnte sie punkten. Gra<strong>de</strong><br />
die Jugend <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong> magisch von <strong>de</strong>r National Front angezogen, darunter<br />
auch viele Punks, Teds, Mods und natürlich Skinheads. Viele wollten die liberale<br />
Mittelschicht provozieren, die sich <strong>im</strong>mer stark von Rassismus abgegrenzt hat. Aber<br />
die Provokation hat sich bei vielen zu einer persönlichen Einstellung gewan<strong>de</strong>lt. Die<br />
Jugendorganisation <strong>de</strong>r National Front, die Young National Front, setzte ihren <strong>Fokus</strong><br />
<strong>auf</strong> die Fußballfans und Skinheads, während Margret Thatcher mit ihrer Politik <strong>de</strong>n<br />
kleinen Mann kampfunfähig machte. Das Ausbildungs- und Bildungsbudget wur<strong>de</strong><br />
gekürzt, staatliche Betriebe privatisiert und überall gab es Betriebsschließungen. Zu<strong>de</strong>m<br />
wur<strong>de</strong>n Organisationen wie Gewerkschaftsräte, Beratungsinstitutionen und Einrichtungen<br />
<strong>de</strong>r Erwachsenenbildung, Stück für Stück durch Thatchers Politik zerstört.<br />
Bald war die Skinheadbewegung <strong>de</strong>r liebste Ansprechpartner <strong>de</strong>r National<br />
Front, aber es gab auch viele Skins, die sich nicht in <strong>de</strong>n faschistischen Stru<strong>de</strong>l haben<br />
reißen lassen. Bands wie Angelic Upstarts, Blitz und Infa-Riot engagierten sich in<br />
anti-rassistischen Initiativen. (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 50-52)<br />
Krieg in <strong>de</strong>n Konzerthallen<br />
Sham 69 waren absolut keine Anhänger <strong>de</strong>r National Front, aber viele Fans <strong>de</strong>r Kultband.<br />
Der Sänger J<strong>im</strong>my Pursey versuchte <strong>de</strong>n Dialog zu seinen rechten Fans zu suchen,<br />
um sie zu überzeugen, dass Faschismus <strong>im</strong>mer <strong>de</strong>r falsche Weg ist. Nach<strong>de</strong>m<br />
Sham 69 zusammen mit the Clash, <strong>auf</strong> einem Konzert <strong>de</strong>r Anti-Nazi-Liga, <strong>auf</strong>getreten<br />
sind und auch bei Rock against Racism spielten, kam es zu <strong>im</strong>mer mehr Attacken<br />
von Rechts <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Konzerten von Sham 69. Die Band bekam keine<br />
Auftrittsmöglichkeiten mehr, da alle Veranstalter Angst vor <strong>de</strong>r Randale <strong>de</strong>r rechten<br />
Skins hatten. Ähnliche Probleme hatten die Angelic Upstarts, die sich auch <strong>im</strong>mer<br />
klar gegen Faschismus ausgesprochen haben. 1979 wur<strong>de</strong> die Band von 50 National<br />
Front Anhängern in Wolverhampton angegriffen. Das war <strong>de</strong>r Anfang einer Hetzkampagne<br />
<strong>de</strong>r Rechten, um die vermeintlichen Kommunisten nicht mehr <strong>auf</strong>treten zu<br />
lassen. Der Druck <strong>auf</strong> die Oi-Szene wuchs, als die National Front als Antwort <strong>auf</strong> die<br />
38
Rock against Racism Kampagne, versuchte Bands für das Label Rock against<br />
Communism, zu vereinnahmen. Bei Cockney Rejects Konzerten kam es auch <strong>de</strong>s<br />
Öfteren zu Masschenschlägereien, da die Bandmitglie<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Hooligans <strong>de</strong>r Inter<br />
City Firm von West Ham United gehörten und das auch offen nach außen vertraten.<br />
Oi-Musik war nun überall bekannt für eskalieren<strong>de</strong> Gewalt und dies hatte zur Folge,<br />
dass <strong>im</strong>mer mehr Bands sich <strong>auf</strong>lösten und sich <strong>im</strong>mer mehr Leute von <strong>de</strong>r Oi-Szene<br />
abwandten. Um vom Gewalttäter<strong>im</strong>age los zu kommen, starteten <strong>im</strong> Juli 1981 diverse<br />
Bands eine Oi-Festivaltournee, um <strong>de</strong>n schlechten Ruf wie<strong>de</strong>r los zu wer<strong>de</strong>n.<br />
(Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 52-55)<br />
Southall<br />
Die Oi-Festivaltournee machte am 3. Juli 1981 in Southall Station. Dieser Vorort von<br />
Westlondon war ein gefährliches Pflaster für weiße Rassisten, da sich die Asiaten<br />
dort zu großen Ban<strong>de</strong>n zusammengetan hatten, nach<strong>de</strong>m 1976 <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>r, Gurdip Sing<br />
Chahher, von weißen Jugendlichen erstochen wor<strong>de</strong>n war, und die Polizei die Tat<br />
verharmloste und erklärte, dass es sich um keine rassistische Gewalttat han<strong>de</strong>lte.1977<br />
kam es zu einer Riesenstraßenschlacht in <strong>de</strong>m Viertel, nach<strong>de</strong>m die National Front<br />
<strong>im</strong> Rathaus eine Versammlung abhalten wollte. Das ganze Viertel wollte dies verhin<strong>de</strong>rn<br />
und wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Polizei <strong>auf</strong>s brutalste daran gehin<strong>de</strong>rt und es gab hun<strong>de</strong>rte<br />
Verletzte und einen Toten. Nach diesen Ereignissen war es für Faschisten brandgefährlich,<br />
sich in diesem Stadtteil sehen zu lassen, da die Einwohner genug von rechter<br />
Gewalt hatten. Einige Wochen vor <strong>de</strong>m Konzert kam die zweite Oi-CD von Gary<br />
Bushell raus, <strong>auf</strong> <strong>de</strong>ssen Cover <strong>de</strong>r berühmte Naziskin Nicky Crane zu sehen war.<br />
Der Oi-Sampler trug auch noch <strong>de</strong>n unglücklichen Namen „Strenght thru Oi!“ (als<br />
provozieren<strong>de</strong> Anspielung <strong>auf</strong> das Naz<strong>im</strong>otto Kraft durch Freu<strong>de</strong>). Bushell entschuldigte<br />
sich und meinte, es wäre ein dummer Zufall gewesen, dass Nicky Crane <strong>auf</strong><br />
<strong>de</strong>m Cover zu sehen war. Das war allerdings nach <strong>de</strong>m Konzert. Es gab also einige<br />
Grün<strong>de</strong>, weshalb sich die asiatische Bevölkerung durch dieses Skinheadkonzert provoziert<br />
fühlte, obwohl alle Bands die dort <strong>auf</strong>getreten sind („the Last Resort“, „the<br />
Business“ und „the 4 Skins“) nichts mit Faschismus und Rassismus zu tun hatten.<br />
Auch die National Front machte ihre Anhänger für dieses Konzert mobil und so kam<br />
es schon <strong>im</strong> Vorfeld <strong>de</strong>s Konzertes zur <strong>de</strong>n ersten Schlägereien. Man muss auch dazu<br />
sagen, dass es nicht so wie heute war, dass die Skinheads sich <strong>auf</strong>grund von politi-<br />
39
schen Überzeugungen voneinan<strong>de</strong>r abgrenzen. Für viele Skins waren damals <strong>de</strong>r<br />
Lebensstil, die Vorliebe für Bier und Musik wichtiger, als die politische Einstellung.<br />
Zum Beginn <strong>de</strong>s Konzerts, um halb neun, waren <strong>im</strong> Hambrough Tavern Club 500<br />
Gäste <strong>im</strong> Saal. Davon waren etwa die Hälfte Skinheads und nur ein kleiner Teil davon<br />
Rechts. Draußen sammelten sich schon die provozierten asiatischen Jugendlichen<br />
und die Polizei. Gegen halb Zehn brach dann das Chaos aus. Die Asiaten drangen<br />
mit Stuhlbeinen und an<strong>de</strong>ren Waffen in <strong>de</strong>n Saal ein und verprügelten alles was<br />
in ihren Weg kam. Der Pub wur<strong>de</strong> komplett zerstört und mit Molotowcocktails in<br />
Brand gesetzt. Der Pub brannte langsam ab, während sich die Konzertbesucher, die<br />
Einhe<strong>im</strong>ischen und die Polizei eine stun<strong>de</strong>nlange Straßenschlacht lieferten. Es gab<br />
110 Schwerverletzte.<br />
Das war <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstoß für die damalige Oi-Szene. Die Presse schlachtete die Ereignisse<br />
als „Rassenkrieg von Southall“ aus und alles stürzte sich <strong>auf</strong> die<br />
Skinheadszene. Von nun an waren Skinheads <strong>de</strong>r Inbegriff von rechtsradikalen<br />
Schlägern in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit. Die Englandtournee, die kurz nach <strong>de</strong>m Ereignis von<br />
Southall stattfand und kurzfristig von „the Business“, Blitz und Infa- Riot, unter <strong>de</strong>m<br />
Motto Oi! against Racism veranstaltet wur<strong>de</strong>, fand in <strong>de</strong>n Medien keine Beachtung.<br />
Das rechtsradikale Image blieb an <strong>de</strong>r Oi-Szene haften. Die 4 Skins und the Business<br />
verloren ihre Plattenverträge. Viele Skins verließen die Szene, weil sie nicht von<br />
aller Welt als Nazi angesehen wer<strong>de</strong>n wollten. Der Oi-Sampler Strenght thru Oi!<br />
wur<strong>de</strong> vom Markt genommen, als er gra<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Top 50 <strong>de</strong>r Charts gelangt war,<br />
obwohl die CD keine rassistischen o<strong>de</strong>r faschistischen Songs enthielt. (Vgl. Farin u.<br />
Sei<strong>de</strong>l 2002: 55-58).<br />
Skinheads in Deutschland, Rechtsrock<br />
Die ersten Skinheadcliquen bil<strong>de</strong>ten sich 1977/78 in Deutschland. Zu einer größeren<br />
Skinheadszene kam es gegen 1980/81. Wie auch in England waren die Fußballstadien<br />
beliebte Treffpunkte <strong>de</strong>r Skinheads. Ein Großteil <strong>de</strong>r Skins ist über Fußball zum<br />
Skinhead gewor<strong>de</strong>n. Die Neonazi-Szene bemühte sich schon früh um die Skinheads<br />
in <strong>de</strong>n Stadien, da sie <strong>de</strong>m Vorbild <strong>de</strong>r National Front in England nacheiferten, die<br />
1982 über zweitausend Skinheads in ihren Reihen hatten. Michael Kühnen brachte<br />
1983 32 Kameradschaften mit 270 Aktivisten seiner Aktionsfront Nationaler Sozialisten<br />
zusammen. Kühnen wollte die Skinheads für seine rechte I<strong>de</strong>ologie gewinnen.<br />
In Hooligangruppen, wie <strong>de</strong>r Borussenfront aus Dortmund, o<strong>de</strong>r be<strong>im</strong> „Kampf gegen<br />
40
die Kanacken“ be<strong>im</strong> Län<strong>de</strong>rspiel Deutschland gegen die Türkei <strong>im</strong> Oktober 1983<br />
kämpften Neonazis mit rechten Skinheads zusammen. 1985 starben zwei Auslän<strong>de</strong>r<br />
durch Skinheadangriffe. Die Gewalt von Skinheads gegen Linke, Auslän<strong>de</strong>r und An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong><br />
nahm in diesen Tagen zu, doch die Politiker ignorierten <strong>de</strong>n Rechtsradikalismus<br />
hinter diesen Taten und bagatellisieren die Vorfälle als Kämpfe zwischen<br />
rivalisieren<strong>de</strong>n Jugendban<strong>de</strong>n. Den Soundtrack für solche Gewalttaten lieferten<br />
Rechtsrockbands wie „Skrewdriver“ (<strong>de</strong>ssen Sänger Ian Stuart das<br />
Faschistennetzwerk Blood & Honour grün<strong>de</strong>te, welche mittlerweile als Terrororganisation<br />
verboten ist) mit Songs wie „Nigger’s out“ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Band „Kraft durch<br />
Froi<strong>de</strong>“, die in einem Song singen:<br />
Skinhead heißt <strong>de</strong>r Weg, <strong>de</strong>n du erwählst, es gibt dir die Kraft zu überstehen<br />
Du wirst kämpfen und du wirst siegen, du wirst diese Schweine killen, killen, killen.<br />
(Vgl. Farin und Sei<strong>de</strong>l 2002: 99-105)<br />
Eine sehr populäre Rechtsrock Band, die sich selber als unpolitische Oi-Band sieht,<br />
ist „Endstufe“ aus Bremen. Die Texte lassen allerdings eine politische Richtung erahnen:<br />
„Dr. Martens, kurze Haare, das ist arisch, keine Frage! Nie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Misch-<br />
Masch-Blut, <strong>de</strong>nn das tut <strong>de</strong>m Vaterland nicht gut!<br />
Haltet rein die <strong>de</strong>utsche Rasse, <strong>de</strong>nn wir sind die Arierklasse! Steh euren Mann, wir<br />
sind die Macht, Deutschland wird siegen in je<strong>de</strong>r Schlacht!“ (Farin und Sei<strong>de</strong>l 2002:<br />
66)<br />
Als Ordnungshüter für das <strong>de</strong>utsche Vaterland versteht sich ebenfalls „Störkraft“, die<br />
ebenfalls zu <strong>de</strong>n Rechtsrock Szenegrößen zählen:<br />
„Die Aufgabe <strong>de</strong>s ganzen Volkes lässt man <strong>auf</strong> unseren Schultern ruh’n, und wer<strong>de</strong>n<br />
wir mal eingesperrt, hat kein Arsch was mit uns zu tun.<br />
Or<strong>de</strong>n bekommen wir nicht angesteckt für unsere Hel<strong>de</strong>ntaten, obwohl ein je<strong>de</strong>r<br />
weiß, dass die große Wen<strong>de</strong> naht.<br />
Marschieren Stiefel durch die Nacht, sind wir nicht allein. Es gibt keine Kraft, die<br />
uns abhält, wir Skinheads sind zu allem bereit.<br />
Wir sind Deutschlands rechte Polizei, wir machen die Straßen wirklich frei, es wird<br />
schon noch hart, wir bleiben dabei.“ (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 74-75)<br />
Die in Deutschland sehr populäre Rechtsrockband „Landser“ (von <strong>de</strong>nen alle CD’s<br />
verboten sind und <strong>de</strong>r Sänger wegen Volksverhetzung <strong>im</strong> Gefängnis saß) setzt <strong>auf</strong><br />
st<strong>im</strong>mungsvolle Rassistenlie<strong>de</strong>r. Bei <strong>de</strong>m Song „Polackentango“ heißt es: „Wenn bei<br />
41
Danzig die Polenflotte <strong>im</strong> Meer versinkt, und das Deutschlandlied <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Marienburg<br />
erklingt, dann zieht die Wehrmacht mir ihren Panzern in Breslau ein und ich<br />
weiß Deutschlands Osten kehrt endlich wie<strong>de</strong>r he<strong>im</strong>“.<br />
„Kraftschlag“ wünschen sich in ihren Texten wie<strong>de</strong>r ein groß<strong>de</strong>utsches Reich. Im<br />
Song „Ich liebe die He<strong>im</strong>at“ heißt es: Ich <strong>de</strong>nke auch an Ostpreussen, an Pommern<br />
und Schlesien, auch Bozen, Wien und Südtirol gehen mir nicht mehr aus <strong>de</strong>m Sinn.<br />
(http://pages.unibas.ch/<strong>de</strong>ja-vu/archiv/aktuellarchiv/naz<strong>im</strong>usik.html)<br />
In Deutschland gab es kaum noch Skinheads, die etwas mit <strong>de</strong>m Geist von 1969 zu<br />
tun hatten. Nicht Skinheads wur<strong>de</strong>n Nazis, son<strong>de</strong>rn Nazis wur<strong>de</strong>n Skinheads. Naziskins<br />
best<strong>im</strong>mten bald die Szene in Deutschland. Skinheads gingen in die rechten<br />
Parteien. Sogar die Spießbürgerpartei die Republikaner konnten Skinheads in ihren<br />
Reihen zählen. Die politische I<strong>de</strong>ologie wur<strong>de</strong> wichtiger als die Parole Spaß. Es kam<br />
zu Schlägereien zwischen Skinheads untereinan<strong>de</strong>r <strong>auf</strong>grund von an<strong>de</strong>ren politischen<br />
Einstellungen. Sogar die Fußballspiele nutzten die jungen, rechten Skins um Wahlpropaganda<br />
unter das Volk zu bringen. Das brachte die Altskinheads und Hooligans<br />
gegen die neuen Rechten <strong>auf</strong>. Als am 20. April 1989 150 Naziskins <strong>de</strong>n Geburtstag<br />
von Adolf Hitler <strong>im</strong> Volksparkstadion feiern wollten, wur<strong>de</strong> diese von Hamburger<br />
Altskins und Hooligans aus <strong>de</strong>m Stadion geprügelt und mussten unter Polizeischutz<br />
das Stadion verlassen. (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 106-109 )<br />
Blood & Honour<br />
Blood and Honour (Blut und Ehre) ist ein Netzwerk von faschistischen Skinheads,<br />
die es sich zur Aufgabe gemacht haben, nationalsozialistisches Gedankengut in die<br />
Skinheadszene einzubringen und Rechtsrockbands zu koordinieren. Blut und Ehre<br />
hat einen Bezug zum dritten Reich und stand <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Fahrtenmesser <strong>de</strong>r Hitlerjugend.<br />
Die Rassengesetze von Nürnberg hießen offiziell auch „Gesetz zum Schutz <strong>de</strong>s<br />
<strong>de</strong>utschen Blutes und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Ehre“. Blood & Honour wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n 80er Jahren<br />
in Großbritannien gegrün<strong>de</strong>t. Ian Stuart war maßgeblich an <strong>de</strong>r Gründung beteiligt.<br />
Das Symbol <strong>de</strong>s Netzwerkes ist eine Triskele, eine Art dreiarmiges Hakenkreuz.<br />
Blood and Honour hat mit Combat 18 einen bewaffneten, sehr gefährlichen Arm in<br />
seinen Reihen. 1994 grün<strong>de</strong>te sich <strong>de</strong>r erste Blood & Honour Ableger in Deutschland.<br />
Weitere folgten. Ein Großteil <strong>de</strong>r rechten Skinheads war bei Blood & Honour<br />
bzw. bei <strong>de</strong>r Hammerskinsektion organisiert. Auch nationalsozialistisch eingestellte<br />
Kameradschaften wie Neuteutonia Neustrelitz arbeiteten eng mit B & H zusammen.<br />
42
Ebenfalls gab es gute Kontakte zur NPD. Nach<strong>de</strong>m es zu Ermittlungen gegen die<br />
Rechtsrockband Landser gekommen ist, wur<strong>de</strong> auch die Blood & Honour Szene<br />
durchleuchtet. Szeneaktive Mitglie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n verhaftet und machten belasten<strong>de</strong><br />
Aussagen. Am 12. September 2000 wur<strong>de</strong> die Deutsche Division verboten. Allerdings<br />
sind die Leute unter an<strong>de</strong>ren Namen weiterhin aktiv.<br />
http://nipberlin.<strong>de</strong>/daten/in<strong>de</strong>x.php?option=com_content&task=view&id=119&Itemid=64<br />
SkinHeads Against Racial Prejudice (S.H.A.R.P)<br />
Durch die Unterwan<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Skinhead Szene durch militant rassistische Organisationen,<br />
wie <strong>de</strong>r National Front und Blood & Honour in Großbritannien, <strong>de</strong>m Ku-<br />
Klux-Klan in <strong>de</strong>n USA und <strong>de</strong>r FAP und NF in Deutschland, wur<strong>de</strong> das Bild vom<br />
rassistischen, faschistischen und gewaltbereiten Skinheads in <strong>de</strong>n Medien geprägt.<br />
Viele antifaschistische Skinheads wollten sich von diesem Image lösen. Die Chance,<br />
von einem größeren Publikum erhört zu wer<strong>de</strong>n, nutzte 1988 ein Skinhead aus <strong>de</strong>n<br />
USA, <strong>de</strong>r in einer <strong>de</strong>r größten Talkshows <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s verkün<strong>de</strong>te, dass es durchaus<br />
Skinheads gibt, die sich ihrer Wurzeln bewusst sind und mit Rassismus nichts zu tun<br />
haben wollen: S.H.A.R.P. (Skinheads against Racial Prejudice). Roddy Moreno, <strong>de</strong>r<br />
Sänger von „the Oppressed“, wur<strong>de</strong> in einem Urlaub in New York <strong>auf</strong> S.H.A.R.P.<br />
<strong>auf</strong>merksam und trug diese I<strong>de</strong>e begeistert ins Ursprungsland <strong>de</strong>r Skinheads zurück.<br />
The Oppressed gab es schon seit <strong>de</strong>n frühen 80er Jahren, aber <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>r um sich<br />
greifen<strong>de</strong>n Gewalt in <strong>de</strong>r Oi-Szene lösten sie sich 1984 <strong>auf</strong>. Moreno blieb <strong>de</strong>r Szene<br />
aber treu und grün<strong>de</strong>te sein anti-rassistisches Label Oi! Records. Er wollte sich <strong>de</strong>utlich<br />
von <strong>de</strong>n Boneheads (Schmähwort <strong>de</strong>r antifaschistischen Skinheads für<br />
Faschoskins) distanzieren, die ihre Wurzel ganz offensichtlich vergessen haben.<br />
(Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 118.119)<br />
1994 fan<strong>de</strong>n sich the Oppressed wie<strong>de</strong>r zusammen und brachten 1994 die „Anti<br />
Fascists Oi! EP raus und 1995 die „Fuck Fascism“ EP. Auf <strong>de</strong>n Alben wur<strong>de</strong>n berühmte<br />
Streetpunkhymnen wie „Flares’n’Slippers“ von Cockney Rejects und<br />
„Borstal Breakout“ von Sham 69 mit antifaschistischen Texten gecovert. (Vgl. Ma<strong>de</strong>r<br />
1996: 114)<br />
Die Sharp Bewegung fand auch großes Interesse in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Skin Szene. Das<br />
Berliner Fanzine (eine Zeitschrift aus <strong>de</strong>r Szene für die Szene) „Skintonic“ wur<strong>de</strong><br />
1989 zum Sprachrohr <strong>de</strong>r Sharp Bewegung. In <strong>de</strong>n Berichten wur<strong>de</strong> sich stark von<br />
43
<strong>de</strong>n Auslän<strong>de</strong>r verprügeln<strong>de</strong>n Naziskinheads distanziert und beson<strong>de</strong>rs über die antifaschistischen<br />
Skinheadbands berichtet. Sharpskinheads sind nicht unbedingt links,<br />
es gibt viele, die sich selber als unpolitisch betrachten, aber ihre Verachtung für Nazis<br />
und rechte Gewalt zum Ausdruck bringen wollen. Es gibt natürlich auch Sharp<br />
Skinheads, die in <strong>de</strong>r autonomen Antifa organisiert sind, aber das ist eher die Ausnahme.<br />
Die meisten Sharp Skinheads bekennen sich zu ihren schwarzen Wurzeln,<br />
sind aber äußerst selten politisch aktiv. (Vgl. Farin u. Sei<strong>de</strong>l 2002: 121-130)<br />
Fazit<br />
Die Skinheadsubkultur ist sehr heterogen. Politisch reicht sie von ganz links bis ganz<br />
rechts. Eine allgemeine Stigmatisierung, wie sie gern in <strong>de</strong>n Medien benutzt wird, ist<br />
also sehr unpassend. Auf alle Randgruppen (Gayskins, Redskins) <strong>de</strong>r Skinheadkultur<br />
einzugehen, wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Rahmen sprengen. Die Skinheadsubkultur hatte schon in <strong>de</strong>n<br />
Anfängen mit Rassismus zu kämpfen, was allerdings an <strong>de</strong>r rassistischen Grundhaltung<br />
vieler Englän<strong>de</strong>r allgemein lag. Die Skinheads waren genau so rassistisch wie<br />
<strong>de</strong>r Rest <strong>de</strong>r Arbeiterklasse, aber nicht mehr und nicht weniger. Aufgrund <strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit<br />
und <strong>de</strong>r recht hohen Gewaltbereitschaft <strong>de</strong>r Skinheads waren sie natürlich<br />
beliebte Ziele von rechten Parteien, die die Skinheadszene unterwan<strong>de</strong>rten. Das hatte<br />
zur Folge, dass sich die Skinheadszene <strong>auf</strong>grund von politischen Einstellungen spaltete.<br />
Deshalb halten sich auch heute viele Oi-Skins gera<strong>de</strong>zu verkrampft an ihrer unpolitischen<br />
Einstellung fest, da viele <strong>de</strong>r Meinung sind, dass die Politik <strong>de</strong>m<br />
Skinheadkult sehr gescha<strong>de</strong>t hat. Die meisten Menschen, und auch viele Faschoskins,<br />
wissen nichts von <strong>de</strong>n schwarzen Wurzeln <strong>de</strong>r Bewegung o<strong>de</strong>r ignorieren diese. Die<br />
Medien berichten auch nur äußerst selten darüber, genau so wenig wie über Sharp<br />
Skinheads o<strong>de</strong>r über Konzerte wo Punks und Skins friedlich feiern bzw. von Skaund<br />
Reggae Konzerten, bei <strong>de</strong>nen Skinheads mit Schwarzen tanzen. Eine rassistische<br />
Schlägerban<strong>de</strong> von Faschoskins ist einfach viel medienwirksamer und erzielt höhere<br />
Auflagen, als Skinheads, die sich gegen Nazis engagieren. Der Skinheadkult ist in<br />
Deutschland weiterhin sehr populär. Das liegt vor allem an Bands wie <strong>de</strong>n „Broilers“,<br />
„Loikaemie“, „Smegma“ und „Volxsturm“, die sich offensiv gegen Faschismus<br />
o<strong>de</strong>r politischen Extremismus gestellt haben. O<strong>de</strong>r Bands wie Los Fastidos aus<br />
Italien, die sich als Skins für Tierrechte und eine vegane Lebensweise einsetzen und<br />
in ihren Songs gegen Faschisten, Rassismus und Krieg singen. Die Skinheadszene ist<br />
sehr gut mit <strong>de</strong>r Punkszene verdrahtet. Es spielen meistens mehrere Oi! Bands <strong>auf</strong><br />
44
großen Punkfestivals wie <strong>de</strong>m Force Attack. Die Skinheadszene wird aber nie mehr<br />
o<strong>de</strong>r weniger akzeptiert wer<strong>de</strong>n wie die Punkszene, weil es einfach zu viele Vorurteile<br />
gibt. Die Gewaltbereitschaft <strong>de</strong>r Skinheads wirkt auch <strong>auf</strong> viele Leute abschreckend.<br />
Die Skinheadszene will allerdings auch nicht wirklich in <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
ankommen.<br />
„Dabei bitte ich, Aufklärung nicht mit Sympathiewerbung zu verwechseln. Das wäre<br />
auch das letzte, was sich Skinheads selbst wünschten. Freundliches Schulterklopfen<br />
von Lehrern und Vorgesetzten, Oi! Fanclubs an Gymnasien und universitäre Erstsemesterpartys<br />
mit Skinhead Bands, Skingirl Schminktipps in <strong>de</strong>r Bravo und die samstägliche<br />
Skinhead Show <strong>auf</strong> Viva – ein Horrorszenario für je<strong>de</strong>n <strong>auf</strong>rechten Kurzhaarigen.“<br />
(Farin 1999: 6)<br />
Viele Leute wollen Skinheads auch als Nazis sehen, weil die Wahrheit um einiges<br />
komplizierter ist und in ein schwarz weiß Denken nicht hinein passt.<br />
3.2. Punk<br />
„Punk, engl. 1. Jugendbewegung <strong>de</strong>r späten 1970er Jahre, gekennzeichnet durch antibürgerliche<br />
Sprüche, abscheuliche Kleidung (wie aus <strong>de</strong>r Mülltonne) und grässliches<br />
Frisuren. 2. Lusche, Niete, Pfeife, Abschaum. 3. Kurzform von Punkrock. 4.<br />
Wertloses Zeug. 5. Hure, Prostituierte. 6. Junger Homosexueller, Pupe, Pullertru<strong>de</strong>,<br />
Sackweib. 7. Lausig, nichts-nutzig, beschissen, hirnrissig.“ (Colegrave und Sullivan<br />
2005: 11)<br />
Bei Punk han<strong>de</strong>lt es sich um eine Subkultur die meist sehr <strong>de</strong>struktiv, subversiv und<br />
nihilistisch ist. Viele gängige Werte und Normen <strong>de</strong>r Gesellschaft wer<strong>de</strong>n abgelehnt.<br />
Punks provozieren gerne durch ein äußerst exzentrisches Image. Die Zwänge <strong>de</strong>r<br />
Leistungsgesellschaft wer<strong>de</strong>n ausgeblen<strong>de</strong>t, umgangen und abgelehnt. Punks pflegen<br />
oft einen exzessiven, selbstzerstörischen und hedonistischen Lebensstil. Punkrock<br />
liefert <strong>de</strong>n Soundtrack für <strong>de</strong>n selbsterwählten Lebensweg, <strong>de</strong>r teilweise am Ran<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft stattfin<strong>de</strong>t. Punkrock ist meist sehr schlichte, schnelle und aggressive<br />
Musik und besteht oft nur aus drei Akkor<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n Texten geht es z.B. um Gesellschaftskritik,<br />
Individualität, Misanthropie und die Verherrlichung von Alkohol<br />
und Drogen. Die Punksubkultur ist so facettenreich und wi<strong>de</strong>rsprüchlich, dass sie<br />
sich kaum verallgemeinern lässt. Es gibt auch sehr viele differenzierte Meinungen zu<br />
<strong>de</strong>n Themen Essen (Fleischkonsum, Vegetarismus, Veganismus), Politik (anarchis-<br />
45
tisch, linksradikal, links, unpolitisch, rechts), Arbeit (gar nicht arbeiten, schwarzarbeiten,<br />
als Künstler arbeiten, „normal arbeiten“…) und zum Alkohol- und Drogenkonsum<br />
(es gibt z.B. die „Straight Edge“ Bewegung, die je<strong>de</strong> Form von Alkohol und<br />
Drogen und sogar Tabak strikt ablehnt). Punk ist also sehr individuell und lässt sich<br />
schlecht einkategorisieren. Die Aggressivität, die Geschwindigkeit und die rebellische<br />
Attitü<strong>de</strong> von Punkrock, hat Psychobilly maßgeblich beeinflusst und daher gehe<br />
ich <strong>auf</strong> die Enstehung <strong>de</strong>r Punksubkultur ein.<br />
Die Geschichte von Punk<br />
Auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Seiten beschreibe ich wie Punk in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Metropolen London<br />
und New York entstan<strong>de</strong>n ist. Ich gehe dabei <strong>auf</strong> die wirtschaftliche Lage, sowie die<br />
Wohn- und Lebenssituation in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Großstädte En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre ein, damit<br />
<strong>de</strong>r Leser besser nachvollziehen kann, warum Punk gera<strong>de</strong> in London und New York<br />
begann. Zu<strong>de</strong>m schreibe ich auch über die Figurationen zwischen <strong>de</strong>r Künstler- und<br />
<strong>de</strong>r Punkszene.<br />
Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre prägte eine Vielzahl von Problemen die Industrielän<strong>de</strong>r.<br />
Großbritannien litt unter einer hohen Arbeitslosenquote, während die USA noch unter<br />
<strong>de</strong>m Schock vom Watergateskandal und <strong>de</strong>s Vietnamkrieges stand. Deutschland<br />
war das Ziel <strong>de</strong>r RAF und die Massenmedien berichteten über Mogadischu, Schleyer<br />
und Stammhe<strong>im</strong>. Der ‚Sommer of Love’ war vorbei und die 68er Generation, die für<br />
einen Aufbruch zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verhältnisse stan<strong>de</strong>n, waren<br />
mittlerweile fest <strong>im</strong> Establishment verankert. (Vgl. Matt 2008: 6)<br />
„Und die Welt befand sich in einem Zustand <strong>de</strong>s Schocks, <strong>de</strong>r Verdrängung und <strong>de</strong>s<br />
Traumas. Die waren die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, unter <strong>de</strong>nen<br />
eine neue Subkultur sich anschickte, zuerst die Schlagzeilen <strong>de</strong>r Presse und dann die<br />
Gemüter einer Armee von <strong>de</strong>sorientierten Jugendlichen zu erobern.“ (Matt 2008:<br />
e.b.d.)<br />
1975 begann Punk Gestalt anzunehmen. Punk war in erster Linie eine Attitü<strong>de</strong>, die<br />
stark von Nihilismus und Anarchismus geprägt war. Punk war <strong>auf</strong> Konfrontation mit<br />
<strong>de</strong>m Establishment ausgelegt. Der Status quo wur<strong>de</strong> hinterfragt.<br />
Die Attitü<strong>de</strong> von Punk gab es natürlich schon viel früher. Im 19 Jahrhun<strong>de</strong>rt gab es<br />
<strong>de</strong>n Maler Gustave Courbet, <strong>de</strong>r zur Avantgar<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Realismus gehörte. Diese<br />
Kunstszene verherrlichte <strong>de</strong>n einfachen Mann und seinen Kampf. Courbet wur<strong>de</strong>,<br />
46
genau wie Punk, vorgeworfen, politische Zerstörung zu provozieren. Zu<strong>de</strong>m hatten<br />
Courbet und die Punks noch an<strong>de</strong>re Gemeinsamkeiten. Courbet glaubte genau wie<br />
die Punkrocker, dass je<strong>de</strong>r Kultur schaffen kann. Während die Punks durch Gummiund<br />
Bondagekleidung provozierten, malte Courbet Bil<strong>de</strong>r von lesbischen Frauen, die<br />
sich liebten. Courbet hat zwar nie Punkrock kennengelernt, doch hat er dieselbe Einstellung<br />
verkörpert und gelebt.<br />
Die Kunstbewegung „Dada“ könnte ebenfalls als einer <strong>de</strong>r Wurzeln von Punk angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n. Hierbei han<strong>de</strong>lte es sich um eine französische Künstlerbewegung,<br />
welche sich aus radikalen Dichtern und Malern zusammensetzte, in <strong>de</strong>n 20er Jahren<br />
<strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts. Dada nutzte Skandale zur Eigenwerbung und feierte Subversion,<br />
Anarchie und Provokation. Es war auch ein Dada Künstler, <strong>de</strong>r einer <strong>de</strong>r<br />
Ersten war, <strong>de</strong>r Collagen anfertigte: John Heartfield. Aus diversen Fotostücken ein<br />
völlig neues Bild zu schaffen, wur<strong>de</strong> ein Markenzeichen <strong>de</strong>r Punkszene. Die Beat-<br />
Bewegung <strong>de</strong>r 50er Jahre beeinflusste ebenfalls Punk. Autoren wie Bukowski, Kerouac,<br />
Ginsberg und Burroughs schrieben verherrlichend über Drogen, die Straßen<br />
und <strong>de</strong>n Untergrund. (Vgl. Collegrave und Sullivan 2005: 18)<br />
„Sie erhoben Erniedrigung und <strong>de</strong>n Alltag mit seinen Schattierungen zu hoher Literatur<br />
und verschreckten damit viele Leute.“ (Collegrave und Sullivan 2005: e.b.d.)<br />
Radikale Künstler, wie Andy Warhol, schufen mit ihrer Kunst ebenfalls sehr wichtige<br />
Grundlagen für Punk. Warhol gehörte zu einer neuen Generation Künstler, die in<br />
<strong>de</strong>n 60er Jahren begann, Kunst zu gestalten. Die Factory von Warhol war eine äußerst<br />
heterogene Künstlervereinigung, die aus heterosexuellen, transsexuellen, lesbischen<br />
und schwulen Künstlern bestand, was ja allein schon ein krasser Gegensatz zur<br />
allgemeinen Sexualvorstellung war. Die Factory hat auch maßgeblich Malcom<br />
McLaren beeinflusst, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Manager <strong>de</strong>r legendären Sex Pistols wur<strong>de</strong>. Warhol<br />
managte auch die Band „Velvet Un<strong>de</strong>rground“, welche vom Verhalten auch als Vorreiter<br />
<strong>de</strong>s Punkrocks gesehen wer<strong>de</strong>n können. Sie traten mit Tänzern <strong>auf</strong>, die eine<br />
Peitsche trugen und sangen über Sadomaso, über Heroin und Drogenmissbrauch.<br />
Und das <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Höhepunkt <strong>de</strong>r Hippieära. (Vgl. Collegrave und Sullivan 2005: 18-<br />
19)<br />
„Warhol hatte die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kunst <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Rock’n’Roll angewandt und Velvet<br />
Un<strong>de</strong>rground war eine künstlerische Installation: Sie waren die Ersten, die das Publikum<br />
dazu brachten, die konventionelle Unterhaltung in Frage zu stellen – dadurch<br />
47
schufen sie die Ethik, die zum Herz <strong>de</strong>s Punkrocks wur<strong>de</strong>.“ (Collegrave und Sullivan<br />
2005: 19)<br />
Velvet Un<strong>de</strong>rground beeinflussten auch Bands wie die „Stooges“ und „MC5“, die<br />
selber zu Schwergewichten <strong>de</strong>r Punkrockszene wur<strong>de</strong>n. Eine Band, die ebenfalls von<br />
großer Be<strong>de</strong>utung war, nannte sich die „New York Dolls“. Sie waren bekannt für<br />
Drogen- und Alkoholexzesse, sahen aus wie Transvestiten und inspirierten Bands<br />
wie die legendären „Ramones“ und „the Clash“. Die New York Dolls dienten Malcolm<br />
McLaren auch als Vorlage für die Sex Pistols, abgesehen von ihrem Outfit. Die<br />
Dolls lösten sich 1975 <strong>auf</strong> und so versuchten unzählige an<strong>de</strong>re Bands, in <strong>de</strong>ren Fußstapfen<br />
zu treten. Das „CBGB’s“ wur<strong>de</strong> dabei zum Herz <strong>de</strong>r New Yorker Punkrockszene<br />
und bot Bands wie <strong>de</strong>n Ramones, <strong>de</strong>n „Dead Boys“ und „Patti Smith“<br />
Auftrittsmöglichkeiten. Die Bewegung war also schon längst aktiv, doch <strong>im</strong>mer noch<br />
namenlos. Dies sollte sich allerdings än<strong>de</strong>rn, als sich <strong>de</strong>r Autor Legs McNeil und <strong>de</strong>r<br />
Illustrator John Holmstrom zusammentaten und das Fanzine Punk grün<strong>de</strong>ten und so<br />
<strong>de</strong>r Bewegung ihren gleich lauten<strong>de</strong>n Namen verpassten.<br />
In England benannten 1975 Vivienne Westwood und Malcom McLaren ihren Kleidungsla<strong>de</strong>n<br />
in ‚Sex’ um. Sie verk<strong>auf</strong>ten dort Bondagekleidung und an<strong>de</strong>re Fetischmo<strong>de</strong><br />
und <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> bald zum beliebten Szenetreff <strong>de</strong>r Londoner Punkszene.<br />
McLaren baute von dort auch die Sex Pistols <strong>auf</strong>, die am Anfang ihrer Karriere<br />
Songs von <strong>de</strong>n Faces und Monkees coverten. Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres 1975 wur<strong>de</strong>n<br />
die Massenmedien <strong>auf</strong> das Phänomen Punk <strong>auf</strong>merksam und von diesem Zeitpunkt<br />
an, verbreitete sich ein neuer Musik- und Lebensstil. (Vgl. Collegrave und Sullivan<br />
2005: 19)<br />
London<br />
god save the queen<br />
the fashist reg<strong>im</strong>e<br />
they ma<strong>de</strong> you a moron<br />
potential h-bomb<br />
god save the queen<br />
she ain’t no human being<br />
there is no future<br />
48
in england’s dreaming<br />
Don't be told what you want<br />
Don't be told what you need<br />
There's no future, no future,<br />
No future for you<br />
God save the queen<br />
We mean it man<br />
We love our queen<br />
God saves<br />
God save the queen<br />
'Cause tourists are money<br />
And our figurehead<br />
Is not what she seems<br />
Oh God save history<br />
God save your mad para<strong>de</strong><br />
Oh Lord God have mercy<br />
All cr<strong>im</strong>es are paid<br />
When there's no future<br />
How can there be sin<br />
We're the flowers in the dustbin<br />
We're the poison in your human machine<br />
We're the future, your future<br />
No future, no future,<br />
No future for you<br />
No future, no future,<br />
No future for me<br />
“Sex Pistols”, “God save the Queen”<br />
49
London spielte in <strong>de</strong>n Anfangsjahren 1976 und 1977 eine große Rolle in <strong>de</strong>r Geschichte<br />
<strong>de</strong>s Punk. London hatte wie viele an<strong>de</strong>re große europäischen Städte mit <strong>de</strong>r<br />
Rezession zu kämpfen. Der städtischen Struktur von London konnte man <strong>de</strong>n wirtschaftlichen<br />
Nie<strong>de</strong>rgang <strong>de</strong>utlich ansehen. Überall stan<strong>de</strong>n Trümmerlandschaften,<br />
halb abgerissene Gebäu<strong>de</strong> und Wellblechkorridore, während <strong>im</strong> Hintergrund riesige<br />
Hochhäuser türmten. London hatte in <strong>de</strong>n 60er und 70er Jahren teilweise ganze<br />
Stadtviertel räumen lassen, um diese abzureißen und neu zu bauen. Durch die wirtschaftliche<br />
Krise konnte <strong>de</strong>r Neubau allerdings nicht verwirklicht wer<strong>de</strong>n und so<br />
best<strong>im</strong>mten Ruinen und leer stehen<strong>de</strong> Häuser die Landschaft von London. Die Punkszene<br />
liebte <strong>de</strong>n apokalyptischen Baustil <strong>de</strong>r Stadt und nutze die Möglichkeit, billig<br />
in <strong>de</strong>r Nähe vom Zentrum zu wohnen. (Vgl. Savage 2008: 41)<br />
Ein Text, <strong>de</strong>r das Lebensgefühl <strong>de</strong>r Punks von damals sehr gut wie<strong>de</strong>r spiegelt<br />
heißt „Dead Cities“ von “the Exploited”:<br />
Im getting wasted in this city<br />
Those council houses are getting me down<br />
Go up town see who’s there<br />
There’s nothing to do its getting me down<br />
Dead cities <strong>de</strong>ad cities<br />
Dead cities <strong>de</strong>ad cities<br />
Snarling and gobbing and falling around<br />
I really enjoy the freedom I’ve found<br />
My mates besi<strong>de</strong>s me lying on the ground<br />
His ears are bursting with the volume of sound<br />
London hatte mit the Clash und <strong>de</strong>n Sex Pistols zwei sehr große Punkbands in <strong>de</strong>r<br />
Stadt und die Szene verteilte sich <strong>auf</strong> die Stadtteile, in <strong>de</strong>nen die Bands wohnten. Die<br />
Sex Pistols kamen aus Chelsea und World’s End/Soho und the Clash kamen aus<br />
North Kesington/Ladbroke Grove. Die Sex Pistols wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r King’s Road 430<br />
<strong>im</strong> La<strong>de</strong>n von Vivienne Westwood und Malcom McLaren gegrün<strong>de</strong>t. Die Sex Pistols<br />
spielten ihre ersten Auftritte in abgelegenen Stadtteilen, in Stripclubs und Kunstschulen.<br />
Auftritte in Pubs waren eher die Ausnahme als die Regel. 1976 entwickelte sich<br />
50
<strong>de</strong>r Lesbenclub „Louise’s“ zu einem Szenetreffpunkt <strong>de</strong>r Punkszene. Hier spielten<br />
z.B. the Clash und the Sex Pistols. Homosexuelle und Punks wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
als empörend wahrgenommen und so spielten Punkbands oft in Schwulenclubs<br />
und Ähnlichem, da diese in <strong>de</strong>n Randbezirken <strong>de</strong>r Stadt lagen und so eine gewisse<br />
Freiheit erlaubten, was das Verhalten und das Aussehen betraf. Auch das<br />
„Chaguaramas“ entwickelte sich zu einem Knotenpunkt <strong>de</strong>r Punkszene. Während<br />
<strong>de</strong>m La<strong>de</strong>n vorher ein äußerst mieser Ruf anhaftete, ergab sich durch einen Skandal<br />
<strong>de</strong>r Sex Pistols <strong>im</strong> Fernsehen (sie hatten einen Mo<strong>de</strong>rator beleidigt, was <strong>im</strong> äußerst<br />
konservativen England für einen Eklat sorgte), die Möglichkeit, <strong>de</strong>r Punkszene eine<br />
Plattform für ihre Musik zu bieten. Vielen Punks wur<strong>de</strong>, <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>s Auftrittes <strong>de</strong>r<br />
Sex Pistols <strong>im</strong> Fernsehen, <strong>de</strong>r Eintritt in viele an<strong>de</strong>re Lokalitäten untersagt. Aufgrund<br />
<strong>de</strong>s Verfalls und <strong>de</strong>r dubiosen Auftrittsmöglichkeiten <strong>de</strong>r Sex Pistols wur<strong>de</strong> London<br />
<strong>im</strong> Jahre 1976 zum Ziel vieler Jugendlicher.<br />
Ein an<strong>de</strong>rer Teil von London, <strong>de</strong>r sehr wichtig für die damalige Punkszene war, hieß<br />
North Kensington. Hier gehörte <strong>de</strong>r Clash Sänger Joe Strummer zur<br />
Hausbesetzerszene, wie viele an<strong>de</strong>re Punks auch. Die Bandmitglie<strong>de</strong>r von the Clash<br />
wohnten in Ladbroke Grove, Notting Dale und <strong>de</strong>r Harrow Road. Die Atmosphäre<br />
<strong>de</strong>r verlassenen Viertel, die von <strong>de</strong>r einzigen Autobahn, welche in die Innenstadt<br />
führte, durschnitten wur<strong>de</strong>, beeinflusste nachhaltig die Musik von the Clash. 1976<br />
kam es be<strong>im</strong> Notting Hill Carnival zu Ausschreitungen zwischen <strong>de</strong>n Einwohnern<br />
(die meistens einen westindischen Hintergrund hatten) und <strong>de</strong>r Polizei. Durch diese<br />
Ereignisse wur<strong>de</strong>n the Clash zu ihrer ersten Single „White Riot“ inspiriert und auch<br />
das Cover ihrer ersten Platte zierte Polizisten mit Schlagstöcken, die durch Ladbroke<br />
Grove marschierten, während <strong>im</strong> Hintergrund die mächtige Autobahn Westway in<br />
<strong>de</strong>n H<strong>im</strong>mel thronte.<br />
1977 kam es zum Höhepunkt <strong>de</strong>r Punkära in London. Ausgerechnet zum Regierungsjubiläum<br />
<strong>de</strong>r Queen spielten die Sex Pistols <strong>auf</strong> einem Schiff <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Themse,<br />
ihren umstrittenen Song „Anarchy in the UK“.<br />
Die Plattenfirma <strong>de</strong>r Sex Pistols (Virgin) mietete ein Vergnügungsschiff mit <strong>de</strong>m<br />
Namen Queen Elizabeth, unter <strong>de</strong>m Vorwand, dass man eine <strong>de</strong>utsche<br />
Synthesizerband promoten wollte. Diese Synthesizerband waren natürlich die Sex<br />
Pistols und diese wollten ihre Single „God save the Queen“ bewerben. Die Aktion<br />
war ein voller Erfolg und die Single kam in die Charts, obwohl das Lied nicht <strong>im</strong><br />
51
Radio gespielt wur<strong>de</strong> und auch an<strong>de</strong>re Medien <strong>de</strong>n Song ablehnten. (Vgl. Savage<br />
2008: 41-46)<br />
„Als die Queen Elizabeth Richtung Parlament die Themse hin<strong>auf</strong>fuhr, begannen die<br />
Sex Pistols Anarchy in The U.K. zu spielen: ein außeror<strong>de</strong>ntlich symbolischer Augenblick,<br />
in <strong>de</strong>m die Band <strong>de</strong>n Anspruch erhob, dass sie das wahre Gesicht Englands<br />
sei und nicht die wi<strong>de</strong>rliche Nostalgie <strong>de</strong>s Silberjubiläums <strong>de</strong>r Queen.“ (Savage<br />
2008: 46-47)<br />
Die Presse berichtete damals über die Feierlichkeiten <strong>de</strong>r Queen und <strong>de</strong>r Königsfamilie<br />
einerseits und an<strong>de</strong>rerseits auch über die Provokation <strong>de</strong>r Sex Pistols. Viele junge<br />
Briten kamen sich damals vor, wie in <strong>de</strong>n 50er Jahren, als in England noch die traditionellen<br />
Klassenverhältnisse herrschten. Das Jubiläum <strong>de</strong>r Queen be<strong>de</strong>utete ihnen<br />
nichts und sie kamen sich belogen vor, da die Lebensverhältnisse in <strong>de</strong>n heruntergekommenen<br />
Vierteln davon zeugten, dass sich nichts verän<strong>de</strong>rt hatte. Punkrock war<br />
zwar pr<strong>im</strong>itiv, aber es ging in <strong>de</strong>n Texten um die Wahrheit und um die ungeschönte<br />
Realität. Die Schlüsselformationen in London um the Clash und <strong>de</strong>n Sex Pistols waren<br />
davon überzeugt, dass sich die Wahrheit in <strong>de</strong>n armen Vierteln abspielt, in <strong>de</strong>n<br />
vergessenen Außenbezirken und nicht in <strong>de</strong>n Vierteln <strong>de</strong>r reichen Leute. Während<br />
die Punks das London <strong>de</strong>r späten siebziger Jahre prägten und <strong>de</strong>n Freiraum nutzen,<br />
die die verlassenen Häuser boten, fand in <strong>de</strong>n frühen 80er Jahren eine radikale Erneuerung<br />
von London statt. Es gibt kaum mehr ein leer stehen<strong>de</strong>s Haus und London<br />
ist zu einer Stadt gewor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r nur die Reichen es sich leisten können, in <strong>de</strong>r Nähe<br />
<strong>de</strong>r Innenstadt zu leben. Die einstigen Wahrzeichen <strong>de</strong>s Punk sind verschwun<strong>de</strong>n,<br />
o<strong>de</strong>r so entfrem<strong>de</strong>t, dass sich heute keiner mehr vorstellen kann, welche Wirkung<br />
gewisse Stadtteile <strong>auf</strong> die Punks ausübten. Die Wohnverhältnisse haben sich stark<br />
verbessert, aber <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite können sich heute kaum noch junge Leute,<br />
Künstler und Arme eine Wohnung in Nähe <strong>de</strong>s Zentrums leisten. Daher ist es sehr<br />
unwahrscheinlich, dass sich so etwas wie Punk wie<strong>de</strong>rholt. (Vgl. Savage 2008: 46-<br />
47)<br />
New York<br />
Punkrock entwickelte sich in <strong>de</strong>n 70er Jahren in <strong>de</strong>r New Yorker Innenstadt, in <strong>de</strong>r es<br />
eine große Kunstszene gab, weil die Mieten zu dieser Zeit sehr billig waren. Da New<br />
York finanziell sehr angeschlagen war, waren die Mieten so spottbillig, dass viele<br />
52
Künstler nur in Nebenjobs arbeiteten. Die Kunstszene und die Punkszene wiesen<br />
damals starke Figurationen <strong>auf</strong>. Die Künstler gingen abends in Bars, wo ihre Nachbarn<br />
mit ihrer Rock- bzw. Punkband spielten. Künstler wählten damals nicht ihren<br />
Beruf, um reich zu wer<strong>de</strong>n und die Kunstszene war auch um einiges kleiner als das<br />
heute <strong>de</strong>r Fall ist.<br />
1975 bat New York <strong>de</strong>n damaligen Präsi<strong>de</strong>nten Gerald Ford um finanzielle Unterstützung<br />
und dieser lehnte die Bitte ab. Am nächsten Tag stand in <strong>de</strong>r New York<br />
Daily News die Schlagzeile: ‚Ford to City: Drop Dead’. Viele Industriegebiete waren<br />
von <strong>de</strong>n Firmen verlassen wor<strong>de</strong>n und so erinnerte die East Village von New York<br />
an das zerbombte Berlin <strong>im</strong> zweiten Weltkrieg. Die Stadt war gefährlich und <strong>de</strong>r<br />
Heroinhan<strong>de</strong>l blühte.<br />
Der Haupttreffpunkt für Künstler und Punks war damals das „Max’s“. Der Besitzer<br />
<strong>de</strong>s Max’s tauschte damals Kunst gegen Getränke. Andy Warhol und die Band Velvet<br />
Un<strong>de</strong>rground zogen 1970 über das Max’s. Viele Musiker waren Stammkun<strong>de</strong>n<br />
(z.B. „Alice Cooper“ und die New York Dolls) und auch bekannte Rockmusiker <strong>de</strong>r<br />
„Rolling Stones“ und von „Jefferson Airplane“ verkehrten <strong>im</strong> Max’s, wenn sie in<br />
New York waren. (Vgl. O’Brien 2008: 94)<br />
„New York war damals eine kleine Szene, doch sicherlich groß genug, dass Musiker<br />
und Künstler sich an verschie<strong>de</strong>nen Orten hätten treffen können, was sie aber nicht<br />
taten. Es gefiel ihnen so wie es war. Künstler und Musiker mischten sich gern. Eine<br />
Verschmelzung zeichnete sich ab.“ (O’Brien 2008: 95)<br />
Die Künstler und die Bands aus New York verban<strong>de</strong>n, <strong>im</strong> Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren<br />
Kunstschaffen<strong>de</strong>n in England und an <strong>de</strong>r Küste, Realismus in ihren Werken. So war<br />
z.B. <strong>de</strong>r Sound <strong>de</strong>r „Stooges“ hart und schnell. Den New York Dolls haftete gar <strong>de</strong>r<br />
Ruf an, dass sie überhaupt nicht fähig wären, Musik zu machen. Das Outfit <strong>de</strong>r Dolls<br />
war Trash pur. Die Musiker waren stark geschminkt, trugen High Heels und Pfadfin<strong>de</strong>runiformen<br />
und gingen völlig berauscht <strong>auf</strong> die Bühne. Die Message <strong>de</strong>r Band war<br />
unglaublich verschroben und die Dolls wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n USA ignoriert. Malcom McLaren<br />
führte die Dolls zwar unter seiner Führung als Manager zu großen Erfolgen in<br />
<strong>de</strong>r Londoner Szene, doch konnte auch er nicht verhin<strong>de</strong>rn, dass sich die New York<br />
Dolls gegen Mitte <strong>de</strong>r 70er Jahre <strong>auf</strong>lösten. Doch schon kurz dar<strong>auf</strong> sorgten Patti<br />
Smith und die Ramones für erneuten Wirbel <strong>im</strong> Max’s. Die Ramones spielten Songs<br />
selten länger als zwei Minuten und verwen<strong>de</strong>ten keine Gitarrensolos. (Vgl. O’Brien<br />
2008: 95-96)<br />
53
„Die Ramones waren das an<strong>de</strong>re entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Element, das die Punk-Musik-<br />
Ästhetik maßgeblich beeinflusste. Geklei<strong>de</strong>t wie männliche Strichjungen aus einem<br />
Warhol-Film (und die Charaktere aus ihrem Song 53rd &3rd) schufen sie etwas<br />
Neues.“ (O’Brien 2008: 96)<br />
Die Kunst- und die Punkszene bestand aus Kunststu<strong>de</strong>nten, sexuellen Min<strong>de</strong>rheiten,<br />
Leuten, die sich aus <strong>de</strong>m mittleren Westen in das Exil von New York geflüchtet haben<br />
und Flüchtlingen. Es wur<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer mehr Bands zu dieser Zeit gegrün<strong>de</strong>t und es<br />
entstan<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer neue Clubs, wie das „Mudd“, das „Danceteria“, „Tier 3“, „The<br />
Pyramid“ und natürlich das „CBGB’s“. Diese neuen Lä<strong>de</strong>n waren oft ausverk<strong>auf</strong>t,<br />
obwohl das Publikum zum größten Teil nur aus an<strong>de</strong>ren Bands, Künstlern und <strong>de</strong>ren<br />
Umfeld stammte. Der Punk aus <strong>de</strong>r Arbeiterklasse wusste meistens nicht von <strong>de</strong>n<br />
kulturellen Vorgängern und Vorbil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Punkszene wie Andy Warhol o<strong>de</strong>r Amos<br />
Poe. (Vgl. O’Brien 2008: e.b.d.)<br />
„Der Punk gab sich nonkonformistisch. Motivation und Einflüsse waren seine Sache,<br />
die an<strong>de</strong>ren mussten sie erraten. Die Intelligenz <strong>de</strong>r Punkszene war ein harter Kern<br />
von Künstlern.“ (O’Brien 2008: e.b.d.)<br />
Chris Bur<strong>de</strong>n war ein Künstler, <strong>de</strong>r durch seine radikalen Performances tiefen Eindruck<br />
in <strong>de</strong>r Punkszene hinterließ. Es gab viele Schlüsselfiguren <strong>de</strong>r Punk- und New<br />
Waveszene, die zugleich Künstler waren, aber gleichzeitig auch als Musiker in<br />
Bands aktiv waren. Die Musiker und Künstler hatten in <strong>de</strong>n späten 70er und <strong>de</strong>n frühen<br />
80er Jahren dieselben Probleme. Plattenfirmen sowie Kunstgalerien bevorzugten<br />
Künstler mit großem Namen, selbst wenn sich kleinere Künstler bzw. Bands genau<br />
so gut verk<strong>auf</strong>en lassen wür<strong>de</strong>n. Aus diesem Grund begannen die Künstler bzw. die<br />
Bands damals, ihre eigenen Labels und Galerien zu grün<strong>de</strong>n. So entstan<strong>de</strong>n autonome<br />
Musiklabel, die zeigten, dass es sich lohnte, unbekannte Künstler zu för<strong>de</strong>rn und<br />
überall entstan<strong>de</strong>n neue Galerien, in <strong>de</strong>nen innovative Kunst präsentiert wur<strong>de</strong>n, die<br />
als Gegenkultur zum Mainstream angesehen wur<strong>de</strong>. Der Begriff Punk war damals<br />
noch nicht geläufig, für die Gegenkultur in Kunst und Musik. Erst als <strong>de</strong>r Cartoonist<br />
John Holmstrom zusammen mit <strong>de</strong>m Schriftsteller Legs McNeill und <strong>de</strong>r Fotografin<br />
Roberta Bayley, die gleichzeitig als Türsteherin <strong>im</strong> CBGB’s arbeitete, das Fanzine<br />
Punk herausbrachte, etablierte sich <strong>de</strong>r gleichnamige Begriff. Die Zeitschrift entstand<br />
<strong>im</strong> Umfeld <strong>de</strong>r Ramones, von „Blondie“ und <strong>de</strong>n „Dictators“. (Vgl. O’Brien 2008:<br />
e.b.d.).<br />
54
„Die Musik war klar vom Stil <strong>de</strong>r New York Dolls und <strong>de</strong>r Ramones beeinflusst,<br />
aber die Mo<strong>de</strong> war ganz und gar von London geprägt.“ (O’Brien 2008: e.b.d.)<br />
Die Ramones beeinflussten mit ihrer Musik auch viele Psychobillybands. Das verwun<strong>de</strong>rt<br />
kaum, da die Ramones in einigen Songs über Ufos, B-Movies und Horrorthemen<br />
sangen. Diese Thematik ist in <strong>de</strong>r Psychobillyszene sehr populär und so überrascht<br />
es nicht, dass berühmte Psychobands wie „the Meteors“ („Somebody put something<br />
in my drink“ <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r CD „Only the Meteors are pure Psychobilly“ und „Mad<br />
Sin“ („She is the one“ <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r CD „Young Dumb and Snotty“) Songs von <strong>de</strong>n<br />
Ramones covern. Einer <strong>de</strong>r berühmtesten Songs <strong>de</strong>r Ramones heißt „Pet Cemetery“<br />
(<strong>im</strong> gleichnamigen Musikvi<strong>de</strong>o gibt sich auch <strong>de</strong>r Horrorautor Stephen King die Ehre,<br />
<strong>de</strong>r bekennen<strong>de</strong>r Ramones Fan ist):<br />
"Pet Sematary"<br />
Un<strong>de</strong>r the arc of a weather stain boards,<br />
Ancient goblins, and warlords,<br />
Come out of the ground, not making a sound,<br />
The smell of <strong>de</strong>ath is all around,<br />
And the night when the cold wind blows,<br />
No one cares, nobody knows.<br />
[CHORUS]<br />
I don't want to be buried in a Pet Sematary,<br />
I don't want to live my life again,<br />
I don't want to be buried in a Pet Sematary,<br />
I don't want to live my life again.<br />
Follow Victor to the sacred place,<br />
This ain't a dream, I can't escape,<br />
Molars and fangs, the clicking of bones,<br />
Spirits moaning among the tombstones,<br />
And the night, when the moon is bright,<br />
Someone cries, something ain't right.<br />
55
The moon is full, the air is still,<br />
All of a sud<strong>de</strong>n I feel a chill,<br />
Victor is grinning, flesh rotting away,<br />
Skeletons dance, I curse this day,<br />
And the night when the wolves cry out,<br />
Listen close and you can hear me shout.<br />
So schreibt “Koefte”, <strong>de</strong>r Sänger von Mad Sin, <strong>im</strong> Booklet von <strong>de</strong>r CD “young dumb<br />
and snotty” (2005): “With 10 years of age I was already into music. My favourite<br />
bands where Kiss, The Ramones and all kind of early punk stuff.”<br />
Auch <strong>im</strong> Interview mit <strong>de</strong>m Psychobillyfanzine “Psychomania”, in <strong>de</strong>m Koefte über<br />
die Inspiration zum neuen Mad Sin Album „Burn and Rise“ (2010) interviewt wird,<br />
gibt er wie<strong>de</strong>r die Ramones als eine Inspirationsquelle an: „Naja ansonsten natürlich<br />
die Musik von the Meteors, „Motörhead“, Ramones, Eddie Cochran, Gene Vincent,<br />
„Torment“, Demented Are Go…“ (Psychomania Fanzine, No. 7, Winter/Spring<br />
2010: 11).<br />
Im selben Fanzine äußert auch <strong>de</strong>r „Quakes“ (the Quakes waren die erste<br />
Psychobillyband in <strong>de</strong>n USA) Frontmann Paul Roman seine Ansichten über die<br />
Ramones: „Es ist schwierig, <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r mit etwas Neuem und Frischem zu kommen-<br />
und so einfach <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r über die Jahre die selbe Sache zu machen, wie die<br />
Ramones (übrigens kein Angriff <strong>auf</strong> die Ramones- die waren ein grosser Einfluss 1-<br />
2-3-4!)“ (Psychomania Fanzine, No. 7, Winter/Spring 2010: 149).<br />
Auch Peter Paul Fenech, <strong>de</strong>r selbsternannte „King of Psychobilly“ und Sänger von<br />
<strong>de</strong>n Meteors, antwortete <strong>auf</strong> die Frage, was er privat für Musik hört: „Ansonsten höre<br />
ich viel von Gene Vincent, Eddie Cochran, Johnny Cash, Motörhead und Ramones“<br />
(Psychomania Fanzine, No. 2, Frühjahr 2006: 13).<br />
56
3.3. Rockabillies, Teddyboys und Halbstarke<br />
3.3.1. Rockabillies<br />
Zur Geschichte <strong>de</strong>r Rockabillies<br />
Elvis Presley goss mit <strong>de</strong>n Musikern Scotty Moore und Bill Black das Fundament für<br />
Rock`n`Roll. Durch ihre erste Platte “That’s all right (mama)” / “Blue Moon of Kentucky“<br />
weckten sie in <strong>de</strong>n 50er Jahren die Begeisterung für <strong>de</strong>n neuen Musikstil.<br />
Dabei muss man <strong>de</strong>n geschichtlichen Kontext beachten, <strong>de</strong>r diese Entwicklung begünstigte.<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 40er und Anfang <strong>de</strong>r 50er Jahre herrschte in <strong>de</strong>n USA <strong>im</strong>mer<br />
noch eine strenge Rassentrennung, die sich auch <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Musikbereich auswirkte. So<br />
hörten die Weißen, weiße Musik wie Country und die Schwarzen, schwarze Musik<br />
wie Rhythm& Blues. Durch Elvis Presley begeisterte sich auch die weiße Jugend für<br />
<strong>de</strong>n lebenslustigen Rhythm & Blues. Durch seinen ersten Auftritt <strong>im</strong> Fernsehen, <strong>im</strong><br />
Januar 1956, beeinflusste und begeisterte Elvis Presley mit seiner Show voller Sexappeal<br />
ein Millionenpublikum und prägte so <strong>de</strong>n Rockabilly, obwohl auch an<strong>de</strong>re<br />
Musiker (z.B. Carl Perkins und das Rock’n`Roll Trio) zu dieser Zeit ähnliche Musik<br />
spielten. (Vgl. El-Nawab 2007: 235)<br />
Elvis Presley erreichte viel mehr Ruhm und Aufmerksamkeit als seine damaligen<br />
Musikkollegen Bill Haley („Rock around the clock“), Buddy Holly und Carl Perkins,<br />
weil er <strong>de</strong>n Sex <strong>auf</strong> die Bühne gebracht hat und um einiges rebellischer wirkte. Die<br />
Konkurrenz von Elvis wirkte einfach zu bie<strong>de</strong>r und nicht wild genug. (Vgl. El-<br />
Nawab 2005: 18)<br />
„Und Elvis ist ein Verführer, <strong>de</strong>r nicht nur Sex, son<strong>de</strong>rn auch Romantik verspricht.<br />
Er brachte <strong>im</strong> zeithistorischen Zusammenhang mit Filmen wie „Rebel without a<br />
cause“ und „the wild one“ eine rebellische Haltung in die Musik, die ein neues Lebensgefühl<br />
<strong>de</strong>r Jugendlichen <strong>auf</strong>weckte.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Elvis Presleys Tanzeinlagen wur<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Zeit <strong>im</strong>mer ausgelassener und nach einer<br />
beson<strong>de</strong>rs wil<strong>de</strong>n Performance von „Hound Dog“ wur<strong>de</strong> er von <strong>de</strong>r Öffentlichkeit als<br />
obszön und jugendgefähr<strong>de</strong>nd wahrgenommen. Elvis bemühte sich dar<strong>auf</strong>hin um ein<br />
57
averes Image und konnte die Öffentlichkeit 1957 mit seiner Balla<strong>de</strong> „Love me ten<strong>de</strong>r“<br />
wie<strong>de</strong>r besänftigen. Elvis wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> gleichnamigen Kinofilm zum Filmstar und<br />
seine Band löste sich <strong>auf</strong>.<br />
Neben <strong>de</strong>n berühmten Namen <strong>de</strong>s Rock’n’Roll wie Elvis Presley, Buddy Holly, Jerry<br />
Lee Lewis, Gene Vincent, Eddie Cochran und Carl Perkins, prägten weitaus erfolglosere<br />
Künstler wie das „Johnny Burnette Trio“ Rockabilly nachhaltig. Die Lie<strong>de</strong>r<br />
dieser Band, die 1956 kreiert wur<strong>de</strong>n, wie z.B. „Tear it up“, „Train kept a-rollin“ und<br />
„Lonesome Train“ erreichten erst viele Jahre später eine große Be<strong>de</strong>utung für die<br />
Rockabillyszene.<br />
Jerry Lee Lewis war genau wie Elvis ein Künstler, <strong>de</strong>r mit seiner lei<strong>de</strong>nschaftlichen<br />
Performance und seinem Sex-Appeal die Jugend euphorisierte. Sein Titel „Great<br />
Balls of Fire“ verhalf ihm zum Erfolg, <strong>de</strong>r aber ein abruptes En<strong>de</strong> nahm, als Lewis<br />
ein 13-jähriges Mädchen heiratete. An<strong>de</strong>re Rock’n’Roller starben bei Flugzeugabstürzen<br />
(Buddy Holly, Big Bopper, Ritchie Valens) o<strong>de</strong>r Autounfällen (Eddie Cochran).<br />
Little Richard hingegen zog sich aus <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zurück. Der populäre<br />
Radio DJ Alan Freed musste seine Karriere been<strong>de</strong>n, nach<strong>de</strong>m es bei einigen von<br />
ihm organisierten Konzerten zu Ausschreitungen kam und Bestechungsvorwürfe laut<br />
wur<strong>de</strong>n. Der Gesellschaft war Freed ein Dorn <strong>im</strong> Auge, da er sehr viel für die Popularisierung<br />
von schwarzer Musik bei Weißen geleistet hat. Freed wur<strong>de</strong> auch nachgesagt,<br />
dass er <strong>de</strong>n Begriff Rock’n`Roll berühmt gemacht hat. Er organisierte viele<br />
Auftrittsmöglichkeiten für schwarze Musiker, was ihn bei <strong>de</strong>n Rassisten sehr unbeliebt<br />
gemacht hat. Daher stand Freed allgemein <strong>im</strong> <strong>Fokus</strong> <strong>de</strong>r Kritik, da die Öffentlichkeit<br />
ihm vorwarf, mit seiner Sendung die weiße Jugend zu ver<strong>de</strong>rben. (Vgl. El-<br />
Nawab 2005: 21- 22)<br />
„Die erwachsene Öffentlichkeit entledigte sich eines Provokateurs, <strong>de</strong>nn man betrachtete<br />
Rock’n’Roll nicht nur als Gefährdung von Anstand und Sittlichkeit, son<strong>de</strong>rn<br />
auch als vulgäre, obszöne ‚Affenmusik’. Als ‚Niggermusik`, die die Jugend<br />
ver<strong>de</strong>rbe.“ (El-Nawab 2005: 22)<br />
Die Entstehung <strong>de</strong>s Begriffes „Rockabilly“ ist nicht klar. 1956 wur<strong>de</strong> z.B. <strong>de</strong>r Begriff<br />
Rockabilly <strong>im</strong> Song „Rock Billy Boogie“ vom Rock’n’Roll Trio verwen<strong>de</strong>t,<br />
aber es nicht geklärt, wer <strong>de</strong>n Begriff zuerst verwen<strong>de</strong>t bzw. erfun<strong>de</strong>n hat. In <strong>de</strong>n<br />
50er und 60er Jahren waren die Begriffe „Rock’n’Roll“ und „Hillbilly Bop“ populärer.<br />
Der Begriff „Rockabilly“ besteht aus <strong>de</strong>n Wörtern „Rock’n`Roll“ und „Hillbilly“.<br />
Das Wort „Hillbilly“ setzt sich aus <strong>de</strong>n Wörtern „hill“ (Hügel <strong>auf</strong> Englisch) und<br />
58
„billy“ zusammen (Billy steht für die Kurzform von William und ist vergleichbar mit<br />
<strong>de</strong>utschen Namen wie Michael o<strong>de</strong>r ähnliches). Hillbilly ist auch eine Beleidigung<br />
für Leute aus <strong>de</strong>n Südstaaten <strong>de</strong>r USA mit ihrer Cowboy Musik und steht für nicht<br />
sehr schmeichelhafte Begriffe wie „Lan<strong>de</strong>ier“ und „Hinterwäldler“. Die musikalischen<br />
Bestandteile vom Rockabilly reichen über Western Swing, Bluegrass, Country<br />
Boogie, Honky Tonk und Hillbilly. (Vgl. El-Nawab 2007: 235-236)<br />
„Das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Merkmal von Rockabilly aber war <strong>de</strong>r Schuss Rebellion und die<br />
schwarzen Rhythm-&-Blues-Einflüsse, die er in sich trägt:(…).“ (El-Nawab 2007:<br />
236)<br />
Die typischen Instrumente von Rockabilly waren Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug,<br />
die gelegentlich durch Saxophon, Country- und Percussion-Instrumente und<br />
Klavier unterstützt wur<strong>de</strong>n. Die Thematik <strong>de</strong>r Songs drehte sich um Liebe, Tanzen,<br />
Sex, Party, Dates und Kleidung. (Vgl. El-Nawab 2007: 237)<br />
„Kennzeichnend für Rockabilly ist <strong>de</strong>r hart und rhythmisch geschlagene Kontrabass,<br />
<strong>de</strong>r ein Schlagzeug oft überflüssig macht und mit Gitarre und Gesang <strong>de</strong>n typischen<br />
Kern <strong>de</strong>r Musik bil<strong>de</strong>t.“ (El-Nawab 2007: e.b.d.)<br />
Rock’n’Roll verkörperte für die damalige Jugend Freiheit und einen Ausweg zum<br />
spießigen und beschränkten Leben <strong>de</strong>r Eltern. Eine Möglichkeit zum Ausbrechen.<br />
Für die Eltern hingegen war Rock’n’Roll Teufelszeug, und er beunruhigte sie. Eine<br />
große Rolle für <strong>de</strong>n Erfolg von Rock’n’Roll hat die geschickte Vermarktung gespielt,<br />
da kluge Geschäftsleute schnell merkten, dass die K<strong>auf</strong>kraft von Jugendlichen gut<br />
genutzt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Obwohl es beliebte Musikerinnen wie Brenda Lee, Janis Martin, Rose Maddox, Lorrie<br />
Collins und Wanda Jackson gab, erschien Rockabilly eher als Männerdomäne.<br />
Das lag daran, dass die weiblichen Musikerinnen, trotz wil<strong>de</strong>r Bühnenshow, von <strong>de</strong>r<br />
Öffentlichkeit nicht als Gefahr gesehen wur<strong>de</strong>n, da ihr ruhiges Privatleben <strong>im</strong> Kontrast<br />
zu ihrer Bühnenperformance stand.<br />
Ganz an<strong>de</strong>rs war die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Öffentlichkeit bei Gene Vincent. Er hatte<br />
<strong>de</strong>n Ruf, ein beson<strong>de</strong>rs wil<strong>de</strong>r Rebell zu sein und durch sein gefährliches, gewalttätiges<br />
Image gilt er als <strong>de</strong>r erste Punk. Rockabilly wird von Morrison als Punkrock <strong>de</strong>r<br />
50er Jahre gesehen, da die Musik wild und energiegela<strong>de</strong>n war, und die Künstler<br />
einfache Instrumente benutzen und nur begrenzte musikalische Fähigkeiten hatten.<br />
(Vgl. El-Nawab 2007: e.b.d.)<br />
59
Morrison schrieb folgen<strong>de</strong>s über Gene Vincent:<br />
„His <strong>im</strong>age is of a wild, tough, hedonistic working-class man with a greasy hairdo an<br />
a mean streak who is dangerous with women and cars, a man who runs alone or with<br />
a gang (the band) and insists on doing exactly what he wants- dancing, cruising, and<br />
racing in cars – regardless of girlfriends’ wishes or society’s standards, while consuming<br />
and enjoying society’s material comforts and toys. This appealed to certain<br />
fans, mostly male, the same ones taken by Marlon Brandon in The Wild One. In real<br />
life, bad publicity about his drinking, tax evasion, money problems, and wild life<br />
scared promoters.” (El-Nawab 2007: 238, zit. nach Morrison 1998: 125)<br />
Gene Vincent brachte das Rebellen<strong>im</strong>age in die Musik, welches Marlon Brando <strong>im</strong><br />
Film `The Wild One’ verkörperte. Das Rebellen<strong>im</strong>age wird auch heute noch gepflegt<br />
von Neo-Rockabillybands wie the Stray Cats und <strong>de</strong>m Rockabilly Jungen von Nebenan<br />
in <strong>de</strong>r Kneipe. Bei <strong>de</strong>n Rock’n’Roll Stars war zu dieser Zeit das Macho-Image<br />
sehr verbreitet. Während Elvis Presley in seinem Song „I got a women“ davon sang,<br />
dass <strong>de</strong>r Platz einer Frau zu Hause ist, behauptete Jerry Reed in „I have had enough“<br />
sogar, dass die Frau sein privates Eigentum ist. (Vgl. El-Nawab 2007: e.b.d.)<br />
Eddie Cochran hatte über Frauen auch seine sehr eigene Betrachtungsweise, welche<br />
er in seinem Song „My Way“ präsentierte:<br />
“Well listen pretty baby<br />
Let’s go out tonight<br />
Tell your mama not to worry<br />
Everything’s gonna be allright<br />
Don’t let me hear you talkin’<br />
Just be there when I call<br />
Cause what I do I do my way<br />
Or it won’t be done at all<br />
Oh little girl<br />
Better hear what I say<br />
I’m an easy going guy<br />
But I always gotta have my way<br />
I was born a tiger<br />
I always had my way<br />
Nobody’s gonna change me<br />
60
This or any other day<br />
Don’t let me hear you argue<br />
When I say frog you jump<br />
‘Cause a women ain’t been born yet<br />
That can play me for a chump<br />
O little girl(…)<br />
Well don’t ask me for reasons<br />
Don’t ever won<strong>de</strong>r why<br />
When I walk away and leave you<br />
I don’t wanna see you cry<br />
I’ve done a lot of planning<br />
Got a lot of things to do<br />
So don’t give me no trouble<br />
Or you and I are through<br />
Oh little girl(…)” (El-Nawab 2005: S.24-25)<br />
Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50er Jahre hatte <strong>de</strong>r Rock’n’Roll durch die Kommerzialisierung<br />
seine Ecken und Kanten verloren und verlor massiv an Be<strong>de</strong>utung. Doch <strong>im</strong> L<strong>auf</strong>e<br />
<strong>de</strong>r Jahrzehnte gab es <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r Revivals, wie z.B. in <strong>de</strong>n 90er Jahren in <strong>de</strong>n<br />
USA, welches durch Swing Musik ausgelöst wur<strong>de</strong>. In Europa und ganz beson<strong>de</strong>rs in<br />
Großbritannien hingegen, wur<strong>de</strong> Rockabilly nie ganz vergessen. (Vgl. El-Nawab<br />
2007: 238-239)<br />
Rockabilly-Revivals<br />
In <strong>de</strong>n 70er Jahren erlebte Rockabilly ein Revival, welches in England startete, sich<br />
dann in <strong>de</strong>n USA ausbreitete und En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er/Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre schließlich<br />
Deutschland erreichte. Auch die Massenmedien (in Deutschland z.B. die Bravo) berichteten<br />
über Rockabilly und so wur<strong>de</strong> Rock’n’Roll wie<strong>de</strong>r populärer. Eine <strong>de</strong>r<br />
wichtigsten und einflussreichsten Bands dieser Zeit waren die Stray Cats, die mit<br />
ihrem Neo-Rockabilly für Aufsehen sorgten. (Vgl. El-Nawab 2005: 31)<br />
“Stray Cats”, „Stray Cat Strut“ (1981)<br />
“Black and organge stray cat sittin’ on a fence<br />
Ain’t got enough dough to pay the rent<br />
61
I’m flat broke but I don’t care<br />
I strut right by with my tail in the air<br />
Stray cat strut<br />
I’m a ladies cat<br />
I’m a feline casanova, hey man that’s that<br />
Get a shoe thrown at me from a mean old man<br />
Get my dinner from a garbage can<br />
(…)<br />
I don’t bother chasing mice around<br />
I sink down the alley lookin’ for a fight<br />
Howlin’ to the moon on a hot summer night<br />
Singing the blues while the ladys cats cry:<br />
“Wild stray cat you’re a real gone guy!”<br />
I wish I could be as carefree and wild<br />
But I got cat class and I got cat style” (El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Der Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre war eine Zeit, in <strong>de</strong>r sehr viel Bewegung und Verän<strong>de</strong>rung<br />
in Jugendsubkulturen in Deutschland herrschte. Die äußerst heterogenen <strong>Subkulturen</strong><br />
wie Gothics, Rockabillys, Skinheads und Punks vertrugen sich nur kurze<br />
Zeit untereinan<strong>de</strong>r und es entwickelten sich teilweise tiefe Gräben zwischen <strong>de</strong>n einzelnen<br />
Szenen. Es gab viel Gewalt und diese trieb viele Leute aus <strong>de</strong>n diversen Szenen<br />
heraus. Anfang /Mitte <strong>de</strong>r 90er Jahre kam erneut Bewegung in die<br />
Rockabillyszene und es kam zu stilistischen Verän<strong>de</strong>rungen. Bewährte Kleidungsstücke,<br />
wie Holzfällerhem<strong>de</strong>n, Le<strong>de</strong>rjacken und Petticoats wur<strong>de</strong>n nicht mehr von<br />
allen getragen, und es kam zu modischen Splits innerhalb <strong>de</strong>r Szene. So gab es nach<br />
wie vor eine harte Le<strong>de</strong>rjacken- und Teds-Fraktion, doch legte sich ein Teil <strong>de</strong>r Rockabillys<br />
authentische, schicke Kleidung aus <strong>de</strong>n 30er, 40er und 50er Jahren zu. Diese<br />
Rockabillys wer<strong>de</strong>n Hepcats und Jiver genannt. Jiver tragen bevorzugt Kleidung<br />
aus <strong>de</strong>n 30er und 40er Jahren. Der Begriff bezieht sich <strong>auf</strong> Jazzmusik und <strong>de</strong>n dazugehörigen<br />
Tanz Jive. Hepcat ist ein amerikanischer Slangausdruck, <strong>de</strong>r soviel be<strong>de</strong>utet<br />
wie ‚eingeweiht` und ‚<strong>auf</strong> <strong>de</strong>m l<strong>auf</strong>en<strong>de</strong>n’ zu sein. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite steht <strong>de</strong>r<br />
Begriff auch für Jazzfans. Der Kleidungsstil (elegante, weite Hosen, lange Jackets<br />
und Hüte) von schwarzen Jugendlichen aus <strong>de</strong>r Swing, Rhythm-&-Blues Szene <strong>de</strong>r<br />
30er und 40er Jahre, dient einem großen Teil <strong>de</strong>r Rockabillyszene heute als Vorbild.<br />
62
In <strong>de</strong>r Rockabillyszene wandten sich einige Leute von Neo-Rockabilly <strong>de</strong>r 80er Jahre<br />
ab und ent<strong>de</strong>ckten ihre Vorliebe für die die 40er und 50er Jahre. Dieser Hang zum<br />
‚authentischen Stil’ bezieht sich sowohl <strong>auf</strong> die Musik als auch <strong>auf</strong> Autos, Kleidungsstücke,<br />
Einrichtungsgegenstän<strong>de</strong> und Möbel. (Vgl. El-Nawab 2005: 31-32)<br />
„Mit diesen stilistischen Wan<strong>de</strong>l bzw. dieser „Rückbesinnung“ geht häufig auch ein<br />
Wan<strong>de</strong>l <strong>im</strong> Selbstverständnis einher, das viele Ex-Teds und Rockabillies dazu veranlasst,<br />
sich nun als „Hepcats“ zu verstehen. An<strong>de</strong>re versuchen <strong>de</strong>n stilistischen Haarspaltereien<br />
zu entgehen, in<strong>de</strong>m sie sich einfach als Rock’n’Roller bezeichnen, weil es<br />
die allgemeinste Bezeichnung bleibt.“ (El-Nawab 2005: 32)<br />
Swing erlebte in <strong>de</strong>n 90er Jahren in <strong>de</strong>n USA ein großes Revival und so ent<strong>de</strong>ckten<br />
viele Punks, aber auch ‚normale“ Leute ihre Vorliebe für diese Musikrichtung. Dadurch<br />
bekam auch die Rockabillyszene mehr Beachtung und während die Swing-<br />
Welle wie<strong>de</strong>r abebbte, hat sich die Rock’n’Roll Szene vergrößert. Diese Szene ist<br />
auch sehr heterogen und besteht aus Greasern, Rockabillies, Hepcats, Punk’n’Rollern<br />
und Psychobillies.<br />
Die Rockabillieszene in Deutschland hingegen ist an einem Tiefpunkt angekommen<br />
und wird <strong>im</strong>mer älter. Eine interessante Entwicklung in dieser Szene ist das Abnehmen<br />
von Gewalt bei gleichzeitiger Zunahme von schicken, ‚authentischen’ Kleidungsstücken.<br />
(Vgl. El-Nawab 2005, e.b.d.)<br />
3.3.2. Teddyboys<br />
Die Teddyboys in Großbritannien<br />
1952/1953 sorgten die Teds das erste Mal für Aufsehen in London. Teds waren Jugendliche<br />
aus <strong>de</strong>r Arbeiterklasse, die sich bewusst <strong>im</strong> Kontrast zu ihrer Herkunft<br />
geklei<strong>de</strong>t haben. Damals war <strong>de</strong>r ‚Edwardian Style’ (benannt nach Prinz Edward)<br />
sehr beliebt bei <strong>de</strong>n Snobs und Dandies. Die Teds ent<strong>de</strong>ckten diese Mo<strong>de</strong> für sich<br />
und klei<strong>de</strong>ten sich in Jackets in Bonbonfarben mit Samtkragen, Röhrenhosen und<br />
Creepers (Wildle<strong>de</strong>rschuhe mit dicken Sohlen). Die Haare wur<strong>de</strong>n nach hinten gekämmt<br />
und <strong>de</strong>r lange Pony zur Tolle frisiert. Dazu trugen sie Kotletten. Während die<br />
Teds anfangs für ihr extravagantes Outfit belächelt wur<strong>de</strong>n, än<strong>de</strong>rte sich <strong>de</strong>r Ruf <strong>de</strong>r<br />
Teds recht schnell, da sie keiner Schlägerei aus <strong>de</strong>m Weg gegangen sind. Bald eilte<br />
ihnen <strong>de</strong>r Ruf voraus, dass sie kr<strong>im</strong>inell und aggressiv wären. Kein Snob wollte mehr<br />
aussehen wie ein Ted. Die Teds ent<strong>de</strong>ckten <strong>de</strong>n Rock’n`Roll für sich als Musik und<br />
63
durch Randale bei Konzerten zementierten sie ihren schlechten Ruf in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.<br />
Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50er Jahre war die Zeit <strong>de</strong>r Teds vorbei und es bil<strong>de</strong>ten sich<br />
Nachkommenschaften: Die Mods und die Rocker.<br />
Bei <strong>de</strong>n Rockern han<strong>de</strong>lte es sich um Jugendliche, die vom Kleidungsstil her Marlon<br />
Brando in „the wild one“ nacheiferten, Mottorad fuhren, in kleinen Clubs organisiert<br />
waren und Rock’n’Roll hörten. Mit <strong>de</strong>r heutigen Vorstellung von Rockern, wie <strong>de</strong>n<br />
Hells Angels, hatten sie nicht viel gemeinsam. Die Rocker bil<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>n eher konservativeren<br />
Gegenpol zu <strong>de</strong>n Mods. Diese bei<strong>de</strong>n Gruppen entwickelten schnell Differenzen<br />
untereinan<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r Streit, <strong>de</strong>r sich in erster Linie um stilistische Elemente<br />
drehte, eskalierte Anfang <strong>de</strong>r 60er Jahre, in Unruhen an englischen Küstenorten.<br />
(Vgl. El-Nawab 2007: 239-241)<br />
„Die Rocker konnten die androgyne Attitü<strong>de</strong> und das schnieke, gelackte Aussehen<br />
<strong>de</strong>r Mods nicht ertragen, das erschien ihnen als unmännlich, und damit waren die<br />
Mods in ihren Augen schwul. Umgekehrt verachteten die Mods die Schmud<strong>de</strong>ligkeit<br />
und Grobheit <strong>de</strong>r konservativen Rocker.“(El-Nawab 2007: 241)<br />
Da die Medien die Kämpfe am englischen Strand zwischen <strong>de</strong>n rivalisieren<strong>de</strong>n<br />
Tednachfolgern hochpuschte, blieben die Teds bis zu <strong>de</strong>n 70er Jahren das Synonym<br />
für Rowdy’s in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit. Erst als die Skinheads und Punks die Bürger in<br />
Aufruhr versetzten, verän<strong>de</strong>rte sich die öffentliche Meinung zu <strong>de</strong>n Teds. Während<br />
die erste Ted Generation als Untergang von Großbritannien gehan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>, betrachtete<br />
die Öffentlichkeit die nachfolgen<strong>de</strong> Ted Generation mit viel mehr Toleranz.<br />
Die alten Teddyboys und die Arbeiter <strong>de</strong>klarierten die 50er Jahre als gute alte Zeit,<br />
und so wur<strong>de</strong> eine Subkultur, die einmal für Bedrohung und Verän<strong>de</strong>rung gestan<strong>de</strong>n<br />
hat, zu einem Stück geschichtlicher Kontinuität.<br />
In <strong>de</strong>n 70er Jahren kriselte die Wirtschaft in Großbritannien und die Angst in <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung vor schwarzen Einwan<strong>de</strong>rern, die als Bedrohung für Arbeit und Wohnungen<br />
gesehen wur<strong>de</strong>n, nahm zu. Hebdige ist <strong>de</strong>r Meinung, dass die zweite Generation<br />
<strong>de</strong>r Teds ihre Wurzeln vergessen hatten und ihre Aggressionen und ihr Macho-<br />
Gehabe nur <strong>auf</strong>gesetzt hatten, da sie konservativ waren und keine Rebellen, wie die<br />
erste Generation. Ebenfalls ist Hebdige (1983) <strong>de</strong>r Meinung, dass man die zweite<br />
Generation separat betrachten müsse, da es sich um einen ganz an<strong>de</strong>ren geschichtlichen<br />
Kontext han<strong>de</strong>lte. Fyvel (1969) sah die Teddyboys als Arbeiterjugend an, die<br />
gegen die Gesellschaft rebellierte, weil diese ihnen etwas vorenthielt. Das Kopieren<br />
<strong>de</strong>s Dandystiles von <strong>de</strong>r armen Proletariatsjugend sieht er als Symbol <strong>de</strong>s sozialen<br />
64
Aufstan<strong>de</strong>s. Zu<strong>de</strong>m meint Fyvel, dass die Arbeiterjungs durch <strong>de</strong>n Teddyboystyle zu<br />
Kr<strong>im</strong>inellen stigmatisiert wur<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong> Tedgenerationen waren in Großbritannien<br />
an Angriffen <strong>auf</strong> schwarze Auslän<strong>de</strong>r beteiligt. Das war in <strong>de</strong>n USA nicht <strong>de</strong>r Fall,<br />
allerdings herrschte dort allgemein ein rassistisches Kl<strong>im</strong>a, welches <strong>de</strong>n Alltag best<strong>im</strong>mte.<br />
Einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> warum Rock’n’Roll so viel Beachtung fand (positiv wie<br />
negativ), war, dass dieser neue Musikstil die schwarze und die weiße Kultur vereinte.<br />
Die modifizierten Nachfolger <strong>de</strong>r Teds wur<strong>de</strong>n die Rockabillies. (Vgl. El-Nawab<br />
2007: 241-242)<br />
3.3.3. Halbstarke<br />
Die „Halbstarken“ in Deutschland<br />
Die ‚Halbstarken’ sorgten in <strong>de</strong>n 50er Jahren für Wirbel in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik. (Vgl.<br />
El-Nawab 2005: 29)<br />
„Der Begriff „Halbstarke“ wur<strong>de</strong> bereits <strong>im</strong> 19 Jahrhun<strong>de</strong>rt für herumlungern<strong>de</strong>,<br />
mitunter als „kr<strong>im</strong>inell“ betrachtete Jugendliche aus sozialen Randschichten verwen<strong>de</strong>t.“<br />
(El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Rock’n’Roll wur<strong>de</strong> <strong>im</strong> Osten Deutschlands als kapitalistische Musik angesehen, die<br />
<strong>de</strong>m Volk nicht zugänglich gemacht wer<strong>de</strong>n durfte, da sie Amerika verherrlichte.<br />
Erst in <strong>de</strong>n 70er Jahren wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r DDR staatlich kontrollierte Rockmusik erlaubt.<br />
Aber auch <strong>im</strong> Westen von Deutschland war Rock’n’Roll schlecht angesehen. Dazu<br />
muss man sagen, dass <strong>im</strong> Nachkriegs<strong>de</strong>utschland sehr repressive Erziehungsmetho<strong>de</strong>n<br />
angewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n und sehr <strong>auf</strong> Anstand und Normen geachtet wur<strong>de</strong>. Die Auflehnung<br />
<strong>de</strong>r Halbstarken fand <strong>im</strong> Wesentlichen in <strong>de</strong>r Freizeit statt und wur<strong>de</strong> durch<br />
Filme von James Dean und Marlon Brando beeinflusst. Die Medien berichteten zwar<br />
mit großem Interesse über Krawalle, doch waren sie eher eine Ran<strong>de</strong>rscheinung, an<br />
<strong>de</strong>r ein kleiner Teil <strong>de</strong>r männlichen Arbeiterjugend beteiligt war. Krüger (1986) ist<br />
<strong>de</strong>r Meinung, dass das Verhalten <strong>de</strong>r Halbstarken unpolitisch war, obwohl sie nach<br />
mehr Freiheit und an<strong>de</strong>ren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen strebten. Allerdings<br />
äußerten sie nie irgendwelche For<strong>de</strong>rungen o<strong>de</strong>r Kritik an das herrschen<strong>de</strong> System.<br />
(Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
„Beson<strong>de</strong>rs wichtig ist, dass die „Halbstarken“ in Deutschland die erste jugendliche<br />
Subkultur von überregionalem und milieuübergreifen<strong>de</strong>m Einfluss war. Im Gegensatz<br />
zu <strong>de</strong>n lokal sehr begrenzten vorhergegangenen Jugendbewegungen lag hier eine<br />
65
stilistische Orientierung an einer neu entstan<strong>de</strong>nen jugendbezogenen Industrie von<br />
Musik, Film, und Mo<strong>de</strong> vor, die via mo<strong>de</strong>rne Massenkommunikationsmittel eine<br />
weite Verbreitung fand.“ (El-Nawab 2005: e.b.d)<br />
Das Halbstarkenphänomen entstand in <strong>de</strong>r Arbeiterklasse und weitete sich auch <strong>auf</strong><br />
an<strong>de</strong>re Schichten aus, welches bald zu <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> dieser Subkultur führen sollte, da<br />
sie kommerziell ausgeschlachtet wur<strong>de</strong>.<br />
Rock’n’Roll beunruhigte die Erwachsenenwelt in Deutschland, da dieser Musikstil<br />
Erotik und Körperlichkeit in <strong>de</strong>r Musik und <strong>im</strong> Tanz betonte. Allerdings waren nicht<br />
alle Jugendlichen, die Rock’n’Roll gehört haben, Halbstarke. Ab 1958 ermöglichte<br />
die beliebte Jugendkultur mehr Freiheit für Frauen. Es wur<strong>de</strong> ihnen erlaubt, gemäßigten<br />
Rock’n’Roll zu tanzen, eigene Mo<strong>de</strong> zu tragen und ihren Jugendkult auch an öffentlichen<br />
Plätzen zur Schau zu stellen. Auch wenn <strong>de</strong>r Rock’n’Roll Stil durch die<br />
Medien inszeniert wur<strong>de</strong>, ergaben sich für junge Frauen die Möglichkeiten, sich über<br />
<strong>de</strong>n Stil und die Anstandserwartungen ihrer Eltern hinwegzusetzen und etwas autonomer<br />
zu leben. Weibliche Rock’n’Rollerinnen wur<strong>de</strong>n als beson<strong>de</strong>rs bedrohlich von<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft gesehen, da sie mit <strong>de</strong>n strengen Konventionen <strong>de</strong>r CDU Regierung<br />
brachen, <strong>de</strong>r eine repressive Sexualpolitik pflegte. Durch James Dean bröckelte auch<br />
langsam das I<strong>de</strong>al vom harten Mann, da er in Filmen wie „rebel without a cause“<br />
Gefühle und eine weiche Seite zeigte, aber gleichzeitig ein Rebell und ein Held war.<br />
(Vgl. El-Nawab 2005: 29-30)<br />
„Mit ihrer Kritik an <strong>de</strong>r steifen bürgerlichen Spießigkeit blieben die „Halbstarken“<br />
allerdings <strong>auf</strong> einer symbolischen Ebene,…“ (El-Nawab 2005: 30)<br />
Fazit:<br />
Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er Jahre war die große Zeit <strong>de</strong>r Hippies <strong>de</strong>finitiv vorbei und <strong>de</strong>r<br />
Sommer <strong>de</strong>r Liebe hatte sich als große Enttäuschung dargestellt. Vietnam, die Ölkrise<br />
und hohe Arbeitslosenzahlen <strong>de</strong>sillusionierten viele Jugendliche. London und<br />
New York waren die Wirtschaftskrisen <strong>de</strong>utlich anzumerken und so zeichnete sich<br />
die Destruktivität dieser Zeit, auch <strong>im</strong> Stadtbild ab. In <strong>de</strong>n verlassenen Stadtteilen,<br />
Runinen und Trümmerlandschaften spiegelte sich <strong>de</strong>r Gemütszustand von vielen<br />
frustrierten jungen Leuten und bot so <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>alen Nährbo<strong>de</strong>n für eine neue, <strong>de</strong>struktive<br />
Subkultur: Punk. Während die Sex Pistols in London durch die Hilfe von professionellem<br />
Management und Plattenfirmen populär wur<strong>de</strong>n und Punk zu einem enormen<br />
Aufschub verhalfen, bil<strong>de</strong>ten sich in London enge Figurationen zwischen<br />
66
Punkmusikern und Künstlern. Diese grün<strong>de</strong>ten ihre eigenen Labels und Galerien und<br />
etablierten Punk autonom von <strong>de</strong>r Musikindustrie.<br />
Rock’n’Roll begeisterte in <strong>de</strong>n 50er Jahren eine ganze Generation. Der Rock’n’ Roll<br />
brachte Lebensfreu<strong>de</strong> und Sex <strong>auf</strong> die Bühnen. Musiker wie Elvis Presley, Buddy<br />
Holly, Jerry Lee Lewis, Gene Vincent, Eddie Cochran und Carl Perkins verk<strong>auf</strong>ten<br />
Millionen von Tonträgern, obwohl sie sich erst mals <strong>de</strong>s Rhythm & Blues bedienten,<br />
<strong>de</strong>r vorher als schwarze Musik galt. Im rassistischen Amerika wur<strong>de</strong> dies natürlich<br />
äußerst kritisch gesehen. Um 1956 endstand <strong>de</strong>r Begriff Rockabilly. Rockabilly be<strong>de</strong>ute<br />
für die Jugendlichen Freiheit und einen Weg, um aus <strong>de</strong>m spießigen Leben <strong>de</strong>r<br />
Eltern auszubrechen. Doch zu <strong>de</strong>n Hauptgrün<strong>de</strong>n für die Popularität von Rock’n’Roll<br />
zählte ein<strong>de</strong>utig die Vereinigung von schwarzer und weißer Musik.<br />
Rockabilly wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n 70er Jahren wie<strong>de</strong>r populärer in England und anschließend<br />
auch in <strong>de</strong>n USA. Gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er wur<strong>de</strong>n auch die Massenmedien in Deutschland<br />
<strong>auf</strong> Rockabilly <strong>auf</strong>merksam und so wur<strong>de</strong> Rock’n’Roll wie<strong>de</strong>r populärer. Anfang/Mitte<br />
<strong>de</strong>r 90er Jahre transformierte sich die Rockabillyszene und so wen<strong>de</strong>ten<br />
sich viele Rockabillies, vom Neo-Rockabilly <strong>de</strong>r 80er Jahre ab und ent<strong>de</strong>ckten ihre<br />
Liebe für die 40er und 50er Jahre. Das galt für die Musik, die Autos, die Kleidung<br />
und die Möbel.<br />
Die Teddyboys waren Jugendliche aus <strong>de</strong>r Arbeiterklasse Englands, die rebellierten,<br />
in <strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Kleidungsstil <strong>de</strong>r höheren Schichten für sich beanspruchten. Da sie<br />
sich auch <strong>im</strong> feinsten Zwirn <strong>de</strong>ftig prügelten, wollte kein Snob aus <strong>de</strong>r Oberschicht<br />
mehr aussehen wie ein Ted. So erhielt die Kleidung <strong>de</strong>r Teds eine völlig neue Be<strong>de</strong>utung.<br />
Die Mods und die Rocker wur<strong>de</strong>n gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50er Jahre die Nachfolger <strong>de</strong>r<br />
Teds. Diese bekämpften sich gegenseitig <strong>auf</strong>grund von stilistischen Differenzen.<br />
Die „Halbstarken“ waren die erste Subkultur in Deutschland, welche überregional<br />
existierte. Die Halbstarken wur<strong>de</strong>n von Filmen mit Marlon Brando und James Dean<br />
beeinflusst. Die Halbstarken waren nicht politisch und so blieb ihr Protest in erster<br />
Line symbolisch. Rock’n’Roll bot <strong>de</strong>n Frauen <strong>im</strong> sehr konservativen Nachkriegs<strong>de</strong>utschland<br />
etwas mehr Freiheit, da die Mädchen ihre eigene Mo<strong>de</strong> tragen und ab<br />
1958 öffentlich Rock’n’Roll tanzen durften.<br />
67
4. Die Subkultur <strong>de</strong>r Psychobillies: Exemplari-<br />
sche Einsichten – qualitative Interviews mit<br />
Subkulturangehörigen<br />
4.1. Die Geschichte von Psychobilly<br />
Psychobilly entstand Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre und ist eine Mischung aus Rockabilly,<br />
Punk und Sixties-Trash. Die Thematik <strong>de</strong>r Songs umfasst <strong>de</strong>n Tod, sexuelle Perversionen<br />
(Nekrophilie, Sado-Masochismus), Wahnsinn und vor allem Horror. Viele<br />
Songs han<strong>de</strong>ln von Zombies, Monstern und übersinnlichen Dingen. Der Kleidungsstil<br />
<strong>de</strong>r Psychobillies (Abkürzung: Psychos) setzt sich aus Stilelementen <strong>de</strong>r Skinhead-,<br />
Punk-, und Rockabillyszene zusammen. Das Markenzeichen <strong>de</strong>r<br />
Psychobillieszene ist allerdings <strong>de</strong>r Flat. Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich um eine Riesentolle<br />
<strong>auf</strong> einem rasierten Kopf. Der Flat ist oft gefärbt und wird als ein Horn o<strong>de</strong>r Spike<br />
mit Haarspray gestylt. Kotletten sind bei Männern beliebt, während Frauen zwei zusätzliche<br />
Haarsträhnen an <strong>de</strong>n Seiten und einen Pfer<strong>de</strong>schwanz tragen. Die Figuration<br />
zwischen diversen <strong>Subkulturen</strong> ist teilweise sehr groß, was man beson<strong>de</strong>rs gut an<br />
<strong>de</strong>r Psychobillieszene merkt. So kommen viele Psychos aus <strong>de</strong>r Skinheadszene und<br />
ältere Psychos wer<strong>de</strong>n zu Rockabillies. Die Psychobillieszene präsentiert sich be<strong>im</strong><br />
Tanzen hart und ‚wahnsinnig’. Psychobillies stehen oft oberkörperfrei vor <strong>de</strong>r Bühne<br />
und stellen ihre oft sehr stark tätowierten Körper zu Schau. Dabei wer<strong>de</strong>n die Augen<br />
verdreht, Gr<strong>im</strong>massen geschnitten und sich mit Bier bespritzt. Vor <strong>de</strong>r Bühne<br />
herrscht oft eine wüste, aggressive und wil<strong>de</strong> Schubserei, die von einigen Bands<br />
noch angeheizt wird, in<strong>de</strong>m z.B. Hühnerblut (selten) und Bier <strong>auf</strong> die Menge ergossen<br />
wird.<br />
Eine Band, die großen Einfluss <strong>auf</strong> die Psychobillyszene hat und hatte, sind „the<br />
Cramps“ aus <strong>de</strong>n USA. Lux Interior und seine Freundin Poison Ivy grün<strong>de</strong>ten die<br />
Band 1976 und sorgten für viel Wirbel <strong>im</strong> berühmten Punkla<strong>de</strong>n CBGB. The Cramps<br />
kombinierten schon damals Rockabilly mit Punk. Ihre Musik ist ein wil<strong>de</strong>r Mix aus<br />
Surfmusik, Sixties-Trash und Garagenpunk. Dennoch sind the Cramps keine<br />
68
Psychobillyband, da ihr Sound einfach zu speziell und einzigartig ist. Das Cramps<br />
Universum dreht sich um Horror, Okkultismus und Sex. (Vgl. El-Nawab 2005: 33-<br />
34)<br />
You better ask my momma how to make a monster…<br />
I’m the creature from the black leather lagoon<br />
I’m a beautiful monster from outer space too<br />
Learned how to shake my hips in the inner sanctum<br />
Satan gave me tips and then I thanked h<strong>im</strong><br />
I’m the creature from the black leather lagoon<br />
Black, black, black, black leather, smash smash, black, black leather, kill, kill, black,<br />
black leather, crash, crash, black, black leather, i’m the creature from the black<br />
leather lagoon<br />
I’m the creature from the black leather lagoon<br />
I’m a chicken-fried fire-eatin’ son of a gun<br />
Conceived by my <strong>de</strong>vil daddy on a chicken run<br />
Like a fireball flyin’ down thun<strong>de</strong>r road<br />
Daddy ma<strong>de</strong> mama but she shoulda said no<br />
I’m the raw hy<strong>de</strong> monster they named number 1<br />
I’m the creature from the black leather lagoon<br />
I’m a genuine juvenille <strong>de</strong>linquent from the moon<br />
I’m like a hundred billion hydrogen bombs<br />
Mama wanted a goat, but I got mom’s<br />
I’m the creature from the black leather lagoon<br />
“The Cramps”, “the creature from the black leather lagoon”, vom Album “Stay<br />
sick!” (1989)<br />
Als Erfin<strong>de</strong>r von Psychobilly gelten „the Meteors“. Um 1979/1980 grün<strong>de</strong>ten die<br />
Rockabillies, P.Paul Fenech und Nigel Lewis, mit <strong>de</strong>m Punk Mark Robertson the<br />
Meteors. Zunächst wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>r Rockabillyszene kritisch beäugt, da sie einen<br />
Punk in <strong>de</strong>r Band <strong>auf</strong>genommen hatten, doch schon bald erspielten sie sich eine große<br />
Fangemeinschaft, die vom alten Rockabillysound gelangweilt war. Aus dieser<br />
69
Gemeinschaft gingen die Psychobillies hervor. Neben <strong>de</strong>n Meteors gab es noch eine<br />
Reihe von Psychobillybands, die einen großen Einfluss <strong>auf</strong> die Szene hatten, wie<br />
z.B.: „Mad Sin“, „Nekromantix“, „Batmobile“, „Guana Batz“, „Demented Are Go“,<br />
„King Kurt“, „Frenzy“, „the Krewmen“, „Klingonz“, „the Quakes“, „Frantic Flintstones“,<br />
„Skitzo“ und die „Phantom Rockers“. Einige dieser Bands spielten so genannten<br />
‚old school Psychobilly’, <strong>de</strong>n man mit harten und schnellem Rockabilly vergleichen<br />
kann. An<strong>de</strong>re Bands betonten mehr die Punkanteile, bzw. brachten auch<br />
Metal-Elemente in die Musik ein.<br />
Eine entstand eine neue Generation mit Flats, ausgefallenen Kleidungsstücken und<br />
Punkattitü<strong>de</strong>. Der Klub Foot <strong>im</strong> Westen von London wur<strong>de</strong> zum Szenetreffpunkt für<br />
Psychobillies. Die Meteors wur<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer populärer und ihre Fans erfan<strong>de</strong>n das<br />
„Wrecking“. Be<strong>im</strong> Wrecking han<strong>de</strong>lt es sich um eine raue, harte Version von Pogo.<br />
Meistens wird ohne T-shirt gewreckt und von außen sieht <strong>de</strong>r Tanz wie eine wüste<br />
Massenschlägerei aus.<br />
Doch nicht nur die Art <strong>de</strong>s Tanzes brachte <strong>de</strong>r Psychobillyszene schnell <strong>de</strong>n Ruf ein<br />
gefährlich und gewalttätig zu sein. Psychobillies waren auch in an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong><br />
extrem unbeliebt. Punks sahen sie als ‚rechte Skins’, die Rockabillies brandmarkten<br />
sie als <strong>de</strong>r Zerstörer von Rockabilly und die rechten Skins titulierten sie als ‚linke<br />
Punks’. Die Öffentlichkeit nahm sie als gewalttätige Rechte wahr. Dabei ist<br />
Psychobilly unpolitisch.<br />
Die größte Zeit <strong>de</strong>r Psychobillies war in <strong>de</strong>n 80er Jahren und <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Festland leicht<br />
verzögert bis in die frühen 90er Jahre. Die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Deutschland wur<strong>de</strong>n zu<br />
Hochburgen von Psychobilly. In <strong>de</strong>n 90er Jahren eskalierte <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r die Gewalt<br />
<strong>auf</strong> Konzerten, und so fan<strong>de</strong>n <strong>im</strong>mer weniger Szene-Events statt. Die Gewalt trieb<br />
auch <strong>im</strong>mer mehr Anhänger aus <strong>de</strong>r Szene hinaus. Der Sänger <strong>de</strong>r Meteors, P. Paul<br />
Fenech goss zusätzlich Öl ins Feuer mit <strong>de</strong>r Aussage, dass nur die Meteors ‚pure<br />
Psychobilly’ wären und so kam es zu gewalttätigen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen<br />
<strong>de</strong>n Fans <strong>de</strong>r Meteors (Wrecking Crew) und von Demented Are Go. (Vgl. El-Nawab<br />
2005: 37-38)<br />
„Mittlerweile haben sich die Wogen wie<strong>de</strong>r geglättet. Die Szene scheint erkannt zu<br />
haben, dass sie zu klein ist, um sich in alberne Feindschaften zu zerklüften.“ (El-<br />
Nawab 2005: 38)<br />
Während <strong>de</strong>r Umgang <strong>de</strong>r Psychobillies untereinan<strong>de</strong>r friedlicher gewor<strong>de</strong>n ist, beharrt<br />
P. Paul Fenech in Interviews <strong>im</strong>mer noch dar<strong>auf</strong>, dass nur die Meteors echten<br />
70
Psychobilly spielen wür<strong>de</strong>n. Die Grün<strong>de</strong> dafür sind allerdings unklar, da niemand in<br />
<strong>de</strong>r Szene an <strong>de</strong>r Schlüsselrolle <strong>de</strong>r Meteors zweifelt. Psychobilly war beson<strong>de</strong>rs<br />
beliebt in Japan und Europa und fin<strong>de</strong>t seit <strong>de</strong>n 90er Jahren <strong>im</strong>mer mehr Fans in <strong>de</strong>n<br />
USA. Bands wie „Tiger Army“ trugen maßgeblich zur steigen<strong>de</strong>n Popularität von<br />
Psychobilly bei. Vorher war diese Art von Musik in <strong>de</strong>n USA so gut wie unbekannt.<br />
(Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Psychobilly ist nicht nur friedlicher gewor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn es haben sich auch viel mehr<br />
Figurationen mit an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> und Musikstilen ergeben. So vermischt sich<br />
Psychobilly <strong>im</strong>mer mehr mit Rockabilly, Punkabilly und Punk’n’Roll. Es spielen<br />
Bands aus diesen Musikrichtungen gemeinsam <strong>auf</strong> Konzerten und auch <strong>de</strong>r Kleidungsstil,<br />
<strong>de</strong>r unterschiedlichen <strong>Subkulturen</strong>, wird mehr und mehr vermischt.<br />
Psychobillies tragen <strong>im</strong>mer seltener große Flats und Domestosjeans. Die Flats sind<br />
kürzer gewor<strong>de</strong>n und es wird ein <strong>de</strong>zenterer Rockabillystil mit Punkelementen bevorzugt.<br />
Viele ältere Psychos tragen <strong>auf</strong>grund von Haarausfall eine Glatze. Die Frauen<br />
tragen kam noch Flats. Sie bevorzugen lange Haare mit einem kurzen Betty-Page-<br />
Pony. Piercings und Tätowierungen sind sehr verbreitet. Beliebte Themen <strong>de</strong>r<br />
Psychobillyszene sind nach wie vor: Friedhöfe, Zombies, Monster, Außerirdische<br />
und Mutanten. Die Themenpalette <strong>de</strong>r Musiksongs dreht sich um <strong>de</strong>n Tod, Wahnsinn<br />
und die Hölle. Weitere Inspirationen <strong>de</strong>r Psychoszene sind z.B. Trash, B-Movies,<br />
Horror- und Splattergeschichten. (Vgl. El-Nawab 2005: 150)<br />
THE WHOLE WORLD IS DEAD NOW<br />
AFTER THE NEUTRON BOMB<br />
WE ALL STARED UP AND LOOKED AT IT<br />
AND WE WONDERED WHERE IT CAME FROM<br />
BUT THAT WAS MANY YEARS AGO<br />
WHATS LEFT IS CHANGED BY SHOCK<br />
WE ALL LIVE IN THE RUINS<br />
AND WE DO THE MUTANT ROCK<br />
CMON LETS ROCK<br />
CMON LETS ROCK<br />
CMON LETS DO THE MUTANT ROCK<br />
71
WE DONT LOOK LIKE WE USED TO<br />
OUR SKINS ALL SCALED AND BLACK<br />
WE FIGHT EACH OTHER IN THE STREETS<br />
EVOLUTION HAS TURNED BACK<br />
WE GOT NO TELEVISION, WE CANT TELL TIME, NO CLOCK<br />
BUT AS THE SUN GOES DOWN AT NIGHT<br />
WE DO THE MUTANT ROCK<br />
CHORUS<br />
THE BOMB IT COULDNT KILL US<br />
NO MATTER HOW IT TRIED<br />
THOUGH THE WEAKS ONES ARE ALL DEAD<br />
THE STRONG OF US SURVIVED<br />
OUTSIDERS WHO HAVE FOUND US<br />
THEY ALL GET A SHOCK<br />
AS WE SLITHER THROUGH THE RUINS<br />
AND WE DO THE MUTANT ROCK<br />
“The Meteors”, “Mutant Rock”, von <strong>de</strong>r CD “Only the Meteors are pure Psychobilly”<br />
(1988).<br />
Hier han<strong>de</strong>lt es sich um einen typischen Psychobillytext. Mutant Rock wird auch<br />
heute noch von <strong>de</strong>n Meteors <strong>auf</strong> ihren Konzerten gespielt und erfreut sich nach wie<br />
vor einer großen Beliebtheit. Hier wird ein apokalyptisches Szenario entworfen, in<br />
<strong>de</strong>m die meisten Menschen gestorben sind, nach<strong>de</strong>m eine Atombombe abgeworfen<br />
wur<strong>de</strong> und die Überleben<strong>de</strong>n zu Mutanten mutieren. In diesem Horrorszenario leben<br />
die Mutanten in <strong>de</strong>n Ruinen, <strong>de</strong>r zerbombten Stadt und bekämpfen sich gegenseitig.<br />
Die Zeit und die Technik spielen keine Rolle mehr. Die Evolution hat sich zurückgedreht.<br />
Doch die Mutanten wur<strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Bombe noch von etwas an<strong>de</strong>rem<br />
zerstört. Ich <strong>de</strong>nke, dass die Meteors mit ihrer Textzeile „the strong of us survived“<br />
dar<strong>auf</strong> anspielen, dass Psychobillies zu <strong>de</strong>n Starken <strong>de</strong>r Gesellschaft gehören und<br />
sich nicht zerstören lassen, egal wie sehr es von außen versucht wird. Die<br />
Psychobillyszene hatte ja in <strong>de</strong>n 80er Jahren mit massiven Anfeindungen von an<strong>de</strong>ren<br />
<strong>Subkulturen</strong> zu kämpfen. Auch die „normalen“ Bürger hatten viele Vorurteile<br />
72
und sahen Psychobillies teilweise als Faschisten an. Die „Outsi<strong>de</strong>rs“ stehen wohl für<br />
<strong>de</strong>n Normalbürger, <strong>de</strong>r ebenfalls einen Schock erlei<strong>de</strong>t, wenn er beobachtet, wie junge<br />
Männer mit wil<strong>de</strong>n Frisuren, vielen Tätowierungen, exzessiv Alkohol trinken und<br />
einen Tanz zelebrieren, <strong>de</strong>r wie eine wüste Massenschlägerei aussieht (Wrecking).<br />
Zu<strong>de</strong>m könnte man <strong>de</strong>n Eindruck gewinnen, dass sich die Psychobillies in <strong>de</strong>r „normalen“<br />
Gesellschaft wie Mutanten vorkommen und <strong>de</strong>shalb ihre An<strong>de</strong>rsartigkeit<br />
bewusst betonen, weil sie nicht leben wollen, wie die breite Mehrheit und sich daher<br />
bewusst abgrenzen.<br />
Während junge Psychobillies heute in eine relativ friedliche und gemischte Szene<br />
hereinkommen, haben Psychos in <strong>de</strong>n 80er und 90er Jahren Probleme mit <strong>de</strong>r Rockabilly-<br />
und <strong>de</strong>r Punkszene erlebt. Viele Psychobillies waren vorher in <strong>de</strong>r Punko<strong>de</strong>r<br />
in <strong>de</strong>r Skinheadszene. Ältere Psychobillies wen<strong>de</strong>n sich oft <strong>de</strong>m Rockabilly zu.<br />
Psychobillymusik ist schnell, hart und verrückt. (Vgl. El-Nawab 2005: 154)<br />
„Auf symbolischem Wege wird eine Gewaltbereitschaft in <strong>de</strong>r Kleidung, <strong>im</strong> Habitus,<br />
in <strong>de</strong>r Musik und Sprache mit einem inszenierten Hang zum bizarren Wahnsinn und<br />
<strong>de</strong>r Hölle verbun<strong>de</strong>n.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Gewaltfaszination und Gewaltbereitschaft wer<strong>de</strong>n expressiv-ästhetisch am eigenen<br />
Körper nach Außen transportiert. Durch diese Selbstinszenierung erreichen sie ein<br />
Gefühl von Stärke und Härte. Gera<strong>de</strong> bei männlichen Jugendlichen ist das sehr verbreitet<br />
und verschafft ihnen „Respekt“ bei an<strong>de</strong>ren Jugendlichen. Hier gibt es große<br />
Parallelen zu Skinheads, die es ebenfalls genießen, durch ihr martialisches Äußeres,<br />
Reaktionen <strong>de</strong>r Umwelt provozieren und dadurch ein Gefühl <strong>de</strong>r Macht zu erleben.<br />
(Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
„Die Lust daran, Aggressionen körperlich auszuleben, eigene Ohnmachtsgefühle<br />
durch Machtgefühle in <strong>de</strong>r Gruppe, z.B. durch Einschüchterung von an<strong>de</strong>ren auszugleichen,<br />
paart sich mit <strong>de</strong>m Einsatz von Kleidung als Panzer, als <strong>auf</strong>geplustertes<br />
Fe<strong>de</strong>rkleid.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Das Wir-Gefühl wird durch die Musik und <strong>de</strong>n Stil verstärkt. Aggressionen können<br />
be<strong>im</strong> Wrecken spielerisch und in einem szeneeigenen Ritual ausgelebt wer<strong>de</strong>n. Das<br />
Wrecken kann man mit <strong>de</strong>m Pogo in <strong>de</strong>r Punk-, Skinhead- und auch Hardcoreszene<br />
vergleichen. (Vgl. El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Was an <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur beson<strong>de</strong>rs heraussticht, ist ihr Faible für Horrorszenarien,<br />
in <strong>de</strong>nen die Welt untergeht. Psychobilly dreht sich um Zombies, Suizi<strong>de</strong>,<br />
73
Wahnsinn, die Hölle, <strong>de</strong>n Teufel, <strong>de</strong>n Tod, Mutanten und Nekrophilie. Psychobillies<br />
sind fasziniert von ‚Perversen’, ‚Kranken’ und ‚Krassen’. In <strong>de</strong>r Musik und in <strong>de</strong>n<br />
Texten wird diese Thematik oberflächlich und humorvoll behan<strong>de</strong>lt. Die Tabubrüche<br />
und <strong>de</strong>r Horror wer<strong>de</strong>n kaum reflektiert. Ganz <strong>im</strong> Gegenteil zur Gothicsubkultur<br />
wird be<strong>im</strong> Psychobilly spielend mit <strong>de</strong>m Tod umgegangen. Es wird schon fast kindlich<br />
banal mit alptraumartigen Themen in <strong>de</strong>n Texten umgegangen. Eine tiefere Befassung<br />
mit <strong>de</strong>r Thematik wird meist vermie<strong>de</strong>n. Wahrscheinlich wer<strong>de</strong>n durch die<br />
finsteren Texte Ängste und Gewaltfaszinationen verarbeitet. (Vgl. El-Nawab 2005:<br />
174)<br />
„Die Selbstinszenierung als Mutanten, die die Apokalypse o<strong>de</strong>r die Atombombe<br />
überlebt haben, als Zombies, Außerirdische o<strong>de</strong>r Psychotiker, dürfte ebenso als Ausdruck<br />
eines sich außerirdisch-Fühlens zu verstehen sein. Und als indirekt artikulierte<br />
Form sich zu weigern, „normal“ zu sein.“ (El-Nawab 2005: e.b.d.)<br />
Einen guten Eindruck von <strong>de</strong>r Konzertatmosphäre <strong>de</strong>r 80er Jahre liefert Craig Brackenridge.<br />
Er beschreibt in seinem Buch „Let’s Wreck“ (2003) eindrucksvoll, wie<br />
sich die Psychobillyszene in Schottland und England in <strong>de</strong>n 80er Jahren verbreitete,<br />
was alles bei einem Meteorskonzert passieren konnte und wie sehr sich ein<br />
Psychobillykonzert, von einem „normalen“ Konzert unterschied:<br />
„ It was a sweaty Glasgow night in the late 1980’s and The Meteors were in town.<br />
Hundret of psychobillies were battling it out on the dancefloor. Ex-punks, teds, skins,<br />
rockabillies and some <strong>de</strong>sperate fad chasing poseurs were now quiffed up, dressed<br />
down and soaking up the glorious noise of the Godfathers of Psychobilly. The scene<br />
was at its peak, the gig was long sold out and even Goths and rugby-playing lunkheads<br />
were getting into it. In the centre, at the front, was a mass of writhing bodies.<br />
Stomping. Wrecking. Gleefully punching fuck out of each other and loving every<br />
moment. …<br />
My head was cold and wet, ‘Some dirty bastard has thrown beer on me’. But it was<br />
not beer and as I wiped my head I noticed the blood. It was soaking me. …<br />
An ambulance took me to hospital, ‘He’s been drinking – probably fighting’. No<br />
anaesthetic. Thirteen stitches. BAM! Welcome to the wrecking crew!” (Brackenridge<br />
2003: 5)<br />
74
4.2. Methodisches Setting<br />
Zugang zum Feld<br />
Den ersten Kontakt mit Psychobilly hatte ich 2003 <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Force Attack Festival bei<br />
Rostock. Das Force Attack ist eines <strong>de</strong>r größten Punkfestivals in Europa und damals<br />
spielten auch Mad Sin. Die Band hat mir sehr gut gefallen und so k<strong>auf</strong>te ich mir bald<br />
meine ersten Psychobilly CD’s. Ich hörte mir auch einige an<strong>de</strong>re Psychobillybands<br />
wie die Meteors an, die mir damals allerdings nicht gefallen haben. So besuchte ich<br />
sporadisch einige Psychobillykonzerte und hörte einige Bands aus diesem Bereich<br />
(wie z.B. Tiger Army, Mad Sin und Demented Are Go). En<strong>de</strong> 2006 grün<strong>de</strong>te ein<br />
Freund von mir, mit einigen an<strong>de</strong>ren Psychobillies eine Psychobillyband: „The<br />
Tschernobillys“. Ich unterstützte die Band und besuchte die Bandproben und Konzerte.<br />
So lernte ich viele Psychobillies kennen und erweiterte meinen musikalischen<br />
Horizont. 2007 fuhr ich zusammen mit <strong>de</strong>r Band aus Neugier<strong>de</strong> zum Psychomania<br />
Rumble in Potsdam. Es war das erste große Psychobillyfestival in Deutschland außerhalb<br />
vom Satanic Stomp seit längerer Zeit. Da die Leute sehr offen und freundlich<br />
waren und mir auch viele Bands gut gefallen haben, beschäftigte ich mich <strong>im</strong>mer<br />
mehr mit dieser Subkultur und ihrer Musik. 2008 besuchte ich auch das Satanic<br />
Stomp in Lichtenfels und so lernte ich auch <strong>im</strong>mer mehr Leute aus dieser Subkultur<br />
kennen. Durch meine Besuche von diversen Konzerten und Festivals konnte ich<br />
meine Kontakte erweitern und so fiel es mir nicht schwer, 5 Interviewpartner für<br />
meine Bachelor Arbeit zu gewinnen, da die Menschen mich kannten. Einige Leute<br />
haben mir allerdings auch abgesagt, weil sie kein Interview geben wollten.<br />
Ich habe vier Männer und eine Frau interviewt. Alle 5 Personen sind berufstätig und<br />
so gestaltete sich die Terminabsprache teilweise recht schwierig. Einigen Leuten<br />
musste ich regelrecht hinterher telefonieren und durch persönliche Grün<strong>de</strong> verschob<br />
sich ein Interview um mehrere Wochen. Ich musste bei <strong>de</strong>r Auswahl meiner Interviewpartner<br />
auch umdisponieren, da ich einige Wunschinterviewpartner nicht mehr<br />
erreichte und mir an<strong>de</strong>re wie<strong>de</strong>rum absagten.<br />
Die Altersstruktur und die Berufsfel<strong>de</strong>r meiner Interviewpartner sind heterogen und<br />
geben einen guten Einblick über die Psychobillysubkultur. Zwei meiner Interviewpartner<br />
waren schon in <strong>de</strong>n 80er Jahren Psychobillies und so konnte ich auch Infor-<br />
75
mationen über die Verän<strong>de</strong>rung in dieser Subkultur gewinnen. Ich habe auch einen<br />
Szeneneuling interviewt, sowie zwei Leute, die seit ca. 4-7 Jahren Psychobillies sind.<br />
Die Szenezugehörigkeit meiner Interviewpartner ist also auch sehr heterogen.<br />
Vier meiner Interviewpartner besuchte ich in ihren Wohnungen, und das Interview<br />
mit <strong>de</strong>m Szeneneuling D. führte ich in einem Proberaum durch. Alle Gespräche habe<br />
ich <strong>auf</strong> einem Diktiergerät festgehalten. Die Interviewlänge schwankte von 25 Minuten<br />
bis zu 49 Minuten. Ich verwen<strong>de</strong>te einen Interviewleitfa<strong>de</strong>n und habe die Leute<br />
auch einfach re<strong>de</strong>n lassen und bin dann spontan <strong>auf</strong> ihre Erzählungen eingegangen.<br />
Während D. sich sehr an meinen Fragen orientierte und wenig frei erzählt hat, hat K.<br />
sehr viel frei erzählt und ich musste kaum nachfragen, da er viele Informationen zu<br />
diversen Themen gegeben hat. L., T. und J. haben sich an <strong>de</strong>n Fragen orientiert, aber<br />
auch viel frei gere<strong>de</strong>t, wenn sie etwas zu einer best<strong>im</strong>mten Thematik zu sagen hatten.<br />
Die Namen <strong>de</strong>r Interviewten habe ich anonymisiert.<br />
Auswertungsmetho<strong>de</strong> – qualitative Inhaltsanalyse<br />
Nach <strong>de</strong>r vollständigen Transkription <strong>de</strong>r Interviews (<strong>auf</strong> <strong>de</strong>r beiliegen<strong>de</strong>n CD),<br />
durchsuchte ich die Texte, nach meinen Hauptfragen. Einige Hauptfragen hatte ich<br />
schon <strong>im</strong> Kopf, wie z.B.: Ob es sich bei <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur um eine autonome<br />
Subkultur han<strong>de</strong>lt und wie das Geschlechterverhältnis verteilt ist. Dementsprechend<br />
hatte ich diese Fragen auch bei meinem Leitfa<strong>de</strong>n verwen<strong>de</strong>t. An<strong>de</strong>re Fragestellungen<br />
haben sich aus <strong>de</strong>n Informationen meiner Interviewpartner ergeben, wie z.B. die<br />
Fragestellung, ob die Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n ist, da mir vor <strong>de</strong>n<br />
Interviews nicht bewusst war, wieviel Gewalt früher in <strong>de</strong>r Subkultur geherrscht hat.<br />
Nach <strong>de</strong>r Benennung meiner Hauptfragen, begann ich <strong>de</strong>n Text nach <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Themen zu Codieren. Hierbei orientierte ich mich an <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n von<br />
Erika Steinert und Gisela Thiele (Einführung in die qualitativen und quantitativen<br />
Metho<strong>de</strong>n). Mit Hilfe dieses Co<strong>de</strong>planes (s. Anhang) wertete ich dann die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Interviewtextstellen aus. Ich hatte am Anfang auch einen kompletten<br />
Co<strong>de</strong>plan zu allen Themen, die in <strong>de</strong>n ganzen Interviews besprochen wur<strong>de</strong>n, doch<br />
habe ich schnell von Diesem abgesehen, da ich nicht alle Informationen, die die Interviews<br />
hergeben, verwertet habe, weil sie einfach <strong>de</strong>n Rahmen dieser ohnehin sehr<br />
voluminösen Arbeit gesprengt hätten. So bin ich z.B. nicht speziell <strong>auf</strong> die Szeneevents<br />
und Konzertmöglichkeiten eingegangen. Ich Rahmen meiner Hauptfragen,<br />
kommen Informationen zu diesen Bereichen nur am Ran<strong>de</strong> vor. Die Themen <strong>de</strong>s<br />
76
Leidfa<strong>de</strong>ns waren sehr wichtig für die Erstellung <strong>de</strong>s Co<strong>de</strong>planes. Alle sechs Hauptfragen<br />
enthalten Subkategorien, die ich teilweise unter mehreren Themen nebeneinan<strong>de</strong>r<br />
<strong>auf</strong>geführt habe, wie z.B. Tolerantere Gesellschaft, Zusammenhalt, Verwechslungen<br />
und reaktive Gewalt, da diese Themen für mich zusammengehören o<strong>de</strong>r<br />
einfach in <strong>de</strong>n Interviewpassagen <strong>im</strong> selben Zusammenhang erwähnt wer<strong>de</strong>n, so dass<br />
es für mich persönlich keinen Sinn machen wür<strong>de</strong>, diese noch einmal extra zu erwähnen.<br />
Folgen<strong>de</strong> Textpassage habe ich z.B. <strong>de</strong>r Subkategorie Punkabilly vs.<br />
Psychobilly zugeordnet bei <strong>de</strong>r Hauptfrage, ob die Psychobillysubkultur friedlicher<br />
gewor<strong>de</strong>n ist: „Man hat dann <strong>im</strong>mer wenn man schon, wenn man n falsches T-shirt<br />
o<strong>de</strong>r n falschen Aufnäher von <strong>de</strong>r falschen Band hatte, ist man schon blöd angemacht<br />
wor<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r irgendwann mal <strong>auf</strong> nem Festival, da haben wir dann<br />
Demented Are Go <strong>im</strong> Radio gehört, da kamen diese Jungs von <strong>de</strong>r Wrecking Crew<br />
und haben die Luft aus <strong>de</strong>n Reifen gelassen o<strong>de</strong>r einen mit Bier bekippt o<strong>de</strong>r so.“ (L.)<br />
Bei einigen Fragen haben sich bei <strong>de</strong>n Interviewten verschie<strong>de</strong>ne Gruppen gebil<strong>de</strong>t.<br />
Dar<strong>auf</strong> bin ich dann in <strong>de</strong>r Analyse auch spezifisch eingegangen.<br />
So bleibt zusammenfassend festzustellen, dass nach <strong>de</strong>r vollständigen Transkription<br />
die Haupfragen festgelegt wur<strong>de</strong>n. Danach wur<strong>de</strong>n die Interviews nach relevanten<br />
Themen (Kategorien) durchgesehen. Anschließend wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r recht lockere Co<strong>de</strong>plan<br />
ermittelt und <strong>de</strong>n einzelnen Kategorien zugeordnet. Danach begann die formale Analyse<br />
„line by line“ und nicht relevante Textstellen wur<strong>de</strong>n ausgeschlossen.<br />
Die Interviewpartner<br />
K. : Kommt aus Dortmund. Ist 40 Jahre alt. Vom Beruf LKW Fahrer. Hat <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r<br />
Hauptschule die Mittlere Reife gemacht. Der Vater von K. war Arbeiter und die Mutter<br />
hat nebenbei geputzt. K. ist seit 1987 Psychobilly.<br />
T. : Kommt aus Iserlohn. Ist 25 Jahre alt. Vom Beruf Speditionsk<strong>auf</strong>mann. Hat das<br />
Fachabitur erlangt. Der Vater von T. arbeitet als Akquisiteur bei einem Papiergroßhan<strong>de</strong>l.<br />
Die Mutter arbeitet als 400 Eurokraft in einer Druckerei. T. ist seit 7 Jahren<br />
Psychobilly.<br />
D. : Kommt aus Gevelsberg. Ist 18 Jahre alt. Macht eine Lehre als Konditor. Hat die<br />
Mittlere Reife erlangt. Der Vater arbeitet als Elektriker und die Mutter arbeitet <strong>im</strong><br />
Einzelhan<strong>de</strong>l. D. ist seit zwei Jahren Psychobilly.<br />
77
J. : Kommt aus Darmstadt. Ist 21 Jahre alt. Macht eine Ausbildung als Frisösin. Hat<br />
Abitur. Die Mutter ist Musikerin. J. ist seit 4 Jahren Psychobilly.<br />
L. : Kommt aus Dortmund. Ist 41 Jahre alt. Ist stellvertreten<strong>de</strong>r Filialleiter in einem<br />
Einzelhan<strong>de</strong>lgeschäft. L. hat das Gymnasium nach <strong>de</strong>r elften Klasse verlassen. Der<br />
Vater hat bei einer Zulieferfirma für Stahl gearbeitet. Die Mutter war Hausfrau. L. ist<br />
seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er Jahre Psychobilly. L. war bis Mitte <strong>de</strong>r 90er Jahre Psychobilly, hat<br />
die Szene für einige Jahre verlassen und ist seit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 90er Jahre wie<strong>de</strong>r in<br />
<strong>de</strong>r Subkultur aktiv.<br />
4.3. Ergebnisdarstellung<br />
Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong> ich <strong>auf</strong> die wichtigsten Ergebnisse <strong>de</strong>r 5 Interviews eingehen.<br />
Nach <strong>de</strong>r Durchsicht <strong>de</strong>r Interviews haben sich sechs Hauptfragen herauskristallisiert.<br />
Ich wer<strong>de</strong> nicht <strong>auf</strong> alle Informationen eingehen, die mir die Interviewpartner<br />
gegeben haben, da dies die Kapazitäten einer Bachelor Arbeit übersteigen wür<strong>de</strong>.<br />
Themen, wie die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Internets für die Psychobillysubkultur, die aktuelle<br />
Konzertsituation und verän<strong>de</strong>rte Organisationsstrukturen wer<strong>de</strong>n nicht behan<strong>de</strong>lt,<br />
obwohl hierzu Informationen vorliegen. Die sechs Hauptfragen beschäftigen sich mit<br />
<strong>de</strong>n Thematiken: Politik, Aggressionspotential, Geschlechterverhältnis, Autonomie<br />
von <strong>de</strong>r Rockabillysubkultur, das Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> und die Be<strong>de</strong>utung<br />
von Spaß in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur. Der <strong>im</strong> zweiten Hauptpunkt meiner Arbeit<br />
erwähnte theoretische Bezugsrahmen, zur Untersuchung von <strong>Subkulturen</strong> (<strong>de</strong>r<br />
<strong>im</strong> Buch von Mike Brake thematisiert wird) wur<strong>de</strong> ebenfalls von mir beachtet. So<br />
fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n Ergebnissen Informationen zu <strong>de</strong>m sozio-ökonomischen Umfeld<br />
(siehe Berufe <strong>de</strong>r Interviewten), sowie zu <strong>de</strong>m Stil und Image <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur. Die öffentlichen Reaktionen <strong>auf</strong> die Psychobillies wer<strong>de</strong>n<br />
ebenso thematisiert, wie das Sozialgefüge <strong>de</strong>r Subkultur. Zu<strong>de</strong>m gehe ich auch <strong>auf</strong><br />
die Kontinuität und Diskontinuität <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur ein. Die Verän<strong>de</strong>rungen<br />
und Transformationsprozesse wer<strong>de</strong>n ausführlich beschrieben.<br />
78
4.3.1. Ist die Psychobillysubkultur politisch?<br />
„Also Psychobilly ist unpolitisch.“ (T.)<br />
Grundsätzlich kann man sagen, dass die Psychobillysubkultur eine unpolitische Subkultur<br />
ist. Politik ist in <strong>de</strong>n Texten von Psychobillybands nicht relevant. Die Szene<br />
distanziert sich ganz klar von Politik und Religion. „Peter Paul Fenech, <strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Psychobilly, sagt ja auch: Fuck politics! Fuck religion! Just pure<br />
Psychobilly!“ (L.)<br />
„Also <strong>im</strong> Reinen ist Psychobilly gesehen unpolitisch. Man sagt Psychobilly: No politics!<br />
No religion! Just music o<strong>de</strong>r wie <strong>de</strong>r Spruch jetzt auch <strong>im</strong>mer heißen mag. Keine<br />
Ahnung. Je<strong>de</strong>nfalls ist Psychobilly <strong>im</strong> Reinen gesehen unpolitisch.“ (T.)<br />
Alle 5 Interviewpartner sind sich in dieser Hinsicht absolut einig. So antwortet auch<br />
D. <strong>auf</strong> die Frage, ob Politik bei Psychobilly eine Rolle spielt:<br />
„Also meines Empfin<strong>de</strong>ns gar keine Rolle. Mit Politik nichts am Hut find ich.“ (D.)<br />
Bei Psychobilly geht es in erster Linie um Musik und um zusammen feiern. Politik<br />
wird komplett aus <strong>de</strong>r Szene herausgehalten. Während bei Punk- und Oi-Konzerten<br />
schon <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Fleyern Stellung gegen Rechts bezogen wird, und Politik ein Dauerthema<br />
ist, distanziert sich die Psychobillysubkultur völlig von Politik.<br />
„[…] weil Psychobilly mit Politik rein eigentlich rein gar die Szene selber rein gar<br />
nix zu tun hat. Du wirst auch nie irgendwo n Fleyer irgendwo fin<strong>de</strong>n, wo dr<strong>auf</strong>steht:<br />
Sieg Heil! O<strong>de</strong>r Antifa o<strong>de</strong>r irgend so was. Du wirst <strong>im</strong>mer nur was von Musik lesen.“<br />
(K.)<br />
Der Spaß steht bei <strong>de</strong>n Psychobillies <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund und es wird die Meinung vertreten,<br />
dass politische Aussagen und Einstellungen nicht unbedingt durch Musik<br />
vermittelt wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
„Ja doch. Ich glaube, wie ich schon zum Anfang gesagt habe, einfach, dass ich in <strong>de</strong>r<br />
Musik nicht unbedingt o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Psychobillyszene, Musik wie auch <strong>im</strong>mer,<br />
nicht unbedingt <strong>de</strong>n politischen Hintergrund sehen muss. Und ich fin<strong>de</strong> nicht, das<br />
man <strong>im</strong>mer die Politik durch Musik ausdrücken mus, und <strong>de</strong>swegen fin<strong>de</strong> ich, das<br />
einfach ne witzige Art von Musik, <strong>auf</strong> die man gut feiern kann, mit <strong>de</strong>r man viel Spaß<br />
haben kann […].“ (J.)<br />
79
Individuelle politische Haltung<br />
„Welche politische Einstellung n Psychobilly hat, das ist eigentlich je<strong>de</strong>m selber<br />
überlassen.“ (K.)<br />
Während die Psychobillysubkultur an sich völlig unpolitisch ist, sind die einzelnen<br />
Mitglie<strong>de</strong>r durchaus politisch. Je<strong>de</strong>r hat seine individuelle Meinung zu Politik.<br />
„Es gibt mit Sicherheit auch rechte und auch linke Psychobillies. Aber das ist halt<br />
die persönliche Einstellung.“ (K.)<br />
„Ich glaube, dass ist sehr individuell. Ich hoffe natürlich <strong>im</strong>mer inständig, dass es<br />
nicht so viele rechte Einflüsse gibt. Beobachte das lei<strong>de</strong>r aber <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r. Vor<br />
allem <strong>auf</strong> Festivals, wo man natürlich auch Leute von weiter weg trifft, dass es da<br />
viele rechte Einflüsse sind. Aber genau so auch linke Einflüsse. Also ich glaube, es<br />
ist sehr gemischt. Es ist halt offen gehalten. Das kann je<strong>de</strong>r für sich persönlich entschei<strong>de</strong>n.“<br />
(J.)<br />
„Je<strong>de</strong>r kann natürlich seine politische Richtung haben, wie er will, aber so <strong>de</strong>r<br />
Psychobilly hat gar keine politische Richtung.“ (D.)<br />
Die Szene ist von daher sehr ambivalent, da rechte und linke Psychobillies durchaus<br />
zusammen <strong>auf</strong> Konzerte gehen und zusammen feiern. Das wäre in an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong><br />
un<strong>de</strong>nkbar, bzw. ist es <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r ein Grund für Diskussionen und Streitigkeiten.<br />
Allerdings han<strong>de</strong>lt es sich um politische Haltungen, die durchaus in unterschiedlichste<br />
Richtungen tendieren können. Politische Aktivisten sind in <strong>de</strong>r<br />
Psychobillyszene eher die Ausnahme.<br />
Die politische Einstellung bleibt <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall <strong>im</strong> Hintergrund und wird bewusst aus<br />
<strong>de</strong>r Szene rausgehalten.<br />
„Ich persönlich kann z.B. nicht unpolitisch sein. Aber ich wür<strong>de</strong> jetzt niemals meine<br />
politische Einstellung mit meiner Subkultur vergleichen. O<strong>de</strong>r sehen. Das würd ich<br />
niemals machen.“(T.)<br />
80
Verwechslungen, Missverständnisse und Vorurteile<br />
„Die Gesellschaft ist heute viel offener und zugänglicher auch und gesprächsbe-<br />
reiter als früher. Früher biste abgestempelt wor<strong>de</strong>n als Skinhead. Konnten wir ja<br />
nicht sein, aber o<strong>de</strong>r als Punk. So, was an<strong>de</strong>res kannten die Leute gar nicht.“ (K.)<br />
Psychobillies wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n 80er Jahren oft mit Skinheads o<strong>de</strong>r Punks verwechselt,<br />
da ihr Outfit aus diesen bei<strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong> und <strong>de</strong>r Rockabillyszene stammte. Da<br />
Psychobillies die Seiten und <strong>de</strong>n Hinterkopf kahlrasiert haben und auch Skinheads zu<br />
Psychobillykonzerten gekommen sind, haben die Leute ihre stereotypen Ansichten<br />
über die Skinheadszene <strong>auf</strong> die Psychobillyszene übertragen. Psychobillies wur<strong>de</strong>n<br />
für Rechte und Faschisten gehalten. Die Menschen wussten we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Heterogenität<br />
<strong>de</strong>r Skinheadsubkultur, noch von <strong>de</strong>r eigenständigen Psychobillysubkultur.<br />
„Es waren einfach Skinheads. Ru<strong>de</strong> Boys. Skinheads, ne? Und da die Leute das nicht<br />
unterschei<strong>de</strong>n konnten. Die wussten einfach Skinhead. Skinhead ist rechtsradikal.“<br />
(K.)<br />
Auch L. hat in <strong>de</strong>n 80er Jahren Erfahrungen mit Vorurteilen gegenüber Psychobillies<br />
gemacht.<br />
„Ja, die hab ich damals <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall gemacht, weil die Leute konnten das damals<br />
halt nicht so einordnen. Man hat halt damals kurze Haare gehabt und dann hat man<br />
ja von <strong>de</strong>n Klamotten, die man trug, hat ja die Sachen teilweise von <strong>de</strong>n Rockabillies,<br />
aber teilweise auch von Punks und Skins übernommen. Hat dann, was weiß ich, Doc<br />
Martens o<strong>de</strong>r so angehabt und wur<strong>de</strong> dann schon öfter mal in so ne Faschoecke gestellt<br />
ne? Was aber absolut nicht <strong>de</strong>r Fall ist, weil ist ja ne absolut unpolitische Szene.“<br />
(L.)<br />
Die Verwechslung mit <strong>de</strong>r Skinheadsubkultur hatte viel mit <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong> zu tun, da es<br />
damals nicht so viel Auswahl an Kleidung und Merchandiseprodukten wie heute gab.<br />
Die Psychobillysubkultur hat sich also auch von <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong> her verän<strong>de</strong>rt, da sich das<br />
Merchandiseangebot <strong>de</strong>utlich erhöht hat.<br />
„Der einfache Psychobilly hatte halt n Flat, n Baumfällerhemd an, meistens, ne verwaschene<br />
Jeans o<strong>de</strong>r Domestoshose und Boots. Und n Skinhead sah auch von <strong>de</strong>r<br />
Kleidung gar nicht an<strong>de</strong>rs aus, ne? Es war halt einfach so, es hat halt nicht die Klamotten<br />
gegeben. […] Wenn du heute mal in n Konzerthalle mal gehst, <strong>auf</strong> nen<br />
81
Psychobillykonzert, was du da an Klamotten siehst. Was du selbst so <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Konzert<br />
k<strong>auf</strong>en kannst, an Klamotten, das gab’s gar nicht so in <strong>de</strong>m Sinne.“ (K.)<br />
Auch <strong>de</strong>n Medien war Psychobilly kein Begriff. Als gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er Jahre ein<br />
Psychobillyfestival in Delmenhorst veranstaltet wur<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Medien verbreitet,<br />
dass Hor<strong>de</strong>n von Skinheads und Punks in die Innenstadt kommen wür<strong>de</strong>n, um<br />
diese zu verwüsten. Psychobillies wur<strong>de</strong>n in die rechte Ecke gestellt und es wur<strong>de</strong><br />
unterstellt, dass es zu fürchterlichen Ausschreitungen kommen wür<strong>de</strong>. Hier wird<br />
<strong>de</strong>utlich, dass die Medien ein völlig falsches Bild von Psychobillies hatten. Ohne<br />
nähere Recherche wur<strong>de</strong>n Psychos mit Punks und Skinheads in einen Topf geworfen.<br />
Obwohl die Medien keine Informationen über die Psychobillysubkultur hatten, wur<strong>de</strong>n<br />
gleich Vorurteile über politische Haltungen geschürt, ebenso wie Ängste vor<br />
Randale und Gewalt.<br />
„Ja, es gab da mal so n Bericht <strong>im</strong> Nord Drei Fernsehen. Da gab’s so n Festival in<br />
Delmenhorst. […] Das wur<strong>de</strong> so ziemlich <strong>auf</strong>gebauscht und ja, da wur<strong>de</strong> das ganze<br />
auch irgendwie so in die rechte Ecke gestellt, ne? Warum auch <strong>im</strong>mer. Da hieß dann,<br />
Skins wür<strong>de</strong>n kommen und aber auch Punks. Und da wür<strong>de</strong> es Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
geben, auch untereinan<strong>de</strong>r. Und was weiß ich, die Innenstadt wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>moliert und<br />
was weiß ich. Hat sich dann aber <strong>im</strong> Nachhinein herausgestellt, dass dann alles nicht<br />
war. Das wird dann auch so in <strong>de</strong>m Fernsehbericht so dargelegt.“ (L.)<br />
Es gab allerdings auch Berichte in <strong>de</strong>n Medien, die <strong>de</strong>r Wahrheit entsprachen.<br />
„Ja und wo ich mich noch dran erinnern kann. Es gab dann mal in <strong>de</strong>r Bildzeitung n<br />
Artikel. Da wur<strong>de</strong> das Ganze aber nicht in die rechte Ecke gestellt. […] Es wur<strong>de</strong><br />
relativ wahrheitsgemäß berichtet. Das das alles unpolitisch ist.“ (L.)<br />
K. hatte auch oft Ärger mit Migranten, da sie ihn für einen Faschisten gehalten haben.<br />
„Dann hast du natürlich auch <strong>im</strong>mer Probleme gehabt mit Auslän<strong>de</strong>rn. Eher ungewollt,<br />
weil die dich halt für’n Nazi gehalten haben. Hab ich halt auch einige Schlägereien<br />
gehabt, weil ich einfach für n Fascho gehalten wur<strong>de</strong>, ne?“ (K.)<br />
Unterwan<strong>de</strong>rungsversuche von Rechts<br />
Die rechte Szene wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n 80er Jahren <strong>auf</strong> die Psychobillysubkultur <strong>auf</strong>merksam.<br />
Die Faschisten versuchten, ebenso wie bei <strong>de</strong>n Skinheads, die Szene zu unterwan<strong>de</strong>rn<br />
und für ihre I<strong>de</strong>ologie zu gewinnen. Durch Einladungen zu Kamerad-<br />
82
schaftsaben<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r FAP o<strong>de</strong>r durch Musikprojekte von Skrewdrivermitglie<strong>de</strong>rn<br />
sollten die Psychobillies gekö<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
„Es gab wohl mal ein Projekt von einem gewissen Herrn Ian Stuart, <strong>de</strong>r ist ja bekannt<br />
in England, National Front. Dann gab’s da noch so ne rechtsradikale Band:<br />
Skrewdriver genannt. Ja und <strong>de</strong>r hat wohl auch so n Projekt gemacht. The Klansmen<br />
nannte sich das. Das war dann halt auch so Rockabilly, mit etwas faschistoi<strong>de</strong>n Texten.<br />
Und da wur<strong>de</strong> wohl auch versucht, die Szene so n bisschen zu unterwan<strong>de</strong>rn,<br />
aber das ist wohl eigentlich relativ, was heißt nicht relativ, das ist wohl auch erfolglos<br />
geblieben. Nichts in <strong>de</strong>r Richtung getan. Ist <strong>im</strong>mer noch unpolitisch.“ (L.)<br />
„Gera<strong>de</strong> hier <strong>im</strong> Ruhrgebiet hat die rechte Szene versucht, uns, ich habe selber erfahren,<br />
am eigenen Leib, <strong>auf</strong> <strong>de</strong>ren Seite zu ziehen. Wir sind eingela<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n, zum<br />
Kameradschaftsabend von <strong>de</strong>r FAP damals hier. Unter an<strong>de</strong>rem angeführt, damals<br />
von „SS Siggi“, Siggi Borchert. Es ging aber hinterher soweit, dass wir da hinterher<br />
abhaun mussten, weil wir wollten einfach nur s<strong>auf</strong>en und Spaß haben und die Rechten<br />
wollten einfach ihre Parolen da grölen und wir haben einfach gar nicht da mitgemacht.<br />
Z. B. wenn wir eingela<strong>de</strong>n waren, <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Kameradschaftsabend, dann<br />
sind die alle <strong>auf</strong>gestan<strong>de</strong>n, haben das Deutschlandlied gesungen, mit <strong>de</strong>r ersten<br />
Strophe. Hat uns gar nicht interessiert. Wir haben nicht mitgesungen. Da sind wir<br />
dann angemacht wor<strong>de</strong>n, wir müssen doch mitsingen und so ne Scheiße und Arm<br />
heben. Und das wollten wir gar nicht. Also ich war auch nie dafür, für die rechte<br />
Szene eigentlich so, ne?“ (K.)<br />
Politische Positionierung gegenüber Rechts<br />
Hier bil<strong>de</strong>n sich 3 Gruppen bei meinen Interviewpartnern. Die eine Gruppe bil<strong>de</strong>n L.<br />
und D. , die bei<strong>de</strong> sagen, dass Psychobilly unpolitisch ist und nichts über ihre Position<br />
gegenüber Rechts erwähnen.<br />
Die zweite Gruppe bil<strong>de</strong>n T. und J. . Bei<strong>de</strong> grenzen sich ganz bewusst von Rechten<br />
ab. „Ich hoffe natürlich <strong>im</strong>mer inständig, dass es nicht so viele rechte Einflüsse<br />
gibt“. (J.) T. hält überhaupt nichts von Faschisten. „Also du hast zwar <strong>im</strong>mer irgendwelche<br />
Bekloppten dabei, irgendwelche Faschos. Also <strong>im</strong> Reinen ist Psychobilly<br />
gesehen unpolitisch“. (T.)<br />
Auf die Frage, ob Faschisten <strong>de</strong>nn <strong>auf</strong> Konzerten gedul<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>n, antwortete T. :<br />
„Ja, was heißt gedul<strong>de</strong>t? Von mir wer<strong>de</strong>n diese Leute nicht gedul<strong>de</strong>t. Definitiv nicht.<br />
Und von meinen Freun<strong>de</strong>n und meinen Bekannten wer<strong>de</strong>n diese Menschen <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n<br />
83
Fall auch nicht gedul<strong>de</strong>t. Weil so was gehört da meiner Meinung nach nicht rein“.<br />
(T.)<br />
Hier wird sich klar von Faschisten und rechten Einflüssen distanziert und diese Leute<br />
wer<strong>de</strong>n <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Konzerten auch nicht toleriert.<br />
K. bil<strong>de</strong>t die dritte Gruppe. In K.’s Umfeld hatte die FAP keinen geringen Einfluss<br />
und er kannte einige Mitglie<strong>de</strong>r über die Schule bzw. Berufsschule.<br />
„Aber du bist halt hier so <strong>im</strong> Ruhrgebiet, damals zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt war <strong>de</strong>r Kontakt<br />
zu <strong>de</strong>nen sehr groß. Du hast halt in <strong>de</strong>r Schule, in <strong>de</strong>r Berufsschule o<strong>de</strong>r in damals,<br />
in <strong>de</strong>r Schule, halt <strong>im</strong>mer welche gehabt, die auch, weil die FAP hier <strong>im</strong> Ruhrgebiet<br />
sehr groß vertreten war, bist du halt <strong>im</strong>mer in Kontakt gekommen.“ (K.)<br />
K. wur<strong>de</strong> durch diese Kontakte auch zum Kameradschaftsabend zusammen mit an<strong>de</strong>ren<br />
Psychobillies, eingela<strong>de</strong>n. Entwe<strong>de</strong>r weil sie zu naiv waren o<strong>de</strong>r einfach nur mit<br />
<strong>de</strong>n Kontakten von <strong>de</strong>r Berufsschule feiern wollten, ganz egal, welchen politischen<br />
Hintergrund diese hatten, wur<strong>de</strong> diese Einladung auch angenommen. Allerdings war<br />
klar, das man zum Trinken und Spaß haben dahin gekommen ist und nicht um faschistische<br />
Politik zu feiern. Rechte Rituale wur<strong>de</strong>n nicht mitzelebriert.<br />
„[,,,] wir wollten einfach nur s<strong>auf</strong>en und Spaß haben, und die Rechten wollten einfach<br />
ihre Parolen da grölen und wir haben einfach gar nicht da mitgemacht.“ (K.)<br />
Es wur<strong>de</strong> auch nicht <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r rechten Kamera<strong>de</strong>n nachgegeben, bei strafbaren<br />
rechten Prozeduren mitzumachen. „[…] dann sind die alle <strong>auf</strong>gestan<strong>de</strong>n, haben das<br />
Deutschlandlied gesungen, mit <strong>de</strong>r ersten Strophe. Hat uns gar nicht interessiert.<br />
Wir haben nicht mitgesungen. Da sind wir dann angemacht wor<strong>de</strong>n, wir müssen<br />
doch mitsingen und so ne Scheiße. Und Arm heben. Und das wollten wir gar nicht.“<br />
(K.)<br />
K. und die an<strong>de</strong>ren Psychos waren zwar bereit, mit <strong>de</strong>r FAP einen Trinken zu gehen,<br />
aber sie haben sich nicht von <strong>de</strong>n Faschisten und ihrer rechten Politik instrumentalisieren<br />
lassen. K. bezieht zwar nicht so klar Stellung wie T. und J. , doch grenzt er<br />
sich ebenfalls von <strong>de</strong>n Rechten ab. „Also, ich war auch nie dafür, für die rechte Szene<br />
eigentlich so, ne?“ (K.)<br />
84
4.3.2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n?<br />
„Also es ging schon richtig zur Sache damals.“ (K.)<br />
Psychobillies sind früher, wie bereits oben erwähnt, <strong>de</strong>s öfteren mit Skinheads, Faschisten<br />
und Punks verwechselt wor<strong>de</strong>n. Diese Verwechslungen haben oft zu Streitigkeiten<br />
und Schlägereien geführt. Psychobillies waren unbeliebt bei <strong>de</strong>n<br />
Rockabillies, weil viele Leute sich von <strong>de</strong>r Rockabillyszene <strong>de</strong>r Psychobillyszene<br />
zugewen<strong>de</strong>t haben. Für Migranten und Punks waren Psychobillies Faschisten, und<br />
<strong>de</strong>r Normalbürger war in <strong>de</strong>n 80er Jahren bei weitem nicht so tolerant, wie es heute<br />
teilweise <strong>de</strong>r Fall ist. Die Psychobillysubkultur hat auch <strong>im</strong>mer mehr Punkeinflüsse<br />
in die Szene gelassen, was zu einer Spaltung <strong>de</strong>rselbigen geführt hat, da die<br />
Wrecking Crew (die Fans <strong>de</strong>r Meteors), sehr militant <strong>auf</strong> die neuen Einflüsse reagierten.<br />
Es gab also viele Grün<strong>de</strong>, warum Psychobillies in diverse Konflikte verwickelt<br />
waren.<br />
Tolerantere Gesellschaft, Zusammenhalt, Verwechslungen und reaktive Gewalt<br />
Psychobillies sind früher wesentlich häufiger von Passanten beleidigt und bepöbelt<br />
wor<strong>de</strong>n, als heutzutage. Die Psychobillies waren vielen Normalbürgern ein Dorn <strong>im</strong><br />
Auge und sie konnten nicht verstehen, wie man sich so in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit präsentieren<br />
konnte. Diese abwerten<strong>de</strong>n Verhaltensweisen <strong>de</strong>r Gesellschaft ernteten nicht<br />
selten reaktive Gewalt <strong>de</strong>r Psychobillies. „Sind auch gleich am ersten Tag sofort ver-<br />
haftet wor<strong>de</strong> ne? Haben sofort uns einen gesoffen. Waren sofort Krawalle. Aber<br />
nicht von uns ausgegangen. Weil halt, früher, die Leute, das nicht verstehen konnten,<br />
dass man so rumläuft und <strong>im</strong>mer pöbeln mussten, was heute nicht mehr so ist,<br />
weil es mittlerweile normal gewor<strong>de</strong>n ist, dass die Leute irgendwie an<strong>de</strong>rs ruml<strong>auf</strong>en.“<br />
(K.)<br />
K. empfin<strong>de</strong>t die Gesellschaft heute als viel toleranter und er hat auch keinen Ärger<br />
mehr wie früher. „Also ich kann gut sagen, dass ich, hab jetzt best<strong>im</strong>mt seit 15 Jahren<br />
ja, keine Schlägerei mehr o<strong>de</strong>r so gehabt. Aber früher da war es, kann ich jetzt<br />
nicht sagen, aber es war häufiger, dass ich <strong>im</strong> Konflikt mit normalen Leuten gekommen<br />
bin. Weil in <strong>de</strong>n 80er halt alles noch nicht so offen war wie heute so. Die Gesell-<br />
85
schaft ist heute viel offener und zugänglicher auch und gesprächsbereiter als früher.“<br />
(K.)<br />
Aber auch mit an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> gab es früher Konflikte.<br />
„Wir hatten sehr viele Probleme halt mit Punks. Weil früher, <strong>im</strong> Gegensatz zu heute,<br />
gab es gar nicht, dass, hast du kaum o<strong>de</strong>r wenn überhaupt, ich kann mich gar nicht<br />
dran erinnern, in <strong>de</strong>r damaligen Zeit, dass du Punks <strong>auf</strong> Psychobillykonzerten gesehen<br />
hast. Das war wahrscheinlich auch das Problem.“ (K.)<br />
Aber auch mit <strong>de</strong>r Rockabillyszene kam es zu Konflikten, die in Straßenschlachten<br />
eskaliert sind, genau wie mit <strong>de</strong>r Punksubkultur.<br />
„Und ja, damals war man aber dann halt bei <strong>de</strong>n damals älteren Rockabillies natürlich<br />
nicht so gern gern gesehen, irgendwie. Da gab es auch damals früher n bisschen<br />
Stunk.“ (L.)<br />
„[…] auch die Rockabillyszene und die Psychoszene haben sich auch nicht gut miteinan<strong>de</strong>r<br />
verstan<strong>de</strong>n. Da hab ich auch richtig erlebt, richtige Straßenschlachten.<br />
Also es ging schon richtig zur Sache damals. Wir haben Riesenkrawall einmal gehabt<br />
hier, mit <strong>de</strong>n Punks. Das wir richtig <strong>auf</strong> Punks getroffen, richtig mit gegenseitig<br />
inne Fresse mit Zaunlatten, also. Und also früher war das viel aggressiver. Ich <strong>de</strong>nke<br />
auch, das Potential von <strong>de</strong>n Psychobillies war aggressiver, war n bisschen aggressiver<br />
früher als heute.“ (K.)<br />
Mit Migranten gab es ebenfalls gewalttätige Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen, weil diese, die<br />
Psychobillies, für Nazis hielten.<br />
„Dann hast du natürlich auch <strong>im</strong>mer Probleme gehabt mit Auslän<strong>de</strong>rn. Eher ungewollt,<br />
weil die dich halt für n Nazi gehalten haben. Hab ich halt auch einige Schlägereien<br />
gehabt, weil ich einfach für n Fascho gehalten wur<strong>de</strong>, ne?“ (K.)<br />
Auch mit <strong>de</strong>r Skinheadsubkultur kam es zu Konfrontationen. „Ich kann mich an so<br />
nen Festival, ich glaub in Belgien o<strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n erinnern. Da gab’s dann richtig<br />
Stress mit Skins, ne? Ich weiß jetzt nicht, ob das Rechtsradikale waren o<strong>de</strong>r so.<br />
Das kann man jetzt nicht so genau sagen. Aber ja die haben dann halt das Theater<br />
gemacht und dann ging’s auch richtig zur Sache, ne? Da haben die richtig Dresche<br />
bezogen und sind aus <strong>de</strong>r Halle geschreitet wor<strong>de</strong>n. Das gab’s wohl auch, ne?“ (L.)<br />
Die „normalen“ Bürger hingegen hielten die Psychobillies für Punks. Da die<br />
Psychobillies als Asoziale und Punks tituliert wur<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>nen sie wie<strong>de</strong>rum heftige<br />
Differenzen hatten, kam es <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r zu reaktiver Gewalt von Seiten <strong>de</strong>r Psychos,<br />
die <strong>im</strong> Prinzip nur ihre Ruhe wollten. „Ich habe viele Situationen erlebt, wo<br />
86
halt Schlägereien entstan<strong>de</strong>n sind, wo eigentlich hätten, keine Schlägereien hätten<br />
entstehen brauchen, wenn die Leute uns einfach in Ruhe gelassen hätten. Ein Beispiel.<br />
Ich sitze <strong>im</strong> Bus. Ich komm da so rein und <strong>auf</strong> einmal brüllt da ein: Eh, scheiß<br />
Punk! Mault <strong>de</strong>r mich voll an und so.“ (K.)<br />
Psychobillies sind allerdings nicht zu vergleichen mit <strong>de</strong>r Hippiekultur und das An<strong>de</strong>rssein,<br />
wird auch gegen äußere Einflüsse verteidigt. Auch mit Gewalt. „Ich bin <strong>de</strong>r<br />
Meinung, dass wenn man an<strong>de</strong>rs rumläuft, muss man dazu stehen und auch dagegen<br />
halten.“ (K.)<br />
Auf die Frage, mit welchen unterschiedlichen Teilen <strong>de</strong>r Gesellschaft es früher Konflikte<br />
gab, antwortet K. : „Mit je<strong>de</strong>m!“ (K.)<br />
Die Psychobillyszene hatte also <strong>auf</strong>grund von Verwechslungen, Konflikten mit an<strong>de</strong>ren<br />
<strong>Subkulturen</strong> und einer Gesellschaft, die die Psychobillyszene nicht toleriert hat,<br />
mit viel Gegenwind zu kämpfen. Die vielen Konflikte haben in <strong>de</strong>n 80er Jahren zu<br />
einem starken Zusammenhalt <strong>de</strong>r Psychos untereinan<strong>de</strong>r geführt. Auf<br />
Psychobillykonzerte haben sich kaum noch an<strong>de</strong>re Leute, außer Psychobillies, getraut.<br />
Daher blieb die Psychobillyszene unter sich. „Aber ich mein schon, früher war<br />
n bisschen kleiner die Szene, aber viel verschworener. Viel eingefleischter. Weil wie<br />
gesagt, es gab <strong>auf</strong> Konzerten. Hast du eigentlich so von an<strong>de</strong>ren Szenen hast du von<br />
nicht viel gesehen, so wie heute. […] Auch früher eigentlich, wenn da n Konzert war,<br />
waren hauptsächlich nur Psychobillies da. Es war n bisschen kleiner und die Leute<br />
waren auch vorsichtiger früher. Die gingen dann nicht einfach <strong>auf</strong> n<br />
Psychobillykonzert. […] Wenn da irgendwer, einer von uns angemacht wur<strong>de</strong>, hatte<br />
er gleich n Problem mit allen gehabt. Deswegen sind die Leute, auch gar nicht so,<br />
auch keine Punks o<strong>de</strong>r so da <strong>auf</strong>getaucht.“ (K.)<br />
Psychobilly war für Außenstehen<strong>de</strong> eher verschlossen und die Leute, die trotz<strong>de</strong>m<br />
<strong>auf</strong> ein Psychobillykonzert gingen, mussten mit einer kritischen Betrachtungsweise<br />
o<strong>de</strong>r gar Ärger rechnen.<br />
„Also früher wur<strong>de</strong> man dann also, wenn man schon ne an<strong>de</strong>re Frisur hatte o<strong>de</strong>r so<br />
langhaarig o<strong>de</strong>r was weiß ich Punk o<strong>de</strong>r Skin o<strong>de</strong>r Normalo war, dann wurd man<br />
schon zumin<strong>de</strong>st schief angeguckt, wenn nicht noch mehr. Also das waren früher<br />
reine Psychobillykonzerte. Da liefen auch keine an<strong>de</strong>ren Leute rum.“ (L.)<br />
Da die Psychobillies aggressiv und mit Gewalt <strong>auf</strong> die Provokationen <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
geantwortet haben, ging ihnen <strong>de</strong>r Ruf voraus, dass sie Schläger wären. Die<br />
Gewaltbereitschaft war <strong>de</strong>finitiv vorhan<strong>de</strong>n und die Psychobillies sind auch keinem<br />
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Ärger aus <strong>de</strong>m Weg gegangen. „Und dann Theater gab, haben wir auch <strong>im</strong>mer gut<br />
zusammen gehalten. Und dann wurd auch schon mal was platt gemacht, ne?“ (K.)<br />
Trotz <strong>de</strong>r hohen Gewaltbereitschaft <strong>de</strong>r Psychobillies waren die vielen Schlägereien<br />
nicht beabsichtigt, son<strong>de</strong>rn reaktiv. Die Psychobillies wollen sich zwar bewusst von<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft abgrenzen und auch provozieren, aber Schlägereien wer<strong>de</strong>n nicht<br />
bewusst gesucht. Schlägereien wer<strong>de</strong>n allerdings auch nicht unbedingt vermie<strong>de</strong>n.<br />
„[…] sag ich mal, zu 90% kam das eigentlich gar nicht von uns. Es fing eigentlich<br />
damit an, dass die Leute uns angepöbelt haben. Wir wollten eigentlich nicht. Wir<br />
sind nicht <strong>auf</strong> die Straße gegangen um Leute anzupöbeln. Wir wollten nur n bisschen<br />
die Leute durch unser Äußeres provozieren und halt das die Leute uns anglotzen und<br />
durch unser Äußeres auch uns abgrenzen, von <strong>de</strong>n Normalen. Aber wir wollten damit<br />
nicht erreichen, dass wir uns je<strong>de</strong>n Tag prügeln o<strong>de</strong>r. Wir wollten einfach unsere<br />
Musik hören, unseren Spaß haben, <strong>auf</strong> unsere Art und Weise und wollten einfach so<br />
aussehen, wie wir aussehen wollten.“ (K.)<br />
Dass die Psychobillies vorher provoziert wur<strong>de</strong>n, hat die Gesellschaft nicht interessiert<br />
und so hatten die Psychobillies ihren gewalttätigen Ruf weg, da die Schlägereien<br />
<strong>de</strong>n Bürgern nicht entgangen waren.<br />
„Das haben natürlich dann die Leute gesehen und haben gesagt, Schlägertypen und<br />
so, ne? Die haben aber nicht davon gere<strong>de</strong>t, dass du provoziert wur<strong>de</strong>st o<strong>de</strong>r so.<br />
Wurd <strong>im</strong>mer nur gesehen: Oh, das sind die! Schlägerei!“ (K.)<br />
Punkabilly vs. Psychobilly<br />
„Du musstest <strong>auf</strong>passen, dass du da echt nicht zusammengeschlagen wor<strong>de</strong>n bist,<br />
von <strong>de</strong>n Meteorsfans[…].“ (K.)<br />
Neben <strong>de</strong>n vielen Problemen, <strong>de</strong>n die Psychobillies mit <strong>de</strong>m Rest <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
hatten, kamen gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er Jahre bzw. Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre noch szeneinterne<br />
Probleme hinzu. Die Psychobillysubkultur begann sich zu diesem Zeitpunkt zu<br />
transformieren und es kamen mehr Punkeinflüsse in die Szene. Das machte sich an<br />
<strong>de</strong>r Musik, wie auch an <strong>de</strong>n Frisuren, bemerkbar. „Dann so Anfang <strong>de</strong>r 90er Mitte<br />
<strong>de</strong>r 90er begann die Psychobillyszene sich zu wan<strong>de</strong>ln und es kam mehr <strong>de</strong>r Punkeinfluss<br />
rein. […] mittlerweile gibt’s n paar Bands, die sagen, sie machen<br />
88
Punkabilly. Ist halt noch n bisschen härter und schneller gespielt als Psychobilly.<br />
Und dadurch halt auch bunter halt und dadurch die Frisuren extremer wur<strong>de</strong>n.“ (K.)<br />
Eine <strong>de</strong>r wichtigsten Bands, die Punkabilly machen, sind „Demented Are Go“. Der<br />
Sänger Mark „Sparky“ Phillips ist für seinen bunten Riesenflat, seine extravagante<br />
Bühnenkleidung und für seinen exzessiven Lebensstil bekannt. Demented Are Go<br />
gehören mit ihren ausgeflippten Texten, ihrem Bühnen<strong>auf</strong>tritten mit Kunstblut,<br />
Gumm<strong>im</strong>asken und Gummipuppen, und ihren Skandalen, zu <strong>de</strong>n größten Bands <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur. Es ist auch allgemein bekannt, dass sich Mark Phillips und <strong>de</strong>r<br />
Sänger <strong>de</strong>r Meteors, Peter Paul Fenech, nicht lei<strong>de</strong>n können. En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er bzw. Anfang<br />
<strong>de</strong>r 90er Jahre, verhärteten sich die Fronten zwischen <strong>de</strong>n Fans <strong>de</strong>r Meteors, <strong>de</strong>r<br />
so genannten Wrecking Crew und <strong>de</strong>n Fans von Demented Are Go. Es kam zur Gewalt<br />
untereinan<strong>de</strong>r und fast zu einer Spaltung <strong>de</strong>r Subkultur.<br />
„Auch wenn es dann innerhalb <strong>de</strong>r Szene gab es ja die so genannte German<br />
Wrecking Crew, welche halt Fans <strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Psychobillies, <strong>de</strong>r Meteors<br />
sind. Und ja, sind so n bisschen sehr puristisch eingestellt. Und es gab dann halt<br />
auch Bands wie Demented Are Go, die ein bisschen mehr Punkrock in die Szene gebracht<br />
haben und da gab’s dann <strong>im</strong>mer halt so n bisschen Stress. Was dann eigentlich<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er, Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre, fast <strong>auf</strong> ne Spaltung <strong>de</strong>r Szene hinaus<br />
lief. Es gab öfter mal Schlägereien. Ich hab auch das eine o<strong>de</strong>r das an<strong>de</strong>re blaue<br />
Auge davon getragen. Bin aber <strong>de</strong>r Szene treu geblieben.“ (L.)<br />
Was L. hier mit ein bisschen Stress verharmlost, eskaliert <strong>im</strong>mer mehr und die<br />
Wrecking Crew (in Deutschland bekannt unter <strong>de</strong>m Namen German Wrecking Crew,<br />
die Wrecking Crew gibt es allerdings weltweit) beharrt dar<strong>auf</strong>, dass nur die Meteors<br />
echten Psychobilly machen und alle an<strong>de</strong>ren Punks sind. Auf Festivals und Konzerten<br />
kam es <strong>im</strong>mer mehr zu Gewalt von <strong>de</strong>r Wrecking Crew, gegen vermeintliche<br />
Gegner. Ganz beson<strong>de</strong>rs beliebt waren bekennen<strong>de</strong> Demented Are Go Fans.<br />
„Man hat dann <strong>im</strong>mer wenn man schon, wenn man n falsches T-shirt o<strong>de</strong>r n falschen<br />
Aufnäher von <strong>de</strong>r falschen Band hatte, ist man schon blöd angemacht wor<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r<br />
irgendwann mal <strong>auf</strong> nem Festival, da haben wir dann Demented Are Go <strong>im</strong> Radio<br />
gehört, da kamen diese Jungs von <strong>de</strong>r Wrecking Crew und haben die Luft aus <strong>de</strong>n<br />
Reifen gelassen o<strong>de</strong>r einen mit Bier bekippt o<strong>de</strong>r so.“ (L.)<br />
Während L. blaue Augen, Bierduschen und platte Reifen hinnehmen musste, eskalierte<br />
die Gewalt <strong>im</strong>mer mehr von Seiten <strong>de</strong>r Wrecking Crew.<br />
Auch K. berichtet von Gewalt in <strong>de</strong>r Szene untereinan<strong>de</strong>r.<br />
89
„Also, ich hab erlebt auch Konzerte, wo Gewalt entstan<strong>de</strong>n ist. Lei<strong>de</strong>r auch unter<br />
Psychobillies. Ich hab das auch schon erlebt, dass ein Konzert beinahe abgebrochen<br />
wor<strong>de</strong>n ist, wegen Messerstecherei. Dann hab ich gehört, von An<strong>de</strong>ren, war ich selber<br />
nicht dabei. Das in Berlin sogar einer abgestochen wur<strong>de</strong>. Das kam aber damals<br />
lei<strong>de</strong>r durch diese ganze Meteors Geschichte.“ (K.)<br />
Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wrecking Crew zählten sich zu <strong>de</strong>n einzig wahren Psychobillies<br />
und scheuten auch nicht davor zurück, Leute aus <strong>de</strong>m Pit (<strong>de</strong>r Tanzkreis <strong>de</strong>r<br />
Psychobillies vor <strong>de</strong>r Bühne) zu ziehen und diese zusammenzuschlagen. Sie wollten<br />
ganz klar <strong>de</strong>monstrieren, dass nur „echte“ Psychobillies <strong>auf</strong> die Konzerte durften.<br />
„Weil die Meteorsleute haben halt gesagt, dass die Meteors die einzige Band die<br />
Psychobilly macht, die an<strong>de</strong>ren sind alles Punks. […] Die haben für Krawalle gesorgt<br />
halt. Die sind dann in <strong>de</strong>n Pit rein und haben echt Leute mal rausgezogen und<br />
weggepölt. […] Du musstest <strong>auf</strong>passen, dass du da echt nicht zusammengeschlagen<br />
wor<strong>de</strong>n bist, von <strong>de</strong>n Meteorsleuten, weil die einfach gesagt haben, ihr seid keine<br />
Psychobillies. Wir sind Psychobillies. Wir sind die richtigen Psychobillies.“ (K.)<br />
Die selbsternannte militante Szenepolizei, führte schließlich dazu, dass die<br />
Psychobillyszene <strong>im</strong>mer kleiner wur<strong>de</strong> und sich viele Leute <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>r Gewaltsituation<br />
zurückzogen.<br />
Auch Leute, die sich durchaus wehren konnten, wie K. , wur<strong>de</strong> die Gewalt in <strong>de</strong>r<br />
Szene zuviel. Durch die ständige Bedrohung von Gewalt <strong>auf</strong> Konzerten und <strong>de</strong>r versuchten<br />
Spaltung durch die militante Wrecking Crew verloren viele Leute <strong>de</strong>n Spaß<br />
daran, Psychobilly zu sein. Dies führte dazu, dass <strong>im</strong>mer weniger Leute<br />
Psychobillykonzerte besuchten und so hatte sich die Szene gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 90er Jahre<br />
<strong>im</strong> Ruhrgebiet fast selber zerstört.<br />
„So dass die Leute irgendwann keinen Bock mehr hatten. Das war dann auch ir-<br />
gendwie gekommen, dass das echt Überhand genommen hat. Aus meiner Sicht war<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 90er Jahre die Psychobillyszene auch tot. Weil keiner mehr Bock hatte.<br />
[…] Aber damals war das schon, dass ich dann auch ne Zeit lang, ja zwei, zweieinhalb<br />
Jahre, <strong>auf</strong> gar keinem Konzert mehr war, weil die Szene auch tot war und auch<br />
keinen Spaß mehr machte, <strong>auf</strong>s Konzert zu gehen, ne?“ (K.)<br />
Auch L. zog sich Mitte <strong>de</strong>r 90er Jahre aus <strong>de</strong>r Psychoszene zurück.<br />
„Bis irgendwann, ja ich weiß es nicht mehr genau, irgendwann so in <strong>de</strong>n 90ern, Mitte<br />
<strong>de</strong>r 90er. Hatte ich dann auch n bisschen gar nicht mehr die große Lust und hab<br />
auch n bisschen an<strong>de</strong>re Musik gehört.“ (L.)<br />
90
Auf die Frage, ob sein Rückzug auch mit <strong>de</strong>r Gewalt zu tun hatte, die in <strong>de</strong>r Szene<br />
herrschte antwortete er:<br />
„Ja, das hatte auch damit zu tun.“ (L.)<br />
Die älteren Psychobillies haben <strong>de</strong>n Konflikt zwischen Psychobilly und Punkabilly<br />
am eigenen Leib erfahren, bzw. die Gewalt und die Konfliktsituationen miterlebt.<br />
Diese Konflikte sind auch <strong>de</strong>n jüngeren Psychobillies bekannt, allerdings schätzen<br />
sie die Situation heute als <strong>de</strong>utlich friedlicher ein. Dennoch gibt es <strong>im</strong>mer noch<br />
Spannungen und die Fans <strong>de</strong>r Meteors wer<strong>de</strong>n als aggressiv wahrgenommen.<br />
D. hat selber noch keine Konfliktsituationen erlebt, aber er weiß, dass es auch heute<br />
noch durchaus Spannungen gibt.<br />
„Es gibt auch Konfliktsituationen. So, wie ich mitbekommen habe, gibt es so richtig<br />
Oldschoolpsychobillies, die nur n paar Bands als wirklichen Psychobilly sehen. Und<br />
dann gibt’s einfach Stress mit <strong>de</strong>nen. Aber sonst eigentlich total harmonisch.“ (D.)<br />
T. sind die Konflikte auch durchaus bekannt, allerdings vertritt er die Meinung, dass<br />
sich die Situation <strong>de</strong>utlich entschärft hat, und er persönlich noch keine Probleme in<br />
dieser Hinsicht hatte. Allerdings ist auch er <strong>de</strong>r Meinung, dass <strong>auf</strong> einem<br />
Meteorskonzert durchaus Wachsamkeit gefragt ist, wenn man ein Demented Are Goshirt<br />
anhat.<br />
„Also mich betrifft das gar nicht. Ich kenn das auch aus Erzählungen von älteren<br />
Menschen, von älteren Psychos, dass es, war früher, in <strong>de</strong>n 80ern, wohl ziemlich<br />
krass. […] ihre Wrecking Crew, das ist sozusagen <strong>de</strong>r große Fankreis o<strong>de</strong>r Fankreis<br />
<strong>de</strong>r Meteors, dann wur<strong>de</strong>n halt an<strong>de</strong>re Bands so gut wie also an und für sich in <strong>de</strong>n<br />
80ern gar nicht akzeptiert. Das heißt, wenn man <strong>im</strong> Demented Are Go T-shirt <strong>auf</strong> n<br />
Meteorskonzert gegangen ist, dann halt man halt dick <strong>auf</strong> die Fresse bekommen.<br />
Heutzutage gut, also ich sag mal so heutzutage ist es ja alles viel lockerer. […] Aber<br />
heutzutage ist es meiner Meinung nach kein Problem mehr, wenn ne mit nem<br />
Dementedshirt <strong>auf</strong> n Meteorskonzert gehst. […] von <strong>de</strong>n alteingesessenen<br />
Wreckingcrewmenschen wirste zwar dämlich angeguckt. Sollte man auch nicht unbedingt<br />
ins Wrecking Pit gehen. Also in <strong>de</strong>n Pogo rein. […] Muss vielleicht n bisschen<br />
<strong>auf</strong>passen. Aber ich glaub nicht, dass es noch so krass ist, wie früher. Definitiv<br />
nicht. Kann ich mir nicht vorstellen.“ (T.)<br />
D. antwortet <strong>auf</strong> die Frage, ob er <strong>de</strong>nn Probleme mit an<strong>de</strong>ren Psychobillies hat, wenn<br />
die an<strong>de</strong>re Bands hören als er: „Nö, da hab ich gar keine Probleme mit.“ (D.)<br />
91
Auch J. schätzt die Konfliktsituation als <strong>de</strong>utlich entspannter ein. Sie hört zwar selber<br />
gerne Meteors, doch kann sie mit <strong>de</strong>r Wrecking Crew nichts anfangen.<br />
„Natürlich gibt’s <strong>im</strong>mer noch diese militanten Meteorsanhänger, mit <strong>de</strong>nen ich aber<br />
nicht viel anfangen kann. Die sind mir auch zu uniformiert. Die sehen für mich alle<br />
gleich aus. Und ich höre Meteors super gerne.“ (J.)<br />
In einem Psychobillyforum <strong>im</strong> Internet hat J. erlebt, dass es auch <strong>im</strong>mer noch<br />
Meteorsanhänger gibt, die <strong>de</strong>r Meinung sind, dass nur sie die echten Psychobillies<br />
sind. J. beeindruckt das allerdings nicht und sie hält diese Meinung für eine überholte.<br />
„Ich wur<strong>de</strong> schon öfters mal <strong>im</strong> Internet in diversen Foren natürlich angepöbelt,<br />
<strong>auf</strong> unterstem Niveau. Aber das find ich ist eher Kin<strong>de</strong>rgarten und das ist auch nicht<br />
mehr zeitgemäß.“ (J.)<br />
Der Grund für die Pöbeleien war J.’s Affinität zu Demented Are Go.<br />
„Weil ich, glaub ich, <strong>im</strong> Internet <strong>auf</strong> meinen Foren o<strong>de</strong>r <strong>auf</strong> meinen Profilen, glaub<br />
ich eher so n bisschen zu Demented Are Go Stellung beziehe.“ (J.)<br />
J. ist auch <strong>de</strong>r Meinung, dass eine Szene nicht nur aus einer Band bestehen kann. Sie<br />
fin<strong>de</strong>t diese Haltung lächerlich und auch von <strong>de</strong>r Abkürzung o.t.m.a.p.p. (only the<br />
meteors are pure psychobilly) hält sie nicht viel. Sie schreibt <strong>de</strong>n Meteorsfans auch<br />
heute noch eine hohe Aggressivität zu. „Ich find das auch albern, wie die heutzutage<br />
noch mit ihrem o.t.m.a.p.p. und dann in ihrem kleinen eingeschworenen Kreis und<br />
die sind ja auch ziemlich aggressiv <strong>auf</strong> Konzerten. […] Kann ich nur drüber lachen.<br />
Wenn eine Szene nur aus einer Band bestehen wür<strong>de</strong>, dann wäre es glaub ich keine<br />
richtige Szene. Ne.“ (J.)<br />
Auch K. vertritt die Meinung, dass die Meteorsanhänger es übertrieben haben und es<br />
langweilig ist, wenn man nur eine Band hört.<br />
„Ich <strong>de</strong>nke mal einfach, die haben das einfach n bisschen übertrieben, mit <strong>de</strong>ren<br />
Meteorskult. Obwohl Meteors natürlich ne wichtige Band in <strong>de</strong>r Psychobillyszene<br />
sind. Der Grundstein eigentlich auch. […] Gibt natürlich auch extrem Meteorsleute,<br />
die gehen wirklich nur zu Meteors o<strong>de</strong>r so, ne? Was ich n bisschen nicht so toll fin<strong>de</strong>,<br />
weil ist ja langweilig wird <strong>auf</strong> Dauer, ne?“ (K.)<br />
Auch hier bil<strong>de</strong>n sich zwei Gruppen bei meinen Interviewpartnern. Die älteren<br />
Psychobillies L. und K. stellen die eine Gruppe, während die jüngeren Psychobillies<br />
T. , J. und D. , die zweite Gruppe darstellen. Während L. und K. wegen <strong>de</strong>s eskalieren<strong>de</strong>n<br />
Konflikts zwischen <strong>de</strong>r Wrecking Crew und Punkabillyfans (Demented Are<br />
Go Fans <strong>im</strong> Speziellen), sogar die Szene für einige Jahre verlassen haben, bzw. gar<br />
92
keine Szene mehr vorhan<strong>de</strong>n war, erleben die Jüngeren eine friedlichere Subkultur.<br />
Bei einem Meteorskonzert geht es zwar <strong>im</strong>mer noch wild und aggressiv zu: „Obwohl<br />
es teilweise auch heute, auch ab und zu mal, <strong>auf</strong> Meteors Konzerten mal schon mal<br />
so n bisschen herbe wird.“ (K.)<br />
Doch sind die Zeiten <strong>de</strong>r eskalieren<strong>de</strong>n Gewalt vorbei. Die jüngeren Psychos kennen<br />
alle die alten Konflikte, und hin und wie<strong>de</strong>r tauchen auch Relikte dieser Feh<strong>de</strong> <strong>auf</strong>,<br />
wie z. B. bei <strong>de</strong>r Bepöbelung von J. <strong>im</strong> Internet. Dennoch lässt sich festhalten, dass<br />
die Psychobillysubukultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n ist und <strong>auf</strong> die Grün<strong>de</strong> dafür gehe ich<br />
<strong>im</strong> nächsten Unterpunkt ein.<br />
Die Psychobillysubkultur ist älter und ruhiger gewor<strong>de</strong>n<br />
„Früher haste nicht so direkt nachgefragt. Man hat einfach mal dr<strong>auf</strong>gehaun,<br />
ne?“ (K.)<br />
L. sieht die wil<strong>de</strong> Vergangenheit <strong>de</strong>r Psychobillyszene mit Humor und vertritt die<br />
Meinung, dass es damals so viel Gewalt gab, weil es sich um eine Jugendsubkultur<br />
gehan<strong>de</strong>lt hat. „[…] weiß nicht, heutzutage kann man mehr o<strong>de</strong>r weniger darüber<br />
lachen. Heutzutage gibt’s das alles nicht mehr. Heute ist mehr Spaß in <strong>de</strong>r Szene.<br />
Und ja, diese Gewalttätigkeiten. Ich mein, damals war das auch mehr ne Jugendsubkultur.<br />
Waren ja alles auch jüngere Leute. Und vielleicht lag das auch so n bisschen<br />
daran, dass das halt heutzutage zurückgegangen ist. Heutzutage sind ja auch viele<br />
Leute dabei, die n bisschen älter, n bisschen ruhiger sind. Und ja diese Gewalttätigkeiten<br />
gibt’s jetzt mittlerweile eigentlich gar nicht mehr.“ (L.)<br />
Auch K. sagt, dass er mit einem gewissen Alter ruhiger und friedlicher gewor<strong>de</strong>n ist,<br />
genau wie die Wrecking Crew. „Na gut, die Wrecking Crew sind auch älter gewor<strong>de</strong>n.<br />
Ruhiger gewor<strong>de</strong>n. Ich bin ja auch ruhiger gewor<strong>de</strong>n, ne? Wie gesagt. Was<br />
weiß ich? Gott sei Dank. Bin ich heute froh. Keine Schlägereien mehr gehabt und so.<br />
Man wird halt ruhiger.“ (K.)<br />
Der Spaß steht heute ganz klar <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund und K. vermutet, dass die Wrecking<br />
Crew lieber in Ruhe die alten Bands sehen will, die heute nach langer Pause wie<strong>de</strong>r<br />
<strong>auf</strong>treten. „Und vielleicht haben die Leute auch einfach gemerkt, dass es einfach<br />
mehr Spaß macht, einfach nur <strong>auf</strong>s Konzert zu gehen und einfach Spaß zu haben.<br />
[…] Viele Leute kommen dahin, weil da <strong>auf</strong> einmal wie<strong>de</strong>r alte Bands spielen. Viel-<br />
93
leicht sagen sich die Wrecking Crew Leute, sagen, man wir haben jetzt noch die<br />
Chance, die alten Bands noch mal zu sehen und gehen einfach mal wie<strong>de</strong>r hin.“ (K.)<br />
Neben <strong>de</strong>n alten Bands, könnten auch verän<strong>de</strong>rte Familienverhältnisse eine Rolle<br />
spielen. „Ich <strong>de</strong>nke, auch halt älter gewor<strong>de</strong>n sind. Reifer. Viele sind auch Familienväter<br />
mittlerweile. Ich kenn auch einige.“ (K.)<br />
Während die Wrecking Crew Germany früher in größeren Gruppen mit entsprechen<strong>de</strong>n<br />
T-shirts <strong>auf</strong>gel<strong>auf</strong>en sind, trifft man die Mitglie<strong>de</strong>r dieser Fraktion heute eher<br />
vereinzelnd und ohne Wrecking Crew Shirt <strong>auf</strong> Konzerten an.<br />
„Die treten halt nicht mehr in so großen Gruppen <strong>auf</strong>, auch wie früher. Und ihre T-<br />
Shirts haben sie wahrscheinlich auch irgendwo an <strong>de</strong>n Nagel gehängt, woran man<br />
sie früher erkannte hatte. Und die sind <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall alle älter und ruhiger gewor<strong>de</strong>n.<br />
Da ist gar kein Stress mehr mit <strong>de</strong>nen. Ne. Ne.“ (L.)<br />
K. räumt auch ein, dass die Psychobillyszene ein hohes Aggressionspotential hatte<br />
und die Hemmschwelle für Gewalt nicht so hoch war. „Natürlich, da war dann, frü-<br />
her warste jung und frisch und frei und fröhlich und hast auch mal was kommen lassen,<br />
wenn er unbedingt brauchte, ne? Früher haste nicht so direkt nachgefragt. Man<br />
hat einfach dr<strong>auf</strong>gehaun, ne? […] Dann wurd halt auch mal, wenn dir einer blöd<br />
kam, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r halt weggekickt und so, ne? Und man war, ich sag mal ganz ehrlich,<br />
da schon schneller bei als heute. Also ich fin<strong>de</strong> die Psychobillyszene ist ruhiger. […]<br />
Ich <strong>de</strong>nke auch das Potential von <strong>de</strong>n Psychobillies war aggressiver war n bisschen<br />
aggressiver, früher als heute.“ (K.)<br />
Auch L. sieht es so, dass <strong>de</strong>r Spaßfaktor <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund steht und die<br />
Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n ist. „Ja, die Szene heute ist <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall<br />
<strong>de</strong>utlich friedlicher. […] Damals ging es schon nicht, das was weiß ich, z.B. Meteors<br />
und Demented <strong>auf</strong> einem Konzert gespielt hätten o<strong>de</strong>r so. Da wäre schon übel gewesen.<br />
Heutzutage ist das alles total locker und ja, es ist heute einfach nur Spaß, ne?“<br />
(L.)<br />
Auch J. gefällt die Atmosphäre <strong>de</strong>r heutigen Psychobillyszene. „Aber sonst empfin<strong>de</strong><br />
ich es <strong>im</strong>mer als ganz lässig, locker, nett.“ (J.)<br />
T. hält Psychobilly auch für eine friedliche Subkultur. „Meiner Meinung nach spielt<br />
da die Gewaltrolle ne recht kleine, aus meinen persönlichen Erfahrungen.“ (T.)<br />
D. antwortet <strong>auf</strong> die Frage, ob er die Psychobillyszene für aggressiver hält als an<strong>de</strong>re<br />
<strong>Subkulturen</strong>: „Ne, würd ich nicht.“ (D.)<br />
94
Auch für Außenstehen<strong>de</strong> ist es heute kein Problem mehr <strong>auf</strong> einem<br />
Psychobillykonzert zu erscheinen. Szeneneuling D. antwortet <strong>auf</strong> die Frage, ob Außenstehen<strong>de</strong><br />
Gefahr l<strong>auf</strong>en, Opfer von Gewalt <strong>auf</strong> Konzerten zu wer<strong>de</strong>n: „Also eigentlich<br />
nicht. Ne. Sieht wahrscheinlich für n Außenstehen<strong>de</strong>n schon n bisschen komisch<br />
aus, so wenn er da reinkommt, die ganzen Leute <strong>im</strong> Wrecking Pit. Natürlich,<br />
da <strong>de</strong>nkt er auch schon. Aber eigentlich wird ihm niemand was tun, weil die Leute<br />
super nett sind.“ (D.)<br />
Auch K. erlebt die heutige Szene als angenehmer und entspannter. „Und wie gesagt,<br />
auch dadurch, das sich das jetzt n bisschen, das <strong>im</strong> L<strong>auf</strong>e <strong>de</strong>r Jahre verän<strong>de</strong>rt hat.<br />
Das auch an<strong>de</strong>re Leute dahingehen mittlerweile und einfach <strong>de</strong>r Spaß nur noch <strong>im</strong><br />
Vor<strong>de</strong>rgrund steht, find ich das heute n bisschen so angenehmer.“ (K.)<br />
Allerdings vermisst K. <strong>de</strong>n Respekt, <strong>de</strong>n die Leute früher vor Psychobillies hatten<br />
und die Verschworenheit <strong>de</strong>r kleinen, aber schlagkräftigen Subkultur. „Aber früher<br />
war es auch nicht schlecht, muss ich sagen. Weil du so n bisschen verschworener<br />
warst. Früher hatten die Leute schon Respekt vor Psychobilly. Find ich heute nicht<br />
mehr ganz so.“(K.)<br />
L. empfand seine Zeit als junger Psychobilly spannen<strong>de</strong>r als heute. „Ja, spannen<strong>de</strong>r<br />
war natürlich früher, weil man ja nie wusste, ob man nicht von <strong>de</strong>r Wrecking Crew<br />
mal eben n blaues Auge gezogen kriegte o<strong>de</strong>r so. […] Ja und man war jünger. Man<br />
hatte kein Auto. Man ist dann <strong>auf</strong> gut Glück einfach mal <strong>auf</strong> irgendwelche Festivals<br />
nach Belgien gefahren. Das war natürlich schon ne abenteuerlichere Zeit als heutzutage.“<br />
(L.)<br />
4.3.3. Wie verhält es sich mit <strong>de</strong>m Geschlechterverhältnis in <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur?<br />
„Die Frauen heutzutage, so find ich so, haben ganz schön <strong>auf</strong>geholt.“ (K.)<br />
Frauen in <strong>de</strong>r Psychobillyszene haben sich <strong>im</strong> Gegensatz zu früher auch verän<strong>de</strong>rt.<br />
Frauen trugen in <strong>de</strong>n 80er Jahren, genau wie die Männer Flats, Bomberjacken und<br />
Stiefel. Die weiblichen Psychobillies treten heute viel femininer <strong>auf</strong> und haben sich<br />
modisch an <strong>de</strong>r Rockabillyszene orientiert. Doch nicht nur das Outfit hat sich verän-<br />
95
<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn auch Auftreten <strong>de</strong>r Frauen in <strong>de</strong>r Szene. Sie agieren viel selbstbewusster.<br />
Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Outfits<br />
In <strong>de</strong>n 80er Jahren gab es noch nicht so viele Merchandiseartikel und szenetypische<br />
Kleidung in <strong>de</strong>r Psychobillyszene und so sahen die Frauen fast so aus wie die Männer.<br />
„Die haben mächtig <strong>auf</strong>geholt, was so Sachen Outfit angeht. Ich kann mich erinnern,<br />
an ne Zeit, wo es bei mir los ging, da sah ne Frau eigentlich aus wie <strong>de</strong>r<br />
Kerl. Von <strong>de</strong>n Klamotten und meistens auch von <strong>de</strong>r Frisur. Also ich hatte ja auch ne<br />
Freundin, die hatte auch n Flat, die hatte auch ne Bomberjacke und ne<br />
Domestoshose. Von hinten sahen wir aus wie zwei Männer und die haben uns alle für<br />
schwul gehalten.“ (K.)<br />
Das Outfit ist heute wesentlich femininer, extravaganter und körperbetonter. „Wie<br />
gesagt, früher Frau, hatte meine Freundin, z.B. hat früher auch n Flat getragen. Und<br />
wenn man so mal von hinten o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Seite, dachte man das wäre n Mann vom<br />
Outfit einfach. Heute kann man <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall n Unterschied sehen. Und heute viel<br />
gewagter, das Outfit <strong>de</strong>r Frauen.“ (K.)<br />
„Was ich noch sagen muss, noch dazu, dass sich das Outfit <strong>de</strong>r Frauen verän<strong>de</strong>rt<br />
hat. Früher in <strong>de</strong>n 80ern, da liefen da halt mehr so rum, wie die Kerle halt auch, mit<br />
Flat und Domestosjeans. Und jetzt ist halt n bisschen mehr schwarz angesagt. So n<br />
bisschen Lack und Le<strong>de</strong>r teilweise auch.“ (L.)<br />
Auch J. weiß <strong>auf</strong>grund von Fotos, wie die Frauen in <strong>de</strong>n 80er Jahren, in <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur aussahen. Auch sie kann eine <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rung erkennen.<br />
„Die Leute sahen bisschen uniformierter aus, mit ihren Domestosjeans und Boots<br />
und keine Ahnung, Shirts o<strong>de</strong>r Hem<strong>de</strong>n, Bandshirts, Flats und auch die Frauen sahen<br />
n bisschen mehr unisex aus. Ich hab das Gefühl, dass die Frauen, mittlerweile n<br />
bisschen bunter, n bisschen femininer aussehen. Sich auch n bisschen mehr an die<br />
Rockabillyszene orientiert haben, mit <strong>de</strong>n Frisuren und <strong>de</strong>n Kleidchen.“ (J.)<br />
Allerdings betont J. , dass die Psychobillyfrauen sich <strong>de</strong>nnoch von <strong>de</strong>n<br />
Rockabillyfrauen vom Outfit und <strong>de</strong>m Auftreten unterschei<strong>de</strong>n. Auf die Frage, ob<br />
be<strong>im</strong> Style die Grenzen zwischen Psychobilly und Rockabilly verschwin<strong>de</strong>n, antwortet<br />
sie: „Es verschw<strong>im</strong>mt ein bisschen ineinan<strong>de</strong>r. Wenn’s jetzt unsichtbar wäre.<br />
96
Wenn ich sagen wür<strong>de</strong>, es wür<strong>de</strong> unsichtbar wer<strong>de</strong>n, könnte ich mich selbst nicht<br />
mehr ernst nehmen.“ (J.)<br />
Zu<strong>de</strong>m betont J. auch <strong>de</strong>n Punkeinfluss <strong>im</strong> Outfit <strong>de</strong>r Psychobillies. „Ne, wir, ich<br />
<strong>de</strong>nke schon, dass wir noch herausstechen. Vor allem wir als Frauen. Weil einfach<br />
bunter, wir sind wohl auch gepiercter, tätowierter und irgendwo auch punkiger. Natürlich<br />
ja.“ (J.)<br />
Auch K. ist <strong>de</strong>r Meinung, dass Tätowierungen in <strong>de</strong>r Psychobillyszene <strong>de</strong>utlich zugenommen<br />
haben. „Was auch <strong>auf</strong>gefallen ist, wenn man das mal beobachtet, <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu früher. Früher siehste mal da, hat <strong>de</strong>r ein mal ein o<strong>de</strong>r zwei Tattoos. Ne<br />
Frau hatte vielleicht mal eins. Und heute sind selbst die Frauen, haben selbst da die<br />
Männer da teilweise überholt, wenn man sich das mal anguckt.“ (K.)<br />
Selbstbewusstsein von Frauen in <strong>de</strong>r Psychobillyszene<br />
Auch das Selbstbewusstsein <strong>de</strong>r Frauen in <strong>de</strong>r Psychoszene hat sich weiterentwickelt.<br />
Während die Frauen früher mehr am Rand vom Konzert stan<strong>de</strong>n, mischen sie heutzutage<br />
sogar <strong>im</strong> Pit mit. „Also wenn ich heutigen Frauen sehe, die in <strong>de</strong>r Szene sind,<br />
sind viel selbstbewusster schon mal. […] Früher haben die Frauen halt mehr so<br />
ringsum gestan<strong>de</strong>n. […] Die Frauen heutzutage so find ich so, haben ganz schön<br />
<strong>auf</strong>geholt. Die zeigen auch schon richtig. Die haben auch ihre eigene Entwicklung<br />
genommen, find ich in <strong>de</strong>r Szene. […] Die treten auch viel selbstbewusster <strong>auf</strong>. Die<br />
stehen nicht nur in <strong>de</strong>r Ecke rum. Gehen auch, ich habe auch mittlerweile auch viele<br />
gesehen, die auch ab und zu mal mit in <strong>de</strong>n Pit reingehen. Doch muss ich sagen, die<br />
Frauen haben ganz schön <strong>auf</strong>geholt.“ (K.)<br />
Auch D. erlebt die Psychobillyfrauen als sehr selbstbewusst. „Die sagen <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n<br />
Fall ihre Meinung und lassen sich gar nichts erzählen. Die sind knallhart. Da<br />
kannste einstecken, wenn so ne Psychobillyfrau, ja wenn sie dich <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Kieker hat,<br />
kannste direkt gehen.“ ( D.)<br />
Eintritt in die Psychobillyszene, Partizipation und Emanzipation<br />
Frauen kommen <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r einen Seite aus eigenem Interesse zu <strong>de</strong>n Konzerten und <strong>auf</strong><br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite gibt es auch weibliche Psychobillies, die durch ihren Freund in die<br />
Szene gekommen sind. K. sieht auch hier eine Verän<strong>de</strong>rung. Er ist <strong>de</strong>r Meinung, dass<br />
heute mehr Frauen von sich aus die Konzerte besuchen. „Früher haste oft, <strong>de</strong>nk ich<br />
mal, die Freundin mitgenommen, wenn die die Musik gut fand, ist sie dann mitge-<br />
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gangen. Und heute haste doch schon ne eigene Anzahl von Frauen, die nicht nur<br />
dahingehen, weil <strong>de</strong>r Freund dahingeht, son<strong>de</strong>rn einfach, weil sie selber dahin wollen.<br />
[…] Es gibt viele Frauen, die auch keinen Freund haben, aber trotz<strong>de</strong>m ständig<br />
<strong>auf</strong> irgendwelchen Festivals rumgammeln. Und einfach Spaß an <strong>de</strong>r Sache haben.<br />
Doch muss ich sagen.“ (K.)<br />
D. hingegen vertritt die Meinung, dass Frauen in erster Linie durch ihren Freund <strong>auf</strong><br />
die Psychobillyszene <strong>auf</strong>merksam wer<strong>de</strong>n. „Also ich <strong>de</strong>nke eher, Frauen kommen in<br />
die Psychobillyszene durch ihren Freund. Wenn sie n Freund haben, <strong>de</strong>r ist<br />
Psychobilly, kommen die dann so langsam in die Psychobillyszene.“ (D.)<br />
L. glaubt auch, dass es zwei Typen von Frauen in <strong>de</strong>r Psychobillyszene gibt. „Ja, zu<br />
<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n, warum Frauen dabei sind. Es gibt mit Sicherheit viele, die Musik gerne<br />
hören. Aber es gibt auch welche, die das machen, weil <strong>de</strong>r Freund dabei ist. Das<br />
gibt’s mit Sicherheit auch, ne? Ich <strong>de</strong>nk mal, es gibt bei<strong>de</strong>s.“ (L.)<br />
J. <strong>de</strong>nkt, dass es individuell von <strong>de</strong>n Personen abhängt, wie man zur<br />
Psychobillysubkultur kommt. Ebenfalls vertritt sie die Meinung, dass die meisten<br />
Leute allgemein aus einer an<strong>de</strong>ren Subkultur kommen, bevor sie Psychobilly wer<strong>de</strong>n.<br />
„Zu <strong>de</strong>m, wie man dazu kommt, das ist glaub ich, sehr abhängig von <strong>de</strong>n Personen.<br />
Die Leute, die ich kenne, die Frauen, die ich kenne, haben das alles aus eigenen Stücken<br />
gemacht. Und sind durch an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> dazu gekommen. Das ist ja meistens<br />
so. Man kommt ja nicht von Anfang an in die Psychobillyszene, weil die halt<br />
nicht so Mainstream ist. Sicher gibt’s <strong>im</strong>mer Frauen, die sich irgendwie mitreißen<br />
lassen, lei<strong>de</strong>r, warum auch <strong>im</strong>mer, und <strong>auf</strong> diesen Zug mit <strong>auf</strong>springen, weil ihr<br />
Freund irgendwie macht.“ (J.)<br />
J. hält die Rolle <strong>de</strong>r Frau <strong>im</strong> Psychobilly für emanzipiert und sieht es so, dass Frauen<br />
<strong>de</strong>nselben Status haben wie Männer und keinen speziellen, wie z.B. in <strong>de</strong>r<br />
Skinheadszene. „Und was wir zu sagen haben, in <strong>de</strong>r Szene, ist glaub ich recht offen,<br />
also nicht so wie in <strong>de</strong>r Skinheadszene. Wo die Frau eher untergeordnet ist, vielleicht<br />
n falsches Wort. Ne eigene Rolle spielt. Und wo auch dieser ganze Hype, diese Renee<br />
Skingirlszene, so ganz speziell ist. So was gibt’s bei uns nicht. Ne.“ (J.)<br />
Auch T. ist <strong>de</strong>r Ansicht, dass Frauen genau so behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n wie die Männer und<br />
nicht untergeordnet wer<strong>de</strong>n. „Aber jetzt auch zur Geschlechterrolle gesehen, also ich<br />
kenn das jetzt gar nicht so, von wegen ja, Frau halt die Klappe und keine Ahnung.<br />
Du hast nichts zu mel<strong>de</strong>n. Ist meiner Meinung nach <strong>de</strong>finitiv gleichberechtigt. Also<br />
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ich kenn da jetzt irgendwie so was wie aus schlechten Filmen z.B., dass die Frauen<br />
nix zu mel<strong>de</strong>n haben. Das ist Blödsinn, meiner Meinung nach.“ (T.)<br />
Auch L. antwortet <strong>auf</strong> die Frage, ob die Psychobillyszene emanzipiert ist: „ Ja. Ja,<br />
würd ich sagen.“ (L.)<br />
Im Gegensatz zu früher gibt es heute auch <strong>im</strong>mer mehr Psychobillybands, in <strong>de</strong>nen<br />
Frauen mitspielen o<strong>de</strong>r gar alle Bandmitglie<strong>de</strong>r Frauen sind (z.B. bei „Brigitte<br />
Handley und the Dark Shadows“ aus Australien o<strong>de</strong>r „Thee Merry Widows“). Es<br />
gibt auch sehr populäre Bands wie „the Creepshow“ und „Horrorpops“, die weltweit<br />
viel Erfolg haben und eine weibliche Sängerin haben. Bands, die ebenfalls weibliche<br />
Sängerinnen, bzw. Mitglie<strong>de</strong>r haben sind z. B. „Mad Marge and the Stone Cutters“,<br />
„Rat Monkeys“, „Kitty in a Casket“ und „Nekromantix“. Frauen sind also nicht nur<br />
emanzipiert, son<strong>de</strong>rn sie gestalten die Szene aktiv mit. „Ja die wer<strong>de</strong>n <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall<br />
ernst genommen und sind auch aktiv. Also es gibt ja mittlerweile <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
früher auch Bands, wo Frauen singen o<strong>de</strong>r die nur aus Frauen bestehen. Das gab’s<br />
halt auch früher nicht so in <strong>de</strong>m Maße. Und die sind <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall aktiv und akzeptiert<br />
und mit dabei. Ja. Ja.“ (L.)<br />
Frauenanteil in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur<br />
Trotz <strong>de</strong>r Partizipation und Emanzipation, ist Psychobilly <strong>de</strong>nnoch eine männerdominierte<br />
Szene, wie die meisten <strong>Subkulturen</strong>. Das genaue Verhältnis von Frauen zu<br />
Männern kann man schlecht best<strong>im</strong>men und so gehen auch die Aussagen meiner<br />
Interviewpartner <strong>de</strong>utlich auseinan<strong>de</strong>r. D. sieht Frauen ganz klar in <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheit.<br />
Vielleicht liegt es daran, dass er größtenteils <strong>auf</strong> die Proberaumpartys seines Bru<strong>de</strong>rs<br />
geht, <strong>de</strong>r in einer Psychobillyband spielt. Vielleicht ist das Frauenverhältnis <strong>auf</strong> diesen<br />
Partys ziemlich klein. „Wenn man so n Verhältnis sagen müsste, dann kommt <strong>auf</strong><br />
zehn Männer eine Frau. Und das ist wahrscheinlich schon hoch gesetzt. Also es gibt<br />
sehr wenig Frauen.“ (D.)<br />
K. macht keine Angaben zum Zahlenverhältnis, aber er glaubt, dass es heute mehr<br />
Frauen in <strong>de</strong>r Szene gibt. „Frauen sind mehr gewor<strong>de</strong>n <strong>im</strong> Gegensatz zu früher.“ (K.)<br />
T. sieht die Männer in <strong>de</strong>r Überzahl. „Es ist natürlich n bisschen männerdominiert.<br />
[…] Es gibt zwar schon n bisschen weniger Frauen als Männer.“ (T.)<br />
Auch L. kann kein genaues Verhältnis benennen. „Das ist ne sehr gute Frage. Das<br />
ist ne sehr gute Frage. Das kann ich jetzt gar nicht so wirklich beantworten. […]<br />
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Weiß ich nicht. Vielleicht n Drittel o<strong>de</strong>r was? Das ist jetzt wirklich sehr grob geschätzt<br />
jetzt, ne? Ich kann’s wirklich nicht so genau sagen.“ (L.)<br />
J. schätzt die Frauenquote am opt<strong>im</strong>istischen ein, ist aber unzufrie<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Frauenanteil<br />
und wünscht sich noch viel mehr Frauen in <strong>de</strong>r Szene. „Klar sind die Frauen<br />
in <strong>de</strong>r Unterzahl. Spricht nicht gera<strong>de</strong> für uns. Lei<strong>de</strong>r. Ja, 60:40 so. Also, 60 %<br />
Männer. 40% Frauen vielleicht. […] Ja also, klar mehr als in <strong>de</strong>r Skinheadszene,<br />
aber es sind trotz<strong>de</strong>m noch viel zu wenig Frauen find ich.“ (J.)<br />
4.3.4. Gehört die Psychobillysubkultur zu <strong>de</strong>n Rockabillies o<strong>de</strong>r<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um eine autonome Szene?<br />
Gemeinsamkeiten mit <strong>de</strong>r Rockabillyszene<br />
Die Psychobillies sind sich ihrer Wurzeln, die neben Punk auch <strong>im</strong><br />
Rockabillybereich liegen, absolut bewusst. Die älteren Psychos sind sich einig, dass<br />
es ohne Rockabilly keinen Psychobilly geben wür<strong>de</strong>. „Also klar ist man irgendwo<br />
verwandt. Weil <strong>de</strong>r Backround. Ohne Rockabilly wür<strong>de</strong> es auch keinen Psychobilly<br />
geben, ne?“ (K.)<br />
„Na also, ich <strong>de</strong>nk mal so schon ohne Rockabilly kein Psychobilly, ne? Ist schon ne<br />
Mischung aus Rockabilly und Punkrock.[…]Sicherlich ist Rockabilly n wichtiger<br />
Einfluss. Weil ohne Rockabilly wür<strong>de</strong> es <strong>de</strong>n Psychobilly gar nicht geben.“ (L.)<br />
Psychobillies hören auch durchaus gerne Rockabilly. „Es gibt guten Rockabilly, <strong>de</strong>n<br />
ich auch total gerne höre.“ (K.)<br />
Auch die jüngeren Psychos hören gerne alten Rock’n’Roll bzw. Rockabilly.<br />
„Klar, hab ich auch ne Stray Cats Platte in meinem Plattenkoffer drinne […].“ (J.)<br />
„Ich hör zwar gerne 50ties. 50er Jahre hier, was weiß ich. Eddie Cochran, Vince<br />
Taylor und die ganzen alten Chaoten da. Das fand ich schon richtig geil. Also guter<br />
alter Rock’n’Roll. Das höre ich unhe<strong>im</strong>lich gerne.“ (T.)<br />
Auch D. fin<strong>de</strong>t Rockabilly gut. „Ich find Rockabilly geil.“ (D.)<br />
Auch <strong>im</strong> Kleidungsbereich gibt es Überschneidungen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong>. „Und<br />
wir Frauen, wie ich schon am Anfang gesagt habe, orientieren uns wohl mittlerweile<br />
an was Femininerem und auch bisschen optisch in <strong>de</strong>r Rockabillyszene.“ (J.)<br />
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So sagt auch D. , dass viele Symbole, die Psychobillies als Aufnäher tragen, <strong>de</strong>utlich<br />
von Rockabilly beeinflusst sind. „Bands, eiserne Kreuze und alles was so<br />
Rockabillymäßig ist: Karten, Schä<strong>de</strong>l...“ (D.)<br />
Das sieht J. genau so. „O<strong>de</strong>r halt so Sachen, die aus <strong>de</strong>r Rockabillyszene rüberkommen:<br />
Eightballs, Kirschen und so Faxen.“ (J.)<br />
Doch trotz Überschneidungen in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n musikalischen Wurzeln und <strong>de</strong>r<br />
Sympathie für gewisse Rockabillybands, grenzen sich meine Interviewpartner ganz<br />
bewusst von <strong>de</strong>r Rockabillyszene ab und sehen Psychobilly als eigene Subkultur<br />
bzw. eigene Musikszene.<br />
Unterschie<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>n Rockabillies<br />
„Aber mit <strong>de</strong>m heutigen Rockabilly kann ich persönlich nicht viel mit anfangen.<br />
Das ist mir einfach zu weich, das ist mir zu lahm und zu langweilig.“ (T.)<br />
Trotz <strong>de</strong>r oben <strong>auf</strong>geführten Gemeinsamkeiten und Parallelen, sehen meine Interviewpartner<br />
<strong>de</strong>utliche Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n verwandten <strong>Subkulturen</strong>.<br />
Psychobilly wird als wil<strong>de</strong>re, heterogenere, abwechslungsreichere Subkultur erlebt,<br />
die sich von <strong>de</strong>n Rockabillies <strong>de</strong>utlich unterschei<strong>de</strong>t, <strong>im</strong> Style, in <strong>de</strong>n Texten und<br />
auch in <strong>de</strong>r Musik selber. T. empfin<strong>de</strong>t Rockabilly als zu weich und zu langweilig.<br />
Zu<strong>de</strong>m kann er mit <strong>de</strong>n Texten von Rockabillybands nichts anfangen.<br />
„Ganz ehrlich gesagt, Rockabilly spielt für mich nicht eine beson<strong>de</strong>rs große Rolle.<br />
[…] Aber mit <strong>de</strong>m heutigen Rockabilly kann ich persönlich nicht viel mit anfangen.<br />
Das ist mir zu weich, das ist mir zu lahm und zu langweilig. Weil ich beschäftige<br />
mich nicht damit, dass ich mein Baby von <strong>de</strong>r Highschool in nem Cadillac abhole.<br />
Ich steh halt mehr halt so <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Horrorbereich und das schon <strong>im</strong>mer.“ (T.)<br />
Auch J. ist Rockabilly nicht wild genug und sie empfin<strong>de</strong>t die Rockabillies als bie<strong>de</strong>r.<br />
„Klar hab ich auch ne Stray Cats Platte in meinem Plattenkoffer drinne, hör das<br />
auch gelegentlich, aber an sich ist mir das zu langsam und die Szene ist mir auch zu<br />
eingeschlafen und zu brav und zu schick und. Also die Entwicklung in <strong>de</strong>r<br />
Rockabillyszene momentan find ich auch ganz komisch.“ (J.)<br />
Auch K. ist Rockabilly nicht abwechslungsreich genug und er bemerkt eine gewisse<br />
Monotonie in <strong>de</strong>r Musik, während er bei Psychobilly die viele Abwechslung und die<br />
unterschiedlichsten Einflüsse schätzt: „Im Unterschied, <strong>im</strong> Gegensatz zu Rockabilly,<br />
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kenn ich eigentlich, kann ich nicht sagen, dass sich irgen<strong>de</strong>ine Band gleich anhört.<br />
Rockabilly hört sich <strong>auf</strong> eine Art und Weise <strong>im</strong>mer gleich an. Das wie<strong>de</strong>rholt sich<br />
irgendwie alles. Aber Psychobilly, je<strong>de</strong> Band ist an<strong>de</strong>rs. Je<strong>de</strong> Band spielt <strong>de</strong>n<br />
Psychobilly an<strong>de</strong>rs. Und hat n an<strong>de</strong>ren Sound und Psychobilly kannste viel mehr<br />
reinpacken. [...] Rockabilly das ist <strong>im</strong>mer eine Schiene. Immer straight away –eine<br />
Schiene. […] Weil die Leute sich in <strong>de</strong>r Psychobillymusik, find ich, eigentlich das<br />
wie<strong>de</strong>rgeben können, richtig, ohne an irgendwelche L<strong>im</strong>its. Bei Rockabilly biste <strong>im</strong>mer<br />
an irgendwas gebun<strong>de</strong>n. Ja, da hast halt diesen 50ties Style, Rockabilly, ne?<br />
Und in <strong>de</strong>n Texten geht’s <strong>im</strong>mer um Autos, um Frauen, 50er Jahre und cool sein<br />
[…].“ (K.)<br />
Wie man oben erkennt, schätzt K. es auch, dass es bei Psychobilly keine Regeln gibt,<br />
die beachtet wer<strong>de</strong>n müssen. Psychobilly setzt sich über Grenzen hinweg, musikalisch,<br />
als auch moralisch.<br />
T. mag die dunkle Seite von Psychobilly. Rockabilly ist ihm zu lieb. Das Böse was in<br />
Psychobillytexten verarbeitet wird, fasziniert ihn. „Aber für mich ist halt Psychobilly<br />
dieses Böse. Für mich muss es böse sein, Psychobilly und <strong>de</strong>shalb kann ich mit diesem,<br />
sag ich mal, eher schönen Rock’n’Roll o<strong>de</strong>r Rockabilly nicht so viel anfangen,<br />
weil ich mehr <strong>auf</strong> diese bösen Sachen stehe. Kommt für mich halt geiler und krasser<br />
rüber und da krieg ich mehr Gänsehautgefühl dabei.“ (T.)<br />
D. sieht Psychobilly auch als selbstständige Subkultur an und antwortet <strong>auf</strong> die Frage,<br />
ob Rockabilly ihn beeinflusst hat: „Eher nicht. Ich find Rockabilly geil. Aber es<br />
war <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall nicht <strong>de</strong>r Grund, warum ich Psychobilly gewor<strong>de</strong>n bin.“ (D.)<br />
Er sieht auch Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Musik: „Ist ne ganz an<strong>de</strong>re Musikrichtung. Also,<br />
was heißt ganz an<strong>de</strong>rs? Aber ist schon an<strong>de</strong>rs.“ (D.)<br />
D. hält die Psychobillyszene autonom von <strong>de</strong>r Rockabillyszene und antwortet <strong>auf</strong> die<br />
Frage, ob Psychobilly <strong>de</strong>finitiv selbstständig wäre: „Ja, <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall.“ (D.)<br />
Auch J. und L. tendieren in dieselbe Richtung. Bei<strong>de</strong> erwähnen auch die Figurationen,<br />
die sich zwischen Psychobilly und an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> gebil<strong>de</strong>t haben. „Was<br />
heißt eigene Szene? Wir korrespondieren ja schon mit an<strong>de</strong>ren Szenen. Aber an sich<br />
ist es schon ne eigene Musik, ne eigene Szene, eigene Leute. […] Wie wir aussehen,<br />
ist ja auch n bisschen eigen. Klar ist es n bisschen punkig mit und natürlich auch mit<br />
<strong>de</strong>n Frisuren, abgewan<strong>de</strong>lt von <strong>de</strong>r Rockabillyszene und umgekrempelte Jeans und<br />
solche Faxen. Doch dich <strong>de</strong>nk schon, dass das n eigenes Ding ist.“ (J.)<br />
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„Ja, ich würd <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall sagen, dass es ne eigene Szene ist. […] Was jetzt heutzutage<br />
<strong>de</strong>r Fall ist, dass es vielleicht <strong>im</strong>mer mehr so n bisschen zusammenwächst, weil<br />
wie gesagt, das Bands dieser bei<strong>de</strong>n Musikrichtungen zusammen <strong>auf</strong>treten, was es<br />
damals nicht gab. Aber ist schon ne eigene Szene noch. Auf je<strong>de</strong>n Fall, würd ich<br />
doch sagen. Ja.“ (L.)<br />
K. hat über die Jahre, die vielen Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur gesehen<br />
und ist <strong>de</strong>r Meinung, dass sich Psychobilly klar von <strong>de</strong>n Rockabillies getrennt und<br />
sich <strong>im</strong> L<strong>auf</strong>e <strong>de</strong>r Jahre zu einer eigenen Subkultur entwickelt hat.<br />
„Dann die Abspaltung von Rockabilly ging ja dann los, allein schon durch das Outfit.<br />
Das die Musik auch schon. Also wenn man das mal vergleicht, mal n Rockabilly<br />
anhört und n Psychobilly, schon n Unterschied erkennbar ist. Ich find <strong>im</strong> L<strong>auf</strong>e <strong>de</strong>r<br />
Jahre ist das ne richtige Subkultur gewor<strong>de</strong>n, ne?“ (K.)<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle 5 Interviewpartner Psychobilly als<br />
eigenständig sehen und Rockabilly als eine an<strong>de</strong>re Subkultur betrachtet wird. Ob<br />
Psychobilly ein eigener Lebensweg bzw. eine Lebenseinstellung ist o<strong>de</strong>r nur eine<br />
Musikszene, dar<strong>auf</strong> werd ich <strong>im</strong> nächsten Abschnitt eingehen.<br />
Psychobilly als Lebensstil bzw. Lebensweg<br />
„Ich kann mir n Leben ohne Psychobilly nicht vorstellen. Ich lebe das.“ (K.)<br />
Psychobilly ist für viele Psychos nicht nur eine Musikszene, son<strong>de</strong>rn auch eine Subkultur,<br />
die <strong>de</strong>n Lebensweg best<strong>im</strong>mt. Bei meinen Interviewpartnern haben sich zu<br />
diesem Thema zwei Gruppen herauskristallisiert. D. ist noch nicht so lange<br />
Psychobilly und weiß noch nicht, ob Psychobilly in ferner Zukunft noch eine so große<br />
Rolle für ihn spielen wird, wie jetzt. „Also für mich, ich <strong>de</strong>nke momentan, ich<br />
kann ja nur von momentan sprechen. Momentan bin ich Psychobilly aus Herzblut.<br />
Solange ich jetzt bin, möchte ich Psychobilly sein. Natürlich kann man in zehn Jahren<br />
<strong>de</strong>nken: Ach du Scheiße! Was hast du da gemacht? Aber momentan möchte ich<br />
sehr, sehr gerne Psychobilly sein.“ (D.)<br />
J. sieht in Psychobilly eher eine Musikszene und für sie ist es keine Subkultur und<br />
auch kein Lebensstil, da die Szene viele zu klein ist und es viel zu wenig<br />
Psychobillies gibt. „Schwer zu sagen. Ich kann das nur für mich selber beurteilen.<br />
[…] Ja, ne Musikszene. Und dafür ist die Szene auch gera<strong>de</strong> in Deutschland viel zu<br />
103
klein. Grad hier in Hessen. Hier gibt es praktisch keine Szene. […] Wir sind vielleicht<br />
grad in Darmstadt so 5-10 Leute, wo ich sagen könnte, gut, die stehen da hinter<br />
<strong>de</strong>m Psychobillyding. Aber wir sind keine eigene Subkultur. Ne. Empfin<strong>de</strong> ich<br />
hier einfach nicht so.“ (J.)<br />
Ebenso weiß J. nicht, ob sie in einigen Jahren noch Psychobilly ist. Das ist ihr allerdings<br />
auch nicht so wichtig. Sie <strong>de</strong>nkt aber schon, dass sie auch weiterhin<br />
Psychobilly hören wird. „Und für mich persönlich, ob ich jetzt mich <strong>im</strong>mer als<br />
Psychobilly sehen wür<strong>de</strong>, das weiß ich nicht. Das fin<strong>de</strong> ich auch, muss man auch<br />
nicht. Ich werd es aber <strong>im</strong>mer hören. Weil mich die Musik einfach <strong>im</strong>mer reizt.“ (J.)<br />
T. , K. und L. bil<strong>de</strong>n die zweite Gruppe. Für diese Drei hat Psychobilly eine wichtigere<br />
Be<strong>de</strong>utung <strong>im</strong> Leben. Hier kann man teilweise von einer Ersatzreligion sprechen,<br />
da Psychobilly eine so zentrale Rolle <strong>im</strong> Leben einn<strong>im</strong>mt. Bei K. zumin<strong>de</strong>st,<br />
aber auch L. und T. sehen in Psychobilly einen subkulturellen Lebensweg. „Das hat<br />
schon so subkulturellen Charakter. Es gehören auch an<strong>de</strong>re Sachen außerhalb <strong>de</strong>r<br />
Musik dazu. Auch die die Klamotten, die man trägt o<strong>de</strong>r so. Wie gesagt, die Sache<br />
mit <strong>de</strong>n Horrorfilmen. Denk ich schon, dass das ja schon ne richtige Subkultur, ne<br />
eigene ist. Das <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall. Ja.“ (L.)<br />
T. differenziert auch zwischen Leuten, die Psychobilly als Lebensseinstellung sehen<br />
und Menschen, die einfach nur die Musik gerne hören. „Es ist <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall n Le-<br />
benseinstellung. Definitiv! Also zumin<strong>de</strong>stens für die Meisten. Gibt natürlich auch<br />
viele Leute, die halt die Musik nur toll fin<strong>de</strong>n. […] Also <strong>im</strong> Prinzip es ist, schon als<br />
Lebensstil anzusehen. Wenn du es so siehst. Auf je<strong>de</strong>n Fall. Definitiv!“ (T.)<br />
Für K. be<strong>de</strong>utet Psychobilly noch mehr. Für ihn ist Psychobilly schon existenziell.<br />
„Ich kann mir n Leben ohne Psychobilly nicht vorstellen. Ich lebe das! Ich lebe da-<br />
nach auch. Ich möchte an<strong>de</strong>rs sein! Ich zeig das auch! Seit<strong>de</strong>m ich dabei bin, habe<br />
ich es <strong>im</strong>mer geschafft, auch beruflich so zu sein, wie ich bin und auch <strong>im</strong>mer dazu<br />
gestan<strong>de</strong>n. Also ich habe das Glück, dass ich in meinem Job, meine Frisur behalten<br />
kann. Mein Äußeres behalten kann. Manche können es nicht, ne? Jobmäßig halt, ne?<br />
[…] Ich brauche es einfach! Ich muss einfach <strong>auf</strong>s Konzert gehen und unter <strong>de</strong>n Leuten<br />
sein! Ich muss die Musik hören! Ich muss Spaß haben! Ich muss rocken! Ich will<br />
so aussehen! Ich will so sein! Ja, ich fin<strong>de</strong> schon. Und viele Leute <strong>de</strong>nke auch so.<br />
[…] Doch mein Leben best<strong>im</strong>mt’s und ich kenn viele Leute, wo es auch tut.“ (K.)<br />
Für manche Leute ist Psychobilly weit mehr als nur eine Musikszene. Das ganze<br />
Leben wird nach Konzerten, Festivals und diesem Lebensstil ausgerichtet. Einige<br />
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Leute müssen sich <strong>auf</strong>grund <strong>de</strong>s Berufs, <strong>de</strong>n sie ausüben, von einer extremen Frisur<br />
trennen, während Leute wie K. , auch in ihrem Beruf zu ihrer Subkultur stehen.<br />
Altern in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur<br />
„Und ich <strong>de</strong>nke, ich selber, persönlich, mach das solange, bis ich kaputt bin.“<br />
(K.)<br />
L. und K. haben bei<strong>de</strong> die 40 überschritten und sind <strong>im</strong>mer noch Psychobillies. Was<br />
für bei<strong>de</strong> als Jugensubkultur begann, ist für sie zu einem Lebensweg gewor<strong>de</strong>n.<br />
Psychobilly ist also keine Jugendsubkultur. Auch wenn jüngere Leute wie J. und D.<br />
dazu stoßen. Während J. und D. sich nicht sicher sind, ob sie Psychobillies bleiben,<br />
steht das für T. außer Frage, da er sich nicht vorstellen kann, sich die nächsten Jahre<br />
drastisch zu verän<strong>de</strong>rn. Er antwortet <strong>auf</strong> die Frage, ob er sich auch in Zukunft vorstellen<br />
kann, ein Psychobilly zu sein: „Ja, natürlich. 100%ig. Auf je<strong>de</strong>n Fall. Ich bin<br />
jetzt 25. Ich bin zwar noch ein kleines Kind, aber ich <strong>de</strong>nk mal nicht, dass ich mich<br />
noch großartig in <strong>de</strong>n nächsten 10, 20 Jahren än<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>. Zumin<strong>de</strong>st nicht von<br />
<strong>de</strong>r Musik her. […] Aber das wird sich bei mir, so wie ich jetzt hier sitze, <strong>de</strong>finitiv die<br />
nächsten Jahre nichts mehr än<strong>de</strong>rn.“ (T.)<br />
Auch L. trifft <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r Leute <strong>auf</strong> Konzerten, die noch älter sind als er. Auch<br />
viele berühmte Mitglie<strong>de</strong>r von Psychobillybands gehen <strong>auf</strong> die 50 zu, wie z.B. Peter<br />
Paul Fenech, <strong>de</strong>r Sänger von <strong>de</strong>n Meteors. Die Meteors veröffentlichen <strong>im</strong>mer noch<br />
sehr fleißig neue CD’s. Viele Bands, die sich in <strong>de</strong>n 80er Jahren gegrün<strong>de</strong>t haben,<br />
spielen noch <strong>im</strong>mer live und nehmen neue CD’s <strong>auf</strong>, wie z.B. „the Quakes“, „Frantic<br />
Flintstones“, Demented Are Go, „Guana Batz“ etc. . Daher ist auch L. <strong>de</strong>r Meinung,<br />
dass man als Psychobilly durchaus alt wer<strong>de</strong>n kann und er trifft auch <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r<br />
Leute <strong>auf</strong> Konzerten, die ebenso wie er, in <strong>de</strong>n 80er Jahren schon dabei waren. „Also<br />
man trifft schon Leute, die man, was weiß ich, seit Jahren nicht gesehen hat und trifft<br />
man dann wie<strong>de</strong>r. Das ist schon so. Das ist, ich <strong>de</strong>nk mal, es gibt viele, die von früher<br />
noch dabei sind und auch einige Jüngere. Ja, das ist schon so. […] Man kann da<br />
<strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall alt wer<strong>de</strong>n. Es ist ja mittlerweile auch so, wenn du <strong>auf</strong> Festivals gehst,<br />
haste ja auch Leute da, die <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall noch älter als ich sind, sag ich mal so. Und<br />
die sind <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall auch noch dabei. Sind halt auch n bisschen ruhiger gewor<strong>de</strong>n.“<br />
(L.)<br />
105
Ähnliche Erfahrungen hat auch K. gesammelt. K. kennt auch viele Psychos, die nach<br />
Jahren zur Szene zurückgekommen sind, weil ihnen etwas in ihrem Leben gefehlt<br />
hat. „Ich hab jetzt also, viele Leute wie<strong>de</strong>r kennen gelernt, die wie<strong>de</strong>r zurückgekommen<br />
sind, weil sie irgendwo was vermisst haben in ihrem normalen Leben. Haben<br />
gemerkt, <strong>im</strong> Psychobilly ist irgendwas, was ich brauche ja? […] Ich hab jetzt viele<br />
Leute über die ganzen Jahre kennengelernt, die ich <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r getroffen habe.<br />
Die mittlerweile auch mein Alter sind, aber sind <strong>im</strong>mer noch Psychobillies. Vielleicht<br />
nicht mehr so ganz so extrem vom Äußeren. Aber die sind <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r da.“ (K.)<br />
An dieser Äußerung kann man feststellen, dass es viele Leute gibt, die schon früher<br />
in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur waren und sich wahrscheinlich wegen ihres Berufes vom<br />
Aussehen verän<strong>de</strong>rt haben, aber <strong>im</strong> Inneren <strong>im</strong>mer noch überzeugte Psychobillies<br />
sind. Das zeugt auch von einer großen Verbun<strong>de</strong>nheit zur Psychobillysubkultur. Die<br />
Frage, die sich einem stellt, wenn man von <strong>de</strong>n Psychobillies liest, die nach Jahren<br />
zur Szene zurückgekehrt sind, ist, was genau das Beson<strong>de</strong>re be<strong>im</strong> Psychobilly ist,<br />
was die Leute <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r anzieht? Bei meiner letzten Hauptfrage versuche ich<br />
verständlich zu machen, was die Leute an Psychobilly so fasziniert und was <strong>de</strong>n<br />
Spaß ausmacht. K. und L. wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Szene so lange treu bleiben, wie es ihnen die<br />
Gesundheit erlaubt. „Und ich <strong>de</strong>nke, ich selber, persönlich, mach das solange, bis ich<br />
kaputt bin. Weil das ist einfach mein Ding. Das macht mir Spaß und ich steh dazu<br />
[…].“ (K.)<br />
„Und ich selber, ja, solange ich kann und noch fit bin, und werd ich auch weiter an<br />
solchen Veranstaltungen teilnehmen und die Musik auch weiter hören. Ja.“ (L.)<br />
4.3.5. Wie ist das Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>?<br />
Wie ich weiter oben schon geschil<strong>de</strong>rt habe, hatte die Psychobillysubkultur in <strong>de</strong>n<br />
80er Jahren massive Probleme mit an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>, wie z.B. <strong>de</strong>r Punk- und<br />
Rockabillyszene. Zu<strong>de</strong>m war Psychobilly sehr verschlossen. Es kamen fast nur<br />
Psychobillies zu Psychobillykonzerten, so dass eine Öffnung zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong><br />
kaum möglich war. Zu<strong>de</strong>m hatten die Psychobillies einen gewalttätigen Ruf, da sie<br />
<strong>auf</strong> die Verwechslungen und Angriffe <strong>de</strong>r Gesellschaft mit reaktiver Gewalt antworteten<br />
und so potentiell interessierte Menschen aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> abschreckten.<br />
Da die Gesellschaft aber toleranter gewor<strong>de</strong>n ist und auch die Psychobillyszene älter<br />
und friedlicher ist, kommt es zu <strong>im</strong>mer mehr Figurationen mit an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>.<br />
106
Heute spielen Psychobillybands zusammen mit Rockabillybands und Punkbands.<br />
Psychobillykonzerte sind auch keine reinen Psychokonzerte mehr, son<strong>de</strong>rn ziehen<br />
ein gemischtes Publikum an, welches sich aus allen Spektren <strong>de</strong>r <strong>Subkulturen</strong> zusammensetzt,<br />
ebenso wie aus „normalen“ Leuten.<br />
Psychobillies kommen meistens aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong><br />
„Man kommt ja nicht von Anfang an in die Psychobillyszene, weil sie halt nicht so<br />
Mainstream ist.“ (J.)<br />
Alle meine Interviewpartner waren vorher in einer an<strong>de</strong>ren Subkultur o<strong>de</strong>r haben<br />
sich zumin<strong>de</strong>st für an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> interessiert. K. hat sich für Rockabilly begeistert,<br />
ist allerdings nicht richtig in die Rockabillyszene hereingekommen. „Ich war<br />
vorher mehr so Rockabilly, bin aber eigentlich gar nicht so in die Szene reingekommen,<br />
weil die sehr verschlossen ist, die Rockabillyszene, fin<strong>de</strong> ich je<strong>de</strong>nfalls von meiner<br />
Person her.“ (K.)<br />
J. war früher in <strong>de</strong>r Punkszene, hat diese aber verlassen, weil sie Psychobilly musikalisch<br />
ansprechen<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>t. Zu<strong>de</strong>m empfin<strong>de</strong>t sie die Psychoszene als erwachsener<br />
und reifer. „Ich hab so mit 13 bin ich in die Punkszene gekommen. Und das hat sich<br />
irgendwo so weiterentwickelt, dass ich da irgendwann keinen Bock mehr dr<strong>auf</strong> hatte.<br />
Das war mir zu asozial. […] Aber ich fin<strong>de</strong> die Musik einfach n bisschen anspruchsvoller<br />
als Schrammelpunk. […] Auch die Szene ist einfach n bisschen erwachsener<br />
als die Punkszene, mit <strong>de</strong>r ich mich in meiner Jugend so umgeben habe.“ (J.)<br />
D. war, bevor er zur Psychobillysubkultur gekommen ist, sowohl Punk als auch<br />
Skinhead, genau wie sein Bru<strong>de</strong>r. „Früher waren wir halt eher so Skins/Punks. Aber<br />
auch nicht lange. Und halt eigentlich dann schon Psychobilly dann direkt.“ (D.)<br />
T. hat viel Oi-Punk gehört und ist durch die Punk’n’Roll Band „the Bones“ <strong>auf</strong><br />
Rock’n’Roll <strong>auf</strong>merksam gewor<strong>de</strong>n und hat sich dann für die Psychobands Mad Sin<br />
und Demented Are Go begeistert und ist so zur Psychoszene gekommen.<br />
„Es kam also so, wenn du es sehen willst, durch <strong>de</strong>n Punkrock. So mit 16/17 halt<br />
viele Oi-Punkrock gehört. Und dann kamen halt die ersten Berührungen. […] Und<br />
an und für sich fing dieses ganze Rock’n’Roll Getue mit <strong>de</strong>n Bones bei mir an. […]<br />
Hab ich diese Platte von Mad Sin gesehen: Survival of the sickest. […] Und die Platte<br />
reingemacht und war begeistert. Einfach nur begeistert. Erste Band so <strong>im</strong> Psycho-<br />
107
ereich, die ich gesehen habe, war damals Demented Are Go. […] Und das war für<br />
mich <strong>de</strong>r ausschlaggeben<strong>de</strong> Punkt. Ich hatte vorher ne Tolle, ne kleine Möchtegerntolle<br />
und da hab ich mir n Flat schnei<strong>de</strong>n lassen, weil das war für mich so was von<br />
beeindruckend damals. Das fand ich schon irgendwie astrein.“ (T.)<br />
T. hat somit eine Entwicklung genommen, die durch sehr viele unterschiedliche Subkultureinflüsse<br />
begünstigt wor<strong>de</strong>n ist. Über Punk und Oi zu Punk’n’Roll und schließlich<br />
zu Psychobilly. Auch Horrorpunk hat für T. eine große Rolle gespielt. Bei Horrorpunk<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um Bands, die sich als Zombies o<strong>de</strong>r Monster verklei<strong>de</strong>n und<br />
ausschließlich über Horror singen, wie z.B. Vampire, Außerirdische, Mutanten usw. .<br />
Berühmte Bands aus diesem Bereich sind „the Other“ und „the Misfits“ (absolute<br />
Kultband in <strong>de</strong>r Punk- als auch in <strong>de</strong>r Psychoszene). Die Texte von Horrorpunkbands<br />
und Psychobillybands behan<strong>de</strong>ln also teilweise dieselben Thematiken. Daher treten<br />
Horrorpunkbands auch mit Psychobillybands <strong>auf</strong>. Daher liegen die Figurationen dieser<br />
bei<strong>de</strong>n Szenen auch sehr nahe beieinan<strong>de</strong>r und haben T. auch maßgeblich beeinflusst.<br />
„Und <strong>de</strong>r Horrorpunk hat unhe<strong>im</strong>lich viel zumin<strong>de</strong>st textlich mit Psychobilly<br />
zu tun. Weil Psychobillytexte beschäftigen sich weitgehend mit B-Movies, mit Massenmör<strong>de</strong>rn,<br />
mit Zombies, mit Mutanten und <strong>de</strong>n ganzen Klischee. […] Das war damals<br />
auch mit <strong>de</strong>r ausschlag geben<strong>de</strong> Grund, dass ich diesen Horrorpunk da kennengelernt<br />
habe. Und wenn du mit Horrorpunk in Verbindung kommst, da kommste<br />
automatisch irgendwie heutzutage, da führt eigentlich kein Weg dran vorbei. Zumin<strong>de</strong>st<br />
die jüngeren Leute, so wie wir. Da kommste an Psychobilly gar nicht vorbei.“<br />
(T.)<br />
L. hatte Sympathien für die Skinheadsubkultur und hat auch Punk, Oi und Ska-<br />
Musik gehört. In einer Gothicdisco, in <strong>de</strong>r alle <strong>Subkulturen</strong> vertreten waren, hat er<br />
Kontakt zu an<strong>de</strong>ren Psychobillies bekommen und ist so <strong>auf</strong> die Musik <strong>auf</strong>merksam<br />
gewor<strong>de</strong>n. „Also zunächst fing das bei mir an, mit 13/14. Keine Ahnung. Das fand<br />
ich dann irgendwie Skinheads ganz toll irgendwie und die Musik auch, ne? Und so<br />
Oi und Punkmusik. Und auch Ska. […] Und in so ne gewisse Disco. Das Memphis.<br />
Das gibt’s heute nicht mehr. Also ne Gruftidisco. Da waren halt auch Skins, und<br />
Punks und Psychos halt. Da hab ich dann die ersten Psychos kennengelernt. […]<br />
Und ja und hab dann auch von <strong>de</strong>nen Musik gekriegt. […] Ja, da fand ich die Musik<br />
ganz toll. Ja und irgendwann hab ich mir mein erstes Flat schnei<strong>de</strong>n lassen und dann<br />
ging das los mit Konzerten, ne?“ (L.)<br />
108
Hier wird <strong>de</strong>utlich, dass es viele Figurationen zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> gibt, da ein<br />
Großteil <strong>de</strong>r Psychobillyszene aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> kommt. Auch <strong>im</strong> Freun<strong>de</strong>skreis<br />
<strong>de</strong>r Interviewten fin<strong>de</strong>n sich diverse Mitglie<strong>de</strong>r aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> zusammen.<br />
Psychobilly erreicht ein <strong>im</strong>mer heterogenes Publikum<br />
Wie schon beschrieben, hat sich die Konzertsituation gewan<strong>de</strong>lt. Die Leute aus an<strong>de</strong>ren<br />
<strong>Subkulturen</strong>, sowie ganz normale Leute, besuchen heute Psychobillykonzerte.<br />
Diese Verän<strong>de</strong>rung erfüllt K. schon fast mit Wehmut, weil er die Exklusivität eines<br />
Psychobillykonzertes für einen auserwählten Kreis durchaus geschätzt hat. „Hast du<br />
eigentlich so von an<strong>de</strong>ren Szenen, hast du von nicht viel gesehen, so wie heute. Heute<br />
<strong>auf</strong> n Festival gehst, siehste halt, l<strong>auf</strong>en auch n paar Punks rum, mal n paar Glatzköpfe,<br />
mal n paar Rockabillies. Auch Normale. Auch früher eigentlich, wenn da n<br />
Konzert war, waren hauptsächlich Psychobillies da. Es war n bisschen kleiner und<br />
die Leute waren auch vorsichtiger früher. Die gingen dann nicht einfach <strong>auf</strong> n<br />
Psychobillykonzert.“ (K.)<br />
Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seit schätzt es K. aber, dass heute alles friedlicher ist und <strong>de</strong>r Spaß<br />
<strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund steht. „Also ich find die Psychobillyszene ist ruhiger. Du kriegst viel<br />
besser Kontakt. Und wie gesagt, auch dadurch, dass sich das jetzt n bisschen das <strong>im</strong><br />
L<strong>auf</strong>e <strong>de</strong>r Jahre verän<strong>de</strong>rt hat, das auch an<strong>de</strong>re Leute dahingehen mittlerweile und<br />
einfach <strong>de</strong>r Spaß nur noch <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund steht, find ich das heute n bisschen angenehmer.“<br />
(K.)<br />
So sagt auch K. , <strong>de</strong>r in seiner wil<strong>de</strong>n Zeit viel Ärger mit <strong>de</strong>r Punkszene hatte, dass<br />
Punks und an<strong>de</strong>re Leute heute toleriert wer<strong>de</strong>n, was früher nicht <strong>de</strong>r Fall war. „Aber<br />
ansonsten halten die sich eher am Rand <strong>auf</strong> und wer<strong>de</strong>n toleriert. Früher war’s halt<br />
nicht so. Früher haste halt oft Probleme gehabt mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Szenen.“ (K.)<br />
L. hat auch beobachtet, dass heute <strong>de</strong>r Spaß <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund steht und sich die<br />
Rockabillyszene und die Psychobillyszene angenähert haben und es keine Konflikte<br />
mehr wie früher gibt. Die Bands aus <strong>de</strong>n diversen <strong>Subkulturen</strong> treten heute auch zusammen<br />
<strong>auf</strong>. „War damals noch strikt getrennt von <strong>de</strong>r Rockabillyszene, was ja heute<br />
nicht mehr so <strong>de</strong>r Fall ist, ne? […] Und ja aber Psychobillybands spielen jetzt auch<br />
mit Rockabillybands zusammen o<strong>de</strong>r mit Punkbands o<strong>de</strong>r so <strong>auf</strong> gemischten Konzer-<br />
109
ten. Sowas hat’s halt damals gar nicht gegeben, ne? […] Heutzutage ist das alles<br />
total locker und ja und es ist heute einfach nur Spaß, ne?“ (L.) Zu<strong>de</strong>m gibt es <strong>im</strong>mer<br />
mehr Psychobillybands, die nicht nur bei <strong>de</strong>n Psychos beliebt sind, son<strong>de</strong>rn auch<br />
über die Szene hinaus bekannt sind, wie z.B. Tiger Army, Mad Sin und the Meteors.<br />
„Es ist ja auch so, dass Bands wie was weiß ich z.B. Mad Sin auch über die Szene<br />
hinaus <strong>auf</strong> Festivals <strong>auf</strong>treten, wo halt mehr so Metal o<strong>de</strong>r schon fast<br />
Mainstreambands spielen und dadurch auch einen höheren Bekanntheitsgrad außerhalb<br />
<strong>de</strong>r Szene erlangt haben. […] Wie gesagt, z.B. Tiger Army aus Kalifornien ist<br />
jetzt so n Beispiel, die sind eigentlich sehr populär und haben auch einen ziemlich<br />
großen Bekanntheitsgrad, auch über die Szene hinaus würd ich sagen.“ (L.)<br />
Toleranz<br />
Da die großen Psychobillybands, wie Tiger Army, auch <strong>im</strong>mer mehr Leute außerhalb<br />
<strong>de</strong>r Subkultur anlocken, wird das Publikum bei Psychobillykonzerten <strong>im</strong>mer heterogener.<br />
L. glaubt, dass es an <strong>de</strong>r Gewalt <strong>de</strong>r Psychobillies und an <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Popularität<br />
allgemein lag, dass ein gemischtes Publikum in <strong>de</strong>n 80er Jahren nicht möglich<br />
war. Er bemerkt heutzutage eine viel größere Toleranz in <strong>de</strong>r Szene. „Es hatte <strong>auf</strong><br />
je<strong>de</strong>n Fall mit <strong>de</strong>r Gewalt in <strong>de</strong>r Szene an sich zu tun, dass sich Leute, die halt irgendwie<br />
an<strong>de</strong>rs aussahen, wahrscheinlich irgendwie gar nicht hingetraut haben o<strong>de</strong>r<br />
ja gut, zu <strong>de</strong>r Zeit war es damals noch nicht so großflächig bekannt, dass da Leute<br />
aus an<strong>de</strong>ren Szenen da allgemein überhaupt hingegangen wären. […] Ja, wie gesagt,<br />
heutzutage ist das alles wesentlich toleranter. Und dadurch, das halt Bands wie<br />
Mad Sin o<strong>de</strong>r Tiger Army auch über die Szene hinaus bekannt sind, kommen halt<br />
auch Leute zu <strong>de</strong>n Konzerten, die jetzt nicht unbedingt so n 100%<br />
Psychobillyhintergrund haben. Und das ist <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall alles friedlich und tolerant.<br />
Und man kann da hinkommen, egal wie man aussieht heutzutage.“ (L.)<br />
Auch T. hat beobachtet, dass z.B. bei Mad Sin ein sehr gemischtes Publikum vertreten<br />
ist und Psychobillies auch nicht unbedingt <strong>de</strong>n Großteil <strong>de</strong>r Zuschauer ausmachen,<br />
da Mad Sin mittlerweile auch in <strong>de</strong>n Charts angekommen sind und allgemein<br />
eine hohe Popularität genießen. „Wenn du jetzt die neue Scheibe von Mad Sin z.B.<br />
siehst, ist sogar <strong>auf</strong> Platz 98 <strong>de</strong>r Charts gekommen. […] Die sprechen halt jetzt unhe<strong>im</strong>lich<br />
viel Publikum an. Da haste Punks, da haste Skinheads, da haste n paar<br />
Rock’n’Roller. Da haste n paar Skaterjungs. Da haste halt alles vertreten. Wie neu-<br />
110
lich z.B. wo wir da <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Konzert waren in Bochum. Was mich da gewun<strong>de</strong>rt hat,<br />
dass du da gar nicht mehr so viele Psychos gesehen hast.“ (T.)<br />
Gera<strong>de</strong> die jüngeren Psychobillies sind sehr tolerant und T. z. B ist sehr zufrie<strong>de</strong>n<br />
mit <strong>de</strong>n diversen Figurationen <strong>de</strong>r unterschiedlichen <strong>Subkulturen</strong>. Auch sein Freun<strong>de</strong>skreis<br />
setzt sich aus <strong>de</strong>n unterschiedlichen <strong>Subkulturen</strong> zusammen. Er fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n<br />
Zusammenhalt und die Konzerte mit <strong>de</strong>n Bands aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Sektoren sehr<br />
gut. „Also, ich kann persönlich nur von meinen Ansichten noch sagen, dass Verhältnis<br />
zu Punks und Skins, also von mir aus gesehen super. Weil mein kompletter<br />
Freun<strong>de</strong>skreis aus <strong>de</strong>r Punk-, Skinhead- und Psychoszene kommt. Da gibt es keinerlei<br />
Berührungsängste. Du siehst es ja auch inzwischen <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n ganzen Konzerten und<br />
Festivals die stattfin<strong>de</strong>n. Wenn größere Konzerte und Festivals stattfin<strong>de</strong>n. Du hast<br />
alles vertreten. Du hast Punkrocker, du hast Punkbands, du hast Skinheadbands, du<br />
hast Psychobillybands, du hast Hardcorebands. Das ist alles so quasi so <strong>de</strong>r ganze<br />
Un<strong>de</strong>rground. Der ganze Un<strong>de</strong>rground. Alles united. Und das find ich auch super.<br />
[…] Ich kenn das gar nicht an<strong>de</strong>rs. Wenn man <strong>auf</strong> größere Veranstaltungen geht in<br />
unserem Bereich, ist halt alles vertreten. Punkrock, Psychobilly, Oi und Hardcore.<br />
Und ich finds halt toll.“ (T.)<br />
Während K. und L. in eine Psychobillyszene gekommen sind, die recht verschlossen<br />
und teilweise intolerant war, erleben die jüngeren Psychobillies eine tolerantere und<br />
offenere Szene, die sich mit an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> vereint und gemeinsam <strong>auf</strong> Konzerte<br />
und Festivals geht. Die Zeit, wo man sich gegenseitig bekämpft hat, ist <strong>de</strong>finitiv<br />
vorbei. Auch J. hat einen heterogenen Freun<strong>de</strong>skreis und beschreibt sich selber als<br />
tolerant und hat auch einen sehr vielseitigen Musikgeschmack. „Also ich habe<br />
Freun<strong>de</strong> in allen Szenen. Skinheadszene, Punkszene. Auch in Szenen, die jetzt nicht,<br />
keine Ahnung, in die punkige Richtung gehen. Wie beschreibt man das? Auch Hip<br />
Hopper o<strong>de</strong>r so was. Ich bin da tolerant und offen und höre auch selber ganz viel<br />
Musik. […] Und ich bin da auch wie gesagt offen und hör <strong>im</strong>mer alles. Ich hör auch<br />
jetzt noch ganz viel Oi. Ganz viel Punk. Ska, Hardcore. Alles.“ (J.)<br />
D. hingegen hat auch Freun<strong>de</strong> aus diversen <strong>Subkulturen</strong>, doch kennt seine Toleranz<br />
<strong>de</strong>utliche Grenzen. So kann D. z.B. keine Hip Hopper lei<strong>de</strong>n und sieht sie gar als<br />
Fein<strong>de</strong> an. „Ja, also mein bester Freund ist Oi. und sonst kenn ich auch Punks, Skins,<br />
an<strong>de</strong>re Psychobillies, Gothics. Ja, die ganze Palette an <strong>Subkulturen</strong>. […] Die rotten<br />
sich alle zusammen. Weil wir an<strong>de</strong>re Fein<strong>de</strong> haben.“(D.) Auf die Frage, wer <strong>de</strong>nn<br />
111
diese Fein<strong>de</strong> seien, antwortet D. : „So halt die Hip Hop Generation. Die Rapper.“<br />
(D.)<br />
D. hat eine tiefe Abneigung gegen Hip Hopper, aus <strong>de</strong>r er keinen Hehl macht. „Ja,<br />
das ist halt einfach wie die sich geben. Ich komm mit <strong>de</strong>n Leuten nicht klar. Diese<br />
Hip Hopper. Ich mag die einfach nicht. Die Musik mag ich nicht. Die Leute, wie die<br />
re<strong>de</strong>n. Können nicht sozial sein. Ne, kann ich einfach nicht ab die Leute.“ (D.)<br />
Diese Abneigung gegen Hip Hopper, könnte <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n schlechten Erfahrungen beruhen,<br />
die D. in <strong>de</strong>r Schule gemacht hat. Hier war D. Außenseiter und wur<strong>de</strong> gemobbt.<br />
Seine Mitschüler haben sich über seinen Flat lustig gemacht und ihn verbal attackiert,<br />
da er einfach an<strong>de</strong>rs ist. Da D. von kräftiger Statur ist, haben seine Mitschüler,<br />
die physische Ebene <strong>de</strong>r Gewalt nicht betreten. Was ein Psychobilly ist und was das<br />
für eine Art von Musik ist, hat dabei keine Rolle gespielt. „Ich bin ja jetzt seit zwei<br />
Jahren Psychobilly. Da war ich halt noch in <strong>de</strong>r Schule auch. In <strong>de</strong>r Schule hatte ich<br />
richtig Probleme. Ich war schon eher Außenseiter. […] War schon krass. […] Auf<br />
physischer Ebene haben sie Angst. Da haben sie sich nicht getraut, mich anzugreifen<br />
o<strong>de</strong>r so. Dann war eher mobben dr<strong>auf</strong>. Mit Sprüchen und so. […] Ne, die haben keine<br />
Ahnung gehabt. Hat die aber auch nicht interessiert. Das war <strong>de</strong>nen halt egal.<br />
Der ist an<strong>de</strong>rs: Fertig machen! […] Ja, vor allem auch wegen <strong>de</strong>r Frisur. Das war<br />
auch n Grund.“ (D.)<br />
T. hingegen interessiert es hingegen nicht, was die Leute für ein Aussehen haben<br />
o<strong>de</strong>r aus welcher Szene sie stammen. T. räumt auch ein, dass es Leute in <strong>de</strong>n <strong>Subkulturen</strong><br />
gibt, die er nicht lei<strong>de</strong>n kann. Er differenziert aber nicht nach <strong>de</strong>m Aussehen,<br />
son<strong>de</strong>rn nach menschlichen Aspekten. Für ihn ist es wichtig, dass die diversen <strong>Subkulturen</strong><br />
zusammenhalten. „Weil, ich interessiere mich sowieso nur für <strong>de</strong>n Men-<br />
schen. Mir ist es scheißegal. Es gibt Leute, die haben n Flat, das sind Wichser. Das<br />
sind Arschlöcher. Es gibt halt Leute mit nem Iro, das sind Arschlöcher. Und es<br />
kommt mir persönlich <strong>im</strong>mer <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Menschen an. Mich interessiert dass nicht, wie<br />
<strong>de</strong>rjenige aussieht. […] Also Un<strong>de</strong>rground Subkultur. Und meiner Meinung nach<br />
müssen die Leute zusammen halten und das find ich auch super, wie das heutzutage<br />
ist.“ (T.)<br />
4.3.6. Was be<strong>de</strong>utet Spaß in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur?<br />
112
Die Psychobillysubkultur ist eine äußerst hedonistisch veranlagte Subkultur, und <strong>de</strong>r<br />
Spaß steht ganz klar <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund. Sogar die politischen Einstellungen wer<strong>de</strong>n in<br />
<strong>de</strong>n Hintergrund gerückt, damit <strong>de</strong>r Spaßfaktor <strong>auf</strong>grund von politischer Differenzen<br />
nicht getrübt wer<strong>de</strong>n kann. Doch was macht Spaß für einen Psychobilly aus? Was<br />
unterschei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Spaß von einem Psychobilly, von <strong>de</strong>m Spaß eines Schlagerfans?<br />
Bei meiner letzten Hauptfrage versuche ich, <strong>de</strong>n Spaßfaktor näher zu ergrün<strong>de</strong>n. Die<br />
Psychobillysubkultur hat, genau wie an<strong>de</strong>re Szenen auch, gewisse Rituale, die sich<br />
<strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Konzerten und Festivals abspielen. Psychobillies sind in <strong>de</strong>r Regel äußerst<br />
trinkfreudig und es wird sich meist vor <strong>de</strong>n Konzerten o<strong>de</strong>r direkt vor <strong>de</strong>r Konzerthalle<br />
getroffen, um vorher schon Alkohol zu konsumieren. Meistens wird dann <strong>de</strong>n<br />
ganzen Abend weiter exzessiv getrunken. Vor <strong>de</strong>r Bühne bil<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Tanzkreis<br />
und es kommt zum „Wrecking“. Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich um eine raue, harte Version<br />
vom Pogo <strong>de</strong>r Punks und Skinheads (wobei es natürlich auch harten Pogo in diesen<br />
bei<strong>de</strong>n Szene gibt). Die Leute schubsen sich gegenseitig und springen wild durcheinan<strong>de</strong>r.<br />
Sehr beliebt ist auch, einfach stehen zu bleiben und nach allen Seiten hin mit<br />
<strong>de</strong>n Armen wild auszuteilen, so dass es von außen wie eine Massenschlägerei wirkt.<br />
Dabei wer<strong>de</strong>n die wil<strong>de</strong>sten Gr<strong>im</strong>assen geschnitten und verrückt gespielt. Das<br />
Wrecking wird meistens noch kurz unterbrochen, um <strong>de</strong>n Refrain <strong>de</strong>r Band<br />
mitzugrölen, die gera<strong>de</strong> <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Bühne musiziert. Die Psychobillyszene hat sehr große<br />
Affinitäten zu Horror in allen Formen. Die Bands schminken sich mit Kunstblut<br />
und Knete, tragen Gumm<strong>im</strong>asken und verklei<strong>de</strong>n sich gerne als Zombies. Die Texte<br />
drehen sich um Massenmör<strong>de</strong>r, Psychopathen, Monster, Zombies, Horror, Vampire,<br />
Werwölfe und Mutanten. Serienmör<strong>de</strong>r wie Ed Gein (<strong>de</strong>r aus Menschenhaut Lampenschirme<br />
anfertigte), Jack the Ripper, Dieter Kürten (<strong>de</strong>r Vampir von Düsseldorf)<br />
und an<strong>de</strong>re Serienmör<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n heroisch besungen, wobei es natürlich nicht ernst<br />
zu nehmen ist, wie bei <strong>de</strong>n meisten Psychobillytexten. Die Leute sind sich <strong>de</strong>r Provokation<br />
und über das Hinwegsetzen über moralische Grenzen dabei absolut bewusst<br />
und genießen es. Auch Songs über Horrorfilmhel<strong>de</strong>n wie Michael Myers (Halloween),<br />
Freddy Krüger (Nightmare on Elm Street) und Jason (Freitag <strong>de</strong>r 13) sind<br />
sehr beliebt. Die Musik ist dabei recht anspruchsvoll und es wer<strong>de</strong>n die diversesten<br />
Stile miteinan<strong>de</strong>r wild gemischt. Psychobilly verbin<strong>de</strong>t nicht nur Rockabilly mit<br />
Punk, son<strong>de</strong>rn es fin<strong>de</strong>n sich auch Elemente aus Jazz, Blues, Country, Trash, Swing,<br />
Hardcore, Ska, Gothic und an<strong>de</strong>re Stile. Diese Heterogenität in <strong>de</strong>r Musik wird von<br />
<strong>de</strong>n Psychobillies sehr geschätzt.<br />
113
Heterogenität be<strong>im</strong> Psychobilly<br />
Durch die Vermischung <strong>de</strong>r vielen Stile hören sich Psychobillybands oft sehr unterschiedlich<br />
an. Aber auch von <strong>de</strong>n Texten und <strong>de</strong>m Auftreten gibt es große Unterschie<strong>de</strong>.<br />
Während die Meteors sehr oft über sehr düstere Themen singen und viele<br />
Songs auch eine große Aggressivität ausstrahlen, singen Tiger Army über Romantik,<br />
die über <strong>de</strong>n Tod hinaus geht und haben einen sehr melancholischen Sound. T.<br />
schätzt bei<strong>de</strong> Bands, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. „Ja, Meteors<br />
natürlich. Hammerband. Hammergeil. Also das ist für mich purer Psychobilly. Es ist<br />
halt dieses Böse bei <strong>de</strong>m Fenech. Das merkste in <strong>de</strong>r St<strong>im</strong>me. Diese Böse. Diese unglaublich<br />
geile Gitarrenarbeit. Das kommt einfach nur evil rüber. […] Da mach ich<br />
mich vielleicht unbeliebt als Schwuchtel o<strong>de</strong>r so. Tiger Army. Ich liebe Tiger Army.<br />
Ich weiß nicht, warum ich mir die anhöre. Die kannste dir auch gut anhören, wenn<br />
du mal traurig bist. Wenn du mal nicht so gut dr<strong>auf</strong> bist. Es ist halt auch ne sehr,<br />
sehr geile Band. Als ich die das erste Mal live gesehen habe, war ich auch total begeistert.“<br />
(T.)<br />
Für J. ist Tiger Army schon gar kein Psychobilly mehr, weil es ihr von Musik und<br />
<strong>de</strong>n Texten zu weich ist. Allerdings outet sie sich auch als großer Fan <strong>de</strong>r Band. „Da<br />
ist ja z.B. Tiger Army, die ich persönlich wirklich toll fin<strong>de</strong>, gar keine Frage, aber<br />
ich sehe die persönlich auch nicht als Psychobilly an. Es ist ne tolle Musikrichtung<br />
und ich kann auch nicht beschreiben, was es ist. Aber es ist schön. Aber es ist für<br />
mich kein Psychobilly. Es ist zu seicht, und auch von <strong>de</strong>n Texten her gibt mir das<br />
nicht <strong>de</strong>n Psychobillykick. […] Es ist alles sehr romantisch, sehr theatralisch und<br />
traurig. Aber es hört sich wirklich schön an. Aber nicht Psychobilly.“ (J.)<br />
T. schätzt das Böse, welches <strong>im</strong> Psychobilly oft besungen und zelebriert wird und<br />
liebt auch <strong>de</strong>n unterschiedlichen Sound <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Bands, die mal mehr nach<br />
Punk und mal mehr nach Rock’n’Roll klingen. „[…] Psychobilly, es gibt ja Millionen,<br />
es gibt ja Millionen, es gibt ja tausen<strong>de</strong> Bands da. Und alle unterschiedlich.<br />
Je<strong>de</strong> hört sich an<strong>de</strong>rs an. Eigentlich müssteste Psychobilly auch noch unterteilen in<br />
mehr Richtung Rock’n’Roll und mehr das punkige. […] Aber für mich ist halt<br />
Psychobilly dieses Böse. Für mich muss es böse sein, Psychobilly, und <strong>de</strong>shalb kann<br />
ich mit diesem, sag ich mal eher schönen Rock’n’Roll o<strong>de</strong>r Rockabilly, nicht so viel<br />
anfangen, weil ich mehr <strong>auf</strong> diese bösen Sachen stehe. Komm für mich halt geiler<br />
und krasser rüber und da krieg ich mehr Gänsehautgefühl dabei.“ (T.)<br />
114
K. glaubt, dass es auch an <strong>de</strong>n vielen unterschiedlichen Einflüssen liegt, dass es<br />
Psychobilly <strong>im</strong>mer noch gibt und sich <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r neue Bands grün<strong>de</strong>n, die<br />
Psychobilly auch <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rn. „Wie sich das entwickelt hat, wird<br />
Psychobilly weitergehen. Wird nicht irgendwann vorbei sein. Weil das ist, auch<br />
glaub ich, auch <strong>de</strong>r Vorteil von Psychobilly. Aufgrund seiner verschie<strong>de</strong>nen Einflüsse<br />
sich <strong>im</strong>mer weiterentwickelt und <strong>im</strong>mer neue Bands kommen. Und du kannst <strong>im</strong>mer<br />
I<strong>de</strong>en haben, eigentlich. Und ich seh, das geht weiter.“ (K.)<br />
Zu<strong>de</strong>m mag K. es, dass Psychobilly sich nach keinen Regeln richtet und die Bands<br />
sehr vielfältig sind. Genau wie T. beschreibt er, dass sich Psychobands sehr vom<br />
Sound unterschei<strong>de</strong>n, da alle Psychobilly an<strong>de</strong>rs spielen. „Aber Psychobilly, je<strong>de</strong><br />
Band ist an<strong>de</strong>rs. Je<strong>de</strong> Band spielt Psychobilly an<strong>de</strong>rs. Und hat n an<strong>de</strong>ren Sound und<br />
Psychobilly kannste viel mehr reinpacken. […] Je<strong>de</strong> Band packt irgendwie was an<strong>de</strong>res<br />
rein. Spielt jetzt n bisschen härter, mal n bisschen seichter und mal n bisschen<br />
spaßiger. Mal aggressiver. […] Weil die Leute sich in <strong>de</strong>r Psychobillymusik find ich<br />
eigentlich, das wie<strong>de</strong>rgeben können, richtig ohne irgendwelche L<strong>im</strong>its.“ (K.)<br />
Auch L. hat beobachtet, wie Pschobilly <strong>im</strong> L<strong>auf</strong>e <strong>de</strong>r Jahre <strong>im</strong>mer heterogener wur<strong>de</strong>,<br />
und sich die unterschiedlichsten Einflüsse bemerkbar gemacht haben. „Ja, ich<br />
<strong>de</strong>nk die Szene ist auch musikalisch vielfältiger gewor<strong>de</strong>n. Also es gibt viele Bands.<br />
Je<strong>de</strong> hat irgendwie ihren eigenen Musikstil. Und das geht ja von ja mehr Rockabilly<br />
beeinflusst, bis so ziemlich Hardcorepunk beeinflusst o<strong>de</strong>r auch so Sachen, die keine<br />
Ahnung, n bisschen poppiger sind. Tiger Army wären da vielleicht zu nennen.“ (L.)<br />
Wrecking<br />
„Und dann richtig einen mitgeben und so.“ (D.)<br />
Wrecking nennt sich <strong>de</strong>r Tanz <strong>de</strong>r Psychobillies. „To wreck“ kommt aus <strong>de</strong>m Englischen<br />
und be<strong>de</strong>utet übersetzt so viel wie zertrümmern, zerstören und zugrun<strong>de</strong> richten.<br />
Wer mal <strong>auf</strong> einem Meteors Konzert das Publikum bei Wrecking beobachtet hat,<br />
weiß, dass dieser Begriff sehr passend ist. Die Psychobillysubkultur ist schon lange<br />
keine Jugendsubkultur mehr. Es sieht schon sehr brachial aus, wenn sich 30-40 jährige,<br />
völlig zutätowierte Männer, die öfter mehr als 100 KG wiegen, durch die Gegend<br />
schubsen. Be<strong>im</strong> Wrecking gibt es, wie be<strong>im</strong> Pogo in <strong>de</strong>r Punkszene, <strong>de</strong>n Ehrenko<strong>de</strong>x,<br />
dass Leuten, die be<strong>im</strong> Wrecking umfallen, wie<strong>de</strong>r <strong>auf</strong>geholfen wird. Das kommt<br />
115
elativ oft vor, da be<strong>im</strong> Wrecking nicht gera<strong>de</strong> z<strong>im</strong>perlich miteinan<strong>de</strong>r umgegangen<br />
wird. Das Wrecking gehört zu <strong>de</strong>n festen Ritualen in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur. So<br />
hat auch <strong>de</strong>r Psychobillyautor Craig Brackenridge sein Buch „Let’s Wreck!“ genannt,<br />
nach <strong>de</strong>m gleichnamigen Song <strong>de</strong>r Psychoband „the Coffin Nails“. Auch einige<br />
Bands haben sich nach <strong>de</strong>m Tanz benannt, wie z.B. „the Wrecking Dead“ und die<br />
„Wreck Kings“. Auch die berüchtigten Fans <strong>de</strong>r Meteors, haben sich nach <strong>de</strong>m<br />
Wrecking benannt und nennen sich Wrecking Crew. Einer <strong>de</strong>r beliebtesten Songs <strong>de</strong>r<br />
Meteors heißt ebenfalls Wrecking Crew.<br />
D. beschreibt, wie die Musik eine aggressive St<strong>im</strong>mung <strong>auf</strong>baut, die die Psychos<br />
zum Wrecken an<strong>im</strong>iert und in <strong>de</strong>r man dann völlig eintaucht und Aggressionen abbaut.<br />
D. erlebt Glücksgefühle, wenn er an<strong>de</strong>re Leute be<strong>im</strong> Wrecking wegschubst und<br />
erlebt in dieser Situation voller Adrenalin und Gefahr, gera<strong>de</strong>zu einen Rausch. „Die<br />
Musik ist die Hauptursache. Dieses schnelle, aber gewalttätige. Hah? Wie soll man<br />
sagen? So Hass<strong>auf</strong>bauend. Dann <strong>im</strong> Pit so richtig abgehen. Das ist schon geil. […]<br />
Ja, also <strong>im</strong> Pit. Klar, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren so richtig einen mitgeben. Aber man übertreibt es<br />
nicht. Man passt schon <strong>auf</strong>, wenn einer <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n fällt. Aufheben. Einfach geile<br />
St<strong>im</strong>mung. Die Leute so in Ekstase, ist man schon fast. Und dann richtig einen mitgeben<br />
und so.“ (D.)<br />
Diese ritualisierte Gewalt, mit gewissen Spielregeln, ist in <strong>de</strong>r Subkultur allen bekannt<br />
und es wer<strong>de</strong>n normalerweise keine Leute ins Wrecking einbezogen, die das<br />
nicht wollen. Die Leute, die da mitmachen, sind sich völlig bewusst, <strong>auf</strong> was sie sich<br />
einlassen. „Hm, also <strong>im</strong> Wrecking Pit ist schon or<strong>de</strong>ntlich. Aber das ist ja alles abgeklärt.<br />
Und da kann man sich ruhig <strong>auf</strong>s Maul haun. Man will das dann ja auch nicht<br />
an<strong>de</strong>rs.“ (J.)<br />
J. empfin<strong>de</strong>t die Aggressionen, die <strong>im</strong> Wrecking ausgelebt wer<strong>de</strong>n, als nicht als zu<br />
dramatisch und sie vertritt die Meinung, dass man das nicht überbewerten sollte. „Na<br />
ja, wir sind keine Hippies. Klar steht irgendwo ne gewisse, aggressive Haltung <strong>im</strong><br />
Hintergrund. Ist ja auch in <strong>de</strong>r Musik. Ist ja auch n bisschen schneller, n bisschen<br />
kräftiger <strong>im</strong> Ausdruck. Genau so wie die Punkszene auch. Das ist ja, das hängt ja<br />
irgendwo alles zusammen. Klar ist das ne gewisse Grundaggressivität da, aber die<br />
man allerdings glaub ich, nicht zu doll werten sollte.“ (J.)<br />
T. sieht das Wrecking auch nicht als etwas wahnsinnig Gefährliches an. Für ihn ist es<br />
<strong>de</strong>r normale Tanz <strong>de</strong>r Psychos. Allerdings fin<strong>de</strong>t er es gut, dass kaum Frauen be<strong>im</strong><br />
Wrecking mitmachen, da er sonst eine hohe Verletzungsgefahr für diese fürchtet.<br />
116
„Wil<strong>de</strong>s Tanzen und rumspringen. Quasi Pogo. Also Pogo ist, glaub ich, für viele<br />
Leute n eherer Begriff. Nur halt <strong>de</strong>r Wrecking Pit ist halt noch n kleines bisschen<br />
härter. Kleines bisschen härter. Wreck heißt auch <strong>auf</strong> Deutsch auch übersetzt, irgendwie<br />
alles kaputtschlagen. Also <strong>im</strong> übertragenen Sinne. […] Aber vielleicht ist<br />
das auch gar nicht mal so verkehrt, weil <strong>im</strong> Wrecking Pit will man ja nicht unbedingt<br />
ner hübschen Frau irgendwie was brechen o<strong>de</strong>r so.“ (T.)<br />
Texte <strong>de</strong>r Psychobillybands<br />
„Psychobilly ist schon so ne eigene Welt, find ich.“ (K.)<br />
Sehr viele Texte von Psychobillybands han<strong>de</strong>ln über Horror. Allerdings gibt es auch<br />
an<strong>de</strong>re Themenfel<strong>de</strong>r und eine Psychobillyband singt nicht zwangsläufig über Monster<br />
o<strong>de</strong>r Untote. „Es geht bei vielen Bands, geht’s dann so n bisschen um Horror und<br />
Grusel und Monster. Das kann man jetzt auch nicht so pauschal sagen.<br />
Ich <strong>de</strong>nke mal, da macht auch je<strong>de</strong> Band ihr eigenes Ding. Wie gesagt, so was mit<br />
Monstern und so die dunkle Seite o<strong>de</strong>r so was in <strong>de</strong>r Art. Das ist bei vielen vorherrschend,<br />
aber auch nicht bei allen, ne? Es gibt auch Bands, wie was weiß ich, Long<br />
Tall Texans, da ist so was gar kein Thema. Das ist mehr so ne gute Laune, gute Laune<br />
Texte o<strong>de</strong>r wie auch <strong>im</strong>mer. Und ja ist eigentlich auch relativ vielfältig.“ (L.)<br />
Spaß spielt bei Psychobilly <strong>im</strong>mer eine große Rolle, und Politik ist fast nie ein Thema.<br />
Alkohol und Sex sind ebenfalls beliebte Themen. J. schätzt <strong>de</strong>n Spaßfaktor bei<br />
Psychobilly und ganz beson<strong>de</strong>rs die Horrorthematik. „Yo, so es ist glaub ich nicht so<br />
ernst. Es ist ja auch wenig politischer Hintergrund dabei. Es ist einfach witzig. Es<br />
geht um Zombies, Splatter, Horrorsachen, Horrorfilme, Party, S<strong>auf</strong>en, Fickerei, alles<br />
was eigentlich witzig ist, was Spaß macht. Aber halt <strong>im</strong>mer n bisschen mit <strong>de</strong>m Horrorkontext.<br />
Was mir eigentlich ganz gut gefällt.“ (J.)<br />
Auch wenn viele Songs sich um die Hölle, <strong>de</strong>n Teufel und die Sün<strong>de</strong> drehen, haben<br />
Psychobillies normalerweise keinen Hang zum Okkulten o<strong>de</strong>r gar zu Satanismus. Die<br />
Texte wer<strong>de</strong>n nicht all zu ernst genommen und es wird auch nicht groß reflektiert.<br />
Erlaubt ist, was Spaß macht. „Viele verstehen vielleicht auch nicht richtig, was einen<br />
dazu bewegt, zu Zombielie<strong>de</strong>rn zu tanzen, ohne da irgendwie einen satanistischen<br />
117
Hintergrund zu sehen. Ich glaub, wir sehen das alle ganz lustig. Und fin<strong>de</strong>n unsere<br />
Musik einfach nur lustig.“ (J.)<br />
K. gefällt es, dass bei Psychobilly oft über sehr verrückte Leute gesungen wird, die<br />
einfach nicht normal sind o<strong>de</strong>r über Dinge, die es gar nicht gibt. Psychobilly be<strong>de</strong>utet<br />
für K. auch eine Flucht aus <strong>de</strong>r realen Welt, in die Psychobillywelt, in <strong>de</strong>r es um einiges<br />
turbulenter und verrückter zugeht, als in <strong>de</strong>r Realität. „Halt über Mutanten,<br />
ausgeflippte Typen, abgedrehte Typen, Freggles, Freaks, einfach ne an<strong>de</strong>re Welt.<br />
Einfach unnormal. Einfach was nicht normal ist. Dabei geht es bei Psychobilly. Du<br />
willst ja als Psychobilly nicht normal sein. Du willst dich ja abgrenzen. Und in <strong>de</strong>n<br />
Texten sind <strong>im</strong>mer irgendwelche Freggles, die sich ne abgrenzen, von <strong>de</strong>n normalen<br />
Leuten. Die Texte sagen <strong>im</strong>mer was aus, was nicht normal ist. Freak. Da ist n Freak.<br />
Der dreht voll am Rad. Das sind welche, die s<strong>auf</strong>en sich die Birne zu o<strong>de</strong>r was, ne?<br />
Wie soll ich das beschreiben. Einfach dieses an<strong>de</strong>rs sein, das wird auch in <strong>de</strong>n Texten<br />
ausgesagt, in<strong>de</strong>m man auch einfach über Kreaturen singt, die es gar nicht gibt,<br />
ne? O<strong>de</strong>r Monster, o<strong>de</strong>r Vampire und was es nicht alles gibt. Immer irgendwie was<br />
an<strong>de</strong>res von Freaks, Freggles, ne? Doch schon einfach. Psychobilly ist schon so ne<br />
eigene Welt, find ich.“ (K.)<br />
Dieses bewusste Abgrenzen von normalen Leuten lässt auch dar<strong>auf</strong> schließen, dass<br />
Psychobillies nicht viel anfangen können mit normalen Leuten, da diese einfach<br />
nicht verrückt genug sind und als langweilig empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Dabei sind die<br />
Psychobillies auch sehr rational, da sie sich bewusst sind, dass es keine Vampire und<br />
Werwölfe in <strong>de</strong>r Realität gibt. Die Psychobillies sind also nicht wirklich verrückt,<br />
son<strong>de</strong>rn begeistern sich nur für ausgeflippte, verrückte Sachen, wie<br />
Psychobillymusik und Horrorfilme.<br />
T. liebt ganz beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Horrorkontext be<strong>im</strong> Psychobilly, da er sehr großer Fan<br />
von Horrorfilmen und allgemein von Horror in je<strong>de</strong>r Variation ist. „Da ich halt n<br />
großer Horrorfan bin, gab es eigentlich nichts Besseres für mich als Psychobilly.<br />
Horrortexte, geile Musik, dazu Punkrock, Rock’n’Roll, die Mischung also, das war<br />
für mich das Nonplusultra. O<strong>de</strong>r ist es sozusagen <strong>im</strong>mer noch.“ (T.)<br />
Auch K. bescheinigt, dass es <strong>im</strong> Psychobilly oft um <strong>de</strong>n Horrorkontext geht. „Auf<br />
je<strong>de</strong>n Fall. Es gibt sogar viele Songs, die einfach von diesen Filmen han<strong>de</strong>ln, z.B.<br />
von <strong>de</strong>n Meteors „Blue Sunshine“. O<strong>de</strong>r „Krewmen“ hat da oft auch Texte gemacht,<br />
die mit Sicherheit mit Werwölfen und so zu tun haben.“ (K.)<br />
118
Horrorfilme<br />
„Also Horror, diese ganze Horrorfilmszene so, die beeinflussen schon <strong>de</strong>n<br />
Psychobilly.“ (K.)<br />
Horrorfilme sind bei <strong>de</strong>n meisten Psychobillies sehr beliebt. Sie dienen auch vielen<br />
Künstlern als Inspiration für ihre Texte, auch Peter Paul Fenech von <strong>de</strong>n Meteors.<br />
„Das siehste ja an <strong>de</strong>n ersten Alben von <strong>de</strong>n Meteors. Das siehste an <strong>de</strong>n Songs von<br />
<strong>de</strong>n Meteors. Die han<strong>de</strong>ln über Zombies, über Vampire, über Mutanten. Der Fenech<br />
<strong>de</strong>r hat sich <strong>im</strong>mer schon, also <strong>de</strong>r Sänger und <strong>de</strong>r Gitarist von <strong>de</strong>n Meteors, <strong>de</strong>r<br />
Peter Paul Fenech, <strong>de</strong>r hat sich ja als Kind schon <strong>im</strong>mer mit <strong>de</strong>n Horrorfilmen und<br />
was weiß ich was allen beschäftigt. Der hat das geliebt. Das ist halt seine Religion<br />
sozusagen, wie er das <strong>im</strong>mer sagt. Und für mich kann es eigentlich nichts besseres<br />
geben.“ (T.)<br />
Auch K. guckt sehr gerne Horrorfilme und hat auch einen Zombie tätowiert. Tätowierungen<br />
von Zombies, Monstern und Vampiren sind allgemein sehr beliebt in <strong>de</strong>r<br />
Psychoszene. „Also Horror, diese ganze Horrorfilmszene so, die beeinflusst schon<br />
<strong>de</strong>n Psychobilly. Auch die Musik, die Texte und die Leute, weil viele Psychobillies<br />
halt diese Filme auch gucken. Ich z.B. gucke sehr gerne Werwolffilme, Zombiefilme.<br />
Nenn mich ja selber <strong>im</strong> Internet <strong>de</strong>r Superpsychozombie, ne? Ja und ich hab als Tätowierung<br />
auch n Zombie am Kontrabass. […] Weil halt das schon so Filme sind, die<br />
wie<strong>de</strong>r nicht normal sind. Und da wir auch ja nicht normal sind auch die Musik<br />
nicht. Passt das ja schon da rein, <strong>de</strong>nk ich.“ (K.)<br />
Hier merkt man, dass <strong>de</strong>r Horrorbereich auch in vielen Lebensbereichen <strong>de</strong>r Psychos<br />
eine wichtige Rolle spielt. Bei <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>r Tätowierungen z.B. und be<strong>im</strong> Nickname<br />
<strong>im</strong> Internet. Mit <strong>de</strong>n Horrorfilmen können sich die Psychos auch sehr gut i<strong>de</strong>ntifizieren,<br />
da Horrorfilme, von Teilen <strong>de</strong>r Gesellschaft, als brutaler Müll angesehen wird,<br />
<strong>de</strong>r die Jugend zu Gewalttätern macht und weil es manche Leute schockt, wird es für<br />
<strong>de</strong>n Psychobilly interessant. Zu<strong>de</strong>m sind Horrorfilme teilweise sehr krass und beschäftigen<br />
sich mit moralischen Tabubrüchen, mit Außenseitern, die von <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
zu Monstern gemacht wur<strong>de</strong>n und mit solchen Charakteren können sich<br />
Psychobillies vielleicht gut i<strong>de</strong>ntifizieren, da sie auch eher Außenseiter sind und sich<br />
bewusst von <strong>de</strong>r Gesellschaft abgrenzen.<br />
119
Horror und Horrorfilme beeinflussen auch viele Bands bei ihrer Bühnenperformance<br />
und so treten viele Bands geschminkt und mit Kunstblut <strong>auf</strong> o<strong>de</strong>r als Zombies und<br />
Monster verklei<strong>de</strong>t. Auch Splatterfilme wer<strong>de</strong>n gerne von einigen Psychos geguckt.<br />
Bei Splatterfilmen han<strong>de</strong>lt es sich um Horrorfilme, die meistens fast keine Handlung<br />
haben und sich in erster Linie um die <strong>de</strong>taillierte Darstellung von möglichst blutrünstigen<br />
Tötungsritualen drehen. Bei Splatterfilmen wird viel Wert <strong>auf</strong> heraustreten<strong>de</strong><br />
Gedärme und Hirne, viel Blut und abgetrennte Körperteile gelegt. Im Prinzip drehen<br />
sich diese Filme nur um Szenen, die aus an<strong>de</strong>ren Filmen rausgeschnitten wer<strong>de</strong>n.<br />
„Ich glaub, wir gucken alle gerne Horrorfilme und belustigen uns an Splatter und<br />
Gemetzel. Sieht man ja auch <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Bühnenshows von diversen Bands. Ja und viele<br />
Texte orientieren sich ja auch da dran. An Jack the Ripper und wer noch? Alle möglichen<br />
Horrorgeschichten halt. […] Es hat n großen Einfluss, wie gesagt, <strong>auf</strong> die<br />
Bühnenshows von Demented Are Go z.B. o<strong>de</strong>r Banane Metalik, die natürlich eher in<br />
<strong>de</strong>r neuen Generation jetzt ne Rolle spielen.“ (J.)<br />
Das Auftreten von Demented Are Go als Zombies <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Bühne, hat auch T. sehr<br />
beeindruckt. „Ja, Demented Are Go war <strong>de</strong>r Hammer. Es war damals, ich hab die<br />
gesehen. Hab mich direkt verliebt, sozusagen. Dieses böse Auftreten. Dieses Krasse.<br />
Dieser, dieser Sparky, <strong>de</strong>r Sänger mit seinem 3 Meter hohen Flat. Geschminkt wie so<br />
n Zombie. Einfach nur total abgewichst.“ (T.)<br />
Bei T. merkt man <strong>de</strong>utlich seine Faszination für unkonventionelle Ästhetik und <strong>de</strong>n<br />
Spaß am Extremen, <strong>de</strong>n Spaß am Ungewöhnlichen.<br />
Während J. auch eine Vorliebe für Splatterfilme (bei Splatterfilmen geht es, wie bereits<br />
oben erwähnt, in erster Linie um Gemetzel. Die Filme haben fast gar keine<br />
Handlung. Es geht z.B. nur darum, <strong>auf</strong> welche unterschiedlichen Arten diverse Zombies<br />
getötet wer<strong>de</strong>n und dabei fließen Unmengen an Blut und Gedärmen. L. sagen<br />
eher Filme mit subtileren Horrorelementen zu und auch er glaubt, dass Horrorfilme<br />
Psychobilly beeinflusst haben: „Ja, das <strong>de</strong>nk ich <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall, dass die Filme, das<br />
auch mitgeprägt haben. Ja, ich selber guck auch ganz gerne Horrorfilme. Jetzt mehr<br />
eigentlich mehr so, also so n bisschen, wie soll ich sagen, was tiefgründiges, wo sich<br />
<strong>de</strong>r Horror so langsam anschleicht. So Klassiker wie so Shining o<strong>de</strong>r so. Nicht so<br />
diese puren Splatterfilme. Also das ist nicht so ganz mein Ding. O<strong>de</strong>r so alte B-<br />
Movie Horror Filme aus <strong>de</strong>n 50er und 60ern guck ich mir auch ganz gerne mal an.“<br />
(L.)<br />
120
Die Exklusivität <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur<br />
Die Psychobillyszene ist <strong>de</strong>utlich toleranter und friedlicher gewor<strong>de</strong>n. Sie hat sich<br />
auch für an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> geöffnet. Da Bands wie Tiger Army und Mad Sin auch<br />
über die Szene hinaus bekannt sind, hat Psychobilly in <strong>de</strong>n letzten Jahren <strong>de</strong>utlich an<br />
Popularität gewonnen. Allerdings ist Psychobilly nicht mehr so groß, wie in <strong>de</strong>n 80er<br />
Jahren. „Ob’s jetzt so groß ist wie früher? Hm, ja vielleicht nicht ganz so groß. Also,<br />
<strong>auf</strong> <strong>de</strong>n ersten Festivals in Belgien, wo ich war, da waren schon sehr viele Leute.<br />
Und ich weiß nicht, ob das heutzutage noch so ist. Es gibt da noch die ein, zwei großen<br />
Festivals. Satanic Stomp in Speyer o<strong>de</strong>r Psychomania in Potsdam. Da ist dann<br />
auch schon ziemlich viel los. Aber ich glaub, in <strong>de</strong>n 80ern war das alles doch noch n<br />
Tacken größer. Ist ja, wie gesagt, zwischendurch mal geschrumpft. Da hat man<br />
schon gedacht, das wird gar nix mehr. Aber mittlerweile ist das doch wie<strong>de</strong>r gewachsen.“<br />
(L.)<br />
Im Großen und Ganzen ist Psychobilly eine relativ kleine Subkultur und auch relativ<br />
unbekannt. Doch gera<strong>de</strong> diese Exklusivität wird von <strong>de</strong>n Psychobillies durchaus geschätzt.<br />
Man genießt es, Teil von etwas Beson<strong>de</strong>rem zu sein und sich vom<br />
Mainstream bewusst abzugrenzen. „Das sind halt so die <strong>Subkulturen</strong> internen Sachen.<br />
Das dringt nicht unbedingt an die Außenwelt sag ich mal. Es ist ne meiner<br />
Meinung nach sehr unbekannte Szene. […] Ich find das super, weil ich, will ja nicht<br />
so wie An<strong>de</strong>re sein. Deshalb. Also Mainstream kann je<strong>de</strong>r. Und ich bin froh, dass ich<br />
<strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n Fall was Eigenes da hab. Ich find das ganz toll so, wie es ist. […] So wie<br />
<strong>de</strong>r Punkbereich o<strong>de</strong>r wie <strong>de</strong>r Oi, wie <strong>de</strong>r Skinheadbereich. Die grenzen sich ja auch<br />
<strong>de</strong>finitiv quasi von <strong>de</strong>n normalen Menschen ab, weil man halt was Beson<strong>de</strong>res darstellen<br />
will und kein Langweiler sein will.“ (T.)<br />
J. genießt es ebenfalls, dass Psychobilly nicht so groß ist. „Ne, ich glaube, dass ist<br />
weltweit eher ne kleine Szene, was ich auch ganz angenehm fin<strong>de</strong>. Es ist einfach<br />
nicht so populär und nicht so Mainstream wie an<strong>de</strong>re Szenen mittlerweile gewor<strong>de</strong>n<br />
sind. Ja, ich <strong>de</strong>nk mal in Berlin ist die Szene ganz ausgeprägt, <strong>im</strong> Ruhrgebiet auch.<br />
Das sind, glaub ich, so die größten Sammelbecken für die Psychobillyszene.“ (J.)<br />
Auch D. meint, dass an<strong>de</strong>re Szenen größer sind, als die Psychobillysubkultur. „Ist<br />
schon ne kleine Szene <strong>im</strong> Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren Szenen.“ (D.)<br />
L. glaubt, dass durch Berichte in Magazinen wie <strong>de</strong>m „Dynamite“, Psychobilly <strong>de</strong>n<br />
Leuten ein Begriff ist, die sich für Rock’n’Roll interessieren, da solche Magazine<br />
auch über Pschobillybands und Events berichten. Allerdings ist er sich auch sicher,<br />
121
dass <strong>de</strong>r normale Bürger keine Ahnung hat, was ein Psychobilly sein soll. „Und da<br />
gibt’s ja mittlerweile so Rock’n’Roll Magazine, wo dann auch über Psychobillybands<br />
berichtet wird. Ja also, ich sag mal, jemand, <strong>de</strong>r sich n bisschen mit Rock’n’Roll<br />
o<strong>de</strong>r so was beschäftigt, <strong>de</strong>r kennt das. Aber so Otto-Normal Verbraucher, <strong>de</strong>r Bürger,<br />
<strong>de</strong>r hat da wahrscheinlich keine Ahnung und <strong>de</strong>nkt <strong>im</strong>mer noch, das sind jetzt<br />
Punks o<strong>de</strong>r Skins. Wenn er überhaupt Skins und Punks kennt o<strong>de</strong>r wie auch <strong>im</strong>mer,<br />
ne?“ (L.)<br />
Psychobillyfestivals als Kontaktbörse/Alkoholkonsum<br />
„Das ist ja auch das, was bei Psychobilly so interessant ist. Halt diese Kontakte.“<br />
(K.)<br />
Bei <strong>de</strong>n wichtigen Szeneevents, wie <strong>de</strong>m Satanic Stomp in Speyer und <strong>de</strong>r<br />
Psychomania in Potsdam, kommen hun<strong>de</strong>rte bis tausen<strong>de</strong> Psychobillies, teilweise aus<br />
<strong>de</strong>r ganzen Welt, um zusammen zu feiern. Es spielen die größten Bands aus <strong>de</strong>r Subkultur.<br />
Es wird tagelang zusammen getrunken, gewreckt und Kontake geknüpft. K.<br />
liebt es, dass er durch Psychobilly <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r neue Leute kennenlernt. Für ihn<br />
sind die sozialen Kontake bei <strong>de</strong>n Festivals genau so wichtig wie die Bands. „Aber es<br />
geht ja nicht <strong>im</strong>mer nur, dass man nur die Bands sieht, son<strong>de</strong>rn auch das drumherum<br />
und das find ich in Potsdam sehr spaßig. Die Leute auch. Weil ich find das auch<br />
ganz witzig. Das ist mitten in ner Wohngegend und irgendwie stört sich da keiner<br />
drann, ne? Und von überall kommen die Leute her. Man unterhält sich. Macht Party.<br />
Spontane Partys und so. […] Das ist ja auch das, was bei Psychobilly so interessant<br />
ist. Halt diese Kontakte. Man unterhält sich. Man hat Spaß. Und lernt viele Leute<br />
kennen, was mir auch seit Jahren einfach Spaß macht. So <strong>auf</strong> Festivals gehen. Einfach<br />
Leute kennen lernen. Wo kommste her? Ja ist mir auch egal ob <strong>de</strong>r jetzt 20 ist<br />
o<strong>de</strong>r ob <strong>de</strong>r jetzt 40 ist […].“ (K.)<br />
So ergeben sich auch viele Kontakte zwischen Psychobillies <strong>de</strong>r unterschiedlichsten<br />
Altersstufen. K. freut sich auch <strong>im</strong>mer, wenn er Leute <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Festivals trifft, die er<br />
ne lange Zeit nicht gesehen hat, weil sie so weit weg wohnen. Für K. ist es auch nicht<br />
so wichtig, wie lange die Leute schon Psychobillies sind. „Und irgendwo hinzukom-<br />
122
men und dann oh, dann freut man sich <strong>auf</strong> Leute, die hat man vielleicht n Jahr nicht<br />
gesehen, weil die ganz woan<strong>de</strong>rs wohnen, dann trifft man sich <strong>auf</strong> einmal und oh hey,<br />
wie geht’s? Schon zwanzig Jahre dabei. Manche schon dreißig. Egal. Ich fin<strong>de</strong> das<br />
eigentlich auch egal, ob man jetzt ein Jahr dabei ist o<strong>de</strong>r zwanzig Jahre dabei ist<br />
[…].“ (K.)<br />
Für D. ist die Musik nicht das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn viel mehr das Feiern und Trinken<br />
mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Psychobillies. Die Musik <strong>de</strong>r Bands läuft für ihn eher <strong>im</strong> Hintergrund.<br />
„Ist so ne Mischung. Ist eher <strong>de</strong>r Spaß, <strong>de</strong>n du mit <strong>de</strong>n Leuten hast. So, die<br />
Musik läuft <strong>im</strong> Hintergrund. Natürlich live ist noch geiler, da spürt man richtig <strong>de</strong>n<br />
Bass und so. Aber eigentlich ist das eher so, mit <strong>de</strong>n Leuten einen trinken, ablachen<br />
und das Konzert genießen.“ (D.)<br />
Der Alkoholkonsum gehört zum festen Ritual eines Psychobillykonzertes und D. ist<br />
<strong>de</strong>r Meinung, dass fast alle Psychobillies es lieben, sich zu betrinken. „Ich <strong>de</strong>nke, fast<br />
alle Psychobillies s<strong>auf</strong>en gerne. Haben Spaß. Ist schon ne Spaßsubkultur.“ (D.) Hier<br />
betont D. noch mal die hedonistische Seite <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur. Auch J. liebt<br />
das Feiern, das Trinken und die vielen Kontakte <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n Konzerten und Festivals.<br />
Von Drogen hält sie nichts. Allerdings hat sie auch schon beobachtet, dass es auch<br />
Psychobillies gibt, die Drogen nehmen. „Ich glaub, wir trinken alle gern. Wir feiern<br />
alle gerne. Natürlich in einem gewissen Rahmen. Aber ich hab lei<strong>de</strong>r auch zunehmend<br />
erfahren müssen, dass extrem viele Drogen konsumiert wer<strong>de</strong>n. Vor allem<br />
chemische Sachen. Koks. […] Ich kenn mich da nicht so aus, weils einfach gar nicht<br />
mein Ding ist. […] Ich freu mich dann auch <strong>im</strong>mer, Leute aus ganz Europa zu sehen.<br />
Das, wie gesagt, gera<strong>de</strong> <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m Satanic Stomp europaweit die Leute dahinpilgern.<br />
Doch das ist ok. […] Doch es geht, glaub ich, größtenteils um das miteinan<strong>de</strong>r feiern,<br />
auch Leute von weiter weg mal wie<strong>de</strong>r zu treffen, neue Leute zu treffen. Zusammen<br />
Party zu machen.“ (J.)<br />
4.4. Zusammenfassen<strong>de</strong> Betrachtung<br />
Die Interviews und ihre Auswertungen sind natürlich nicht repräsentativ für die<br />
Psychobillysubkultur. Sie liefern lediglich einen kleinen Einblick. Vier meiner Interviewpartner<br />
kommen aus NRW und eine Interviewte aus Hessen, somit liegen lediglich<br />
Informationen aus diesen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn vor. Eine Studie, die ein umfassen<strong>de</strong>s<br />
Bild über Psychobilly liefert, muss natürlich auch Interviews mit Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />
123
erüchtigten Wrecking Crew beinhalten. Es wäre sicherlich äußerst interessant zu<br />
erfahren, wie die Hardcore Fans <strong>de</strong>r Meteors die Entwicklung <strong>de</strong>r Subkultur beschreiben<br />
wür<strong>de</strong>n und wie sie die Gewaltsituationen erlebt haben.<br />
Ich fasse <strong>im</strong> Folgen<strong>de</strong>n, die Ergebnisse <strong>de</strong>r Interviews zusammen. Da die Befragten<br />
nur einen kleinen Teil <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur ausmachen, könnte es durchaus sein,<br />
dass Ergebnisse abweichen könnten, von Befragungen mit an<strong>de</strong>ren Psychobillies<br />
(z.B. <strong>de</strong>r Wrecking Crew). Da ich persönlich, auch seit Jahren, Psychobillyfestivals<br />
und Konzerte besuche, <strong>de</strong>nke ich allerdings, dass die Ergebnisse schon einen sehr<br />
guten Eindruck über die Subkultur und ihre Anhänger geben.<br />
1. Ist die Psychobillysubkultur politisch?<br />
Psychobilly kann grundsätzlich als unpolitisch beschrieben wer<strong>de</strong>n. Politik spielt in<br />
<strong>de</strong>n Texten kaum eine Rolle (eine <strong>de</strong>r wenigen Ausnahmen ist das Lied Politician<br />
von <strong>de</strong>r Psychokultband „Frenzy“, die allerdings auch über keine spezielle politische<br />
Richtung singen, son<strong>de</strong>rn legiglich über korrupte Politiker). Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur sind natürlich nicht unpolitisch, doch wird die Politik absolut<br />
außen vor gelassen. Das macht die Psychobillysubkultur auch zu einer sehr speziellen<br />
Subkultur, da die politischen Meinungen <strong>de</strong>r Psychos doch stark auseinan<strong>de</strong>r<br />
gehen können. So feiern Psychobillies <strong>auf</strong> Konzerten, die eher nach links tendieren,<br />
zusammen mit Psychos, die eher rechts sind. Dabei muss natürlich erwähnt wer<strong>de</strong>n,<br />
dass sich hier lediglich um politische Einstellungen han<strong>de</strong>lt. Politische Aktivisten<br />
sind in <strong>de</strong>r Psychobillyszene eher eine Seltenheit. Es feiern also keine autonomen<br />
Nationalisten mit Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Antifa zusammen. So absurd ist die Situation auch<br />
nicht. Dennoch ist diese politische Heterogenität und die Individualität bei <strong>de</strong>r politischen<br />
Meinung beson<strong>de</strong>rs hervorzuheben, da Politik in an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> <strong>im</strong>mer<br />
wie<strong>de</strong>r Grund für heftige Streitigkeiten und Abgrenzungen ist. In <strong>de</strong>r Punkszene ist<br />
Politik ein Dauerthema. In <strong>de</strong>r Skinheadsubkultur gibt es zu Zeit eine Riesendiskussion<br />
um sogenannte „Grauzonenbands“. Mit Grauzonenbands sind z.B. Bands wie<br />
die „Krawallbrü<strong>de</strong>r“ o<strong>de</strong>r „Con<strong>de</strong>mned 84“ gemeint, die von sich behaupten, unpolitisch<br />
zu sein, und <strong>auf</strong> <strong>de</strong>ren Konzerten <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r Rechte <strong>auf</strong>tauchen und so <strong>de</strong>r<br />
Eindruck entsteht, dass diese Bands durchaus rechtsoffen sind. Diesen Wirbel um<br />
Politik gibt es bei Psychobily <strong>de</strong>finitiv nicht und allein diese Tatsache unterschei<strong>de</strong>t<br />
die Psychobillyszene stark von an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>.<br />
124
Allerdings sind die Psychobillies in <strong>de</strong>n 80er Jahren häufiger von <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
mit Faschisten o<strong>de</strong>r Punks gleichgesetzt wor<strong>de</strong>n. Da auch mal Skinheads zu Psychokonzerten<br />
gekommen sind, und sich <strong>de</strong>r Kleidungsstil <strong>de</strong>r Psychos kaum von <strong>de</strong>r<br />
Skinheadszene unterschie<strong>de</strong>n hat, ist es zu Verwechslungen gekommen. Viele Bürger<br />
halten Skinheads sowieso alle für Nazis und so wur<strong>de</strong>n die stereotypen Vorurteile<br />
über die Skinheadszene einfach <strong>auf</strong> die Psychobillies übertragen. Wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re<br />
Leute haben Psychobillies für Punks gehalten, mit <strong>de</strong>nen die Psychos in <strong>de</strong>n 80er<br />
Jahren aber massive Probleme hatten. So wur<strong>de</strong>n die Psychobillies häufig in politische<br />
Richtungen einkategorisiert, mit <strong>de</strong>nen sie nichts zu tun haben. Da sich die<br />
Kleidung <strong>de</strong>r Psychobillies gewan<strong>de</strong>lt hat, bleiben heutzutage die Verwechslungen<br />
meistens aus. Lediglich ältere Psychobillies, die <strong>auf</strong>grund von Haarausfall keinen<br />
Flat mehr tragen können, haben auch heute noch Verwechslungsprobleme.<br />
Psychobilly ist allerdings auch eine recht kleine Subkultur. Vielleicht fürchten die<br />
Psychos, dass eine klare Beziehung zu einer politischen Position zu einer Spaltung<br />
<strong>de</strong>r Szene führen könnte. Die Spaltung zwischen Punkabillies und <strong>de</strong>r Wrecking<br />
Crew hat Psychobilly schon in <strong>de</strong>n 90er Jahren stark zugesetzt, und so wäre eine erneute<br />
Spaltung <strong>auf</strong>grund von Politik natürlich fatal. So bleibt natürlich kritisch anzumerken,<br />
dass Psychobillykonzerte auch durchaus von Faschisten besucht wer<strong>de</strong>n<br />
können, da die Psychobillies sich nicht klar von Rechts distanzieren. Eine Unterwan<strong>de</strong>rung<br />
von Rechts ist allerdings sehr unwahrscheinlich, da alle bisherigen Versuche<br />
<strong>de</strong>r Faschisten gescheitert sind. Sei es durch Einladungen zu<br />
Kammeradschaftsaben<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r durch Musikprojekte. Die Psychobillies haben sich<br />
nicht benutzen lassen und ihre unpolitische Haltung beibehalten.<br />
2. Ist die Psychobillysubkultur friedlicher gewor<strong>de</strong>n?<br />
Die Psychobillysubkultur hatte in <strong>de</strong>n 80er Jahren mit massiven Anfeindungen von<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft allgemein, aber auch von an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>, zu kämpfen. Zu<strong>de</strong>m<br />
ist Psychobilly recht unbekannt und so ist es früher zu vielen Verwechslungen gekommen.<br />
Migranten und Punks hielten Psychobillies für rechts und dadurch kam es<br />
zu Konfliktsituationen. Die normalen Bürger waren in <strong>de</strong>n 80er Jahren noch lange<br />
nicht so tolerant wie heute, und so wur<strong>de</strong>n die Psychos als Punks o<strong>de</strong>r Asoziale tituliert.<br />
Sie wur<strong>de</strong>n <strong>auf</strong> offener Straße beleidigt und bepöbelt. Es kam auch zu gewalttätigen<br />
Konflikten mit <strong>de</strong>r Rockabillyszene. Die Psychobillyszene war damals eine<br />
Jugendsubkultur, mit durchaus hohem Aggressionspotential, und so wur<strong>de</strong>n die Be-<br />
125
leidigungen und Angriffe häufig durch reaktive Gewalt geklärt. Die Psychobillies<br />
gingen keiner Schlägerei aus <strong>de</strong>m Weg und so hatten sie schnell <strong>de</strong>n Ruf als Schläger<br />
weg. Zu<strong>de</strong>m trauten sich kaum an<strong>de</strong>re Leute <strong>auf</strong> Psychobillykonzerte. Da die<br />
Psychobillies bei <strong>de</strong>n Konzerten unter sich blieben, konnten auch keine Vorurteile<br />
abgebaut wer<strong>de</strong>n. Zu<strong>de</strong>m war auch die Psychobillyszene viel intoleranter als heute<br />
und so wur<strong>de</strong>n Konzertbesucher aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> min<strong>de</strong>stens kritisch betrachtet,<br />
wenn nicht gar angepöbelt o<strong>de</strong>r schl<strong>im</strong>meres.<br />
In <strong>de</strong>n 90er Jahren kam ein größerer Punkeinfluss in die Psychobillyszene und so<br />
wan<strong>de</strong>lten sich auch die Frisuren und die Musik. Der härtere und schnellere<br />
Psychobilly nennt sich Punkabilly. Dieser neue Einfluss gefiel vielen eingefleischten<br />
Meteors Fans (Wrecking Crew) nicht, und es kam zu einer Spaltung <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur. Die Wrecking Crew vertritt die Meinung, dass nur sie die echten<br />
Psychobillies sind und nur die Meteors puren Psychobilly spielen. Alle An<strong>de</strong>ren<br />
wer<strong>de</strong>n als Punks angesehen. In <strong>de</strong>n 90er Jahren eskalierte die Gewalt zwischen<br />
Meteorsanhängern und Punkabillies. Die Gewaltsituation wur<strong>de</strong> so drastisch, dass<br />
die Szene <strong>im</strong> Ruhrpott, Mitte <strong>de</strong>r 90er bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 90er Jahre, so gut wie „tot“ war,<br />
da sich keiner mehr <strong>auf</strong> die Konzerte traute.<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 90er Jahre wur<strong>de</strong> Psychobilly in <strong>de</strong>n USA populärer. Die neue Welle <strong>de</strong>r<br />
Begeisterung schwappte nach Europa zurück und es gab wie<strong>de</strong>r Psychobillykonzerte.<br />
Viele <strong>de</strong>r militanten Meteorsanhänger sind mittlerweile Familienväter und haben die<br />
40 überschritten. Die Psychobillyszene ist heute <strong>de</strong>finitiv keine Jugendsubkultur<br />
mehr. Mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter sind die Psychobillies <strong>de</strong>utlich friedlicher gewor<strong>de</strong>n.<br />
Die Szene ist allgemein auch toleranter gewor<strong>de</strong>n und hat sich <strong>auf</strong> für „normale“<br />
Leute und an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> geöffnet. Die alten Konflikte zwischen Meteorsfans<br />
und Demented Are Go Anhängern spielen bei <strong>de</strong>n jüngeren Psychobillies kaum eine<br />
Rolle und es wer<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Bands gehört. Bei einem Meteorskonzert kann es auch<br />
heute noch durchaus rau und hart zugehen, aber die Zeiten <strong>de</strong>r eskalieren<strong>de</strong>n Gewalt<br />
sind vorbei. Die Gesellschaft ist heute allgemein toleranter gewor<strong>de</strong>n, <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu <strong>de</strong>n 80er Jahren. Heute wer<strong>de</strong>n Psychobillies nicht ständig und überall angepöbelt<br />
und provoziert. Die jungen Psychobillies kommen in eine <strong>de</strong>utlich friedlichere und<br />
tolerante Psychobillysubkultur, als die Psychos <strong>de</strong>r 80er und 90er Jahre.<br />
3. Wie verhält es sich mit <strong>de</strong>m Geschlechterverhältnis in <strong>de</strong>r<br />
Psychobillysubkultur?<br />
126
Bei <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur han<strong>de</strong>lt es sich, wie bei vielen an<strong>de</strong>rn <strong>Subkulturen</strong><br />
auch, um eine männerdominierte Szene. Der Frauenanteil ist schwierig zu best<strong>im</strong>men,<br />
<strong>de</strong>nnoch kann festgehalten wer<strong>de</strong>n, dass Frauen <strong>de</strong>utlich in <strong>de</strong>r Unterzahl sind.<br />
Es gibt Frauen, die über ihren Freund Psychobilly wer<strong>de</strong>n, und es gibt Frauen, die<br />
alleine <strong>auf</strong> die Subkultur <strong>auf</strong>merksam gewor<strong>de</strong>n sind. Die Psychobillyszene ist<br />
emanzipiert und die Frauen wer<strong>de</strong>n als gleichwertige Psychobillies akzeptiert. Die<br />
Frauen haben sich in <strong>de</strong>n 80er Jahren noch <strong>de</strong>utlich mehr <strong>im</strong> Hintergrund gehalten<br />
und sich auch optisch kaum von <strong>de</strong>n Männern unterschie<strong>de</strong>n. Sie trugen ebenfalls<br />
Bomberjacken, Flats und Domestosjeans. Heute ist das Outfit um einiges weiblicher<br />
und gewagter. Zu<strong>de</strong>m haben sich die Frauen auch von <strong>de</strong>n Frisuren und <strong>de</strong>n Klei<strong>de</strong>rn<br />
mehr an <strong>de</strong>r Rockabillyszene orientiert und sehen <strong>de</strong>utlich femininer aus. Die Frauen<br />
in <strong>de</strong>r Psychoszene agieren sehr selbstbewusst und schrecken auch nicht davor zurück,<br />
be<strong>im</strong> Wrecken mitzumachen. Zu<strong>de</strong>m haben die Frauen auch gute Partizipationsmöglichkeiten.<br />
So gibt es heute auch viele Psychobands, bei <strong>de</strong>nen Frauen mitspielen,<br />
o<strong>de</strong>r die nur aus Frauen bestehen. Das war in <strong>de</strong>n 80er Jahren <strong>de</strong>utlich seltener.<br />
So können die Frauen durch ihre Texte und ihre Musik die Subkultur maßgeblich<br />
mitbest<strong>im</strong>men und prägen. Die Frauen best<strong>im</strong>men die Szene also durchaus mit<br />
und können Psychobilly genau so verän<strong>de</strong>rn, wie die Männer.<br />
4. Gehört die Psychobillysubkultur zu <strong>de</strong>n Rockabillies o<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lt es sich um<br />
eine autonome Szene?<br />
Die Psychobillies sind sich alle ihrer Rockabillywurzeln bewusst, doch sehen sie<br />
Psychobilly ganz klar als eigene Subkultur bzw. eigene Musikszene an. Rockabilly<br />
wird von einigen Interviewpartnern sehr gerne gehört. An<strong>de</strong>ren wie<strong>de</strong>rum ist Rockabilly<br />
zu langsam, zu langweilig, zu eingefahren und zu brav. Die Psychos haben einige<br />
Symbole <strong>de</strong>r Rockabillyszene übernommen, wie z.B. Spielkarten, Eightballs,<br />
Kirschen und Würfel, <strong>de</strong>nnoch sehen sich die Psychos als rebellischer, tätowierter,<br />
punkiger und aggressiver an. Zu<strong>de</strong>m haben sie mit <strong>de</strong>m Flat eine ganz eigene Frisur.<br />
Die Psychobillies schätzen <strong>de</strong>n Horrorkontext be<strong>im</strong> Psychobilly und haben <strong>de</strong>n Eindruck,<br />
dass die Rockabillies an viel mehr Regeln gebun<strong>de</strong>n sind und <strong>im</strong>mer nur über<br />
dieselben Dinge singen. Auch die Musik wird als langweilig und wenig abwechslungsreich<br />
empfun<strong>de</strong>n. Psychobillies schätzen ganz beson<strong>de</strong>rs die Heterogenität<br />
<strong>de</strong>r vielen unterschiedlichen Psychobillybands, die <strong>im</strong>mer wie<strong>de</strong>r neue Stile miteinan<strong>de</strong>r<br />
vermischen. Zu<strong>de</strong>m lieben sie es, sich über moralische Grenzen<br />
127
hingwegzusetzen und zu provozieren. Psychobilly setzt sich viel mit Tabubrüchen,<br />
Fantastischem, Krassen, Abnormalen und Perversen auseinan<strong>de</strong>r und das fasziniert<br />
die Psychobillies. Das Böse was in <strong>de</strong>n Texten verarbeitet wird, sorgt für ein ganz<br />
beson<strong>de</strong>res Gänsehautfeeling, dass die Psychobillies <strong>im</strong> Rockabilly nicht fin<strong>de</strong>n.<br />
Während einige jüngere Psychobillies sich nicht sicher sind, ob sie auch in Zukunft<br />
Psychos sein wer<strong>de</strong>n, haben die 40 Jährigen für sich erkannt, dass Psychobilly ein<br />
eigener Lebensweg für sie ist. Hier wird Psychobilly teilweise schon als Ersatzreligion<br />
angesehen, ohne die nicht gelebt wer<strong>de</strong>n kann. Die Frisur, die Musik, die Wochenendbeschäftigungen,<br />
die Freundin, die Tätowierungen und <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>skreis: Alles<br />
hat mit Psychobilly zu tun. Psychobilly ist für Einige sehr wichtig und für An<strong>de</strong>re<br />
schon gera<strong>de</strong>zu existenziell. Ohne Psychobilly fehlt etwas <strong>im</strong> Leben. Zu<strong>de</strong>m kann<br />
man auch festhalten, dass die Psychobillyszene <strong>de</strong>utlich gealtert ist. Die Leute verän<strong>de</strong>rn<br />
teilweise ihr Outfit, weg vom Krassen, hin zu einem etwas alltagstauglicheren<br />
Look, während An<strong>de</strong>re, auch <strong>im</strong> Beruf ihren Psychobillystyle voll ausleben. Aber<br />
eins verbin<strong>de</strong>t all diese Leute. Sie besuchen <strong>im</strong>mer noch die Konzerte und die Festivals.<br />
Die Leute wer<strong>de</strong>n also alt in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur. Vielleicht sieht man es<br />
nicht allen Psychos an, doch bleiben viele Menschen, die die 40 überschritten haben,<br />
<strong>de</strong>r Subkultur treu. Die Psychobillysubkultur ist keine Jugendsubkultur. Die älteren<br />
Interviewpartner wer<strong>de</strong>n auch so lange Psychobillyaktivitäten nachgehen, solange es<br />
ihnen die Gesundheit erlaubt. Während an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong> ständig in Verän<strong>de</strong>rung<br />
sind, wie z.B. die Punkszene, kann man bei Psychobilly und <strong>de</strong>m Publikum eine gewisse<br />
Stabilität beobachten, weil die Leute Psychobilly auch <strong>im</strong> höheren Lebensalter<br />
treu bleiben. Das sticht bei Psychobilly <strong>im</strong> Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> auch<br />
ganz klar heraus. Wobei zu bemerken ist, dass es durchaus auch Skinheads und<br />
Punks gibt, die über 40 Jahre alt sind.<br />
5. Wie ist das Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>?<br />
Während in <strong>de</strong>n 80er Jahren das Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> äußerst angespannt<br />
war, hat sich die Situation heute grundlegend verbessert. Es gibt heute keine<br />
Straßenschlachten mehr mit <strong>de</strong>r Punk- o<strong>de</strong>r Rockabillysubkultur. Psychobillybands<br />
spielen heute <strong>auf</strong> Festivals mit Ska-, Punk-, Rockabilly-, Hardcore-, und Skinbands<br />
zusammen. Die Psychobillies sind <strong>de</strong>utlich toleranter und offener gewor<strong>de</strong>n, und so<br />
ist auch das Publikum bei Psychobillykonzerten <strong>de</strong>utlich heterogener gewor<strong>de</strong>n. Reine<br />
Psychobillykonzerte sind <strong>de</strong>utlich seltener gewor<strong>de</strong>n und so trifft man heute <strong>auf</strong><br />
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<strong>de</strong>n Konzerten Anhänger diverser <strong>Subkulturen</strong> und auch „normale“ Leute an. Was<br />
bei <strong>de</strong>r Psychobillyszene sehr <strong>auf</strong>fällig ist, ist die Beobachtung, dass die meisten<br />
Leute, aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong> zum Psychobilly gekommen sind. So kommen alle<br />
meine Interviewpartner aus an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>, bzw. hatten Affinitäten zu best<strong>im</strong>mten<br />
Szenen (wie z.B. K., <strong>de</strong>r zwar so gesehen kein Rockabilly war, aber großes<br />
Interesse an dieser Szene hatte).<br />
Mittlerweile gibt es auch Psychobillybands, die weit über die Psychobillysubkultur<br />
hinaus bekannt sind, wie z.B. Tiger Army und Mad Sin. Diese Bands spielen <strong>auf</strong><br />
allen möglichen Festivals, mit <strong>de</strong>n diversesten Interpreten aus <strong>de</strong>n unterschiedlichsten<br />
Musikrichtungen zusammen und verhelfen Psychobilly zu einer größeren Popularität.<br />
Die Psychobillies sind, wie oben schon beschrieben, <strong>de</strong>utlich toleranter gewor<strong>de</strong>n<br />
und schätzen es, dass es Figurationen zwischen Psychobilly und an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong><br />
gibt. Gera<strong>de</strong> die jüngeren Psychos schätzen <strong>de</strong>n friedlichen Zusammenhalt <strong>de</strong>s<br />
Untergrun<strong>de</strong>s. Allerdings hört bei einigen Psychobillies die Toleranz bei eher szenefernen<br />
Gruppierungen <strong>auf</strong>, wie z.B. <strong>de</strong>n Hip-Hoppern. Allerdings gibt es auch Psychos,<br />
die auch bei Hip Hop sehr tolerant sind. Auch <strong>im</strong> Freun<strong>de</strong>skreis <strong>de</strong>r<br />
Psychobillies fin<strong>de</strong>t man oft Anhänger von diversen an<strong>de</strong>ren <strong>Subkulturen</strong>.<br />
6. Was be<strong>de</strong>utet Spaß in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur?<br />
Der Spaß in <strong>de</strong>r Psychobillysubkultur setzt sich aus <strong>de</strong>n diversesten Faktoren zusammen.<br />
Zum einen gibt es, genau wie bei <strong>de</strong>n Punks und Skinheads, gewisse Rituale.<br />
Zu <strong>de</strong>n Ritualen in <strong>de</strong>r Psychoszene zählen das Trinken von Alkohol vor Konzerten<br />
und Festivals. Vor <strong>de</strong>r Bühne wird dann <strong>de</strong>r Tanz <strong>de</strong>r Psychobillies, das<br />
„Wrecking“ zelebriert. Das „Wrecking“ lässt sich mit Pogo <strong>de</strong>r Punks und Skins vergleichen.<br />
Viele Psychos trinken auch während und nach <strong>de</strong>m Konzert exzessiv weiter.<br />
Einige Psychos konsumieren auch <strong>auf</strong>puschen<strong>de</strong> Drogen wie Speed und Kokain.<br />
Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich allerdings um eine Min<strong>de</strong>rheit. Die Hauptdroge <strong>de</strong>r<br />
Psychobillies ist Alkohol. Neben <strong>de</strong>n Ritualen ist die Musik ein ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />
Spaßfaktor. Psychobilly ist meist recht anspruchsvolle, schnelle, verrückte Musik<br />
und setzt sich aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten musikalischen Einflüssen zusammen. Bei<br />
Psychobilly gibt es keine einschränken<strong>de</strong>n Regeln. Je<strong>de</strong> Band ihren eigenen Stil.<br />
Diese Heterogenität in <strong>de</strong>r Musik wird sehr geschätzt, da sich eine große Vielfalt in<br />
<strong>de</strong>r Psychobillymusik fin<strong>de</strong>n lässt, die keine Langeweile <strong>auf</strong>kommen lässt. Die Texte<br />
von Psychobilly sind verrückt, provozierend, grenzüberschreitend und gewagt. Die<br />
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düstere Seite <strong>de</strong>s Lebens und Horror sind sehr gängige Themen. Allerdings gibt es,<br />
wie bereits erwähnt, keine Regeln, und so wird über alles Mögliche gesungen. Ob es<br />
sich um Serienmör<strong>de</strong>r, Drogenkonsum, exzessives Trinken, Sex, Sado-Maso, Inzest,<br />
Nekrophilie, Wahnsinn, <strong>de</strong>n Tod, die Hölle o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Teufel dreht, es geht in erster<br />
Linie darum, über etwas zu singen, was von <strong>de</strong>r Gesellschaft als verrückt o<strong>de</strong>r ungewöhnlich<br />
angesehen wird. Die Psychobillysubkultur liebt die Provokation und das<br />
Spielen mit <strong>de</strong>m Entarteten. Dabei wird auch nicht groß über die Texte refklektiert,<br />
da die Psychobillies sich selber meistens nicht all zu ernst nehmen. Was <strong>im</strong> Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
steht, ist <strong>de</strong>r Spaß an Dingen, die nicht normal sind, son<strong>de</strong>rn verrückt. Großen<br />
Einfluss <strong>auf</strong> die Texte nehmen Horrorfilme. Die meisten Psychobillies lieben<br />
Horrofilme, Splatterfilme und B-Movies. Viele Texte drehen sich um Horrorfilme<br />
o<strong>de</strong>r um die Protagonisten aus diesen, wie z.B. Freddy Krueger o<strong>de</strong>r Michael Myers.<br />
Allgemein üben Horrorfilme eine große Faszination <strong>auf</strong> die Psychoszene aus. Sehr<br />
viele Texte han<strong>de</strong>ln von Horror, Außerirdischen, Vampiren, Zombies, Untoten,<br />
Monstern und Mutanten. Diese Affinität zum Horror sticht be<strong>im</strong> Psychobilly ganz<br />
klar heraus. Wärhrend <strong>de</strong>r Tod ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist, gibt es<br />
kaum einen Meteorstext, <strong>de</strong>r sich nicht mit <strong>de</strong>m Tod beschäftigt. Vielleicht setzen<br />
sich Psychobillies mehr mit <strong>de</strong>m Tod auseinan<strong>de</strong>r als an<strong>de</strong>re Leute, da auch ihr Lebensstil<br />
sehr exzessiv ist und mehr für <strong>de</strong>n Moment als für die Zukunft gelebt wird.<br />
Zu<strong>de</strong>m könnte eine Faszination für Gewalt ein Grund für die vielen Horrortexte sein.<br />
An<strong>de</strong>rerseits könnten auch Aggressionen, die durch ungerechte gesellschaftliche<br />
Rahmenbedingungen entstehen, durch die Horrortexte ausgelebt wer<strong>de</strong>n. Genau wie<br />
be<strong>im</strong> Wrecken. Ein weiter Spaßfaktor, <strong>de</strong>r Psychobilly so reizvoll macht, ist die Exklusivität<br />
von Psychobilly. Obwohl es Psychobilly schon seit dreißig Jahren gibt, ist<br />
diese Musikrichtung und die Subkultur ziemlich unbekannt. Während an<strong>de</strong>re <strong>Subkulturen</strong><br />
<strong>im</strong>mer mehr kommerziell ausgeschlachtet wer<strong>de</strong>n, kann sich Psychobilly seinen<br />
Un<strong>de</strong>rgroundcharme noch <strong>im</strong>mer bewahren. Das übt <strong>auf</strong> viele Psychobillies einen<br />
starken Reiz aus. Man ist Teil von etwas Beson<strong>de</strong>rem, was nicht je<strong>de</strong>r kennt und<br />
was nicht sofort zugeordnet wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Ein an<strong>de</strong>rer wichtiger Faktor <strong>de</strong>r Psychobilly sehr reizvoll macht, sind die Kontakte<br />
die sich während <strong>de</strong>r Konzerte und Festivals ergeben. Zu großen Konzerten und Festivals<br />
kommen Leute aus ganz Deutschland und teilweise sogar aus ganz Europa. So<br />
ist z.B. <strong>de</strong>r Satanic Stomp eins <strong>de</strong>r größten Psychobillyfestivals weltweit. So ergeben<br />
sich während dieser Meetings Kontakte nach ganz Deutschland und Europa. Das<br />
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empfin<strong>de</strong>n viele Leute als spannend und <strong>auf</strong>regend. Viele Psychos lieben es, Gleichgesinnte<br />
aus <strong>de</strong>n unterschiedlichsten Län<strong>de</strong>rn kennenzulernen. Da die Psychoszene<br />
sehr treu ist, sehen sich viele Leute einmal <strong>im</strong> Jahr <strong>auf</strong> <strong>de</strong>n großen Festivals und da<br />
ist die Wie<strong>de</strong>rsehensfreu<strong>de</strong> <strong>de</strong>mentsprechend groß.<br />
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