Wo der Wein fliesst und der Spass auf der Strecke bleibt - Winzerfest ...

Winzerfeste: Wo der Wein fliesst und der Spass auf der
Strecke bleibt
Organisatoren von Winzerfesten klammern sich oft fester an ein altbackenes
Rahmenprogramm, als ein Stammtischbesucher ans Tschumpeli Beaujolais. Zwei Ortschaften
hauchen ihren Winzerfesten jedoch neues Leben ein.
Still gestanden: An Winzerfesten (wie hier in Russin) werden fast ausschliesslich traditionelle
Werte zelebriert.
Bild: MARTIAL TREZZINI/Keystone

Abgehoben: Philipp Fankhauser und Band spielen an der Fête du vin in La Neuveville auf
einer drei Meter hohen Bühne.
Die Winzerfeste
Aargau:
Winzerfest Döttingen: 2.10-4.10.
Bieler Seeland:
Läset-Sunntige Erlach: 3.10.-4.10.
Ligerzer Läset-Sunntige: 3.10.-4.10.
Trüelete Twann: 23.10.-25.10.
Bündner Herrschaft:
Städtlifest Maienfeld: 2.10-4.10.
Weinerlebnis Fläsch: 3.10-4.10.
Schaffhausen:
Hallauer Herbstsonntage: 4.10./11.10
Trottenfest Osterfingen: 10.10.-11.10.
Gächlinger Herbstfest: 4.10.
Zürich/Zürichsee:
Suuser Suntig, Stäfa: 4.10.
Suuser-Chilbi Meilen: 10.-11.10.
Höngg Wümmetfäscht: 16.10.-18.10
Es sei ihr komischstes Konzert gewesen. Am 11. September treten The Delilah's - «die
bekannteste Girlie-Band», wie sie sich selbst nennen – an der Fête du Vin in La Neuveville
auf. Auf einer Bühne, die drei Meter über dem Publikum thront und mit jedem Tritt schwankt,
während die Festbesucher unter der Bühne durchflanieren. Unter dem Turm des
gegenüberliegenden Soundmischers wird derweil Fondue gekocht. Muriel Rhyner, Bassistin
und Sängerin des Trios erinnert sich: «Als wir um Mitternacht mit der Show begannen, waren
die Besucher nicht mehr so fit.» Sprich: Die meisten Besucher sind betrunken, woraufhin die
Delilah's auf der Bühne selbst eine Flasche Wein öffnen und loslegen. Den jungen
Zuschauern gefällt es, The Delilah's haben ihren Spass.
Szenenwechsel: «Viele Trachtenleute, stattliche Musikkorps, eindrückliche Umzugswagen,
frohes Fussvolk, Pferdegespanne, reichliche Blumenpracht und vieles mehr umfassen die
Herbstumzüge.» Was an eine Broschüre zu Beginn des letzten Jahrhunderts erinnert, ist
tatsächlich die aktuelle Online-Ankündigung für die Hallauer Herbstsonntage – dem
Winzerfest in der Schaffhauser Region Hallau.
Ein Fest, zwei Welten
Der Gegensatz könnte nicht grösser sein: Wo die Fête du Vin in La Neuveville am Bielersee
ein Programm bietet, das mit Musikern wie den Delilah's, Philipp Fankhauser, The
Mothafunkers und einigen lokalen Bands das Ausmass eines Musikfestivals annimmt, stehen
auf der anderen Seite biedere Familienfeste wie jenes im Schaffhauserland, um das
Jugendliche, die nicht selbst in einem Verein stecken und mitmachen müssen, den
grösstmöglichen Bogen machen.

Egal ob in der Bündner Herrschaft, im Zürcher Weinland, im Berner Seeland oder in der
Westschweiz: An den meisten Winzerfesten werden fast ausschliesslich traditionelle Werte
zelebriert – eine Modernisierung ist vielerorts nicht abzusehen. Oder nur halbherzig, wie in
Zürich Höngg, wo jeweils Ende Oktober das Wümmetfäscht stattfindet. Organisiert wird es
von einem 16-köpfigen Komitee. Für deren Präsidentin Emerita Seiler soll der traditionelle
Charakter eines Volksfests erhalten bleiben. «Höngg ist und bleibt ein Dorf», sagt sie. Hier
würden sich die Höngger treffen, den Dorfcharakter soll erhalten bleiben. Trotz
volkstümlichem Hintergrund mache man sich aber Gedanken über eine Verjüngung. Vor vier
Jahren wurde deshalb eine Lounge-Bar eingeführt. Um den Stellenwert der Lounge zu
betonen, würden dort die Stadtpräsidentin Corinne Mauch und der Gemeinderatspräsidenten
Rober Schönbächler empfangen, sagt Seiler.
Verjüngungskur
Döttingen, rund 30 Kilometer nordwestlich von Zürich Höngg. Daniel Kaiser ist
Pressesprecher des grössten Winzerfests in der Deutschschweiz. Mit Sentimentalitäten hat
Keiser nichts am Hut. «Winzerfeste haben einen rein kommerziellen Ursprung», sagt er.
Erfunden wurden sie in der Mitte des letzten Jahrhunderts, um den Absatz von unvergorenem
Suuser zu fördern und die Winzer bekannter zu machen. Man entdeckte ihr Potenzial und im
Lauf der Zeit wuchsen die Anlässe zu ausgewachsenen Volksfesten mit Chilbibahnen,
Marktständen und Vereinsdarbietungen an. Der Zeit angepasst hatten sie sich jedoch nie.
In Döttingen habe man sich vor ein paar Jahren deshalb bewusst für eine Verjüngung
entschieden – sowohl was das Rahmenprogramm wie die Organisation betrifft. Der
Samstagabend ist nun ganz den Musikfans gewidmet. Mirto ist schon aufgetreten, ebenso
Stiller Has. Dieses Jahr steht neben anderen Acts Marc Sway auf der Bühne. Den frischen
Wind haben laut Keiser auch die Bars gespürt und engagieren mittlerweile auch eigene
Bands. Keiser sieht noch einen anderen positiven Nebeneffekt: Mit dem offeneren Programm
werde auch die Integration von fremdländischen Kulturen gefördert.
Soll zudem der wichtigste Teil des Fests, der Sonntagsumzug, auch in Zukunft besucht
werden, müsse die Jugend einen Zugang finden und nachgezogen werden. Und gerade weil
das Döttinger Winzerfest eine selbstverordnete Verjüngungskur hinter sich hat, wirken
paradoxerweise auch traditionelle Bräuche nicht mehr so verstaubt wie Omas Estrich. «Wir
überlegen sogar, ob wir wieder die Wahl einer Winzerkönigin einführen», sagt Keiser.
Auch das bisher modernste Winzerfest in La Neuveville verzichtet nicht ganz auf traditionelle
Elemente wie den Umzug oder Konzerte von Musikgesellschaften. Doch durch das starke
Musikprogramm finden Besucher unter dreissig ebenfalls Zugang zur Feier. Und damit zur
Hauptsache eines Winzerfestes: zum Wein. In La Neuveville blieb den Besucher allerdings
auch keine andere Wahl, wie Muriel Rhyner sich erinnert: «Es gab nur Wein als alkoholisches
Getränk.» Was sie jedoch nicht störte, denn die 22-Jährige findet Wein cool. Von La
Neuveville hat sie auf jeden Fall eine Flasche mit nach Hause genommen.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)
Erstellt: 28.09.2009, 11:37 Uhr
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