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EIN VIERTEL IN ROT

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<strong>IN</strong>TRO 02<br />

Ein Viertel sieht Rot.<br />

Das Stuwerviertel - meist mit Rotlichtdramen in den<br />

Medien - zeigt/zeigte sich wieder mal von seiner<br />

besten Seite. Die VIENNA DESIGN WEEK mit<br />

4 Veranstaltungsorten im Stuwerviertel malte ein bis<br />

dato unbekanntes Bild des Grätzels mit all seinem<br />

Engagement. Österreichische und internationale<br />

Medien waren voll des Lobes über das "unbekannte<br />

Viertel". (siehe www.stuwerviertel.at).<br />

Das “Fest der Kulturen” in seiner 3. Auflage begeisterte<br />

viele hunderte Besucher aus ganz Wien.<br />

(Fotos unter www.stuwerviertel.at).<br />

Und: Es ist wieder mal eine Bürgerinitiative geplant.<br />

Gegen die Prostitution im Viertel. Nix genaueres<br />

weiß man noch nicht.<br />

Prostitution ist eine Dienstleistung. Zweifelsohne mit<br />

vielen Facetten. Wie keine andere Arbeit wurde und<br />

wird sie tabuisiert, stigmatisiert und verfolgt. Uns<br />

fällt es schwer, Prostitution als Arbeit, erst recht als<br />

Beruf zu betrachten. Der Umgang mit Prostituierten<br />

ist oft scheinheilig und menschenverachtend aber für<br />

betroffene Bewohner auch nicht wirklich einfach.<br />

Warum gelten für SexarbeiterInnen nicht die gleichen<br />

Rechte wie für andere BürgerInnen? Obwohl die Einkünfte<br />

besteuert werden und Pflichten bestehen, ist<br />

der rechtliche Status von Sexarbeit nicht geklärt.<br />

Prekär ist die Situation bei Migratinnen. Asylwerber<br />

dürfen hierzulande nicht arbeiten. Einzige Ausnahme:<br />

Jede Asylwerberin kann sich die grüne Karte holen<br />

und auf den Strich gehen. Ganz offiziell und mit<br />

Genehmigung der Republik Österreich. Pizza ausliefern,<br />

Reinigungskraft, Regalbetreuerin - alles verboten.<br />

Hure = erlaubt.<br />

Bereits im Februar dieses Jahres haben wir das<br />

Thema dieser Ausgabe des <strong>VIERTEL</strong> festgelegt.<br />

Umso überraschender, dass wir wieder mal aktueller<br />

sind als uns lieb ist. Trotz einiger Versuche uns<br />

(Anm.: Uns = die Redaktion des <strong>VIERTEL</strong>) für<br />

dieses Thema zu instrumentalisieren, lassen wir in<br />

dieser Ausgabe des Magazins Protagonisten beider<br />

Lager und vor allem Betroffene zu Wort kommen.<br />

Völlig wertfrei sehen wir die Beiträge als Beginn<br />

eines unvermeidbaren Diskurses.<br />

In diesem Sinne - Ein Viertel sieht Rot - und ein<br />

Viertel in Rot - nicht nur zu Weihnachten.<br />

Willkommen im wunderschönen Stuwerviertel.<br />

Wolfgang Rauber.<br />

Ein Viertel in Rot.<br />

Rot ist die erste Farbe, die Babys erkennen können.<br />

Rot ist die Farbe der Leidenschaft, des Lebens und des Feuers.<br />

Rot ist laut, dynamisch und sehr lebendig.<br />

Rot sind die Auslagen des Stuwerviertels in der Zeit<br />

vom 23. 11. bis 9. 12. siehe letzte Seite.<br />

Rot-Licht ist ein Teil des Stuwerviertels, aber eben nur ein Teil des Ganzen.<br />

Denn nicht umsonst wird das Stuwerviertel als kommendes Trendviertel<br />

bezeichnet mit herrlichen Altbauwohnungen, ausbaubaren Dachböden und<br />

tollen, neuen Wohnungen.<br />

Wo das Zentrum der Stadt genauso nah ist wie die Donauinsel, die Autobahnanbindung<br />

so nah ist wie der grüne Prater. Wo zwei U-Bahnlinien<br />

zum Viertel führen und der Praterstern mit den Schnellbahnlinien leicht<br />

erreichbar ist. Wo sich viele Fahrradwege kreuzen.<br />

Wo Kindergärten, Volks- Haupt- und Mittelschulen bis zur Fachhochschule<br />

in Gehdistanz liegen. Wo auch Gebietsbetreuung, Vorgartenmarkt und<br />

eine aktive, intakte Nahversorgung mit Fachbetrieben das Leben lebenswert<br />

machen.<br />

Alle diese Teile gemeinsam tragen ganz wesentlich zur hervorragenden<br />

Lebensqualität der Bewohner des Stuwerviertels bei.<br />

In diesem Sinne - Ein Viertel sieht Rot - und ein Viertel in Rot -<br />

nicht nur zu Weihnachten.<br />

Willkommen im wunderschönen Stuwerviertel sagen Ihnen<br />

die Unternehmer, Kaufleute und Gewerbetreibenden des Stuwerviertels.<br />

Ulrike Riedel.<br />

<strong>IN</strong>HALT:<br />

<strong>E<strong>IN</strong></strong>E LIEBE AUF DEN ZWEITEN BLICK 03 - 05<br />

BUCHTIPPS 04<br />

DER RAUNZER 06<br />

FRAUEN IM GESPRÄCH 06 - 08<br />

KUNST STATT WERBUNG 09<br />

SOPHIE - BILDUNGSRAUM FÜR PROSTITUIERTE 10<br />

SPERRGEBIET STUWER<strong>VIERTEL</strong> 10<br />

BULLSHIT IM 2TEN 11<br />

ANDREA KOCHT + DIE BACKPROFIS 12, 13<br />

DER VORGARTENMARKT<br />

COMMERCIAL 14 - 15<br />

TRENDSCOUT 16 - 17<br />

STUWERVIERTLER -ADVENTGEW<strong>IN</strong>NSPIEL 18 - 20<br />

03<br />

TOPTHEMA / GASTKOMMENTAR<br />

Das Stuwerviertel und ich -<br />

eine Liebe auf den zweiten Blick.<br />

Als ich aus einem Wiener Nobelbezirk in das Stuwerviertel zog, ahnte ich nicht, dass ich<br />

nicht einfach den Stadtteil wechselte, sondern in einen eigenen Mikrokosmos zog – mit<br />

ganz spezifischen Gegebenheiten, die es vielleicht nur hier gibt. „Stuwerviertel“ – noch<br />

konnte ich das Grinsen der KollegInnen nicht deuten…<br />

Es war grauer November als ich die Fensterrahmen der schönen Altbauwohnung lackierte, den<br />

Blick immer wieder hinunter auf die Straße. Und ich wunderte mich über das Verkehrsaufkommen,<br />

wo ich doch dachte, in eine kleine ruhige Straße gezogen zu sein. Ein Auto nach dem anderen<br />

bog um die Ecke, so viele Menschen können hier doch gar nicht wohnen und arbeiten und<br />

einkaufen, und ich wunderte mich über die Vielzahl der Kennzeichen, über die vielen WU, E, EU,<br />

TU, GF, MI, HO, KO usw. Dann sah ich die Mädchen an der Ecke stehen, vielleicht Schulmädchen,<br />

Freundinnen, Wasserflasche, Jeans, Handy, Billa-Sackerl, normale junge Mädchen.<br />

Dann waren sie weg und tauchten wieder auf und waren wieder weg und tauchten wieder auf.<br />

Das Markenzeichen des Viertels<br />

Und dann sah ich diese Szenen, für die ich seitdem sensibilisiert bin, aber die typisch und normal<br />

sind für das Stuwerviertel, die jede/r kennt, hundertfach im Jahr sieht und drüber hinwegsieht,<br />

weil sie „normal“ geworden sind, fast ein „Markenzeichen“ des Grätzels: Das Auto nähert sich<br />

langsamer werdend den Mädchen, bleibt kurz stehen, Fensterscheibe hinunter, dieser ganz spezielle<br />

Blick des Mannes, kurzes Reden, das Mädchen steigt ein und der Mann fährt irgendwohin<br />

mit dem Mädchen, manchmal ist es auch eine Frau. Und die Autos werden langsamer, bleiben<br />

stehen und die Männer blicken so speziell aus dem Fenster und eine kurze Bemerkung und das<br />

Mädchen aus dem Gymnasium oder die Frau aus dem Nachbarhaus senken ihre Blicke, schauen<br />

auf den Gehsteig, sehen nicht nach rechts und nicht nach links, gehen bestimmt weiter, der<br />

Mann braucht lange bis er kapiert.<br />

Ich will das nicht<br />

Der graue November und diese Szenen deprimierten mich: wohin bin ich da geraten? Und ich<br />

fühlte sofort tief was ich heute noch fühle, aber was ich heute auch weiß: ICH WILL DAS<br />

NICHT! Ich will hier ein ganz normaler Bewohner sein und meine Freundin soll den Weg von<br />

der U-Bahn hierher frei und aufrechten Hauptes gehen können.<br />

Als ich das erste Mal gegen Mitternacht nach Hause kam: es umschwirrten mich auf dem Weg<br />

vom Auto zum Haustor eine Vielzahl von schwarzen Mädchen und Frauen, die alle wild durcheinander<br />

riefen: „Ficken, billig, ficken, Schatzi ficken, billig“ und nach mir griffen, mich fast nicht<br />

gehen ließen, mir in den Schritt griffen. Es widerte mich an, fühlte mich belästigt, schließlich<br />

wohne ich hier und ich möchte ganz normal nach Hause kommen. Nein, dachte ich mir: ICH<br />

WILL DAS NICHT! Woher diese Frauen kommen, ich wollte es gar nicht wissen, diese<br />

Geschichten der Verschleppten, nein warum sollte ich mich damit beschäftigen? Ich will doch<br />

bloß normal nach Hause kommen. Später sind die schwarzen Mädchen und Frauen von meiner<br />

Straße verschwunden, wohin? Es kamen andere, aus der Slowakei, Rumänien, Ukraine …<br />

Es war eine bitterkalte Dezembernacht, ich kam spätnachts von der Weihnachtsfeier, vor mir ging<br />

eine Frau, sie drehte sich plötzlich um und sagte: Macchhen wirrr wasss Schennnes? Ich war<br />

erschrocken, sie zitterte vor Kälte, nur leicht bekleidet, ihr Gesicht war schön und jung, ich sah<br />

blaue Augen und ich sah, obwohl kaum zu sehen eine ganz feine gerade Narbe von der Stirn bis<br />

zur Nasenspitze. Niemals werde ich dieses Gesicht, diesen müden traurigen Blick vergessen, dieses<br />

Zittern. Und dann: „30 Euro ficckckken, 25 blasssen.“ „Wie heißt du?“ Bis heute weiß ich<br />

nicht, ob es gut war zu fragen. „Tatjana“. Sie nahm meine Hand. Ich fragte blöd wie nur:

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