Rahlstedter Leben Februar 2022
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Pastor lässt Kirche im Dorf<br />
Fragen<br />
an Pastor<br />
Matthias Marks<br />
Ev.-Luth.<br />
Kirchengemeinde<br />
Alt-Rahlstedt<br />
Wird in der Kirche eigentlich auch<br />
Karneval gefeiert?<br />
Virginie Siems: Guten Tag, Pastor<br />
Marks! Wir wünschen Ihnen ein gutes<br />
neues Jahr und freuen uns über ein<br />
weiteres Interview mit Ihnen.<br />
Matthias Marks: Vielen Dank für die<br />
Einladung. Ein frohes, gesundes, segensreiches<br />
und friedvolles <strong>2022</strong> wünsche<br />
ich auch Ihnen und Ihrer Leserschaft.<br />
VS: Mit dieser Ausgabe durchschreiten<br />
wir die Faschingszeit. Daher die<br />
naheliegende Frage: Wird in der Kirche<br />
eigentlich auch Karneval gefeiert?<br />
MM: Es kommt darauf an, welche Kirche<br />
Sie meinen. Wir als evangelische Christen<br />
hier im Norden haben damit ja nicht<br />
so viel am Hut. In den Kindergärten und<br />
Schulen verkleiden sich die Kinder. Aber<br />
sonst spielt die sogenannte „fünfte Jahreszeit“<br />
im öffentlichen <strong>Leben</strong> kaum eine<br />
Rolle. Ganz anders in südlicheren Gegenden,<br />
wie in Köln und in Mainz. Besonders<br />
dort, wo die katholische Tradition sehr<br />
präsent war oder ist, steht der Karneval<br />
hoch im Kurs.<br />
VS: Wie kommt das?<br />
MM: Da müssen wir weit zurückschauen.<br />
Fragen: Virginie Siems Antworten: Matthias Marks Foto: COUleUR auf Pixabay<br />
Matthias Marks<br />
ist Pastor in der<br />
Ev. Kirchengemeinde<br />
Alt-<br />
Rahlstedt seit<br />
Oktober 2019<br />
Was viele gar nicht mehr wissen: Der Karneval<br />
hat seinen Ursprung im Christentum.<br />
Der Name stammt vom lateinischen<br />
„Carnem levare“, übersetzt „Fleischwegnehmen“.<br />
Es war ursprünglich ein Fest,<br />
das nur an einem Tag, und zwar am Abend<br />
vor Beginn der vierzigtägigen Fastenzeit<br />
gefeiert wurde. Das hatte einerseits ganz<br />
praktische Gründe: Fleisch, Fett und Eier,<br />
all die Nahrungsmittel, die noch im Vorrat<br />
waren und über die lange Fastenzeit<br />
verderben würden, mussten verspeist<br />
werden. Andererseits hat die Kirche diese<br />
Gelegenheit zu pädagogischen Zwecken<br />
genutzt: Bevor die Gläubigen in der Fastenzeit<br />
auf alle Gaumen- und andere Freuden<br />
verzichten mussten, sollten sie nochmal<br />
so richtig reinhauen, ausgelassen sein<br />
und lustvoll feiern dürfen.<br />
VS: Aha. Sind so vielleicht auch die<br />
verschiedenen Namen für das Fest zu<br />
erklären? „Fasching“ oder „Fastelovend“<br />
wie die Älteren sagen. Da kommt es zum<br />
Ausdruck: „Fasching“ von „Fastnacht“.<br />
Eben die Nacht vor der Fastenzeit?<br />
MM: So ist es. Diese älteren Namen sind<br />
schon seit dem 13. Jahrhundert belegt.<br />
Aber der Ursprung der Karnevalszeit liegt<br />
noch viel weiter zurück. Im Jahre 325 gab<br />
es ein großes kirchliches Konzil, auf dem<br />
unter anderem festgelegt wurde, wann<br />
Ostern gefeiert werden sollte. Als Termin<br />
wurde der Sonntag nach dem ersten<br />
Frühlingsvollmond bestimmt, angelehnt<br />
an die Zeit des jüdischen Pessachfestes,<br />
nach dem laut der Überlieferung Jesus<br />
auferstanden ist. Seitdem liegt der Ostertag<br />
immer zwischen dem 21. März und<br />
dem 18. April. Und dem entsprechend ergibt<br />
sich die davor liegende Passions- und<br />
Fastenzeit. „Sieben Wochen ohne“, wie es<br />
heute heißt. Jedes Jahr unter einem anderen<br />
Motto und mit unterschiedlichen<br />
Herausforderungen: Mal ohne Fernsehen,<br />
mal ohne Süßigkeiten, mal ohne Hektik,<br />
mal ohne Sex, mal ohne Handy – und so<br />
weiter.<br />
VS: So hat die Kirche also indirekt auch<br />
die Faschingszeit festgelegt.<br />
MM: Zumindest den Tag der sogenannten<br />
Fastnacht. Die Tradition mit dem 11.11.<br />
um 11 Uhr 11 als Beginn der Karnevalszeit<br />
hat sich erst später entwickelt, als das Fest<br />
mit Musik und Tanz, allerlei verrückten<br />
Sachen und den derben Fastnachtsspielen<br />
immer ausschweifender und länger gefeiert<br />
wurde.<br />
VS: Was hat es eigentlich mit der 11<br />
auf sich?<br />
MM: Es war mir auch neu, dass diese typische<br />
Karnevalszahl ebenfalls aus kirchlichen<br />
Zusammenhängen stammt. Die<br />
christliche Botschaft beinhaltet, dass vor<br />
Gott alle Menschen gleichviel gelten. So<br />
soll es auch an Karneval sein. Die beiden<br />
gleichen Ziffern bedeuten, dass gesellschaftliche<br />
Unterschiede in dieser Zeit<br />
keine Rolle spielen sollen. Da darf der<br />
Bettler mit dem König am Tisch sitzen, der<br />
Räuber mit dem Richter ein Bier trinken<br />
und so weiter. Außerdem symbolisiert die<br />
11 die Ausnahmezeit. Sie liegt zwischen<br />
den beiden biblischen Zahlen 10 und 12.<br />
Man denke an die Zehn Gebote und an die<br />
Zwölf Apostel. Gelten diese als „heilige“<br />
Zahlen, die mit dem göttlichen Reich zu<br />
tun haben, wird die 11 als eine „unheilige“<br />
Zahl aus dem Reich des Teufels gesehen.<br />
VS: Nur keine Angst vor der Hölle. Den<br />
Teufel mal ordentlich treiben lassen.<br />
MM: Ja, einfach mal den Lüsten und Verrücktheiten<br />
frönen, die man sonst unterdrückt,<br />
aus Angst, sein Gesicht, seine<br />
Stellung, seinen Arbeitsplatz oder sonst<br />
etwas zu verlieren. In seiner Moralsatire<br />
„Das Narrenschiff“ hat Sebastian Brant<br />
Ende des 15. Jahrhunderts die menschlichen<br />
Laster aufs Korn genommen und vorgeführt,<br />
wie man sich so richtig daneben<br />
benehmen kann. Wer mitmachte, riskierte<br />
natürlich, dass die Fallhöhe groß wurde,<br />
wenn am nächsten Tag für die begangenen<br />
Sünden Abbitte zu leisten war. Das<br />
hat die Kirche als pädagogisches Mittel<br />
genutzt, nach dem Motto: „Sündige tapfer,<br />
aber bete noch tapferer!“<br />
VS: Kaum eine andere Figur gehört ja so<br />
bezeichnend zur Karnevalszeit wie der<br />
Narr. Dieser Typ mit der Schellenkappe,<br />
der sich so benimmt, als hätte er einen<br />
an der Waffel. Im Rheinland wird er<br />
deshalb der „Jeck“ genannt.<br />
MM: Ach, ich liebe diese Figur. Der Narr<br />
war der einzige, der dem König die Wahrheit<br />
ins Gesicht sagen durfte, ohne dafür<br />
bestraft zu werden. Im Mittelalter entstand<br />
in der Kirche das Fest der Narren. Sie tanzten<br />
auf den Altären, verspotteten mit ihren<br />
Manieren und Verkleidungen die religiöse<br />
Obrigkeit und hielten ihnen mit ihren Possenspielen<br />
den Spiegel vor. Überall, wo<br />
es zu moralisch zuging, verführten sie die<br />
Leute zum Lachen, verballhornten Regeln,<br />
lockerten Verkrampfungen und heiterten<br />
die ganze Stimmung auf. Wohltuend, aber<br />
oft auch ernüchternd.<br />
VS: Mit der Wahrheit konfrontiert zu<br />
werden, ist ja nicht immer leicht.<br />
MM: Eben. Da kann der Narr auf lustigste<br />
Weise die heikelsten Sachen herausposaunen,<br />
so dass man nicht weiß, ob man lachen<br />
oder weinen soll.<br />
„Wenn die Welt<br />
aus den Fugen<br />
gerät, werden<br />
die Narren weise“<br />
Sprichwort<br />
VS: Eine komische und eine tragische<br />
Figur zugleich.<br />
MM: Tja, da passt die Bezeichnung „Jeck“,<br />
so wie sie heute gebraucht wird, schon<br />
ganz gut. Ursprünglich aber wurden Menschen<br />
mit einer körperlichen oder geistigen<br />
Behinderung so genannt. Aufgrund<br />
ihres „Defekts“ galten sie nach dem damaligen<br />
Glaubensverständnis nicht als<br />
Ebenbilder Gottes und standen daher außerhalb<br />
der Gesellschaft. Als Gegenspieler<br />
des Normalen wurden sie einerseits<br />
gefürchtet und andererseits geachtet. Die<br />
Schellenkappe diente als Warnung für die<br />
Bevölkerung, während der König den Jeck<br />
als Hofnarren einstellte, der ihm frei her-<br />
ausplappernd erzählte, was das Volk von<br />
ihm dachte.<br />
VS: Daher das Wort „Narrenfreiheit“.<br />
MM: Ja, solche Narrenfreiheit genießen<br />
heute auch die Satiriker im Fernsehen:<br />
Michael Mittermaier, Dieter Nuhr, Sebastian<br />
Pufpaff, Christian Ehring von „extra3“,<br />
Oliver Welke von der „heute-show“<br />
und wie sie alle heißen.<br />
VS: Täusche ich mich oder sind da in<br />
den letzten Jahren sehr viele solcher<br />
Satiriker in die Öffentlichkeit getreten?<br />
Mir scheint, es werden immer mehr.<br />
MM: Kommt mir auch so vor. Kennen Sie<br />
den Spruch: „Wenn die Welt aus den Fugen<br />
gerät, werden die Narren weise“.<br />
VS: Na, dann wird es aber höchste Zeit,<br />
dass auch in der evangelischen Kirche<br />
mehr Karneval gefeiert wird. Eine Brise<br />
Humor, gemischt mit einer Portion<br />
Selbstironie würde ihr doch sicher gut<br />
tun. Warum nicht auch mal einen Witz<br />
von der Kanzel?<br />
MM: Kennen Sie den: Macht ein Pastor<br />
Urlaub in Afrika. Plötzlich sieht er<br />
sich von einem Rudel Löwen umzingelt.<br />
Flucht ist ausgeschlossen. Da fällt er auf<br />
die Knie, schließt die Augen und betet:<br />
„Oh Herr, gib mir ein Zeichen deiner Gnade<br />
und hilf mir! Befiehl diesen Löwen,<br />
sich wie echte Christen zu verhalten!“<br />
Als er wieder aufblickt, sitzen die Löwen<br />
im Kreis um ihn herum, haben die Pfoten<br />
gefaltet und beten: „Komm Herr Jesus,<br />
sei unser Gast und segne, was du uns aus<br />
Gnaden bescheret hast.“<br />
VS: (Lacht) Überlegen Sie gut, wo Sie<br />
Ihren Urlaub verbringen. Danke, dass<br />
Sie heute wieder unser Gast waren.<br />
MM: Immer gern.n<br />
www.kirche-alt-rahlstedt.de<br />
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16 <strong>Rahlstedter</strong> <strong>Leben</strong> 01/<strong>2022</strong><br />
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