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schmitzkatze - Schmitz Buch

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Donald Ray Pollock<br />

Das Handwerk des Teufels<br />

Liebeskind Verlag, 19,90 Euro<br />

Es gibt Geschichten, die ein Amerikaner<br />

schreibt, damit Fremde, die<br />

sie lesen, nie den amerikanischen<br />

Kontinent betreten. Na ja, das stelle<br />

ich mir zumindest manchmal vor.<br />

Bei »No Country for Old Men« zum<br />

Beispiel oder bei »Winters Bones«.<br />

Alles ist düster, nichts – fast nichts<br />

– geht gut und das Böse ist einfach<br />

banal.<br />

»Das Handwerk des Teufels« ist auch<br />

so ein <strong>Buch</strong>. Es beginnt in den 50er<br />

Jahren in the middle of nowhere<br />

im mittleren Westen der USA. Hier<br />

wächst der junge Arvin auf. Er musste<br />

mit ansehen, wie seine Mutter an<br />

Krebs im wahrsten Sinne des Wortes<br />

verreckt ist und sein Vater, der<br />

besessen war von der Idee, Gebete<br />

und religiöse Opfer heilen alles und<br />

jeden, sich daraufhin das Leben<br />

nimmt. Arvin, der soviel Gewalt und<br />

Dreck in seinen jungen Jahren mit<br />

ansehen musste, möchte eigentlich<br />

nur eins: ein guter Mensch werden.<br />

Doch das Leben macht ihm einen<br />

gehörigen Strich durch die Rechnung.<br />

Als seine Freundin von einem<br />

Prediger missbraucht wird und<br />

stirbt, nimmt auch er das Gesetz in<br />

die eigene Hand.<br />

Das <strong>Buch</strong> ist verstörend und gleichzeitig<br />

genial gut.<br />

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·<br />

Leena Parkkinen<br />

Nach dir, Max<br />

Osburg Verlag, 21,90 Euro<br />

Max und Isaak sind Zwillinge.<br />

Siamesische Zwillinge. Zusammengewachsen<br />

an der Hüfte, sind sie<br />

lebenslang aufeinander angewiesen.<br />

Er, Max, ist forsch, Isaak, der<br />

Ich-Erzähler, dagegen ein wenig<br />

introvertierter. Sie werden 1899<br />

geboren und aus lauter Not von ihren<br />

Eltern an einen Zirkus verkauft.<br />

Was folgt, ist ein Leben in Manegen,<br />

Cabarets, Varietés und Bordellen.<br />

Das vermeintliche Unglück erweist<br />

sich schnell als Glücksfall. Dort können<br />

die beiden sich einigermaßen<br />

entfalten und machen trotz ihres<br />

körperlichen Handicaps ihren Weg<br />

als Bühnenkünstler. Hier fühlen<br />

sie sich als Gleiche unter Gleichen<br />

und leben ihr Leben, bis sich Isaak<br />

Hals über Kopf in die schöne Iris<br />

verliebt...<br />

Ein ganz außergewöhnliches <strong>Buch</strong>:<br />

hohe Fabulierkunst und eine ganz<br />

feine Beobachtungsgabe zeichnen es<br />

aus. Und wenn Isaak morgens den<br />

alkoholisierten Max schnarchen hört<br />

und sich um die nur eine gemeinsame<br />

Leber sorgt, wird das <strong>Buch</strong><br />

ungemein komisch. Man kann sich<br />

ein Lachen nicht verkneifen.<br />

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·<br />

Helle Helle<br />

Die Vorstellung von einem<br />

unkomplizierten Leben<br />

mit einem Mann<br />

Dörlemann Verlag, 19,90 Euro<br />

Oft genug habe ich es erlebt. Man<br />

sitzt spätabends vor dem Fernseher<br />

und bleibt bei einem »Kleinen Fernsehspiel«<br />

des WDR hängen. Ein Film,<br />

in dem wenig passiert und der doch<br />

so klug komponiert ist, dass man<br />

glatt vergisst, weiterzuschalten.<br />

So ungefähr kam ich mir beim Lesen<br />

des ziemlich minimalistischen Romans<br />

der Dänin Helle Helle vor.<br />

Eigentlich passiert wenig am Tag vor<br />

Weihnachten im Leben von Susanne.<br />

Sie erledigt die Einkäufe, telefoniert,<br />

vergisst ihre Geldbörse, fährt zurück<br />

in die Wohnung und will im Vorbeigehen<br />

Kim, ihren Lebenspartner,<br />

wecken. Doch der atmet nicht mehr.<br />

Danach werden in Rückblenden<br />

die letzten sieben Wochen des<br />

Paares erzählt. Nichts Dramatisches<br />

eigentlich, Susanne wechselt ihre<br />

Arbeitsstelle zum Beispiel, Kim versucht<br />

ziemlich erfolglos ein <strong>Buch</strong> zu<br />

schreiben und dann nehmen die beiden<br />

eine Arbeitskollegin Susannes<br />

bei sich auf. Ester ist hochschwanger<br />

und von ihrem Freund verlassen<br />

worden.<br />

In der Enge der Wohnung und der<br />

ungewohnten Dreierkonstellation<br />

wird die Beziehung zwischen Susanne<br />

und Kim zur Zerreißprobe.<br />

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·<br />

Helge Timmerberg<br />

African Queen<br />

Rowohlt Berlin, 19,95 Euro<br />

Vor ein paar Tagen noch hatte ich<br />

ein <strong>Buch</strong> in der Hand, das »Schreiben<br />

auf Reisen« oder so ähnlich<br />

hieß. Kein dummes <strong>Buch</strong>, etwas<br />

viele Zitate, ein wenig schulmeisterlich,<br />

aber vielleicht könnte ich ja<br />

etwas davon gebrauchen, dachte ich<br />

mir. Dann � el mir »African Queen«<br />

von Timmerberg in die Hand und<br />

nach den ersten Sätzen sortierte ich<br />

das andere <strong>Buch</strong> schnell aus.<br />

So möchte ich schreiben können:<br />

witzig und frech, unkonventionell<br />

und sehr persönlich. Timmerberg<br />

hat sieben Monate Afrika bereist<br />

und den Kontinent von Süden nach<br />

Norden durchp� ügt. Er war auf<br />

dem Malawi-See mit der African<br />

Queen unterwegs, durchstreifte den<br />

Dschungel in Uganda. Er inspizierte<br />

den Vorhof zur Hölle in den Millionenstädten<br />

des Kontinents und<br />

bekam eine Vorahnung vom Paradies<br />

im Serengeti.<br />

Mich faszinierte nicht das Afrika,<br />

das er beschreibt, eher das Afrika,<br />

wie er es beschreibt. Und die Art und<br />

Weise, wie er die Liebe als zweite<br />

Komponente mit in die Reportagen<br />

eingewoben hat – schließlich war er<br />

mit einer attraktiven Dame unterwegs<br />

– ist allerbester Journalismus.<br />

Am Ende weiß man dann noch nicht<br />

einmal mehr, was wohl das größere<br />

Abenteuer ist.<br />

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·<br />

Elias Canetti / Anne Bennent<br />

(Sprecherin) / Otto Lechner &<br />

Ensemble (Musik)<br />

Die Stimmen von Marrakesch<br />

<strong>Buch</strong> und 2 CDs<br />

Mandelbaum, 24,90 Euro<br />

Noch ein Zufallsfund. Der Mandelbaum<br />

Verlag legte einer Lieferung<br />

außergewöhnlicher Kochbücher<br />

einfach dieses Klangbuch bei, und<br />

zwar mit dem kleinen Hinweis,<br />

man hielte ein neues Medium in<br />

den Händen. Es sei sowohl <strong>Buch</strong> als<br />

auch Hörstück, es sei Musik genauso<br />

wie hörbare Literatur, eine digitale<br />

Information und ein bedrucktes<br />

<strong>Buch</strong> in einem. Und dann kam noch<br />

eine Warnung, wenn man sich denn<br />

mit dem Inhalt auseinandersetzen<br />

möchte, dann bitte nicht im<br />

Vorübergehen, nicht als Hintergrundgemurmel<br />

und wegen der von<br />

Zeit zu Zeit aufbrausenden Musik<br />

möge man im Auto doch zumindest<br />

angeschnallt sein.<br />

»Die Stimmen von Marrakesch«, die<br />

berühmten Schilderungen Canettis,<br />

werden hier durch die wunderbar<br />

warme und klare Stimme von<br />

Anne Bennent und der Musik von<br />

Otto Lechner, einer Mischung aus<br />

Jazz, französischem Chanson und<br />

orientalischen Melodien, zu einem<br />

ganz ungewöhnlichen Klangbild.<br />

Zwei Stunden großes Hörvergnügen,<br />

immer vorausgesetzt – da gebe ich<br />

Mandelbaum recht – man nimmt<br />

sich die Zeit.<br />

Marie Fadel / Ra� k Schami<br />

Damaskus<br />

Sanssouci Verlag, 15,90 Euro<br />

Kann man den Geschmack einer<br />

Stadt beschreiben? Jeder, der Ra� k<br />

Schami schon einmal hat erzählen<br />

hören, wird mir recht geben, wenn<br />

ich sage: Ja, man kann! Nicht jeder,<br />

er aber schon.<br />

Und genau das macht er auch in dem<br />

kleinen, wunderbaren <strong>Buch</strong>, das er<br />

gemeinsam mit seiner Schwester<br />

Marie Fadel bereits vor einigen Jahren<br />

herausgebracht hat. 1000 Geschichten<br />

aus dem alten Damaskus,<br />

dazu 1000 Gerichte, die sich nachzukochen<br />

lohnen. Beide – Ra� k Schami<br />

und Marie Fadel – haben sich auf<br />

einen Spaziergang kreuz und quer<br />

durch die Altstadt von Damaskus<br />

begeben. In stundenlangen Gesprächen<br />

am Telefon schilderte die<br />

Schwester ihrem Bruder auch noch<br />

so kleine Details. Er schrieb alles auf,<br />

testete Rezepte, lud Freunde zum<br />

Essen ein und herausgekommen<br />

ist ein farbenprächtiges <strong>Buch</strong> – ein<br />

Kochbuch, ein Reiseführer (zu einer<br />

ho� entlich bald wieder zugänglichen<br />

Stadt) und ein Band mit wunderlichen<br />

Erzählungen in einem.<br />

<strong>schmitzkatze</strong> 15<br />

43<br />

buchempfehlungen von thomas schmitz

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