schmitzkatze - Schmitz Buch
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TS: Wieso höre ich so wenig andere arabische Stimmen?<br />
RS: Das habe ich mich auch gefragt. Es gibt o� enbar wenige neutrale Beobachter.<br />
Viele Syrer sind verstummt. Viele haben ja jahrelang mit dem syrischen<br />
Kultusministerium zusammengearbeitet. Letztendlich sind sie also Handlanger<br />
des Regimes und können schlecht etwas sagen. Sie haben einfach Angst. Aber<br />
Schweigen angesichts der Verbrechen ist auch ein Verbrechen.<br />
Und lass mich noch eines sagen: die deutschen Medien haben ihre Korrespondenten<br />
im Orient vor Jahren so reduziert, dass nicht selten nur noch ein<br />
Journalist in Amman saß und über Syrien und den Irak zu berichten hatte. Das<br />
ist kein Journalismus, das ist Telepathie.<br />
Der Aufstand in Syrien hat uns alle überrascht und traf die deutschen Medien<br />
besonders kalt. Kaum einer hatte echtes Hintergrundwissen, deshalb war ich<br />
fast ein freier Mitarbeiter aller großen deutschen Medien. Ich tat es gerne, und<br />
muss fairerweise sagen, nichts wurde zensiert.<br />
Der Mangel an Korrespondenten vor Ort ist in meinen Augen auch der Grund<br />
dafür, dass Prominente wie Peter Scholl-Latour oder Jürgen Todenhöfer Informationen<br />
verbreiten, die schlicht falsch sind. Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht<br />
falsche Eitelkeit ist, sich Informationen nur aus dem Lager der Machthaber<br />
zu holen. Auf jeden Fall erhielten sie für mein Dafürhalten wesentlich zu<br />
viel und zu prominenten Sendeplatz.<br />
TS: Du hattest in Syrien eine behütete und glückliche Kindheit, hast studiert<br />
und wolltest Lehrer und Schriftsteller werden. Dann hast du das Land<br />
von heute auf morgen verlassen. Das war vor vierzig Jahren. Warum? Wann<br />
kam der Augenblick, an dem du dachtest, das geht hier nicht mehr, ich<br />
muss hier raus?<br />
RS: Du hast Recht, aber es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Ich war<br />
behütet, aber auch unter ständiger Beobachtung meiner Sippe. Man macht<br />
sich wenige Vorstellungen, aber die Sippe ist ein Unterdrückungssystem und<br />
es gri� viel eher als Störfaktor als der syrische Geheimdienst. Du hast dauernd<br />
irgendwelche Onkel und Tanten, Schwager und Cousins, die dich erpressen.<br />
Ich arbeitete dazu im Untergrund in einer kommunistischen Partei – rückblickend<br />
betrachtet eine elende Partei. Die hatte uns auch nur Ketten angelegt<br />
und Maulkörbe verpasst. Aber der endgültige Bruch kam in der Sekunde, als<br />
die Bath-Partei an die Macht kam. Sie war totalitär und es galt die einfache<br />
Maxime: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Ich hatte gerade mein Studium<br />
beendet und spürte am eigenen Leib, wie die staatliche Zensur sich in die Gesellschaft<br />
hineinfraß. Außerdem drohte ein zweijähriger Militärdienst, den ich<br />
auf keinen Fall ableisten wollte. Ich wusste nicht wohin, aber ich wusste genau,<br />
ich muss hier weg.<br />
TS: Deutschland war aber nicht dein Wunschziel?<br />
RS: Ich hatte wie jeder Jugendlicher in einer ehemaligen französischen Kolonie<br />
immer den Traum nach Paris zu fahren. Ich verschickte aber sicherheitshalber,<br />
weil die Zeit knapp war, Bewerbungen an Universitäten in Spanien, Kanada,<br />
Australien, Frankreich und Deutschland. Die Uni in Heidelberg war einfach<br />
die Schnellste, sie schickte mir eine Zulassung innerhalb kurzer Zeit und so<br />
entschied ich mich für Deutschland.<br />
TS: War Deutschland für dich ein Kulturschock?<br />
RS: Nein! Kulturschock als solchen habe ich nicht erlebt, da ich sehr viel über<br />
Europa wusste. Aber die anfängliche Verstummung hat mich hart getro� en. Ich<br />
kannte vor der Ankunft nur vier Wörter auf Deutsch: »Ich liebe dich« und »Jawohl«.<br />
Und nun eignet sich ein Fremder eine neue Sprache wie ein Kind an, und<br />
nicht selten wird er auch so behandelt. Du kennst das: der spricht primitiv, also<br />
ist er auch primitiv. »Werch ein Illtum!« würde Ernst Jandl ausrufen. Aber ich<br />
hatte keine Zeit zu Jammern. Ich las wie besessen alles, was in meine Hände<br />
kam und bat meine Freunde. mich gnadenlos zu korrigieren, vor allem meinen<br />
Akzent. Und nach und nach ö� nete mir die deutsche Sprache ihre wunderbare<br />
Landschaft, lud mich zum Verweilen ein, und so wurde sie meine Heimat.<br />
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<strong>schmitzkatze</strong> 15 9<br />
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© Rick Gerharter/Getty Images