24.12.2012 Aufrufe

StGB Allgemeiner Teil - Hamm und Partner, Rechtsanwälte

StGB Allgemeiner Teil - Hamm und Partner, Rechtsanwälte

StGB Allgemeiner Teil - Hamm und Partner, Rechtsanwälte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1<br />

Arbeitsunterlagen<br />

zum Sommerlehrgang 2011<br />

28. August bis 04. September 2011<br />

Marbella, Spanien<br />

„Aktuelle Entscheidungen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs <strong>und</strong> ihre<br />

Bedeutung für die Praxis der Strafverteidigung"<br />

Referenten:<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer <strong>Hamm</strong>, Frankfurt<br />

Richter am B<strong>und</strong>esgerichtshof Prof. Dr. Christoph Krehl, Karlsruhe<br />

Übersicht:<br />

<strong>StGB</strong> <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> .................................................................................................................... 2<br />

<strong>StGB</strong> Besonderer <strong>Teil</strong> .................................................................................................................... 38<br />

Verfahrensrecht ........................................................................................................................... 190<br />

Nebenstrafrecht ........................................................................................................................... 339<br />

Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................................ 382


<strong>StGB</strong> § 21 „Spiegeltrinker“<br />

<strong>StGB</strong> <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong><br />

BGH, Beschl. v. 01.09.2010 – 2 StR 408/10 - BeckRS 2010, 23476<br />

Der Umstand, dass es sich beim Angeklagten um einen alkoholgewöhnten "Spiegeltrinker" handelt,<br />

ist in seiner Bedeutung für die Steuerungsfähigkeit jedenfalls bei sehr hoher Blutalkoholkonzentration<br />

gemindert.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 1. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 21. April 2010 im<br />

Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem<br />

Jahr <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs;<br />

im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Beweiswürdigung, aufgr<strong>und</strong> derer das Landgericht das Vorliegen einer im Sinne von § 21 <strong>StGB</strong> erheblichen<br />

Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat verneint hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach den Feststellungen<br />

des Landgerichts handelt es sich bei dem Angeklagten um einen "depravierten, verfallenen Alkoholiker",<br />

einen "Spiegeltrinker", der ständig große Mengen Alkohol konsumiert <strong>und</strong> dessen Leben hiervon geprägt ist. Auch<br />

am Tattag konsumierte er - mit den Eltern der Geschädigten - größere, im einzelnen nicht mehr feststellbare Mengen<br />

Alkohol, bis er "stark angetrunken" war; er konnte noch sprechen, hatte aber Mühe zu gehen. Er legte sich im Kinderzimmer<br />

der Wohnung zum Schlafen. Als die 8-jährige Geschädigte <strong>und</strong> ihre Schwester begannen, mit ihm zu<br />

spielen, zog er der Geschädigten die Hose herunter, leckte einmal über ihre Scheide <strong>und</strong> beendete dies sofort, als die<br />

Geschädigte ihn hierzu aufforderte. Der Angeklagte hat die Tat gestanden; er hat bek<strong>und</strong>et, er habe sie nur aufgr<strong>und</strong><br />

seiner Trunkenheit begangen; im nüchternen Zustand hätte er "so etwas nie im Leben getan". Einige Monate nach<br />

der Tat stach ihn der Vater der Geschädigten aus Rache für die Tat nieder <strong>und</strong> verletzte ihn so schwer, dass er nur<br />

durch glückliche Umstände <strong>und</strong> eine Notoperation gerettet werden konnte. Das Landgericht ist einem in der Hauptverhandlung<br />

vernommenen Sach-verständigen in der Beurteilung gefolgt, eine erhebliche Beeinträchtigung der<br />

Schuldfähigkeit habe nicht vorgelegen. Ein hirnorganisches Psychosyndrom sei beim Angeklagten noch nicht gegeben.<br />

Die genaue Höhe der Alkoholintoxikation zur Tatzeit habe sich nicht mehr feststellen lassen. Für seine uneingeschränkte<br />

Steuerungsfähigkeit sprächen die Umstände, dass er "Spiegeltrinker" <strong>und</strong> alkoholgewöhnt sei, dass er noch<br />

relativ normal sprechen konnte <strong>und</strong> dass er "zielgerichtet" die Hose des Kindes heruntergezogen <strong>und</strong> über seine<br />

Scheide geleckt habe. Die Eltern der Geschädigten, mit denen er vor der Tat gezecht hatte, könnten, da sie den Angeklagten<br />

"schon lange Zeit kennen", seine Alkoholisierung "gut beurteilen" (UA S. 17). Bei der Strafzumessung hat<br />

das Landgericht überdies ausgeführt, zu Gunsten des Angeklagten sei der "Alkoholkonsum mit der Folge einer solchen<br />

Enthemmung <strong>und</strong> nur daraus resultierend die Verübung der hier gegenständlichen Tat" zu werten gewesen (UA<br />

S. 19). Aufgr<strong>und</strong> dieser Ausführungen ließ sich eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen.<br />

Soweit das Landgericht die Bek<strong>und</strong>ung des Sachverständigen wiedergibt, die Trinkmengenangaben des<br />

Angeklagten seien unrealistisch hoch gewesen, wird nicht deutlich, ob es gegebenenfalls möglich war <strong>und</strong> versucht<br />

wurde, durch Kontrollrechnungen jedenfalls zur Feststellung von annähernd realistischen Werten zu gelangen oder<br />

ob dies - auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen der Mittrinker - von vornherein ausgeschlossen war. Die<br />

vom Landgericht herangezogenen Argumente, der Angeklagte sei "Spiegeltrinker" <strong>und</strong> habe die Tat "zielgerichtet"<br />

ausgeführt, haben im vorliegenden Zusammenhang für die Feststellung der Steuerungsfähigkeit kaum Gewicht. Die<br />

"Zielgerichtetheit" der Tatausführung ging ersichtlich nicht über die bloße (spontane) Begehung der Tat hinaus; dies<br />

2


erforderte offen-k<strong>und</strong>ig weder differenzierte Überlegungen noch komplexe körperliche Fertigkeiten, die auf voll<br />

erhaltene Steuerungsfähigkeit hindeuten könnten. Der Umstand, dass es sich beim Angeklagten um einen alkoholgewöhnten<br />

"Spiegeltrinker" handelt, ist in seiner Bedeutung für die Steuerungsfähigkeit jedenfalls bei sehr hoher<br />

Blutalkoholkonzentration gemindert. Gegen voll erhaltene Steuerungsfähigkeit sprechen die wiederholten Beschreibungen<br />

des Angeklagten als "verfallener, depravierter Alkoholiker" durch das Landgericht, die Feststellung, die Tat<br />

habe "nur" aus der alkoholischen Enthemmung resultiert, sowie die spontane, ohne jegliche Sicherungstendenz in<br />

Anwesenheit eines zweiten Kindes vollzogene Tatbegehung.<br />

2. Keinen Bestand hat auch die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 <strong>StGB</strong>. Das Landgericht hat - im Anschluss<br />

an den Sachverständigen - insoweit ausgeführt, eine Unterbringung sei aussichtslos. Der Angeklagte sei<br />

"völlig haltlos"; er sei "ohne jegliches Problembewusstsein" (UA S. 22). Das ist mit sonstigen Feststellungen nicht<br />

vereinbar. Danach hat der Angeklagte "einen Antrag auf Durchführung einer Alkoholentwöhnungstherapie" (UA S.<br />

5) gestellt; im Januar 2010 fand ein Beratungstermin statt; der Angeklagte hat aber bisher die erforderlichen Unterlagen<br />

nicht zusammengestellt (ebd.). In seinem letzten Wort äußerte er "den Wunsch nach einer letzten Chance zur<br />

Therapie" (UA S. 23). Danach kann nicht die Rede davon sein, es liege keinerlei Problembewusstsein vor. Die Ausführung<br />

des Landgerichts, "eine bloße Absichtserklärung ohne einen ernstzunehmenden eigenen Beitrag" reiche<br />

nicht aus (UA S. 23), lässt im Unklaren, welchen "eigenen Beitrag" der Tatrichter als Voraussetzung einer Maßregelanordnung<br />

verlangt. Wäre dies, wofür die Formulierungen sprechen könnten, die bereits "ernsthafte" oder gar<br />

erfolgreiche Durchführung einer (ambulanten) Therapie, so würde dies die Voraussetzungen des § 64 <strong>StGB</strong> verkennen.<br />

Auf dieser widersprüchlichen, jedenfalls unklaren Gr<strong>und</strong>lage findet die Entscheidung, von einer Maßregelanordnung<br />

abzusehen, keine Stütze. Der neue Tatrichter hat über die Rechtsfolgen daher insgesamt neu zu entscheiden.<br />

<strong>StGB</strong> § 21, 213 Trinkmenge widerlegt beweist noch nicht volle Schuldfähigkeit<br />

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 - 5 StR 358/10 - NStZ-RR 2011, 10<br />

Widerlegte Trinkmengenangaben widerlegen nicht zugleich die Möglichkeit zwar geringerer, aber<br />

immer noch im Sinne des § 21 <strong>StGB</strong> erheblicher alkoholischer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 28. September 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Februar 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet<br />

verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über<br />

die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der Strafen aus einem Strafbefehl zu<br />

einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren <strong>und</strong> zwei Wochen verurteilt. Die mit der Sachrüge geführte Revision des<br />

Angeklagten hat entsprechend dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts im Umfang der Beschlussformel Erfolg. Im<br />

Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der 33-jährige Angeklagte hatte die später Getötete, die<br />

27 Jahre alte L., kurz vor der Tat kennengelernt <strong>und</strong> sofort Gefallen an ihr gef<strong>und</strong>en. Seine Annäherungsversuche<br />

wies sie mehrfach deutlich zurück. Am Tag <strong>und</strong> Abend vor der Tat hatten der Angeklagte <strong>und</strong> L. mit dem Zeugen W.<br />

in dessen Wohnung einige Biere, etwas Wein <strong>und</strong> eine von L. gegen Mitternacht an einem nahe gelegenen Imbiss<br />

gekaufte Flasche Wodka getrunken. Als der Zeuge W. das Zusammensein beenden <strong>und</strong> schlafen gehen wollte, kam<br />

es zu einer Auseinandersetzung. Deswegen ging L. gemeinsam mit dem Angeklagten in dessen im selben „Plattenbau“<br />

gelegene Wohnung. Dort entwickelte sich kurz darauf ein Streit zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> der „unter<br />

Alkoholeinfluss rasch wütend werdenden“ L., weil diese eine finanzielle Beteiligung an der von ihr bezahlten, gemeinsam<br />

genossenen Flasche Wodka forderte. Obgleich der Angeklagte ihr „eine Art Schuldschein“ über den geforderten<br />

Betrag ausstellte, beruhigte sich L. nicht. Sie schlug dem Angeklagten im Verlaufe des weiteren Streits zunächst<br />

ins Gesicht, woraufhin dieser sie kräftig zu Boden stieß; später versetzte sie ihm einen Tritt in den Unterleib.<br />

„In der Folge beschloss der Angeklagte spontan, L. zu töten. Er packte sie mit beiden Händen am Hals <strong>und</strong> würgte<br />

sie bis zur Bewusstlosigkeit“ (UA S. 9). Dann schleifte er die noch schwach atmende Frau ins Badezimmer, holte ein<br />

Küchenmesser aus dem Wohnzimmer <strong>und</strong> stach es ihr dreimal „wuchtig bis zum Anschlag“ ins Herz. Anschließend<br />

3


versuchte er, die Leiche mit einem Messer in kleinere Stücke zu zerteilen, um ihren Abtransport in ein Versteck zu<br />

erleichtern. Dies gelang ihm letztlich nicht. Später verbarg er die Leiche in einem Heizungsschacht im Keller des von<br />

ihm bewohnten Mehrfamilienhauses. Dort wurde sie zwölf Tage später gef<strong>und</strong>en. Das Schwurgericht hat angenommen,<br />

dass der Angeklagte bei der Tat „zwar alkoholisch enthemmt [war], deutlich angetrunken oder gar betrunken<br />

war er jedoch nicht“ (UA S. 8).<br />

2. Die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Schuldspruch ergeben. Indes<br />

hält der Strafausspruch im Einklang mit dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts letztlich materiellrechtlicher Überprüfung<br />

nicht stand.<br />

a) Zunächst ist die Begründung, mit der das Schwurgericht eine Anwendbarkeit des § 213 <strong>StGB</strong> verneint, nicht<br />

rechtsfehlerfrei. Soweit es zu Lasten des Angeklagten darauf abstellt, er habe die Tat „aus nichtigem Anlass“ (UA S.<br />

21) begangen, wird erst im Rahmen der Ausführungen zur Strafzumessung deutlich, dass das Gericht als solchen<br />

sowohl den angegebenen Streit wegen der Bezahlung der letzten Flasche Wodka als auch eine „denkbare“ Zurückweisung<br />

durch das Opfer nach einem Annäherungsversuch des Angeklagten sieht. Unmittelbarer Anlass der Tat<br />

waren indes die von der Getöteten ausgehenden Gewalttätigkeiten gegen den Angeklagten, die geeignet waren, ihn in<br />

besonderem Maße zu demütigen (Tritt in den Unterleib). Dass diese wiederum durch sexuelle Annäherungsversuche<br />

des Angeklagten veranlasst wurden, hat das Schwurgericht nicht festzustellen vermocht (UA S. 8). Darüber hinaus<br />

ist – im Einklang mit der Stellungnahme des Generalb<strong>und</strong>esanwalts – zu besorgen, dass das Schwurgericht einen<br />

falschen Maßstab für die Prüfung des Merkmals „auf der Stelle zur Tat hingerissen“ angewendet hat. Es hat entscheidend<br />

darauf abgestellt, dass die letztlich zum Tode führende Handlung − die Messerstiche − erst nach dem<br />

Verbringen des Opfers in das Bad erfolgt sei <strong>und</strong> mithin keine unmittelbare Reaktion auf die Provokation darstelle.<br />

Maßgebend ist indes nicht, ob sich die Tat als „Spontantat“ darstellt; vielmehr kommt es darauf an, ob der durch die<br />

Provokation hervorgerufene Zorn noch angehalten <strong>und</strong> den Angeklagten zu seiner Tat hingerissen hat (vgl. BGHR<br />

<strong>StGB</strong> § 213 Alt. 1 Hingerissen 1). Das liegt hier nicht gänzlich fern, zumal das Schwurgericht das festgestellte Tatgeschehen<br />

als einen einheitlichen Vorgang gewertet hat.<br />

b) Auch die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht zu der Annahme gelangt, dass der Angeklagte bei der Tat<br />

uneingeschränkt schuldfähig gewesen sei, sind nicht rechtsfehlerfrei. Die in den Feststellungen genannte Trinkmenge<br />

(„einige Biere, etwas Wein <strong>und</strong> den am Imbiss gekauften Wodka“ gemeinsam mit den übrigen Beteiligten) findet in<br />

der Beweiswürdigung keine Stütze. Sie entspricht nicht der vom Schwurgericht ausdrücklich als glaubhaft gewerteten<br />

Angabe des Zeugen W. in seiner Beschuldigtenvernehmung (Konsum von einer Flasche Korn <strong>und</strong> dem gekauften<br />

Wodka durch den Angeklagten <strong>und</strong> L. ), sondern deckt sich noch am ehesten mit den Angaben des Angeklagten in<br />

seiner Beschuldigtenvernehmung am 25. Juni 2009 (UA S. 17). Diese hält das Gericht jedoch ebenso für unglaubhaft<br />

wie seine weitergehenden Angaben in der Vernehmung am 26. Juni 2009 (UA aaO). Seine Beurteilung stützt das<br />

Schwurgericht darauf, dass sich unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Trinkmengen nach den überzeugenden Ausführungen<br />

des Sachverständigen für die Tatzeit jeweils ein Blutalkoholwert im Bereich von 4,0 Promille ergebe, der jedoch<br />

auch bei dem trinkgewohnten Angeklagten nicht mit seinem festgestellten Verhalten zu vereinbaren sei. Die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

für diese Berechnung des Sachverständigen werden nicht mitgeteilt, sie ist darüber hinaus hinsichtlich der<br />

eigenen Angaben des Beschuldigten am 25. Juni 2009 auch nicht plausibel. Widerlegte Trinkmengenangaben widerlegen<br />

zudem nicht zugleich die Möglichkeit zwar geringerer, aber immer noch im Sinne des § 21 <strong>StGB</strong> erheblicher<br />

alkoholischer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Das Schwurgericht hat allerdings im Rahmen der von ihm vorgenommen<br />

Gesamtwürdigung Indizien festgestellt, die das gef<strong>und</strong>ene Ergebnis – Verneinung der Voraussetzungen<br />

der §§ 20, 21 <strong>StGB</strong> – gr<strong>und</strong>sätzlich auch unabhängig von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration tragen<br />

könnten (vgl. BGHSt 43, 66, 69 ff.). Dazu zählen die Alkoholgewohnheiten des Angeklagten <strong>und</strong> seine körperliche<br />

Konstitution ebenso wie eher differenzierte Handlungsabläufe vor, während <strong>und</strong> nach der Tat (vgl. UA S. 21), die<br />

insgesamt einen komplexen Geschehensablauf belegen, der mit der Notwendigkeit situativer Anpassungsleistungen<br />

<strong>und</strong> reflektierender Auseinandersetzung mit dem aktuellen Geschehen einherging <strong>und</strong> damit in besonderem Maße<br />

auf eine erhalten gebliebene Steuerungsfähigkeit schließen lässt. Hinzu kommt die detailreiche Erinnerung des Angeklagten<br />

an die Tat (vgl. dazu Kröber NStZ 1996, 569, 575). Sie hat erhebliches Gewicht gegenüber der – ohnehin<br />

wenig zuverlässigen (vgl. Kröber aaO S. 574) – Berechnung der Blutalkolkonzentration aus geschätzten Trinkmengenangaben.<br />

3. Sollte das neue Tatgericht gleichwohl zur Bejahung der Voraussetzungen des § 213 <strong>StGB</strong>, 1. Alternative, wie des<br />

§ 21 <strong>StGB</strong> gelangen, wird eine nochmalige Verschiebung des Strafrahmens aus § 213 <strong>StGB</strong> nach §§ 21, 49 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> mit Blick auf das Tatbild <strong>und</strong> den engen Zusammenhang zwischen Enthemmung <strong>und</strong> Jähtat nicht nahe liegen.<br />

Gegebenenfalls wird auch § 64 <strong>StGB</strong> in die tatgerichtliche Prüfung einzubeziehen sein.<br />

4


<strong>StGB</strong> § 24 Rücktrittshorizont Freiwilligkeit<br />

BGH, Beschl. v. 16.03.2011 - 2 StR 22/11 - BeckRS 2011, 08335<br />

Zum Rücktritt vom Versuch: Die Tataufgabe kann zwar bei einem vom Angeklagten erkannten<br />

erhöhten Entdeckungsrisiko unfreiwillig sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Täter das Tatrisiko<br />

aufgr<strong>und</strong> neuer Umstände nicht mehr für vertretbar hält. Dass er es für besser hält, die Tat nicht<br />

mehr zu verwirklichen, reicht hierfür nicht aus <strong>und</strong> vermag einen freiwilligen Rücktritt nicht auszuschließen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 16. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des<br />

Landgerichts Aachen vom 29. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung <strong>und</strong><br />

versuchtem Schwangerschaftsabbruch zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Seine Revision führt mit der<br />

Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ging der Angeklagte zu Un-recht davon aus, dass nicht er, sondern ein<br />

früherer Klassenkamerad Vater des ungeborenen Kindes seiner etwa in der 8. Woche schwangeren Ehefrau war. Bei<br />

einem abendlichen Treffen auf einem in einem Wohngebiet gelegenen Spielplatz zog er ein in seiner hinteren Hosentasche<br />

steckendes, etwa 30 cm langes Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm hervor <strong>und</strong> stach mit Tötungsabsicht<br />

auf seine nichts ahnende Ehefrau ein. Dabei erkannte er, dass sie nicht mit einem Angriff rechnete, <strong>und</strong> nutzte dies<br />

aus. Außerdem war ihm bewusst, dass beim Tod seiner Frau auch das ungeborene Kind nicht überleben konnte. Er<br />

wollte so die ständigen Konflikte mit seiner Ehefrau beenden <strong>und</strong> diese für den vermeintlichen Fehltritt bestrafen.<br />

Insgesamt wurde die Geschädigte von mindestens 15, maximal 18 Messerstichen getroffen. Bei den Stichen verbog<br />

sich die Klinge des qualitativ sehr einfachen, billigen Messers. Die überwiegend nicht sehr tiefen Stichverletzungen<br />

waren daher nicht konkret lebensgefährlich, trafen aber an der Stirn, am Hals <strong>und</strong> am Rücken Körperbereiche mit<br />

lebenswichtigen Organen <strong>und</strong> Gefäßen. Während der letzten Stiche klingelte das Handy der Geschädigten. Es gelang<br />

ihr, es aus der Jackentasche zu holen, dem Angeklagten entgegenzuhalten <strong>und</strong> zu sagen, das sei "K. " - eine Fre<strong>und</strong>in<br />

der Geschädigten -, die wisse, dass der Angeklagte da sei. Der Angeklagte, der aufgr<strong>und</strong> der Vielzahl <strong>und</strong> der Art<br />

<strong>und</strong> Weise der Stiche davon ausging, dass die Geschädigte <strong>und</strong> damit auch das ungeborene Kind an den Verletzungen<br />

sterben würden, ließ von ihr ab <strong>und</strong> verließ den Tatort. Die stark blutende Geschädigte, die die Schwere ihrer<br />

Verletzungen zunächst noch nicht registriert hatte, schleppte sich auf den Weg zwischen Spielplatz <strong>und</strong> Wohnhaus,<br />

wo sie von Passanten gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> versorgt wurde. Der Angeklagte stellte sich kurz nach der Tat der Polizei. Die<br />

Geschädigte entschloss sich zur Abtreibung, da ihr von den behandelnden Ärzten gesagt wurde, das ungeborene<br />

Kind könne durch das Tatgeschehen irreparable Schäden erlitten haben.<br />

2. Die Begründung, mit der das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des<br />

Mordes abgelehnt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.<br />

a) Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines beendeten Versuchs sind lückenhaft. Nach<br />

ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung eines unbeendeten vom beendeten Versuch <strong>und</strong> damit für<br />

die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein strafbefreiender Rücktritt gegeben ist, darauf an, ob der Täter nach der<br />

letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für<br />

möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227 f. mwN) oder er sich - namentlich nach besonders<br />

gefährlichen Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen<br />

seines Handelns macht (vgl. BGHSt 40, 304, 306; Fischer <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 24 Rn. 15 mwN). Das Landgericht ist<br />

davon ausgegangen, dass der Versuch nicht beendet gewesen sei, "da der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> der Zahl, Art <strong>und</strong><br />

Weise der Stiche <strong>und</strong> Verletzungen davon ausgehen musste <strong>und</strong> ausgegangen" sei, alles für die angestrebte Tötung<br />

seiner Ehefrau getan zu haben, als er von ihr abließ. Da er keine aktiven Rettungsbemühungen entfaltet habe, sei ein<br />

strafbefreiender Rücktritt nicht gegeben. Dies lässt die Auseinandersetzung mit wesentlichen festgestellten Umständen<br />

vermissen, die dafür sprechen konnten, dass der Angeklagte nach dem letzten Stich nicht mehr mit der tödlichen<br />

Folge seines Handelns rechnete. Aus Sicht des Angeklagten stand der Annahme einer Todesgefahr für die Geschä-<br />

5


digte entgegen, dass sie in der Lage war, das klingelnde Handy aus ihrer Jackentasche zu holen, es dem Angeklagten<br />

entgegenzuhalten <strong>und</strong> ihn darauf anzusprechen, dass ihre Fre<strong>und</strong>in wisse, dass er anwesend sei. Insoweit ist auch zu<br />

berücksichtigen, dass die Nebenklägerin die Schwere ihrer Verletzungen selbst zunächst nicht registrierte <strong>und</strong> sich -<br />

wenngleich nachdem der Angeklagte den Tatort bereits verlassen hatte - vom Spielplatz in Richtung ihres Wohnhauses<br />

begeben konnte. Schließlich stellte sich der Angeklagte noch am Tatabend der Polizei mit den Worten, er habe<br />

"eben seine Fre<strong>und</strong>in angestochen". Auch diese Formulierung konnte Rückschlüsse auf den Rücktrittshorizont des<br />

Angeklagten zulassen <strong>und</strong> war deshalb in die gebotene Gesamtwürdigung der für <strong>und</strong> gegen die Annahme eines<br />

beendeten Versuchs sprechenden Indizien einzustellen.<br />

b) Der Rechtsfehler bei der Abgrenzung von unbeendetem <strong>und</strong> beendetem Versuch würde den Bestand des Urteils<br />

allerdings nicht gefährden, wenn die vom Landgericht gegebene weitere Erwägung tragen würde, der Angeklagte<br />

habe bei Annahme eines unbeendeten Versuchs die Tatausführung jedenfalls nicht freiwillig aufgegeben. Die hierfür<br />

gegebene Begründung ist jedoch ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>gerichtshofs vor, wenn der Täter noch "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist <strong>und</strong> die Ausführung<br />

seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert,<br />

noch durch einen seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (vgl. BGHSt 35, 184). Dabei<br />

ist maßgebliche Beurteilungsgr<strong>und</strong>lage nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon; die<br />

äußeren Gegebenheiten sind allerdings insofern von Belang, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des<br />

Täters zulassen. Dass es der Angeklagte in diesem Sinne unter dem Eindruck eines äußeren Zwangs oder aus sonstigen<br />

innerlich als zwingend empf<strong>und</strong>enen Gründen unterlassen hat, weiter auf die Geschädigte einzustechen, ist bisher<br />

nicht ausreichend dargetan. Die Formulierung, der Angeklagte habe es für "besser" gehalten, "den Tatort zu<br />

verlassen" lässt besorgen, dass das Landgericht von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Die<br />

Tataufgabe kann zwar bei einem vom Angeklagten erkannten erhöhten Entdeckungsrisiko unfreiwillig sein. Dies<br />

setzt jedoch voraus, dass der Täter das Tatrisiko aufgr<strong>und</strong> neuer Umstände nicht mehr für vertretbar hält (BGH NStZ<br />

1993, 76; 279; NStZ-RR 2006, 168; Fischer <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 24 Rn. 19a, 23 mwN). Dass er es für besser hält, die<br />

Tat nicht mehr zu verwirklichen, reicht hierfür nicht aus <strong>und</strong> vermag einen freiwilligen Rücktritt nicht auszuschließen.<br />

Darüber hinaus bedarf es in derartigen Fällen genauer Darlegung der Umstände, aus denen sich die für den<br />

Täter nicht mehr hinnehmbare Steigerung des Risikos, alsbald gestellt zu werden, gefolgert wird (BGH NStZ 1992,<br />

536). Auch daran mangelt es bislang. Feststellungen zum insoweit maßgeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten,<br />

der sich bereits kurz nach der Tat der Polizei stellte, fehlen. Diese waren mit Rücksicht auf die objektive Sachlage,<br />

die u.a. durch eine Tatbegehung im öffentlichen Raum gekennzeichnet ist, auch nicht entbehrlich. Alleine aus der<br />

Bemerkung der Nebenklägerin, ihre Fre<strong>und</strong>in wisse, dass er da sei, ergab sich für den Angeklagten nicht ohne Weiteres,<br />

dass das Tatrisiko nunmehr unvertretbar hoch war. Insofern hätte das Landgericht im Einzelnen feststellen <strong>und</strong><br />

darlegen müssen, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls wie sich hierdurch aus seiner Sicht die Chancen, nach vollständiger Tatausführung<br />

zu entkommen, gegenüber der ursprünglichen Tatbegehung verschlechtert hatten.<br />

<strong>StGB</strong> § 27, 49 I BtMG § 29 Kein minder schweren Fall für eine Gehilfen<br />

BGH, Beschl. v. 30.03.2011 - 5 StR 12/11 - BeckRS 2011, 08172<br />

Entscheidend für Einordnung der Schuld eines Gehilfen ist das Gewicht seiner Beihilfehandlung,<br />

wenngleich die Schwere der Haupttat mit zu berücksichtigen ist. Ist die Haupttat nicht als minder<br />

schwerer Fall einzustufen, folgt hieraus nicht ohne weiteres, dass dies auch für die Tat des Gehilfen<br />

gilt.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 30. März 2011 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird<br />

das Urteil des Landgerichts Bremen vom 19. August 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.<br />

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Sache wird im Umfang<br />

der Aufhebung zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Seine dagegen gerichtete Revision erzielt in<br />

6


Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts den aus der Beschlussformel ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg;<br />

im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Schuldspruch hält aus den zutreffenden<br />

Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Hingegen hat das<br />

Rechtsmittel zum Strafausspruch Erfolg. Die Strafkammer ist bei der Bemessung der Strafe vom Regelstrafrahmen<br />

des § 30 Abs. 1 BtMG ausgegangen <strong>und</strong> hat diesen gemäß § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemildert. Die Annahme<br />

eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG hat sie maßgeblich mit der Begründung abgelehnt, dass „planvoll“<br />

eine „ungewöhnlich große Menge an Kokain“ eingeführt <strong>und</strong> dabei der spezifische Grenzwert der nicht geringen<br />

Menge für diese „Droge mit hohem Suchtpotential“ um mehr als das „15.000-fache überschritten“ worden ist<br />

(UA S. 30). Diese Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind in zweierlei Hinsicht rechtsfehlerhaft:<br />

1. Das Tatgericht hat damit bei der Versagung des minder schweren Falls maßgeblich an das vom Haupttäter verwirklichte<br />

Handlungs- <strong>und</strong> Erfolgsunrecht <strong>und</strong> mithin an das Gewicht der Haupttat angeknüpft. Entscheidend für<br />

Einordnung der Schuld eines Gehilfen ist allerdings das Gewicht seiner Beihilfehandlung, wenngleich die Schwere<br />

der Haupttat mit zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 1991 – 3 StR 244/91, BGHR <strong>StGB</strong> § 250<br />

Abs. 2 Gesamtbetrachtung 8; vom 14. März 2002 – 3 StR 26/02, vom 20. November 2001 – 4 StR 414/01 <strong>und</strong> vom<br />

19. März 2003 – 2 StR 530/02, NStZ-RR 2003, 264). Ist die Haupttat nicht als minder schwerer Fall einzustufen,<br />

folgt hieraus nicht ohne weiteres, dass dies auch für die Tat des Gehilfen gilt. Die hier für Art <strong>und</strong> Umfang der Gehilfenhandlung<br />

bestimmenden Umstände hat die Strafkammer ersichtlich nicht bedacht: Der Angeklagte sollte nach den<br />

Urteilsfeststellungen die Einfuhr von Betäubungsmitteln „als weiterer Übersetzer“ zwischen den daran Beteiligten<br />

unterstützen (UA S. 5). Er begleitete Mitglieder der Tätergruppe mehrfach von Belgien aus zu ihren Treffen in Bremerhaven<br />

<strong>und</strong> beteiligte sich in nur untergeordneter Weise an den geführten Gesprächen (UA S. 18). Darüber hinaus<br />

sagte der Angeklagte den übrigen Beteiligten auch zu, am 11. Dezember 2009 „im Auftrag des H. mit einem eigenen<br />

Wagen nach Bremerhaven zu fahren, um die zwei Taschen mit dem Kokain zu übernehmen <strong>und</strong> nach Belgien zu<br />

bringen, damit es dort gewinnbringend weiterverkauft werden kann“ (UA S. 10). Diese Umstände sowie die durchgehende<br />

polizeiliche Überwachung des Rauschmittelgeschäftes hätte die Strafkammer bereits bei der Strafrahmenbestimmung<br />

ausdrücklich in den Blick nehmen <strong>und</strong> in einer Gesamtschau würdigen müssen. Der Senat kann daher<br />

nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer auf diese Umstände erstreckten Prüfung einen minder schweren<br />

Fall nach § 30 Abs. 2 BtMG angenommen hätte.<br />

2. Überdies hat das Landgericht ersichtlich nicht bedacht, dass nach Ablehnung des minder schweren Falles auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände eine weitere Prüfung geboten ist, ob der<br />

mildere Sonderstrafrahmen auf Gr<strong>und</strong> gesetzlich vertypter Strafmilderungsgründe anzuwenden ist (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 27. April 2010 – 3 StR 106/10; Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 50 Rn. 4 mN). Erst wenn das Tatgericht auch<br />

unter Berücksichtigung dieser keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf es seiner konkreten Strafzumessung<br />

den – allein wegen des gesetzlich vertypten Milderungsgr<strong>und</strong>es gemilderten – Regelstrafrahmen zugr<strong>und</strong>e<br />

legen. Hier lag die Annahme eines minder schweren Falls wegen des vertypten Milderungsgr<strong>und</strong>es des § 27 Abs. 2<br />

<strong>StGB</strong> bereits für sich oder im Zusammenspiel mit den übrigen Milderungsgründen gerade mit Blick auf das Gewicht<br />

der aus den Urteilsgründen ersichtlichen Gehilfenhandlungen des Angeklagten nicht von vornherein fern. Das Versagen<br />

des milderen Sonderstrafrahmens des § 30 Abs. 2 BtMG verstand sich daher nicht etwa von selbst.<br />

3. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass einzelne Erwägungen des Landgerichts im Rahmen seiner konkreten<br />

Strafzumessung rechtlich bedenklich sind, soweit es insbesondere zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass<br />

dieser „die Tat nicht aus einer finanziellen Not heraus“ <strong>und</strong> nicht „zur Finanzierung seiner Drogensucht“ begangen<br />

hat; diese Erwägungen lassen besorgen, dass die Strafkammer in rechtsfehlerhafter Weise nicht gegebene Strafmilderungsgründe<br />

strafschärfend herangezogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34,<br />

345, 350). Das Gleiche gilt für Wendungen, die befürchten lassen, Prozessverhalten des Angeklagten, mit dem dieser<br />

– ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versuchte,<br />

könnte straferschwerend berücksichtigt worden sein (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung,<br />

4. Aufl., Rn. 378 f. mN).<br />

4. Der Strafausspruch hat daher aufgr<strong>und</strong> von Wertungsfehlern keinen Bestand. Die zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen<br />

konnten bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, weitergehende Feststellungen zu treffen, sofern<br />

sie den bisherigen nicht widerstreiten.<br />

7


<strong>StGB</strong> § 30 Abs. 2, §§ 52, 53 Verabredung mehrerer Verbrechen – Konkurrenzen bei jedem Täter<br />

gesondert<br />

BGH, Urt. v. 17.02.2011 - 3 StR 419/10 - BeckRS 2011, 06574<br />

LS: Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses richtet sich auch bei der Verabredung mehrerer<br />

Verbrechen für jeden Tatbeteiligten allein nach dessen Tathandlung(en) im Sinne des § 30 Abs. 2<br />

<strong>StGB</strong> <strong>und</strong> nicht danach, in welchem konkurrenzrechtlichen Verhältnis die verabredeten Taten im<br />

Falle ihrer Verwirklichung gestanden hätten.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Februar 2011 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. Juli 2010 wird<br />

a) die Strafverfolgung auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in den Fällen II. 2. a) bis c) der Urteilsgründe auf den<br />

Vorwurf der Verabredung der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

beschränkt;<br />

b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten jeweils der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen<br />

Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit Beihilfe zum Computerbetrug<br />

sowie der Verabredung der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in<br />

drei tateinheitlichen Fällen schuldig sind;<br />

c) das vorbezeichnete Urteil im gesamten Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen<br />

aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

in Tateinheit mit Ausspähen von Daten <strong>und</strong> Beihilfe zum Computerbetrug (Fall II. 1. der Urteilsgründe)<br />

sowie der versuchten gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in drei<br />

Fällen (Fälle II. 2. a) bis c) der Urteilsgründe) schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten B. eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> elf Monaten sowie gegen die Angeklagten N. <strong>und</strong> P. jeweils eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> sieben Monaten verhängt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten,<br />

mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen, haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang<br />

Erfolg; im Übrigen sind sie aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte B. in Rumänien Kontakt zu<br />

Personen, die arbeitsteilig sog. Skimming betrieben. Von diesen wurde er angesprochen, ob er <strong>und</strong> Bekannte bereit<br />

seien, für ein Entgelt in Deutschland an Geldautomaten Lesegeräte <strong>und</strong> Mobiltelefone mit Funkkameras anzubringen,<br />

zu kontrollieren sowie nach einiger Zeit wieder zu entfernen, um auf diese Weise illegal Daten von EC-Karten<br />

zu erlangen, die sodann auf leeren Kartenrohlingen (sog. White Plastics) abgespeichert werden sollten. Er ging mit<br />

den von ihm kontaktierten Angeklagten N. <strong>und</strong> P. auf das Angebot ein; alle drei lebten in wirtschaftlich bescheidenen<br />

Verhältnissen <strong>und</strong> wollten auf die ihnen angetragene Art Geld verdienen. Im Januar 2010 reisten die Angeklagten<br />

nach Deutschland <strong>und</strong> erhielten in Dortm<strong>und</strong> die zur Tatbegehung erforderliche Ausrüstung sowie die Adressen<br />

mehrerer Bankinstitute. Die ihnen zu einem <strong>Teil</strong> vorab gezahlte, im Übrigen versprochene Entlohnung hätte in ihrer<br />

Heimat für mehrere Monate zum Leben gereicht. Am frühen Morgen des 17. Januar 2010 montierte der Angeklagte<br />

B. die Skimming-Apparatur unter Mithilfe des Angeklagten N. an dem Geldautomaten einer Filiale der D. Bank AG<br />

in Duisburg; der Angeklagte P. blieb vor der Eingangstür <strong>und</strong> sicherte das Tun ab. Nachdem die Angeklagten den<br />

Geldautomaten einmal überprüft hatten, entfernten sie gegen Abend desselben Tages die angebrachten Geräte wieder.<br />

Mit Hilfe der auf diese Weise erlangten Daten wurden zumindest drei sog. White-Plastics für Maestro-Karten<br />

hergestellt; mit diesen hoben unbekannte Dritte an den beiden nächsten Tagen in Bukarest <strong>und</strong> Rom ca. 3.600 €<br />

Bargeld ab (Fall II. 1. der Urteilsgründe). In identischer Vorgehensweise manipulierten die Angeklagten am 19.<br />

Januar 2010 einen weiteren <strong>und</strong> am 23. Januar 2010 zwei weitere Geldautomaten. Die Manipulationen wurden jedoch<br />

jeweils entdeckt, bevor die Angeklagten die Daten erlangen <strong>und</strong> zur Herstellung der Falsifikate weitergeben<br />

konnten (Fälle II. 2. a) bis c) der Urteilsgründe).<br />

8


I. Die rechtliche Würdigung dieses Geschehens durch das Landgericht hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht in<br />

vollem Umfang stand.<br />

1. Entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts wird allerdings die Wertung der Strafkammer, die Angeklagten<br />

hätten sich im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen mittäterschaftlicher gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger Fälschung<br />

von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (§ 152a Abs. 1 Nr. 1, § 152b Abs. 1, 2 <strong>und</strong> 4, § 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) strafbar<br />

gemacht, von den Feststellungen getragen; diese belegen nicht lediglich jeweils eine Beihilfe zu dem genannten<br />

Delikt. Der Senat hat bislang in vergleichbaren Fällen die Annahme von Mittäterschaft durch die Tatgerichte gebilligt<br />

(vgl. etwa den insoweit nach § 349 Abs. 2 StPO ergangenen Beschluss vom 27. April 2010 - 3 StR 95/10). Dem<br />

widersprechende Entscheidungen der anderen Strafsenate des B<strong>und</strong>esgerichtshofs sind nicht ersichtlich. Der vorliegende<br />

Fall gibt keinen Anlass für eine andere Betrachtung; er weist auch keine Besonderheiten auf, die zu einem<br />

entgegenstehenden Ergebnis führen könnten. Im Einzelnen gilt:<br />

a) Mittäter nach § 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong> ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Beitrag derart in<br />

eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass dieser als <strong>Teil</strong> der Tätigkeit des anderen <strong>und</strong> umgekehrt dessen Tun als<br />

Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den<br />

gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche<br />

Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung <strong>und</strong> die Tatherrschaft<br />

oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein; Durchführung <strong>und</strong> Ausgang der Tat müssen somit zumindest<br />

aus der subjektiven Sicht des Tatbeteiligten maßgeblich auch von seinem Willen abhängen. Dabei deutet<br />

eine ganz untergeordnete Tätigkeit schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist (st. Rspr.; vgl. etwa<br />

BGH, Beschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447). Die Annahme von Mittäterschaft erfordert<br />

allerdings nicht in jedem Fall eine Mitwirkung am Kerngeschehen; sie kann vielmehr auch durch eine nicht<br />

ganz untergeordnete Beteiligung an Vorbereitungshandlungen begründet werden, sofern der Tatbeitrag sich nicht als<br />

bloße Förderung fremden Tuns, sondern als <strong>Teil</strong> der Tätigkeit aller darstellt (BGH, Urteile vom 26. April 1990 - 4<br />

StR 143/90, BGHR <strong>StGB</strong> § 25 Abs. 2 Tatherrschaft 4; vom 7. Mai 1996 - 1 StR 168/96, BGHR <strong>StGB</strong> § 25 Abs. 2<br />

Mittäter 26).<br />

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Annahme von Mittäterschaft durch das Landgericht nicht zu beanstanden.<br />

Das Landgericht hat die wesentlichen, für <strong>und</strong> gegen die Mittäterschaft sprechenden Gesichtspunkte erwogen <strong>und</strong><br />

ohne Rechtsfehler gewichtet. Dabei ist von Belang, dass die Angeklagten zwar an der unmittelbaren Verwertung der<br />

von ihnen beschafften Daten zur Herstellung der Kartendubletten nicht beteiligt waren. Ihre Mitwirkung beschränkte<br />

sich vielmehr auf das Ausspähen <strong>und</strong> Weiterleiten der Daten <strong>und</strong> damit auf Handlungen im Vorfeld der eigentlichen<br />

Tatbestandsverwirklichung. Mit diesen leisteten sie jedoch - eingeb<strong>und</strong>en in die Gesamtorganisation - einen besonders<br />

erheblichen objektiven Tatbeitrag; denn das Beschaffen der Daten war die unverzichtbare Voraussetzung für das<br />

weitere deliktische Vorgehen. Ohne die ausgespähten Daten hätten keine Dubletten hergestellt werden können. Anhaltspunkte<br />

dafür, dass die Beteiligten subjektiv den Beitrag der Angeklagten geringer einschätzten, lassen sich den<br />

Feststellungen nicht entnehmen. Nicht wesentlich für eine Beihilfe spricht auch, dass den Angeklagten - die in<br />

Deutschland nicht über nennenswerte Ortskenntnisse verfügten - die einzelnen Banken vorgegeben wurden. Ins Gewicht<br />

fällt vielmehr, dass sie vor Ort bezüglich des gesamten Ausspähens der Daten beim Einbau, der Kontrolle<br />

sowie dem Abbau der erforderlichen Geräte auf sich allein gestellt waren <strong>und</strong> damit über einen längeren Zeitraum<br />

jedenfalls teilweise durchaus komplexe, besondere Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten erfordernde Handlungen zu verrichten<br />

hatten, die zudem für sie mit einem im Vergleich zu den übrigen Beteiligten besonderen Entdeckungsrisiko verb<strong>und</strong>en<br />

waren. Auch das Tatinteresse der Angeklagten war hoch; denn der Umfang der ihnen zum <strong>Teil</strong> gezahlten <strong>und</strong><br />

im Übrigen versprochenen Entlohnung mag zwar nach herkömmlichen mitteleuropäischen Maßstäben eher gering<br />

erscheinen; das Entgelt hätte den Angeklagten jedoch in ihrer Heimat für mehrere Monate zum Leben genügt. Der<br />

Angeklagte P. , der die Bankfiliale nicht betrat, sondern den Tatort <strong>und</strong> das Umfeld von außen beobachtete, um die<br />

Angeklagten B. <strong>und</strong> N. erforderlichenfalls warnen zu können, handelte ebenfalls als Mittäter. Das Landgericht hat<br />

insoweit ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass der im Wege der Arbeitsteilung vorgenommene Tatbeitrag des<br />

Angeklagten P. als gewichtig einzuordnen ist. Die Absicherung durch ihn war eine wesentliche Voraussetzung dafür,<br />

dass die übrigen Angeklagten ihre längere Zeit in Anspruch nehmenden, aufgr<strong>und</strong> der Art der Tätigkeit sowie der<br />

räumlichen Situation mit einem hohen Risiko verb<strong>und</strong>enen Handlungen vornehmen konnten, ohne insbesondere<br />

beim Ein- <strong>und</strong> Ausbau der Apparatur jederzeit befürchten zu müssen, entdeckt zu werden. Der Angeklagte P. war<br />

nach der getroffenen Vereinbarung folgerichtig an der Entlohnung zu einem gleichen Anteil beteiligt wie die Angeklagten<br />

B. <strong>und</strong> N.; sein Interesse an der Tat war deshalb entsprechend hoch.<br />

2. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Ausspähens von Daten (§ 202a <strong>StGB</strong>) im Fall II. 1. der Urteilsgründe kann<br />

nicht bestehen bleiben. Nach der neueren Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs erfüllt das Auslesen der auf dem<br />

9


Magnetstreifen einer Zahlungskarte (EC-Karte) gespeicherten Daten mittels eines am Einzugslesegerät eines Geldautomaten<br />

angebrachten weiteren Lesegeräts nicht den Tatbestand des § 202a Abs. 1 <strong>StGB</strong> (BGH, Beschlüsse vom 14.<br />

Januar 2010 - 4 StR 93/09, NStZ 2010, 275; vom 6. Juli 2010 - 4 StR 555/09, BGHR <strong>StGB</strong> § 202a Ausspähen 1).<br />

Der Senat hat auf Anfrage des 4. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 18. März 2010 - 4 StR 555/09, NStZ 2010, 509)<br />

seine frühere entgegenstehende Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - 3 StR 425/04, NStZ 2005, 566)<br />

aufgegeben (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010 - 3 ARs 7/10).<br />

3. Die Feststellungen in den Fällen II. 2. a) bis c) der Urteilsgründe belegen lediglich die Verabredung der gewerbs-<br />

<strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in drei tateinheitlichen Fällen, nicht aber<br />

die versuchte Begehung des Delikts in drei Fällen; denn mit ihren jeweils gescheiterten Bemühungen, in den Besitz<br />

der Daten zu gelangen, setzten die Angeklagten noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands an.<br />

a) Ein derartiges unmittelbares Ansetzen liegt nur bei solchen Handlungen vor, die nach der Vorstellung des Täters<br />

in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen<br />

<strong>und</strong> zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum<br />

"Jetzt geht es los" überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf <strong>und</strong> er objektiv zur tatbestandsmäßigen<br />

Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes<br />

übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist (st. Rspr.;<br />

vgl. et-wa BGH, Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07, NStZ 2008, 409, 410).<br />

b) Danach ist das Stadium des Versuchs des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Nachmachens von Zahlungskarten mit<br />

Garantiefunktion erst dann erreicht, wenn der Täter vorsätzlich <strong>und</strong> in der tatbestandsmäßigen Absicht mit der Fälschungshandlung<br />

selbst beginnt. Das Anbringen einer Skimming-Apparatur an einem Geldautomaten in der Absicht,<br />

durch diese Daten zu erlangen, die später zur Herstellung von Kartendubletten verwendet werden sollen, stellt demgegenüber<br />

lediglich eine Vorbereitungshandlung zur Fälschung von Zahlungskarten dar (BGH, Urteil vom 13. Januar<br />

2010 - 2 StR 439/09, NJW 2010, 623; Beschluss vom 14. September 2010 - 5 StR 336/10, NJW-Spezial 2010,<br />

664).<br />

c) Diese könnte allenfalls durch § 152a Abs. 5, § 152b Abs. 5, § 149 <strong>StGB</strong> gesondert unter Strafe gestellt sein. Der<br />

Senat hat indes auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts den Vorwurf der Vorbereitung der Fälschung von Zahlungskarten,<br />

Schecks <strong>und</strong> Wechseln gemäß den § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen.<br />

Deshalb kann offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 149 Abs. 1 <strong>StGB</strong> tatsächlich vorliegen<br />

<strong>und</strong> ob der Rechtsprechung des 2. Strafsenats (BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 - 2 StR 439/09, NJW 2010, 623,<br />

624) <strong>und</strong> <strong>Teil</strong>en der Literatur (MünchKomm-<strong>StGB</strong> Erb, § 149 Rn. 10) gefolgt werden kann, wonach dieses Delikt<br />

gegenüber der Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2, § 152a Abs. 1 Nr. 1, § 152b Abs. 1, 2 <strong>und</strong> 4 <strong>StGB</strong> zurücktritt<br />

(vgl. etwa Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 30 Rn. 18 einerseits: Zurücktreten des § 30 gegenüber § 149; § 149 Rn. 12<br />

andererseits: Idealkonkurrenz möglich).<br />

d) Nach den Feststellungen haben die Angeklagten allerdings die Voraussetzungen der Verabredung der gewerbs-<br />

<strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion nach § 30 Abs. 2, § 152a Abs. 1 Nr. 1, §<br />

152b Abs. 1, 2 <strong>und</strong> 4 <strong>StGB</strong> verwirklicht, indem sie eine von ihrem ernstlichen Willen getragene Vereinbarung trafen,<br />

an der Verwirklichung bestimmter Verbrechen mittäterschaftlich mitzuwirken. Dabei liegt hier eine Verabredung der<br />

gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in drei tateinheitlichen Fällen<br />

vor; denn die Angeklagten haben nach den Feststellungen lediglich eine Verabredung getroffen, mithin nur eine<br />

Tathandlung begangen. Demgegenüber kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass diese Verabredung<br />

sich auf die Begehung mehrerer - im Falle ihrer Verwirklichung in Tatmehrheit stehender - Verbrechen bezog. Die<br />

Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen verschiedenen Straftaten richtet sich - auch bei der Mitwirkung<br />

mehrerer Tatbeteiligter - für jeden Beteiligten allein danach, welche Tathandlungen er im Hinblick auf die jeweilige<br />

Tat vorgenommen hat; dies gilt unabhängig davon, ob die einzelne Tat nur verabredet, versucht oder vollendet worden<br />

ist, <strong>und</strong> in welcher Form der jeweilige Tatbeteiligte an ihr mitgewirkt hat. So ist im Falle der Mittäterschaft der<br />

Umfang des Tatbeitrags bzw. der Tatbeiträge jedes Mittäters maßgeblich. Erbringt er im Vorfeld oder während des<br />

Laufs einer Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte seiner Tatgenossen gleichzeitig<br />

gefördert werden, so sind ihm die je gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen,<br />

da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 <strong>StGB</strong><br />

verknüpft werden (BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840, 2841; Beschlüsse vom 29.<br />

April 2008 - 4 StR 125/08, NStZ-RR 2008, 275; vom 19. August 2010 - 3 StR 221/10). Fördert der Gehilfe durch<br />

eine Beihilfehandlung mehrere rechtlich selbstständige Haupttaten eines oder mehrerer Haupttäter, so ist nur eine<br />

Beihilfe im Rechtssinne gegeben (BGH, Beschluss vom 4. März 2008 - 5 StR 594/07, NStZ-RR 2008, 168, 169).<br />

Auch bei der Anstiftung kommt es für die Frage der Konkurrenz auf die Einheitlichkeit der Handlung des Anstifters<br />

10


an; deshalb ist die Anstiftung mehrerer Personen zu jeweils selbstständigen Delikten als tateinheitlich zu werten,<br />

wenn sie durch dieselbe Handlung begangen wird (Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 26 Rn. 19). Es besteht kein Anlass,<br />

von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen bei der Verabredung von Verbrechen nach § 30 Abs. 2 <strong>StGB</strong> abzuweichen. Dadurch, dass<br />

die Angeklagten durch die in der Verabredung liegende einheitliche Handlung die Begehung mehrerer - nach den<br />

Feststellungen jedenfalls dreier - Verbrechen vereinbart haben, haben sie das Delikt nach § 30 Abs. 2 <strong>StGB</strong> in<br />

gleichartiger Idealkonkurrenz verwirklicht. Der Senat hat dies zur gebotenen Klarstellung in der Urteilsformel kenntlich<br />

gemacht (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 260 Rn. 26). Der Senat ist an dieser Entscheidung nicht durch die<br />

Rechtsprechung des 2. Strafsenats gehindert. Zwar soll sich nach dessen Ansicht bei der Verabredung von Verbrechen<br />

nach § 30 Abs. 2 <strong>StGB</strong> die Beurteilung der Konkurrenzen nach dem Verhältnis der vereinbarten <strong>und</strong> später zu<br />

begehenden Taten, hier demnach der Verbrechen der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten<br />

mit Garantiefunktion, richten (BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 - 2 StR 439/09, NJW 2010, 623, 624; zweifelnd<br />

Fischer aaO § 30 Rn. 16). Diese Rechtsauffassung trägt indes das genannte Urteil nicht; denn der 2. Strafsenat ist im<br />

konkreten Fall nach dem Gr<strong>und</strong>satz in dubio pro reo ebenfalls von einer tateinheitlichen Begehung der in Aussicht<br />

genommenen Verbrechen nach § 152b Abs. 2 <strong>StGB</strong> ausgegangen <strong>und</strong> damit zu demselben Ergebnis gelangt, das sich<br />

ergeben hätte, wenn er auf die Einheitlichkeit der Verabredung <strong>und</strong> damit der Tathandlung abgestellt hätte.<br />

II. Es ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht weitergehende Feststellungen treffen kann. Der Senat ändert<br />

deshalb den jeweiligen Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab. Dem steht § 265<br />

StPO nicht entgegen; die geständigen Angeklagten hätten sich gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer<br />

als geschehen verteidigen können.<br />

III. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Ausspähens von Daten im Fall II. 1. der Urteilsgründe sowie<br />

die Umstellung des Schuldspruchs in den Fällen II. 2. a) bis c) der Urteilsgründe bedingen die Aufhebung der<br />

Einzel- <strong>und</strong> der Gesamtstrafen. Die zum jeweiligen Strafausspruch rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden<br />

hiervon nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, insoweit<br />

ergänzende Feststellungen zu treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.<br />

<strong>StGB</strong> § 32 Keine Notwehr gegen Wegnahme in berechtigter Selbsthilfe<br />

BGH, Beschl. v. 05.04.2011 – 3 StR 66/11- BeckRS 2011, 09435<br />

Die Wegnahme einer Sache im Wege erlaubter Selbsthilfe ist rechtmäßig, sodass gegen sie kein<br />

Notwehrrecht besteht.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> der Beschwerdeführerin<br />

am 5. April 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision der Angeklagten wird das<br />

Urteil des Landgerichts Hannover vom 2. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu<br />

neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren<br />

verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das<br />

Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen ging die Angeklagte am frühen Morgen des 1. Juni 2009 gegen 6.30 Uhr zu Fuß in Richtung<br />

ihrer Wohnung <strong>und</strong> überholte dabei den angetrunkenen Zeugen K., von dem sie angesprochen wurde. Sie war<br />

wütend, reagierte gereizt <strong>und</strong> sagte dem Mann, er solle sie in Ruhe lassen. Es kam zwischen den Kontrahenten zu<br />

einem Wortwechsel mit gegenseitigen Beleidigungen. Als der Zeuge K. auf sie zutrat, zog die Angeklagte in der<br />

Annahme, sie werde geschlagen, ein Taschenmesser mit einer ca. 4,5 cm langen Klinge. Entgegen ihrer Erwartung<br />

bedrängte sie der Zeuge weiter. Es entwickelte sich ein Handgemenge, bei dem die Kopfhörer ihres MP3-Players<br />

zerstört wurden <strong>und</strong> K. eine überwiegend oberflächliche Schnittverletzung an der linken Unterarmseite erlitt. Anschließend<br />

nahm die Angeklagte das auf den Boden gefallene Mobiltelefon des Zeugen an sich <strong>und</strong> erklärte, sie<br />

werde dieses erst herausgeben, wenn dieser für die zerstörten Kopfhörer Schadensersatz leiste. Dann setzte sie ihren<br />

Weg nach Hause fort. Der Zeuge K. folgte der Angeklagten <strong>und</strong> verlangte von ihr immer wieder die Herausgabe<br />

seines Mobiltelefons. Die Angeklagte erwiderte, er bekomme es nur zurück, wenn er ihren Schaden ersetze. Beide<br />

Kontrahenten erwogen auch, zu einer nahe gelegenen Polizeistation zu gehen. Die Angeklagte drehte sich immer<br />

11


wieder um <strong>und</strong> zeigte K. das Messer, um ihn auf Abstand zu halten. Vor dem Haus, in dem sie wohnte, trat der Zeuge<br />

an sie heran <strong>und</strong> versuchte, ihr das Messer aus der Hand zu treten, um sein Mobiltelefon wieder an sich bringen zu<br />

können. Es entwickelte sich eine Auseinandersetzung, bei der der Zeuge der Angeklagten eine Verletzung im Gesicht<br />

zufügte. Diese stach schließlich mit dem Taschenmesser in die Brust des Zeugen, der eine potentiell lebensgefährliche<br />

Verletzung erlitt. Nach dem Stich warf die Angeklagte das Messer weg <strong>und</strong> lief, von dem Geschädigten<br />

verfolgt, in ihre Wohnung. Bei Begehung der Tat war sie wegen einer Mischintoxikation aus Alkohol (Blutalkoholkonzentration<br />

zur Tatzeit maximal 1,52 ‰) <strong>und</strong> Cannabis im Zusammenwirken mit akzentuierten Persönlichkeitszügen<br />

in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Das Landgericht hat einen bedingten Tötungsvorsatz sowie<br />

einen direkten Körperverletzungsvorsatz bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass die Angeklagte vom unbeendeten<br />

Versuch des Totschlags mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist.<br />

2. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2<br />

<strong>und</strong> 5 <strong>StGB</strong>) nicht. Das Landgericht hat nicht geprüft, ob der Messerstich durch Notwehr gerechtfertigt war oder die<br />

Angeklagte ohne Schuld handelte. Hierzu bestand nach dem festgestellten Sachverhalt indes Anlass. Im Einzelnen:<br />

a) Die Wegnahme des Mobiltelefons durch die Angeklagte kann möglicherweise durch Selbsthilfe gemäß § 229<br />

BGB (vgl. zu deren Voraussetzungen im Einzelnen Staudinger/Repgen, BGB, Neubearb. 2009, § 229 Rn. 10 ff., 17<br />

ff., 21 ff., 35 ff.; LK/Rönnau, <strong>StGB</strong>, 12. Aufl., vor § 32 Rn. 270 f.) gerechtfertigt gewesen sein. Danach handelt u.a.<br />

derjenige, der zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe<br />

nicht rechtzeitig zu erlangen ist <strong>und</strong> ohne sofortiges Einschreiten die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines<br />

Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Derjenige, dem ein Schaden zugefügt worden ist, kann gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

von einem unbekannten Schadensverursacher verlangen, zur eventuellen gerichtlichen Klärung des Schadensersatzanspruches<br />

die Personalien bekannt zu geben. Zur Sicherung dieses Anspruchs steht ihm unter den Voraussetzungen<br />

des § 229 BGB ein Festnahmerecht zu, wenn die Gefahr besteht, dass sich dieser der Feststellung<br />

seiner Personalien durch Flucht entziehen will. Um die Identifizierung eines fluchtverdächtigen Schuldners mit Namen<br />

<strong>und</strong> ladungsfähiger Anschrift zu ermöglichen <strong>und</strong> dadurch dessen Festnahme zu vermeiden, darf der Geschädigte<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich im Wege der Selbsthilfe eine dem Schuldner gehörende Sache wegnehmen (Staudinger/Repgen,<br />

aaO, § 229 Rn. 35 <strong>und</strong> § 230 Rn. 1; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 229 Rn. 12). Auf der Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen<br />

liegt es nahe, dass der Angeklagten objektiv ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den<br />

Zeugen K. zustand. Denn dieser war auf die Angeklagte losgegangen <strong>und</strong> hatte sie gegen ihren Willen in ein Handgemenge<br />

verwickelt, bei dem der Kopfhörer ihres MP3-Players zerstört wurde. Daraufhin nahm die Angeklagte das<br />

Mobiltelefon an sich, um - wie sich aus ihren Äußerungen ergibt - Schadensersatz zu erlangen. Sofortige obrigkeitliche<br />

Hilfe durch die Polizei war für sie jedenfalls zum Zeitpunkt der Wegnahme des Mobiltelefons nicht zu erreichen,<br />

weil die Gefahr bestand, dass sich der Zeuge alsbald entfernte <strong>und</strong> deshalb der Schadensersatzanspruch gegen ihn<br />

nicht durchgesetzt werden konnte.<br />

b) Sollte die Angeklagte das Mobiltelefon durch erlaubte Selbsthilfe (§ 229 BGB) an sich genommen haben, so<br />

könnte der von ihr gesetzte Messerstich möglicherweise durch Notwehr (§ 32 <strong>StGB</strong>) gerechtfertigt gewesen sein. Die<br />

Wegnahme einer Sache im Wege erlaubter Selbsthilfe ist rechtmäßig, sodass gegen sie kein Notwehrrecht besteht<br />

(Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 32 Rn. 22 mwN; Soergel/Wolf, aaO, § 229 Rn. 20, 24; Palandt/Ellenberger, BGB, 70.<br />

Aufl., § 229 Rn. 9). Insbesondere stellt sie sich - da das Gesetz die Wegnahme gestattet - nicht als verbotene Eigenmacht<br />

gemäß § 858 Abs. 1 BGB dar. Da im Falle erlaubter Selbsthilfe der Schuldner verpflichtet ist, die Selbsthilfehandlung<br />

hinzunehmen, könnte der Versuch des Zeugen K. , der Angeklagten das Mobiltelefon mit Gewalt wieder<br />

abzunehmen, ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff gewesen sein, gegen den sie sich im Rahmen des Erforderlichen<br />

<strong>und</strong> Gebotenen verteidigen durfte (HansOLG Hamburg, Urteil vom 14. April 1969 - 8 U 91/68, MDR 1969,<br />

759; Staudinger/Repgen, aaO, § 229 Rn. 36, 38; Soergel/Wolf, aaO, § 229 Rn. 20).<br />

c) Selbst wenn das Verhalten der Angeklagten nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sein sollte, könnte sie<br />

irrig von den tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrsituation ausgegangen sein (vgl. Fischer, aaO, § 32 Rn.<br />

50 f.), einem Verbotsirrtums (vgl. Fischer, aaO, § 32 Rn. 52) unterlegen sein oder wegen eines intensiven Notwehrexzesses<br />

(§ 33 <strong>StGB</strong>) ohne Schuld gehandelt haben.<br />

d) Ob eine der dargestellten Möglichkeiten vorliegend in Betracht kommt, kann der Senat anhand der bisherigen<br />

Feststellungen nicht beurteilen. Diese sind sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht lückenhaft, sodass<br />

ihm eine rechtliche Bewertung aufgr<strong>und</strong> einer gesicherten Tatsachengr<strong>und</strong>lage verwehrt ist. Die zunächst berechtigte<br />

Selbsthilfe könnte etwa objektiv dadurch unerlaubt geworden sein, dass die Angeklagte nicht unverzüglich zu der<br />

nahe gelegenen Polizeistation gegangen ist, um mit Hilfe der Polizei die Personalien des Zeugen K. festzustellen.<br />

Aus welchen Gründen sie davon abgesehen hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Da die Angeklagte<br />

12


den Einsatz des Messers gegen den unbewaffneten Zeugen zuvor mehrmals angedroht hatte, fehlt es jedenfalls nicht<br />

von vorneherein an der Erforderlichkeit der Verteidigung.<br />

3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat<br />

darauf hin, dass allein aus der Kenntnis des Täters von der Lebensgefährlichkeit einer Handlung nicht ohne Weiteres<br />

auf die billigende Inkaufnahme des Todes geschlossen werden kann. Vielmehr ist in Abgrenzung zur bewussten<br />

Fahrlässigkeit eine umfassende Würdigung aller objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatumstände erforderlich. Wegen der<br />

regelmäßig hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung sind vor allem auch die konkrete Angriffsweise <strong>und</strong> Tatsituation<br />

sowie die psychische Verfassung des Täters sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung einzubeziehen<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR <strong>StGB</strong> § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55;<br />

BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, BGHR <strong>StGB</strong> § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 62; Fischer, aaO, §<br />

212 Rn. 6, 7 ff. mwN).<br />

<strong>StGB</strong> § 34 Straftaten durch V-Personen des BND<br />

BGH, Beschl. v. 16.09.2010 - AK 12/10 - NStZ 2011, 153<br />

Strafbare Handlungen einer Person, die für eine Zusammenarbeit mit dem B<strong>und</strong>esnachrichtendienst<br />

angeworben <strong>und</strong> verpflichtet wurde, können allenfalls in entsprechender Anwendung der für<br />

verdeckte Ermittler i.S.d. § 110a StPO <strong>und</strong> verdeckt operierende Polizeibeamte geltenden Gr<strong>und</strong>sätze<br />

unter den engen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands nach § 34 <strong>StGB</strong> gerechtfertigt<br />

sein.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts sowie des Angeschuldigten<br />

<strong>und</strong> seiner Verteidiger am 16. September 2010 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen: Die Untersuchungshaft hat<br />

fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof findet in drei Monaten statt.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeschuldigte wurde aufgr<strong>und</strong> des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 18. Februar<br />

2010 (6 BGs 16/10) am 24. Februar 2010 festgenommen <strong>und</strong> befindet sich seit dem 25. Februar 2010 in Untersuchungshaft.<br />

1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich durch seine Tätigkeit als Führungsfunktionär<br />

der DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front)<br />

vom 5. November 2008 bis Ende März 2009 als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke<br />

<strong>und</strong> deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 <strong>StGB</strong>) oder Totschlag (§ 212 <strong>StGB</strong>) zu begehen, sowie am<br />

29. Januar <strong>und</strong> 5. Februar 2009 wiederholt einem Ausländer, der nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels<br />

ist, dazu Hilfe geleistet, dass er unerlaubt in das B<strong>und</strong>esgebiet einreist. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat unter dem 9.<br />

August 2010 Anklage gegen den Angeschuldigten zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Mit dieser wirft er<br />

dem Angeschuldigten vor, sich in der Zeit vom 7. Oktober 2002 bis zum 9. April 2009 als Mitglied an der DHKP-C<br />

beteiligt zu haben <strong>und</strong> am 4. <strong>und</strong> 5. Januar, am 29. Januar sowie am 5. Februar 2009 als Mitglied einer Bande, die<br />

sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verb<strong>und</strong>en hat, wiederholt einem Ausländer, der nicht im Besitz<br />

des erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dazu Hilfe geleistet zu haben, dass er unerlaubt in das B<strong>und</strong>esgebiet einreist.<br />

Das Oberlandesgericht hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten <strong>und</strong> zur Begründung ausgeführt,<br />

es halte den Angeschuldigten der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Über<br />

den Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, den bestehenden Haftbefehl aufzuheben <strong>und</strong> durch einen neuen Haftbefehl<br />

im Umfang der Anklage zu ersetzen, hat das Oberlandesgericht noch nicht entschieden. Die Voraussetzungen für die<br />

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen auf der - im Haftprüfungsverfahren nach den §§<br />

121 f. StPO maßgebenden - Gr<strong>und</strong>lage des Vorwurfs, der dem Angeschuldigten in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 18. Februar 2010 gemacht wird, vor.<br />

2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen<br />

auszugehen: Die marxistisch-leninistisch orientierte, hierarchisch <strong>und</strong> zentralistisch aufgebaute Gruppierung<br />

DHKP-C verfolgt das Ziel, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei<br />

herbeizuführen <strong>und</strong> dort eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Sie hat sich seit dem Jahre 1994 zu<br />

zahlreichen Brand- <strong>und</strong> Sprengstoffanschlägen bekannt, die u. a. gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Mit-<br />

13


glieder türkischer Justizbehörden <strong>und</strong> der türkischen Armee gerichtet waren. Hinsichtlich der diesbezüglichen Einzelheiten<br />

wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs Bezug genommen.<br />

Die DHKP-C ist auch außerhalb der Türkei, vor allem in Westeuropa, aktiv. Hier bestehen Organisationseinheiten,<br />

die von Parteifunktionären oder -komitees geleitet werden. Die Aufgabe dieser sog. Rückfront ist es insbesondere,<br />

finanzielle Mittel zu beschaffen <strong>und</strong> auf diese Weise die Begehung der terroristischen Anschläge in der<br />

Türkei zu unterstützen. Daneben werden in Europa Kämpfer rekrutiert; zudem wird für deren Ausstattung gesorgt<br />

sowie ein Rückzugsraum für Mitglieder der Organisation geschaffen. Der Angeschuldigte arbeitete als professioneller<br />

Kader für die Vereinigung. Als Nachfolger der am 5. November 2008 festgenommenen E. übernahm er vorübergehend<br />

deren Aufgaben <strong>und</strong> war als Deutschland-verantwortlicher tätig. In dieser Funktion koordinierte er die Aktivitäten<br />

der Organisation in Deutschland. Er war vor allem auch in die Beschaffung von Geldern eingeb<strong>und</strong>en. U. a.<br />

leitete er am 30. Januar 2009 ein Treffen verschiedener DHKP-C-Gebietsverantwortlicher in Köln, bei dem wesentliche<br />

Einzelheiten zur "Spendenkampagne" besprochen wurden. Bis Ende März 2009 arbeitete er den neuen<br />

Deutschlandverantwortlichen, den gesondert Verfolgten Ö., in dessen Aufgaben ein <strong>und</strong> unterstützte ihn.<br />

3. Der dringende Verdacht, dass der Angeschuldigte sich als Mitglied an der DHKP-C beteiligt hat, ergibt sich insbesondere<br />

aus seiner Einlassung sowie Erkenntnissen, die im Rahmen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, etwa der<br />

Überwachung der Telekommunikation, gewonnen wurden. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf den<br />

Inhalt der Anklageschrift Bezug.<br />

4. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte nach den § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> strafbar gemacht hat. Dabei kann hier dahinstehen, ob - was allerdings nahe liegt (vgl. etwa auch die<br />

uneingeschränkte Listung der DHKP-C als terroristische Vereinigung in den Ratsbeschlüssen 2002/460/EG vom 17.<br />

Juni 2002 <strong>und</strong> zuletzt vom 28. Juni 2007 - 2007/445/EG - zur Durchführung von Art. 2 Abs. 3 der VO (EG)<br />

2580/2001 vom 27. Dezember 2001) - vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die DHKP-C materiell-rechtlich insgesamt als ausländische<br />

terroristische Vereinigung anzusehen ist, oder ob - wie der Haftbefehl annimmt - sich lediglich innerhalb<br />

dieser Organisation eine terroristische Vereinigung gebildet hat, der neben bestimmten Funktionären <strong>und</strong> den mit der<br />

Ausführung der Anschläge betrauten Kadern in der Türkei jedenfalls auch solche Kader als Mitglieder angehören,<br />

die im europäischen Ausland in herausgehobenen Funktionen für die DHKP-C tätig sind <strong>und</strong> denen es obliegt, u. a.<br />

durch Spendensammlungen die für den bewaffneten Kampf erforderlichen finanziellen Mittel zu beschaffen (vgl.<br />

schon BGH, Beschluss vom 29. Mai 2009 - AK 8-10/09). Denn nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen<br />

gehörte der Angeschuldigte als Deutschlandverantwortlicher diesem engeren Funktionärskreis an. Die erforderliche<br />

Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener <strong>und</strong> künftiger Taten in Deutschland, "die im Zusammenhang<br />

mit der terroristischen Vereinigung stehen, die sich innerhalb des Führungskaders der DHKP-C unter<br />

der Führung von Dursun KARATAS in der Türkei gebildet hat", hat das B<strong>und</strong>esministerium der Justiz am 29. Juli<br />

2003 erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 <strong>und</strong> 4 <strong>StGB</strong>). Dieser Zusammenhang ist hinsichtlich der dem Angeschuldigten zur<br />

Last gelegten Taten unabhängig davon gegeben, wie der Umfang der Vereinigung materiell-rechtlich zu bestimmen<br />

ist. Der Strafbarkeit des Angeschuldigten steht nicht entgegen, dass er nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen<br />

seit spätestens Anfang des Jahres 2003 für eine Zusammenarbeit mit dem B<strong>und</strong>esnachrichtendienst angeworben <strong>und</strong><br />

verpflichtet wurde. Der Angeschuldigte hat auch vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die tatbestandlichen Voraussetzungen der<br />

§§ 129b, 129a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> erfüllt. Sein Handeln könnte allenfalls in entsprechender Anwendung der für verdeckte<br />

Ermittler i.S.d. § 110a StPO <strong>und</strong> verdeckt operierende Polizeibeamte geltenden Gr<strong>und</strong>sätze unter den engen<br />

Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands nach § 34 <strong>StGB</strong> gerechtfertigt sein (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., §<br />

129 Rn. 37 mwN). Hierfür bestehen jedoch aufgr<strong>und</strong> der bisherigen Einlassung des Angeschuldigten <strong>und</strong> der sonstigen<br />

Ermittlungsergebnisse keine Anhaltspunkte.<br />

5. Da der Angeschuldigte der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§<br />

129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b <strong>StGB</strong>) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgr<strong>und</strong> der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3<br />

StPO) vor. Es ist aufgr<strong>und</strong> der in dem Haftbefehl näher dargelegten Umstände auch bei Berücksichtigung seiner<br />

langjährigen Mitarbeit beim B<strong>und</strong>esnachrichtendienst nicht auszuschließen, dass er sich, in Freiheit belassen, dem<br />

Verfahren entziehen wird. Mit Blick insbesondere auf die Kontakte, die der Angeschuldigte als lang-jähriges hochrangiges<br />

Mitglied einer international agierenden ausländischen terroristischen Vereinigung zu knüpfen in der Lage<br />

war, vermögen weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht die Erwartung zu begründen,<br />

dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann.<br />

6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs.<br />

1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit <strong>und</strong> der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch<br />

nicht zugelassen <strong>und</strong> rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen<br />

gebotenen Beschleunigung geführt worden. Seit der Festnahme des Angeschuldigten wurden zahlreiche Ermitt-<br />

14


lungsmaßnahmen durchgeführt. U. a. wurde der Angeschuldigte an insgesamt neun Terminen vernommen. Trotz des<br />

großen Umfangs der Ermittlungen ist die Anklage bereits erhoben worden.<br />

7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Angeschuldigten in dem Haftbefehl erhobenen<br />

Tatvorwürfen derzeit noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Umstand, dass der Angeklagte<br />

über einen langen Zeitraum als nachrichtendienstliche Quelle tätig war, darf jedoch im weiteren Verlauf des Verfahrens<br />

nicht aus dem Blick geraten. Dabei wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass dem Angeklagten gegebenenfalls<br />

kein Nachteil daraus erwachsen darf, dass der B<strong>und</strong>esnachrichtendienst über die Behördenerklärung vom 14. Juli<br />

2010 hinaus keine weiteren Angaben zu der Tätigkeit des Angeschuldigten machen <strong>und</strong> insbesondere die Führungsperson<br />

des Angeschuldigten als Zeuge im hiesigen Strafverfahren nicht zur Verfügung stehen wird (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 4. März 2004 - 3 StR 218/03, BGHSt 49, 112). Der Einfluss des B<strong>und</strong>esnachrichtendienstes auf die Mitwirkung<br />

des Angeschuldigten in der DHKP-C wird sich gegebenenfalls - abhängig von der Art <strong>und</strong> Intensität - zu Gunsten<br />

des Angeschuldigten bei der Strafzumessung auszuwirken haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. November<br />

1999 - 3 StR 435/99, BGHR <strong>StGB</strong> § 46 Abs. 1 V-Mann 13; Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt<br />

45, 321; Beschluss vom 2. Dezember 1999 - 3 StR 479/99, NStZ 2000, 207; Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01,<br />

BGHSt 47, 44). Mit Blick auf die nach derzeitigem Ermittlungsstand infolge des Einflusses des B<strong>und</strong>esnachrichtendienstes<br />

auf das strafbare Verhalten des Angeschuldigten reduzierte Straferwartung <strong>und</strong> dem im Vergleich zur Anklageschrift<br />

deutlich geringeren Tatvorwurf in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs wird<br />

das Oberlandesgericht indes zeitnah über die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt beantragte Erweiterung des Haftbefehls zu<br />

befinden haben.<br />

<strong>StGB</strong> § 46 a, § 211 Mordmerkmale Heimtücke <strong>und</strong> Habgier, kein TOA bei Verteidigung ohne Respekt<br />

vor dem Opfer<br />

BGH, Beschl. v. 25.08.2010 – 1 StR 393/10 - BeckRS 2010, 23039<br />

Auch § 46a <strong>StGB</strong> verlangt, dass der Angeklagte die Rolle des Geschädigten (insbesondere eines Sexual-<br />

oder, hier, Gewaltdelikts) als Opfer respektiert. Verteidigt er sich dagegen mit dem (unzutreffenden)<br />

Hinweis auf Fehlverhalten des Geschädigten, kommt eine Strafmilderung im Blick auf einen<br />

Täter-Opfer-Ausgleich auch dann nicht in Betracht, wenn zugleich Zahlungen erfolgen oder<br />

angeboten werden.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 25. August 2010 beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 1. März 2010 wird als unbegründet<br />

verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren<br />

entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen heimtückischen Mordversuchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu<br />

Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Die Strafkammer hat Folgendes rechtsfehlerfrei festgestellt: Kurz nach dem Erwerb verkaufte der Angeklagte<br />

einen einer Bank sicherungsübereigneten Pkw, die auch den Kfz-Brief hatte. Im Vertrauen auf die Angabe des Angeklagten,<br />

er sei Eigentümer, leistete der Käufer eine Anzahlung. Mit dem ebenso falschen Vorbringen, dort sei der<br />

Kfz-Brief, lockte ihn der Angeklagte in seine Wohnung, wo er scheinbar den Kfz-Brief suchte. Der Käufer schaute<br />

selbst einen Ordner durch, in dem der Kfz-Brief angeblich sein könnte. Dabei versetzte der Angeklagte ihm, vorgefasster<br />

Absicht gemäß, in Tötungsabsicht Messerstiche in den Bereich von Hals <strong>und</strong> Oberkörper, weil er weder den<br />

Pkw noch die Anzahlung herausgeben wollte. „Nicht ausschließbar“ wollte sich der voll schuldfähige Angeklagte<br />

daneben auch wegen seiner „Zukunftsängste“ des Käufers „entledigen“, wenn sich dies auch sowenig wie ein etwaiges<br />

„Rangverhältnis“ dieser Motive feststellen ließ. Es kam zu einem Kampf, wobei der Käufer sich des Messers<br />

bemächtigen konnte <strong>und</strong> damit dem Angeklagten mehrere Stiche in den Bereich der Beine versetzte; der Angeklagte<br />

seinerseits zerschlug auf dem Kopf des Käufers eine Porzellanfigur. Zuletzt konnte der dank glücklicher Zufälle<br />

nicht lebensgefährlich verletzte Käufer fliehen.<br />

2. Die Revision meint, das Mordmerkmal Heimtücke erfordere eine besonders verwerfliche, tückische Gesinnung,<br />

nicht nur die hier allein festgestellte Ausnutzung eines Überraschungseffekts. Der Senat teilt schon die tatsächliche<br />

Bewertung der Feststellungen nicht. Der Angeklagte hat nicht nur ausgenutzt, dass der Käufer ihm die Lüge glaubte,<br />

15


der Kfz-Brief könne in dem Ordner sein, sondern er hat den Käufer zunächst betrogen <strong>und</strong> dann planmäßig in Tötungsabsicht<br />

in die Wohnung gelockt. Dies geht weit über bloßes Ausnutzen eines Überraschungseffektes hinaus.<br />

Unabhängig von diesen Umständen des Einzelfalles teilt der Senat aber auch den rechtlichen Ansatz der Revision<br />

nicht. Regelmäßig erfordert Heimtücke nicht, dass sich im bewussten Ausnutzen der Arg- <strong>und</strong> Wehrlosigkeit noch<br />

eine besondere Tücke <strong>und</strong> Verschlagenheit, ein verwerflicher Vertrauensbruch, zeigt (vgl. schon BGHSt 11,<br />

13a, 144 f.; BGHSt 30, 105, 115 f.; vgl. auch eingehend Schneider in MK § 211 Rn. 152 ff., 159 mwN). Von<br />

besonderen, hier offenbar nicht in Betracht kommenden Fallgestaltungen abgesehen, bei denen die Ausnutzung der<br />

Arg- <strong>und</strong> Wehrlosigkeit nicht notwendig zur Annahme von Heimtücke führt (vgl. z.B. BGHSt 30, 105, 119; Fischer,<br />

<strong>StGB</strong>, 57. Aufl. § 211 Rn. 48 jew. mwN), kann daher schon allein die Ausnutzung eines Überraschungseffekts die<br />

Annahme von Heimtücke tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 10).<br />

3. Die Strafkammer hat weder Habgier - möglicherweise wegen des nicht festzustellenden etwaigen Rangverhältnisses<br />

zwischen Bereicherungsabsicht <strong>und</strong> ebenfalls nicht konkret feststellbarer etwaiger Zukunftsängste - noch das<br />

nicht fern liegende weitere Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht geprüft. Der Schuldspruch wäre hiervon unberührt<br />

geblieben, hinsichtlich des Strafausspruchs kann sich dies nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt<br />

haben.<br />

4. Auch im Übrigen ist der Strafausspruch ohne den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler.<br />

a) Die Strafkammer hält im Gr<strong>und</strong>satz einen minder schweren Fall des (hier: versuchten) Mordes nach Maßgabe des<br />

§ 213 <strong>StGB</strong> nicht für ausgeschlossen, lehnt dies aber hier aus einzelfallbezogenen Gründen ab. Die hieran anknüpfenden<br />

Erwägungen zur Tragfähigkeit der so begründeten Ablehnung eines minder schweren Falles gehen schon im<br />

Ansatz ins Leere. § 213 <strong>StGB</strong> ist bei Mord nicht anwendbar (BGHSt 30, 105, 118, 120; Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl. §<br />

211 Rn. 99).<br />

b) Der Angeklagte hat sich hinsichtlich des Geschehensverlaufs im Einzelnen unterschiedlich, im Kern aber insoweit<br />

stets gleich bleibend damit verteidigt, im Ausgangspunkt habe nicht er den Käufer mit einem Messer attackiert, sondern<br />

dieser ihn. Ohne diese Behauptung aufzugeben, ließ der Angeklagte gegen Ende der Hauptverhandlung Schadensersatz<br />

<strong>und</strong> Schmerzensgeld anbieten, allerdings zu Konditionen, die der Käufer, der zunächst nur 1.000 € ausbezahlt<br />

bekommen sollte, nachvollziehbar ablehnte. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage ist strafmildernd berücksichtigt, dass der<br />

Angeklagte letztlich eine „Bereitschaft zur zivil-rechtlichen Verantwortungsübernahme … signalisiert“ habe. Dieser<br />

Gesichtspunkt sei jedoch dadurch relativiert, dass der Angeklagte dem Käufer nach wie vor zu Unrecht die Rolle des<br />

Aggressors zuweise. Hiergegen wendet die Revision ein, die Verteidigung des Angeklagten habe die Grenzen des<br />

Zulässigen nicht überschritten. Hieraus dürften ihm keine nachteiligen Konsequenzen erwachsen, auch nicht in Form<br />

der Relativierung einer strafmildernden Erwägung. Der Senat sieht keinen Rechtsfehler. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann auch ein<br />

Versuch, mit dem Opfer zu einem Ausgleich zu gelangen, Rückschlüsse auf die innere Haltung des Täters zulassen<br />

<strong>und</strong> sich strafmildernd auswirken (Theune in LK 12. Aufl. § 46 Rn. 214), auch wenn er an fehlender Einigung über<br />

die Durchführungsmodalitäten gescheitert ist. Die Auffassung, bei der konkreten Gewichtung dieses Versuchs sei es<br />

aus Rechtsgründen bedeutungslos, ob der Angeklagte zugleich sein Fehlverhalten uneingeschränkt einräumt oder ob<br />

er dem Geschädigten zu Unrecht die Schuld, zumindest ein erhebliches Mitverschulden, an dem Geschehen zuschiebt,<br />

trifft nicht zu. Dies folgt aus den Gr<strong>und</strong>sätzen zum Täter-Opfer-Ausgleich. Auch § 46a <strong>StGB</strong> verlangt, dass<br />

der Angeklagte die Rolle des Geschädigten (insbesondere eines Sexual- oder, hier, Gewaltdelikts) als Opfer respektiert.<br />

Verteidigt er sich dagegen mit dem (unzutreffenden) Hinweis auf Fehlverhalten des Geschädigten, kommt eine<br />

Strafmilderung im Blick auf einen Täter-Opfer-Ausgleich auch dann nicht in Betracht, wenn zugleich Zahlungen<br />

erfolgen oder angeboten werden (vgl. BGHSt 48, 134, 141 f.). Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Maßstäbe ist es daher<br />

hier nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer bei der Bewertung des Angebots des Angeklagten an den Geschädigten<br />

sein sonstiges Verteidigungsverhalten nicht aus dem Blick verloren hat.<br />

c) Auch sonst ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, die durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet sind.<br />

16


<strong>StGB</strong> § 46 Abs. 3 Doppelverwertung von Gewinnstreben bei Btm-Handeltreiben<br />

BGH, Beschl. v. 10.02.2011 - 3 StR 498/10 - BeckRS 2011, 06582<br />

Die strafschärfende Berücksichtigung des beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln stets erforderlichen<br />

Gewinnstrebens stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3<br />

<strong>StGB</strong> dar.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu 3. auf dessen Antrag - am 10. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 30. September 2010 im Strafausspruch<br />

aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner<br />

auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen<br />

Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

a) Das Landgericht hat als Strafrahmenuntergrenze des minder schweren Falles gemäß § 30a Abs. 3 BtMG eine<br />

Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe angenommen; indes beträgt die Strafuntergrenze nach dieser Vorschrift<br />

sechs Monate.<br />

b) Weiter hat die Kammer rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, er habe seine Tat als "willkommene<br />

Einkommensquelle" gesehen, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Diese strafschärfende Berücksichtigung<br />

des beim Handeltreiben stets erforderlichen Gewinnstrebens stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot<br />

des § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> dar (Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 46 Rn. 78 mwN). Ein besonders verwerfliches,<br />

den Rahmen des Tatbestandsmäßigen deutlich übersteigendes Gewinnstreben ist nicht festgestellt.<br />

2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Bemessung der Strafe ausgewirkt<br />

haben. Eine Entscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO vermag er nicht zu treffen. Der Strafausspruch unterliegt<br />

daher der Aufhebung. Da es sich um reine Wertungsfehler handelt, können die zugehörigen Feststellungen<br />

bestehen bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende zumessungsrelevante Feststellungen treffen, sofern sie nicht<br />

in Widerspruch zu den bisherigen treten.<br />

<strong>StGB</strong> § 46 b Kronzeuge verspätete Offenbarung (Präklusion)<br />

BGH, Beschl. v. 03.12.2010 – 1 StR 538/10 - BeckRS 2010, 30898<br />

Maßgeblich für die Präklusion offenbarten Wissens i.S.v. § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> ist der Zeitpunkt, zu<br />

dem der Eröffnungsbeschluss erlassen wird, nicht derjenige, zu dem der Angeklagte - z.B. durch<br />

Zustellung des Beschlusses - Kenntnis von der Eröffnung des Hauptverfahrens erlangt.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 3. Dezember 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 28. Mai 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§<br />

349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat<br />

zur Rüge, das Landgericht habe die Strafe zu Unrecht nicht gemäß § 46b Abs. 1, § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemildert: Eine<br />

Milderung war hier gemäß § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> ausgeschlossen, weil der Angeklagte sein Wissen erst offenbarte,<br />

nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 StPO) gegen ihn bereits beschlossen war. Maßgeblich für die<br />

Präklusion offenbarten Wissens i.S.v. § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> ist der Zeitpunkt, zu dem der Eröffnungsbeschluss erlassen<br />

wird, nicht derjenige, zu dem der Angeklagte - z.B. durch Zustellung des Beschlusses (vgl. § 215 StPO) - Kenntnis<br />

17


von der Eröffnung des Hauptverfahrens erlangt. Denn mit der Regelung des § 46b <strong>StGB</strong> soll dem Gericht ermöglicht<br />

werden, ermittlungsrelevante Angaben noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen<br />

zu lassen <strong>und</strong> die Akten gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzusenden.<br />

Nach Eröffnung des Hauptverfahrens <strong>und</strong> der damit regelmäßig einhergehenden Terminierung der Hauptverhandlung<br />

<strong>und</strong> Ladung der Zeugen sowie der übrigen Prozessbeteiligten besteht für das Gericht nicht selten eine<br />

nur noch eingeschränkte Möglichkeit, vom Angeklagten erhobene Behauptungen auf deren Wahrheitsgehalt ohne<br />

wesentliche Verzögerung des Hauptverfahrens zu überprüfen (BT-Drucks. 16/6268 S. 14).<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Fehlen strafmildernder Umstände sind keine Schärfungsgründe<br />

BGH, Beschl. v. 23.03.2011 - 2 StR 35/11 - BeckRS 2011, 08336<br />

Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse<br />

oder eine Suchterkrankung können strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt<br />

allerdings nicht, dies strafschärfend zu berücksichtigen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 8. Dezember 2010 im Ausspruch<br />

über die Einzelstrafe im Fall 1 <strong>und</strong> über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 22. Februar 2010 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

sowie wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong><br />

drei Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 10. Juni 2010 den<br />

Schuldspruch im Fall 1 dahingehend geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Handeltreiben von Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln schuldig ist, <strong>und</strong> außerdem<br />

den Strafausspruch im Fall 1 <strong>und</strong> im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben <strong>und</strong> insoweit an das Landgericht<br />

zurückverwiesen. Nunmehr hat die Kammer den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong><br />

einem Monat verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.<br />

Das Landgericht hat hinsichtlich des Strafausspruchs im Fall 1 das Vorliegen eines minderschweren Falles nach §<br />

29a Abs. 2 BtMG geprüft <strong>und</strong> verneint. Es hat dabei wie auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung, bei der auf<br />

die Ausführungen zur Ablehnung des minderschweren Falles ausdrücklich Bezug genommen ist, zu Lasten des Angeklagten<br />

eingestellt, dass er weder aufgr<strong>und</strong> seiner Betäubungsmittelabhängigkeit noch aus finanzieller Not oder<br />

sonst einer schwierigen Lebenslage gehandelt habe <strong>und</strong> er das Ansinnen seines Fre<strong>und</strong>es hinsichtlich der Mithilfe bei<br />

dessen Drogengeschäften ohne große Mühe hätte ablehnen können. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

Die Strafkammer durfte weder das Fehlen einer besonderen Notlage noch den Umstand, dass er die Mithilfe bei den<br />

Drogengeschäften ohne große Mühe hätte ablehnen können, zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen. Nachvollziehbare,<br />

verständliche Motive für eine Tatbegehung wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder eine Suchterkrankung<br />

können strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt allerdings nicht, dies strafschärfend zu<br />

berücksichtigen. Dass der Angeklagte die Tatbeteiligung mit guten Gründen hätte zurückweisen können, stellt -<br />

worauf der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zu Recht hinweist - letztlich die Verwertung des Umstands dar, dass die Tat überhaupt<br />

begangen wurde. Dies ist aber ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> (vgl.<br />

Fischer, <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 46 Rn. 76). Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs, da es sich nicht<br />

ausschließen lässt, dass das Landgericht ohne Berücksichtigung dieser Umstände zu einer geringeren Einzelstrafe<br />

<strong>und</strong> auch zu einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre.<br />

18


<strong>StGB</strong> § 46 Mutter des Täters gleicher Beruf wie Opfer kein Strafschärfungsgr<strong>und</strong><br />

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 – 4 StR 471/10 - NStZ-RR 2011, 5<br />

Aus dem Umstand, dass die Mutter des Angeklagten den gleichen Beruf ausübt wie das Tatopfer<br />

ergeben sich keine gesteigerten Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 28. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht<br />

Recklinghausen vom 30. April 2010, soweit es den Angeklagten betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen eines nach den Feststellungen am 10. November 2008 gemeinsam mit<br />

dem Mitangeklagten begangenen Überfalls auf eine Taxifahrerin der versuchten schweren räuberischen Erpressung<br />

schuldig gesprochen <strong>und</strong> ihn zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet<br />

sich die auf eine Verfahrensbeanstandung <strong>und</strong> die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel<br />

hat mit der Sachbeschwerde den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg; im Übrigen ist es unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Strafausspruch hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Jugendkammer<br />

hat bei der Bemessung der verhängten Freiheitsstrafe innerhalb des nach § 23 Abs. 2 <strong>StGB</strong> i.V.m. § 49 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> gemilderten Strafrahmens des § 250 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass "seine eigene<br />

Mutter Taxifahrerin ist <strong>und</strong> die Tat insoweit als besonders verwerflich erscheint". Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft,<br />

weil sich aus dem Umstand, dass die Mutter des Angeklagten den gleichen Beruf ausübt wie das Tatopfer, keine<br />

gesteigerten Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut ergeben (vgl. MünchKomm<strong>StGB</strong>/Franke § 46 Rn.<br />

32). Die berufliche Stellung der Mutter wirkt sich daher auf das Maß der der Tat des Angeklagten innewohnenden<br />

Pflichtwidrigkeit nicht aus. Auch unter dem Gesichtspunkt der aus der Tat sprechenden Gesinnung kommt diesem<br />

Umstand keine die Tatschuld steigernde Bedeutung zu. Der Senat vermag nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass<br />

die rechtlich unzutreffende Wertung die Bemessung der Freiheitsstrafe durch die Jugendkammer zum Nachteil des<br />

Angeklagten beeinflusst hat. Der Strafausspruch bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Prüfung <strong>und</strong> Entscheidung.<br />

Die von dem Wertungsfehler nicht betroffenen tatsächlichen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende,<br />

zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen durch den neuen Tatrichter sind möglich. Da das<br />

Verfahren sich nur noch gegen den erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache gemäß § 354<br />

Abs. 2 Satz 1 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (BGH, Urteil vom 28. April 1988 - 4<br />

StR 33/88, BGHSt 35, 267).<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Strafzumessung - Rechtstreues Leben nach der Tat<br />

BGH, Urt. v. 13.07.2010 – 1 StR 277/10 - BeckRS 2010, 18801<br />

Vergleichbar dem Umstand, dass ein Täter bislang unbestraft war, kann sich auch der Tat nachfolgendes<br />

"bloßes gesetzeskonformes Verhalten" als Rückkehr zur Rechtstreue strafmildernd auswirken.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 5. Februar 2010 wird verworfen.<br />

Die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die durch dieses dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt<br />

die Staatskasse.<br />

Gründe:<br />

1. a) Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 19. Februar 2009 wegen sexuellen Missbrauchs von<br />

Schutzbefohlenen in 38 Fällen - davon in 37 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern <strong>und</strong> in<br />

einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung - (Fälle II. 1. bis 3. der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlicher<br />

19


Körperverletzung (Fall II. 4. der Urteilsgründe; acht Monate Freiheitsstrafe) <strong>und</strong> Körperverletzung (Fall II. 5. der<br />

Urteilsgründe; drei Monate Freiheitsstrafe) zu einer zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt <strong>und</strong> deren Vollstreckung<br />

zur Bewährung ausgesetzt. Auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch<br />

beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat dieses Urteil im Ausspruch über die für die zu<br />

II. 1. bis 3. der Urteilsgründe festgestellten Taten verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> die Gesamtstrafe - unter Aufrechterhaltung<br />

der zugehörigen Feststellungen - aufgehoben, die weitergehende Revision verworfen <strong>und</strong> die Sache im Umfang<br />

der Aufhebung zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen (Urt. vom 27.<br />

Oktober 2009 - 1 StR 343/09).<br />

b) Nach den somit bestandskräftigen Feststellungen beging der Angeklagte im Zeitraum von März 2002 bis Juli 2004<br />

folgende 38 Sexualdelikte zum Nachteil seiner am 26. Juli 1990 geborenen Stieftochter M.: In 24 Fällen (II. 1. der<br />

Urteilsgründe) berührte er unter M. s Bekleidung deren Schamlippen, ohne mit dem Finger in die Vagina einzudringen.<br />

Dabei masturbierte er meistens, kam häufig zum Samenerguss <strong>und</strong> ejakulierte auf den Rücken- oder Gesäßbereich<br />

seiner wie er selbst bekleideten Stieftochter. In 13 Fällen (II. 2. der Urteilsgründe) legte er sich auf M., die<br />

ihrerseits entweder auf dem Bauch oder auf dem Rücken lag, wobei beide zumindest noch mit einer Unterhose bzw.<br />

Boxershorts bekleidet waren. Sodann rieb er seinen Penis an der Scheide oder dem Gesäß des Mädchens bis zum<br />

Samenerguss. Als M. kurz nach ihrem 14. Geburtstag erstmals die Annäherung des Angeklagten ablehnte <strong>und</strong> aufzustehen<br />

versuchte, drückte dieser ihren Oberkörper auf das Bett, hielt sie an den Schultern fest <strong>und</strong> führte wiederum<br />

beischlafähnliche Bewegungen oberhalb der Kleidung bis zum Samenerguss aus, obwohl das Mädchen sich dem<br />

widersetzte (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Im Januar 2007 sowie am 26. Juli 2007 beging der Angeklagte zudem<br />

zwei Körperverletzungen ebenfalls zum Nachteil seiner Stieftochter (II. 4. <strong>und</strong> 5. der Urteilsgründe).<br />

c) Auf der Basis dieser bestandskräftigen sowie ergänzender Feststellungen hat das Landgericht nunmehr Einzelstrafen<br />

in derselben Höhe wie im Urteil vom 19. Februar 2009 verhängt (jeweils vier Monate Freiheitsstrafe für die 24<br />

Fälle zu II. 1. der Urteilsgründe, jeweils sieben Monate Freiheitsstrafe für die 13 Fälle zu II. 2. der Urteilsgründe<br />

sowie ein Jahr Freiheitsstrafe für die tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen begangene sexuelle<br />

Nötigung [II. 3. der Urteilsgründe]). Hieraus sowie aus den beiden rechtskräftigen Strafen wegen der Körperverletzungsdelikte<br />

hat es wiederum eine zweijährige Gesamtfreiheitsstrafe gebildet <strong>und</strong> deren Vollstreckung zur<br />

Bewährung ausgesetzt. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte<br />

Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

2. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, das Landgericht habe bei seiner Strafzumessung rechtsfehlerhafte<br />

tat- <strong>und</strong> täterbezogene Erwägungen angestellt <strong>und</strong> die Sexualdelikte infolgedessen zu Unrecht als minder<br />

schwere Fälle bewertet; ferner habe es die gebildete Gesamtstrafe <strong>und</strong> die Entscheidung, die Vollstreckung dieser<br />

Strafe zur Bewährung auszusetzen, unzureichend begründet.<br />

3. a) Die Strafzumessung ist gr<strong>und</strong>sätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Gr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung<br />

die wesentlichen ent- <strong>und</strong> belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten <strong>und</strong> gegeneinander abzuwägen.<br />

Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich<br />

fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung,<br />

gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten<br />

Spielraums liegt (BGHSt 34, 343, 349; 29, 319, 320).<br />

b) An diesen Gr<strong>und</strong>sätzen gemessen, deckt die Revision keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht<br />

hat seine Rechtsfolgenentscheidung aufgr<strong>und</strong> einer sorgfältigen Gesamtabwägung der insoweit maßgeblichen Umstände<br />

getroffen <strong>und</strong> hierbei nicht zuletzt den vom Senat in seinem ersten Urteil in dieser Sache dargelegten rechtlichen<br />

Bedenken hinreichend Rechnung getragen.<br />

aa) Insbesondere unterliegt die Wahl des Strafrahmens für die 38 Sexualstraftaten keinen rechtlichen Einwänden.<br />

Das Landgericht ist von zutreffenden Maßstäben ausgegangen. Bei seiner Abwägung hat es die gegen den Angeklagten<br />

sprechenden Gesichtspunkte - namentlich die Vielzahl der Fälle, den langen Tatzeitraum, den besonderen Vertrauensbruch<br />

sowie das Gewicht der sexuellen Handlungen - hinreichend berücksichtigt <strong>und</strong> dabei auch die beim<br />

Opfer aufgetretenen negativen Tatfolgen (seit Sommer 2009 „heftige Wut- <strong>und</strong> Ekelgefühle gegenüber dem Angeklagten<br />

sowie starke Stimmungsschwankungen“, so dass die Durchführung einer psychotherapeutischen Behandlung<br />

angestrebt ist) ausdrücklich in die Bewertung einbezogen. Es stellt entgegen der Ansicht der Revision keinen Wertungsfehler<br />

dar, wenn es diese Folgen als „jedenfalls nicht außergewöhnlich schwer“ eingestuft hat. Im Hinblick<br />

darauf schließt der Senat aus, dass sich die unter Hinweis auf § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> vom Landgericht rechtlich unzutreffend<br />

geäußerte Auffassung, durch derartige Taten typischerweise eintretende seelische Schäden gehörten bereits zum<br />

gesetzlichen Tatbestand, bei der durchgeführten Gesamtwürdigung ausgewirkt hat. Das Landgericht hat zudem den<br />

Umstand, dass die Geschädigte bei der Begehung der Taten elf Jahre <strong>und</strong> älter gewesen ist, nicht für sich genommen<br />

20


strafmildernd berücksichtigt, ihn vielmehr ersichtlich bei der Gewichtung der sexuellen Handlungen neben anderen<br />

mit herangezogen. Dies begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Insgesamt war es dem Landgericht danach<br />

<strong>und</strong> angesichts der zahlreichen für den Angeklagten sprechenden Umstände (z.B. keine Vorstrafen bei Begehung der<br />

Sexualstraftaten, eigene psychotherapeutische Behandlung, Taten liegen fünfeinhalb bis acht Jahre zurück) aus<br />

Rechtsgründen nicht verwehrt, „gerade noch“ die Strafrahmen für minder schwere Fälle zugr<strong>und</strong>ezulegen, die im<br />

Tatzeitraum jeweils gesetzlich vorgesehen waren (§§ 176 Abs. 1, 177 Abs. 5 <strong>StGB</strong>). In seine Abwägung durfte das<br />

Landgericht das umfassende Geständnis einfließen lassen, dem eigenständiges Gewicht zukam, auch wenn es durch<br />

eine Erklärung des Verteidigers abgelegt wurde. Das Beenden der Tatserie, nachdem sich die Geschädigte dem Angeklagten<br />

erstmals widersetzt hatte, durfte ebenfalls zu dessen Gunsten gewertet werden. Vergleichbar dem Umstand,<br />

dass ein Täter bislang unbestraft war, kann sich entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts auch der Tat<br />

nachfolgendes „bloßes gesetzeskonformes Verhalten“ als Rückkehr zur Rechtstreue strafmildernd auswirken.<br />

bb) Auch die Gesamtstrafe ist ohne Rechtsfehler gebildet worden. Soweit die Revision erhöhte Begründungsanforderungen<br />

daraus herleiten möchte, „dass sich die Gesamtstrafenhöhe der unteren Grenze des rechtlich Zulässigen nähert“,<br />

überzeugt dies nicht. Denn die verhängte zweijährige Strafe ist nahezu doppelt so hoch wie die durch Erhöhung<br />

der einjährigen Einsatzstrafe (§ 54 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong>) um eine Einheit - also gemäß § 39 <strong>StGB</strong> um einen<br />

Monat - mindestmögliche Gesamtstrafe. Bestimmende Strafumstände hat das Landgericht bei seiner Abwägung nicht<br />

außer Acht gelassen.<br />

cc) Der Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Gesamtstrafe zur Bewährung auszusetzen, liegt ebenfalls<br />

kein Rechtsfehler zugr<strong>und</strong>e <strong>und</strong> ist daher vom Senat hinzunehmen. Das Landgericht hat dem Angeklagten im<br />

Hinblick auf dessen persönliche Entwicklung <strong>und</strong> den erheblichen Zeitablauf seit der Begehung der Taten nachvollziehbar<br />

eine positive Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) gestellt. Zur Begründung der besonderen Umstände (§<br />

56 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) durfte es auf die Gesichtspunkte Bezug nehmen, die es zur Annahme minder schwerer Fälle i.S.d.<br />

Gesetzes bewogen haben. Insofern gilt, dass auch eine Vielzahl allgemeiner Milderungsgründe den Voraussetzungen<br />

des § 56 Abs. 2 <strong>StGB</strong> genügen kann. Dies hat das Landgericht vorliegend vertretbar bejaht.<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Strafzumessung beim Gehilfen aus eigenem Antrieb<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.2011 – 2 StR 577/10 - BeckRS 2011, 03858<br />

Eine Tatbegehung aus eigenem Antrieb ist das Regelbild der Beihilfe; dieser Umstand darf daher<br />

nicht zu Lasten des Gehilfen straferhöhend gewertet werden.<br />

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 15. Juni 2010 im Strafausspruch<br />

aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch<br />

über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende<br />

Revision wird als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum schweren Raub unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus<br />

dem Strafbefehl des Amtsgerichts Sondershausen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die dagegen<br />

gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung im Strafausspruch; im Übrigen ist das<br />

Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines minderschweren Falls gemäß § 250 Abs. 3<br />

<strong>StGB</strong> abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zu Lasten der Angeklagten<br />

berücksichtigt, dass sie "aus eigenem Antrieb" gehandelt habe <strong>und</strong> nicht etwa durch den nicht revidierenden Haupttäter<br />

zur Beihilfe veranlasst worden sei. Dies stellt einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46<br />

Abs. 3 <strong>StGB</strong> dar. Eine Tatbegehung aus eigenem Antrieb ist das Regelbild der Beihilfe; dieser Umstand darf daher<br />

nicht zu Lasten des Gehilfen straferhöhend gewertet werden. Auch die im Rahmen der Gesamtwürdigung <strong>und</strong> zu<br />

Lasten der Angeklagten erfolgte Wertung, schon das Handeln des Haupttäters sei nicht als minderschwerer Fall einzuordnen,<br />

stellt sich als rechtsfehlerhaft dar. Bei der Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falls des Beihilfedelikts<br />

darf zwar auch das Gewicht der Haupttat mitberücksichtigt werden (BGHR <strong>StGB</strong> § 250 Abs. 2 Beihilfe 1,<br />

BGHR <strong>StGB</strong> vor § 1 minderschwerer Fall Gehilfe 2), nicht aber, ob sich das Handeln des Haupttäters insgesamt als<br />

minderschwerer Fall darstellt, weil insoweit nicht nur die die Tat betreffenden, sondern auch allein die die Person des<br />

21


Haupttäters betreffenden Umstände im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung Berücksichtigung finden müssen.<br />

2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der verhängten Einzelstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten <strong>und</strong> zur<br />

Aufhebung im Gesamtstrafenausspruch. Zwar hat das Landgericht den nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemilderten<br />

Strafrahmen des § 250 Abs. 2 <strong>StGB</strong> (zwei bis elf Jahre <strong>und</strong> drei Monate) zugr<strong>und</strong>e gelegt. Doch schon der gemilderte<br />

Strafrahmen des § 250 Abs. 3 <strong>StGB</strong> (ein Jahr bis zehn Jahre) wäre für die Angeklagte günstiger, wobei auch<br />

nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei zutreffender Gesamtwürdigung der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 <strong>StGB</strong><br />

wegen des - zur Begründung des minderschweren Falles womöglich nicht benötigten - vertypten Strafmilderungsgr<strong>und</strong>es<br />

noch einmal herabgesetzt worden wäre. Der Senat kann daher schon nicht sicher ausschließen, dass der<br />

Tatrichter unter Zugr<strong>und</strong>elegung eines anderen Strafrahmens zu einer niedrigeren Einzelfreiheitsstrafe <strong>und</strong> zu einer<br />

insgesamt niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre. Hinzu kommt, dass die Strafkammer auch bei der Strafzumessung<br />

im engeren Sinne die vorgenannten Umstände wiederum strafschärfend berücksichtigt hat. Da die dem<br />

Strafausspruch zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen rechts-fehlerfrei getroffen sind, hat der Senat sie aufrechterhalten.<br />

Der zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung berufene Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen. Frau<br />

VRinBGH Rissing-van Saan Fischer Appl ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert.<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Strafzumessung, Vergleich mit anderen Fällen<br />

BGH, Beschl v. 11.08.2010 – 2 StR 318/10 - StV 2010, 677<br />

Zwar kann gr<strong>und</strong>sätzlich die Revision nicht auf einen Vergleich der Strafzumessung verschiedener<br />

Täter gestützt werden; das gilt aber nicht, wenn offenk<strong>und</strong>ige Widersprüche vorliegen oder es an<br />

einer Begründung für eine abweichende Zumessung ganz fehlt <strong>und</strong> eine solche auch nicht aus den<br />

sonstigen Urteilsfeststellungen erschlossen werden kann.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 11. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 2010, soweit<br />

es ihn betrifft, im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 1 der Urteilsgründe <strong>und</strong> über die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt; hierbei wurde auf<br />

Einzelstrafen von drei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten im Fall 1 <strong>und</strong> von zwei Jahren im Fall 2 der Urteilsgründe erkannt.<br />

Den Mitangeklagten D. hat das Landgericht wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit<br />

mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall 1 der Urteilsgründe) zur<br />

Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verurteilt; hierbei hat es die tateinheitliche Verwirklichung von<br />

zwei Tatbeständen strafschärfend gewertet (UA S. 11).<br />

2. Die Strafzumessung im Fall 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Festgestellt ist insoweit,<br />

dass der Mitangeklagte D. auf Geheiß von Hintermännern 481 g Heroinzubereitung aus der Schweiz nach Deutschland<br />

einführte <strong>und</strong> in Frankfurt an P. übergab, der als Empfangsbote anderer unbekannter Hintermänner handelte <strong>und</strong><br />

in dessen Auftrag den Kaufpreis an D. aushändigte. Beide Angeklagte hat das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht als<br />

Täter, sondern nur als Gehilfe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angesehen. Unter<br />

diesen konkreten Umständen fehlt es an einer hinreichenden Begründung für die Verhängung genau gleicher Freiheitsstrafen<br />

für beide Angeklagte im Fall 1. Aus den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen ergibt sich<br />

nichts, was für eine Differenzierung sprechen könnte; auch das Maß der Unterstützung der unbekannten Haupttäter<br />

ist beim Angeklagten P. - nach den Feststellungen des Landgerichts - nicht erkennbar höher als beim Mitangeklagten<br />

D.. Die Strafzumessungserwägungen hinsichtlich beider Angeklagter stimmen nahezu wörtlich überein; es ist nichts<br />

dafür ersichtlich, was die Beihilfehandlung des Angeklagten P. gegenüber derjenigen von D. hervorheben könnte. Da<br />

22


ei diesem aber zutreffend die täterschaftliche Verwirklichung des Verbrechenstatbestands nach § 30 Abs. 1 Nr. 4<br />

BtMG strafschärfend gewertet wurde, die bei P. gerade nicht vorliegt, hätte es für die Verhängung der gleich hohen<br />

Strafe trotz Fehlens dieses Erschwerungsgr<strong>und</strong>es einer nachvollziehbaren Begründung bedurft. Zwar kann gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

die Revision nicht auf einen Vergleich der Strafzumessung verschiedener Täter gestützt werden; das gilt aber<br />

nicht, wenn offenk<strong>und</strong>ige Widersprüche vorliegen oder es an einer Begründung für eine abweichende Zumessung<br />

ganz fehlt <strong>und</strong> eine solche auch nicht aus den sonstigen Urteilsfeststellungen erschlossen werden kann. So liegt es<br />

hier. Die Einzelstrafe im Fall 1 <strong>und</strong> die Gesamtfreiheitsstrafe müssen daher neu zugemessen werden.<br />

<strong>StGB</strong> § 46, BtmG § 29 Strafzumessung bei polizeilich gesteuerten BtmG-Delikten<br />

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 - 3 StR 28/11 - BeckRS 2011, 06568<br />

Wird das beabsichtigte Betäubungsmittelgeschäft maßgeblich von der Polizei initiiert, vorangetrieben<br />

<strong>und</strong> überwacht, so verringert sich das Gewicht, das Art <strong>und</strong> Menge des Rauschgifts als Strafzumessungsfaktoren<br />

zukommt.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts -<br />

zu 2. auf dessen Antrag - am 1. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Oktober 2010 im Strafausspruch<br />

aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung<br />

wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen beanstanden<br />

die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben zum Strafausspruch Erfolg; zum<br />

Schuldspruch sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der jeweilige Strafausspruch hält sachlichrechtlicher<br />

Nachprüfung nicht stand; denn das Landgericht hat bei beiden Angeklagten rechtsfehlerhaft einen minder<br />

schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG verneint <strong>und</strong> die Strafe stattdessen aus dem nach § 27 Abs. 2 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> § 31<br />

BtMG, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong>, zweifach gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG<br />

entnommen. Im Einzelnen:<br />

1. Die Entscheidung, ob der Strafrahmen eines minder schweren Falles Anwendung finden kann, ist auf Gr<strong>und</strong> einer<br />

Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat <strong>und</strong> Täter in Betracht kommenden Umstände danach zu treffen, ob<br />

das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente <strong>und</strong> der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der<br />

erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens<br />

nicht mehr angemessen ist. Es ist Sache des Tatgerichts, die Erschwerungs- <strong>und</strong> Milderungsgründe auf<br />

diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen; denn das Tatgericht ist am ehesten in der<br />

Lage, sich auf Gr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat <strong>und</strong> Täter zu verschaffen. Seine<br />

Wertung ist deshalb in der Revisionsinstanz nur begrenzt nachprüfbar. Das Revisionsgericht kann daher - wie bei der<br />

Strafhöhenbemessung - nur eingreifen, wenn die durch das Tatgericht vorgenommene Beurteilung Rechtsfehler<br />

erkennen lässt, etwa weil die maßgeblichen Erwägungen rechtlich anerkannten Strafzumessungsgr<strong>und</strong>sätzen zuwider<br />

laufen, in sich widersprüchlich oder in dem Sinne lückenhaft sind, dass naheliegende, sich aufdrängende Gesichtspunkte<br />

nicht erkennbar bedacht sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91, NStZ 1991,<br />

529).<br />

2. Auch bei Anlegung dieses begrenzten Prüfungsmaßstabs begegnet die Wertung des Landgerichts durchgreifenden<br />

Bedenken.<br />

a) Die Strafkammer hat ausweislich der Urteilsgründe bei der Strafrahmenwahl eine Vielzahl - jedenfalls teilweise -<br />

gewichtiger Strafmilderungsgründe aufgezählt, darunter etwa die folgenden: Beide Angeklagte waren bereits zu<br />

einem frühen Zeitpunkt geständig <strong>und</strong> haben ihre Angaben in der Hauptverhandlung noch vertieft; dadurch haben sie<br />

die Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme entbehrlich gemacht. Sie sind nicht (G. ) bzw. nicht einschlägig<br />

(S. ) vorbestraft <strong>und</strong> begingen die Tat aufgr<strong>und</strong> finanzieller Schwierigkeiten. Wegen ihrer Verurteilung<br />

droht ihnen die Abschiebung. Das von den Angeklagten geförderte Drogengeschäft wurde durch verdeckte Ermittler<br />

23


der Polizei provoziert, vorangetrieben <strong>und</strong> in der Folge auch polizeilich überwacht. Da es sich bei den vermeintlichen<br />

Käufern um verdeckte Ermittler handelte, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, dass die Drogen selbst im<br />

Falle der Durchführung des Geschäfts in den Handel kommen konnten. Unabhängig hiervon kam es jedoch nicht<br />

einmal zu einer Übergabe des Rauschgifts. Das Geschäft scheiterte vielmehr schon früher; die Angeklagten stellten<br />

ihre Förderungsbemühungen zu einem bestimmten Zeitpunkt ein. Die Qualität der Drogen war vergleichsweise<br />

schlecht. Zu Gunsten des Angeklagten G. hat die Strafkammer weiter eine Erkrankung berücksichtigt; bei dem Angeklagten<br />

S. hat sie als Milderungsgr<strong>und</strong> angeführt, er habe in erheblichem Umfang Untersuchungshaft verbüßt, was<br />

ihn besonders hart getroffen habe. Hinzu kommen für beide Angeklagte jeweils zwei vertypte Milderungsgründe,<br />

namentlich die Beihilfe nach § 27 <strong>StGB</strong> sowie die Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG. Erschwerend hat das Landgericht<br />

lediglich angeführt, es sei bei dem Drogengeschäft um die gefährliche Droge Heroin gegangen <strong>und</strong> die nicht<br />

geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 BtMG sei um mehr als das 1.600-fache überschritten worden. Dabei sei<br />

nicht zu verkennen, dass beide Angeklagten hinsichtlich des Wirkstoffgehalts <strong>und</strong> der Angeklagte S. bezüglich der<br />

Art der Droge nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt hätten.<br />

b) Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage besorgt der Senat, dass die Strafkammer keine wirkliche Abwägung aller relevanten Umstände<br />

vorgenommen, sondern sich bei der Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft allein an Art <strong>und</strong> Menge der<br />

Betäubungsmittel orientiert hat. Denn die Ausführungen des Landgerichts zur Strafrahmenwahl erschöpfen sich in<br />

einer Aufzählung <strong>und</strong> Gegenüberstellung der angeführten Zumessungstatsachen, ohne dass - was hier im Hinblick<br />

auf Anzahl <strong>und</strong> Gewicht der mildernden Gesichtspunkte unerlässlich war - dargelegt wird, aus welchen Gründen<br />

trotz dieser, die Annahme eines minder schweren Falles nahelegenden Umstände die Heranziehung des Normalstrafrahmens<br />

des § 29a Abs. 1 BtMG angemessen ist. Der Senat verkennt nicht, dass bei unerlaubtem Betäubungsmittelhandel<br />

Art <strong>und</strong> Menge des Rauschgifts regelmäßig den Unrechtsgehalt der Tat wesentlich prägen <strong>und</strong> als bestimmende<br />

Gründe in die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts einzustellen sind. Gleichwohl verlieren die allgemeinen<br />

Gr<strong>und</strong>sätze der Strafzumessung nach den §§ 46 ff. <strong>StGB</strong> im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität nicht<br />

ihre Bedeutung. Danach ist auch bei Rauschgiftgeschäften die Strafe jedes von mehreren Tatbeteiligten vor allem<br />

nach dem Maß seiner individuellen Schuld zuzumessen; maßgeblich für die Bemessung der Strafe eines Gehilfen ist<br />

das im Gewicht seines Tatbeitrages zum Ausdruck kommende Maß seiner Schuld, wenn auch unter Berücksichtigung<br />

des ihm zurechenbaren Umfangs <strong>und</strong> der Folgen der Haupttat (BGH, Beschluss vom 14. März 2002 - 3 StR<br />

26/02). Eine reine "Mengenrechtsprechung" wäre mit diesen Gr<strong>und</strong>sätzen nicht zu vereinbaren. Im vorliegenden Fall<br />

kommt hinzu, dass das beabsichtigte Betäubungsmittelgeschäft maßgeblich von der Polizei initiiert, vorangetrieben<br />

<strong>und</strong> überwacht wurde. Die verdeckten Ermittler hatten auch Art <strong>und</strong> Menge des Rauschgifts vorgegeben; dadurch<br />

verringert sich das Gewicht dieser Umstände als den Angeklagten nachteilige Strafzumessungsfaktoren.<br />

3. Der jeweilige Strafausspruch beruht auf dem aufgezeigten Rechtsmangel. Der Strafrahmen des § 29a Abs. 2<br />

BtMG ist geringer als der zweifach nach § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemilderte Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG; die<br />

konkret verhängten Strafen sind die Höchststrafen des rechtsfehlerhaft abgelehnten minder schweren Falles nach §<br />

29a Abs. 2 BtMG.<br />

4. Die Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben.<br />

Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.<br />

24


<strong>StGB</strong> § 46a Vage Versprechungen sind noch kein TOA<br />

BGH, Beschl. v. 11.10.2010 - 1 StR 359/10 - BeckRS 2011, 07180<br />

1. Ein Geldzufluss bei einem Geschädigten, der mit Mitteln erreicht wird, die das Gesetz einem<br />

Gläubiger zur Durchsetzung seiner freiwillig vom Schuldner nicht erfüllten Ansprüche zur Verfügung<br />

stellt, können selbst dann keine Gr<strong>und</strong>lage für eine Strafrahmenmilderung gemäß § 46a <strong>StGB</strong><br />

für den Schuldner sein, wenn der zu Gr<strong>und</strong>e liegende Titel ein Schuldanerkenntnis ist.<br />

2. Vage Versprechungen für eine ferne Zukunft oder eine mögliche zwangsweise Realisierung von<br />

Schadensersatzansprüchen sind keine tragfähige Gr<strong>und</strong>lage einer Strafrahmenmilderung gemäß §<br />

46a <strong>StGB</strong>.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 11. Oktober 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts München I vom 12. Januar 2010 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die<br />

Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte hat seiner Arbeitgeberin, einer Versicherung, durch 54 Fälle gewerbsmäßiger Untreue (§§ 266 Abs.<br />

1, 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong>) einen später teilweise wieder ausgeglichenen Gesamtschaden von über 530.000<br />

€ zugefügt. Nach Verständigung (§ 257c StPO) wurde er auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten zu drei Jahren<br />

Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision ist auf überwiegend mit der Verständigung zusammenhängende<br />

Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützt. Zum Strafausspruch ist näher ausgeführt, die Strafkammer habe zu Unrecht<br />

§ 46a <strong>StGB</strong> nicht geprüft <strong>und</strong> entgegen § 244 Abs. 2 StPO eine gebotene Beweiserhebung unterlassen.<br />

Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

I. Zur Verständigung:<br />

1. Gestützt auf das Hauptverhandlungsprotokoll weist die Revision darauf hin, dass nur eine Gesamtstrafe „von nicht<br />

mehr als drei Jahren“ zugesichert, aber keine Mindeststrafe genannt ist. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass bei<br />

Mitteilung eines möglichen Verfahrensergebnisses (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) stets ein Strafrahmen, also Strafober<strong>und</strong><br />

Strafuntergrenze, anzugeben ist (vgl. näher BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2010 - 1 StR 347/10 mwN). Letztlich<br />

kann diese unter-schiedlich beurteilte Frage (vgl. BGH aaO mwN) aber offen bleiben; es ist nicht ersichtlich,<br />

wie sich ein (etwaiger) Verfahrensfehler hier zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH<br />

aaO mwN). Insbesondere teilt der Senat nicht die Besorgnis, wegen der nicht genannten Strafuntergrenze könne sich<br />

die Strafkammer auf eine nicht zulässige „Punktstrafe“ (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10<br />

mwN, NStZ 2010, 650) festgelegt haben.<br />

2. Mit dem Hinweis, das Hauptverhandlungsprotokoll ergebe entgegen § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO nicht, ob eine<br />

Verständigung zustande gekommen sei, ist nicht prozessordnungswidriges Geschehen behauptet, sondern nur, dass<br />

das Protokoll nicht den Anforderungen des § 273 Abs. 1a StPO genüge (vgl. Schlothauer/Weider StV 2009, 600,<br />

604; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 273 Rn. 12a f.). Eine „Protokollrüge“ ist unbehelflich, ein Urteil kann nicht<br />

auf dem Protokoll beruhen (vgl. Wiedner in Graf, StPO § 344 Rn. 46, Meyer-Goßner, aaO Rn. 36 jew. mwN).<br />

3. Im Urteil heißt es, eine Verständigung sei vorausgegangen, dem Angeklagten sei eine Gesamtstrafe von nicht<br />

mehr als drei Jahren zugesichert worden. Der Hinweis der Revision, dass dem Urteil „unmittelbar nicht (zu) entnehmen“<br />

sei, „ob die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten … <strong>und</strong> … zugestimmt haben (§<br />

257c Abs. 3 Satz 3 <strong>und</strong> Satz 4 StPO)“, belegt keinen Rechtsfehler. Im Urteil ist nur eine gegebenenfalls vorausgegangene<br />

Verständigung festzustellen (§ 267 Abs. 3 Satz 5 StPO), die Angabe ihres Inhalts ist nicht geboten (BGH,<br />

Beschluss vom 13. Januar 2010 - 3 StR 528/09, NStZ-RR 2010, 151), ebenso wenig Ausführungen zu sonstigem<br />

Prozessgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, Rn. 10, NJW 2009, 2612, 2613).<br />

II. Zum übrigen Revisionsvorbringen:<br />

1. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei.<br />

2. Gleiches gilt für den Strafausspruch:<br />

a) Der Angeklagte führte die im Kern identischen Taten - ihm floss Geld aus von ihm veranlassten gr<strong>und</strong>losen Zahlungsanweisungen<br />

zu - auf unter-schiedliche Weise durch. Zunächst wurden nur über ein bestimmtes Konto abgewickelte<br />

Zahlungen entdeckt. Das Arbeitsverhältnis wurde sofort beendet, der Angeklagte gab ein der Höhe nach an<br />

dem bis dahin aufgedeckten Schaden orientiertes notarielles Schuldanerkenntnis ab. Als weiterer Schaden von etwa<br />

150.000 € ermittelt war, hat er ein weiteres Schuldanerkenntnis „verweigert“, in der Hauptverhandlung dann aber<br />

25


angekündigt. Ein nicht am tatsächlichen Schaden, sondern am Ermittlungsstand orientiertes <strong>und</strong> auch sonst zumindest<br />

sehr zögerliches Verhalten legt schon im Ansatz eine - fakultative - Strafrahmenmilderung gemäß § 46a <strong>StGB</strong><br />

nicht ohne weiteres nahe (vgl. zum Fall mehrerer, bezüglich einer Wiedergutmachung<br />

unterschiedlich behandelter Opfer Theune in LK 12. Aufl. § 46a Rn. 48). Dies kann aber dahinstehen, da<br />

allein ein Schuldanerkenntnis oder gar dessen bloße Ankündigung keine Gr<strong>und</strong>lage eines Täter-Opfer-Ausgleichs in<br />

der hier allein in Betracht kommenden Alternative des § 46a Nr. 2 <strong>StGB</strong> sein kann (Theune aaO Rn. 43).<br />

b) Vergeblich beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Auffassung auf die Entscheidungen des Senats vom 7.<br />

Oktober 2003 (1 StR 274/03, NJW 2004, 169 ff.) <strong>und</strong> 17. Dezember 2008 (1 StR 664/08, NStZ-RR 2009, 133 f.). In<br />

beiden Fällen hatten die Angeklagten nicht nur ein Schuldanerkenntnis abgegeben, oder gar nur angekündigt (1 StR<br />

274/03) oder nur einen Vergleich abgeschlossen (1 StR 664/08), sondern es waren auch Zahlungen geflossen (1 StR<br />

274/03: „Schadensersatz in Höhe von 250.000 € geleistet“ , NJW aaO 170; 1 StR 664/08: „freiwilliger<br />

Einsatz von Vermögen“ , NStZ-RR aaO 134).<br />

c) Allerdings sind auch hier der Geschädigten etwa 111.000 € zugeflossen. Etwa 71.000 € stammen aus der Verwertung<br />

gepfändeter Gegenstände, insbesondere von vier (vom Angeklagten mit der Beute bezahlten) Kraftfahrzeugen.<br />

Etwa 40.000 € stammen aus einer Lebensversicherung <strong>und</strong> einer privaten Rentenversicherung des Angeklagten. In<br />

einem im Rahmen der Revisionsbegründung mitgeteilten Schreiben der „A. L. -AG“ an die geschädigte „A. D. AG“<br />

ist in diesem Zusammenhang von „Ihrer Kündigung“ <strong>und</strong> „Ihrer Pfändung“ <strong>und</strong> beachtetem gesetzlichen „Pfändungsschutz“<br />

die Rede. Der - letztlich entscheidende - Geldzufluss bei der Geschädigten wurde also mit Mitteln (z.B.<br />

Pfändungen) erreicht, die das Gesetz einem Gläubiger zur Durchsetzung seiner freiwillig vom Schuldner nicht erfüllten<br />

Ansprüche zur Verfügung stellt. Darauf beruhende Erfolge des Gläubigers können aber auch dann keine Gr<strong>und</strong>lage<br />

für eine Strafrahmenmilderung gemäß § 46a <strong>StGB</strong> für den Schuldner sein, wenn der zu Gr<strong>und</strong>e liegende Titel<br />

ein Schuldanerkenntnis ist.<br />

d) All dies gilt zumindest entsprechend auch für die Feststellungen zu dem Wohnhaus, das der Angeklagte zusammen<br />

mit seiner Ehefrau im Jahr 2005 für ca. 400.000 € erworben hat; von den zur Finanzierung aufgenommenen<br />

Krediten sind noch ca. 225.000 € abzutragen, die monatlichen Raten wurden nicht zuletzt aus der Beute bezahlt. Den<br />

Anteil des Angeklagten an dem Haus hat die Geschädigte gepfändet, aber offenbar noch nicht verwertet. Zu einem<br />

freiwilligen Verkauf ist der Angeklagte erst bereit, wenn zwei seiner drei zwischen zehn <strong>und</strong> 17 Jahre alten Kinder<br />

„finanziell selbständig“ sind, also frühestens nach einer Reihe von Jahren. Vage Versprechungen für eine ferne Zukunft<br />

oder eine mögliche zwangsweise Realisierung von Schadensersatzansprüchen sind jedoch keine tragfähige<br />

Gr<strong>und</strong>lage einer Strafrahmenmilderung gemäß § 46a <strong>StGB</strong>.<br />

e) Eine ausdrückliche Erörterung dieser Möglichkeit war nach alledem nicht geboten.<br />

f) Auch wenn die Voraussetzungen von § 46a <strong>StGB</strong> fehlen, kann doch eine auf Zwangsvollstreckung beruhende<br />

Schadensbeseitigung oder (hier) -verringerung im Blick auf den letztlichen Erfolgsunwert der Tat für die Strafzumessung<br />

Bedeutung gewinnen (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rn. 320). Auch<br />

ein Schuldanerkenntnis, oder - soweit als glaubhaft bewertet - die Ankündigung künftigen Verhaltens kann bei der<br />

Strafzumessung berücksichtigt werden. Die Erwägungen der Strafkammer werden alledem gerecht, Rechtsfehler sind<br />

nicht ersichtlich. Die von der Revision vermissten Feststellungen zum Wert des gepfändeten Hausanteils ergeben<br />

sich der maßgeblichen Größenordnung nach mit genügender Klarheit aus den Feststellungen zum Kaufpreis des<br />

Hauses <strong>und</strong> den insoweit noch nicht abgetragenen Belastungen. Der Vortrag der Revision zu der in diesem Zusammenhang<br />

geltend gemachten Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO (Aufklärungsrüge) genügt den Anforderungen von §<br />

344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Das von der vermissten Beweiserhebung über den Wert des gepfändeten Hausanteils<br />

zu erwartende Beweisergebnis ist nicht einmal ansatzweise mitgeteilt.<br />

26


<strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Härteausgleich bei Gesamtstrafe nicht nach Vollstreckungsmodell<br />

BGH, Beschl. v. 09.11.2010 – 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868<br />

Der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung liegende Härte<br />

ist bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells,<br />

sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 9. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. Mai 2010 im Gesamtstrafenausspruch<br />

aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung "unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts<br />

Essen vom 20. Dezember 2007" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt.<br />

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der<br />

Entscheidungsformel ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der<br />

Gesamtstrafenausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer einen Härteausgleich<br />

für die wegen der Vollstreckung der Strafe nicht mehr mögliche Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe<br />

mit der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 20 Euro aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 10. Juli<br />

2007 mit nicht tragfähiger Begründung versagt hat. Der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen<br />

Gesamtstrafenbildung liegende Härte ist bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells,<br />

sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen.<br />

1. Gr<strong>und</strong>gedanke der Vorschrift des § 55 <strong>StGB</strong> ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54<br />

<strong>StGB</strong> behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der<br />

Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten<br />

Verfahren abgeurteilt worden wären. Scheitert eine nach § 55 <strong>StGB</strong> an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung<br />

daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so erfordert eine darin<br />

liegende Härte einen angemessenen Ausgleich (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2 StR<br />

403/09, NStZ 2010, 386). Die Strafkammer hat eine einen Härteausgleich erfordernde Benachteiligung des Angeklagten<br />

durch die nicht mehr mögliche Gesamtstrafenbildung mit der Geldstrafe aus der Verurteilung durch das<br />

Amtsgericht Essen vom 10. Juli 2007 deshalb verneint, weil sie wegen des Wegfalls der Zäsur durch die Verurteilung<br />

vom 10. Juli 2007 eine nachträgliche Gesamtstrafe mit der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des<br />

Amtsgerichts Essen vom 20. Dezember 2007 gebildet hat. Dabei hat sie allerdings nicht bedacht, dass die Vollstreckung<br />

der zweijährigen Freiheitsstrafe im Urteil vom 20. Dezember 2007 zur Bewährung ausgesetzt worden war.<br />

Die nur infolge der Erledigung der früher verhängten Strafe zwingend vorzunehmende Gesamtstrafenbildung mit der<br />

Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil vom 20. Dezember 2007 hat für den Angeklagten den Verlust der<br />

gewährten Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge, die bei einer nachträglichen Gesamtstrafe unter Einbeziehung<br />

der an sich gesamtstrafenfähigen Geldstrafe aus der Verurteilung vom 10. Juli 2007 bestehen geblieben wäre. Hierin<br />

liegt ein besonderer Nachteil, welcher einen Härteausgleich erforderlich macht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar<br />

2010 - 5 StR 478/09, BGHR <strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18; Urteil vom 2. März 1994 - 2 StR 740/93).<br />

2. Der danach gebotene Härteausgleich ist hier bei der Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe vorzunehmen.<br />

a) Der Nachteil, der darin liegt, dass eine an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr in Betracht<br />

kommt, weil die frühere Strafe bereits vollstreckt oder anderweitig erledigt ist, ist nach der bisherigen Rechtsprechung<br />

aller Strafsenate des B<strong>und</strong>esgerichtshofs bei der Bemessung der neu zu erkennenden Strafe auszugleichen<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, BGHSt 31, 102, 103; vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84,<br />

BGHSt 33, 131, 132; vom 23. Juni 1988 - 4 StR 169/88, BGHR <strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 1; Urteil<br />

vom 15. September 1988 - 4 StR 397/88, BGHR <strong>StGB</strong> § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15; vom 2. Mai 1990 - 3 StR<br />

59/89, NStZ 1990, 436; Beschluss vom 9. November 1995 - 4 StR 650/95, BGHSt 41, 310, 311; Urteil vom 30.<br />

April 1997 - 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80; Beschluss vom 8. Oktober 2003 - 2 StR 328/03, BGHR <strong>StGB</strong> § 55<br />

27


Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 13; vom 16. September 2008 - 5 StR 408/08, NStZ-RR 2008, 370; vom 10. März 2009<br />

- 5 StR 73/09, StV 2010, 240). Auf welche Weise der Tatrichter den Härteausgleich vornimmt, steht dabei in seinem<br />

Ermessen. Er kann von einer unter Heranziehung der bereits vollstreckten Strafe gebildeten "fiktiven Gesamtstrafe"<br />

ausgehen <strong>und</strong> diese um die vollstreckte Strafe mindern oder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der<br />

früheren Strafe ausscheidet, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigen. Erforderlich ist nur,<br />

dass er einen angemessenen Härteausgleich vornimmt <strong>und</strong> dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist (vgl. nur BGH,<br />

Urteil vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, aaO; vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84, aaO). Kann der Ausgleich ausnahmsweise<br />

nicht bei der Gesamtstrafenbildung erfolgen, ist der Nachteil bei der Bemessung der Einzelstrafe zu<br />

kompensieren (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97, aaO).<br />

b) Der 5. Strafsenat erachtet es nunmehr in Anknüpfung an seine Entscheidungen zum Härteausgleich bei lebenslanger<br />

Freiheitsstrafe (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 5 StR 433/09, NStZ 2010, 385; vom 23. Juli 2008 - 5<br />

StR 293/08, BGHR <strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2<br />

StR 403/09, NStZ 2010, 386; vom 9. Dezember 2008 - 4 StR 358/08, NStZ-RR 2009, 104) auch bei der Verhängung<br />

zeitiger Freiheitsstrafen für vorzugswürdig, die Kompensation des Nachteils in Anwendung des Vollstreckungsmodells<br />

vorzunehmen, weil die Verwirklichung des Härteausgleichs nicht an der Tatschuld als der maßgeblichen<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die Strafhöhe anknüpfe <strong>und</strong> die Transparenz hinsichtlich des gewährten Ausgleichs <strong>und</strong> der Straffestsetzung<br />

erhöht werde (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 - 5 StR 478/09, BGHR <strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Satz 1<br />

Härteausgleich 18; vom 28. September 2010 - 5 StR 343/10).<br />

c) Der Senat hält demgegenüber bei zeitiger Freiheitsstrafe daran fest, dass die Benachteiligung durch eine entgangene<br />

Gesamtstrafenbildung bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen ist. Bei dem<br />

Ausschluss einer an sich möglichen Gesamtstrafenbildung infolge der Vollstreckung der früheren Strafe handelt es<br />

sich um einen Nachteil, der aus der Anwendung zwingender strafzumessungsrechtlicher Vorschriften über die Gesamtstrafe<br />

resultiert <strong>und</strong> damit einen unmittelbaren Zusammenhang zum Vorgang der Strafzumessung aufweist. Er<br />

ist vom Tatrichter ebenso wie andere schuld-unabhängige Zumessungsfaktoren im Rahmen der Strafzumessung zu<br />

bewerten <strong>und</strong> kann systematisch stimmig bei der Festsetzung der Strafe berücksichtigt werden. Anders als bei der -<br />

mit der Strafzumessung nicht wesensmäßig zusammenhängenden - Kompensation der Konventions- <strong>und</strong> Rechtstaatswidrigkeit<br />

von Verfahrensverzögerungen, für welche der Große Senat für Strafsachen die Vollstreckungslösung<br />

entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124), besteht für den Ausgleich der in<br />

einer nicht mehr möglichen Gesamtstrafenbildung liegenden Härte kein Gr<strong>und</strong>, diesen aus dem Vorgang der Strafzumessung<br />

herauszulösen <strong>und</strong> durch die bezifferte Anrechnung auf die verhängte Strafe gesondert auszuweisen.<br />

d) Durch die Entscheidungen des 5. Strafsenats vom 26. Januar <strong>und</strong> 28. September 2010 ist der Senat nicht gehindert,<br />

wie dargelegt zu entscheiden. Den Beschlüssen ist entscheidungstragend nicht zu entnehmen, dass der gebotene<br />

Härteausgleich ausschließlich in Anwendung des Vollstreckungsmo-dells <strong>und</strong> nicht jedenfalls auch - entsprechend<br />

der bisherigen einheitlichen Rechtsprechung aller Strafsenate des B<strong>und</strong>esgerichtshofs - bei der Festsetzung der Strafe<br />

erfolgen darf. Für dieses Verständnis spricht im Übrigen, dass der 5. Strafsenat bislang davon abgesehen hat, ein<br />

Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG einzuleiten.<br />

3. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung.<br />

Die zugehörigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen<br />

nicht in Widerspruch stehende tatsächliche Feststellungen bleiben möglich.<br />

<strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1; StPO §§ 318, 331, 460, 462 Gesamtstrafenbildung durch Berufungsgericht nach<br />

Beschränkung des RM<br />

BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 1 StR 212/10 - NJW 2010, 3589 = StraFo 2010, 469<br />

LS: Auch bei einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur<br />

Bewährung ist eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 <strong>StGB</strong> durch das Berufungsgericht vorzunehmen,<br />

wenn der erstinstanzliche Richter eine Entscheidung zu dieser Frage nicht getroffen hat.<br />

Gründe:<br />

I. Das Amtsgericht Rosenheim hat die Angeklagte durch Urteil vom 14. Juli 2009 wegen Betruges in 14 Fällen zu<br />

einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Für zwei Taten wurden Einzelgeldstrafen verhängt, für die<br />

übrigen zwölf Taten Einzelfreiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu sieben Monaten. Gegen dieses Urteil hat die<br />

28


Angeklagte form- <strong>und</strong> fristgerecht Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung hat sie ihr Rechtsmittel<br />

auf den Rechtsfolgenausspruch <strong>und</strong> innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf die Strafaussetzung zur Bewährung<br />

beschränkt. Ihr Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Denn das Landgericht Traunstein hat durch Urteil vom 11. November<br />

2009 erkannt: "Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 14. Juli<br />

2009 in Ziffer 2 (= Strafausspruch) wie folgt neu gefasst: Die Angeklagte wird unter Einbeziehung der Verurteilung<br />

durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen vom 8. Oktober 2009 (Az.: 2 Cs 57 Js 29363/ 08)<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten <strong>und</strong> einer Woche verurteilt. Die Angeklagte wird zu einer weiteren<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten bezüglich der Taten zwischen dem 18. Oktober 2008 <strong>und</strong> dem 26. November<br />

2008 verurteilt. Die Angeklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens". Bei der einbezogenen Strafe<br />

aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen vom 8. Oktober 2009 handelt es sich um eine<br />

Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20 Euro für eine am 22. Juni 2008 begangene Tat. Zum Zeitpunkt des Urteils<br />

des Amtsgerichts Rosenheim vom 14. Juli 2009 war der Strafbefehl noch nicht erlassen. Gegen das Urteil des Landgerichts<br />

Traunstein hat die Angeklagte Revision eingelegt <strong>und</strong> insbesondere die Verletzung materiellen Rechts gerügt.<br />

Das Oberlandesgericht München beabsichtigt, die Revision der Angeklagten als unbegründet zu verwerfen. Es<br />

hält die Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung zwar für wirksam, ist aber der<br />

Auffassung, dass die eingetretene <strong>Teil</strong>rechtskraft das Berufungsgericht nicht an einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung<br />

hindere. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht München durch die Entscheidungen<br />

des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15. September 2004 (VRS 107, 449) <strong>und</strong> des Oberlandesgerichts<br />

Brandenburg vom 9. Januar 2007 (NStZ-RR 2007, 196) gehindert. Das Hanseatische Oberlandesgericht<br />

Hamburg ist der Auffassung, die in § 318 StPO angelegte weit reichende Dispositionsfreiheit des Rechtsmittelberechtigten<br />

sei durch die Rechtsmittelgerichte im Rahmen des Möglichen zu respektieren. Eine an sich zulässige Berufungsbeschränkung<br />

sei zwar dann unwirksam, wenn Gründe materieller Gerechtigkeit ihrer Anerkennung entgegenstünden.<br />

Auch nach diesem Maßstab sei eine Gesamtstrafenlage i.S.d. § 55 <strong>StGB</strong> hier aber unbeachtlich, da über<br />

die Einbeziehung weiterer Strafen im Beschlussverfahren gemäß § 460 StPO entschieden werden könne. Es bestehe<br />

kein absoluter Vorrang des Urteilsverfahrens vor dem Beschlussverfahren; Ausnahmefälle seien bereits anerkannt<br />

worden. Der Gr<strong>und</strong>satz der Dispositionsfreiheit gebiete die Ausklammerung der Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung<br />

aus dem Prüfungsprogramm der Berufungshauptverhandlung. Der Disposition durch den Rechtsmittelführer<br />

gebühre der Vorrang gegenüber dem verfahrensökonomischen Gesichtspunkt, ein von Amts wegen zu betreibendes<br />

gesondertes Beschlussverfahren durch die Behandlung der Gesamtstrafenbildung nach § 55 <strong>StGB</strong> zu<br />

erübrigen. Der Rechtsmittelführer könne beachtliche Gründe haben, die Frage der ihm (z.B. bei bisheriger Aussetzung<br />

der einziehungsfähigen Freiheitsstrafe zur Bewährung <strong>und</strong> drohender Nichtaussetzung der zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe)<br />

möglicherweise nachteiligen nachträglichen Gesamtstrafenbildung erst zu späterer Zeit prüfen zu<br />

lassen, zu der z.B. wegen Erledigung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong> eine Einbeziehung ausscheidet oder die<br />

Legalprognose für eine Strafaussetzung sich verbessert hat. Das Oberlandesgericht Brandenburg ist ebenfalls der<br />

Ansicht, die mit der Regelung des § 318 StPO gewährte Dispositionsfreiheit des Rechtsmittelführers erlaube ihm die<br />

Beschränkung seines Rechtsmittels mit der Wirkung, dass die nicht angegriffenen <strong>Teil</strong>e der Entscheidung in Rechtskraft<br />

erwachsen. Die neu entstandene Gesamtstrafenlage erfordere keine Korrektur zu Lasten der Dispositionsfreiheit<br />

des Rechtsmittelführers, weil die Bildung der Gesamtstrafe nach Rechtskraft der Entscheidung im Beschlusswege<br />

gemäß § 460 StPO nachträglich erfolgen könne. Das Oberlandesgericht München hat deshalb die Sache gemäß § 121<br />

Abs. 2 GVG dem B<strong>und</strong>esgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt: "Ist bei einer Beschränkung<br />

der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 <strong>StGB</strong><br />

durch das Berufungsgericht zulässig?". Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt ist der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts<br />

beigetreten <strong>und</strong> hat beantragt, wie folgt zu beschließen: "Bei einer Beschränkung der Berufung auf die<br />

Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 <strong>StGB</strong> durch das Berufungsgericht<br />

zulässig, wenn der erste Richter eine Entscheidung zu dieser Frage nicht getroffen hat". Zutreffend hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

darauf hingewiesen, dass die Vorlegungsfrage des Oberlandesgerichts München zu weit gefasst ist. Sie<br />

würde nämlich über die Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren hinaus nach ihrem Wortlaut auch<br />

solche Fälle erfassen, in denen dem erstinstanzlichen Richter die Strafen, welche hätten einbezogen werden können,<br />

bekannt waren <strong>und</strong> er daher bewusst eine Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung getroffen hat. Hat der<br />

Tatrichter aber die Anwendung des § 55 <strong>StGB</strong> geprüft <strong>und</strong> rechtsirrtümlich abgelehnt, ist eine Korrektur dieses Urteilsspruchs<br />

nur im Rechtsmittelzug möglich. § 55 <strong>StGB</strong> ist dann nicht i.S.d. § 460 StPO "außer Betracht geblieben"<br />

(vgl. KK-Appl StPO 6. Aufl. § 460 Rdn. 5). In solchen Fällen bleibt es bei entsprechender - wirksamer - Rechtsmittelbeschränkung<br />

bei der Rechtskraft der Entscheidung <strong>und</strong> diese könnte auch im Beschlussverfahren gemäß §§ 460<br />

ff. StPO nicht korrigiert werden. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung durch<br />

29


den Berufungsrichter vor, ist eine Gesamtstrafenbildung durch ihn nicht nur zulässig, sondern er ist hierzu gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

verpflichtet (BGHSt 25, 382, 383), er hat sie vorzunehmen. Der Senat hat daher die Vorlegungsfrage wie folgt<br />

präzisiert <strong>und</strong> neu gefasst: Auch bei einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung<br />

zur Bewährung ist eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 <strong>StGB</strong> vorzunehmen, wenn der erstinstanzliche Richter eine<br />

Entscheidung zu dieser Frage nicht getroffen hat.<br />

II. Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG sind gegeben.<br />

1. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat diese Rechtsfrage noch nicht entschieden. Der Beschluss vom 11. Februar 1988 (4 StR<br />

516/87 = BGHSt 35, 208 f.) betraf einen anders gelagerten Sachverhalt, bei dem insbesondere das Verschlechterungsverbot<br />

zu prüfen war.<br />

2. Die Vorlegungsfrage ist entscheidungserheblich. Das Oberlandesgericht München kann die Revision der Angeklagten<br />

nicht wie beabsichtigt verwerfen, ohne von der Rechtsansicht des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg<br />

<strong>und</strong> des Oberlandesgerichts Brandenburg abzuweichen. Neben den vom vorlegenden Oberlandesgericht bereits<br />

genannten Judikaten steht auch der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. November 2006 (Az.: 2 Ss<br />

210/06) der beabsichtigten Verwerfung entgegen. Die Vorlegungsfrage wäre allerdings dann nicht entscheidungserheblich,<br />

wenn die Berufungsbeschränkung unwirksam wäre. Gegen die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf<br />

die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung könnte zwar sprechen, dass das Amtsgericht Rosenheim rechtsfehlerhaft<br />

die Tagessatzhöhe nicht festgesetzt hat <strong>und</strong> dass die letzte Vorstrafe der Angeklagten unvollständig <strong>und</strong> damit<br />

rechtsfehlerhaft mitgeteilt wird (vgl. u.a. BayObLG NStZ-RR 2004, 336). Bedenken begegnet aber vor allem die<br />

Behauptung des vorlegenden Oberlandesgerichts, die Erwägungen des Amtsgerichts zur Bemessung der Einzelstrafen<br />

<strong>und</strong> der Gesamtstrafe seien hier inhaltlich nicht so eng mit der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung<br />

verb<strong>und</strong>en, dass diese nicht unabhängig davon überprüft werden könnte. Denn das Amtsgericht hat bei der<br />

Begründung der Bewährungsversagung formuliert: "Unter Berücksichtigung aller oben im Einzelnen bereits geschilderten<br />

Umstände, auf die verwiesen wird <strong>und</strong> die auch für die Sozialprognose erheblich sind". Die Rechtsansicht des<br />

vorlegenden Oberlandesgerichts - der sich auch der Generalb<strong>und</strong>esanwalt angeschlossen hat -, dass die Berufungsbeschränkung<br />

gleichwohl wirksam ist, ist noch vertretbar, so dass die Vorlage zulässig ist (vgl. KK-Hannich 6. Aufl.<br />

Rdn. 43 zu § 121 GVG mwN). Auch die weiteren Erwägungen des Oberlandesgerichts, die zur Begründung der<br />

beabsichtigten Verwerfung der Revision angeführt werden, insbesondere auch dazu, dass kein Verstoß gegen das<br />

Verschlechterungsverbot gegeben ist, sind vertretbar <strong>und</strong> deshalb für den Senat bindend. Danach ist die Vorlegungsfrage<br />

entscheidungserheblich.<br />

III. Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich. In der Sache stimmt der<br />

Senat der vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt <strong>und</strong> dem vorlegenden Oberlandesgericht vertretenen Rechtsansicht zu (vgl.<br />

auch Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. Rdn. 20a zu § 318; Graf-Eschelbach StPO Rdn. 28 zu § 318; Ruß in einer Anmerkung<br />

NStZ 1983, 137; Landgericht Freiburg NStZ-RR 2008, 236). Sinn <strong>und</strong> Zweck des Gesetzes (§ 55 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong><br />

§§ 460 ff. StPO) gebieten eine Gesamtstrafenbildung durch das erkennende Gericht. Die Dispositionsbefugnis des<br />

Rechtsmittelführers hindert eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch das Berufungsgericht nicht.<br />

1. § 55 <strong>StGB</strong> regelt die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe. Er gilt auch für das Berufungsgericht (vgl. Fischer<br />

<strong>StGB</strong> 57. Aufl. Rdn. 20 zu § 55). Der Tatrichter ist gr<strong>und</strong>sätzlich verpflichtet, auf eine Gesamtstrafe zu erkennen,<br />

wenn im Zeitpunkt seines Urteils die Voraussetzungen der §§ 53 ff. <strong>StGB</strong> vorliegen. Er darf die Festsetzung der<br />

Gesamtstrafe nicht dem Verfahren nach §§ 460 ff. StPO überlassen (BGHSt 12, 1; 20, 292, 293; 23, 98, 99; 25, 382,<br />

384; vgl. auch KK-Appl StPO 6. Aufl. Rdn. 4 zu § 460). Dies ergibt sich aus dem Gr<strong>und</strong>gedanken des § 55 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong>, die durch eine getrennte Aburteilung entstandenen Vor- <strong>und</strong> Nachteile auszugleichen. Danach sind Taten, die<br />

bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 <strong>StGB</strong> behandelt worden wären, auch nach getrennter Aburteilung noch<br />

nachträglich so zu behandeln, dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl.<br />

Fischer aaO Rdn. 2 zu § 55 mwN). Hierbei kommt es allein auf die materiell-rechtliche Regelung <strong>und</strong> nicht auf die<br />

verfahrensrechtliche Situation an (BGHSt 32, 193). Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

Sache des Tatrichters, der auf Gr<strong>und</strong> einer Hauptverhandlung <strong>und</strong> des darin gegebenen unmittelbaren persönlichen<br />

Eindrucks von dem Angeklagten entscheidet (vgl. Ruß in NStZ 1983, 137, 138). Sein Urteil bietet eine bessere Garantie<br />

für eine gerechte Strafzumessung als ein nachträgliches Beschlussverfahren (vgl. BGHSt 12, 1, 6 ff.; 25, 382,<br />

384). Das Urteilsverfahren ist wegen des in ihm erhobenen Strengbeweises <strong>und</strong> wegen des in der Hauptverhandlung<br />

gewinnbaren unmittelbaren persönlichen Eindrucks dem Beschlussverfahren gr<strong>und</strong>sätzlich überlegen (vgl. Rissingvan<br />

Saan in Leipziger Kommentar <strong>StGB</strong> 12. Aufl. Rdn. 46 zu § 55). Im Nachverfahren wird hingegen gemäß § 462<br />

Abs. 1 Satz 1 StPO ohne mündliche Verhandlung im Freibeweisverfahren entschieden. Das Beschlussverfahren<br />

kommt nur zum Zuge, wenn bei der tatrichterlichen Entscheidung § 55 <strong>StGB</strong> "außer Betracht geblieben" ist (vgl.<br />

KK-Appl aaO Rdn. 4 zu § 460), wobei mit den Worten "außer Betracht geblieben sind" ein tatsächliches Geschehen<br />

30


umschrieben wird (BGHSt 12, 1, 3). Dass insbesondere aus prozessökonomischen Gründen vereinzelt Ausnahmen<br />

von diesem Gr<strong>und</strong>satz zugelassen wurden (vgl. hierzu Fischer aaO Rdn. 35 zu § 55) rechtfertigt nicht, für den vorliegenden<br />

Fall eine weitere Ausnahme anzunehmen. Denn prozessökonomische Gesichtspunkte sprechen gerade dafür,<br />

dass das Berufungsgericht selbst gleich die Gesamtstrafenbildung vornimmt. Nur so wird auch dem Beschleunigungsgebot<br />

Rechnung getragen. Für dieses Ergebnis spricht auch der prozessökonomische Gr<strong>und</strong>, dass sich nicht<br />

noch ein weiteres Gericht im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 460 ff. StPO mit der Gesamtstrafenbildung befassen<br />

soll. Deshalb steht die neu geschaffene Möglichkeit für das Revisionsgericht (§ 354 Abs. 1b StPO), den Ausspruch<br />

über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufzuheben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die<br />

Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist, gerade nicht entgegen. Denn Ziel des Gesetzes ist, dass das erkennende<br />

Gericht selbst sofort die Gesamtstrafenbildung vornimmt. Zudem bietet das Verfahren vor dem Gericht,<br />

das auf Gr<strong>und</strong> einer Hauptverhandlung <strong>und</strong> des darin gegebenen unmittelbaren persönlichen Eindrucks von dem<br />

Angeklagten entscheidet, eine bessere Garantie für eine gerechte Strafzumessung (BGHSt 25, 382, 384). Das Verfahren<br />

gemäß §§ 460 ff. StPO dient der Nachholung der unterlassenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 <strong>StGB</strong>. § 460<br />

StPO erfasst die Fälle, in denen die nach § 55 <strong>StGB</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich zwingend gebotene Gesamtstrafenbildung im<br />

Erkenntnisverfahren unterblieben ist. § 460 StPO stellt nur einen zusätzlichen Rechtsbehelf zur Sicherung des mit §<br />

55 <strong>StGB</strong> verfolgten Zieles dar, wobei das Erkenntnisverfahren gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang hat. Es wäre widersinnig, die<br />

gebotene Gesamtstrafenbildung in das minder wertvolle Ersatzverfahren zu verlagern, wenn eines der Verfahren<br />

noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist <strong>und</strong> deshalb die Möglichkeit besteht, die Gesamtstrafe in einer Hauptverhandlung<br />

festzusetzen, in der die Bildung einer gerechten Gesamtstrafe weit sicherer verbürgt ist (BGHSt 12, 1, 9).<br />

Das Gesetz will, dass in allen Strafsachen von einiger Bedeutung neben den Berufsrichtern auch Laienrichter über<br />

die Schuld- <strong>und</strong> Straffrage mitentscheiden. Sie können aber bei der Bildung einer Gesamtstrafe nur mitwirken, wenn<br />

über ihre Höhe in einer Hauptverhandlung <strong>und</strong> nicht im Beschlussverfahren entschieden wird. Die Ausschaltung der<br />

Laienrichter bei der Bildung der Gesamtstrafe auch in Fällen, in denen ihre Mitwirkung in einer Hauptverhandlung<br />

nach der Verfahrenslage noch möglich ist, würde deshalb einen sachlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die gesetzlich<br />

geregelte Zuständigkeit <strong>und</strong> Besetzung der Gerichte bedeuten (BGHSt 12, 1, 7).<br />

2. Weder die eingetretene <strong>Teil</strong>rechtskraft, noch die Dispositionsbefugnis stehen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung<br />

durch das Berufungsgericht entgegen.<br />

a) Das Nachverfahren gemäß §§ 460 ff. StPO bezweckt die Verwirklichung des materiellen Rechts ohne Rücksicht<br />

auf die Rechtskraft der vorliegenden Urteile (BGHSt 35, 208, 214). Liegen die Voraussetzungen des § 460 StPO vor,<br />

so darf in die Rechtskraft früherer Entscheidungen eingegriffen werden. Der beschließende Richter im nachträglichen<br />

Verfahren hat keine größeren Befugnisse als der erkennende Richter (vgl. Ruß aaO). Was im Nachverfahren<br />

gemäß §§ 460 ff. StPO zulässig ist, kann in der zweiten Instanz schwerlich untersagt sein (vgl. Stree in Schönke/Schröder<br />

<strong>StGB</strong> 27. Aufl. Rdn. 42 zu § 55). § 55 <strong>StGB</strong> ermächtigt <strong>und</strong> verpflichtet den Tatrichter in rechtskräftige<br />

frühere Gesamtstrafen einzugreifen; dies gilt erst recht für die Durchbrechung der Rechtskraft im selben Rechtszug<br />

(vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 20a zu § 318 StPO). Für die Bildung der Gesamtstrafe nach § 55 <strong>StGB</strong> gibt die sachliche,<br />

nicht die verfahrensrechtliche Lage den Ausschlag.<br />

b) Der Angeklagte wird in seiner Freiheit zur Einlegung <strong>und</strong> Beschränkung der Berufung nicht beeinträchtigt, da die<br />

Gesamtstrafenbildung ohne Rücksicht auf sein Rechtsmittel auf jeden Fall stattfindet (vgl. auch BGHSt 35, 208,<br />

215). Deshalb gebührt dem auf Gr<strong>und</strong> einer Hauptverhandlung entscheidenden Berufungsrichter der Vorzug. Dem<br />

gesetzgeberischen Ziel einer einheitlichen Entscheidung auf Gr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung der Taten <strong>und</strong> des Täters<br />

würde das Gericht nicht gerecht werden, wenn es auf das Verfahren nach §§ 460 ff. StPO verweisen würde. Hat der<br />

erstinstanzliche Richter keine Gesamtstrafenentscheidung getroffen, muss das Berufungsgericht die Gesamtstrafenbildung<br />

nachholen (BGHSt 35, 212). Hierin liegt kein Verstoß gegen § 331 Abs. 1 StPO; denn die Gesamtstrafenbildung<br />

enthält in diesem Fall keine Abänderung der vorausgegangenen Rechtsfolgenentscheidungen, sondern einen im<br />

Berufungsurteil erstmals vorzunehmenden gesetzlich gebotenen richterlichen Gestaltungsakt (BGHSt 35, 212; Fischer<br />

aaO Rdn. 20 zu § 55 <strong>StGB</strong> mwN). Das Verschlechterungsverbot setzt voraus, dass der erste Richter eine<br />

Rechtsfolge festgesetzt hat, um deren Verschärfung es geht. Fehlt es - wie hier - an der Festsetzung einer solchen<br />

Rechtsfolge, liegt eine richterliche Entscheidung, deren Änderung zum Nachteil des Angeklagten möglich wäre,<br />

überhaupt nicht vor (BGHSt 35, 212, 213). Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg auf etwaige Vorteile<br />

des Rechtsmittelführers verweist, die durch eine spätere Entscheidung im Nachverfahren entstehen könnten, ist<br />

darauf hinzuweisen, dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung den Verurteilten weder schlechter noch besser<br />

stellen soll. Nach der Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg dürfte der Berufungsrichter eine<br />

dem erstinstanzlichen Richter unbekannte gesamtstrafenfähige, aber zwischenzeitlich vollstreckte, Verurteilung nicht<br />

im Wege des Härteausgleichs bei der Straffestsetzung berücksichtigen, obwohl sich dies unmittelbar zu Gunsten des<br />

31


Angeklagten auswirken würde (z.B. könnte hierdurch eine Freiheitsstrafe von einem oder zwei Jahren unterschritten<br />

werden).<br />

IV. Die Vorlegungsfrage ist daher wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu beantworten. Die Entscheidung entspricht<br />

dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts.<br />

<strong>StGB</strong> § 64 - Mangelnde Therapiemotivation Indiz für geringe Therapieerfolgschancen<br />

BGH, Beschl. v. 22.09.2010 - 2 StR 268/10 - BeckRS 2010, 27616<br />

Mangelnde Therapiemotivation eines Angeklagten kann unter Umständen ein Indiz dafür sein, dass<br />

eine Entwöhnungsbehandlung keine Erfolgschancen hat. Dazu bedarf es jedoch einer Gesamtwürdigung<br />

der Täterpersönlichkeit, insbesondere einer Darstellung der Gründe <strong>und</strong> Wurzeln des Motivationsmangels,<br />

ohne deren Kenntnis sich nicht beurteilen lässt, ob er nicht gerade im Unterbringungsvollzug<br />

zu beheben ist.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 22. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 20. Januar 2010, soweit es ihn<br />

betrifft, insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, als davon abgesehen worden ist, die Unterbringung<br />

des Angeklagten G. in einer Entziehungsanstalt anzuordnen. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

II. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die auf eine Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen<br />

Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich auf die Sachrüge hin zur Aufhebung der Entscheidung,<br />

soweit eine Anordnung nach § 64 <strong>StGB</strong> unterblieben ist; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.<br />

I. Das Landgericht hat bei dem Angeklagten, der seit 1997 heroinabhängig ist, in den letzten Monaten vor seiner<br />

Festnahme wöchentlich 10 g Heroin konsumierte, zur Tatzeit unter Heroineinfluss stand <strong>und</strong> sich mit der vorgeworfenen<br />

Tat 1,18 kg Heroin zum Eigenbedarf beschaffen wollte, wegen Fehlens einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht<br />

von der Anordnung der Maßnahme nach § 64 <strong>StGB</strong> abgesehen. Im Einzelnen hat es dies wie folgt begründet:<br />

"So hat der Angeklagte G. gegenüber dem Gutachter eine klar ablehnende Haltung gegenüber der Anordnung<br />

der Maßregel geäußert. Er wolle nicht, dass an seiner Persönlichkeit gearbeitet werde. In diesem Sinne hat sich der<br />

Angeklagte auch in der Hauptverhandlung vor der Kammer geäußert. Er wolle auf keinen Fall in einer Entziehungsanstalt<br />

untergebracht werden. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auf Nachfrage der Kammer erläutert,<br />

dass derzeit auch keine konkrete Aussicht dahingehend bestünde, dass eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg<br />

versprechende Behandlung geweckt werden könne. Er sei beim Angeklagten G. diesbezüglich auf eine "große Sperre"<br />

gestoßen. Eine entsprechende Therapiewilligkeit könne zwar auch reifen. In naher Zukunft sei damit aber nicht<br />

zu rechnen. Diese Einschätzung des Sachverständigen wird auch von der Kammer geteilt, zumal sich der Angeklagte<br />

auch in der Hauptverhandlung gegen eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausgesprochen <strong>und</strong> sich in<br />

diesem Kontext verschlossen <strong>und</strong> abwehrend gezeigt hat." Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht<br />

stand; mit ihr ist nicht im erforderlichen Maße das Fehlen einer hinreichend konkreten Aussicht dargetan, dass der<br />

Angeklagte durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt geheilt oder eine erhebliche Zeitspanne vor einem<br />

Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum bewahrt werden könnte (§ 64 S. 2 <strong>StGB</strong>). Mangelnde Therapiemotivation,<br />

wie sie in der ablehnenden Haltung des Angeklagten zum Ausdruck kommt, kann allerdings unter<br />

Umständen ein Indiz dafür sein, dass eine Entwöhnungsbehandlung keine Erfolgschancen hat. Dazu bedarf es jedoch<br />

einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit, insbesondere einer Darstellung der Gründe <strong>und</strong> Wurzeln des Motivationsmangels,<br />

ohne deren Kenntnis sich nicht beurteilen lässt, ob er nicht gerade im Unterbringungsvollzug zu<br />

beheben ist. Dass eine solche Gesamtwürdigung angestellt worden wäre, ist den Urteilsausführungen nicht zu entnehmen.<br />

Die gewählte Begründung des Landgerichts gibt darüber hinaus Anlass zu der Besorgnis, es könne letztlich<br />

allein darauf abgestellt worden sein, dass der Angeklagte, der es ablehnt, dass an seiner Persönlichkeit "gearbeitet"<br />

werde, die Maßregel ablehnt. Dies aber kann die Ablehnung der Maßregel nicht tragen, woran im Übrigen nichts<br />

32


ändert, dass sich die Kammer bei ihrer Beurteilung sachverständiger Hilfe bedient hat. Von der Aufhebung der Entscheidung,<br />

von der Anordnung der Maßregel nach § 64 <strong>StGB</strong> abzusehen, wird der Strafausspruch nicht berührt <strong>und</strong><br />

bleibt daher aufrechterhalten.<br />

<strong>StGB</strong> § 64 Hang<br />

BGH, Beschl. v. 08.06.2010 – 3 StR 162/10 - BeckRS 2010, 15789<br />

Für das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zum Rauschmittelmissbrauch im Sinne des § 64<br />

<strong>StGB</strong> ist der Zeitpunkt der Hauptverhandlung maßgeblich. Ein solcher Hang muss demnach nicht<br />

nur während der Anlasstat, sondern auch im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung<br />

gegeben sein. Ferner ist auch für die Gefährlichkeitsprognose entscheidend, ob die Gefahr,<br />

dass der Angeklagte infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, im Zeitpunkt<br />

der tatrichterlichen Hauptverhandlung besteht.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 8. Juni 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das<br />

Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. Januar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer<br />

Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zur Freiheitsstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt <strong>und</strong> seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Vollstreckung der<br />

Freiheitsstrafe wie auch der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt <strong>und</strong> ausgesprochen, dass Führungsaufsicht<br />

eintritt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Verurteilung<br />

des Angeklagten gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 1 <strong>und</strong> 2, § 255 <strong>StGB</strong> hat keinen Bestand,<br />

da die Feststellungen des Landgerichts nicht belegen, dass der Angeklagte mit Bereicherungsab-sicht gehandelt<br />

hat.<br />

1. Das Landgericht hat festgestellt: Der alkoholisierte Angeklagte begab sich zu der in einem Wartehäuschen auf<br />

dem Bahnsteig eines Bahnhofes sitzenden, gerade mit ihrem Handy telefonierenden Geschädigten, stellte sich hinter<br />

diese, fasste sie unvermittelt mit der linken Hand an der linken Schulter <strong>und</strong> hielt ihr ein mit der rechten Hand geführtes<br />

Küchenmesser an die Kehle, dessen Klinge 9,5 cm lang war. Dabei forderte er die Zeugin auf, ihm ihr Handy<br />

auszuhändigen, was diese aus Angst sofort tat. Anschließend rannte sie schreiend davon. Der Angeklagte legte daraufhin<br />

das Handy auf den früheren Sitzplatz der Geschädigten <strong>und</strong> begab sich in Richtung einer Fußgängerzone, wo<br />

er von Polizeibeamten festgenommen wurde. Diese Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf der Einlassung des<br />

Angeklagten, der die Tat eingeräumt <strong>und</strong> im Übrigen angegeben hat, er könne sich sein Verhalten nicht erklären <strong>und</strong><br />

wisse nicht, was er mit dem Handy der Zeugin gewollt habe. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht<br />

ausgeführt, dass der Angeklagte die Beute, "mit der er ohnehin nichts anfangen wollte", nicht für sich behalten, sondern<br />

zurückgegeben habe <strong>und</strong> dass die "- unsinnige - Tat" bei Tag begangen worden war.<br />

2. Danach fehlt es für die Verurteilung nach §§ 253, 255 <strong>StGB</strong> an der Feststellung der Absicht des Angeklagten, sich<br />

(oder einen Dritten) rechtswidrig zu bereichern. Das Landgericht hätte insoweit aufklären müssen, welche Vorstellungen<br />

über den weiteren Verbleib des Handys der Angeklagte hatte (vgl. BGH NStZ 2005, 155 m. w. N.; Fischer,<br />

<strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 253 Rdn. 18). Die Feststellungen des Landgerichts zur Einlassung des Angeklagten sowie seine<br />

Erwägungen im Rahmen der Strafzumessung sprechen zudem eher dafür, dass das Landgericht gerade nicht vom<br />

Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Bereicherungsabsicht des Angeklagten ausgegangen ist. Die Sache bedarf daher<br />

neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung.<br />

3. Der Senat weist den neuen Tatrichter vorsorglich auf Folgendes hin: Im Falle einer erneuten Verurteilung gemäß §<br />

250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> wird auf besonders schwere räuberische Erpressung zu erkennen sein; denn die von § 260<br />

Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat macht die Kennzeichnung der jeweils gegebenen<br />

Qualifikation notwendig (vgl. BGH, Urt. vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09 - m. w. N.). Für das Vorliegen eines<br />

Hangs des Angeklagten zum Rauschmittelmissbrauch im Sinne des § 64 <strong>StGB</strong> ist der Zeitpunkt der Hauptverhandlung<br />

maßgeblich. Ein solcher Hang muss demnach nicht nur während der Anlasstat, sondern - was hier nach den<br />

bisher getroffenen Feststellungen zweifelhaft sein könnte - auch im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptver-<br />

33


handlung gegeben sein. Ferner ist auch für die Gefährlichkeitsprognose entscheidend, ob die Gefahr, dass der Angeklagte<br />

infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, im Zeitpunkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung<br />

besteht (vgl. van Gemmeren in MünchKomm-<strong>StGB</strong> § 64 Rdn. 25, 46).<br />

<strong>StGB</strong> § 78 a – Verjährungsfrist<br />

BGH, Beschl. v. 02.03.2011 – 2 StR 275/10 - wistra 2011, 228<br />

Da der Tag des für den Fristbeginn maßgeblichen Ereignisses einzubeziehen ist, endet die Verjährungsfrist<br />

mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Bezeichnung dem Anfangstag vorangeht.<br />

Das Verfahren wird eingestellt.<br />

Die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen der Angeklagten hat die Landeskasse zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen Betrugs in 56 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einem früheren<br />

Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt <strong>und</strong> ausgesprochen, dass von dieser Gesamtstrafe<br />

ein Jahr als verbüßt gilt. Den Angeklagten H. hat es wegen Betrugs in 56 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

vier Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt <strong>und</strong> bestimmt, dass hiervon zehn Monate als verbüßt gelten. Dagegen richten<br />

sich die auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel<br />

haben Erfolg.<br />

Es liegt das Verfahrenshindernis der Verjährung der Strafverfolgung vor.<br />

Die angeklagten Taten wurden nach den Feststellungen des Landgerichts im Zeitraum zwischen dem 20. November<br />

2002 <strong>und</strong> dem 2. Oktober 2003 beendet. Die Verjährung ist nach der Bekanntgabe der Vorwürfe an die Angeklagten<br />

am 29. April 2004 anlässlich der Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Wetzlar vom 29.<br />

März 2004 innerhalb der folgenden fünf Jahre nicht unterbrochen worden. Die nächste Handlung, die zur Unterbrechung<br />

geeignet gewesen wäre, war die Erhebung der Anklage. Da der Tag des für den Fristbeginn maßgeblichen<br />

Ereignisses einzubeziehen ist, endet die Verjährungsfrist mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Bezeichnung<br />

dem Anfangstag vorangeht (vgl. RGSt 65, 287, 290; Fischer, <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 78a Rn. 6; LK/Schmid, <strong>StGB</strong> 12.<br />

Aufl. § 78 Rn. 7; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong> 28. Aufl. § 78 Rn. 12). Dies war hier der 28.<br />

April 2009, so dass die Anklageerhebung am 29. April 2009 die Verjährung nicht mehr unterbrechen konnte.<br />

Der nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatsanwalt gestellte "Untersuchungsantrag" des Polizeipräsidiums<br />

Mittelhessen vom 5. Mai 2004 an die A. T. GmbH hat die Verjährung nicht unterbrochen. Darin lag keine Beauftragung<br />

eines Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zu einem bestimmten Beweisthema im Sinne des §<br />

78c Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong>. Diese muss den Verfahrensbeteiligten nach ihrem Inhalt <strong>und</strong> dem Zeitpunkt ihres Ergehens<br />

erkennbar sein <strong>und</strong> von diesen in ihrer Wirkung auf das Verfahren abgeschätzt werden können (vgl. BGHSt 28, 381,<br />

382; BGH NStZ 1984, 215). In diesem Sinne wird mit der Erstattung eines Gutachtens nur eine bestimmte Person<br />

beauftragt, die aufgr<strong>und</strong> besonderer Sachk<strong>und</strong>e eine Bewertung von Anknüpfungs- oder Bef<strong>und</strong>tatsachen anhand<br />

wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Erfahrungssätze vornehmen soll. Die A. GmbH sollte der ermittelnden Polizeibehörde<br />

dagegen technische Unterstützung bei der Wiederherstellung von vermutlich gelöschten Computerdateien<br />

leisten. Das reicht nicht aus. Die Strafverfolgung ist demnach verjährt. Der Senat stellt das Verfahren gemäß § 206a<br />

StPO ein. - 4 -<br />

Die Kosten <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Landeskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 StPO). Es<br />

besteht kein Anlass, ihr die notwendigen Auslagen der Angeklagten nicht aufzuerlegen (§ 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO), da<br />

die Strafverfolgung schon bei Anklageerhebung verjährt war.<br />

34


<strong>StGB</strong> § 78 b Abs. 4 Ruhen der Verjährung nach Eröffnungsbeschluss<br />

BGH, Beschl. v. 08.02.2011 – 1 StR 490/10 - NJW 2011, 1157= wistra 2011, 181<br />

LS: Die Vorschrift des § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong> knüpft nicht an die rechtliche Bewertung der Tat in der<br />

Anklage oder im Eröffnungsbeschluss an; maßgeblich ist vielmehr, ob der vom Gericht der Verurteilung<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegte Straftatbestand eine abstrakte Strafschärfung für besonders schwere Fälle<br />

vorsieht.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 8. Februar 2011 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten St. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 25. März 2010, soweit es ihn<br />

betrifft, aufgehoben<br />

a) in den Fällen D. 3. Nr. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe (Zahlungen vom 15. Februar <strong>und</strong> 21. März 2000); das Verfahren<br />

wird insoweit eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Verfahrenskosten <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des<br />

Angeklagten St. der Staatskasse zur Last;<br />

b) in den Fällen A. 2. b (Nr. 30 - 55) <strong>und</strong> C. 2. a (Nr. 1 - 34) der Urteilsgründe <strong>und</strong><br />

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, aufgehoben<br />

a) in den Fällen A. 2. b (Nr. 30 - 55) der Urteilsgründe <strong>und</strong><br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

3. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, in den Fällen D. 3. Nr. 1<br />

<strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe (Zahlungen vom 15. Februar <strong>und</strong> 21. März 2000) aufgehoben; das Verfahren wird insoweit<br />

eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Verfahrenskosten <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten<br />

D. der Staatskasse zur Last.<br />

4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.<br />

5. Im Umfang der Aufhebung auf die Revisionen der Angeklagten St. <strong>und</strong> S. wird die Sache zu neuer Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel dieser Angeklagten, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

6. Der Angeklagte D. hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten St. wegen Vorteilsgewährung in 171 Fällen, den Angeklagten S. wegen Vorteilsannahme<br />

in 55 Fällen <strong>und</strong> wegen Beihilfe zur Vorteilsannahme in drei Fällen sowie den Angeklagten D. wegen<br />

Vorteilsannahme in 70 Fällen <strong>und</strong> wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten<br />

freigesprochen. Gegen den Angeklagten St. hat es - unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer früheren<br />

Verurteilung <strong>und</strong> Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe - eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> fünf<br />

Monaten, gegen den Angeklagten S. eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten sowie gegen den<br />

Angeklagten D. eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> zehn Monaten verhängt. Die Vollstreckung der gegen<br />

die Angeklagten S. <strong>und</strong> D. verhängten Strafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt. Die Revisionen der<br />

Angeklagten, mit denen sie sich gegen ihre Verurteilung wenden <strong>und</strong> dabei jeweils die Verletzung formellen <strong>und</strong><br />

materiellen Rechts rügen, haben den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg. Sie führen zu einer <strong>Teil</strong>einstellung<br />

des Verfahrens wegen Verjährung sowie - hinsichtlich der Angeklagten St. <strong>und</strong> S. - zur Aufhebung der Verurteilung<br />

bezüglich weiterer Taten <strong>und</strong> des Gesamtstrafenausspruchs <strong>und</strong> zur Zurückverweisung der Sache insoweit an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts, da hinsichtlich dieser Taten mangels ausreichender tatrichterlicher Feststellungen<br />

dem Senat die Überprüfung des Verjährungsbeginns nicht möglich ist. Im Übrigen sind die Revisionen<br />

der Angeklagten aus den Gründen der Antragsschriften des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 10. September 2010 unbegründet<br />

i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Die Revisionen der Angeklagten St. <strong>und</strong> D. führen in den Fällen D. 3. Nr. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe zur Aufhebung<br />

des Urteils <strong>und</strong> Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung. Das Landgericht hat die Angeklagten St. <strong>und</strong> D.<br />

insoweit wegen Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme verurteilt. Nach den rechtsfehlerfrei vom Landgericht<br />

getroffenen Feststellungen erhielt der Angeklagte D. die von ihm zuvor geforderten Zahlungen im Fall D. 3. Nr. 1<br />

der Urteilsgründe aber bereits am 15. Februar 2000 <strong>und</strong> im Fall D. 3. Nr. 2 der Urteilsgründe am 21. März 2000.<br />

Damit war hinsichtlich dieser Fälle wegen Ablaufs der doppelten Verjährungsfrist gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 <strong>StGB</strong><br />

vor Erlass des angefochtenen Urteils am 25. März 2010 Verfolgungsverjährung eingetreten.<br />

35


1. Die Straftaten der Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> der Vorteilsgewährung (§ 333 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) unterliegen<br />

gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 <strong>StGB</strong> einer fünfjährigen Verjährungsfrist. Für sie begann hier die Verfolgungsverjährung<br />

mit der mit dem jeweiligen Zahlungseingang beim Angeklagten D. eintretenden Tatbeendigung (§ 78a <strong>StGB</strong>),<br />

also am 15. Februar 2000 bzw. 21. März 2000.<br />

2. Nach Ablauf von zehn Jahren war das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist erreicht. Deshalb konnten die im<br />

Laufe des Strafverfahrens vorgenommenen Unterbrechungshandlungen eine weitere Verlängerung der Verjährungsfrist<br />

nicht herbeiführen (vgl. § 78c Abs. 3 Satz 2 <strong>StGB</strong>).<br />

3. Auch die Eröffnung des Hauptverfahrens führte nicht zu einem Ruhen der Verjährung gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2<br />

i.V.m. § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong>. Zwar ruht die Verjährung nach dieser Vorschrift ab Eröffnung des Hauptverfahrens für<br />

einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren, wenn das Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet worden ist <strong>und</strong> das<br />

Gesetz strafschärfend für besonders schwere Fälle Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren androht. Dies ist hier<br />

indes nicht der Fall.<br />

a) Die Angeklagten St. <strong>und</strong> S. wurden wegen Vorteilsgewährung (§ 333 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) bzw. Vorteilsannahme (§ 331<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong>) verurteilt. Diese Straftatbestände sehen keinen Sonderstrafrahmen für besonders schwere Fälle vor.<br />

b) Der Umstand, dass die den Angeklagten bei Anklageerhebung <strong>und</strong> im Eröffnungsbeschluss zur Last liegenden<br />

Taten noch als Bestechung (§ 334 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) bzw. Bestechlichkeit (§ 332 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) gewertet worden waren,<br />

führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar sieht die Vorschrift des § 335 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> für besonders schwere<br />

Fälle von Bestechlichkeit <strong>und</strong> Bestechung einen erhöhten Strafrahmen von bis zu zehn Jahren vor. Die Vorschrift des<br />

§ 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong> knüpft aber nicht an die rechtliche Bewertung der Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss<br />

an. Maßgeblich ist vielmehr, ob der vom Gericht der Verurteilung zugr<strong>und</strong>e gelegte Straftatbestand eine<br />

abstrakte Strafschärfung für besonders schwere Fälle vorsieht (vgl. Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/ Schröder,<br />

<strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 78b Rn. 14). Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong>. Mit dieser<br />

Regelung wollte der Gesetzgeber verhindern, dass umfangreiche Strafverfahren, denen Taten von erheblichem Unrechtsgehalt<br />

zu Gr<strong>und</strong>e liegen, für die das Gesetz in besonders schweren Fällen eine Strafschärfung bis zu zehn Jahren<br />

Freiheitsstrafe androht (vgl. z.B. § 263 Abs. 3, § 264 Abs. 2, § 266 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> die bei der Eröffnung noch<br />

nicht verjährt sind, wegen des Eintritts der absoluten Verjährung während laufender Hauptverhandlung nicht mehr<br />

mit einer Sachentscheidung enden können (BT-Drucks. 12/3832, S. 44; vgl. auch Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 78b Rn.<br />

12). Der Gesetzgeber hält ein Hinausschieben des Verjährungseintritts um weitere fünf Jahre auf maximal 15 Jahre<br />

nach Tatbeendigung nur für solche Fälle für erforderlich <strong>und</strong> zur Wahrung des Rechtsfriedens für geboten. Denn<br />

diese Konstellation kommt den Fällen nahe, in denen das Gesetz für Taten i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 <strong>StGB</strong> eine Verjährungsfrist<br />

von zehn Jahren vorsieht, die absolute Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 <strong>StGB</strong> für diese also zwanzig<br />

Jahre beträgt (BT-Drucks. aaO). Damit stellt die Ruhensvorschrift des § 78b <strong>StGB</strong> einen Ausgleich dafür dar,<br />

dass es bei Straftatbeständen, bei denen das Gesetz für besonders schwere Fälle strafschärfend Freiheitsstrafen bis zu<br />

zehn Jahren androht, gleichwohl bei der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 <strong>StGB</strong> bleibt. Andere<br />

Taten i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 4 <strong>StGB</strong>, die nach dem Gesetz keiner erweiterten Strafdrohung unterliegen, sollen nach<br />

dem Willen des Gesetzgebers dagegen nicht von der Ruhensregelung des § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong> erfasst werden; für<br />

diese verbleibt es bei der fünfjährigen Verjährungsfrist <strong>und</strong> dem Eintritt der absoluten Verjährung nach zehn Jahren.<br />

Der Umstand allein, dass die Tat bei vorläufiger Bewertung zum Zeitpunkt der Anklageerhebung oder der Eröffnung<br />

des Hauptverfahrens einen schwerer wiegenden Straftatbestand zu erfüllen scheint, kann demgegenüber die Anwendung<br />

der Ruhensvorschrift des § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong> auf Straftatbestände, die keinen höheren Strafrahmen für besonders<br />

schwere Fälle vorsehen, nicht rechtfertigen. Zwar besteht dann bei Fällen wie hier, bei denen der angeklagte<br />

bzw. der im Eröffnungsbeschluss angenommene Straftatbestand die Voraussetzungen des § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong> erfüllt<br />

(hier: § 332 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 334 Abs. 1 <strong>StGB</strong> jew. i.V.m. § 335 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a <strong>StGB</strong>), ein anderer, darin<br />

enthaltener Tatbestand aber nicht (hier: § 331 Abs. 1 bzw. § 333 Abs. 1 <strong>StGB</strong>), solange keine Gewissheit über den<br />

Zeitpunkt des Verjährungseintritts, bis feststeht, ob der Tatbestand mit der verschärften Strafdrohung für besonders<br />

schwere Fälle erfüllt ist. Insoweit besteht aber kein Unterschied zu sonstigen Straftatbeständen. Auch dort ist für den<br />

Eintritt der Strafverfolgungsverjährung stets maßgeblich, welches Delikt der Täter nach den Urteilsfeststellungen<br />

verwirklicht hat, <strong>und</strong> nicht, welcher Straftat er bei Eröffnung des Hauptverfahrens noch verdächtig war (vgl. auch<br />

BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 3 StR 274/09 unter II. 1.b, BGHSt 55, 11).<br />

c) Aus dem Beschluss des Senats vom 1. August 1995 (1 StR 275/95, BGHR <strong>StGB</strong> § 78b Abs. 4 Strafdrohung 1)<br />

ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dort wird lediglich klargestellt, dass es für die Geltung der Vorschrift des § 78b<br />

Abs. 4 <strong>StGB</strong> ohne Bedeutung ist, ob die für besonders schwere Fälle vorgesehene verschärfte Strafdrohung im konkreten<br />

Fall zur Anwendung kommt oder nicht. In dem dieser Entscheidung zugr<strong>und</strong>e liegenden landgerichtlichen<br />

Urteil erfolgte eine Verurteilung wegen Betruges, für den das Gesetz auch damals schon in § 263 Abs. 3 <strong>StGB</strong> eine<br />

36


über fünf Jahre hinausreichende Strafdrohung für besonders schwere Fälle vorsah; auch die Anklage hatte sich schon<br />

auf den Verdacht des Betruges bezogen.<br />

4. Der Senat stellt deshalb das Verfahren hinsichtlich der Fälle D. 3. Nr. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe wegen Verjährung<br />

ein.<br />

II.<br />

1. Die Verurteilung der Angeklagten St. <strong>und</strong> S. wegen Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme in den Fällen A. 2.<br />

b (Nr. 30 - 55) der Urteilsgründe <strong>und</strong> des Angeklagten St. in den Fällen C. 2. a (Nr. 1 - 34) der Urteilsgründe hat<br />

ebenfalls keinen Bestand. Zwar begegnet auch in diesen Fällen die vom Landgericht vorgenommene Wertung der<br />

von den Angeklagten St. <strong>und</strong> S. begangenen Taten als Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme keinen rechtlichen<br />

Bedenken. Die Urteilsgründe enthalten jedoch insoweit keine ausreichenden Feststellungen zu den Tatzeitpunkten.<br />

Der Senat kann daher nicht prüfen, ob nicht auch diese Taten - wegen Eintritts der absoluten Verjährung gemäß §<br />

78c Abs. 3 Satz 2 <strong>StGB</strong> - verjährt sind. In den Urteilsgründen wird zu diesen Taten lediglich mitgeteilt, dass sie „im<br />

Jahr 2000“ (Fälle A. 2. b Nr. 30 - 55) bzw. „in den Jahren 2000 <strong>und</strong> 2001“ (Fälle C. 2. a Nr. 1 - 34) begangen worden<br />

sind. Dies kann hier nicht genügen; denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen offen, ob die Taten<br />

vor dem 26. März 2000 beendet worden sind. Ist dies der Fall, sind die Taten wegen Erreichens der doppelten gesetzlichen<br />

Verjährungsfrist vor Urteilserlass gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 <strong>StGB</strong> verjährt. Das Landgericht hätte daher so<br />

konkrete Feststellungen zu den Tatzeitpunkten treffen müssen, dass dem Senat die Prüfung der Verfolgungsverjährung<br />

möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 433/95, BGHSt 41, 305, 309;<br />

BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 - 1 StR 266/10 mwN). Der Umstand, dass das Revisionsgericht auch ohne entsprechende<br />

Rüge zu prüfen hat, ob ein Prozesshindernis eingetreten ist, führt nicht dazu, dass es etwa im Wege des<br />

Freibeweises den für den Verjährungsbeginn bedeutsamen konkreten Tatzeitpunkt zu ermitteln hätte. Ob das<br />

Rechtsmittel Erfolg hat, ist auch bei der Frage des Verjährungseintritts vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils nach<br />

revisionsgerichtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen zu prüfen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09 mwN;<br />

BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 - 1 StR 266/10). Soweit hier die tatgerichtlichen Feststellungen zu den Tatzeitpunkten<br />

in den Urteilsgründen eine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob Verjährung eingetreten ist, nicht zulassen,<br />

hebt der Senat daher die Verurteilung der Angeklagten St. <strong>und</strong> S. auf.<br />

2. Die Aufhebung eines erheblichen <strong>Teil</strong>s der Einzelstrafen bei den Angeklagten St. <strong>und</strong> S. zieht die Aufhebung der<br />

Aussprüche der gegen diese Angeklagten verhängten Gesamtstrafen nach sich.<br />

3. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es - über die Verfahrenseinstellung hinaus - jedoch nicht; denn die<br />

Urteilsfeststellungen sind von dem Aufhebungsgr<strong>und</strong> nicht betroffen. Das neue Tatgericht hat, soweit die Urteilsaufhebung<br />

wegen unzureichender Feststellungen zum jeweiligen Tatzeitpunkt erfolgt ist, lediglich ergänzend die konkreten<br />

Tatzeitpunkte festzustellen; es kann weitere Feststellungen treffen, die mit den aufrechterhaltenen Feststellungen<br />

nicht im Widerspruch stehen.<br />

III. Die gegen den Angeklagten D. verhängte Gesamtstrafe hat auch im Hinblick auf die Einstellung des Verfahrens<br />

in den Fällen D. 3. Nr. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe Bestand. Angesichts der von der <strong>Teil</strong>einstellung unberührt gebliebenen<br />

Einsatzstrafe von neun Monaten Freiheitsstrafe, der Vielzahl der abgeurteilten Taten <strong>und</strong> der lediglich moderaten<br />

Erhöhung der Einsatzstrafe schließt der Senat aus, dass das Landgericht gegen den Angeklagten D. eine niedrigere<br />

als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> zehn Monaten verhängt hätte, wenn es die wegen<br />

Verjährungseintritts gebotene Verfahrenseinstellung selbst vorgenommen hätte.<br />

IV. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg; sie sind unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2<br />

StPO. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in seinen Antragsschriften vom 10. September<br />

2010 bemerkt der Senat: Die Taten der Steuerhinterziehung sind nicht verjährt. Die Unterbrechungswirkung von<br />

Untersuchungshandlungen erstreckt sich gr<strong>und</strong>sätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen Taten, wenn in einem<br />

Verfahren wegen mehrerer Taten im prozessualen Sinn ermittelt wird. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Verfolgungswille<br />

des tätig werdenden Strafverfolgungsorgans erkennbar auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist. Für<br />

die Bestimmung des Verfolgungswillens der Strafverfolgungsorgane ist maßgeblich, was mit der jeweiligen Handlung<br />

bezweckt wird. Dabei sind neben dem Wortlaut der Verfügung auch der Sach- <strong>und</strong> der Verfahrenszusammenhang<br />

entscheidend. Sofern sich die Reichweite nicht aus der Handlung selbst ergibt, ist der sonstige Akteninhalt zur<br />

Auslegung heranzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 5 StR 226/99, wistra 2000, 219). Im vorliegenden<br />

Fall erstreckte sich das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten D. auch auf den Tatvorwurf der Steuerhinterziehung.<br />

Bereits dem von der Revision mitgeteilten Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 21.<br />

Mai 2004 lässt sich entnehmen, dass der Verfolgungswille der Ermittlungsbehörden nicht auf die Tatvorwürfe der<br />

Bestechlichkeit <strong>und</strong> des Betruges beschränkt war, sondern die Ermittlungen sich auch auf weitere mit dem Erhalt der<br />

Zuwendungen von dem Angeklagten St. zusammenhängende Straftaten erstrecken sollten. Mit Recht hat die Staats-<br />

37


anwaltschaft in ihrer Gegenerklärung darauf hingewiesen, dass auch aus dem Protokoll der hierauf bei dem Angeklagten<br />

D. erfolgenden Durchsuchung erkennbar war, dass die Steuerfahndung hinzugezogen worden war.<br />

<strong>StGB</strong> Besonderer <strong>Teil</strong><br />

<strong>StGB</strong> § 107a, 267 Urk<strong>und</strong>enfälschung auf der Wahlbenachrichtigungskarte<br />

BGH, Urt. v. 17.03.2011 - 1 StR 407/10 - BeckRS 2011, 08015<br />

LS: Eine Urk<strong>und</strong>enfälschung auf der Wahlbenachrichtigungskarte bezüglich des Antrags auf Erteilung<br />

von Briefwahlunterlagen <strong>und</strong> eine nachfolgende Wahlfälschung unter Verwendung des aufgr<strong>und</strong><br />

dieses Antrags ausgegebenen Stimmzettels sind nicht im Sinne einer Bewertungseinheit tateinheitlich<br />

verb<strong>und</strong>en, sondern stehen im Verhältnis von Tatmehrheit zueinander. Der Umstand,<br />

dass der Täter die Urk<strong>und</strong>enfälschung nur begeht, um in den Besitz der Briefwahlunterlagen zu<br />

kommen <strong>und</strong> den Stimmzettel selbst ausfüllen zu können, ändert daran nichts.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 3. März 2010 in folgenden<br />

Fällen aufgehoben:<br />

a) den sieben unter II 1 festgestellten Fällen;<br />

b) Fall II 4;<br />

c) Fall II 5;<br />

d) den beiden unter II 6 festgestellten Fällen;<br />

e) von den unter II 10 festgestellten Fällen im Fall V. H.;<br />

f) von den unter II 12 festgestellten Fällen im Fall A. J.;<br />

g) von den unter II 13 festgestellten Fällen im Fall V. J.;<br />

h) den vier unter II 14 festgestellten Fällen;<br />

i) von den unter II 16 festgestellten Fällen in den Fällen M. <strong>und</strong> L. K.;<br />

j) Fall II 18;<br />

k) den drei unter II 19 festgestellten Fällen;<br />

l) von den unter II 20 festgestellten Fällen in den Fällen E., V. <strong>und</strong> Va. M.;<br />

m) von den unter II 23 festgestellten Fällen in den Fällen V. Ro., L. W. <strong>und</strong> E. W.;<br />

n) den beiden unter II 25 festgestellten Fällen;<br />

o) von den unter II 26 festgestellten Fällen im Fall V. R.;<br />

p) Fall II 27;<br />

q) Fall II 28,<br />

sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Jedoch bleiben sämtliche Feststellungen aufrechterhalten.<br />

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. Jedoch werden im Urteilstenor die Worte „Verleitung<br />

zur Falschaussage“ durch die Worte „Verleitung zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt“ ersetzt.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

I.<br />

1. Die Strafkammer hat festgestellt: Der Angeklagte kandidierte bei der Kommunalwahl am 2. März 2008 als Parteiloser<br />

auf der Liste der CSU für den Stadtrat von R. . Im Rahmen von Briefwahl füllte er die Stimmzettel von 60<br />

Wahlberechtigten, oft Spätaussiedlern, die teilweise nicht gut deutsch konnten <strong>und</strong> jedenfalls den Ablauf einer Wahl<br />

kaum überblickten, ohne Mitwirkung des jeweiligen Wahlberechtigten allein nach eigenem Gutdünken aus. In einigen<br />

wenigen Fällen waren die Wahlberechtigten bereits im Besitz der für Briefwahl erforderlichen Unterlagen gewesen,<br />

als der Angeklagte mit ihnen Kontakt aufnahm. Meistens hatte die Stadtverwaltung, die dabei die einschlägigen<br />

Vorschriften „lax“ handhabte, diese Unterlagen auf Gr<strong>und</strong> entsprechender Anträge dem Angeklagten selbst oder<br />

38


über einen Mittelsmann überlassen. Ein solcher Antrag ist auf der Wahlbenachrichtigungskarte vorgedruckt, die<br />

jeder Wahlberechtigte vor der Wahl bekommt. Soweit nicht der Wahlberechtigte diesen Antrag auf Veranlassung des<br />

Angeklagten selbst unterschrieben hatte, hatte sich der Angeklagte ohne Wissen des Wahlberechtigten dessen Wahlbenachrichtigungskarte<br />

verschafft <strong>und</strong> diese mit dessen Namen unterschrieben oder er hatte einen Angehörigen des<br />

Wahlberechtigten hierzu veranlasst. Zu den Briefwahlunterlagen gehört neben dem Stimmzettel auch der Wahlschein.<br />

Hierauf sind mehrere eidesstattliche Versicherungen vorgedruckt. In einer von ihnen versichert der Wähler<br />

gegenüber dem zuständigen Wahlorgan, dass er den Stimmzettel persönlich gekennzeichnet hat. Diese inhaltlich<br />

stets falsche Versicherung an Eides Statt wurde hier in allen Fällen abgegeben, wobei der Angeklagte entweder den<br />

Wahlberechtigten selbst hierzu veranlasste oder einen Angehörigen dazu veranlasste, diese Erklärung mit dem Namen<br />

des Wahlberechtigten zu unterschreiben. In einigen Fällen unterschrieb er sie mit dem Namen des Wahlberechtigten<br />

auch selbst. Nachdem die genannten Vorfälle bekannt wurden, wurden die Stadtratswahl <strong>und</strong> die gleichzeitig<br />

durchgeführte Kreistagswahl für ungültig erklärt; <strong>und</strong>, die Kreistagswahl nur in R., wiederholt. Der Angeklagte wurde<br />

bei der zweiten Wahl, anders als noch zuvor, nicht gewählt. Er zahlte für Kosten der Wahlwiederholung an die<br />

Stadt <strong>und</strong> den Kreis je 18.000 €.<br />

2. Deshalb wurde der Angeklagte wegen „Wahlfälschung in sechzig tat-mehrheitlichen Fällen, davon<br />

a) in 13 Fällen in Tateinheit mit falscher Versicherung an Eides statt sowie in 47 Fällen in Tateinheit mit Verleitung<br />

zur Falschaussage,<br />

b) in 28 Fällen jeweils in Tateinheit mit zwei rechtlich zusammentreffenden Vergehen der Urk<strong>und</strong>enfälschung,<br />

c) in 11 Fällen in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung“<br />

zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem wurden Nebenstrafen<br />

gemäß § 45 <strong>StGB</strong> ausgesprochen. Der Senat bemerkt, dass zum Schuldspruch weder der Tenor noch die Urteilsgründe<br />

übersichtlich sind. Im Tenor sind die 60 Fälle scheinbar in 99 Fälle untergliedert. In den Urteilsgründen sind<br />

sie, orientiert an Familien <strong>und</strong> (oder) Adressen, in 28 Abschnitte aufgeteilt. Obwohl sich der Ablauf bezüglich des<br />

einzelnen Wählers zu den Unterschriften auf Antrag (Wahlbenachrichtigungskarte) <strong>und</strong> Versicherung an Eides Statt<br />

(Wahlschein) häufig unterscheidet, ist keine weitere Untergliederung vorgenommen. Die rechtliche Würdigung ist<br />

noch differenzierter als im Tenor. Letztlich konnte die Gesamtbewertung des Geschehens hinsichtlich des einzelnen<br />

Wählers nur durch das Anlegen von Tabellen nachvollzogen werden (zur Bewertung der Notwendigkeit solcher<br />

Tabellen vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 - 1 StR 247/09).<br />

3. Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie beantragt (§<br />

344 Abs. 1 StPO), das gesamte Urteil aufzuheben. Zur Begründung ist hinsichtlich der Schuldsprüche nur vorgetragen,<br />

dass - jeweils auf einen Wahlberechtigten bezogen - zwischen der Tat hinsichtlich des Antrags (Wahlbenachrichtigungskarte)<br />

<strong>und</strong> den übrigen Delikten (hinsichtlich des Stimmzettels <strong>und</strong> des Wahlscheins) keine Tateinheit<br />

bestehe. Da in etlichen Fällen hinsichtlich des Antrags auf Erteilung von Briefwahlunterlagen keine Straftat vorliegt,<br />

fallen Revisionsantrag <strong>und</strong> -begründung auseinander (vgl. auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV). Dann bestimmt sich der<br />

Anfechtungsumfang regelmäßig nach der Revisionsbegründung (BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88,<br />

BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3). Der Senat bemerkt, dass es das Revisionsverfahren erleichtert, wenn - zumal<br />

bei einer Revision der Staatsanwaltschaft - der Anfechtungsumfang sich ohne weiteres aus der Übereinstimmung von<br />

Revisionsantrag <strong>und</strong> -begründung ergibt <strong>und</strong> nicht erst durch Auslegung ermittelt werden muss (BGH, Urteil vom<br />

25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118).<br />

II. Zum Schuldspruch: Der Senat verschließt sich den Ausführungen der Revision zu den Konkurrenzen nicht. Eine<br />

Urk<strong>und</strong>enfälschung auf der Wahlbenachrichtigungskarte bezüglich des Antrags einerseits <strong>und</strong> eine Wahlfälschung<br />

unter Verwendung des aufgr<strong>und</strong> dieses Antrags ausgegebenen Stimmzettels (sowie Delikte hinsichtlich der zugleich<br />

auf dem Wahlschein abgegebenen Versicherung an Eides Statt) andererseits stehen nicht in Tateinheit (§ 52 <strong>StGB</strong>)<br />

zueinander.<br />

1. Der Angeklagte beging die Urk<strong>und</strong>enfälschungen hinsichtlich der Anträge nur, um in den Besitz der Briefwahlunterlagen<br />

zu kommen <strong>und</strong> die Stimmzettel selbst ausfüllen zu können. Deshalb, so die Strafkammer, seien die Taten<br />

beider Komplexe im Sinne einer Bewertungseinheit in Tateinheit verb<strong>und</strong>en. Diese Auffassung teilt der Senat nicht,<br />

ohne dass hier sämtlichen Aspekten der noch nicht vollständig geklärten Rechtsfigur der Bewertungseinheit (vgl.<br />

hierzu eingehend Rissing-van Saan in LK-<strong>StGB</strong>, 12. Aufl., vor § 52 Rn. 23 ff. m. zahlr. w. Nachw.) nachzugehen<br />

wäre. Es geht bei einer Bewertungseinheit regelmäßig um einen Tatbestand, der typischerweise im Gesetz in pauschalierender,<br />

weit gefasster <strong>und</strong> verschiedene natürliche Handlungen zusammenfassender Weise beschrieben ist <strong>und</strong><br />

der dementsprechend trotz mehrerer - nicht wegen teilweisen Zusammenfallens von Tathandlungen oder wegen eines<br />

auch räumlich/zeitlich engen Zusammenhangs tateinheitlich verb<strong>und</strong>ener - derartiger Handlungen als nur einmal<br />

erfüllt angesehen wird (vgl. zum Fall des Handeltreibens mit [der selben Menge] Betäubungsmitteln gr<strong>und</strong>legend<br />

39


BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981 - 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28, 31; zum Zuwiderhandeln gegen ein vereinsrechtliches<br />

Betätigungsverbot, dem „das Element der Wiederholung [einzelner Handlungen] immanent ist“, BGH,<br />

Beschluss vom 11. Februar 2000 - 3 StR 486/99, BGHSt 46, 6, 15 sowie Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR<br />

466/09, NStZ 2010, 455; weitere Beispiele bei Rissing-van Saan, aaO, Rn. 24 ff.; von Heintschel–Heinegg in<br />

MünchKomm-<strong>StGB</strong>, § 52 Rn. 41 ff.).<br />

2. Eine derartige oder eine damit vergleichbare Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor. Wahlfälschung wird nicht<br />

notwendiger- oder auch nur typischerweise mittels einer vorangegangenen Urk<strong>und</strong>enfälschung begangen, noch weniger<br />

erstrebt der Täter einer Urk<strong>und</strong>enfälschung notwendiger- oder typischerweise eine Wahlfälschung. Wahlfälschung<br />

einerseits <strong>und</strong> Urk<strong>und</strong>enfälschung andererseits sind Delikte mit unterschiedlicher Schutzrichtung. Auch führt<br />

allein die Verfolgung eines einheitlichen Ziels nicht dazu, dass derartige Delikte, die aus anderem Gr<strong>und</strong>e nicht tateinheitlich<br />

verb<strong>und</strong>en sind, im Blick auf eine Bewertungseinheit doch tateinheitlich verb<strong>und</strong>en wären (zur [nicht<br />

identischen, aber vergleichbaren] Verneinung einer natürlichen Handlungseinheit trotz eines mit verschiedenen Taten<br />

verfolgten einheitlichen Ziels vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1997 - 1 StR 481/97, NStZ-RR 1998, 68; vgl.<br />

auch Eschelbach in SSW <strong>StGB</strong> § 52 Rn. 31 mwN).<br />

3. Sind mehrere Tatbestände als tateinheitlich verb<strong>und</strong>en abgeurteilt, führt ein Rechtsfehler regelmäßig zur Aufhebung<br />

dieses Schuldspruchs insgesamt (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2008 - 1 StR 327/08 mwN). Eine zum Schuldspruch<br />

abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich. Es ist nicht völlig klar, wie oft <strong>und</strong> jeweils wie<br />

viele der zu der Wahlfälschung jeweils in Tatmehrheit stehenden Urk<strong>und</strong>enfälschungen hinsichtlich der Anträge<br />

wegen gleichzeitiger Vorlage bei der Stadtverwaltung tateinheitlich verb<strong>und</strong>en sind. Hierzu ist im Rahmen der Bewertung<br />

des Verhaltens der Stadtverwaltung festgestellt, dass in einigen näher genannten Fällen „Unterlagen von<br />

drei <strong>und</strong> mehr Familienmitgliedern“ (offenbar stets unmittelbar nach Vorlage der Anträge) „gleichzeitig abgeholt“<br />

wurden. Daher liegt nahe, dass dies dann, wenn etwa die Anträge für ein Ehepaar (Fälle II 6 <strong>und</strong> II 25) oder für<br />

Wahlberechtigte mit der selben Adresse (Fälle II 1) abgegeben <strong>und</strong> die Briefwahlunterlagen entgegengenommen<br />

wurden, ebenso war. Auch versteht sich nicht von selbst, dass jeweils die Anträge für eine Familie oder die Bewohner<br />

eines Hauses gesondert abgegeben wurden.<br />

4. Sämtliche Feststellungen in den genannten Fällen bleiben jedoch aufrecht erhalten, da sie von dem aufgezeigten<br />

Mangel in der rechtlichen Wertung nicht berührt <strong>und</strong> auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind. Es sind lediglich<br />

hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses der in Rede stehenden Urk<strong>und</strong>enfälschungen ergänzende Feststellungen zu<br />

treffen. Auch sonst sind ergänzende Feststellungen zulässig, die den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen.<br />

5. Hinsichtlich der weiteren, wie dargelegt nicht angefochtenen Fälle wäre im Übrigen auch kein durchgreifender<br />

Rechtsfehler ersichtlich. Dennoch hat der Senat in diesen Fällen die Worte „Verleitung zur Falschaussage“ durch die<br />

Worte „Verleitung zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt“ ersetzt. Die Tenorierung durch die Strafkammer<br />

entspricht allerdings § 260 Abs. 4 Satz 2 StPO, wonach die gesetzliche Überschrift der angewendeten Bestimmung<br />

verwendet werden „soll“. Hier ist jedoch § 160 <strong>StGB</strong> nicht wegen dort in der Überschrift genannter Verleitung(en)<br />

zur Falschaussage angewendet worden, sondern wegen in § 160 <strong>StGB</strong> außerdem noch unter Strafe gestellter<br />

Verleitung(en) zur Abgabe falscher Versicherung(en) an Eides Statt. Bei einer solchen Konstellation hält es<br />

der Senat für angezeigt, im Urteilstenor nicht die gesetzliche Überschrift der angewendeten Bestimmung zu verwenden.<br />

Die zutreffende Kennzeichnung der abgeurteilten Straftat auch <strong>und</strong> gerade im Urteilstenor hat Vorrang vor der<br />

Verwendung einer nicht einschlägigen gesetzlichen Überschrift (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 260 Rn. 23<br />

mwN).<br />

III. Zum Strafausspruch:<br />

1. Die auf der Gr<strong>und</strong>lage der Annahme von Tateinheit in den genannten Fällen verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> die<br />

Gesamtfreiheitsstrafe waren (auch gemäß § 301 StPO) - auch hier unter Aufrechterhaltung sämtlicher Feststellungen<br />

- aufzuheben. Allerdings gefährdet allein eine fehlerhafte Beurteilung von Konkurrenzen bei gleich bleibendem<br />

Schuld- <strong>und</strong> Unrechtsgehalt den Strafausspruch meist nicht (st. Rspr., vgl. d. N. bei Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 46<br />

Rn. 58). Es liegt nicht ohne weiteres nahe, dass hier im Ergebnis anderes gelten müsste. Der Senat kann hierüber<br />

aber schon deshalb nicht befinden, weil für die Urk<strong>und</strong>enfälschungen hinsichtlich der Anträge in einigen - Genaueres<br />

steht insoweit noch nicht fest - Fällen noch Einzelstrafen festzusetzen sind.<br />

2. Soweit darüber hinaus die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs beantragt ist, also auch der Einzelstrafen in<br />

den Fällen, in denen bezüglich der Anträge keine Urk<strong>und</strong>enfälschung vorliegt, ist die Revision unbegründet.<br />

a) Die Staatsanwaltschaft trägt vor, im Blick auf die insgesamt zahlreichen verwendeten unechten Urk<strong>und</strong>en (gefälschte<br />

Anträge <strong>und</strong> gefälschte Versicherungen an Eides Statt), die insgesamt die Sicherheit des Rechtsverkehrs<br />

erheblich gefährdet hätten, lägen besonders schwere Fälle von Urk<strong>und</strong>enfälschung gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3<br />

<strong>StGB</strong> vor. Träfe dies zu, wären nicht nur ohnehin aufgehobene Einzelstrafen betroffen, sondern auch die Einzelstra-<br />

40


fen in den Fällen, in denen zwar keine Urk<strong>und</strong>enfälschung hinsichtlich des Antrags auf der Wahlbenachrichtigungskarte<br />

vorliegt, wohl aber hinsichtlich der Versicherung an Eides Statt auf dem Wahlschein. Die tatbestandlichen<br />

Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 <strong>StGB</strong> liegen jedoch nicht vor. Dies erforderte<br />

nämlich, dass die Vielzahl von Urk<strong>und</strong>en schon im Rahmen e i n e r Tat im Rechtssinne verwendet worden wäre.<br />

Liegen, wie hier, zahlreiche rechtlich selbständige Taten vor, bei denen jeweils eine oder (nach Auffassung der<br />

Strafkammer) zwei unechte Urk<strong>und</strong>en verwendet wurden, so sind nicht die bei sämtlichen Taten benutzten unechten<br />

Urk<strong>und</strong>en zusammenzuzählen <strong>und</strong> diese Summe dann der Strafzumessung für jede einzelne Tat zu Gr<strong>und</strong>e zu legen.<br />

All dies hat auch die Strafkammer zutreffend ausgeführt. Im Einzelfall mag eine Vielzahl ähnlicher Taten <strong>und</strong> deren<br />

Folgen mit ein Gr<strong>und</strong> für die Annahme besonders schwerer Fälle auch ohne Vorliegen eines Regelbeispiels sein;<br />

auch diese Möglichkeit hat die Strafkammer gesehen <strong>und</strong> rechtsfehlerfrei verneint. Im Übrigen ist, wie sonst auch,<br />

eine einheitliche Folge mehrerer rechtlich selbständiger Handlungen (vergleichbar etwa psychischen Schäden als<br />

Folge einer Serie von Sexualdelikten zum Nachteil des Opfers) bei der Bildung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen.<br />

Auch wenn die Gesamtstrafe hier aufzuheben war, bemerkt der Senat, dass die Urteilsgründe nicht besorgen lassen,<br />

dass die Strafkammer diesen Gesichtspunkt aus dem Blick verloren hätte.<br />

b) Auch im Übrigen beschränkt sich das gegen die Strafzumessung gerichtete Revisionsvorbringen im Wesentlichen<br />

auf den Versuch, die tatrichterliche Strafzumessung durch eigene Erwägungen zu ersetzen, ohne damit jedoch die<br />

Möglichkeit von - auch im Übrigen nicht ersichtlichen - Rechtsfehlern aufzuzeigen.<br />

3. Soweit die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist diese Entscheidung im Blick auf die teilweise Aufhebung<br />

des Strafausspruchs hinfällig. Der Senat bemerkt jedoch, dass bisher weder auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsausführungen<br />

noch sonst erkennbar ist, dass die Strafkammer an irgendeiner Stelle die Grenzen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums<br />

überschritten hätte. Soweit die Strafkammer (auch) in diesem Zusammenhang berücksichtigt hat, dass der<br />

1941 geborene Angeklagte seit 2004 an Blasenkrebs erkrankt ist, hält dies die Staatsanwaltschaft für rechtsfehlerhaft,<br />

weil der Angeklagte trotz dieser Erkrankung zum Stadtrat kandidiert <strong>und</strong> die abgeurteilten Taten begangen habe. Mit<br />

diesem Vorbringen ist die Möglichkeit eines Rechtsfehlers nicht verdeutlicht, die Berücksichtigung schwerer Erkrankung<br />

bei der Strafzumessung <strong>und</strong> ebenso bei der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung ist<br />

unter dem Blickwinkel der Auswirkung der Strafe auf den Täter sachgerecht (BGH, Beschluss vom 21. November<br />

2007 - 2 StR 449/07 mwN). Soweit die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang ergänzend geltend macht, dass<br />

die letzte Krebsoperation „lange vor den Tatzeiten“ erfolgt sei, widerspricht dies den Urteilsgründen. Die letzte,<br />

2007 durchgeführte Krebsoperation lag zum Tatzeitraum maximal etwa ein Jahr zurück, der zu 90 % schwerbehinderte<br />

Angeklagte steht unter sog. Krebsüberwachung.<br />

4. Ob die Nebenstrafen (§ 45 <strong>StGB</strong>) angefochten sein sollen, mag dahinstehen. Sie bleiben ebenfalls bestehen, da<br />

auch insoweit Rechtsfehler weder behauptet, noch sonst ersichtlich sind.<br />

41


<strong>StGB</strong> § 129, § 129a, § 129b Inländische <strong>Teil</strong>gruppe ausländischer Vereinigung<br />

BGH, Urt. v. 28.10.2010 – 3 StR 179/10 – NJW 2011, 542<br />

LS:<br />

1. Eine in Deutschland tätige <strong>Teil</strong>organisation einer ausländischen Vereinigung ist nur dann als<br />

eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a <strong>StGB</strong> anzusehen, wenn die Gruppierung<br />

für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen,<br />

zeitlichen <strong>und</strong> voluntativen Voraussetzungen erfüllt.<br />

2. Hieraus folgt, dass die inländische <strong>Teil</strong>gruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer<br />

Selbstständigkeit aufweisen <strong>und</strong> einen eigenen, von der ausländischen (Haupt-)Organisation unabhängigen<br />

Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür<br />

reicht es nicht aus, dass die Mitglieder der inländischen <strong>Teil</strong>gruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen,<br />

sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass sich<br />

der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbil-dungsprozess in seiner<br />

Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober 2010 für Recht erkannt: Auf die Revision<br />

des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2009 mit den<br />

Fest-stellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung<br />

zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner<br />

hiergegen gerichteten Revision die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der<br />

Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.<br />

1. Der Verurteilung liegt zu Gr<strong>und</strong>e, dass der Angeklagte von Juli 2004 bis Juni 2007 in Deutschland nacheinander<br />

insgesamt drei Gebiete der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) leitete. Im Einzelnen hat<br />

das Oberlandesgericht hierzu folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

a) Ziel der im Jahre 1978 gegründeten PKK war es zunächst, in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in<br />

Syrien, im Irak <strong>und</strong> im Iran einen sozialistischen kurdischen Nationalstaat unter ihrer alleinigen Führung zu errichten.<br />

Sie verstand sich als straff organisierte, zentralistisch geführte, den Zielen des Marxismus/Leninismus verpflichtete<br />

Kaderorganisation <strong>und</strong> erachtete die Anwendung "revolutionärer Gewalt" als legitim. Im Jahre 1984 begann sie<br />

einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Die Auseinandersetzungen wurden von beiden Seiten mit<br />

großer Härte geführt <strong>und</strong> forderten insbesondere unter der Zivilbevölkerung zahlreiche Opfer. Nachdem die Kämpfe<br />

die PKK ihrem Ziel nicht entscheidend näher gebracht hatten, erklärte ihr Führer Abdullah Öcalan 1996/1997, es sei<br />

auch ein "b<strong>und</strong>esstaatliches Modell nach Schweizer Vorbild" vorstellbar. Öcalan wurde im Februar 1999 festgenommen.<br />

Aus diesem Anlass wurden die Parteiziele weiter modifiziert; es sollte nunmehr nur noch die Wahrung der<br />

kurdischen Identität durch Erhaltung der sozialen <strong>und</strong> kulturellen Eigenständigkeit der kurdischen Bevölkerung innerhalb<br />

der staatlichen Ordnung der Türkei in friedlichem Ausgleich mit dem türkischen Staat <strong>und</strong> auf demokratischem<br />

Wege erreicht werden. Im Juni 1999 wurde Öcalan in der Türkei wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Im<br />

August 1999 erklärte die PKK den Guerillakampf einseitig für beendet <strong>und</strong> ordnete den Rückzug ihrer Verbände aus<br />

der Türkei an. Die bewaffneten Einheiten zogen sich daraufhin vor allem in den Nordirak zurück <strong>und</strong> gliederten sich<br />

als "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel - HPG) neu. Diese "Friedenslinie" diente vorrangig dazu, das<br />

Leben Öcalans zu retten. Im April 2002 wurde der "Freiheits- <strong>und</strong> Demokratiekongress Kurdistans" (Kongreya Azadi<br />

u Demokrasiya Kurdistane - KADEK) gegründet, der sich unter Aufrechterhaltung von Strukturen <strong>und</strong> Zielen der<br />

PKK als deren Nachfolger verstand. Die gegen Öcalan verhängte Todesstrafe wurde im Oktober 2002 in eine lebenslange<br />

Freiheitsstrafe umgewandelt. Der KADEK beschloss im Oktober 2003 seine Auflösung; gebildet wurde nunmehr<br />

der "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA-GEL), dessen politischen Willen die<br />

HPG unterstellt wurden. Diese kündigten den "Waffenstillstand" mit der Türkei zum 1. Juni 2004 auf. In der Folgezeit<br />

eskalierten die gewalttätigen Auseinandersetzungen <strong>und</strong> forderten auf beiden Seiten vermehrt Todesopfer. Im<br />

April 2005 bildete sich nach den Vorgaben Öcalans eine "neue PKK", die sich als ideologische <strong>und</strong> philosophische<br />

Bewegung verstand <strong>und</strong> die ebenfalls von Öcalan entwickelte Idee eines "Demokratischen Konföderalismus Kurdis-<br />

42


tans" mit Hilfe des KONGRAGEL umsetzen wollte. Hierzu wurde im Mai 2005 die "Gemeinschaft der Kommunen<br />

in Kurdistan" (Koma Komalen Kurdistan - KKK) gegründet; die KKK-Vereinbarung vom 17. Mai 2005 enthält<br />

gr<strong>und</strong>legende Regelungen in Form einer Verfassung. U. a. werden in Art. 19 die "Ge-biete Europa <strong>und</strong> GUS" als<br />

Landesteile behandelt. Im Jahre 2007 verstärkten sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den HPG<br />

<strong>und</strong> der türkischen Armee erneut. Der KKK benannte sich in "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" (Koma<br />

Civaken Kurdistan - KCK) um; die KKK-Vereinbarung wurde durch das KCK-Abkommen vom 25. Mai 2007 fortgeschrieben.<br />

Die PKK verlegte schon wenige Jahre nach ihrer Gründung zahlreiche Aktivitäten ins Ausland, um dem<br />

massiven Verfolgungsdruck in der Türkei auszuweichen. Sie warb in Deutschland <strong>und</strong> anderen Regionen Westeuropas<br />

um Mitglieder <strong>und</strong> Sympathisanten, die zur finanziellen Unterstützung der Partei <strong>und</strong> ihrer Kader verpflichtet<br />

wurden, <strong>und</strong> betrieb intensiv die Rekrutierung von Nachwuchs sowohl für Kader als auch für die in der Türkei operierende<br />

Guerilla. Zur Organisierung ihrer in Europa lebenden Anhänger <strong>und</strong> zur Propagierung ihrer Ziele gründete<br />

die PKK im Jahre 1985 die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK).<br />

Der Europaführung der PKK gelang es, eine straffe Organisationsstruktur zu errichten <strong>und</strong> viele der in Europa lebenden<br />

Kurden für die Ziele der Partei zu gewinnen. Ihren uneingeschränkten Führungs- <strong>und</strong> Alleinvertretungsanspruch<br />

setzte die PKK vor allem zwischen 1984 <strong>und</strong> 1988 auch durch die Begehung von Tötungsdelikten an sog. Verrätern<br />

bzw. Abweichlern um. Der hierdurch hervorgerufene Verfolgungsdruck sowie der Wunsch nach einer Stärkung der<br />

Effizienz der Parteiarbeit veranlasste die PKK zu Beginn der 1990er Jahre, die Organisation in Europa noch fester<br />

<strong>und</strong> straffer zu gliedern. Träger war ein aus professionellen Kadern bestehender Funktionärskörper mit der "Europäischen<br />

Frontzentrale" (Avrupa Cephe Merkezi - ACM) an der Spitze. Im Jahre 2000 wurde die ERNK aufgelöst <strong>und</strong><br />

durch die "Kurdische Demokratische Volksunion" (Yekitiya Demokratika Gele Kurd - YDK) ersetzt; an deren Stelle<br />

trat 2004 die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft" (Koordinasyon Civata Demokratik a Kurdistan<br />

- CDK). Dementsprechend folgten auf den ACM zunächst der YDK-Rat <strong>und</strong> sodann der CDK-Rat bzw. die<br />

CDK-Koordinierung. Diesem Gremium stand die sog. Zentrale oder auch Exekutive vor, die aus dem Europaverantwortlichen<br />

sowie einigen weiteren engen Vertrauten Öcalans bestand <strong>und</strong> für die Leitung der laufenden Geschäfte<br />

zuständig war. Ihr oblag es, die Ziele, Vorgaben <strong>und</strong> Personalentscheidungen der Parteiführung gegenüber den nachgeordneten<br />

Einheiten durch individuelle <strong>und</strong> generelle Anweisungen durchzusetzen. Unterhalb dieser Führungsebene<br />

war Europa überwiegend in Regionen (Eyalet), Gebiete (Bölge), Räume (Alan) <strong>und</strong> Stadtteile (Semt) eingeteilt. Für<br />

jede Organisationseinheit wurde von der Führung ein Verantwortlicher eingesetzt, für Regionen <strong>und</strong> Gebiete waren<br />

dies in der Regel durch die Partei alimentierte professionelle Kader. Diese wechselten regelmäßig ihre Funktionen<br />

<strong>und</strong> verhielten sich in hohem Maße konspirativ. In Deutschland gab es seit 2002 mit einer kurzen Unterbrechung im<br />

Jah-re 2007 drei Sektoren (Süd, Mitte <strong>und</strong> Nord), denen etwa 25 Gebiete nachgeordnet waren; zeitweise übte ein<br />

Sektorleiter auch die Funktion eines sog. Deutschlandkoordinators aus. Die Tätigkeit der PKK in Deutschland war<br />

von Beginn an auf die Unterstützung der militärischen <strong>und</strong> politischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat<br />

ausgerichtet. Hierfür stellten die Organisationseinheiten der PKK in Europa die Finanzmittel, rekrutierten Nachwuchs<br />

für den Guerillakampf <strong>und</strong> betrieben Propaganda, um die öffentliche Meinung zu Gunsten der PKK zu beeinflussen.<br />

Es wurden verschiedene Aufgabenbereiche (Finanzen, Außenbeziehungen, Öffentlichkeitsarbeit u.a.) gebildet,<br />

die ihre Aufgaben nach den Vorgaben der Europazentrale zu erfüllen hatten. Besondere Bedeutung kam dabei<br />

dem Bereich Finanzen zu. Die erforderlichen Geldmittel erzielte die Organisation vor allem durch eine jährlich<br />

durchgeführte "Spendenkampagne". Die zu leistenden Zahlungen wurden auf der Gr<strong>und</strong>lage verbindlicher Zielvorgaben<br />

der Europaführung für die einzelnen Strukturebenen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen<br />

festgelegt; in der Regel wurde ein Monatsgehalt verlangt. Die führenden Funktionäre <strong>und</strong> Kader führten die Aktionen<br />

durch, überwachten sie <strong>und</strong> hatten dafür zu sorgen, dass die Vorgaben der Europaführung erfüllt wurden. Raumverantwortliche<br />

<strong>und</strong> "Frontarbeiter" suchten die ortsansässigen Kurden in Deutschland auf <strong>und</strong> forderten die Gelder<br />

ein. Aufgr<strong>und</strong> der hohen Planvorgaben standen vor allem die Gebietsleiter sowie die sonstigen Kader <strong>und</strong> Aktivisten<br />

an der Front unter erheblichem Erfolgsdruck. Die eingesammelten Gelder sowie weitere Beiträge <strong>und</strong> Einnahmen<br />

aus Publikationen waren an das unmittelbar an die Europaführung angeb<strong>und</strong>ene "Wirtschafts- <strong>und</strong> Finanzbüro" (Ekonomi<br />

Razi Buroya Iliskin - EMB) zu übermitteln. Im November 1993 gingen Mitglieder <strong>und</strong> Sympathisanten der<br />

PKK weisungsgemäß dazu über, in Deutschland Brandanschläge auf türkische Geschäfte, Banken, Vereinslokale <strong>und</strong><br />

ähnliche Versammlungsstätten zu verüben. Diese Aktivitäten führten dazu, dass der PKK <strong>und</strong> der ERNK die Betätigung<br />

in Deutschland durch Verfügung des B<strong>und</strong>esministers des Innern vom 22. November 2002 vereinsrechtlich<br />

verboten wurde; das Verbot wurde später auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. In der Folge kam es zu von der<br />

Europaführung zentral gesteuerten Protestwellen mit gewalttätigen Ausschreitungen, Autobahnblockaden, Brandanschlägen<br />

<strong>und</strong> Verwüstungsaktionen. Öcalan bezeichnete noch in der ersten Hälfte des Jahres 1996 Deutschland als<br />

den "Feind Nr. 2" nach der türkischen Republik. Nachdem die Führung der PKK erkannt hatte, dass diese Aktivitä-<br />

43


ten in Deutschland den Zielen der Partei abträglich waren, stellte Öcalan das gewaltsame Vorgehen in Deutschland<br />

als einen auf einem Missverständnis seiner An-ordnungen beruhenden Fehler dar <strong>und</strong> wies seine Organisation im<br />

August 1996 an, alle Gewaltaktionen in Westeuropa einzustellen. Diese Anweisung wurde in der Folgezeit - mit<br />

Ausnahme von Besetzungsaktionen im Februar 1999 im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans - befolgt. Die<br />

Organisationsstruktur der Partei <strong>und</strong> deren Ziele bestanden allerdings fort. Die von Öcalan in der Öffentlichkeit verkündete<br />

"Garantie", die Mitglieder der PKK würden sich künftig in Deutschland gesetzestreu verhalten, wurde nicht<br />

eingelöst: Es wurde ein Arbeitsbereich "heimatgerichtete Aktivitäten" gebildet, dem vor allem die Unterstützung der<br />

Guerillakämpfer <strong>und</strong> der Parteigliederungen in den Heimatgebieten, die Rekrutierung von Nachwuchs, die Beschaffung<br />

von Ausrüstungsgegenständen sowie die Organisierung eines Kurierdienstes <strong>und</strong> von Reisen oblag. Die Gr<strong>und</strong>entscheidungen<br />

über diese Aktivitäten traf die Eu-ropaführung, die entsprechende Anweisungen an das "Heimatbüro"<br />

sowie an die Leiter der Sektoren, Regionen <strong>und</strong> der Basisorganisationen erließ. Die Eu-ropaführung ihrerseits<br />

war Adressat von Anordnungen der Parteiführung in der Heimat, die etwa Reisen von Kadern <strong>und</strong> sonstigen Parteimitgliedern<br />

nach Europa zum Gegenstand hatten. Die systematische Durchführung grenzüber-schreitender Reisebewegungen<br />

wurde mit Hilfe von Straftaten der Urk<strong>und</strong>enfälschung insbesondere in Form der Verfälschung von Ausweisen<br />

<strong>und</strong> Pässen <strong>und</strong> solchen des Einschleusens von Ausländern begangen. Daneben nahm die PKK für sich eine<br />

Strafgewalt in Anspruch <strong>und</strong> setzte diese über die Strukturen der Organisation um. Es entwickelte sich bereits in den<br />

1980er Jahren eine Disziplinierungs- <strong>und</strong> Bestrafungspraxis. Opfer waren zum einen sog. Verräter oder Abweichler,<br />

d. h. Angehörige der Organisation oder außenstehende Personen, die durch ein als parteischädigend bewertetes Verhalten<br />

aufgefallen waren. Zum anderen maßte sich die PKK eine Strafgewalt im Zusammenhang mit dem Eintreiben<br />

von "Spenden" <strong>und</strong> sonstigen Geldern an <strong>und</strong> ging mit Drohungen <strong>und</strong> Gewalt gegen Zahlungsunwillige <strong>und</strong> Säumige<br />

vor. Bei den begangenen Straftaten handelte es sich vor allem um Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen,<br />

Nötigungen <strong>und</strong> Bedrohungen. Ab den Jahren 1993/1994 wurde das Strafsystem ausgeweitet; bis 1999 kam es in<br />

Deutschland zu zahlreichen Bestrafungsaktionen bis hin zu (versuchten) Tötungsdelikten. Auch nach der Festnahme<br />

Öcalans wurde die angemaßte Strafgewalt bis in das Jahr 2007 weiterhin ausgeübt. Formale Gr<strong>und</strong>lage war ein von<br />

der PKK auf verschiedenen Parteikongressen beschlossenes <strong>und</strong> modifiziertes Strafsystem, das mehrere Kategorien<br />

von Straftaten vorsah <strong>und</strong> diese in verschiedene Schweregrade unterteilte. Der Angeklagte war unter dem Decknamen<br />

"D. " von Juli 2004 bis Juni 2007 ununterbrochen als hauptamtlicher Kader mit der Funktion eines Gebietsverantwortlichen<br />

für die PKK tätig. In der Zeit von Juli 2004 bis Ende Mai 2005 leitete er das Gebiet N.. Anschließend<br />

war er in der Zeit von Juni 2005 bis Juni 2006 für das Gebiet M. zuständig. Von Juli 2006 bis Juni 2007 fungierte er<br />

als Leiter des Gebiets Da. . Er nahm die für einen Gebietsverantwortlichen typischen Leitungsaufgaben wahr <strong>und</strong><br />

regelte die organisatorischen, finanziellen, personellen sowie propagandistischen Angelegenheiten seines jeweiligen<br />

Zuständigkeitsbereichs. Z. B. war er in erheblichem Umfang damit befasst, Veranstaltungen der PKK <strong>und</strong><br />

Zusammenkünfte ihrer Mitglieder <strong>und</strong> Sympathisanten zu organisieren <strong>und</strong> zu koordinieren; außerdem stellte er<br />

sicher, dass die in seinem Gebiet ansässigen Kurden sich auch an überregionalen Veranstaltungen beteiligten. Er<br />

koordinierte die Arbeit der ihm nachgeordneten Kader <strong>und</strong> Aktivisten; außerdem berichtete er den ihm übergeordneten<br />

Ka-dern etwa dem damaligen Finanzverantwortlichen der PKK für Europa "S." - <strong>und</strong> befolgte deren Anweisungen.<br />

Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehörte das Eintreiben <strong>und</strong> Weiterleiten von "Spendengeldern" <strong>und</strong> sonstigen<br />

finanziellen Mitteln. Er war in die Bestrafungs- <strong>und</strong> Disziplinierungsmaßnahmen der Organisation eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

gab Anweisungen zum Vorgehen gegen säumige oder unwillige "Spendenzahler".<br />

b) Das Oberlandesgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten rechtlich als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer<br />

kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gewürdigt. Im Tatzeitraum habe ein in Deutschland auf Dauer<br />

angelegter organisatorischer Zusammenschluss von Funktionären der PKK bestanden, die bei Unterordnung des<br />

Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsam kriminelle Zwecke verfolgten <strong>und</strong> kriminelle<br />

Tätigkeiten entfalteten. Zwecke <strong>und</strong> Tätigkeiten dieser Vereinigung seien darauf gerichtet gewesen, das Erscheinungsbild<br />

nach außen prägende <strong>und</strong> nicht nur untergeordnete Straftaten zu begehen, namentlich im Bereich "heimatgerichtete<br />

Aktivitäten" Urk<strong>und</strong>endelikte <strong>und</strong> Vergehen nach dem Asylverfahrens- <strong>und</strong> Aufenthaltsgesetz sowie im<br />

Bereich Bestrafungs- <strong>und</strong> Disziplinierungswesen Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen <strong>und</strong> Bedrohungen.<br />

Personelle Träger der kriminellen Vereinigung seien die Mitglieder der Europazentrale, die Sektor- <strong>und</strong><br />

Gebietsleiter sowie weitere mit Sonderzuständigkeiten ausgestattete Kader gewesen; der Angeklagte habe als Gebietsverantwortlicher<br />

zu diesem Kreis gezählt.<br />

2. Diese Wertung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass die in<br />

Deutschland tätigen Führungskader der PKK im Tatzeitraum eine - im Verhältnis zur Gesamtorganisation eigenständige<br />

- kriminelle Vereinigung nach § 129 <strong>StGB</strong> bildeten.<br />

44


a) Die rechtliche Einordnung des inländischen Funktionärskörpers der PKK durch das Oberlandesgericht entspricht<br />

allerdings der bisherigen ständigen Rechtsprechung. Danach galt:<br />

aa) Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. <strong>StGB</strong> ist der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische<br />

Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen<br />

unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen <strong>und</strong> unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie<br />

sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; s. aus neuerer Zeit BGH, Beschluss vom 17. März<br />

1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668; Beschluss vom<br />

10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 <strong>und</strong> 47/07,<br />

BGHR <strong>StGB</strong> § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 107 ff.). Das notwendige<br />

voluntative Element ist regelmäßig hinreichend belegt, wenn festgestellt ist, dass die Mitglieder der Organisation<br />

nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel verfolgen, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht,<br />

auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, <strong>und</strong> hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung<br />

oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammenwirken (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 -<br />

3 StR 277/09, BGHSt 54, 216). Der Senat hat in der jüngeren Vergangenheit in mehreren Entscheidungen deutlich<br />

gemacht, dass auch mit Blick auf Rechtsakte der Europäischen Union an dieser Umschreibung einer kriminellen<br />

Vereinigung festzuhalten ist <strong>und</strong> es gegebenenfalls dem Gesetzgeber obliegt, als erforderlich angesehene Modifikationen<br />

vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 <strong>und</strong> 47/07, BGHR <strong>StGB</strong> § 129 Vereinigung<br />

3; Urteil vom 14. Au-gust 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 110 f.; Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR<br />

277/09, BGHSt 54, 216, 221 f.). Dies gilt fort.<br />

bb) Vor Inkrafttreten des durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) in das<br />

Strafgesetzbuch eingefügten § 129b <strong>StGB</strong> am 30. August 2002 war ein organisationsbezogenes Verhalten mit Blick<br />

auf den räumlichen Geltungsbereich des Verbots nach Art. 9 Abs. 2 GG, an das die §§ 129, 129a <strong>StGB</strong> anknüpfen,<br />

nur dann nach diesen Vorschriften strafbar, wenn es sich auf eine Vereinigung bezog, die innerhalb der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland bestand (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310,<br />

311; Beschlüsse vom 5. Januar 1982 - StB 53/81, BGHSt 30, 328; vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26,<br />

35; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01). Hierfür reichte es indes aus, dass eine ausländische Gruppierung eine <strong>Teil</strong>organisation<br />

in Deutschland unterhielt, die ihrerseits die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllte. Nicht erforderlich<br />

war es jedoch, dass sich auch die gruppeninterne Willensbildung autonom innerhalb der inländischen <strong>Teil</strong>organisation<br />

vollzog; vielmehr genügte es, wenn deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen Organisation<br />

integriert waren <strong>und</strong> sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer<br />

individuellen Meinungen unterwarfen, sie mithin von der ausländischen (Haupt-)Vereinigung "gelenkt" wurden<br />

(BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschluss vom 12. Ok-tober 2001 - AK<br />

14/01).<br />

cc) In Anwendung dieser Maßstäbe wurden die in Deutschland agierenden Führungskader der PKK als eigenständige<br />

Vereinigung angesehen (s. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 - AK 10, 11/99, BGHR <strong>StGB</strong> § 129 Straftaten<br />

1; vom 20. Dezember 2001 - AK 21/01, BGHR <strong>StGB</strong> § 129 Strafta-ten 2; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01; vom<br />

18. Januar 2002 - AK 1/02). Für die Zeit von November 1993 bis August 1996 galt die Gruppierung als terroristische<br />

Vereinigung nach § 129a <strong>StGB</strong> aF, da ihre Zwecke <strong>und</strong> Tätigkeit insbesondere auch auf die Begehung von<br />

Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> aF, etwa Brandstiftungsdelikte, gerichtet waren (s. etwa BGH, Beschluss<br />

vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07). Für die Zeit danach wurde der führende inländische Funktionärskörper der PKK<br />

als kriminelle Vereinigung nach § 129 <strong>StGB</strong> eingestuft, wobei die Zwecke <strong>und</strong> Tätigkeit sich bis etwa Ende 1999 auf<br />

drei Bereiche von Straftaten richteten, namentlich demonstrative Gewalttaten <strong>und</strong> Delikte im Zusammenhang mit<br />

den Aktivitäten des "Heimatbüros" sowie mit der angemaßten Strafgewalt. Ab Anfang 2000 bezogen sich die Zwecke<br />

<strong>und</strong> Tätigkeit der in Deutschland agierenden Führungsebene jedenfalls noch auf Straftaten in den Bereichen<br />

"Heimatbüro" <strong>und</strong> Strafsystem (BGH, Urteil vom 21. Okto-ber 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268).<br />

dd) Die Strafverfolgungspraxis hat diese Maßstäbe auch nach Inkrafttreten des § 129b <strong>StGB</strong> angewendet <strong>und</strong> den im<br />

Inland tätigen führenden Funktionärskörper der PKK bzw. deren Nachfolge- <strong>und</strong> Unterorganisationen weiterhin als<br />

inländische Vereinigung bewertet. Der Senat hat diese Würdigung bisher in mehreren Entscheidungen (s. etwa BGH,<br />

Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 274; Beschlüsse vom 11. November 2004 - AK 13/04,<br />

insoweit in BGHR <strong>StGB</strong> § 129 Strafzumessung 1 nicht abgedruckt; vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07; vom 12. Februar<br />

2009 - AK 1/09; vom 9. April 2009 - AK 7/09) - darunter auch einem Haftfortdauerbeschluss in dem vorliegenden<br />

Verfahren (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - AK 16/08) - auf der jeweiligen Gr<strong>und</strong>lage der tatgerichtlichen<br />

Feststellungen bzw. der Ermittlungsergebnisse gebilligt.<br />

45


) Hieran hält der Senat nicht länger fest. Er sieht sich vielmehr vor allem mit Blick auf die durch die Einfügung des<br />

§ 129b <strong>StGB</strong> in das Strafgesetzbuch veränderte Rechtslage zu folgender neuen rechtlichen Bewertung veranlasst (s.<br />

schon BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042): Eine in Deutschland tätige <strong>Teil</strong>organisation<br />

einer ausländischen Vereinigung ist nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129,<br />

129a <strong>StGB</strong> anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen,<br />

organisatorischen, zeitlichen <strong>und</strong> voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Hieraus folgt insbesondere auch, dass<br />

die inländische <strong>Teil</strong>gruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen <strong>und</strong> einen<br />

eigenen, von der ausländischen (Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem<br />

sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Mitglieder der inländischen <strong>Teil</strong>gruppe lediglich<br />

Einigkeit darüber erzielen, sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr,<br />

dass sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess in seiner Gesamtheit<br />

in der inländischen Gruppierung vollzieht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird das für die Annahme einer Vereinigung<br />

notwendige voluntative Element in Bezug auf die <strong>Teil</strong>organisation auch nicht allein dadurch hinreichend belegt, dass<br />

die Mitglieder dieser Gruppe mittel- oder langfristig ein gemeinsames, politisch/ideologisches Ziel verfolgen, wenn<br />

dieses Ziel von der Gesamtorganisation vorgegeben wird. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:<br />

aa) § 129b Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong> bestimmt, dass die §§ 129, 129a <strong>StGB</strong> auch für Vereinigungen im Ausland gelten.<br />

Die Vorschrift erfasst - soweit hier von Bedeutung - jede Beteiligung an einer ausländischen kriminellen oder terroristischen<br />

Vereinigung durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit, ohne dass es darauf ankommt, ob in Deutschland<br />

Organisationsstrukturen der ausländischen Vereinigung vorhanden sind. Das Handeln des Täters im Inland wird<br />

typischerweise durch seine Einbindung in die ausländische Organisation <strong>und</strong> seine Unterwerfung unter die auf deren<br />

Ebene getroffenen Entscheidungen bestimmt. Dabei macht es für die Strafbarkeit wegen der Tätigkeit für eine ausländische<br />

Vereinigung keinen Unterschied, ob es bei dem isolierten Handeln eines Ein-zelnen verbleibt oder ob die<br />

Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken bedingen; denn allein aus einer solchen gemeinschaftlichen<br />

Beteiligungshandlung im Inland lässt sich das Bestehen einer gesonderten inländischen Vereinigung im Sinne der §§<br />

129, 129a <strong>StGB</strong>, die neben die ausländische Organisation tritt, nicht ableiten.<br />

bb) Bilden die in Deutschland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen,<br />

so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129b <strong>StGB</strong> erfassten hinausgeht.<br />

Strafgr<strong>und</strong> der §§ 129 ff. <strong>StGB</strong> ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung <strong>und</strong> Fortführung einer<br />

festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte abstrakte<br />

Gefährlichkeit für wichtige Güter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3<br />

StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51). Diese größere Personenzusammenschlüsse kennzeichnende Eigendynamik hat ihre<br />

besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern<br />

<strong>und</strong> bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1978<br />

- 3 StR 105/78, BGHSt 28, 147, 148 f.). Für das Entstehen dieser typischerweise von den einzelnen Mitgliedern der<br />

Vereinigung nicht mehr voll steuerbaren Eigendynamik sind vor allem die eine bestimmte Festigkeit aufweisende<br />

innere Organisationsstruktur sowie die auf Dauer angelegte organisierte Willensbildung von Belang. Besteht eine<br />

ausländische, diese Merkmale aufweisende kriminelle oder terroristische Vereinigung, so wird deshalb der vereinigungsspezifische<br />

Unrechtsgehalt der Tat bereits durch deren Ahndung unter diesem Gesichtspunkt erfasst. Für eine<br />

zusätzliche - gegebenenfalls tateinheitlich neben den Schuldspruch nach § 129b <strong>StGB</strong> tretende - Verurteilung nach §<br />

129 oder § 129a <strong>StGB</strong> ist daher kein Raum. Sie ist mit Blick auf die Betätigung für eine inländische Gruppierung nur<br />

dann gerechtfertigt, wenn diese eigenständig alle Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt <strong>und</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

die abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit erhöht.<br />

cc) § 129b Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> erfordert für die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen<br />

oder terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Ermächtigung des B<strong>und</strong>esministeriums<br />

der Justiz <strong>und</strong> damit die Erfüllung einer besonderen Prozessvoraussetzung. Dies gilt auch dann,<br />

wenn die Tat durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Zweck des Ermächtigungsvorbehalts ist es<br />

insbesondere, der Exekutive die Möglichkeit einzuräumen, auf die Durchführung eines Strafverfahrens zu verzichten,<br />

wenn dieses unverhältnismäßige außenpolitische Nachteile mit sich bringen würde (BT-Drucks. 14/8893 S. 17;<br />

Altvater NStZ 2003, 179, 181). Es entspricht somit der Gr<strong>und</strong>entscheidung des Gesetzgebers, die Verfolgung einer<br />

Tat im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. <strong>StGB</strong> von der Prüfung abhängig zu machen, ob außenpolitische Belange<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland berührt sein können. Dieses Erfordernis würde umgangen, wollte man bei einer<br />

inländischen <strong>Teil</strong>organisation einer ausländischen Gruppierung auf die für eine eigenständige Vereinigung konstitutiven<br />

Voraussetzungen auch nur teilweise verzichten.<br />

46


c) Gemessen an diesem Maßstab wird das Bestehen einer eigenständigen inländischen, aus den in Deutschland agierenden<br />

Führungskadern der PKK zusammengesetzten kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 <strong>StGB</strong> durch die<br />

vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht belegt; denn diese Gruppierung vollzog nicht einen eigenen,<br />

auf die Zwecke der Vereinigung gerichteten Willensbildungsprozess. Damit ist das Willenselement einer Vereinigung<br />

nicht gegeben. Der festgestellte Sachverhalt trägt auch nicht die Bewertung, bei der Europaführung der PKK<br />

handele es sich um eine eigenständige Vereinigung. Er lässt es vielmehr nahe liegend erscheinen, dass die PKK insgesamt<br />

die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland erfüllt, bei welcher der<br />

maßgebende Vereinigungswille außerhalb der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland gebildet wird <strong>und</strong> der Schwerpunkt der<br />

Strukturen sowie das eigentliche Aktionsfeld in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im<br />

Irak <strong>und</strong> im Iran liegen (zu den maßgeblichen Abgrenzungskriterien für die Entscheidung der Frage, ob eine Vereinigung,<br />

die sowohl in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland als auch in anderen Staaten Tätigkeiten entfaltet, als in- oder<br />

ausländische Vereinigung zu bewerten ist, vgl. Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 523). Im Einzelnen:<br />

aa) Die PKK war insgesamt zentralistisch <strong>und</strong> hierarchisch organisiert. In diesen Aufbau war die Organisation in<br />

Deutschland nahtlos eingegliedert. Die in Deutschland agierenden Kader verfolgten aufgr<strong>und</strong> der gemeinsamen politisch/ideologischen<br />

Überzeugung <strong>und</strong> dem auf dieser Basis unterhaltenen, nach Art, Inhalt <strong>und</strong> Intensität engem<br />

Beziehungsgeflecht zu den im Ausland tätigen Kadern jeweils diejenigen über den bloßen Zweckzusammenhang<br />

hinausreichenden politisch/ideologischen Zielsetzungen, die von der Gesamtorganisation vorgegeben wurden. Von<br />

deren jeweiligen Vorstellungen abweichende Ziele der inländischen Gruppierung sind nicht festgestellt. Die Endziele<br />

der PKK wurden vielmehr von deren Führern entwickelt bzw. auf deren Versammlungen beschlossen. Sie waren für<br />

die in Deutschland tätigen Kader verbindlich. Deren hauptsächliche Aufgabe bestand vor allem darin, die von den<br />

übergeordneten Führungsebenen erteilten Direktiven umzusetzen <strong>und</strong> auf diese Weise die PKK insgesamt zu unterstützen.<br />

Die wesentlichen Gr<strong>und</strong>sätze der Art <strong>und</strong> Weise der Umsetzung wurden dabei ebenfalls von der Spitze der<br />

PKK vorgegeben. Die enge Verbindung zwischen der im Ausland tätigen Gruppierung <strong>und</strong> den hiesigen Kadern tritt<br />

auch im Hinblick auf die umfangreichen Berichtspflichten zu Tage, mit denen u.a. der wesentliche Einfluss der übergeordneten<br />

Funktionäre <strong>und</strong> Gremien abgesichert wurde. Eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der PKK<br />

bezogene Willensbildung der Kader in Deutschland fand demge-genüber weder bezüglich der - sich im Laufe der<br />

Zeit nach den Vorgaben der Gesamtorganisation ändernden - Zielsetzung noch der Wahl der verwendeten Mittel<br />

bzw. der durchgeführten Aktionsformen statt. Dies wird deutlich etwa im Bereich der Finanzen, bei dem sich die in<br />

Deutschland handelnden Führungsfunktionäre streng nach den ihnen erteilten Direktiven zu richten hatten. Aber z.<br />

B. auch in dem Bereich der "heimatgerichteten Aktivitäten" war die inländische Organisation nicht eigenständig<br />

tätig. Sie befolgte vielmehr auch hier die Anweisungen der Leitung der Gesamtorganisation, die teilweise sogar<br />

Schleusungen im Einzelfall betrafen. Danach verblieb für die inländische <strong>Teil</strong>organisation ein Bereich eigenverantwortlicher<br />

Entscheidungen nur im Rahmen der Ausführung der vorgegebenen Direktiven; allein dieser limitierte<br />

Entscheidungsspielraum konnte durch eine eigenständige Willensbildung der inländischen Unterorganisation<br />

ausgefüllt werden. Dies genügt für die Bejahung des Willenselements der Vereinigung nicht.<br />

bb) Entsprechendes gilt, soweit man - den Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts folgend - über das Gebiet der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland hinaus den führenden Funktionärskörper der PKK in Westeuropa in den Blick nimmt.<br />

Auch diese Gruppierung erfüllt nach den bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen einer eigenständigen (<strong>Teil</strong>-<br />

)Vereinigung nicht. Die auf Europaebene tätigen Funktionäre - bei denen es sich jedenfalls zeitweise überwiegend<br />

um enge Weggefährten Öcalans handelte - waren zwar den nationalen <strong>Teil</strong>en der Organisation in Westeuropa übergeordnet<br />

<strong>und</strong> insoweit weisungsbefugt. Sie erhielten ihre Direktiven indes von der Spitze der Gesamtorganisation<br />

<strong>und</strong> waren in deren zentralistisches <strong>und</strong> hierarchisches System integriert. Für eine ausreichend eigenständige, auf die<br />

Zwecke der Vereinigung bezogene Willensbildung der europäischen Führungsgruppe ergeben die bisherigen Feststellungen<br />

ebenfalls nichts.<br />

cc) Die - auf der Gr<strong>und</strong>lage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen erfolgte - Neubewertung der PKK<br />

trägt schließlich zu einer insgesamt harmonischeren, in sich stimmigeren Rechtsanwendung in dem Bereich der Vereinigungskriminalität<br />

bei; denn im Gegensatz zu der bisher zur PKK vertretenen Auffassung würdigt die Strafverfolgungspraxis<br />

Organisationen, die in ihrer Struktur der PKK ähnlich sind, nach Inkrafttreten des § 129b <strong>StGB</strong> rechtlich<br />

insgesamt als terroristische Vereinigung im Ausland. So ist etwa - wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren<br />

bekannt ist - die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front),<br />

eine marxistisch-leninistisch orientierte, wie die PKK hierarchisch <strong>und</strong> zentralistisch aufgebaute Gruppierung, die<br />

das Ziel verfolgt, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen<br />

<strong>und</strong> dort eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, auch außerhalb der Türkei, insbesondere in<br />

Westeuropa, aktiv. Aufgabe der vor allem auch in Deutschland bestehenden Organisationseinheiten ist es - ähnlich<br />

47


der PKK -, finanzielle Mittel zu beschaffen, Nachwuchs zu rekrutieren sowie einen Rückzugsraum für Mitglieder der<br />

Organisation zu bilden. Das B<strong>und</strong>esministerium der Justiz hat am 29. Juli 2003 die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 <strong>und</strong> 4<br />

<strong>StGB</strong> erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung erteilt. Eine auf den Vorwurf gegründete Strafverfolgung,<br />

die in Deutschland aktiven Führungsfunktionäre bildeten eine selbstständige inländische Vereinigung nach<br />

den §§ 129, 129a <strong>StGB</strong>, findet, soweit für den Senat ersichtlich, jedenfalls in den Fällen nicht statt, in denen die<br />

Tatzeit nach Inkrafttreten des § 129b <strong>StGB</strong> liegt. Zwar sollen die Unterschiede zwischen der PKK <strong>und</strong> der DHKP-C<br />

nicht verkannt werden. So sind etwa die jeweiligen Strukturen nicht völlig deckungsgleich <strong>und</strong> die Funktionäre <strong>und</strong><br />

Aktivisten der DHKP-C nach der Gewaltverzichtserklärung vom Februar 1999 in Deutschland zunächst nicht mehr<br />

nach den §§ 129, 129a <strong>StGB</strong>, sondern nur wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz strafrechtlich verfolgt<br />

worden. Auch genießt die PKK in der Öffentlichkeit eine größere Aufmerksamkeit <strong>und</strong> die Anzahl ihrer Mitglieder<br />

<strong>und</strong> Sympathisanten ist deutlich größer als bei der DHKP-C. Jedoch rechtfertigen allein diese Umstände eine ungleiche<br />

Bewertung der Organisationen als ausländische Vereinigung jedenfalls nach Inkrafttreten des § 129b <strong>StGB</strong> nicht.<br />

Insbesondere wäre eine unterschiedliche rechtliche Einordnung, die sich im Wesentlichen lediglich auf die verschiedene<br />

Größe <strong>und</strong> Bedeutung der Gruppierung gründen würde, mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren;<br />

diese gelten für alle Organisationen in gleicher Weise.<br />

3. Eine eigene Sachentscheidung des Senats scheidet aus. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Feststellungen<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen rechtsfehlerfrei getroffen worden<br />

sind (vgl. zur Frage der Gerichtsk<strong>und</strong>igkeit KK-Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 137 ff.; LR-Becker, StPO, 26. Aufl., §<br />

244 Rn. 208 ff., jeweils mwN). Die Umstellung des Schuldspruchs auf eine Beteiligung des Angeklagten als Mitglied<br />

an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129, § 129a jeweils i.V.m. § 129b<br />

<strong>StGB</strong> kommt nicht in Betracht, weil die Feststellungen, die das Oberlandesgericht mit Blick auf eine inländische<br />

kriminelle Vereinigung nach § 129 Abs. 1 <strong>StGB</strong> getroffen hat, keine hinreichende Gr<strong>und</strong>lage für die Bewertung der<br />

Organisation als kriminelle oder terroristische Vereinigung im Ausland bilden. Dies gilt sowohl für die PKK insgesamt<br />

als auch für deren Organisation in Europa. Soweit sich die Tat möglicherweise auf eine Vereinigung außerhalb<br />

der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezieht, fehlt es darüber hinaus an der für eine Verfolgung nach § 129b<br />

Abs. 1 Satz 3 <strong>StGB</strong> erforderlichen Ermächtigung des B<strong>und</strong>esministeriums der Justiz; eine solche ist bisher bezüglich<br />

der PKK <strong>und</strong> ihrer Nachfolgeorganisationen nicht erteilt worden. Im Übrigen ist eine Verurteilung nach § 129 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> durch ein neues Tatgericht nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen; denn das Oberlandesgericht hat sich<br />

erkennbar an den Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung ausgerichtet <strong>und</strong> bei der Ermittlung des Sachverhalts die<br />

nunmehr maßgeblichen Gesichtspunkte nicht im Blick gehabt. Denkbar erscheint es ebenso, dass nach neu zu treffenden<br />

Feststellungen die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen inländischen Vereinigung in Tateinheit<br />

zu einer Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland steht; denn eine Gruppierung<br />

kann sich etwa auch in der Art organisieren <strong>und</strong> strukturieren, dass neben einzelnen regionalen Vereinigungen<br />

eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, <strong>und</strong> beide Gruppierungen die Kriterien einer Vereinigung erfüllen.<br />

Einzelne Mitglieder können sich dann sowohl an der regionalen als auch an der Dach-Vereinigung <strong>und</strong> damit gegebenenfalls<br />

an zwei Vereinigungen beteiligen (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4, 5/01, BGHSt 46, 349,<br />

354). Schließlich steht einer Umstellung des Schuldspruchs auch § 265 StPO entgegen; denn der Angeklagte hatte<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Anklagevorwurfs, welcher der bisherigen Rechtsprechung entsprach, ohne einen diesbezüglichen<br />

Hinweis keine ausreichende Möglichkeit, sich gegen den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an<br />

einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland angemessen zu verteidigen. Die Sache bedarf deshalb<br />

insgesamt neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung.<br />

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:<br />

a) Die Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3, 4 <strong>StGB</strong> ist als Prozessvoraussetzung einzuordnen (Altvater<br />

NStZ 2003, 179, 182); sie kann deshalb auch noch während des laufenden Strafverfahrens wirksam erteilt werden.<br />

b) Der möglichen Beteiligung des Angeklagten an einer ausländischen Vereinigung als Mitglied stünde gegebenenfalls<br />

nicht gr<strong>und</strong>sätzlich entgegen, dass er sich im Inland <strong>und</strong> damit außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets<br />

der Kernorganisation aufhielt. In einem solchen Fall bedürfen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft<br />

zwar besonderer Prüfung (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 112 f.); dies<br />

bedeutet indes nicht, dass sie von vornherein ausgeschlossen sind. Maßstab sind auch in diesen Fallkonstellationen<br />

die allgemeinen Kriterien für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung (BGH aaO).<br />

5. Obwohl es sich nach den bisherigen Feststellungen bei dem Angeklagten um einen Gebietsverantwortlichen <strong>und</strong><br />

damit um einen Führungskader der Organisation handelte, sieht der Senat vorsorglich Anlass zu folgender Bemerkung:<br />

Anhaltspunkte dafür, dass bezüglich der Mitgliedschaft in der Vereini-gung zwischen einem Kreis heraus-<br />

48


gehobener Funktionäre bzw. Kadern einerseits <strong>und</strong> den sonstigen Angehörigen zu differenzieren ist, sind den bisherigen<br />

Feststellungen in Ansehung der Struktur der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen nicht zu entnehmen. Der<br />

Senat hat die entsprechende Unterscheidung zwar bisher gebilligt <strong>und</strong> entschieden, dass dann, wenn nur ein Kern der<br />

Grup-pierung strafrechtlich relevante Ziele verfolgt, lediglich dieser eine kriminelle Vereinigung bildet; die außenstehenden<br />

weiteren Mitglieder der Gruppierung können dann aber Unterstützer der Vereinigung sein (BGH, Beschluss<br />

vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 36 = NJW 1999, 1876, 1878). Es ist jedoch kein ausreichender<br />

sachlicher Gr<strong>und</strong> dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik <strong>und</strong> Methoden<br />

der Organisation dieser anschließt <strong>und</strong> in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied der Vereinigung einzustufen,<br />

weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre angehört (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR<br />

214/10). Dies entspräche auch nicht den Vorstellungen <strong>und</strong> dem Willen des Gesetzgebers, der etwa an-lässlich der<br />

Einfügung des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO als Beispiel für untergeordnete, den Tatbestand gleichwohl erfüllende Beteiligungshandlungen<br />

die Entrichtung von Mitgliedsbeiträgen oder die Vornahme einfacher Hilfsdienste, mithin<br />

Tätigkeiten mit weit geringerem Gewicht als die Ausübung einer Führungsfunktion, genannt hat (BT-Drucks.<br />

14/8893, S. 10; LK-Krauß, 12. Aufl., § 129b Rn. 38). Die Einstufung der PKK <strong>und</strong> ihrer Nachfolgeorganisationen<br />

KADEK <strong>und</strong> KONGRAGEL als terroristische Vereinigung durch die Europäische Union (vgl. aus der neueren Zeit<br />

Gemeinsamer Standpunkt 2009/ 468/GASP des Rates vom 15. Juni 2009 zur Aktualisierung des Gemeinsamen<br />

Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus <strong>und</strong><br />

zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2009/67/GASP, Anhang Ziffer 2. 25., ABl. L 151/49; Beschluss<br />

2010/386/GASP des Rates vom 12. Juli 2010 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen <strong>und</strong> Körperschaften,<br />

auf die die Artikel 2, 3 <strong>und</strong> 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer<br />

Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Anwendung finden, Anhang Zif-fer 2. 16., ABl. L 178/28) enthält<br />

ebenfalls keine Einschränkung auf einen bestimmten Personenkreis innerhalb der Organisation. Der Senat verkennt<br />

mit Blick auf die große Zahl der in Deutschland für die PKK <strong>und</strong> ihre Nachfolge- sowie <strong>Teil</strong>organisationen<br />

aktiven Personen zwar nicht, dass nach dieser Maßgabe der Kreis potentieller Beschuldigter unter Umständen deutlich<br />

größer werden <strong>und</strong> der Unrechtsgehalt der Tat sowie das Maß des Verschuldens stark unterschiedlich zu bewerten<br />

sein kann. Diesen Umständen wird - gegebenenfalls etwa durch Anwendung der § 129 Abs. 5, § 129a Abs. 6<br />

<strong>StGB</strong>, §§ 153b, 153c StPO - im Einzelfall angemessen Rechnung zu tragen sein.<br />

<strong>StGB</strong> § 132, 132a – Amtsanmaßung durch Uniformtragen<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 - 4 StR 40/11 - NJW 2011, 1979<br />

LS: Zur Strafbarkeit wegen Amtsanmaßung <strong>und</strong> wegen unbefugten Tragens von inländischen Uniformen<br />

<strong>und</strong> Amtsabzeichen, wenn der nicht der B<strong>und</strong>eswehr angehörende Täter unter Vortäuschung<br />

seiner Zugehörigkeit zu den Feldjägern der B<strong>und</strong>eswehr hoheitliche Befugnisse gegenüber<br />

Zivilpersonen in Anspruch nimmt.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 15. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 15. Oktober 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung, Urk<strong>und</strong>enfälschung, Missbrauch<br />

von Amtsabzeichen <strong>und</strong> Verstoß gegen das Waffengesetz verurteilt worden ist,<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Höhe des Tagessatzes der<br />

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung verhängten Geldstrafe auf 1 Euro festgesetzt<br />

wird.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung, Urk<strong>und</strong>enfälschung,<br />

Missbrauch von Amtsabzeichen <strong>und</strong> einem "Verstoß gegen das Waffengesetz“ sowie wegen Fahrens ohne<br />

Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Strafbefehl des<br />

49


Amtsgerichts Essen nach Auflösung der dortigen Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen<br />

Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen teilweisen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt: Nachdem die Zeugin S. in Gegenwart des Angeklagten<br />

Ende Mai/Anfang Juni 2009 davon berichtet hatte, der Geschädigte habe sie während einer mit ihr geführten<br />

kurzen Beziehung sexuell missbraucht, fasste der Angeklagte, der ebenso wie seine anwesenden Fre<strong>und</strong>e dieser<br />

Schilderung Glauben schenkte, den Plan, den Geschädigten gemeinsam mit einer zweiten Person zum Zwecke der<br />

Bestrafung aufzusuchen <strong>und</strong> ihn zu verprügeln. Zur Vorbereitung der Tat entwarf der Angeklagte am Computer<br />

einen "Durchsuchungsbeschluss", in dem – sinngemäß <strong>und</strong> in quasiamtlicher Diktion – die Durchsuchung der Wohnung<br />

des Geschädigten wegen des Verdachts verschiedener Straftaten, u.a. wegen "sexueller Belästigung“, "angeordnet"<br />

wird. Das Schriftstück war mit einem aus dem Internet herunter geladenen B<strong>und</strong>eswehrkreuz versehen <strong>und</strong><br />

mit dem vom Angeklagten herrührenden handschriftlichen Namenszug "Hauptmann M." versehen. Es enthielt am<br />

Ende ein wiederum aus dem Internet herunter geladenes B<strong>und</strong>eswehr-Kreuz, den Schriftzug "B<strong>und</strong>eswehr", einen<br />

B<strong>und</strong>esadler sowie einen schwarz-rot-goldenen Farbstreifen mit den Worten "B<strong>und</strong>esministerium der Verteidigung".<br />

Der Angeklagte fertigte zusätzlich ein weiteres Schriftstück, in dem die "Vollstreckung des Vollzugsbefehls" erteilt<br />

<strong>und</strong> gegebenenfalls die "sofortige Festnahme" des Geschädigten "gestattet" wird. Dieses Schreiben endet mit dem<br />

handschriftlichen Namenszug "Oberst Sch." <strong>und</strong> enthält ähnliche militärische <strong>und</strong> nationale Hoheitszeichen wie der<br />

"Durchsuchungsbeschluss". Am Abend des 13. Juni 2009 begaben sich der Angeklagte <strong>und</strong> sein Mittäter, der frühere<br />

Mitangeklagte P., in Begleitung mehrerer Fre<strong>und</strong>e mit dem Pkw der Zeugin B., der Lebensgefährtin des Angeklagten,<br />

<strong>und</strong> einem weiteren Fahrzeug in die Nähe der Wohnung des Geschädigten. Entsprechend dem im Wesentlichen<br />

vom Angeklagten ausgearbeiteten Plan legten er <strong>und</strong> P., obwohl beide der B<strong>und</strong>eswehr nicht angehörten, "Feldjägeruniformen“<br />

aus dem Besitz des Angeklagten an. Der Angeklagte streifte zusätzlich eine Armbinde mit den Buchstaben<br />

"MP“ (Militärpolizei) über einen Oberarm. Mit dem Pkw der Zeugin B. , den sie zuvor mit von einem<br />

Schrottfahrzeug abmontierten Kennzeichen versehen hatten, rollten beide das letzte Wegstück im Leerlauf zum<br />

Wohnhaus des Geschädigten; ihre Begleiter blieben zurück. Ausgerüstet waren P. <strong>und</strong> der Angeklagte mit zwei vom<br />

Angeklagten beschafften Gaspistolen, die sie in Halftern mit sich führten. Die Pistole des Angeklagten war nicht<br />

geladen. Nachdem sich der Angeklagte <strong>und</strong> P. Zutritt zur Wohnung verschafft <strong>und</strong> festgestellt hatten, dass sich entgegen<br />

ihrer Erwartung nicht nur der Geschädigte, sondern drei weitere Personen in der Wohnung aufhielten, gaben<br />

sie ihren Plan auf, den Geschädigten zu verprügeln. Der Angeklagte überreichte dem Geschädigten die beiden von<br />

ihm angefertigten Schriftstücke, P. nahm die Waffe aus seinem Halfter <strong>und</strong> richtete sie auf den Geschädigten sowie<br />

zwei der Anwesenden. Er (P.) lud die Pistole durch, wobei eine Patrone heraus fiel, die er vom Boden aufhob <strong>und</strong><br />

einsteckte, woraufhin er sich in die Küche begab, die Tür hinter sich schloss <strong>und</strong> den Raum lautstark durchsuchte.<br />

Der inzwischen verängstigte Geschädigte las die ihm überreichten Schreiben. Er hielt den Angeklagten <strong>und</strong> P. tatsächlich<br />

für Feldjäger der B<strong>und</strong>eswehr <strong>und</strong> vermutete einen Zusammenhang zwischen deren Erscheinen <strong>und</strong> den<br />

auch ihm bekannten Vorwürfen der Zeugin S.. Der Angeklagte ließ den Geschädigten das zweite Schreiben unterzeichnen,<br />

notierte die Personalien der weiteren Anwesenden <strong>und</strong> fragte den Geschädigten, ob dieser Waffen oder<br />

Betäubungsmittel in Besitz habe. Daraufhin nahm er aus einer vom Geschädigten geöffneten Schublade ein Messer<br />

im Wert von etwa 10 Euro mit dem Bemerken an sich, er müsse dieses "konfiszieren". Außerdem steckte er eine<br />

Tüte mit Marihuana ein, die einem der Wohnungsinsassen gehörte. Nach etwa 30 Minuten verließen er <strong>und</strong> P. die<br />

Wohnung. Beide bestiegen den Pkw der Zeugin B., den der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war,<br />

die Straße hinauffuhr, wo die Zeugin B. zustieg <strong>und</strong> das Steuer übernahm. Auf Bitten der Zeugin B. gab der Angeklagte<br />

das Marihuana an diese weiter; das "konfiszierte" Messer, das P. nicht haben wollte, warf der Angeklagte<br />

etwa drei bis vier Wochen nach der Tat weg.<br />

II. 1. Soweit das Tatgeschehen bis zum Verlassen der Wohnung des Geschädigten betroffen ist, begegnet zunächst<br />

der Schuldspruch wegen „schweren Raubes“ durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

a) Zwar wird das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs nicht<br />

dadurch ausgeschlossen, dass der Täter - wie im vorliegenden Fall der Angeklagte - durch die falsche Behauptung<br />

einer amtlichen Beschlagnahme die Herausgabe einer fremden beweglichen Sache fordert <strong>und</strong> sie erreicht, selbst<br />

wenn das Opfer die Wegnahme nicht nur duldet, sondern die Sache dem Täter auf dessen Verlangen aushändigt. In<br />

einem solchen Fall ist für einen eigenen, freien Willensentschluss des Opfers, das sich dem Zwang fügt, kein Raum<br />

(vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Januar 1963 - 2 StR 591/62, BGHSt 18, 221, 223 m.w.N.).<br />

b) Im Ergebnis zu Recht rügt die Revision jedoch die unzureichende Darlegung der für den Tatbestand des Raubes<br />

im Sinne des § 249 <strong>StGB</strong> auch erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen dem eingesetzten Nötigungsmittel <strong>und</strong><br />

50


der Wegnahme (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Januar 2003 - 4 StR 422/02, NStZ 2003, 431 m.w.N.). Die Anwendung<br />

von Gewalt oder Drohung darf nicht nur gelegentlich der Entwendung einer fremden Sache erfolgen, sondern<br />

sie muss darauf gerichtet sein, den Gewahrsamsbruch durch Ausschaltung eines erwarteten oder geleisteten Widerstandes<br />

zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2002 - 2 StR 225/02, NStZ-RR<br />

2002, 304; MünchKomm<strong>StGB</strong>/Sander § 249 Rn. 24). Zwar trug der Angeklagte die von ihm mitgeführte Waffe nicht<br />

nur offen in einem Holster am Oberschenkel, sondern hatte während der weiteren Tatausführung "fast ständig" seine<br />

Hand auf die Waffe gelegt, woraus sich eine zumindest konkludente Drohung ergeben könnte, die Waffe nötigenfalls<br />

auch einzusetzen. Zu dem insoweit allein maßgeblichen Willen <strong>und</strong> der Vorstellung des Angeklagten zum Zeitpunkt<br />

der Tatausführung (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. April 1963 - 4 StR 92/63, BGHSt 18, 329, 331; Sander aaO) verhalten<br />

sich die Urteilsgründe jedoch nicht.<br />

c) Die Strafkammer hat ferner die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 <strong>StGB</strong>, dessen Strafrahmen sie ihrer Entscheidung<br />

– ohne nähere Bezeichnung der Tatvariante, die sich auch aus der rechtlichen Würdigung <strong>und</strong> der Liste der<br />

angewendeten Vorschriften nicht erschließt – zu Gr<strong>und</strong>e gelegt hat, nicht ausreichend dargetan. Waffen im Sinne des<br />

hier in Betracht kommenden § 250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> sind (einsatzbereite) Gas- <strong>und</strong> Schreckschusswaffen nur dann,<br />

wenn nach deren Bauart der Explosionsdruck beim Abfeuern der Munition nach vorne durch den Lauf austritt (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt 2/02, BGHSt 48, 197, 201; Beschluss vom 15. Februar 2011 – 3 StR<br />

8/11; SSW-<strong>StGB</strong>/Kudlich § 244 Rn. 7 m.w.N.). Hierzu hat der Tatrichter regelmäßig genaue Feststellungen zu treffen,<br />

denn der Austritt des Explosionsdrucks nach vorne mag zwar üblich sein, kann aber nicht als selbstverständlich<br />

vorausgesetzt werden (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 – 3 StR 17/10, NStZ 2010, 390; Beschluss vom 15.<br />

Februar 2011 – 3 StR 8/11). Die dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erweisen sich als nicht<br />

ausreichend. Zwar steht der Umstand, dass der Angeklagte selbst nur eine ungeladene Gaspistole verwendete, einer<br />

mittäterschaftlichen Zurechnung (§ 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) hinsichtlich der von P. eingesetzten, "geladenen“ Gaspistole<br />

nicht entgegen, zumal der Angeklagte beide beschafft <strong>und</strong> den Tatplan im Wesentlichen selbst ausgearbeitet hatte.<br />

Zum konkreten Ladezustand <strong>und</strong> zur Funktionsfähigkeit der Pistole des P. ist aber nichts weiter festgestellt.<br />

2. Die – in Tateinheit mit schwerem Raub erfolgte – Verurteilung wegen Missbrauchs von Amtsabzeichen ist ebenfalls<br />

nicht frei von Rechtsfehlern.<br />

a) Zum einen wird die revisionsgerichtliche Überprüfung durch eine nicht eindeutige rechtliche Zuordnung des vom<br />

Landgericht festgestellten Lebenssachverhalts zu dem als erfüllt angesehenen Straftatbestand erschwert. Der Angeklagte<br />

trug während der Tat unbefugt eine "Feldjägeruniform", weshalb der Straftatbestand des Missbrauchs von<br />

(inländischen) Uniformen im Sinne des § 132a Abs. 1 Nr. 4 1. Variante <strong>StGB</strong> erfüllt sein kann. In Betracht kommt<br />

ferner die – ebenfalls unbefugte – Verwendung der Armbinde mit der Aufschrift "MP“ als Missbrauch von Amtsabzeichen<br />

im Sinne des § 132a Abs. 1 Nr. 4 4. Variante <strong>StGB</strong>.<br />

b) Zum anderen ist der Tatbestand des § 132a <strong>StGB</strong> in beiden Tatvarianten nur erfüllt, wenn es sich bei der jeweiligen<br />

Uniform bzw. dem Amtsabzeichen um solche handelt, die auf Gr<strong>und</strong> öffentlich-rechtlicher Bestimmungen eingeführt<br />

sind (vgl. dazu eingehend LK-<strong>StGB</strong>/Krauß, 12. Aufl. § 132a Rn. 50 ff. m.w.N.). Amtsabzeichen werden<br />

zudem nur dann von der Strafvorschrift er-fasst, wenn sie, ohne Bestandteil der Amtskleidung zu sein, an vorschriftsmäßigen<br />

Uniformen angebracht sind <strong>und</strong> den Träger als Inhaber eines bestimmten Amtes kennzeichnen<br />

(BGH, Beschluss vom 23. April 1992 – 1 StR 58/92, NStZ 1992, 490; Krauß aaO Rn. 52; Münch-<br />

Komm<strong>StGB</strong>/Hohmann § 132a Rn. 16, jeweils m.w.N.). Dazu, ob die vom Angeklagten <strong>und</strong> seinem Mittäter getragenen<br />

Uniformen <strong>und</strong> die vom Angeklagten zusätzlich verwendete Armbinde mit der Aufschrift "MP“ tatsächlich zu<br />

den durch öffentlich-rechtliche Vorschriften eingeführten Uniformen bzw. Abzeichen gehören oder solchen zum<br />

Verwechseln ähnlich sind (§ 132a Abs. 2 <strong>StGB</strong>), enthalten die Urteilsgründe keine näheren Feststellungen (vgl. dazu<br />

Art. 2 der gemäß § 4 Abs. 3 SG erlassene Anordnung des B<strong>und</strong>espräsidenten über die Dienstgradbezeichnungen <strong>und</strong><br />

die Uniform der Soldaten (BPräsUnifAnO) vom 14. Juli 1978 (BGBl. I S. 1067; i.d.F. vom 31. Mai 1996, VMBl.<br />

1996 S. 260).<br />

3. Da das Landgericht insoweit zu Recht von Tateinheit ausgegangen ist, kann auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie<br />

Verurteilung wegen Urk<strong>und</strong>enfälschung durch Anfertigung der beiden Schreiben durch den Angeklagten<br />

nicht aufrecht erhalten bleiben (vgl. Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 353 Rn. 7a).<br />

4. Aus demselben Gr<strong>und</strong> erstreckt sich die Aufhebung auch auf die tat-einheitliche Verurteilung wegen eines Vergehens<br />

gemäß § 132 <strong>StGB</strong>. Zudem hält der Schuldspruch wegen Amtsanmaßung lediglich im Ergebnis rechtlicher<br />

Nachprüfung stand.<br />

a) Die Tatmodalitäten des § 132 <strong>StGB</strong> setzen voraus, dass der Täter entweder als Inhaber eines öffentlichen Amtes<br />

auftritt <strong>und</strong> eine Handlung vornimmt, die den Anschein hoheitlichen Handelns erweckt (§ 132 1. Alternative <strong>StGB</strong>)<br />

oder dass er eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf (§ 132<br />

51


2. Alternative <strong>StGB</strong>; vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 1993 – 4 StR 416/93, BGHSt 40, 8, 11 f.). Dabei ist das<br />

Tatbestandsmerkmal "öffentliches Amt“ nach den Kriterien des Staats- <strong>und</strong> Verwaltungsrechts zu bestimmen <strong>und</strong><br />

sowohl im statusrechtlichen als auch im funktionellen Sinne zu verstehen (zur Amtsträgereigenschaft Senatsurteil<br />

vom 10. März 1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264, 267 f.; MünchKomm<strong>StGB</strong>/Radtke § 11 Rn. 16 f.; Hohmann<br />

aaO, § 132 Rn. 7). Die Ausübung militärischer Hoheitsbefugnisse <strong>und</strong> die Wahrnehmung militärischer Aufgaben<br />

sind deshalb regelmäßig nicht dem Begriff des öffentlichen Amtes im Sinne des § 132 <strong>StGB</strong> zuzuordnen; Soldaten<br />

sind keine Amtsträger im strafrechtlichen Sinne (vgl. SSW-<strong>StGB</strong>/Satzger § 11 Rn. 18; Fischer <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 11<br />

Rn. 16). Dies ergibt sich – im Umkehrschluss – auch aus § 48 WStG, durch den Soldaten der B<strong>und</strong>eswehr lediglich<br />

für einen abschließenden Katalog von (Amts-)delikten den Amts-trägern im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> gleich<br />

gestellt werden. Bei der Anmaßung militärischer Befugnisse handelt es sich daher, soweit die B<strong>und</strong>eswehr betroffen<br />

ist (anders im Fall der Anmaßung solcher Befugnisse von in Deutschland stationierten NATO-Truppen; vgl. dazu<br />

Hohmann aaO Rn. 9), gr<strong>und</strong>sätzlich auch nicht um die Anmaßung eines öffentlichen Amtes im Sinne dieser Strafvorschrift<br />

(LK-<strong>StGB</strong>/Krauß, 12. Aufl. § 132 Rn. 12; Fischer aaO § 132 Rn. 5). Während für Soldaten <strong>und</strong> für die bei<br />

der B<strong>und</strong>eswehr beschäftigten Zivilpersonen im Sinne von § 1 Abs. 2 WStG in solchen Fällen ausschließlich eine<br />

Strafbarkeit nach § 38 WStG in Betracht kommt, ist die Anmaßung militärischer Befugnisse durch sonstige Zivilpersonen<br />

regelmäßig weder von § 132 <strong>StGB</strong> noch von § 38 WStG erfasst (Krauß, Hohmann <strong>und</strong> Fischer, jeweils aaO;<br />

ebenso SSW-<strong>StGB</strong>/Jeßberger § 132 Rn. 5). Danach hätte sich der Angeklagte im vorliegenden Fall nach keiner der<br />

beiden Vorschriften strafbar gemacht.<br />

b) Handelt der Täter aber nicht nur unter Vortäuschung seiner Zugehörigkeit zu den Soldaten oder dem zivilen Personal<br />

der B<strong>und</strong>eswehr, sondern beansprucht er zusätzlich "Amtsbefugnisse“ als Feldjäger, kommt hingegen eine<br />

Strafbarkeit gemäß § 132 2. Alternative <strong>StGB</strong> in Betracht.<br />

aa) Gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges <strong>und</strong> die Ausübung besonderer Befugnisse<br />

durch Soldaten der B<strong>und</strong>eswehr <strong>und</strong> verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) vom<br />

12. August 1965 (BGBl. I 1965 S. 796, zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007, BGBl.<br />

I 3198) sind Soldaten der B<strong>und</strong>eswehr, denen militärische Wach- oder Sicherheitsaufgaben übertragen sind, befugt,<br />

in Erfüllung dieser Aufgaben Personen anzuhalten, zu überprüfen, vorläufig festzunehmen <strong>und</strong> zu durchsuchen sowie<br />

Sachen sicherzustellen <strong>und</strong> zu beschlagnahmen <strong>und</strong> unmittelbaren Zwang gegen Personen <strong>und</strong> Sachen anzuwenden.<br />

Den Soldaten mit Sicherheitsaufgaben im Sinne dieses Gesetzes, zu denen nach Kapitel 1 Nr. I. 2 (1. Spiegelstrich)<br />

der Zentralen Dienstvorschrift 14/9 (ZDv 14/9) des B<strong>und</strong>esministeriums der Verteidigung auch die im Feldjägerdienst<br />

stehenden Soldaten der B<strong>und</strong>eswehr gehören, werden damit allgemeine polizeiliche Befugnisse auch gegenüber<br />

Privatpersonen verliehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Januar 1990 – 7 C 88/88, BVerwGE 84, 247, Tz. 14<br />

ff. zur Einrichtung eines militärischen Sicherheitsbereichs im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw durch Sperrung<br />

eines nichtmilitärischen Ortes; i.E. ebenso Fischer aaO; vgl. dazu auch Heinen, Rechtsgr<strong>und</strong>lagen Feldjägerdienst, 9.<br />

Aufl. 2010, S. 14 ff.).<br />

bb) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen liegen auch die übrigen Voraussetzungen von § 132 2.<br />

Alternative <strong>StGB</strong> vor. Wie in § 132 1. Alternative <strong>StGB</strong> wird dafür zunächst vorausgesetzt, dass sich das Handeln<br />

des Täters nach außen als Wahrnehmung öffentlicher Funktionen darstellt <strong>und</strong> objektiv mit einer hoheitlichen Maßnahme<br />

verwechselt werden könnte (Senatsurteil vom 9. Dezember 1993 aaO; Jeßberger aaO Rn. 9). Im Unterschied<br />

zu der ersten Tatmodalität wird der Anschein hoheitlichen Handelns in der zweiten Alternative aber durch die Handlung<br />

selbst begründet, nicht durch das Auftreten des Täters als Amtsträger. In Betracht kommen hier insbesondere<br />

Eingriffe in die Rechte Einzelner, etwa eine Verhaftung, Durchsuchung oder Beschlagnahme (RG, Urteil vom 25.<br />

Juni 1925 – II 166/25, RGSt 59, 291, 298; Hohmann aaO Rn. 18). Im Hinblick auf den Zweck der Strafvorschrift,<br />

die das Vertrauen der Allgemeinheit in die Autorität staatlichen Handelns schützen soll, erfüllt eine solche oder eine<br />

ähnliche Handlung nur dann nicht den Tatbestand des § 132 2. Alternative <strong>StGB</strong>, wenn sich das Verhalten des Täters<br />

so weit von den rechtlichen Vorgaben einer Amtshandlung entfernt, dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist (vgl.<br />

dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. April 2006 – 4 Ws 98/06, NStZ 2007, 527; Jeßberger aaO Rn. 10): Dabei ist<br />

auf die Sicht eines unbefangenen Beobachters abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 1993 aaO, S. 13;<br />

Krauß aaO Rn. 30). Danach ist die Verurteilung wegen Amtsanmaßung hier im Ergebnis zu Recht erfolgt. Der Angeklagte<br />

hat mit seinem Mittäter Handlungen vorgenommen, die nur in Ausübung hoheitlicher Funktionen vorgenommen<br />

werden durften. Er hat unter Vorlage zweier gefälschter Schriftstücke mit quasiamtlichem Inhalt bei dem<br />

Geschädigten, der das Geschehen für authentisch hielt <strong>und</strong> beiden Tätern die Feldjäger-Eigenschaft glaubte, eine<br />

"Durchsuchung“ sowie eine "Beschlagnahme“ durchgeführt <strong>und</strong> ist dabei in vorgetäuschter amtlicher Funktion als<br />

Feldjäger aufgetreten, also als vermeintlicher Angehöriger der Polizei der B<strong>und</strong>eswehr. Ungeachtet formaler Mängel<br />

der von ihm gefertigten Schriftstücke entfernte sich sein Vorgehen unter Berücksichtigung seine Uniformierung <strong>und</strong><br />

52


seines einen amtlichen Anschein erweckenden Gesamtverhaltens nicht so weit von den rechtlichen Vorgaben einer<br />

Amtshandlung, dass eine Verwechslung vom Standpunkt eines unbefangenen Betrachters ausgeschlossen war.<br />

III. Soweit das Landgericht den Angeklagten darüber hinaus wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit<br />

Urk<strong>und</strong>enfälschung zu einer (weiteren) Einzelgeldstrafe verurteilt hat, holt der Senat die unterbliebene Bestimmung<br />

der Tagessatzhöhe nach <strong>und</strong> legt sie entsprechend dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts auf einen Euro fest. Dass<br />

die Geldstrafe in eine zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen war, lässt die Notwendigkeit einer solchen<br />

Festsetzung nicht entfallen (Senatsbeschluss vom 14. Mai 1981 – 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, <strong>und</strong> vom 29. August<br />

2006 – 4 StR 231/06).<br />

IV. Für die neue Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Sollte die neue<br />

Hauptverhandlung zu Feststellungen führen, die die Annahme einer finalen Verknüpfung zwischen dem eingesetzten<br />

Nötigungsmittel <strong>und</strong> der Wegnahme rechtfertigen, wird das Vorliegen von Zueignungsabsicht eingehend geprüft<br />

werden müssen. Für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 <strong>StGB</strong> erfüllt sein sollten, wäre der Angeklagte<br />

insoweit wegen "besonders schweren Raubes“ zu verurteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. September<br />

2009 - 3 StR 297/09, NStZ 2010, 101; BGH, Beschluss vom 2. Februar 2011 - 2 StR 622/10). Bei erneuter<br />

Verurteilung des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das WaffG werden die Anforderungen an die rechtliche<br />

Bezeichnung der Tat (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO) in solchen Fällen zu berücksichtigen sein. Die Formulierung "wegen<br />

Verstoßes gegen das Waffengesetz“ genügt regelmäßig nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR<br />

574/06, NStZ 2007, 352).<br />

<strong>StGB</strong> § 133, 246 Nichtrückgabe, um zu ärgern, ist noch keine Unterschlagung<br />

BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – 4 StR 164/10 - wistra 2010, 483<br />

1. Die zweite Alternative des § 133 Abs. 1 <strong>StGB</strong> erfasst Gegenstände, die dem Täter oder einem<br />

Dritten aufgr<strong>und</strong> dienstlicher Anordnung in Verwahrung gegeben worden sind. In dienstlicher<br />

Verwahrung befinden sich hiernach die dem Verteidiger nach § 147 StPO übergebenen<br />

Verfahrensakten.<br />

2. Die Pflicht des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer vermögenswirksame Leistungen zu<br />

entrichten, ist lediglich eine dem Arbeitsverhältnis entspringende Nebenpflicht <strong>und</strong> bildet<br />

nicht den wesentlichen Inhalt des Vertragsverhältnisses.<br />

3. Eine Anwendung von § 46a Nr. 2 <strong>StGB</strong> setzt neben einem vollständigen oder überwiegenden<br />

Schadensausgleich voraus, dass die Leistung Ausdruck der Übernahme von Verantwortung<br />

ist. Das versteht sich bei zum <strong>Teil</strong> erst nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen<br />

geleisteten Zahlungen oder bei am letzten Hauptverhandlungstag dem Verteidiger zur<br />

Schadenswiedergutmachung zur Verfügung gestellten Geldbeträgen nicht von selbst.<br />

4. Einbehalten, um zu ärgern, ist noch keine Zueignungsabsicht.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts - zu 3. auf dessen Antrag -<br />

<strong>und</strong> der Beschwerdeführer am 15. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. November 2009,<br />

a) soweit es die Angeklagte N. betrifft,<br />

aa) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 2. bis II. 4. sowie II. 10., II. 11. <strong>und</strong> II. 14. der Urteilsgründe<br />

bb) sowie in den Aussprüchen über die in diesen Fällen <strong>und</strong> in dem Fall II. 13. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen<br />

<strong>und</strong> über die Gesamtstrafe aufgehoben,<br />

b) soweit es den Angeklagten A. betrifft,<br />

aa) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 2. bis II. 4. sowie II. 6. <strong>und</strong> II. 10. der Urteilsgründe<br />

bb) sowie in den Aussprüchen über die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> über die Gesamtstrafe aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

53


Das Landgericht hat die Angeklagte N. wegen Untreue in acht Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter<br />

Freiheitsberaubung, Unterschlagung in vier Fällen, Betruges <strong>und</strong> Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren verurteilt. Der Angeklagte A. wurde wegen Untreue in sechs Fällen, Unterschlagung<br />

in zwei Fällen, Betruges <strong>und</strong> Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong><br />

sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten jeweils<br />

die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Schuldsprüche wegen Unterschlagung in den Fällen II. 4., 10., 11. <strong>und</strong> 14. der Urteilsgründe haben keinen<br />

Bestand.<br />

a) Nach den Feststellungen zu den Tatkomplexen der Unterschlagung haben beide Angeklagte ihrem Arbeitnehmer<br />

J. auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses die Lohnsteuerkarten für die Jahre 2004 <strong>und</strong> 2005 nicht<br />

ausgehändigt (Fall II. 4. der Urteilsgründe) bzw. hat die Angeklagte N. diverse Unterlagen, welche die Mandanten<br />

ihr zur Wahrnehmung von deren Interessen zur Verfügung gestellt hatten, diesen nicht wieder zurückgegeben (Fälle<br />

II. 11. <strong>und</strong> II. 14. der Urteilsgründe). Anlass für das Zurückhalten der Lohnsteuerkarten bzw. der Unterlagen war<br />

jeweils eine Verärgerung über das Verhalten des Angestellten bzw. der Mandanten. Zu dem Fall II. 10. der Urteilsgründe<br />

hat die Kammer festgestellt, dass die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bochum in einem gegen die<br />

Angeklagte N. geführten Verfahren, die dem Angeklagten A. als Verteidiger zur Akteneinsicht übersandt wurden,<br />

nicht mehr an die Behörde zurück gesandt wurden. Hierzu hatten sich die Angeklagten entschlossen, weil ihnen die<br />

unbeabsichtigte Versäumung der Rückgabefrist unangenehm war.<br />

b) Die bisherigen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Unterschlagung in diesen Fällen nicht. Allein dem<br />

Unterlassen der Rückgabe lässt sich eine Zueignung im Sinne des § 246 Abs. 1 <strong>StGB</strong> nicht entnehmen (vgl. hierzu<br />

BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 – 3 StR 472/06 Rn. 2), insbesondere wenn dies geschieht, um den Eigentümer<br />

bzw. Gewahrsamsinhaber zu ärgern (BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 – 4 StR 323/80; Holtz, MDR 1982, 808, 810;<br />

Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl. § 242 Rn. 36; SSW-<strong>StGB</strong>/Kudlich § 242 Rn. 48, jeweils m.w.N.). Das Landgericht wird<br />

jedoch eine Strafbarkeit wegen Urk<strong>und</strong>enunterdrückung, im Fall II. 10. zudem wegen Verwahrungsbruches <strong>und</strong><br />

hinsichtlich des Angeklagten A. gegebenenfalls auch wegen versuchter Strafvereitelung zu prüfen haben. Ergänzend<br />

weist der Senat für den Fall II. 10. der Urteilsgründe darauf hin, dass nach der Rechtsprechung <strong>und</strong> der herrschenden<br />

Meinung im Schrifttum eine Nachteilszufügungsabsicht im Sinne des § 274 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> zwar nicht durch die<br />

Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs begründet wird, da insoweit kein "anderer" benachteiligt wird (BGH,<br />

Beschluss vom 27. März 1990, BGHR <strong>StGB</strong> § 274 Nachteil 2; BayObLG, NZV 1999, 213, 214; NZV 1989, 81;<br />

OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477; SSW-<strong>StGB</strong>/Wittig § 274 Rn. 21; Lackner/Kühl, <strong>StGB</strong>, 26. Aufl., § 274 Rn. 7;<br />

Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 274 Rn. 16). Es sind aber ergänzende Feststellungen dahingehend<br />

möglich, dass dem Anzeigeerstatter im Ermittlungsverfahren 32 Js 547/07 durch die Angeklagten ein Nachteil<br />

zugefügt werden sollte. Der zu Benachteiligende braucht auch nicht Eigentümer der Urk<strong>und</strong>e bzw. mit dem Beweisführungsberechtigten<br />

identisch zu sein (Leipziger Kommentar/Zieschang, <strong>StGB</strong>, 12. Aufl., § 274 Rn. 60; Fischer<br />

aaO § 274 Rn. 6; Wittig aaO § 274 Rn. 21, Cramer/Heine aaO § 274 Rn. 17, jeweils m.w.N.). Das Landgericht wird<br />

auch eine Strafbarkeit wegen Verwahrungsbruchs zu erwägen haben. Die zweite Alternative des § 133 Abs. 1 <strong>StGB</strong><br />

erfasst Gegenstände, die dem Täter oder einem Dritten aufgr<strong>und</strong> dienstlicher Anordnung in Verwahrung gegeben<br />

worden sind. In dienstlicher Verwahrung befinden sich hiernach die dem Verteidiger nach § 147 StPO übergebenen<br />

Verfahrensakten (SSW-<strong>StGB</strong>/Jeßberger § 133 Rn. 7; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl., §<br />

133 Rn. 10). Für den Angeklagten A. kommt gegebenenfalls bei Vorliegen eines Vereitelungsansatzes eine Strafbarkeit<br />

wegen versuchter Strafvereitelung in Betracht (vgl. Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 2.<br />

Aufl., Rn. 103 m.w.N.).<br />

2. Die Verurteilung wegen Untreue im Fall II. 2. der Urteilsgründe hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht<br />

stand. Die Feststellungen belegen nicht das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht. Nach § 2 Abs. 7 des fünften<br />

Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Fünftes Vermögensbildungsgesetz) in der<br />

Fassung der Bekanntmachung vom 4. März 1994 (BGBl. I S. 406) sind vermögenswirksame Leistungen arbeitsrechtlich<br />

Bestandteil des Lohns oder Gehalts. Die Pflicht des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer vermögenswirksame<br />

Leistungen zu entrichten, ist lediglich eine dem Arbeitsverhältnis entspringende Nebenpflicht <strong>und</strong> bildet nicht den<br />

wesentlichen Inhalt des Vertragsverhältnisses (BGH, Urteil vom 5. Oktober 1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314,<br />

318 hinsichtlich der Verpflichtung des Arbeitgebers, einen <strong>Teil</strong> des Lohnes zum Kleben so genannter "Urlaubsmarken"<br />

zu verwenden; OLG Braunschweig, NJW 1976, 1903 f.). Auch enthält die aus dem Arbeitsvertrag entspringende<br />

Pflicht zur ordnungsgemäßen Lohnzahlung nicht schon von sich aus die Verpflichtung, die Vermögensinteressen<br />

des Arbeitnehmers wahrzunehmen (BGH aaO). Die bisherigen Feststellungen legen vielmehr eine Verurteilung<br />

54


wegen Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 3 <strong>StGB</strong> nahe, wobei für jeden Fälligkeitszeitpunkt<br />

eine Tat vorliegen würde (OLG Frankfurt/Main, wistra 2003, 236, 237; NStZ-RR 1999, 104; OLG<br />

Celle, NStZ-RR 1997, 324; Fischer aaO § 266a Rn. 36).<br />

3. Im Fall II. 3. der Urteilsgründe ist das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem Fall des Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens<br />

von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 <strong>StGB</strong> ausgegangen. Bei Nichtentrichten der Beiträge an mehreren<br />

Fälligkeitsterminen liegt Tatmehrheit vor (OLG Frankfurt/Main, wistra 2003, 236, 237; NStZ-RR 1999, 104; OLG<br />

Celle, NStZ-RR 1997, 324; Fischer aaO § 266a Rn. 36). Auch lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, ob<br />

lediglich Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß § 266a Abs. 1 <strong>StGB</strong> oder auch Arbeitgeberanteile<br />

von Beiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a Abs. 2 Nr. 2 <strong>StGB</strong> vorenthalten wurden.<br />

4. Die getroffenen Feststellungen zu Fall II. 6. der Urteilsgründe tragen eine Verurteilung des Angeklagten A. wegen<br />

Untreue nicht. Die bisherigen Feststellungen belegen nur eine Vertretung der Geschädigten durch die Angeklagte N..<br />

Ergänzende Feststellungen erscheinen jedoch möglich. Sollte der neue Tatrichter eine Beauftragung beider Angeklagter<br />

nicht feststellen, weist der Senat darauf hin, dass für den Angeklagten A. auch eine Beihilfe zur Untreue der<br />

Angeklagten N. in Betracht kommt.<br />

5. Hinsichtlich des Falles II. 13. der Urteilsgründe hat die Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler<br />

zum Nachteil der Angeklagten N. ergeben. Das Rechtsmittel führt jedoch insoweit zur Aufhebung des Strafausspruchs.<br />

Das Landgericht hat den Strafrahmen des § 239 Abs. 3 Nr. 1 <strong>StGB</strong> lediglich gemäß §§ 23 Abs. 2, 49<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemildert. Es hat zum einen nicht bedacht, dass das Vorliegen eines vertypten Strafmilderungsgr<strong>und</strong>es<br />

bereits für sich allein oder zusammen mit den festgestellten sonstigen Milderungsgründen einen minder schweren<br />

Fall begründen kann (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 – 4 StR 173/05; Fischer aaO § 50 Rn. 4 m.w.N.). Zum anderen<br />

hat das Landgericht die Vorschriften der §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> nicht im Blick gehabt. Die aufgezeigten<br />

Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs; einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es insofern<br />

jedoch nicht. Der Senat kann nicht mit der gebotenen Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten<br />

Rechtsfehler auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte.<br />

6. In Bezug auf das weitere Revisionsvorbringen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

in seiner Antragsschrift vom 13. April 2010.<br />

7. Mit den Aufhebungen in den genannten Fällen entfallen auch die insoweit verhängten Einzelstrafen sowie die<br />

Gesamtstrafe. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich das Verschlechterungsverbot (§ 358<br />

Abs. 2 StPO) lediglich auf Art <strong>und</strong> Höhe der Rechtsfolgen, nicht aber auf eine Veränderung <strong>und</strong> Verschärfung des<br />

Schuldspruchs bezieht (st. Rspr.; vgl. KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 358 Rn. 18; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 331 Rn.<br />

2; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 358 Rn. 11, § 331 Rn. 8, jeweils m.w.N.). Der neue Tatrichter wäre daher nicht<br />

daran gehindert, den Schuldspruch in den Fällen II. 2. <strong>und</strong> 3. dahingehend zu ändern, dass die Angeklagten des Vorenthaltens<br />

<strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 26 Fällen schuldig sind. In diesem Fall würde das Verschlechterungsverbot<br />

aber dazu führen, dass die Summe der Einzelstrafen, die dann jeweils zu verhängen wären, die in dem<br />

betreffenden Fall bisher verhängte Einzelstrafe nicht überschreiten darf (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4<br />

StR 408/09 Rn. 14; vom 25. Oktober 2001 - 3 StR 314/01; vom 16. September 1986 – 4 StR 479/86, BGHR StPO §<br />

331 Abs. 1 Einzelstrafe, fehlende 1). Im Hinblick auf die neu festzusetzenden Einzelstrafen weist der Senat ferner<br />

darauf hin, dass entgegen der Annahme des Landgerichts eine Anwendung des § 46a Nr. 1 <strong>StGB</strong> nicht in Betracht<br />

kommt, weil es den Angeklagten bei ihren Bemühungen um Schadenswiedergutmachung ersichtlich nicht um den<br />

Ausgleich immaterieller Folgen ging (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 4 StR 435/99, NStZ 2000, 205;<br />

vgl. auch Fischer aaO § 46a Rn. 10 m.w.N.). Eine Anwendung von § 46a Nr. 2 <strong>StGB</strong> setzt neben einem vollständigen<br />

oder überwiegenden Schadensausgleich voraus, dass die Leistung Ausdruck der Übernahme von Verantwortung<br />

ist. Das versteht sich bei den zum <strong>Teil</strong> erst nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen geleisteten Zahlungen<br />

oder bei am letzten Hauptverhandlungstag dem Verteidiger zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung gestellten<br />

Geldbeträgen nicht von selbst.<br />

<strong>StGB</strong> § 146 Abs. 1 Nr. 2 Verschaffen von Falschgeld – subj. Tatbestand<br />

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 – 4 StR 30/11 - BeckRS 2011, 01780<br />

Wegen Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> macht sich strafbar, wer sich falsches Geld in<br />

der Absicht verschafft, es als echt in Verkehr zu bringen oder ein solches Inverkehrbringen zu er-<br />

55


möglichen. Die auf das Inverkehrbringen des Falschgelds oder dessen Ermöglichung gerichtete Absicht<br />

muss der Täter spätestens bei der Inbesitznahme des Falschgelds gefasst haben.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> der Beschwerdeführer<br />

am 1. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4, § 357 Satz 1 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten A. <strong>und</strong> H. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 27. August 2010<br />

a) im Tenor dahin ergänzt, dass der Angeklagte A. im Übrigen freigesprochen wird; insoweit fallen die Kosten des<br />

Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten A. der Staatskasse zur Last;<br />

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

aa) soweit der Angeklagte A. in den Fällen I. 2 e <strong>und</strong> 2 o der Urteilsgründe verurteilt worden ist;<br />

bb) soweit der Angeklagte H. <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte B. in den Fällen I. 2 f, 2 g <strong>und</strong> 2 l der Urteilsgründe<br />

verurteilt worden sind;<br />

cc) in den Gesamtstrafenaussprüchen gegen den Angeklagten H. <strong>und</strong> den früheren Mitangeklagten B. sowie hinsichtlich<br />

der gegen den Angeklagten A. verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten;<br />

dd) hinsichtlich aller Angeklagter im Ausspruch über das Absehen von der Verfallsanordnung <strong>und</strong> die Feststellungen<br />

des Wertes des Erlangten.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten A. <strong>und</strong> H. werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Diebstahls unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil<br />

des Amtsgerichts Essen vom 25. September 2009 <strong>und</strong> Einbeziehung der dortigen Einzelstrafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von einem Jahr <strong>und</strong> drei Monaten <strong>und</strong> wegen Bandendiebstahls in fünf Fällen <strong>und</strong> wegen Geldfälschung<br />

zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten H. hat<br />

es wegen Diebstahls in drei Fällen <strong>und</strong> wegen Wohnungseinbruchdiebstahls unter Einbeziehung der Geldstrafe aus<br />

dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 8. Januar 2010 die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> wegen<br />

Bandendiebstahls in fünf Fällen, Beihilfe zum Bandendiebstahl, Beihilfe zum Diebstahl <strong>und</strong> wegen Diebstahls die<br />

weitere Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verhängt. Der nicht revidierende frühere Mitangeklagte<br />

B. ist des Diebstahls in fünf Fällen, des Bandendiebstahls in sechs Fällen <strong>und</strong> des Wohnungseinbruchdiebstahls<br />

schuldig gesprochen <strong>und</strong> zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt worden. Des<br />

Weiteren hat die Strafkammer bei allen Angeklagten "wegen Rückgewinnungshilfe" von der Anordnung des Verfalls<br />

abgesehen <strong>und</strong> festgestellt, dass der Wert des Erlangten für den Angeklagten A. 15.000 Euro, für den Angeklagten<br />

H. 30.000 Euro <strong>und</strong> für den früheren Mitangeklagten B. 50.000 Euro beträgt. Die Angeklagten A. <strong>und</strong> H. wenden<br />

sich mit ihren jeweils auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen gegen ihre Verurteilungen. Die Rechtsmittel<br />

führen in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zu der <strong>Teil</strong>aufhebung des Urteils, die hinsichtlich<br />

der Schuldsprüche in den Fällen I. 2 f, 2 g <strong>und</strong> 2 l der Urteilsgründe sowie der Feststellung nach § 111i Abs. 2<br />

StPO gemäß § 357 Satz 1 StPO auch auf den früheren Mitangeklagten B. zu erstrecken ist. Im Übrigen sind die Revisionen<br />

offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Soweit der Angeklagte A. im Fall I. 2 e der Urteilsgründe <strong>und</strong> der Angeklagte H. in den Fällen I. 2 g <strong>und</strong> 2 l der<br />

Urteilsgründe jeweils wegen Bandendiebstahls verurteilt worden ist, hält der Schuldspruch einer rechtlichen Prüfung<br />

nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass es sich bei den Diebstählen um Bandentaten handelte. Die<br />

Annahme eines Bandendiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> setzt neben einer ausdrücklich oder konkludent<br />

getroffenen Bandenabrede zwischen mindestens drei Personen voraus, dass der Täter gerade als Mitglied der Bande<br />

unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds stiehlt. Die Einzeltat muss Ausfluss der Bandenabrede sein <strong>und</strong><br />

darf nicht losgelöst davon ausschließlich im eigenen Interesse der jeweils unmittelbar Beteiligten ausgeführt werden<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2006 - 4 StR 595/05, NStZ 2006, 342 f.; Beschluss vom 13. Januar 2005 - 3<br />

StR 473/04, NStZ 2005, 567, 568, <strong>und</strong> Urteil vom 23. Februar 2000 - 1 StR 568/99, BGHR <strong>StGB</strong> § 260 Abs. 1 Bande<br />

1, jeweils zu § 260 Abs. 1 <strong>StGB</strong>; Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 244 Rn. 41; Vogel in LK, 12. Aufl., § 244 Rn. 66).<br />

Die am 29. Dezember 2009, am 25. Januar <strong>und</strong> 3. Februar 2010 verübten Diebstähle wurden nach den Feststellungen<br />

von jeweils zwei Bandenmitgliedern gemeinsam mit einem oder zwei weiteren nicht zu der Bande gehörenden Tatbeteiligten<br />

begangen. Dass sie in Erfüllung der zwischen den Angeklagten H., A. <strong>und</strong> dem früheren Mitangeklagten<br />

B. getroffenen Bandenabrede ausgeführt wurden, ist nicht festgestellt. Da die Strafkammer die weiteren Diebstähle<br />

am 31. Dezember 2009 sowie am 16. <strong>und</strong> 18. Februar 2010, die ebenfalls jeweils von zwei Bandenmitgliedern <strong>und</strong> in<br />

zwei Fällen im Zusammenwirken mit außerhalb der Bande stehenden Beteiligten begangen wurden, ohne nähere<br />

56


Begründung nicht als Bandentaten gewertet hat, lässt sich der erforderliche Bandenbezug auch nicht dem Gesamtzusammenhang<br />

der Urteilsgründe entnehmen. Hinsichtlich der Tat I. 2 e der Urteilsgründe kommt hinzu, dass das<br />

Landgericht zur Bandenabrede lediglich festgestellt hat, dass zunächst der Angeklagte H. <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte<br />

B. im Herbst 2009 übereinkamen, unter Beteiligung Dritter Diebstähle zu begehen, <strong>und</strong> der Angeklagte A.<br />

sich diesen "in der Folgezeit" anschloss. Ob der Angeklagte A. bei dem ersten unter seiner Beteiligung begangenen<br />

Diebstahl am 29. Dezember 2009 bereits Bandenmitglied war, bleibt nach den Urteilsgründen offen.<br />

2. Die Verurteilung des Angeklagten H. wegen Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> im<br />

Fall I. 2 f der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht unzureichende Feststellungen zum<br />

äußeren Tatgeschehen getroffen hat. Die Sachverhaltsschilderung der Strafkammer, wonach der Angeklagte H. <strong>und</strong><br />

der frühere Mitangeklagte B. gemeinsam mit zwei Mittätern in die Wohnung des Geschädigten einbrachen, erschöpft<br />

sich in der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts des § 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong>, ohne die das Tatbestandsmerkmal des<br />

Einbrechens ausfüllenden Tatumstände näher zu bezeichnen. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1<br />

Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 4 StR 190/00, NStZ 2000, 607; Engelhardt in KK-StPO, 6.<br />

Aufl., § 267 Rn. 9) <strong>und</strong> ermöglicht keine revisionsgerichtliche Kontrolle der vom Tatrichter vorgenommenen Subsumtion<br />

des Sachverhalts unter die angewandte Strafvorschrift.<br />

3. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten A. wegen Geldfälschung im Fall I. 2 o der Urteilsgründe begegnet<br />

ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Wegen Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> macht sich<br />

strafbar, wer sich falsches Geld in der Absicht verschafft, es als echt in Verkehr zu bringen oder ein solches Inverkehrbringen<br />

zu ermöglichen. Die auf das Inverkehrbringen des Falschgelds oder dessen Ermöglichung gerichtete<br />

Absicht muss der Täter spätestens bei der Inbesitznahme des Falschgelds gefasst haben (vgl. Fischer, aaO, § 146 Rn.<br />

12). Nach den Feststellungen verschaffte sich der Angeklagte A. Anfang des Jahres 2010 eine falsche 100 Euro-<br />

Note, die er in der ersten Januarhälfte einem Bekannten zeigte <strong>und</strong> diesem auf dessen Bitte überließ. Dass der Angeklagte<br />

bei der Erlangung des Besitzes an der falschen Note in der Absicht handelte, den Schein als echt in Verkehr zu<br />

bringen oder dieses zu ermöglichen, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Da sie dem Angeklagten im Rahmen der<br />

Strafzumessung ausdrücklich zu Gute gehalten hat, dass der Bekannte den Anstoß dazu gab, dass der Schein "überhaupt<br />

in Umlauf gelangte", versteht sich eine solche Absicht hier auch nicht von selbst.<br />

4. Die Revisionen der Angeklagten A. <strong>und</strong> H. führen schließlich zur Aufhebung der Feststellungen nach § 111i Abs.<br />

2 StPO, weil das angefochtene Urteil eine nachvollziehbare Begründung für die jeweils festgestellten Werte des<br />

Erlangten vermissen lässt. Soweit die Strafkammer zu den Einzelfällen überhaupt Feststellungen zu dem Wert der<br />

Beute getroffen hat - hinsichtlich der Taten I. 2 d, 2 e <strong>und</strong> 2 j fehlen diesbezügliche Angaben voll-ständig - lässt sich<br />

den Urteilsausführungen weder entnehmen, in welchem Umfang sie die jeweilige Beute den Beteiligten als aus den<br />

Taten erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong> zugerechnet hat, noch wie die nur im Urteilstenor genannten<br />

Gesamtbeträge für den Wert des Erlangten ermittelt wurden. Hierfür hätte es näherer Feststellungen dazu bedurft,<br />

welche Vermögenswerte bei den einzelnen Taten den Tätern oder <strong>Teil</strong>nehmern unmittelbar aus der Verwirklichung<br />

des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs in der Weise zugeflossen sind, dass sie an ihnen tatsächliche<br />

Verfügungsgewalt gewonnen <strong>und</strong> dadurch einen Vermögenszuwachs erzielt haben. Bei mehreren Tatbeteiligten<br />

genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht erlangt haben, die nach<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zu einer gesamtschuldnerischen Haftung der Beteiligten führt (vgl.<br />

BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, NJW 2011, 624 Rn. 19 ff. m.w.N.). Im Übrigen entspricht es der<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, dass die Regelung des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> im Rahmen der nach § 111i Abs.<br />

2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten ist (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, aaO, Rn. 15<br />

m.w.N.). Wird in Anwendung des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen, hat dies<br />

zur Folge, dass der in der Urteilsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag, den der<br />

Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt,<br />

hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, aaO, Rn.<br />

12 ff.). Die Strafkammer hat die Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> nicht erkennbar geprüft. Hierzu hätte sie<br />

Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten treffen <strong>und</strong> sich mit der Frage auseinandersetzen<br />

müssen, inwieweit der Wert des jeweils Erlangten noch im Vermögen der Angeklagten vorhanden ist.<br />

5. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen I. 2 f, 2 g <strong>und</strong> 2 l der Urteilsgründe ist gemäß § 357 Satz 1 StPO<br />

auch auf den nicht revidierenden früheren Mitangeklagten B. zu erstrecken. Gleiches gilt für die Aufhebung der<br />

Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO, weil der ihr in erster Linie zu Gr<strong>und</strong>e liegende materiell-rechtliche Fehler -<br />

die unzureichende Ermittlung des aus den Taten Erlangten - auch den Mitangeklagten B. in gleicher Weise betrifft<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, aaO, Rn. 32). Die Aufhebung der Schuldsprüche in den<br />

Fällen I. 2 e bis g, 2 l <strong>und</strong> 2 o der Urteilsgründe <strong>und</strong> der hierfür verhängten Einzelstrafen entzieht den Gesamt-<br />

57


strafenaussprüchen gegen den Angeklagten H. <strong>und</strong> den früheren Mitangeklagten B. sowie der gegen den Angeklagten<br />

A. verhängten zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten die Gr<strong>und</strong>lage.<br />

6. Den von der Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe versehentlich versäumten <strong>Teil</strong>freispruch des Angeklagten<br />

A. holt der Senat nach.<br />

<strong>StGB</strong> § 146 Keine Gewerbsmäßigkeit bei Verschaffung großer Falschgeldmenge in einem Akt<br />

BGH, Beschl. v. 02.02.2011 – 2 StR 511/10 - NJW 2011, 1686 = StV 2011, 365<br />

LS: Der Täter handelt nicht gewerbsmäßig im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3, Abs. 2 <strong>StGB</strong>,<br />

wenn er sich eine Falschgeldmenge in einem Akt verschafft hat <strong>und</strong> diese Menge dann plangemäß in<br />

mehreren <strong>Teil</strong>akten in Verkehr bringt.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu Ziff. 1a) <strong>und</strong> d) auf dessen Antrag - am 2. Februar 2011 gemäß §§ 206a, 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4, 354 Abs. 1 StPO<br />

beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 1. Juli 2010<br />

a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe verurteilt worden ist.<br />

Insoweit wird das Verfahren eingestellt; die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten<br />

fallen insofern der Staatskasse zur Last;<br />

b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen II. 1. <strong>und</strong> 3. jeweils einer Geldfälschung<br />

schuldig ist;<br />

c) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben in den Fällen II. 1. <strong>und</strong> 3. sowie im Gesamtstrafenausspruch;<br />

d) im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz aufgehoben, soweit ein 8.500 € übersteigender Betrag für verfallen<br />

erklärt worden ist.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung zu 1. c) wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die weiteren<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Geldfälschung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Zudem hat es den Wertersatzverfall von 20.000 € angeordnet.<br />

Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die in dem aus dem Tenor ersichtlichen<br />

Umfang Erfolg hat; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte im September 2009 zusammen mit einem Mittäter<br />

in Neapel Falschgeld im Nennwert von 50.000 € zum Preis von 20 % des Nennwerts. Gemeinsam brachten sie<br />

das Falschgeld in Deutschland teils durch Weiterverkauf an bösgläubige Aufkäufer, teils in Form von Barzahlungen<br />

an gutgläubige Dritte in Verkehr. Der Angeklagte erlöste auf diese Weise 8.500 € (Fall II. 1.). Ende Oktober 2009<br />

kam es zu einer weiteren Fahrt nach Neapel, bei der Falsifikate im Nennwert von 85.000 € eingekauft, nach Deutschland<br />

eingeführt <strong>und</strong> in zuvor beschriebener Weise in mehreren Tranchen in Verkehr gebracht wurden. Hierdurch<br />

erlöste der Angeklagte insgesamt 11.500 € (Fall II. 2.). Im Januar 2010 überredete der Mittäter den Angeklagten, der<br />

nach der Einkaufsfahrt im Oktober 2009 unmissverständlich darauf hingewiesen hatte, dass er "die Schnauze voll<br />

habe" <strong>und</strong> keine weiteren Unternehmungen dieser Art mehr wünsche, zu einer letzten Fahrt nach Neapel, wo sie<br />

Falsifikate im Nennwert von 210.290 € erwarben. Auf der Rückreise erfolgte ihre Festnahme <strong>und</strong> die Sicherstellung<br />

des Falschgeldes (Fall II. 3.).<br />

2. Die Strafkammer hält das Qualifikationsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit in allen drei Fällen für gegeben. Zwar<br />

lasse sich nicht feststellen, dass der Angeklagte bereits im Vorfeld der ersten Reise nach Italien weitere Beschaffungsfahrten<br />

ins Auge gefasst hätte; allerdings habe er von Beginn an beabsichtigt, seinen Anteil an dem Falschgeld<br />

über einen längeren Zeitraum hinweg in einzelnen Tranchen als echt in den Verkehr zu bringen. Da jede dieser<br />

Handlungen für sich genommen den Tatbestand des § 146 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> erfülle <strong>und</strong> lediglich aufgr<strong>und</strong> des<br />

zuvor erfolgten Sich-Verschaffens nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> nur eine Tat im Rechtssinne vorliege, habe von<br />

vornherein die Absicht einer wiederholten Geldfälschung vorgelegen.<br />

58


II.<br />

1. Die Verurteilung im Fall II. 2. wegen gewerbsmäßiger Geldfälschung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

hat keinen Bestand. Insoweit fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung eines rechtswirksamen Eröffnungsbeschlusses.<br />

Wegen dieses Tatvorwurfs hat die Staatsanwaltschaft Gießen am 1. Juli 2010 in laufender Hauptverhandlung<br />

Nachtragsanklage erhoben. Die große Strafkammer hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens <strong>und</strong> die Zulassung<br />

dieser Anklage nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der<br />

Schöffen entschieden, da die Beschlussfassung während der Hauptverhandlung in der gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1<br />

GVG reduzierten Besetzung mit zwei Berufsrichtern <strong>und</strong> zwei Schöffen erfolgte. In dieser Besetzung war die Strafkammer<br />

jedoch nicht zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens berufen (BGHSt 50, 267, 269).<br />

Damit besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das zur Aufhebung des Urteils im Fall II. 2.<br />

<strong>und</strong> insoweit zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a Abs. 1 StPO führt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni<br />

2008 - 2 StR 142/08). Damit entfällt die für diesen Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren.<br />

2. Auch die Würdigung der Fälle II. 1. <strong>und</strong> 3. des Urteils durch die Strafkammer als gewerbsmäßig begangene Geldfälschungen<br />

gemäß § 146 Abs. 2 <strong>StGB</strong> hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Zwar hat das Landgericht im Fall II. 1. zu Recht eine einheitliche Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 <strong>StGB</strong> angenommen;<br />

denn die Verwirklichung mehrerer Varianten des § 146 Abs. 1 <strong>StGB</strong> - hier das "Sich-Verschaffen" des<br />

Falschgeldes in einem Akt <strong>und</strong> das anschließende "Als echt in den Verkehr bringen" durch mehrere Handlungen -<br />

sind in der Regel eine Tat (Fischer, <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 146 Rn. 22). Der Angeklagte handelte hierbei jedoch nicht<br />

gewerbsmäßig: Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende<br />

Einnahmequelle von einigem Umfang <strong>und</strong> einiger Dauer verschaffen will. Liegt diese Absicht vor, ist bereits die<br />

erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen den ursprünglichen Intentionen des Täters<br />

zu weiteren Taten nicht kommt. Eine Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Deliktsbegehung setzt daher schon im<br />

Gr<strong>und</strong>satz nicht notwendig voraus, dass der Täter zur Gewinnerzielung mehrere selbständige Einzeltaten der jeweils<br />

in Rede stehenden Art verwirklicht hat. Ob der Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt hat, beurteilt sich vielmehr nach<br />

seinen ursprünglichen Planungen sowie seinem tatsächlichen, strafrechtlich relevanten Verhalten über den gesamten<br />

ihm anzulastenden Tatzeitraum (vgl. BGH NJW 2004, 2840, 2841; NStZ-RR 2006, 106, 107). Erforderlich ist dabei<br />

stets, dass sich seine Wiederholungsabsicht auf dasjenige Delikt bezieht, dessen Tatbestand durch das Merkmal der<br />

Gewerbsmäßigkeit qualifiziert ist (vgl. BGH NJW 1996, 1069; Fischer aaO Vor § 52 Rn. 62). Nach diesen Maßstäben<br />

liegt eine gewerbsmäßig begangene Straftat nach § 146 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 <strong>StGB</strong> dann nicht vor, wenn der<br />

Täter sich eine Falschgeldmenge in einem Akt verschafft <strong>und</strong> seine Absicht darauf gerichtet ist, die falschen Banknoten<br />

in mehreren <strong>Teil</strong>mengen im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> in Verkehr zu bringen, es hierzu aber nicht<br />

kommt (BGH NStZ 2009, 3798; Fischer aaO S. 146 Rn. 31). Gleiches gilt, wenn es dem Täter - wie hier - tatsächlich<br />

gelingt, die in einem Akt erworbene Falschgeldmenge sukzessive in Umlauf zu bringen. Die besondere Qualifikation<br />

einer gewerbsmäßig begangenen Straftat ergibt sich nämlich nicht daraus, dass der Täter durch die - gegebenenfalls<br />

sukzessive erfolgende - Verwertung des durch die Straftat erlangten Gegenstands eine Gewinnerzielung zur Finanzierung<br />

seiner Bedürfnis-se anstrebt (vgl. OLG <strong>Hamm</strong> NStZ-RR 2004, 335). Vielmehr handelt der Täter einer Geldfälschung<br />

nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> nur dann gewerbsmäßig im Sinne des § 146 Abs. 2 <strong>StGB</strong>, wenn er beabsichtigt,<br />

sich die erstrebte Einnahmequelle gerade durch das wiederholte "Sich-Verschaffen" von Falschgeld in der<br />

Absicht zu erschließen, es als echt in den Verkehr zu bringen. In der bloßen Weiterverbreitung des nicht gewerbsmäßig<br />

verschafften Falschgeldes liegen nur weitere <strong>Teil</strong>akte einer tatbestandlichen Handlungseinheit, die nicht geeignet<br />

sind, das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit nach § 146 Abs. 2 <strong>StGB</strong> zu begründen (ebenso zur gewerbsmäßigen Hehlerei<br />

BGH, Urteil vom 19. Juni 1952 - 5 StR 491/52, zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei BGH, Urteil vom 4. September<br />

1952 - 5 StR 51/52 <strong>und</strong> zum gewerbsmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Senatsbeschlüsse vom<br />

13. Oktober 1978 - 2 StR 480/78 sowie StV 1993, 248; anders BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1992 - 1 StR<br />

580/92). Da es im Übrigen auch den Normalfall darstellt, dass beim Handel mit illegalen Waren der Weiterverkauf in<br />

<strong>Teil</strong>mengen erfolgt, würde andernfalls bereits der "Normaltäter" des Gr<strong>und</strong>delikts in aller Regel unter die Qualifikationsstrafdrohung<br />

der Gewerbsmäßigkeit fallen (vgl. Winkler, juris PR-StrafR 24/2009 Anm. 1).<br />

b) Im Fall II. 3. der Urteilsgründe hat das Landgericht außer Acht gelassen, dass der Angeklagte bereits nach der<br />

vorangegangenen Neapel-Reise erklärt hatte, sich an keinen weiteren Einkaufsfahrten mehr beteiligen zu wollen.<br />

Dass es dem Mittäter gleichwohl gelang, den Angeklagten noch einmal zu einer weiteren - einmaligen - Beschaffungsfahrt<br />

zu überreden, begründet kein gewerbsmäßiges Handeln in der Person des Angeklagten.<br />

3. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die in den<br />

Fällen II. 1. <strong>und</strong> 3. ein gewerbsmäßiges "Sich-Verschaffen" von Falschgeld durch den Angeklagten tragen würden;<br />

59


er ändert deshalb selbst den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab. Dies hat den<br />

Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> der Gesamtstrafe zur Folge.<br />

4. Der Ausspruch über den Verfall von Wertersatz kann nach der Einstellung des Falles II. 2. der Urteilgründe nur<br />

insoweit Bestand haben, als die Strafkammer in Bezug auf Fall II. 1. die Voraussetzungen für den Fall von Wertersatz<br />

in Höhe eines Betrages von 8.500 € festgestellt hat.<br />

<strong>StGB</strong> § 152a, § 152b Versuch des Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 - 5 StR 336/10 - NStZ 2011, 89<br />

Ein Versuch des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

ist erst dann gegeben, wenn die Täter vorsätzlich <strong>und</strong> in der tatbestandsmäßigen Absicht<br />

mit der Fälschungshandlung selbst beginnen. Zum Versuch des Nachmachens setzt daher noch<br />

nicht an, wer die aufgezeichneten Datensätze noch nicht in seinen Besitz bringen <strong>und</strong> sie deshalb<br />

auch nicht an seine Mittäter, die die Herstellung der Kartendubletten vornehmen sollten, übermitteln<br />

konnte.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 12. Mai 2010 nach § 349 Abs. 4<br />

StPO<br />

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert <strong>und</strong> neu gefasst, dass der Angeklagte wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger<br />

Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gewerbs-<br />

<strong>und</strong> bandenmäßigem Computerbetrug <strong>und</strong> in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen<br />

Computerbetrug sowie wegen Verabredung der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten<br />

mit Garantiefunktion in zwei Fällen verurteilt ist;<br />

b) in den Aussprüchen über die wegen versuchter gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit<br />

Garantiefunktion (Fälle II. 1 <strong>und</strong> II. 5 der Ur-teilsgründe) verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> im Ausspruch über die Gesamtstrafe<br />

aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

in drei Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigem Computerbetrug (Fälle<br />

II. 3 <strong>und</strong> II. 4 der Urteilsgründe) <strong>und</strong> in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigem<br />

Computerbetrug (Fall II. 2 der Urteilsgründe) sowie wegen versuchter gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger Fälschung von<br />

Zahlungskarten mit Garantiefunktion in zwei Fällen (Fälle II. 1 <strong>und</strong> II. 5 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der<br />

Beschlussformel ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349<br />

Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten<br />

mit Garantiefunktion in zwei Fällen (Fälle II. 1 <strong>und</strong> II. 5 der Urteilsgründe) hält in Übereinstimmung mit dem Antrag<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Nach den Urteilsfeststellungen brachte der Angeklagte jeweils ein von der Tätergruppe speziell hergestelltes Kartenlesegerät<br />

(sogenannter Skimmer) an Geldautomaten in Leipzig <strong>und</strong> in Dresden an, um die Daten der Magnetleiste<br />

sowie die von den Bankk<strong>und</strong>en eingegebenen PIN aufzuzeichnen. Nach Abbau des Skimmers sollte der Angeklagte<br />

die gespeicherten Daten sowie die zusätzlich zur Feststellung der eingegebenen PIN gefertigten Filmaufnahmen mit<br />

seinem Laptop per E-Mail an Mittäter in Italien übermitteln, die dort die Kartendubletten anhand der verwendungsfähigen<br />

Datensätze auf Kreditkartenrohlingen herstellen wollten. Die Kartendubletten sollten anschließend in nordafrikanische<br />

Staaten <strong>und</strong> nach Großbritannien versandt werden, um sie zu Geldabhebungen einzusetzen. Der durch den<br />

Angeklagten zu bewirkende Datentransfer fand jedoch nicht statt, weil die Skimmer entdeckt <strong>und</strong> sichergestellt wurden.<br />

b) Diese Feststellungen bilden keine tragfähige Gr<strong>und</strong>lage für eine Verurteilung wegen versuchter gewerbs- <strong>und</strong><br />

bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion, weil die Schwelle zum Versuchsbeginn noch<br />

60


nicht überschritten ist. Mit seinen gescheiterten Bemühungen, durch den Einsatz des Skimmers in den Besitz der<br />

Daten zu gelangen, hat der Angeklagte noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt (§ 22<br />

<strong>StGB</strong>). Nach den allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch<br />

liegt ein unmittelbares Ansetzen nur bei solchen Handlungen vor, die nach Tätervorstellung in ungestörtem Fortgang<br />

unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen Zusammenhang<br />

stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet,<br />

es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf <strong>und</strong> er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung<br />

ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht (vgl. BGH NJW 2010,<br />

623 m.w.N.). Danach ist ein Versuch des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

erst dann gegeben, wenn die Täter vorsätzlich <strong>und</strong> in der tat-bestandsmäßigen Absicht mit der Fälschungshandlung<br />

selbst beginnen (BGH aaO). Zum Versuch des Nachmachens setzt daher – wie vorliegend – noch<br />

nicht an, wer die aufgezeichneten Datensätze noch nicht in seinen Besitz bringen <strong>und</strong> sie deshalb auch nicht an seine<br />

Mittäter, die die Herstellung der Kartendubletten vornehmen sollten, übermitteln konnte.<br />

2. Der Rechtsfehler führt gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog in den genannten Fällen aber lediglich zur Änderung des<br />

Schuldspruchs. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei alle notwendigen Feststellungen hinsichtlich der Verabredung<br />

der gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (§ 30 Abs. 2, § 152a Abs. 1<br />

<strong>und</strong> § 152b Abs. 1 <strong>und</strong> 2 <strong>StGB</strong>) getroffen. Die Vorschrift des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht<br />

entgegen. Der zum Tatgeschehen geständige Angeklagte hätte sich gegen den veränderten Schuldvorwurf nicht anders<br />

verteidigen können. Der Senat ändert den Schuldspruch dementsprechend auf Verabredung der gewerbs- <strong>und</strong><br />

bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in zwei Fällen. Dies führt – entsprechend dem<br />

Antrag des Generalb<strong>und</strong>sanwalts – zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> der Gesamtstrafe. Die<br />

Feststellungen hierzu können indes bestehen bleiben.<br />

<strong>StGB</strong> § 152a, § 152b Versuchbeginn bei bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion<br />

BGH, Urt. v. 27.01.2011 – 4 StR 338/10 - BeckRS 2011, 03863<br />

Zum Versuchsbeginn bei der banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit<br />

Garantiefunktion.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar 2011 für Recht erkannt:<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12. März 2010 werden verworfen.<br />

Der Angeklagte P. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten R. die<br />

Kosten <strong>und</strong> Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen (§ 109 Abs. 2 i.V.m. § 74 JGG).<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit<br />

Garantiefunktion in Tateinheit mit banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigem Computerbetrug in sechs Fällen (Angeklagter P.)<br />

bzw. in fünf Fällen (Angeklagter R.) sowie der versuchten banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Fälschung von Zahlungskarten<br />

mit Garantiefunktion schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten P. unter Einbeziehung der Strafe aus einer<br />

weiteren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten R. unter Einbeziehung<br />

einer weiteren Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses<br />

Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen.<br />

Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlossen sich die Angeklagten Mitte 2009 einer Gruppe von Landsleuten<br />

an, die in großem Umfang so genannte „Skimming“-Taten verübte. Bei diesen Taten werden Daten der EC- bzw.<br />

Kreditkarten von Bankk<strong>und</strong>en, die einen Geldautomaten benutzen, ausgelesen <strong>und</strong> auf Kartenrohlinge übertragen,<br />

mit denen anschließend unter Verwendung der ebenfalls erlangten persönlichen Geheimzahl (PIN) Geld von Geldautomaten<br />

abgehoben wird. Entsprechend der auf arbeitsteiliges Zusammenwirken mit überwiegend unbekannten Mittätern<br />

ausgelegten Planung ersetzten die Angeklagten bei verschiedenen Bankfilialen in Nordrhein-Westfalen, Hessen<br />

<strong>und</strong> Rheinland-Pfalz jeweils das Kartenlesegerät des Türöffnungsmechanismus durch ein mit einem Speichermedium<br />

versehenes Lesegerät, mit dem die Daten der K<strong>und</strong>en ausgelesen wurden. Mit getarnten Kameras wurden<br />

die Bankk<strong>und</strong>en sowohl beim Betreten der Bank als auch bei der PIN-Eingabe am Geldautomaten aufgenommen.<br />

61


Die so gewonnenen Daten wurden spätestens nach Abbau der Geräte an unbekannte Mittäter übergeben, die – was<br />

den Angeklagten bekannt war – die Daten umgehend auswerteten <strong>und</strong> – vermutlich per Internet – zu weiteren Mittätern<br />

nach Italien transferierten, denen die Datenlieferungen jeweils vorher angekündigt wurden. In Italien wurden im<br />

unmittelbaren Anschluss Kartenrohlinge mit den Datensätzen beschrieben <strong>und</strong> auf diese Weise Kartendoubletten<br />

hergestellt. In den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe (der Fall II. 2 war allerdings hinsichtlich des Angeklagten R.<br />

bereits Gegenstand der gegen diesen ergangenen einbezogenen Entscheidung) hoben mehrere unbekannte Mittäter<br />

sodann unter Verwendung der Kartendoubletten <strong>und</strong> der jeweils zugehörigen PIN an verschiedenen, überwiegend in<br />

Norditalien gelegenen Geldautomaten Bargeld in Höhe von insgesamt etwa 300.000 Euro von den Konten der Bankk<strong>und</strong>en<br />

ab. Im Fall II. 1 der Urteilsgründe übergaben die Angeklagten die Speichermedien mit den gewonnenen<br />

Daten zur Weiterleitung nach Italien an den hierfür zuständigen Mittäter in Dortm<strong>und</strong>. Das Landgericht hat nicht<br />

festgestellt, dass auch mit diesen Daten Kartendoubletten hergestellt wurden. Zu unberechtigten Abhebungen unter<br />

Verwendung der ausgespähten Daten konnte es schon deswegen nicht kommen, weil die Manipulation an dem Türöffner<br />

bereits am nächsten Tag bemerkt <strong>und</strong> die entsprechenden Kontensperrungen veranlasst wurden.<br />

II. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Sachrüge hat einen Rechtsfehler zum Nachteil der<br />

Angeklagten nicht ergeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Dies gilt auch,<br />

soweit das Landgericht im Fall II. 1 der Urteilsgründe eine versuchte banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßige Fälschung von<br />

Zahlungskarten mit Garantiefunktion angenommen hat.<br />

1. Nach § 22 <strong>StGB</strong> versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes<br />

unmittelbar ansetzt. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht.<br />

Es genügt, dass er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals<br />

vorgelagert sind <strong>und</strong> unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden. Das Versuchsstadium erstreckt sich<br />

deshalb auch auf Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder<br />

die in unmittelbarem räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter<br />

subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren „Willensimpulses“ nicht mehr bedarf<br />

<strong>und</strong> er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung<br />

des Tatbestands übergeht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34<br />

m.w.N.). Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen stets der<br />

wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember<br />

2001 – 3 StR 303/01, NJW 2002, 1057).<br />

2. Gemessen daran ist die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagten hätten spätestens mit der Weitergabe der<br />

Daten zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.<br />

a) Zu Recht hat das Landgericht auf das enge Ineinandergreifen der einzelnen einem festen Ablaufplan folgenden<br />

Tatbeiträge <strong>und</strong> auf den nach dem Tatplan engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Tatbeitrag der Angeklagten<br />

<strong>und</strong> dem Beschreiben der Kartenrohlinge durch andere Bandenmitglieder als eigentlicher Fälschungshandlung<br />

abgestellt. Die dem Auslesen der Daten <strong>und</strong> der Weitergabe der Speichermedien nachfolgenden Arbeitsschritte bis<br />

hin zu den – der Tatbestandsverwirklichung des § 152b <strong>StGB</strong> nachgelagerten – Abhebungen an den Geldautomaten<br />

mussten vonstatten gehen, bevor die Manipulation an den Lesegeräten in den Bankfilialen bemerkt wurde. Die<br />

schnelle zeitliche Abfolge wurde durch das eingespielte System von Tatbeiträgen gewährleistet, bei dem den in Italien<br />

sitzenden Mittätern die einzelnen Datenübersendungen jeweils avisiert wurden. Diese wussten dadurch bereits<br />

im Voraus, dass die Erbringung ihres eigenen Tatbeitrags unmittelbar bevorstand. Es bedurfte mithin keines neuen<br />

Willensimpulses bei einem der durch die Bandenabrede verb<strong>und</strong>enen Mittäter mehr, sondern die Angeklagten setzten<br />

mit der Weitergabe der Daten – was ihnen bewusst war – gleichsam einen automatisierten Ablauf in Gang, so<br />

dass auch unter dem Gesichtspunkt der konkreten nahen Rechtsgutsgefährdung (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember<br />

2001 – 3 StR 303/01, aaO; Beschluss vom 2. August 1989 – 3 StR 239/89, BGHR <strong>StGB</strong> § 22 Ansetzen 11; Beschluss<br />

vom 7. Oktober 1993 – 4 StR 506/93, StV 1994, 240) die Annahme eines unmittelbaren Ansetzens geboten<br />

ist. Dass dem Beschreiben der Kartenrohlinge die Auswertung der Speichermedien durch Abgleich von Videoaufzeichnungen<br />

<strong>und</strong> ausgelesenen Kartendaten <strong>und</strong> die Übersendung der Daten nach Italien vorausgingen, stellt danach<br />

bei der gebotenen wertenden Betrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1980 – 3 StR 108/80, NJW 1980, 1759)<br />

keine diese Annahme hindernden Zwischenschritte dar (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Mai 1991 – 5 StR 4/91,<br />

BGHR <strong>StGB</strong> § 22 Ansetzen 14; Beschluss vom 11. Mai 2010 – 3 StR 105/10).<br />

b) Soweit der 2. Strafsenat in seinem Urteil vom 13. Januar 2010 (2 StR 439/09, NStZ 2010, 209) einen strafbaren<br />

Versuch des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion verneint hat, lag<br />

der Entscheidung ein vollkommen anders gelagerter Sachverhalt zu Gr<strong>und</strong>e: Dort hatten sich die Angeklagten, ohne<br />

bereits über die aufzuspielenden Daten zu verfügen, lediglich darum bemüht, Kartenrohlinge zu erhalten; die aus<br />

62


Spanien kommende Sendung mit Kreditkartenrohlingen war jedoch bei der Ausgabestelle des Kurierdienstes in<br />

Deutschland angehalten <strong>und</strong> die Angeklagten waren bei dem Versuch, das Päckchen abzuholen, festgenommen worden.<br />

Ausgehend hiervon hat der 2. Strafsenat ausgeführt, dass ein Versuch des (gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen)<br />

Nachmachens von Zahlungskarten erst dann gegeben ist, wenn der Täter vorsätzlich <strong>und</strong> in der tatbestandsmäßigen<br />

Absicht mit der Fälschungshandlung selbst - also dem Herstellen der falschen Karte - beginnt (BGH aaO, Rz. 10). Er<br />

bezieht sich dabei zu Recht auf die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze zur Abgrenzung<br />

von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch (BGH aaO, Rz. 9). Deshalb ist auch nach dieser Entscheidung<br />

das Beginnen mit der Fälschungshandlung als Beginnen im Sinne der allgemeinen Definition des unmittelbaren<br />

Ansetzens zu verstehen; hiervon sind auch vorgelagerte Handlungsakte umfasst, sofern diese nach der Tätervorstellung<br />

in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen<br />

<strong>und</strong> zeitlichen Zusammenhang stehen (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 22 Rn. 10 m.w.N.). Eine entsprechende<br />

Abgrenzung hat auch der 5. Strafsenat unter Bezugnahme auf das vorerwähnte Urteil des 2. Strafsenats vorgenommen<br />

(Beschluss vom 14. September 2010 - 5 StR 336/10). Seiner Entscheidung lag ein Sachverhalt zu Gr<strong>und</strong>e, bei<br />

dem die Bemühungen des Täters, durch den Einsatz von Kartenlesegeräten in den Besitz der Daten zu gelangen,<br />

gescheitert war, weil die Lesegeräte bereits vor ihrem Abbau entdeckt <strong>und</strong> sichergestellt worden waren. Ausgehend<br />

hiervon hat der 5. Strafsenat ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung verneint, da der Täter die<br />

aufgezeichneten Datensätze noch nicht in seinen Besitz bringen <strong>und</strong> sie deshalb auch nicht an seine Mittäter, die in<br />

Italien die Herstellung der Kartendoubletten vornehmen sollten, übermitteln konnte (BGH, aaO, Rz. 4). Beide Entscheidungen<br />

stehen mithin der Annahme einer Versuchstat im Fall II. 1 der Urteilsgründe nicht entgegen, denn hier<br />

hätte die Weiterleitung der gewonnenen Daten nach der Vorstellung der Angeklagten bei ungestörtem Fortgang<br />

unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen.<br />

<strong>StGB</strong> § 173 Abs. 1 nicht durch nur beischlafsähnliche Handlungen<br />

BGH, Beschl. v. 07.09.2010 – 4 StR 342/10 - NStZ-RR 2010, 371<br />

Der Tatbestand des § 173 Abs. 1 <strong>StGB</strong> setzt voraus, dass der Täter mit einem leiblichen Abkömmling<br />

den "Beischlaf" vollzieht; beischlafähnliche Handlungen werden von § 173 <strong>StGB</strong> nicht erfasst.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 7. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Strals<strong>und</strong> vom 19. März 2010<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

einer Schutzbefohlenen in drei Fällen, in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten,<br />

sowie des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten schuldig<br />

ist,<br />

b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten "der Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

von Schutzbefohlenen <strong>und</strong> Beischlaf unter Verwandten <strong>und</strong> des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen<br />

in Tateinheit mit Beischlaf unter Verwandten" schuldig gesprochen <strong>und</strong> ihn unter Einbeziehung einer anderweit<br />

verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten<br />

Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der<br />

Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des<br />

§ 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich auch im Fall II. 4 der Urteilsgründe tateinheitlich des<br />

Beischlafs zwischen Verwandten schuldig gemacht, ist rechtsfehlerhaft. Der Tatbestand des § 173 Abs. 1 <strong>StGB</strong> setzt<br />

voraus, dass der Täter mit einem leiblichen Abkömmling den "Beischlaf" vollzieht; beischlafähnliche Handlungen<br />

werden von § 173 <strong>StGB</strong> nicht erfasst (vgl. Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder <strong>StGB</strong> 28. Aufl. § 173 Rn. 3 m.N.).<br />

Im Fall II. 4 der Urteilsgründe hat der Angeklagte die Geschädigte jedoch ausschließlich gezwungen, an ihm den<br />

63


Oralverkehr auszuüben; dies genügt für den Tatbestand des Beischlafs zwischen Verwandten nicht. Der Senat hat<br />

den Schuldspruch entsprechend geändert.<br />

2. Dies führt zur Aufhebung der für den Fall II. 4 der Urteilsgründe verhängten Einsatzstrafe von fünf Jahren; denn<br />

das Landgericht hat ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte auch das von § 173 Abs. 1 <strong>StGB</strong><br />

geschützte Rechtsgut verletzt habe (UA 18). Der Senat hat den Strafausspruch insgesamt aufgehoben, um dem neuen<br />

Tatrichter eine in sich ausgewogene Strafzumessung zu ermöglichen.<br />

3. Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob die mit Strafbefehl vom 16. Mai 2007 verhängte Geldstrafe im Zeitpunkt<br />

der ersten Hauptverhandlung (vgl. BGH, Beschl. vom 03. November 2009 - 3 StR 427/09) bereits erledigt war;<br />

anderenfalls kommt ihr zäsurbildende Kraft zu.<br />

<strong>StGB</strong> § 174c – Kein Missbrauch, wenn Opfer dem Täter nicht anvertraut<br />

BGH, Urt. v. 14.04.2011 - 4 StR 669/10 - NJW 2011, 1891<br />

LS: 1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs-<br />

oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> steht allein das Einvernehmen<br />

des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen.<br />

2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise dann, wenn der Täter<br />

im konkreten Fall nicht eine aufgr<strong>und</strong> des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses<br />

bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen<br />

Handlung ausnutzt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. April 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.5.c <strong>und</strong> II.5.d der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs unter<br />

Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wurde,<br />

b) im Ausspruch über die im Fall II.2. der Urteilsgründe verhängte Einzel- sowie die Gesamtstrafe.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d <strong>und</strong> II.4.e der Urteilsgründe) freigesprochen<br />

wurde,<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe <strong>und</strong><br />

c) soweit gegen den Angeklagten kein Berufsverbot verhängt wurde.<br />

4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen "Ausspruch über die Zuerkennung einer Entschädigung<br />

gemäß § 8 Abs. 3 StrEG" wird als unzulässig verworfen. Insofern trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens<br />

<strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten.<br />

5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die weiteren<br />

Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses<br />

in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt <strong>und</strong> bestimmt, dass drei Monate der<br />

Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt <strong>und</strong> den<br />

Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit zwei Verfahrensrügen,<br />

zudem beanstandet er die Anwendung des sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten<br />

des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des Angeklagten in den<br />

Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung eines Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die<br />

Kostenentscheidung <strong>und</strong> eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige Beschwerde einlegt.<br />

Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft<br />

sind gegenstandslos bzw. unzulässig.<br />

I. Soweit der Angeklagte verurteilt wurde <strong>und</strong> hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das<br />

Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen: Der 57jährige Angeklagte schloss<br />

64


1996 eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab <strong>und</strong> erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, "die Heilk<strong>und</strong>e auszuüben,<br />

ohne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Folgezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte<br />

er ferner eine Ausbildung zum Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.<br />

1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals zum Angeklagten. Gr<strong>und</strong> hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen<br />

von "Schulmedizinern" <strong>und</strong> eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah eine Behandlung<br />

durch den Angeklagten als den "letzten Versuch" an, ihren Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte "behandelte"<br />

die Zeugin bis zum 8. Juli 2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustimmung unter<br />

anderem mindestens drei Mal ein "Vaginaltouché" durchführte. Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie<br />

im Allgemeinen - in Deutschland nicht anerkannte "Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des "Vaginalraumes"<br />

unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Finger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit<br />

versuchte der Angeklagte zudem, mit seiner Zunge in den M<strong>und</strong> der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni sowie<br />

am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu<br />

führte er sein Glied an den M<strong>und</strong> der unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf<br />

der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugin heran, wobei er jeweils ihre Lippen berührte. Zu einem Eindringen<br />

kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite<br />

drehte. Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c <strong>und</strong> II.5.d der Urteilsgründe) bewertete die Kammer als<br />

sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses <strong>und</strong> verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen<br />

von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser Zeugin sprach die Strafkammer -<br />

insofern unbeanstandet durch die Staatsanwaltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen<br />

gehandelt habe.<br />

2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ihrer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten,<br />

um ihre Migräne behandeln zu lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig <strong>und</strong> wurde<br />

vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang "behandelt", unter anderem blies er ihr in Nase, Ohren <strong>und</strong> M<strong>und</strong>,<br />

schnippte mit den Fingern <strong>und</strong> schlug ihr mit der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin<br />

"völlig unerwartet <strong>und</strong> für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass die Zeugin vor Schmerzen<br />

aufschrie". Die Strafkammer bewertete den Biss in die Brust der Zeugin (Fall II.2. der Urteilsgründe) als sexuellen<br />

Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in Tateinheit mit Körperverletzung <strong>und</strong> verhängte<br />

hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.<br />

3. In den angeklagten Fällen 9 bis 14 (Fälle II.4.c, II.4.d <strong>und</strong> II.4.e der Urteilsgründe) "behandelte" der Angeklagte<br />

ab dem 4. Januar 2004 die Zeugin N., die wegen starker Rückenschmerzen zum Angeklagten gekommen war. Während<br />

der "Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés"<br />

vor <strong>und</strong> veranlasste die Zeugin - ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr<br />

durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage<br />

erfasst waren - freigesprochen <strong>und</strong> das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen). Am 22. Juli 2004<br />

(Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) entkleidete sich auch der Angeklagte vollständig <strong>und</strong> vollzog -<br />

ohne Kondom - mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden <strong>und</strong> fühlte sich "geborgen<br />

<strong>und</strong> ganz entspannt". Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 <strong>und</strong> Januar 2005 in<br />

mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> der Zeugin (Fälle 10 bis<br />

13); nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Angeklagte <strong>und</strong> die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr<br />

in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober<br />

<strong>und</strong>/oder 9. Dezember 2004 = Fälle II. 4.d der Urteilsgründe). Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr<br />

zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der Urteilsgründe).<br />

Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand indes hierbei "nicht mehr die schönen <strong>und</strong> positiven<br />

Gefühle" wie zuvor. Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgr<strong>und</strong> des Einverständnisses<br />

der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei.<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er seine Verurteilung in den Fällen II.5.c <strong>und</strong> II.5.d der Urteilsgründe<br />

angreift. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Dies hat die Aufhebung des<br />

Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.<br />

1. In den Fällen II.5.c <strong>und</strong> II.5.d der Urteilsgründe begegnet schon der Schuldspruch durchgreifenden rechtlichen<br />

Bedenken.<br />

a) Eine Verurteilung nach § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> erfordert, dass sich das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder<br />

Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut hat. Dies hat das Landgericht nicht (hinreichend)<br />

festgestellt. Nach den Feststellungen suchte die Zeugin den Angeklagten "wegen eines seit langer Zeit bestehenden,<br />

65


aber unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches" auf, nachdem "mehrfache schulmedizinische Versuche … <strong>und</strong> auch die<br />

Behandlung bei einem Heilpraktiker" erfolglos geblieben waren (UA 16). Ein unerfüllter Kinderwunsch ist für sich<br />

betrachtet indes keine Krankheit oder Behinderung (vgl. zum Sozialversicherungsrecht BVerfG, Urteil vom 28. Februar<br />

2007 - 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316, 325 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B1 KR 10/09 R, NZS 2011,<br />

20, 21; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - IV ZR 187/07, NJW-RR 2011, 111, 112 f.). Dabei bedarf<br />

keiner Entscheidung, ob der Begriff "Krankheit" über die Untersuchungen zur Erstellung einer (Erst-)Diagnose hinaus<br />

(vgl. BT-Drucks. 13/8267 Anlage 3) auch solche Fälle erfasst, in denen eine Person lediglich aufgr<strong>und</strong> eines<br />

eingebildeten Zustandes professionelle Hilfe aufsucht (so SSW-<strong>StGB</strong>/Wolters § 174c Rn. 3; Renzikowski, NStZ<br />

2010, 694, 695; derselbe in MünchKomm <strong>StGB</strong>, § 174c Rn. 13 jeweils mwN; für nicht-körperliche Erkrankungen<br />

auch NK-<strong>StGB</strong>-Frommel, 3. Aufl., § 174c Rn. 9; aA Lackner/Kühl, <strong>StGB</strong>, 27. Aufl., § 174c Rn. 2; ersichtlich auch<br />

Hörnle in LK, 12. Aufl., § 174c Rn. 5 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ<br />

2009, 324, 325). Dass der unerfüllte Kinderwunsch seine Ursache zumindest in einer in diesem Sinne zu verstehenden,<br />

vom Angeklagten an der Zeugin behandelten geistigen, seelischen oder körperlichen Beeinträchtigung hatte, hat<br />

die Kammer nicht festgestellt <strong>und</strong> auch nicht erörtert. Soweit die Strafkammer beiläufig mitteilt, dass die Zeugin<br />

dem Angeklagten während der "Anamnese" von einem Myom im Unterleib berichtet <strong>und</strong> der Angeklagte erklärt<br />

habe, "dass man das beheben könne" (UA 17), ergibt sich aus den Feststellungen - auch im Gesamtzusammenhang -<br />

nicht, dass die nachfolgende "Behandlung" auf eine Beseitigung dieses Myoms gerichtet war. Vielmehr legen die<br />

Urteilsausführungen (z.B. UA 19 oben) nahe, dass sich die Zeugin der "Behandlung" durch den Angeklagten allein<br />

deshalb anvertraut <strong>und</strong> unterzogen hat, weil sie dies als den "letzten Versuch, den Kinderwunsch zu erfüllen", angesehen<br />

hatte.<br />

b) Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne des § 174c Abs. 2 <strong>StGB</strong>, der nach seinem Wortlaut keine Krankheit<br />

oder Behinderung voraussetzt (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 7; Zauner, Sexueller Missbrauch unter<br />

Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c <strong>StGB</strong>, Diss. Tübingen, 2004, S.<br />

15 ff.), hat der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer bei der Zeugin nicht vorgenommen. Einer Verurteilung<br />

nach dieser Vorschrift stünde zudem die Rechtsprechung des 1. Strafsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs entgegen,<br />

wonach Täter insofern nur sein kann, wer zum Führen der Bezeichnung "Psychotherapeut" berechtigt ist (Beschluss<br />

vom 29. September 2009 - 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169, 171 mit ablehnender Anmerkung Renzikowski,<br />

NStZ 2010, 694, 695).<br />

2. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von<br />

unter sechs Monaten Dauer erfordert sowohl nach § 47 Abs. 1 <strong>StGB</strong> als auch nach dessen hier anzuwendendem<br />

Absatz 2, dass die Freiheitsstrafe unerlässlich ist, sie sich also aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung aller die Tat <strong>und</strong> den<br />

Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Ob dies der Fall ist, hat die Strafkammer ersichtlich<br />

deshalb unerörtert gelassen, weil sie dem Angeklagten - was auch bei der ersten abgeurteilten Tat Berücksichtigung<br />

finden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513, 514) - eine eng zusammenhängende<br />

Serie von Straftaten anlastet, die schon ohne nähere Darlegung ein Bedürfnis nach Einwirkung auf den - wenn<br />

auch nicht vorbestraften - Täter deutlich zutage treten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03,<br />

NStZ 2004, 554 mwN). Dieser Wertung ist indes infolge der Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.5.c <strong>und</strong><br />

II.5.d der Urteilsgründe die tatsächliche Gr<strong>und</strong>lage entzogen.<br />

3. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten dagegen keinen Erfolg. Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen<br />

sind aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in der Antragsschrift vom 22. Dezember 2010 dargelegten Gründen unbegründet<br />

bzw. unzulässig. Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe begegnet keinen rechtlichen Bedenken.<br />

Die Bewertung des Bisses in die Brust der - für die Behandlung einer Migräne - auf Geheiß des Angeklagten vollständig<br />

entkleideten Zeugin als sexuelle Handlung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 22. Februar 2005 - 4 StR 9/05, in StV 2005, 439 unvollständig abgedruckt; Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000,<br />

Rn. 71 mwN). Den Ausführungen des Urteils ist ferner jedenfalls im Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass sich<br />

der Vorsatz des Angeklagten auf die Vornahme einer sexuellen Handlung bezogen hat. Eine Einwilligung gemäß §<br />

228 <strong>StGB</strong> in die vorsätzliche Körperverletzung oder auch die sexuelle Handlung wurde von der durch die "Behandlung"<br />

völlig überraschten Patientin nicht erteilt.<br />

III. Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft<br />

1. Die Revision der Staatsanwalt hat in vollem Umfang Erfolg. Das Landgericht ist bei den Freisprüchen in den Fällen<br />

9 bis 14 der Anklage (Fälle II.4.c, II.4.d <strong>und</strong> II.4.e der Urteilsgründe) zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine<br />

Verurteilung des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> schon deshalb ausscheidet, weil die Zeugin N. mit den vom<br />

Angeklagten vorgenommenen sexuellen Handlungen einverstanden war.<br />

66


a) Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses<br />

nach § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorgenommenen<br />

sexuellen Handlung nicht entgegen. Ein solches Einvernehmen schließt weder als Einverständnis den Tatbestand<br />

noch als Einwilligung die Rechtswidrigkeit der Tat aus.<br />

aa) Dies belegt schon der Wille des Gesetzgebers. Zur ursprünglichen Fassung von § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> verweisen<br />

die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8267 S. 7) ausdrücklich darauf, dass eine Strafbarkeit des Täters nach dieser<br />

Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat; "denn<br />

wegen der Eigenart der tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse kann das Opfer regelmäßig nicht frei über sexuelle<br />

Kontakte zu der Autoritätsperson entscheiden". Zwar bezogen sich diese "tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse"<br />

nach der damals geltenden Gesetzesfassung auf Beratungs-, Behandlungs- <strong>und</strong> Betreuungsverhältnisse mit Personen,<br />

die geistig oder seelisch erkrankt waren oder an entsprechenden Behinderungen litten. Der Gesetzgeber hatte aber<br />

schon damals die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Opfer in den Straftatbestand erwogen, war<br />

aber zunächst - unter dem Vorbehalt einer Überprüfung aufgr<strong>und</strong> neuer Erkenntnisse - davon ausgegangen, dass bei<br />

körperlichen Leiden "eine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung, wie sie bei geistig oder seelisch<br />

kranken oder behinderten Personen" vorliegt, in der Regel nicht gegeben ist (BT-Drucks. 13/8267 S. 6 <strong>und</strong> Anlagen<br />

2 <strong>und</strong> 3; vgl. zu dem Vorschlag, auch körperliche Leiden einzubeziehen, insbesondere die Empfehlungen der Ausschüsse<br />

des B<strong>und</strong>esrates, BRat-Drucks. 295/1/97 S. 3, <strong>und</strong> die Stellungnahme des B<strong>und</strong>esrates, BRat-Drucks. 295/97<br />

[Beschluss] S. 3; zur Gesetzesgeschichte auch Zauner aaO, S. 7 ff.; Bungart, Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen,<br />

2005, S. 41 ff., 65, 68). Letztere Ansicht hat der Gesetzgeber bei der Einbeziehung körperlich kranker oder<br />

behinderter Menschen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> im Jahr 2003 aufgegeben, ohne hierbei<br />

seine Auffassung zur Unbeachtlichkeit einer Zustimmung des Opfers geändert zu haben. Denn "auch bei körperlichen<br />

Krankheiten oder Behinderungen [kann] zwischen Therapeuten <strong>und</strong> insbesondere mehrfach behinderten Patienten<br />

eine Abhängigkeit bestehen, die durch Überlegenheit des Therapeuten <strong>und</strong> besonderes Vertrauen des hilfesuchenden<br />

Patienten gekennzeichnet ist. Dieses Vertrauensverhältnis muss ebenso wie bei psychischen Krankheiten<br />

oder Behinderungen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden" (BT-Drucks. 15/350 S. 16). Dem Gesetzgeber kam<br />

es mithin darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- <strong>und</strong> Betreuungsverhältnissen generell <strong>und</strong> selbst<br />

bei einem Einverständnis des Patienten als missbräuchlich auszuschließen (Laubenthal aaO Rn. 276; Lackner/Kühl<br />

aaO § 174c Rn. 5; Wolters aaO § 174c Rn. 7).<br />

bb) Auch nach dem Wortlaut von § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> schließt ein bloßes Einverständnis des Opfers mit der sexuellen<br />

Handlung den Tatbestand dieser Strafvorschrift nicht aus. § 174c <strong>StGB</strong> erfordert - schon nach seinem Wortlaut -<br />

keine Nötigung des Opfers. Anknüpfungspunkt für einen tatbestandlichen Ausschluss der Strafbarkeit bei einvernehmlichen<br />

sexuellen Handlungen könnte daher allein der in § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> geforderte "Missbrauch" sein (vgl.<br />

Renzikowski aaO § 174c Rn. 24 ff.; Hörnle aaO § 174c Rn. 22). Indes knüpft dieser "Missbrauch" an das Beratungs-<br />

, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis an; er ist auf den Täter bezogen <strong>und</strong> liegt vor, wenn dieser "die Gelegenheit,<br />

die seine durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauensstellung bietet,<br />

unter Verletzung der damit verb<strong>und</strong>enen Pflichten bewusst zu sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen<br />

ausnutzt" (BT-Drucks. 13/8267 S. 7; ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08 mwN). Das<br />

erst während eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses erklärte Einvernehmen des Opfers mit<br />

der sexuellen Handlung ist aber für die Begründung des Vertrauensverhältnisses ohne Bedeutung, es setzt dieses -<br />

zumindest regelmäßig - vielmehr voraus (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe aaO; Wolters aaO § 174c Rn. 7; Fischer,<br />

<strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 174c Rn. 10; Zauner aaO S. 109 f., 111 f., 139 f.). Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174a Abs.<br />

1, § 174b <strong>StGB</strong>, die ebenfalls sexuelle Handlungen in einem Obhutsverhältnis unter Strafe stellen <strong>und</strong> dabei an einen<br />

"Missbrauch" - aber nicht eine Nötigung - anknüpfen, wird allein dem Einverständnis des Opfers mit der sexuellen<br />

Handlung keine tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen (vgl. BT-Drucks. VI/1552, S. 16; VI/3521 S. 20,<br />

22 ff., 26, 28 f.; BGH, Urteile vom 8. Januar 1952 - 1 StR 561/51, BGHSt 2, 93, 94, <strong>und</strong> vom 4. April 1979 - 3 StR<br />

98/79, BGHSt 28, 365, 367 f.; Fischer aaO § 174 Rn. 15, § 174a Rn. 10; Renzikowski aaO § 174a Rn. 17, § 174b<br />

Rn. 15 jeweils mwN). Eine im Schrifttum teilweise vorgeschlagene Differenzierung zwischen geistigen (tatbestandsausschließendes<br />

Einverständnis nicht möglich) <strong>und</strong> körperlichen Krankheiten oder Behinderungen (bei denen ein<br />

tatbestandsausschließendes Einverständnis möglich sein soll; vgl. etwa Renzikowski aaO § 174c Rn. 27 f.;<br />

Sick/Renzikowski, Festschrift-Schroeder, 2006, S. 603, 610; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 174c<br />

Rn.6) lässt sich auch unter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in solch pauschaler Weise<br />

nicht rechtfertigen (vgl. auch Hörnle aaO § 174c Rn. 19 ff.) <strong>und</strong> würde schon deshalb weitere Probleme aufwerfen,<br />

weil die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Personen in den Anwendungsbereich des § 174c Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> gerade deshalb vorgenommen wurde, weil "körperliche <strong>und</strong> seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach<br />

67


ehinderten Patienten oft so eng miteinander verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung nur unter<br />

einem Gesichtspunkt nicht möglich ist" (BT-Drucks. 15/350 S. 16; Wolters aaO § 174c Rn. 7 f. nimmt deshalb trotz<br />

Einverständnisses des Opfers einen Missbrauch stets an, wenn zumindest auch ein psychischer Defekt beim Opfer<br />

vorliegt).<br />

cc) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> gebietet es ebenfalls nicht, allein aufgr<strong>und</strong> des Einvernehmens des<br />

Opfers mit der sexuellen Handlung die Straflosigkeit des Täters anzunehmen. Dabei kann dahinstehen, ob eine Zustimmung<br />

des Patienten schon deshalb unbeachtlich ist, weil § 174c <strong>StGB</strong> auch zur Einhaltung von Berufspflichten<br />

anhalten soll, also das Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Behandlung sowie das Vertrauen in die<br />

Lauterkeit einer Berufsgruppe schützt, <strong>und</strong> schon deshalb für den Einzelnen nicht disponibel ist (vgl. Frommel aaO §<br />

174c Rn. 10; Zauner aaO S. 37, 112, 140; zu diesem Schutzzweck auch OLG Karlsruhe aaO; Perron/Eisele aaO §<br />

174c Rn. 1; Laubenthal aaO Rn. 269; aA Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695; Bungart aaO S. 216). Auch der von §<br />

174c <strong>StGB</strong> jedenfalls vorrangig bezweckte Schutz der Selbstbestimmung des Opfers steht bei dessen Einvernehmen<br />

mit der sexuellen Handlung der Strafbarkeit des Täters nicht von vorneherein entgegen. Denn der Gesetzgeber hat in<br />

den §§ 174 ff. <strong>StGB</strong> gerade nicht eine allein gegen den Willen oder ohne Einverständnis des Opfers an ihm vorgenommene<br />

sexuelle Handlung unter Strafe gestellt, sondern hat hierbei auf - im Wesentlichen äußere - Umstände<br />

abgestellt, bei deren Vorliegen er ersichtlich davon ausging, es liege selbst bei einer Zustimmung des Opfers keine<br />

selbstbestimmte <strong>und</strong> autonome Entscheidung, sondern ein strafwürdiges <strong>und</strong> strafbares Verhalten des Täters vor (vgl.<br />

BT-Drucks. VI/3521 S. 18 f.; Fischer, ZStW 112 [2000], S. 75, 90 f.). Auch bei § 174c <strong>StGB</strong> kam es dem Gesetzgeber<br />

- wie oben ausgeführt - dementsprechend darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- <strong>und</strong> Betreuungsverhältnissen<br />

als missbräuchlich auszuschließen, weil er die freie Selbstbestimmung in dem maßgeblich vom<br />

Täter beeinflussten Vertrauens- <strong>und</strong> Abhängigkeitsverhältnis des Kranken oder Behinderten <strong>und</strong> seiner sich daraus<br />

ergebenden Schutz- <strong>und</strong> Hilfsbedürftigkeit generell als beeinträchtigt ansah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 4<br />

sowie Fischer aaO S. 93).<br />

b) Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage fehlt es an einem Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1 <strong>StGB</strong> (lediglich) dann, wenn der<br />

Täter im konkreten Fall nicht eine aufgr<strong>und</strong> des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende<br />

Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl.<br />

auch BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 <strong>StGB</strong>]; Beschlüsse vom 29. September<br />

1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 f.; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [beide zu §<br />

174a <strong>StGB</strong>]). Der Tatrichter muss daher für eine Verurteilung nach dieser Vorschrift zwar nicht (positiv) feststellen,<br />

dass das Opfer im konkreten Tatzeitpunkt vom Angeklagten abhängig war oder dass der Täter eine Hilflosigkeit oder<br />

die Bedürftigkeit des Opfers ausgenutzt hat (so ausdrücklich BT-Drucks. 13/8267 S. 7; vgl. ferner OLG Karlsruhe<br />

aaO). Auch kann er im Regelfall davon ausgehen, dass bei sexuellen Handlungen in einem Beratungs-, Behandlungs-<br />

oder Betreuungsverhältnis dessen Missbrauch vorliegt (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR<br />

385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15). Liegen aber Hinweise dafür vor, dass der Angeklagte ausnahmsweise nicht seine<br />

auf das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis gegründete Vertrauensstellung zur Vornahme der sexuellen<br />

Handlung ausgenutzt hat, so muss er diesen Hinweisen nachgehen <strong>und</strong> im Falle einer Verurteilung darlegen,<br />

dass ein solches Ausnutzen in dem von ihm zu beurteilenden Fall gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober<br />

2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung<br />

der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe aaO;<br />

Bungart aaO S. 221 f.; zu § 174a <strong>StGB</strong> ferner BGH, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ<br />

1999, 29; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349). Hierfür ist eine vom Opfer dem Täter gegenüber<br />

zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zu der sexuellen Handlung eine gewichtige, regelmäßig sogar unerlässliche<br />

Voraussetzung, sofern sie nicht - wie etwa bei nahe an die Widerstandsunfähigkeit im Sinn des § 179 <strong>StGB</strong> heranreichenden<br />

krankheits- oder behandlungsbedingten Zuständen - von vorneherein als zu beachtende Willenserklärung<br />

ausscheidet (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 2, 4, 23 mwN). Jedoch genügt ein Einverständnis allein - wie oben ausgeführt<br />

- nicht, um einen Missbrauch auszuschließen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgr<strong>und</strong><br />

derer davon auszugehen ist, dass eine aufgr<strong>und</strong> des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses regelmäßig<br />

gegebene Vertrauensbeziehung entweder tatsächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung<br />

ohne Bedeutung war (vgl. auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26, 27 [zu § 174a <strong>StGB</strong>]; BGH, Beschluss vom 25.<br />

Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a <strong>StGB</strong>]). Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen<br />

bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses<br />

oder bei einer von dem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung"<br />

<strong>und</strong> in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen<br />

Handlung (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 22 [zu § 174 <strong>StGB</strong>]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99,<br />

68


NStZ 1999, 349 [zu § 174a <strong>StGB</strong>]; Renzikowski aaO § 174c Rn. 28; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 6; Lackner/Kühl<br />

aaO § 174c Rn. 5; Bungart aaO S. 222; dazu aber auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26; OLG Karlsruhe aaO). Hat der<br />

Täter dagegen beispielsweise vorgegeben, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig oder <strong>Teil</strong> der Therapie<br />

(OLG Karlsruhe aaO; Hörnle aaO § 174c Rn. 23; Fischer aaO § 174c Rn. 10a; Wolters aaO § 174c Rn. 8; Renzikowski<br />

aaO § 174c Rn. 25, 28) bzw. hat er gar behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines Ansinnens<br />

in den Raum gestellt (Wolters aaO § 174c Rn. 8; Hörnle aaO § 174c Rn. 23) oder hat er eine schutzlose Lage<br />

des Opfers - etwa die einer auf seine Aufforderung hin unnötig vollständig entkleideten Frau - zur Vornahme der<br />

sexuellen Handlung ausgenutzt (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 23), so liegt ein Missbrauch im Sinne des § 174c Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> auch dann vor, wenn das Opfer mit dem Sexualkontakt einverstanden war.<br />

c) Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage können die allein auf das Einvernehmen der Zeugin N. mit den sexuellen Handlungen gestützten<br />

Freisprüche des Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage keinen Bestand haben. Vielmehr legen die<br />

von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe, dass ein Missbrauch des Behandlungsverhältnisses schon<br />

deshalb vorliegt, weil der Angeklagte nicht nur das diesem regelmäßig innewohnende Vertrauen der Patientin ausgenutzt,<br />

sondern er ihr gegenüber - wie sich insbesondere aus der auf UA 26 wiedergegebenen Aussage der Zeugin<br />

ergibt - ersichtlich den Eindruck erweckt hat, die sexuellen Handlungen seien <strong>Teil</strong> der Therapie.<br />

2. Infolge der <strong>Teil</strong>aufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen<br />

die Kostenentscheidung in dem landgerichtlichen Urteil gegenstandslos. Ihre sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung<br />

nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz ist dagegen nicht statthaft <strong>und</strong> daher unzulässig, da eine solche<br />

Entscheidung von der Strafkammer nicht getroffen wurde, die Staatsanwaltschaft aber ersichtlich nicht dieses Unterlassen<br />

angreifen will.<br />

IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Die Strafkammer hat von der Anordnung<br />

eines Berufsverbots mit einer in der Revision nicht zu beanstandenden Begründung abgesehen. Denn der Gesetzgeber<br />

hat dem Tatrichter für diese Entscheidung bewusst einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt (BGH, Urteile<br />

vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03, <strong>und</strong> vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 60), den das<br />

Landgericht nicht überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2009 - 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170,<br />

171). Sollte sich indes im Rahmen der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Angeklagte in größerem Umfang<br />

als bisher abgeurteilt seinen Beruf bewusst <strong>und</strong> planmäßig zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe auf Patientinnen<br />

missbraucht hat, so kann dem auch für die Gefährlichkeitsprognose Bedeutung zukommen (vgl. BGH, Urteil vom<br />

20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 mwN). Zulässiges Verteidigungsverhalten, wie etwa fehlende Einsicht, dürfte dabei<br />

indes nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 5 StR 544/00, wistra 2011, 220).<br />

Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängen, wird sie<br />

bei der Bestimmung dessen Umfangs zu berücksichtigen haben, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten dadurch<br />

hinreichend vorgebeugt werden kann, dass ihm beispielsweise lediglich die Behandlung weiblicher Patienten untersagt<br />

wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2003 - 3 StR 454/02, StV 2004, 653 m. Anm. Kugler; vom 8. Mai<br />

2008 - 3 StR 122/08).<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Berührung der Beine des Opfers bei Autofahrt<br />

BGH, Beschl. v. 22.12.2010 – 2 StR 569/10 - BeckRS 2011, 03766<br />

Die Berührung der Beine des Opfers während der Autofahrt unter der Drohung des Angeklagten,<br />

er werde es "auf der Autobahn aussetzen", wenn seine sexuellen Handlungen nicht geduldet würden,<br />

ist keine sexuelle Nötigung unter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des<br />

Opfers [§ 177 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong>]<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts,<br />

zu Ziff. II auf dessen Antrag, am 22. Dezember 2010 gemäß §§ 206a, 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 2. Juli 2010 wird<br />

1. das Verfahren in den Fällen 22 <strong>und</strong> 23 der Urteilsgründe eingestellt,<br />

2. der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte<br />

a) der Misshandlung von Schutzbefohlenen in sechs Fällen,<br />

b) der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen,<br />

69


c) der sexuellen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen,<br />

d) der Vergewaltigung in elf Fällen, davon<br />

aa) in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen,<br />

bb) in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen <strong>und</strong> vorsätzlicher Körperverletzung,<br />

cc) in zwei Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten <strong>und</strong> in weiterer Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

von Schutzbefohlenen,<br />

dd) in zwei Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten <strong>und</strong> in weiterer Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

von Schutzbefohlenen sowie vorsätzlicher Körperverletzung, <strong>und</strong><br />

e) der Nötigung<br />

schuldig ist.<br />

II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

III. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in sechs Fällen, wegen gefährlicher<br />

Körperverletzung in drei Fällen, wegen Vergewaltigung in neun Fällen, davon in acht Fällen tateinheitlich mit<br />

sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, in vier Fällen tateinheitlich mit Beischlaf zwischen Verwandten <strong>und</strong> in<br />

vier Fällen tateinheitlich mit vorsätzlicher Körperverletzung, ferner wegen sexueller Nötigung in fünf Fällen, davon<br />

in vier Fällen tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen <strong>und</strong> in einem Fall mit vorsätzlicher<br />

Körperverletzung, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von 12 Jahren verurteilt <strong>und</strong> seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet<br />

sich die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel<br />

ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. In den<br />

Fällen 22 <strong>und</strong> 23 der Urteilsgründe, die das Landgericht nach § 182 Abs. 1 <strong>StGB</strong> beurteilt hat, ist Strafverfolgungsverjährung<br />

eingetreten. Die Taten wurden im Mai 2000 beziehungsweise in der ersten Hälfte des Jahres 2001 begangen.<br />

Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 <strong>StGB</strong>). Verfolgt wurden die Taten erst aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Strafanzeige vom 7. Juli 2009. Deshalb liegt ein Verfahrenshindernis vor, das von Amts wegen zur Einstellung des<br />

Verfahrens hinsichtlich dieser Taten durch das Revisionsgericht führt. Im Fall 20 wurde die Tat im Februar oder<br />

März 2000 begangen. Insoweit entfällt die tateinheitlich mit Vergewaltigung begangene vorsätzliche Körperverletzung<br />

wegen Strafverfolgungsverjährung. Einer Verfahrenseinstellung bedarf es hier nicht (vgl. Senat, Beschluss vom<br />

1. Dezember 2010 - 2 StR 469/10). In den Fällen 16 <strong>und</strong> 18 liegt, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift<br />

zutreffend ausgeführt hat, jeweils Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen<br />

vor. Auch in diesem Punkt ändert der Senat den Schuldspruch, um zutreffende Tatbezeichnungen herbeizuführen.<br />

Die Änderung zum Nachteil des Angeklagten wird durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert. Ebenfalls steht §<br />

265 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen verteidigen könnte. Im Fall 24<br />

liegt lediglich eine Nötigung nach § 240 Abs. 1 <strong>StGB</strong> vor. Die Berührung der Beine des Opfers während der Autofahrt<br />

unter der Drohung des Angeklagten, er werde es "auf der Autobahn aussetzen", wenn seine sexuellen Handlungen<br />

nicht geduldet würden, ist weder eine sexuelle Nötigung unter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder<br />

Leben des Opfers (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong>) noch wurde die Tathandlung unter Ausnutzung einer schutzlosen Handlung<br />

des Opfers begangen (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong>). Letzteres würde voraussetzen, dass das Opfer unter dem Eindruck<br />

seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

möglichen Widerstand verzichtet <strong>und</strong> der Täter dies in seinen Vorsatz aufgenommen hatte (BGHSt 50, 359,<br />

363 ff.). Dies hat das Landgericht nicht festgestellt. Mit Blick auf die genannten Änderungen hat der Senat den<br />

Schuldspruch insgesamt neu gefasst. Es ist ausgeschlossen, dass der Ausspruch über die verbleibenden Einzelstrafen<br />

sowie die Gesamtstrafe durch die Änderung des Schuldspruchs <strong>und</strong> den Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 22<br />

<strong>und</strong> 23 beeinflusst werden.<br />

70


<strong>StGB</strong> § 177 Erpressung einer Prostituierten<br />

BGH, Beschl. v. 18.01.2011 – 3 StR 467/10 - NStZ 2011, 278<br />

Wird eine Prostituierte zur Vornahme sexueller Handlungen gezwungen, so erwachsen ihr hieraus,<br />

wie jedem Opfer einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung, Ansprüche auf Ersatz des ihr<br />

durch die Tat entstandenen materiellen <strong>und</strong> immateriellen Schadens. Dienstvertragliche Ansprüche<br />

werden hierdurch nicht begründet. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Täter zunächst das<br />

Vertrauen der Prostituierten dadurch erschleicht, dass er sich als normaler Freier ausgibt <strong>und</strong> Zahlungsbereitschaft<br />

vortäuscht.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. August 2010<br />

- im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der schweren sexuellen Nötigung schuldig ist;<br />

- im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerer räuberischer<br />

Erpressung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt. Dessen Revision rügt die Verletzung<br />

materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg; im Übrigen ist es<br />

unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Schuldspruch auch wegen schwerer räuberischer Erpressung hat keinen Bestand.<br />

a) Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte die Geschädigte, die in einem Wohnmobil der Prostitution nachging,<br />

durch Bedrohung mit einem ungeladenen Schreckschussrevolver dazu zwingen, ihn mit der Hand sexuell zu<br />

befriedigen. Er ließ sich von ihr die Preise für die Ausübung von Oral- <strong>und</strong> Vaginalverkehr nennen <strong>und</strong> erklärte sich<br />

damit einverstanden. Darauf ließ ihn die Geschädigte in das Wohnmobil ein <strong>und</strong> setzte sich vor ihm auf die Bettkante.<br />

Nun zog der Angeklagte den Schreckschussrevolver hervor, hielt ihn der Geschädigten an den Kopf <strong>und</strong> bedeutete<br />

ihr, an seinem Geschlechtsteil zu manipulieren. Zwei Fluchtversuche der Geschädigten unterband er dadurch, dass<br />

er sie mit der freien Hand auf das Bett zurückdrückte. Aus Angst kam die Geschädigte dem Ansinnen schließlich<br />

nach. Nach kurzer Zeit gelang es ihr indes, unter dem erhobenen rechten Arm des Angeklagten, mit dem er immer<br />

noch den Revolver hielt, hindurchzuschlüpfen <strong>und</strong> das Wohnmobil zu verlassen.<br />

b) Der Ansicht des Landgerichts, damit habe der Angeklagte die Geschädigte nicht nur genötigt, sexuelle Handlungen<br />

an ihm vorzunehmen (§ 177 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 <strong>StGB</strong>), sondern auch dazu, auf die Geltendmachung einer Forderung<br />

in Höhe dessen, was "die Leistung des erwünschten sexuellen Dienstes … üblicherweise kostet", zu verzichten<br />

(§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, §§ 253, 255 <strong>StGB</strong>), kann sich der Senat nicht anschließen. Wird eine Prostituierte<br />

zur Vornahme sexueller Handlungen gezwungen, so erwachsen ihr hieraus, wie jedem Opfer einer sexuellen Nötigung<br />

oder Vergewaltigung, Ansprüche auf Ersatz des ihr durch die Tat entstandenen materiellen <strong>und</strong> immateriellen<br />

Schadens (§ 823 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 177 <strong>StGB</strong>, §§ 249, 253 BGB). Dienstvertragliche Ansprüche<br />

werden hierdurch nicht begründet. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Täter zunächst das Vertrauen der Prostituierten<br />

dadurch erschleicht, dass er sich als normaler Freier ausgibt <strong>und</strong> Zahlungsbereitschaft vortäuscht. Aus § 1<br />

Satz 1 ProstG ergibt sich nichts Gegenteiliges. Nach dieser Bestimmung erwirbt eine Prostituierte nur dann eine<br />

rechtswirksame Forderung, wenn die sexuellen Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen<br />

worden sind. Sie ist Ausnahmevorschrift zu § 138 Abs. 1 BGB <strong>und</strong> bestimmt die Wirksamkeit des Anspruchs der<br />

Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt trotz Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts. Zur Anwendbarkeit weitergehender<br />

allgemeiner Regelungen des Dienstvertragsrechts, wie § 612 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BGB, führt die Vorschrift nicht.<br />

Demgemäß kommt die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt<br />

abgenötigt wird, erst dann in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung einvernehmlich vorgenommen<br />

worden ist. Dies war hier ersichtlich nicht der Fall; denn die Geschädigte hat die Manipulationen am Geschlechtsteil<br />

des Angeklagten nicht einvernehmlich in der Erwartung einer zugesagten Entlohnung vorgenommen, sondern wurde<br />

hierzu gegen ihren Willen gezwungen. Danach bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Flucht der Geschädigten<br />

überhaupt als Verzicht auf eine ihr zustehende - werthaltige (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 StR<br />

279/06, NStZ 2007, 95 f.) - Forderung gewertet werden könnte. Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen<br />

71


versuchter schwerer räuberischer Erpressung kommt nicht in Betracht. Zwar ist es gr<strong>und</strong>sätzlich denkbar, dass sich<br />

der Täter, der irrtümlich davon ausgeht, er werde sich durch die dem Opfer abgepresste Handlung, Duldung oder<br />

Unterlassung rechtswidrig bereichern, der versuchten Erpressung schuldig macht (untauglicher Versuch; s. etwa<br />

BGH, Urteil vom 20. September 2007 - 3 StR 274/07, NStZ 2008, 214). Auch hat das Landgericht ausdrücklich<br />

festgestellt, dem Angeklagten sei es bei der Tat neben der Erzwingung der sexuellen Handlung auch darum gegangen,<br />

die Geschädigte zum Verzicht auf den für die manuelle Stimulation "üblichen Dirnenlohn" zu nötigen. Diese<br />

Feststellung findet indes in der Beweiswürdigung keine Stütze. Worauf das Landgericht seine entsprechende Überzeugung<br />

gründet, wird nicht dargelegt. Dessen hätte es aber bedurft, da entsprechende Überlegungen eines Sexualstraftäters<br />

mehr als fern liegen. Dass in einer erneuten Hauptverhandlung eine derartige subjektive Vorstellung des<br />

Angeklagten noch belegbar sein wird, erscheint ausgeschlossen. Mit Recht ist in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur -<br />

soweit ersichtlich - bisher auch nicht erwogen worden, der Täter eines Gewalt-, Sexual- oder sonstigen Nichtvermögensdelikts,<br />

der sein Opfer nötigt, nach der Tat zu fliehen oder die Flucht des Täters zu dulden, könne sich deswegen<br />

der Erpressung schuldig gemacht haben, weil er hierdurch das Opfer zum Verzicht auf die durch die Tat begründeten<br />

Schadenersatz- <strong>und</strong>/oder Schmerzensgeldansprüche gezwungen habe. Der Senat lässt daher die Verurteilung wegen<br />

schwerer räuberischer Erpressung entfallen <strong>und</strong> ändert den Schuldspruch entsprechend ab.<br />

2. Die Abänderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, denn es ist nicht auszuschließen,<br />

dass die Bemessung der Strafe auf der Annahme beruht, der Angeklagte habe tateinheitlich zur schweren sexuellen<br />

Nötigung einen weiteren Verbrechenstatbestand verwirklicht (s. UA S. 15). Auf die zugehörigen Feststellungen hätte<br />

dieser Wertungsfehler keinen Einfluss; sie können deshalb aufrechterhalten bleiben.<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Hilflose Lage als <strong>Teil</strong> der Gewalt<br />

BGH, Beschl. v. 26.10.2010 – 4 StR 397/10 - BeckRS 2010, 28091<br />

Die durch eine fortdauernde tatbestandsmäßige Gewalteinwirkung erst geschaffene hilflose Lage<br />

des Opfers wird als <strong>Teil</strong> der Gewalt durch die Regelung des § 177 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> erfasst. Die<br />

Begehungsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> gelangt daneben nicht zur Anwendung, weil sie<br />

jedenfalls auf der Konkurrenzebene zurücktritt.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 26. Oktober 2010 einstimmig beschlossen:<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. April 2010 wird mit der Maßgabe<br />

als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung schuldig ist.<br />

2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum<br />

Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen<br />

Auslagen der Nebenklägerin.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bemerkt der Senat: Die Annahme des Landgerichts, der<br />

Angeklagte habe außer § 177 Abs. 1 Nr. 1 <strong>und</strong> 2 <strong>StGB</strong> auch die Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong><br />

erfüllt, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> hat die<br />

Strafkammer darin gesehen, dass der Angeklagte durch das Verschließen der Tür seines Zimmers für die - später<br />

auch geschlagene <strong>und</strong> mit einem Messer bedrohte - Nebenklägerin eine Lage geschaffen hatte, in der sie dem Angeklagten<br />

schutzlos ausgeliefert war <strong>und</strong> die dazu beitrug, den sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen der<br />

Nebenklägerin zu überwinden. Das Einschließen des Opfers in einem umschlossenen Raum in der Absicht, es am<br />

Verlassen des Raumes zu hindern, um auf diese Weise die Vornahme sexueller Handlungen zu ermöglichen, stellt<br />

sich indes als Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> dar (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 -<br />

2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 m.w.N.; Beschluss vom 23. November 1993 - 1 StR 739/93, BGHR <strong>StGB</strong> §<br />

177 Abs. 1 Gewalt 10; Fischer <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 177 Rn. 7). Die durch eine fortdauernde tatbestandsmäßige Gewalteinwirkung<br />

erst geschaffene hilflose Lage des Opfers wird als <strong>Teil</strong> der Gewalt durch die Regelung des § 177 Abs. 1<br />

Nr. 1 <strong>StGB</strong> erfasst. Die Begehungsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> gelangt daneben nicht zur Anwendung,<br />

weil sie jedenfalls auf der Konkurrenzebene zurücktritt (vgl. SSW/Wolters § 177 Rn. 33). Der Schuldspruch wird<br />

durch die unzutreffende rechtliche Würdigung nicht berührt. Der Strafausspruch kann ebenfalls bestehen bleiben.<br />

Die Strafkammer hat zwar im Rahmen der Strafzumessung die Verwirklichung der Begehungsvariante des § 177<br />

72


Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> zum Nachteil des Angeklagten gewertet. Damit hat sie aber der Sache nach lediglich strafschärfend<br />

berücksichtigt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin - über die Schläge <strong>und</strong> die Bedrohung mit dem Messer<br />

hinaus - auch in seinem Zimmer einsperrte, um sie zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Der Senat kann ausschließen,<br />

dass der Tatrichter auf eine mildere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn er das Einsperren der Nebenklägerin<br />

zutreffend als weitere Gewalteinwirkung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> gewürdigt hätte.<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Reizgassprühgerät als gefährliches Werkzeug<br />

BGH, Urt. v. 27.01.2011 – 4 StR 487/10 -<br />

Eine einen Haushaltsreiniger beinhaltende Sprühflasche stellt ebenso wie ein Reizgassprühgerät<br />

Werkzeug im Sinne der Vorschriften der § 244 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> § 177 Abs. 4 Nr. 1 <strong>StGB</strong> dar,<br />

wenn der Haushaltsreiniger seiner stofflichen Zusammensetzung nach bei einem Sprühstoß gegen<br />

die Gesichts- <strong>und</strong> Augenpartie des Opfers geeignet war, erhebliche Verletzungen zu verursachen.<br />

1. Auf die Revisionen des Angeklagten <strong>und</strong> der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom<br />

3. Mai 2010, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nötigung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr<br />

verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Vom Vorwurf einer weiteren versuchten Vergewaltigung<br />

hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten<br />

eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision, die, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, vom<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten wird, greift die Staatsanwaltschaft den Freispruch an <strong>und</strong> rügt zum Schuldspruch,<br />

dass die Strafkammer die Voraussetzungen der Qualifikationstatbestände des § 177 Abs. 3 Nr. 2 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> § 177<br />

Abs. 4 Nr. 1 <strong>StGB</strong> verneint <strong>und</strong> den Angeklagten nicht auch wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung<br />

gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> verurteilt hat. Der Angeklagte wendet sich mit seinem die Verletzung<br />

materiellen Rechts geltend machenden Rechtsmittel gegen die Verurteilung. Während die Revision des Angeklagten<br />

in vollem Umfang Erfolg hat, ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nur insoweit begründet, als es sich gegen<br />

die der Verurteilung zu Gr<strong>und</strong>e liegende rechtliche Würdigung des Landgerichts richtet.<br />

I.<br />

1. Nach den zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen suchte die Geschädigte, die als Sozialarbeiterin für die<br />

praktische Betreuung des - unter epileptischen Krampfanfällen leidenden <strong>und</strong> eine leichte Intelligenzminderung<br />

aufweisenden - Angeklagten bei der Organisation seines Alltags zuständig war, am 23. April 2009 gegen 14.00 Uhr<br />

den Angeklagten in seiner Wohnung auf. Anders als bei früheren Besuchen, bei denen sie zumeist von einem anderen<br />

Betreuten begleitet worden war, kam die Geschädigte allein in die Wohnung, wo sie vom Angeklagten erwartet<br />

<strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich begrüßt wurde. Im Verlaufe des sich anschließenden Gesprächs stand der Angeklagte von seinem<br />

Platz auf der Eckcouch, auf der er der Geschädigten gegenüber gesessen hatte, auf, griff nach einer Flasche Selters,<br />

die hinter dem Sitzplatz der Geschädigten stand, <strong>und</strong> trank einen Schluck aus der Flasche, während die Geschädigte<br />

sich nach vorne beugte, um etwas in ihrer Tasche zu suchen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fasste der Angeklagte<br />

den Plan, die Anwesenheit der Geschädigten für ein sexuelles Erlebnis zu nutzen, wobei er ihren möglichen Widerstand<br />

von vornherein unterbinden <strong>und</strong> sie zwingen wollte, sich seinen noch nicht näher definierten sexuellen Wünschen<br />

zu fügen. Hierzu langte er zu einer ebenfalls hinter dem Sitzplatz der Geschädigten stehenden Flasche eines<br />

Haushaltsreinigers, der bei Haut- oder Augenkontakt zu Reizungen oder Entzündungen führen kann, im Übrigen<br />

aber nicht als umwelt- oder ges<strong>und</strong>heitsschädlich eingestuft ist. Seitlich hinter der Geschädigten stehend gab der<br />

Angeklagte ohne Vorwarnung einen Sprühstoß des Reinigungsmittels aus der Sprühflasche in Richtung der Gesichts<strong>und</strong><br />

Augenpartie der Geschädigten ab, um sie auf diese Weise vorübergehend zu blenden <strong>und</strong> ihr die Möglichkeit zu<br />

nehmen, sich wirksam gegen seinen beabsichtigten Zugriff zur Wehr zu setzen. Tatsächlich traf der Sprühstoß die<br />

rechte Gesichtshälfte <strong>und</strong> das rechte Auge der Geschädigten, die einer weiteren Beeinträchtigung dadurch entgehen<br />

konnte, dass sie ihr Gesicht reflexartig zur Seite drehte. Die völlig überraschte Geschädigte verspürte ein Brennen im<br />

rechten Auge <strong>und</strong> erschrak heftig. Der Angeklagte ließ die Flasche fallen <strong>und</strong> griff von hinten um die Geschädigte<br />

73


herum, um ihr M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Nase zuzuhalten. Mit beiden Armen drückte er zudem ihren nach vorne gebeugten Oberkörper<br />

zurück in den Sitz <strong>und</strong> forderte sie wiederholt auf, ruhig zu bleiben. Als die Geschädigte den Anschein erweckte,<br />

sich nicht wehren zu wollen, hielt der Angeklagte die Zeit für gekommen, sie in Richtung des an der anderen<br />

Wand befindlichen Bettes zu ziehen. Er forderte sie auf, aufzustehen <strong>und</strong> mitzukommen. Als die Geschädigte bemerkte,<br />

dass der Angeklagte sie nicht aus der Wohnung werfen wollte, sondern sie in Richtung seines Bettes zerrte,<br />

begann sie sich zu wehren <strong>und</strong> den Angeklagten von sich zu drücken. Der Angeklagte forderte sie auf, still zu sein,<br />

drückte sie zurück gegen die Rückenlehne der Couchgarnitur <strong>und</strong> versuchte, um ihren Widerstand zu unterbinden<br />

<strong>und</strong> sie insbesondere am Schreien zu hindern, ihren M<strong>und</strong> mit einem Stück Stoff zu verstopfen, was an der Gegenwehr<br />

der Geschädigten scheiterte. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung gelang es der Geschädigten schließlich<br />

trotz der Bemühungen des Angeklagten, sich ihrer zu bemächtigen, die Wohnungstür zu öffnen <strong>und</strong> mehrmals<br />

laut um Hilfe zu rufen. Der Angeklagte, der erwartete, dass die Hilferufe gehört <strong>und</strong> beachtet würden, sah seinen<br />

Plan, doch noch die Oberhand über die Geschädigte zu gewinnen <strong>und</strong> sie zu sexuellen Handlungen nötigen zu können,<br />

als gescheitert an. Er ließ nunmehr von der Geschädigten ab, die daraufhin die Wohnung verließ. Die Geschädigte<br />

erlitt Hämatome an den Oberarmen, eine Prellung am Lendenwirbel <strong>und</strong> eine vorübergehende Reizung des<br />

rechten Auges ohne Beeinträchtigung der Sehkraft. Nach der Tat rief der Angeklagte spontan die Notrufnummer der<br />

Polizei an <strong>und</strong> teilte dem diensthabenden Polizeibeamten mit, dass er soeben "eine Frau überfallen" habe.<br />

2. In der Anklage der Staatsanwaltschaft Magdeburg vom 28. Januar 2010 ist dem Angeklagten des Weiteren zur<br />

Last gelegt worden, am 27. März 2008 versucht zu haben, eine Bekannte, in deren Wohnung er sich zum Kaffeetrinken<br />

aufgehalten habe, gewaltsam zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, indem er sich in Ausführung seines Tatplans<br />

hinter die Geschädigte begeben <strong>und</strong> sie festgehalten habe. Der Geschädigten sei es jedoch gelungen, sich zu wehren<br />

<strong>und</strong> den Angeklagten aus der Wohnung zu werfen. Von diesem Anklagevorwurf hat sich die Strafkammer nicht zu<br />

überzeugen vermocht, weil die Geschädigte als Zeugin in der Hauptverhandlung <strong>und</strong> in ihrer polizeilichen Vernehmung<br />

voneinander abweichende Angaben zum Geschehensablauf gemacht hat.<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Verurteilung. Der Schuldspruch wegen versuchter sexueller<br />

Nötigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht tragfähig<br />

begründet sind. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive<br />

Gr<strong>und</strong>lagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit der Wirklichkeit<br />

übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe<br />

erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />

beruht <strong>und</strong> die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als<br />

bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH, Beschluss vom<br />

24. Juni 1982 - 4 StR 183/82, NStZ 1982, 478; vom 6. April 1990 - 2 StR 627/89, BGHR StPO § 261 Identifizierung<br />

6; vom 8. November 1996 - 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26; vgl. auch BVerfG, NJW<br />

2008, 3346, 3347 f.). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur subjektiven<br />

Tatseite nicht gerecht. Ihre Feststellungen zu einem auf die Erzwingung sexueller Handlungen gerichteten Nötigungsvorsatzes<br />

des Angeklagten stützt die Strafkammer zum einen darauf, dass die Geschädigte nach ihren Bek<strong>und</strong>ungen<br />

in der Hauptverhandlung auf Gr<strong>und</strong> der Bemühungen des Angeklagten, sie in Richtung des Bettes zu zerren,<br />

ein sexuelles Motiv angenommen <strong>und</strong> dieses als einzig möglichen Beweggr<strong>und</strong> des Angeklagten erachtet habe. Zum<br />

anderen verweist das Landgericht auf die in dem Telefonat mit der Polizei gemachte Äußerung des Angeklagten,<br />

"eine Frau überfallen" zu haben, mit welcher der Angeklagte eine sexuelle Absicht eingeräumt habe. Beide Gesichtspunkte<br />

sind nicht tragfähig. Die subjektiven Eindrücke, die ein Tatopfer auf Gr<strong>und</strong> der Vorgehensweise des<br />

Täters von dessen Beweggründen gewonnen hat, können für die Beantwortung der Frage nach den tatsächlichen<br />

handlungsleitenden Motiven des Täters allenfalls als ergänzendes, für sich genommen kaum aussagekräftiges Beweisanzeichen<br />

herangezogen werden. Sie vermögen aber eine eigenständige Würdigung des objektiven Geschehensablaufs<br />

durch den Tatrichter nicht zu ersetzen. Eine solche Bewertung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Der<br />

Äußerung des Angeklagten in dem nach der Tat mit der Polizei geführten Telefonat ist lediglich zu entnehmen, dass<br />

der Angeklagte eine Frau überraschend in nicht näher konkretisierter Weise angegriffen hat. Ein darüber hinausgehender<br />

Aussagegehalt kommt dieser Bemerkung nicht zu. Insbesondere bleibt gerade offen, welche subjektive Zielrichtung<br />

dem Angriff zu Gr<strong>und</strong>e lag. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann daher aus der Äußerung des<br />

Angeklagten, eine Frau überfallen zu haben, nicht auf eine bestimmte Tatmotivation des Angeklagten geschlossen<br />

werden. In der neuerlichen Hauptverhandlung wird zu prüfen sein, ob auf der Gr<strong>und</strong>lage des neu festzustellenden<br />

objektiven Geschehensablaufs tragfähige Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden können, welche<br />

einen auf die Erzwingung sexueller Handlungen gerichteten Nötigungsvorsatz des Angeklagten belegen.<br />

74


III. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Mit ihrer sich gegen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils richtenden Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft<br />

zu Recht, dass die Strafkammer die Anwendung der Qualifikationsnorm des § 177 Abs. 3 Nr. 2 <strong>StGB</strong> mit<br />

rechtlich unzutreffender Begründung verneint <strong>und</strong> die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 4 Nr. 1<br />

<strong>StGB</strong> sowie einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> nicht erschöpfend geprüft hat.<br />

a) Der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 3 Nr. 2 <strong>StGB</strong> setzt nicht voraus, dass der Täter das Werkzeug oder<br />

Mittel schon von vornherein bei sich führt, um es bei der Tat zur Verhinderung oder Überwindung des Widerstands<br />

des Opfers einzusetzen. Vielmehr ist es ausreichend, dass der Täter das Tat-mittel zu irgendeinem Zeitpunkt der<br />

Tatbegehung einsatzbereit bei sich hat, wofür es auch genügt, wenn er es erst am Tatort ergreift (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 21. Januar 1999 - 1 StR 654/98, NStZ 1999, 242; Beschluss vom 26. Oktober 2000 - 3 StR 433/00, NStZ 2001,<br />

246; Urteil vom 10. April 2003 - 3 StR 420/02, NStZ-RR 2003, 202; Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 177 Rn. 81 m.w.N.).<br />

Danach hat der Angeklagte sowohl die Sprühflasche mit dem Haushaltsreiniger als auch das bei dem Versuch der<br />

Knebelung des Tatopfers verwendete Stück Stoff im Sinne des § 177 Abs. 3 Nr. 2 <strong>StGB</strong> bei sich geführt. Dass diese<br />

Gegenstände vor gefasster Verwendungsabsicht bereits in der Wohnung vorhanden waren, ist dabei entgegen der<br />

Ansicht der Strafkammer ohne Belang.<br />

b) Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 <strong>StGB</strong> wird nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern auch, wenn<br />

sich die objektive Gefährlichkeit des eingesetzten Gegenstandes erst aus der konkreten Art seiner Verwendung<br />

ergibt, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4<br />

StR 464/00, BGHSt 46, 225, 228; Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR 34/07, BGHSt 51, 276, 278; vom 10. April 2003<br />

- 3 StR 420/02 aaO; Beschluss vom 17. September 2003 - 2 StR 254/03, NStZ 2004, 261; vom 8. Februar 2006 - 2<br />

StR 575/05, StV 2006, 416). Die Gefährlichkeit des Tatmittels kann sich gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand<br />

bestimmungswidrig gebraucht wird. Auch für die Beurteilung der Frage, ob eine Körperverletzung gemäß § 224<br />

Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist, kommt es maßgeblich darauf an, ob<br />

der gebrauchte Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit <strong>und</strong> nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall<br />

geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2006 - 4<br />

StR 313/06, NStZ 2007, 95; Fischer, aaO, § 224 Rn. 9 m.w.N.). Werkzeug im Sinne der Vorschriften der § 224 Abs.<br />

1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> § 177 Abs. 4 Nr. 1 <strong>StGB</strong> ist jeder bewegliche Gegenstand, mit dem gleich auf welche Weise auf<br />

den Körper des Opfers eingewirkt werden kann. Die vom Angeklagten verwendete, einen Haushaltsreiniger beinhaltende<br />

Sprühflasche stellt ebenso wie ein Reizgassprühgerät (BGH, Beschluss vom 10. August 1995 – 4 StR 452/95;<br />

Urteil vom 12. Oktober 1999 – 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88) oder ein Pfeffersprayer (BGH, Beschluss vom 1.<br />

März 2001 – 4 StR 31/01, NZV 2001, 352, 353) ein solches Werkzeug dar, ohne dass es darauf ankommt, ob die<br />

Reinigerflüssigkeit als solche dem Werkzeugbegriff unterfällt (vgl. Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder,<br />

<strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 224 Rn. 6; MünchKomm<strong>StGB</strong>/Hardtung § 224 Rn. 14, 20; a.A. OLG Dresden NStZ-RR 2009,<br />

337). Bei der Prüfung, ob der Angeklagte die Sprühflasche bei der Tatbegehung als gefährliches Werkzeug eingesetzt<br />

hat, hätte sich die Strafkammer mit der jedenfalls nicht fern liegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen,<br />

dass der vom Angeklagten versprühte Haushaltsreiniger seiner stofflichen Zusammensetzung nach bei einem Sprühstoß<br />

gegen die Gesichts- <strong>und</strong> Augenpartie des Opfers geeignet war, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Hierzu<br />

wären nähere – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu treffende – Feststellungen zu den<br />

möglichen Wirkungen des Reinigers auf Haut <strong>und</strong> Augen eines Menschen erforderlich gewesen.<br />

2. Hinsichtlich des <strong>Teil</strong>freispruchs erweist sich die Revision der Staatsanwaltschaft dagegen als unbegründet. Der<br />

Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der versuchten Vergewaltigung zum Nachteil einer weiteren Geschädigten<br />

hält rechtlicher Prüfung stand. Allerdings hat es das Landgericht versäumt, die von ihm zum Anklage-vorwurf getroffenen<br />

tatsächlichen Feststellungen in den Urteilsgründen näher darzustellen. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen<br />

Gründen müssen gr<strong>und</strong>sätzlich nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Feststellungen<br />

in einer geschlossenen Darstellung bezeichnet werden, die der Tatrichter für erwiesen hält, bevor er in der<br />

Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen er die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen<br />

nicht treffen konnte (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314, 315; vom 9.<br />

Juni 2005 - 3 StR 269/04, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 14 m.w.N.). Diese Anforderungen sind kein Selbstzweck,<br />

sondern sollen dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen<br />

sind, insbesondere ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (vgl. Meyer-Goßner,<br />

StPO, 53. Aufl., § 267 Rn. 33). Im vorliegenden Fall wird die revisionsgerichtliche Überprüfung der den<br />

Freispruch tragenden Erwägungen durch die Urteilsausführungen hinlänglich ermöglicht. Die Urteilsgründe geben<br />

die sich widersprechenden Angaben, welche die Geschädigte als Zeugin in der Hauptverhandlung sowie in ihrer<br />

75


polizeilichen Vernehmung am 18. Mai 2009 zu dem Tatvorwurf gemacht hat, in ihrem wesentlichen Inhalt wieder.<br />

Darüber hinaus teilen sie mit, dass die Geschädigte in der Hauptverhandlung auf Vorhalt ihrer widersprüchlichen<br />

Aussagen bek<strong>und</strong>et hat, dass sich das Tatgeschehen auch so wie bei der Polizei geschildert zugetragen haben könne,<br />

sie sich aber nicht mehr genau erinnere. Dass sich die Strafkammer auf Gr<strong>und</strong> der Widersprüchlichkeit der Bek<strong>und</strong>ungen<br />

der Geschädigten <strong>und</strong> des Fehlens sonstiger von den Angaben der Geschädigten unabhängiger Beweisanzeichen<br />

außer Stande gesehen hat, sich von einem Geschehensablauf zu überzeugen, der ein strafrechtlich relevantes<br />

Verhalten des Angeklagten belegt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.<br />

<strong>StGB</strong> § 184 Abs. 1 Nr. 8; § 30 Verbrechensverabredung Pornografie im Internet<br />

BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 5 StR 581/10 - BeckRS 2011, 06964<br />

LS: Internetchat <strong>und</strong> Verbrechensverabredung.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 6. September 2010 nach § 349 Abs.<br />

4 StPO<br />

a) dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte im Fall II.14 der Urteilsgründe wegen Verbreitung kinderpornografischer<br />

Schriften, im Fall II.15 wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften <strong>und</strong> im Fall II.13 wegen Herstellens<br />

pornografischer Schriften verurteilt ist;<br />

b) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen II.13 bis 15 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafausspruch <strong>und</strong> im Maßregelausspruch<br />

aufgehoben; letzterer entfällt.<br />

2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Schuldspruch wird in<br />

den Fällen II.4 bis 12 <strong>und</strong> 16 bis 25 der Urteilsgründe dahin klargestellt, dass der Angeklagte insoweit wegen Verbreitung<br />

kinderpornografischer Schriften in 13 Fällen (II.6 bis 8, 11 <strong>und</strong> 12 sowie 16 bis 23) <strong>und</strong> wegen Erwerbs<br />

kinderpornografischer Schriften in sechs Fällen (II.4, 5, 9, 10, 24, 25), davon in drei Fällen in Tateinheit mit deren<br />

Verbreitung (II.5, 10, 25), verurteilt ist.<br />

3. Zur abschließenden Strafzumessung wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung,<br />

auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verabredung eines Mordes (tateinheitlich eines Missbrauchs eines<br />

Kindes mit Todesfolge <strong>und</strong> einer Vergewaltigung mit Todesfolge) in Tateinheit mit Besitz <strong>und</strong> mit Verbreitung kinderpornografischer<br />

Schriften (Fall II.14), wegen Sichbereiterklärens zu einer besonders schweren Vergewaltigung<br />

sowie tateinheitlich einem besonders schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes (Fall II.15), wegen Verabredung<br />

eines schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fall II.2), wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II.1),<br />

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fall II.13), wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften<br />

(Fall II.3) <strong>und</strong> wegen 19 Fällen verschiedener Varianten von Vergehen nach § 184b <strong>StGB</strong> zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von elf Jahren verurteilt <strong>und</strong> hat die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.<br />

Die Revision des Angeklagten erzielt auf die nicht ausgeführte Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen<br />

<strong>Teil</strong>erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Gegenstand der Schuldsprüche gegen den im Juni 2002 wegen Verbreitung pornografischer Schriften zu einer<br />

zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilten, mit einer Geldauflage <strong>und</strong> Therapieweisung belegten Angeklagten,<br />

einen früheren Betriebsleiter, umfasst überwiegend Straftaten, die er im Rahmen einer Internetplattform für<br />

„pädophil orientierte Menschen“ namens „Zauberwald“ begangen hat (unten 2 <strong>und</strong> 3). Lediglich vier Fälle betreffen<br />

ganz oder zum <strong>Teil</strong> außerhalb solcher Internetaktivitäten vorgenommene Handlungen <strong>und</strong> Erklärungen.<br />

a) Hierbei handelt es sich um eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil seines knapp drei Jahre alten Sohnes<br />

durch Verabreichung einer lokal betäubenden Creme <strong>und</strong> einer aufgelösten Schlaftablette (Fall II.1 der Urteilsgründe;<br />

Freiheitsstrafe vier Monate), den Besitz zahlreicher kinderpornografischer Schriften bis zum Zeitpunkt der Sicherstellung<br />

seines Rechners am 29. September 2009 (Fall II.3 der Urteilsgründe; Freiheitsstrafe ein Jahr <strong>und</strong> vier<br />

Monate) <strong>und</strong> den als Verabredung eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes abgeurteilten,<br />

mit dem Zeugen B. auch telefonisch abgesprochenen Plan, vom 25. bis 27. Juli 2008 im Harz mit ihren Söhnen<br />

eine vom Angeklagten angemietete Ferienwohnung zu beziehen, in der es zu einem „Boytausch“ kommen sollte <strong>und</strong><br />

der Angeklagte bei dem kindlichen Sohn des Zeugen B. den Analverkehr vollziehen wollte (Fall II.2 der Urteils-<br />

76


gründe; Freiheitsstrafe zwei Jahre <strong>und</strong> neun Monate). Die insoweit getroffenen Schuld- <strong>und</strong> Strafaussprüche sind<br />

sachlichrechtlich beanstandungsfrei.<br />

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen dreier am 12. August 2009 in der Absicht der Verbreitung angefertigter<br />

Bilder wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176a Abs. 3 i.V.m. § 176 Abs. 4 Nr. 2<br />

<strong>StGB</strong> (Fall II.13 der Urteilsgründe; Freiheitsstrafe zwei Jahre <strong>und</strong> vier Monate) verurteilt hat, rechtfertigt der festgestellte<br />

Sachverhalt lediglich eine Bestrafung wegen des Herstellens pornografischer Schriften nach § 184 Abs. 1 Nr.<br />

8 <strong>StGB</strong>. Auf den Fotos ist der Sohn des Angeklagten abgebildet, der eine Salatgurke wie beim Oralverkehr mit den<br />

Lippen fest umschließt.<br />

(1) Es ermangelt der Vornahme einer sexuellen Handlung (§ 184g Nr. 1 <strong>StGB</strong>) durch ein Kind. Zwar hat der Gesetzgeber<br />

durch das Änderungsgesetz vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2149) auch das sexuell aufreizende Posieren<br />

von Kindern als eine solche Handlung erfasst (BT-Drucks. 16/9646 S. 2, 35 f.). Hierzu zählen jedenfalls Vorgänge,<br />

die gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild einen eindeutigen Sexualbezug aufweisen (vgl. schon BGH, Urteil<br />

vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, BGHR <strong>StGB</strong> § 184f sexuelle Handlung 2). Für das Posieren in obszönen<br />

Stellungen ist indes die Sicht auf sexualbezogene Körpermerkmale des Kindes erforderlich (vgl. Laufhütte/Roggenbuck<br />

in LK, 12. Aufl., § 184b Rn. 3). Solches ist bei dem vollständig bekleideten Sohn des Angeklagten<br />

nicht gegeben. Es wurde lediglich dessen M<strong>und</strong> in eine Beziehung zu einem Gegenstand gebracht, der allein in der<br />

Fantasie eines späteren Betrachters als Darstellung des erigierten Gliedes eines Mannes begriffen werden konnte <strong>und</strong><br />

sollte. Damit ist die Grenze zur Strafbarkeit nach § 176 <strong>StGB</strong> unter Berücksichtigung seines Schutzgedankens <strong>und</strong><br />

der erheblichen Höhe der dort angedrohten Strafe noch nicht überschritten. Es ist nicht ersichtlich, dass die Handlung<br />

als solche oder die Umstände ihrer Vornahme geeignet gewesen wären, die geschützten Rechtsgüter des Kindes zu<br />

beeinträchtigen. Dies gilt auch dann, wenn als geschütztes Rechtsgut des § 176 <strong>StGB</strong> nicht allein die ungestörte<br />

sexuelle Entwicklung des Kindes angesehen wird (vgl. BGH, Urteile vom 24. September 1991 – 5 StR 364/91,<br />

BGHSt 38, 68, 69 <strong>und</strong> vom 16. Juni 1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132), sondern auch sein Recht auf Achtung<br />

seiner Intimsphäre (vgl. Hörnle in LK, 12. Aufl., § 176 Rn. 3). Die dargestellte Handlung überschreitet unter beiden<br />

Gesichtspunkten nicht die Erheblichkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 <strong>StGB</strong>, die bezogen auf das konkrete Rechtsgut<br />

festzustellen ist.<br />

(2) Ein Sexualbezug der Abbildungen ist nach der rechtsfehlerfreien Bewertung des Landgerichts durch die vom<br />

Angeklagten eingestandene Verbreitungsabsicht <strong>und</strong> dessen sachverständig festgestellte insbesondere pädophile<br />

Disposition (UA S. 151 f.) belegt. Mit den Bildern sollten die ausschließlich einschlägig interessierten Benutzer der<br />

genannten Internetplattform auf einen Oralverkehr eines Knaben an Männern angesprochen <strong>und</strong> bei ihnen ein Bedürfnis<br />

nach solchen Handlungen hervorgerufen oder verstärkt werden. Das verleiht den Fotos die Qualität pornografischer<br />

Schriften im Sinne des § 184 Abs. 1 <strong>StGB</strong> (vgl. Laufhütte/Roggenbuck, aaO, § 184 Rn. 5 bis 8), die der Angeklagte<br />

gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Abs. 1 Nr. 6 <strong>StGB</strong> hergestellt hat. Der Senat stellt insoweit den Schuldspruch<br />

in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO um. Er schließt aus, dass sich der Angeklagte nach<br />

einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis wirksamer als bisher hätte verteidigen können. Das neu berufene Tatgericht<br />

wird insoweit eine neue, notwendigerweise beträchtlich mildere Strafe festzusetzen haben.<br />

2. Hinsichtlich der Fälle II.4 bis 12 <strong>und</strong> 16 bis 25 der Urteilsgründe, in denen das Landgericht die Erlangung <strong>und</strong><br />

Weiterleitung kinderpornografischer Dateien im Rahmen von Chatkontakten des Angeklagten mit unbekannt gebliebenen<br />

<strong>Partner</strong>n ausgeurteilt <strong>und</strong> Freiheitsstrafen jeweils zwischen vier <strong>und</strong> acht Monaten festgesetzt hat, war lediglich<br />

die Tenorierung klarzustellen. Hinsichtlich der Fälle II.4 <strong>und</strong> 5 der Urteilsgründe billigt der Senat die vom<br />

Landgericht gef<strong>und</strong>ene, mit den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Schleswig (NStZ-RR 2007, 41, 42) <strong>und</strong><br />

Hamburg (NJW 2010, 1893, 1895) übereinstimmende Rechtsauffassung (vgl. dazu Laufhütte/Roggenbuck, aaO, §<br />

184b Rn. 10 mN).<br />

3. Die beiden schwersten Schuldsprüche der Verabredung eines Mordes (Fall II.14 der Urteilsgründe) <strong>und</strong> des Sichbereiterklärens<br />

zu einer besonders schweren Vergewaltigung (Fall II.15 der Urteilsgründe) halten der sachlichrechtlichen<br />

Prüfung nicht stand.<br />

a) Fall II.14 der Urteilsgründe (Verabredung zum Mord u.a.; Freiheitsstrafe neun Jahre):<br />

aa) Der Angeklagte befand sich unter der anonymen Bezeichnung „No Limit“ an einem nicht näher feststellbaren<br />

Tag im Sommer 2009 zwischen 12.50 Uhr <strong>und</strong> 19.59 Uhr auf der genannten Internetplattform in einem auf seiner<br />

Festplatte in einer Textdatei gespeichert gebliebenen Chatgespräch mit einem nicht identifizierten <strong>und</strong> für den Angeklagten<br />

nicht identifizierbaren, in den Niederlanden ansässigen Mann, der im Chat als „kees“ auftrat <strong>und</strong> den der<br />

Angeklagte aus einem früheren Chatkontakt kannte. In dem Gespräch tauschten die <strong>Partner</strong> Gedanken über Pläne zu<br />

Kindesmissbrauch mit extremen sexuellen <strong>und</strong> sadistischen Begleitumständen aus: Beide erwogen, um einen geeigneten<br />

kindlichen Sexualpartner zu finden, ein Kind von der Straße zu nehmen; man müsse letztlich ein Kind finden,<br />

77


das allein an einsamer Stelle auf dem Schulweg sei. Im Hinblick auf noch unverplante Resturlaube konstatierten der<br />

Angeklagte <strong>und</strong> „kees“, dass man die Pläne wohl Ende September in die Tat umsetzen könne. Nach dem Austausch<br />

dreier kinderpornografischer Abbildungen konkretisierten sie ihr Vorhaben. Der Niederländer favorisierte, den zu<br />

entführenden Jungen an den Hoden aufzuhängen; der Junge sollte dann in seiner Qual seine Hoden selbst abschneiden.<br />

Der Angeklagte wollte den Jungen würgen, während er ihn „ficke“. Beide vergewisserten sich gegenseitig, dass<br />

sie es ernst meinten <strong>und</strong> dass „idealerweise“ ein acht Jahre alter Junge aus einer ländlichen Gegend des nördlichen<br />

Mecklenburg-Vorpommern entführt <strong>und</strong> über einige St<strong>und</strong>en gequält werden sollte. Der Tod des Jungen sollte durch<br />

„kees“ herbeigeführt werden, indem er seinen Penis dem Kind so tief in den M<strong>und</strong> stecken würde, dass es – während<br />

der Angeklagte den Analverkehr ausübe – daran ersticken würde. Der Leichnam könnte dann im Meer versenkt<br />

werden. Zur Ausführung des Vorhabens erwogen der Angeklagte <strong>und</strong> „kees“, in den Niederlanden ein Fahrzeug zu<br />

mieten, dieses in Deutschland mit gestohlenen Kennzeichen zu versehen <strong>und</strong> ein Ferienhaus an der Nordsee zu mieten.<br />

Der Angeklagte übermittelte „kees“ das Internetangebot eines Ferienhauses in Neßmersiel. Er hielt es für sinnvoll,<br />

dass er das Ferienhaus vorab buche. Als konkrete Tatzeit wurde – im Hinblick auf die in Mecklenburg-<br />

Vorpommern am 30. Oktober 2009 endenden Schulferien – der November 2009 in Aussicht genommen. Ein verabredetes<br />

weiteres Chatgespräch fand nicht mehr statt.<br />

bb) Das Schwurgericht hat die Einlassung des Angeklagten, seine Chatgespräche seien reine Fiktion gewesen, beweiswürdigend<br />

durch die große Anzahl der Realitätskennzeichen <strong>und</strong> durch den Umstand als widerlegt angesehen,<br />

dass der Angeklagte diverse Gr<strong>und</strong>schulen in Mecklenburg-Vorpommern im Internet daraufhin untersucht habe, wie<br />

weit sie von örtlichen Polizeirevieren entfernt seien. Zudem habe der Angeklagte im eingestandenen Fall II.2 der<br />

Urteilsgründe nicht in Frage gestellt, dass nach der Präsentation des Bauernhofes im Harz als Tatort das dort verabredete<br />

Treffen tatsächlich stattfinden sollte.<br />

cc) Die Feststellungen tragen die Annahme des Schwurgerichts nicht, der Angeklagte habe sich mit dem unbekannt<br />

gebliebenen Chatpartner „kees“ zu einem Verbrechen (u.a. des Mordes) gemäß § 30 Abs. 2 Variante 3 i.V.m. § 211<br />

<strong>StGB</strong> verabredet.<br />

(1) Eine Strafbarkeit setzt die vom ernstlichen Willen getragene Einigung von mindestens zwei Personen voraus, an<br />

der Verwirklichung eines bestimmten Verbrechens mittäterschaftlich mitzuwirken (BGH, Urteile vom 4. Februar<br />

2009 – 2 StR 165/08, BGHSt 53, 174, 176 mN, <strong>und</strong> vom 13. November 2008 – 3 StR 403/08, NStZ 2009, 497). Der<br />

Gesetzeswortlaut lässt offen, in welchem Umfang ein Verabredender die Identität seines präsumtiven Mittäters kennen<br />

muss. Dies schließt die Annahme einer Verabredung zwischen Personen, die sich lediglich über einen Tarnnamen<br />

in einem Internetchatforum kennen, nicht aus. Allerdings hat sich die bisherige Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs,<br />

soweit ersichtlich, ausschließlich mit Fällen von den präsumtiven Mittätern bekannten Identitäten der<br />

jeweils anderen befasst (vgl. Roxin, JA 1979, 169; 171 f.; Schünemann in LK, 12. Aufl. § 30 Rn. 60 <strong>und</strong> 62; BGH,<br />

Urteile vom 28. Juni 2007 – 3 StR 140/07, BGHR <strong>StGB</strong> § 30 Abs. 2 Verabredung 7, vom 13. November 2008 – 3<br />

StR 403/08, NStZ 2009, 497 <strong>und</strong> vom 4. Februar 2009 – 2 StR 165/08, BGHSt 53, 174). Die Strafwürdigkeit der<br />

Verbrechensverabredung erklärt sich aus der Willensbindung der Beteiligten (Roxin, Strafrecht AT II [2003], S. 303<br />

Rn. 43), durch die bereits vor Eintritt in das Versuchsstadium eine Gefahr für das durch die vorgestellte Tat bedrohte<br />

Rechtsgut entsteht (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 30 Rn. 2). Der von einer solchen quasi-vertraglichen Verpflichtung<br />

ausgehende Motivationsdruck sorgt oft dafür, dass es von einer bindenden Verabredung für einen Beteiligten<br />

kaum noch ein Zurück gibt, so dass bei Angriffen auf die wertvollsten <strong>und</strong> schutzbedürftigsten Rechtsgüter schon der<br />

Abschluss der Deliktsvereinbarung durch eine Strafdrohung verhindert werden muss (Schünemann in LK, 12. Aufl.,<br />

§ 30 Rn. 11). Eine solche auf die Begehung des intendierten Verbrechens bezogene bindende Verabredung erfordert,<br />

dass jeder an ihr Beteiligte in der Lage sein muss, bei dem jeweils anderen präsumtiven Mittäter die von jenem zugesagten<br />

verbrecherischen Handlungen (vgl. Schröder, JuS 1967, 289, 291) auch einfordern zu können. Dies kann auch<br />

zwischen Personen geschehen, die lediglich unter Verwendung eines Tarnnamens kommunizieren. Solches wird<br />

sogar in etlichen Fallkonstellationen, in denen es gilt, hierdurch eine Entdeckung zu vermeiden, für die sich Verabredenden<br />

sinnvoll sein <strong>und</strong> nötigt nicht dazu, dass – etwa bei unbekannt bleiben wollenden Angehörigen verbrecherischer<br />

Organisationen – Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verabredung überw<strong>und</strong>en werden müssten. Gleiches wird<br />

naheliegend anzunehmen sein, wenn anonym getroffene Absprachen durch weitere Vorbereitungshandlungen oder<br />

deren Verabredung bestätigt worden sind. In Fällen, in denen die verabredete Tat – wie vorliegend – die gleichzeitige<br />

Präsenz der Mittäter bei Tatbegehung voraussetzt, ist eine verbleibende völlige Anonymität freilich ausgeschlossen.<br />

Deren spätere Auflösung muss <strong>Teil</strong> des konkreten Tatplans sein. Schon hierfür fehlt es an vollständigen Feststellungen.<br />

(2) Insbesondere ist das Landgericht bei der von ihm zu beurteilenden Fallkonstellation, in der es darum geht, Verbrechensfantasie<br />

von wirklichem verbrecherischen Willen <strong>und</strong> dessen Umsetzung abzugrenzen, dem Gebot der er-<br />

78


schöpfenden Beweiswürdigung nicht umfassend gerecht geworden (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3<br />

StR 139/06, NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt; Brause, NStZ 2007, 505, 506). Seine<br />

Erwägungen vermögen deshalb nicht mehr als einen Verdacht der Verabredung zu einem Mord zu begründen (vgl.<br />

auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235). Die Schwurgerichtskammer hat in<br />

ihren beweiswürdigenden Erwägungen mehrere die Absprache zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> „kees“ betreffenden<br />

Umstände, die gegen deren Ernstlichkeit als Verbrechensverabredung zu erwägen gewesen wären, nicht erkennbar<br />

bedacht. Die Absprache wurde in lediglich einem Chatgespräch getroffen zwischen <strong>Partner</strong>n, die sich nicht persönlich<br />

kannten <strong>und</strong> deren Identität nicht ohne Mitwirkung des anderen zu ermitteln war. Über einen direkten kommunikativen<br />

Zugang zu „kees“ verfügte der Angeklagte nicht. Die abgesprochene Fortsetzung der Kommunikation unterblieb<br />

genauso wie die vom Angeklagten zugesagte Buchung des Ferienhauses (UA S. 56). Das Landgericht hat sich<br />

auch nicht mit dem zentralen Einwand des Angeklagten auseinandergesetzt, er habe sich seinen Chatpartnern immer<br />

wieder durch das Wechseln seines Nicknamens entzogen, bevor es richtig konkret hätte werden können (UA S. 79).<br />

Es hat zudem in seiner Beweiswürdigung zur Bestimmung des Tatzeitraums des Falles II.15 der Urteilsgründe den<br />

Charakter der vom Angeklagten im Sommer 2009 geführten Chatgespräche als eskalierende Fantasien (UA S. 130) –<br />

in Abgrenzung zu denen im eingestandenen Fall II.2 der Urteilsgründe – bezeichnet, ohne auf diese Gegensätzlichkeit<br />

für die hier zur nämlichen Zeit stattgef<strong>und</strong>ene Tathandlung zurückzukommen. Der vom Landgericht herangezogene<br />

Umstand, der Angeklagte habe im eingestandenen Fall der Verabredung eines schweren sexuellen Missbrauchs<br />

eines Kindes (Fall II.2 der Urteilsgründe) – indes dort ohne den Ausdruck ausufernd perversen sexuellen Geschehens<br />

– die Ernstlichkeit der Mitteilung des präsumtiven Tatorts nicht in Frage gestellt, ist kein den Angeklagten selbständig<br />

belastendes Indiz, weil dieser in jenem anders gelagerten Fall sogar weitergehend die Anmietung der Ferienwohnung<br />

im Harz eingestanden hatte. Schließlich stößt der von der Schwurgerichtskammer als tragend herangezogene<br />

Umstand des Detailreichtums in der hier zu beurteilenden Fallkonstellation der gebotenen Abgrenzung bloßer Verbrechensfantasie<br />

von verbrecherischem Willen auf durchgreifende Bedenken. Ähnlich wie in Fällen, in denen Angaben<br />

von Mittätern zu ihren Tatgenossen durch die Wiedergabe selbst erlebter Tatdetails nicht wesentlich gestützt<br />

werden (BGH, Beschlüsse vom 26. April 2006 – 1 StR 90/06, StV 2006, 683, <strong>und</strong> vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09<br />

mN), eignen sich detaillierte Angaben eines Fantasiebegabten über ein Verbrechen nicht unbedingt zur Entscheidung<br />

der Frage, ob sie noch Fiktion oder bereits Ausdruck verbrecherischen Willens sind. Das gilt jedenfalls in Fällen der<br />

vorliegenden Art, nämlich des Austauschs perverser, den eigenen Sexualtrieb <strong>und</strong> den des Kommunikationspartners<br />

aufstachelnder <strong>und</strong> befriedigender sexualbezogener Fantasien. Für die Bewertung, ob sich die Ausführungen des<br />

Angeklagten noch im Bereich solcher Fantasien bewegen, hätte der Umstand nicht unberücksichtigt bleiben dürfen,<br />

dass der Angeklagte bislang gegenüber Kindern nicht sexuell übergriffig geworden ist.<br />

(3) Der Senat sieht davon ab, den Sachverhalt neu als Verbrechensverabredung aufklären zu lassen. Hierfür erforderliche<br />

zusätzliche selbstbelastende Bek<strong>und</strong>ungen des Angeklagten erscheinen ausgeschlossen. Auch unter anderen<br />

Tatbestandsvarianten des § 30 <strong>StGB</strong> wird sich eine Strafbarkeit nicht begründen lassen. Die hier soeben dargelegten<br />

Defizite in der Beweiswürdigung legen es nahe, dass ein neu berufenes Tatgericht auch zu keiner Verurteilung nach<br />

§ 30 Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong> wegen strafbarer versuchter Anstiftung (vgl. Roxin, JA 1979, 169, 170) oder wegen Sichbereiterklärens<br />

im Sinne des § 30 Abs. 2 <strong>StGB</strong> (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2009 – 2 StR 165/08, BGHSt 53, 174,<br />

177; BGH, Beschluss vom 11. August 1999 – 5 StR 217/99, BGHR <strong>StGB</strong> § 30 Abs. 2 Verabredung 5; Fischer, aaO,<br />

§ 30 Rn. 10) kommen wird. Ausschlaggebend für eine zu unterlassende Zurückverweisung ist indes jedenfalls, dass<br />

die Annahme einer Straflosigkeit nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> unumgänglich sein wird. Der Angeklagte muss, um<br />

nach dieser Vorschrift Straflosigkeit zu er-langen, sein Vorhaben lediglich aufgegeben haben. Insoweit verlangt das<br />

Gesetz weniger als die bis Ende 1974 geltende Vorgängerregelung des § 49a Abs. 3 Nr. 3 <strong>StGB</strong>, wonach ein Widerruf<br />

der Erklärung geboten war, durch die der Täter sich zu einem Verbrechen bereit erklärt hatte. Die Aufgabe des<br />

Vorhabens ist vom Tatgericht – wie andere innere Tatsachen – beweiswürdigend aus den gesamten Umständen festzustellen.<br />

Das Erfordernis einer Erkennbarkeit nach außen ist – entgegen der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten<br />

Vorstellung (BT-Drucks. IV/650, 155) – dem Gesetzeswort-laut nicht zu entnehmen (Roxin, aaO, S. 324 Rn. 98 bis<br />

100; im Ergebnis ebenso die weit überwiegende Meinung in der Literatur: vgl. nur Schünemann, aaO, § 31 Rn. 16 f.;<br />

Heine in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 31 Rn. 8; Hoyer in SK-<strong>StGB</strong>, 7. Aufl., § 31 Rn. 14 f.; Fischer, aaO, §<br />

31 Rn. 4; Joecks in MK-<strong>StGB</strong>, § 31 Rn. 18; aA Lackner/Kühl, <strong>StGB</strong>, 27. Aufl., § 31 Rn. 4 mN weiterer gegenteiliger<br />

Auffassungen). Die Aufgabe eines Entschlusses <strong>und</strong> deren äußere Erkennbarkeit sind ebenso zweierlei wie das Fassen<br />

eines Tatentschlusses <strong>und</strong> dessen Hervortreten nach außen (Roxin, aaO, Rn. 100). Es spricht gegen eine freiwillige<br />

Aufgabe des Vorhabens, wenn ein Beschuldigter bei Tatvorbereitungen entdeckt wird oder scheitert, während<br />

der Abbruch Erfolg versprechender Vorbereitungen oder ein Untätigbleiben, wo nach der Bereiterklärung wenigstens<br />

vorbereitende Aktivitäten zu erwarten gewesen wären, auf einen freiwilligen Rücktritt deuten (Roxin, aaO). Nur<br />

79


Letzteres ist nach den getroffenen Feststellungen anzunehmen. Der Angeklagte ist entgegen der Verabredung in<br />

keinen Chatverkehr mehr mit „kees“ eingetreten <strong>und</strong> hat es entgegen der Ankündigung unterlassen, das Ferienhaus<br />

für die in Aussicht genommene Tatzeit zu buchen. Der Tatvorwurf der Verbrechensverabredung hat demnach im Fall<br />

II.14 der Urteilsgründe zu entfallen. Das neu berufene Tatgericht wird lediglich noch eine Strafe hinsichtlich der<br />

tateinheitlich ausgeurteilten Vergehen gemäß § 184b Abs. 2 <strong>und</strong> 4 Satz 1 („Erwerb“ verdrängt „Besitz“ nach Satz 2)<br />

<strong>StGB</strong> festzusetzen haben.<br />

b) Fall II.15 der Urteilsgründe (Verabredung zur besonders schweren Vergewaltigung u.a.; Freiheitsstrafe vier Jahre):<br />

aa) Der Angeklagte befand sich in einer nicht näher bestimmbaren Nacht des Jahres 2009 zwischen 23.25 Uhr <strong>und</strong><br />

4.37 Uhr mit einem Mann im Chatkontakt, der die anonyme Bezeichnung „Big Buddy“ führte. Beide sprachen darüber,<br />

den fünf Jahre alten Sohn des „Big Buddy“ gemeinsam <strong>und</strong> gleichzeitig oral <strong>und</strong> anal an einem Wochenende<br />

während der Herbstferien in einer „Seedatsche“ zu missbrauchen <strong>und</strong> ihm sexuell motivierte Schmerzen zuzufügen.<br />

Der Angeklagte äußerte den Wunsch, „das Tatopfer beim ‚Ficken’ in den Magen zu boxen <strong>und</strong> ihm Stecknadeln<br />

unter die Fußnägel zu stecken“. Auf die Ermahnung des Chatpartners, dass der Angeklagte ja die Grenzen kenne,<br />

konzedierte dieser, „dass der Junge das Ganze schon überleben werde, dass ‚der Arsch’ aber w<strong>und</strong> sein <strong>und</strong> der Junge<br />

auch Griffmarken aufweisen werde“. Der Angeklagte erklärte zum Abschluss des Kontakts, dass „Big Buddy“<br />

ihm im Fall der Verwirklichung des Vorhabens „einen Lebenstraum erfüllen“ würde.<br />

bb) Das Landgericht hat sich beweiswürdigend davon überzeugt, dass der Angeklagte zur Begehung des genügend<br />

konkretisierten Vergewaltigungs- <strong>und</strong> Missbrauchsverbrechens fest entschlossen war. Es vermochte sich aber nicht<br />

davon zu überzeugen, dass auch der Chatpartner des Angeklagten fest vorhatte, sich an dem Verbrechen zum Nachteil<br />

seines Sohnes als Mittäter zu beteiligen. Die Schwurgerichtskammer hat deshalb die Annahme einer Verbrechensverabredung<br />

abgelehnt <strong>und</strong> den Angeklagten wegen eines Sichbereiterklärens im Sinne des § 30 Abs. 2 <strong>StGB</strong><br />

schuldig gesprochen.<br />

cc) Die vom Landgericht hierfür vorgenommene Prüfung des Vorsatzes des Angeklagten ist lückenhaft.<br />

(1) Das Landgericht hat zwar plausible <strong>und</strong> nachvollziehbare Erwägungen angestellt, die belegen, dass der vom<br />

Angeklagten erstrebte Analverkehr einem in der Realität zu verwirklichenden Wunsch des Angeklagten entspringt.<br />

Der Schuldspruch hat aber jedenfalls deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht auch hier keine tragfähige Begründung<br />

für den Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts (§ 31 <strong>StGB</strong>) gef<strong>und</strong>en hat. Es würde einem neu berufenen<br />

Tatgericht nach Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> nicht mehr möglich sein, zu einem<br />

Schuldspruch wegen des Sichbereiterklärens zu einer besonders schweren Vergewaltigung zu kommen. Insoweit<br />

wird auf die obigen Erwägungen zu II.14 der Urteilsgründe (oben Tz. 22) verwiesen <strong>und</strong> darauf, dass in der bisherigen<br />

Beweiswürdigung (UA S. 130) die zentralen Einwände des Angeklagten unberücksichtigt geblieben sind. Diese<br />

könnten nicht anders als ein Aufgeben des Vorhabens bewertet werden.<br />

(2) Die Frage, ob es für die vom Tatgericht angenommene Strafbarkeit angesichts der vollständigen Anonymität<br />

zwischen den Chatpersonen auch an ausreichenden Feststellungen dafür fehlte, dass der Angeklagte im Rahmen des<br />

Chatkontaktes die Annahme des Anerbietens tatsächlich schon ernstlich erstrebt hat (vgl. Fischer, aaO, § 30 Rn. 10),<br />

bedarf danach keiner Vertiefung.<br />

(3) Der Senat sieht auch in diesem Fall davon ab, die Sache neu aufklären <strong>und</strong> bewerten zu lassen. Weitere selbstbelastende<br />

Bek<strong>und</strong>ungen des Angeklagten erscheinen auch insoweit genauso ausgeschlossen wie die Erlangung zusätzlicher<br />

belastender Indizien. Der vom Angeklagten willentlich als Textdatei auf seinem Computer gespeicherte Chatverkehr<br />

mit „Big Buddy“ unterfälllt ohne Weiteres der Strafbarkeit nach § 184b Abs. 4 Satz 2 <strong>StGB</strong>. Der Senat stellt<br />

den Schuldspruch dementsprechend um. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil der<br />

insoweit geständige Angeklagte sich nicht anders hätte verteidigen können.<br />

4. Der Wegfall von drei der vier höchsten Einzelstrafen nötigt zur Aufhebung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe<br />

<strong>und</strong> des maßgeblich auf den zugehörigen Verurteilungen beruhenden Maßregelausspruchs. Dieser hat zu entfallen.<br />

Eine Festsetzung von Strafen, die die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 <strong>StGB</strong> erfüllen könnten, ist nach den Schuldspruchänderungen<br />

<strong>und</strong> den bei der Bemessung der neuen Strafen zu beachtenden Maßstäben sicher auszuschließen.<br />

Die Festsetzung der Strafen in den Fällen II.13 bis 15 <strong>und</strong> der Gesamtfreiheitsstrafe wird auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisher<br />

getroffenen Feststellungen vorzunehmen sein. Diese können freilich um solche ergänzt werden, die den bisher<br />

getroffenen Feststellungen nicht widersprechen.<br />

5. Nachdem ein die Zuständigkeit des Schwurgerichts nach § 74 Abs. 2 GVG begründendes Verbrechen nicht mehr<br />

Verfahrensgegenstand ist, wird sich eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts mit der Sache zu befassen haben<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1994 – 2 StR 264/94, NJW 1994, 3304, 3305, insoweit nicht in BGHSt 40, 251<br />

abgedruckt).<br />

80


<strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 – Tötung von Partisanen im 2. Weltkrieg<br />

BGH, Beschl. v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10 - NJW 2011, 1014<br />

LS: Zur Tötung von Unbeteiligten in Italien im Zweiten Weltkrieg als Rache für einen Partisanenangriff.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 25. Oktober 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts München I vom 11. August 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die<br />

Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu<br />

tragen.<br />

Gründe:<br />

I. Die Strafkammer hat festgestellt: Die zur Heeresgruppe C zählende, vom 1918 geborenen Angeklagten geführte 1.<br />

Kompanie des Gebirgspionierbataillons 818 sollte am 26. Juni 1944 nahe dem Weiler Falzone di Cortona (Toskana)<br />

eine von Partisanen wegen ihrer Bedeutung für den Rückzug der deutschen Truppen gesprengte Brücke reparieren.<br />

Zwei Soldaten, die im Auftrag des Angeklagten Fahrzeuge zum Transport beschaffen sollten, wurden dabei in einem<br />

Hinterhalt von Partisanen erschossen, ein dritter wurde verletzt. Da sich die Partisanen nach dem Anschlag auf die<br />

Soldaten abgesetzt hatten, beschloss der Angeklagte aus Wut <strong>und</strong> Rachsucht eine Vergeltungsaktion gegen die<br />

männliche Zivilbevölkerung der Gegend. Zunächst meldete er den Vorfall dem Bataillonskommandeur <strong>und</strong> regte die<br />

von ihm geplante Maßnahme gegen die italienischen Zivilisten an, die der Bataillonskommandeur entsprechend dem<br />

Wunsch des Angeklagten anordnete <strong>und</strong> außerdem durch ein Flakgeschütz <strong>und</strong> Sprengstoff logistisch unterstützte.<br />

Am nächsten Tag befahl der Angeklagte, alle in der Gegend erreichbaren männlichen Zivilisten festzunehmen. Am<br />

Ende waren dies neun Männer, von denen der älteste 67 Jahre alt war, <strong>und</strong> zwei Jugendliche von 15 <strong>und</strong> 16 Jahren.<br />

Keiner war der Beteiligung an dem Anschlag oder überhaupt der Unterstützung von Partisanen verdächtig. Sie wurden<br />

in einem Haus eingeschlossen. Zwar hatten einige Angst, erschossen zu werden, andere gingen jedoch davon<br />

aus, mit dem Leben davon zu kommen <strong>und</strong> nach Deutschland in ein Konzentrationslager gebracht zu werden, um<br />

dort zu arbeiten. Das Haus wurde alsbald in Anwesenheit <strong>und</strong> auf Befehl des Angeklagten gesprengt. Danach wurde<br />

ebenfalls auf seinen Befehl mit Maschinengewehren in die Trümmer geschossen, um noch lebende Opfer zu töten.<br />

Am Ende überlebte nur der schwer verletzte 15-jährige. Nach der Reparatur der Brücke verließ die Kompanie am 29.<br />

Juni 1944 die Region. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage wurde der Angeklagte wegen zehnfachen Mordes <strong>und</strong> versuchten Mordes<br />

zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision macht Verfahrenshindernisse geltend <strong>und</strong> erhebt Verfahrensrügen<br />

sowie die näher ausgeführte Sachrüge. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

II. Verfahrenshindernisse bestehen nicht. Weder ist das Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) verletzt (1.),<br />

noch ist die Tat verjährt (2.).<br />

1. Allerdings wurde der Angeklagte bereits in Abwesenheit durch Urteil des Militärgerichts La Spezia (Italien) vom<br />

28. September 2006, rechtskräftig seit dem 11. November 2008, wegen dieser Tat zu lebenslanger Haft verurteilt.<br />

a) Das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens - SDÜ - (ABl.<br />

EG 2000 L 239/219) ist hier nicht verletzt. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung, die gr<strong>und</strong>sätzlich auch Abwesenheitsurteile<br />

erfasst (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - C-297/07, NStZ 2009, 454), setzt voraus, dass die in<br />

dem Urteil vom 28. September 2006 verhängte Strafe entweder bereits vollstreckt worden ist oder gerade vollstreckt<br />

wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates (hier: Italien) nicht mehr vollstreckt werden kann. All dies ist nicht der<br />

Fall. Die gegen den Angeklagten in Italien verhängte Freiheitsstrafe ist <strong>und</strong> wird nicht vollstreckt. Sie könnte aber,<br />

wie auch die zuständige italienische Behörde der Strafkammer bestätigt hat, nach italienischem Recht vollstreckt<br />

werden.<br />

b) Nichts anderes als für Art. 54 SDÜ gilt für das mit Art. 54 SDÜ praktisch identische Übereinkommen zwischen<br />

den Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der Doppelbestrafung, das zwar noch nicht umfassend in Kraft getreten<br />

ist, aber sowohl von der B<strong>und</strong>esrepublik als auch von Italien bereits angewendet wird (vgl. hierzu BGH, Beschluss<br />

vom 28. Februar 2001 - 2 StR 458/00, BGHSt 46, 307, 309; Schomburg, StV 1999, 246, 247 ; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Einl. Rn. 177b).<br />

c) Der Senat hat erwogen, ob das Urteil vom 28. September 2006 etwa im Blick auf eine mögliche Auslieferung des<br />

Angeklagten nach Italien oder eine mögliche Vollstreckung dieses Urteils in Deutschland ein Verfahrenshindernis<br />

begründen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 5 StR 115/03). Dies war jedoch zu verneinen.<br />

(1) Italien hat bisher keinen Antrag auf Auslieferung des Angeklagten gestellt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass<br />

sich dies ändern könnte, bestehen nicht. Zwingend ausgeschlossen ist ein solcher Antrag aber auch nicht. Die (theo-<br />

81


etische) Möglichkeit, dass ein nicht gestellter Antrag doch noch gestellt wird, führt nicht dazu, dass rechtliche Konsequenzen,<br />

die ein solcher Antrag im Falle seines Erfolges hätte, ein Verfahrenshindernis begründen würden. Im<br />

Übrigen wäre eine Auslieferung des Angeklagten zum Zwecke der Strafvollstreckung nur mit seiner Zustimmung<br />

möglich (§ 80 Abs. 3 Satz 1 IRG).<br />

(2) Auch ein Antrag von Italien an die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, die Vollstreckung des Urteils vom 28. September<br />

2006 zu übernehmen, ist nicht gestellt. Allerdings müsste die B<strong>und</strong>esrepublik im Falle der Ablehnung einer Auslieferung<br />

die Strafvollstreckung übernehmen (Art. 4 Nr. 6 RbEuH, vgl. auch § 48 IRG), jedoch ebenfalls nur auf<br />

Verlangen des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, hier also von Italien (vgl. Hackner, Schomburg, Lagodny, Gleß,<br />

NStZ 2006, 663, 667; Burchard/Brodowsky, StraFo 2010, 179, 185; vgl. auch § 80 Abs. 4 Satz 1 IRG „Ersuchen um<br />

Vollstreckung“). Wie dargelegt, kann allein die Möglichkeit eines tatsächlich nicht gestellten Antrags auf Auslieferung<br />

kein Verfahrenshindernis begründen; für die Möglichkeit, auf der Gr<strong>und</strong>lage der Annahme von Erfolglosigkeit<br />

des nicht gestellten Auslieferungsantrages einen Antrag auf Übernahme der Vollstreckung zu stellen, gilt nichts<br />

anderes. Aus alledem ergibt sich insgesamt, dass das Urteil vom 28. September 2006 deshalb kein Verfahrenshindernis<br />

begründet, weil die Vollstreckung dieses Urteils sowohl aus rechtlichen als aus praktischen Gründen weder in<br />

Italien noch in Deutschland zu erwarten ist (vgl. Burchard/Brodowsky aaO 186). Auch die Revision zweifelt all dies<br />

nicht an.<br />

d) Auch die im Vertrag von Lissabon enthaltene Charta der Gr<strong>und</strong>rechte (GrCh), die am 1. Dezember 2009 in Kraft<br />

getreten ist (BGBl. II S. 1223) <strong>und</strong> die der Senat daher - anders als noch die Strafkammer - zu beachten hat (§ 354a<br />

StPO), führt zu keinem anderen Ergebnis. Allerdings ist das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 50 GrCh, anders als<br />

das entsprechende Verbot in Art. 54 SDÜ (vgl. oben II 1. a), nicht ausdrücklich durch Vollstreckungsbedingungen<br />

modifiziert. Jedoch können gemäß Art. 52 Abs. 1 GrCh die in der Charta anerkannten Rechte durch gesetzliche Regelungen<br />

eingeschränkt werden, die den Wesensgehalt der Charta achten. Art. 54 SDÜ ist eine solche einschränkende<br />

Regelung. Dies ergibt sich aus den Erläuterungen des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta<br />

(ABl. EG 2004 C 310/453; aktualisierte Fassung ABl. EU 2007 C 303/17), die ausweislich der Präambel der Charta<br />

bei deren Auslegung durch die Gerichte zu berücksichtigen sind. Dort heißt es zu Art. 50 GrCh: „Nach Art. 50 findet<br />

der Gr<strong>und</strong>satz ‚ne bis in idem’ nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den<br />

Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten seine Anwendung. Dies entspricht dem Rechtsbesitzstand der Union;<br />

siehe Artikel 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens (…). Die klar eingegrenzten Ausnahmen, in<br />

denen die Mitgliedstaaten nach diesen Übereinkommen von dem Gr<strong>und</strong>satz ‚ne bis in idem’ abweichen können, sind<br />

von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt.“ Danach besteht kein<br />

Zweifel, dass der Gr<strong>und</strong>satz „ne bis in idem“ auch im Blick auf Art. 50 GrCh nur nach Maßgabe von Art. 54 SDÜ<br />

gilt, also hier nicht eingreift (Burchard/Brodowsky aaO, 184 im Ergebnis ebenso LG Aachen, StV 2010, 237 in einem<br />

im Rahmen eines noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ergangenen Beschluss, der allerdings auf<br />

die oben genannten Erläuterungen nicht eingeht; a.A. in einer Anmerkung hierzu Reichling [aaO, 238], der aber die<br />

Erläuterungen zur GrCh ebenfalls nicht anspricht). Art. 52 Abs. 2 GrCh, wonach die Ausübung der durch die Charta<br />

anerkannten Rechte, die in den Gemeinschaftsverträgen oder im Vertrag über die Europäische Union begründet sind,<br />

nur im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen <strong>und</strong> Grenzen erfolgen darf, ist hier entgegen der Auffassung der<br />

Revision nicht einschlägig. „Ne bis in idem“ ist nicht durch diese Verträge begründet, sondern als über nationales<br />

Recht hinausgehender europarechtlicher Gr<strong>und</strong>satz vom EuGH im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung entwickelt<br />

worden (Schwarze/Stumpf, EU-Kommentar, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 12 u. 30 mwN); hierauf findet Art. 52<br />

Abs. 2 GrCh keine Anwendung (Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl., Art. 52 GrCh Rn. 6 f.). Für die<br />

von der Revision in diesem Zusammenhang angeregte Vorlage der Sache an den EuGH ist kein Raum. Die richtige<br />

Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist angesichts der dargelegten Erläuterungen offenk<strong>und</strong>ig <strong>und</strong> zweifelsfrei<br />

(„acte-claire-Doktrin“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81 , NJW 1983, 1257; BVerfG, Beschluss<br />

vom 6. Mai 2008 - 2 BvR 2419/06). Die Klarheit der Rechtslage, die sich aus den Erläuterungen ergibt, wird<br />

nicht dadurch zweifelhaft, dass das Landgericht Aachen (aaO) diese Erläuterungen, die der Sache nach seine Entscheidung<br />

bestätigen, nicht erwähnt. Der Senat ist nicht der Auffassung, dass dadurch eine „mangelnde Verbreitung“<br />

der Erläuterungen „offenk<strong>und</strong>ig“ <strong>und</strong> nicht zuletzt deshalb eine Vorlage an den EuGH geboten sei (so Burchard/Brodowsky,<br />

aaO, 185). Die Präambel der Charta selbst weist auf die Erläuterungen hin, deren Text in einschlägigen<br />

Gesetzessammlungen <strong>und</strong> juristischen Werken, aber auch im Internet ohne weiteres zu finden ist. Der Frage, ob<br />

eine noch nicht überall verbreitete Kenntnis der Gr<strong>und</strong>lage einer eindeutigen Rechtslage die Eindeutigkeit der<br />

Rechtslage selbst überhaupt in Frage stellen könnte, geht der Senat daher nicht nach.<br />

82


2. Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten. Anders wäre es nur, wenn die Verjährungsfrist unmittelbar nach der<br />

Tat zu laufen begonnen hätte (a) oder wenn die Tat - hierauf hebt die Revision ab - nicht als Mord (§ 211 <strong>StGB</strong>) zu<br />

werten wäre (b). Beides ist nicht der Fall.<br />

a) Da Mord zur Tatzeit nach 20 Jahren verjährte (§ 67 Abs. 1, 1. Alt., § 211 Abs. 1 R<strong>StGB</strong>) wäre im Juni 1964 Verjährung<br />

eingetreten, wenn diese nicht bis Kriegsende geruht hätte (§ 69 <strong>StGB</strong> aF; entspricht § 78b <strong>StGB</strong>). Sonst<br />

hätten die Gesetze vom 13. April 1965 (BGBl. I S. 315), 4. August 1969 (BGBl. I S. 1065) <strong>und</strong> 16. Juli 1979 (BGBl.<br />

I S. 1045) zur Neuberechnung, Verlängerung <strong>und</strong> Aufhebung der Verjährungsfrist die Tat nicht mehr erfasst (vgl.<br />

näher BGH, Urteil vom 1. März 1995 - 2 StR 331/94, NJW 1995, 1297). Geruht hat die Verjährung bis zum Kriegsende<br />

(u.a.) dann, wenn die Tat den zu ihrer Verfolgung berufenen Stellen zwar bekannt war, eine Verfolgung aber<br />

aus politischen Gründen unterblieb (BGH aaO; BGH, Urteil vom 29. Oktober 1969 - 2 StR 57/69, BGHSt 23, 137;<br />

BGH, Urteil vom 28. Mai 1963 - 1 StR 540/62, BGHSt 18, 367 jew. mwN). So verhält es sich hier. Nach den damaligen<br />

Bestimmungen hatte ein militärischer Vorgesetzter eine ihm bekannt gewordene gerichtlich zu verfolgende<br />

Straftat eines Untergebenen dem „Gerichtsherrn“ mitzuteilen. Hier meldete der Angeklagte dem Bataillonskommandeur<br />

die geplante Racheaktion, der sie auf dessen Wunsch hin „anordnete“ <strong>und</strong> logistisch unterstützte. Dies entsprach<br />

dem auch im angefochtenen Urteil zitierten kurz zuvor ergangenen Befehl von Generalfeldmarschall Kesselring,<br />

Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Italien, vom 17. Juni 1944 (sog. erster Bandenbefehl). Danach war der „Kampf<br />

gegen die Banden“ - also Partisanen - „mit allen (…) Mitteln <strong>und</strong> (…) größter Schärfe“ durchzuführen. Dem, der bei<br />

der Wahl <strong>und</strong> Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der Banden über das „übliche zurückhaltende Maß“ hinausginge,<br />

wurde Deckung zugesagt. Dies belegt, dass die Verfolgung einer Tat im Zusammenhang mit der sog. Bandenbekämpfung,<br />

wie die Tötung von „Sühnegefangenen/-geiseln“ (zum Begriff vgl. Artzt/Penner, Geisel- <strong>und</strong> Partisanentötungen<br />

im Zweiten Weltkrieg - Hinweise zur rechtlichen Beurteilung - Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen<br />

in Ludwigsburg 1968 S. 3 mwN) als Vergeltung für die Tötung deutscher Soldaten durch Partisanen, aus den<br />

genannten Gründen unterbleiben sollte. Auch die von der Strafkammer zur „Verfolgungswahrscheinlichkeit“ der Tat<br />

gehörte Sachverständige Dr. von L. , die auf diesem Gebiet intensiv geforscht hat, hält eine Verfolgung einer solchen<br />

Tat im Hinblick auf die damalige Befehlslage für ausgeschlossen. Dabei verweist sie auch darauf, dass die vollständig<br />

erhaltenen <strong>und</strong> nunmehr umfassend ausgewerteten Gerichtsakten der Heeresgruppe C insbesondere auch nach<br />

diesem Befehl kein Verfahren gegen einen deutschen Soldaten wegen einer Tat zum Nachteil italienischer Zivilisten<br />

dokumentieren. Soweit es Hinweise auf die Meldung solcher Vorgänge an zur Mitwirkung an ihrer Strafverfolgung<br />

berufene Stellen gibt, wurden diese indes nicht aktenk<strong>und</strong>ig gemacht. Allerdings hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Zweifelssatzes die Annahme gebilligt, dass bei einer im Oktober 1943 begangenen, als Mord bewerteten<br />

Tötung italienischer Zivilisten durch einen deutschen Offizier die Möglichkeit einer Strafverfolgung schon vor<br />

Kriegsende nicht ausgeschlossen gewesen sei (BGH, Urteil vom 1. März 1995 - 2 StR 331/94, NJW 1995, 1297).<br />

Jedoch war in jenem Fall die Befehlslage zur Tatzeit am Tatort unklar <strong>und</strong> es stand die Möglichkeit eines individuellen<br />

Exzesses im Raum, der möglicherweise nur deshalb nicht verfolgt wurde, weil er nicht bekannt wurde. Hier war<br />

demgegenüber die Befehlslage eindeutig <strong>und</strong> die Tat kein individueller, unbekannt gebliebener Exzess. Sie geschah<br />

vielmehr im Einvernehmen mit dem Vorgesetzten <strong>und</strong> mit dessen Unterstützung. Nach alledem hat die Verjährung<br />

bis Kriegsende geruht, so dass die genannten Gesetze von 1965, 1969 <strong>und</strong> 1979 eingreifen <strong>und</strong> die Tat daher noch<br />

verfolgbar ist.<br />

b) Weitere Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie als Mord (§ 211 <strong>StGB</strong>) zu werten ist, da lediglich insoweit die<br />

Verjährung aufgehoben ist. Läge etwa (nur) Totschlag (§ 212 <strong>StGB</strong>) vor, wäre inzwischen Verjährung eingetreten.<br />

Ob Mord vorliegt, ist hier daher nicht erst bei der sachlich-rechtlichen Überprüfung des Schuldspruchs, sondern<br />

schon bei der Frage, ob das Verfahrenshindernis der Verjährung vorliegt, von entscheidender Bedeutung. Die Strafkammer<br />

hat die von dem Angeklagten befohlene Tötung der italienischen Zivilisten zu Recht als Mord bewertet. Sie<br />

hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe rechtsfehlerfrei bejaht. Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

ist ein Tötungsbeweggr<strong>und</strong> niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe<br />

steht <strong>und</strong> deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung,<br />

welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters <strong>und</strong> seine Persönlichkeit einschließt (BGH, Urteil<br />

vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 130 mwN). Bei einer Tötung aus Wut <strong>und</strong> Verärgerung<br />

kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (BGH aaO mwN).<br />

Bei diesen Abwägungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch<br />

eigene Erwägungen ausfüllen kann (BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - 1 StR 30/05; BGH, Urteil vom 13. Februar<br />

2007 - 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330, 331; jew. mwN). Hat der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt <strong>und</strong> den<br />

Sachverhalt vollständig gewürdigt, ist seine Würdigung nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober<br />

2005 - 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285). Diesen Anforderungen an die vorzunehmende Gesamtwürdigung wird<br />

83


das angefochtene Urteil gerecht. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs sind rachemotivierte Tötungen<br />

nicht ohne weiteres als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten, sondern vielmehr erst dann, wenn die Gefühlsregungen,<br />

auf denen sie beruhen, ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich<br />

sind, wie z.B. nach einem vom Opfer begangenen schweren Unrecht oder einer schwerwiegenden Kränkung<br />

des Täters durch das Opfer, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (BGH, Beschluss<br />

vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008 mwN). Hier war der Angeklagte von der Tötung der beiden<br />

zu seiner Kompanie gehörenden Soldaten, die in seinem Auftrag unterwegs waren, durch die Partisanen zwar persönlich<br />

betroffen. Die italienischen Zivilisten, deren Tötung der Angeklagte im Rahmen der von ihm befehligten Vergeltungsmaßnahme<br />

veranlasste, hatten aber nach den Feststellungen des Landgerichts mit dem Partisanenüberfall nichts<br />

zu tun. Keines der Opfer stand in dem Verdacht, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein oder die Partisanen in<br />

irgendeiner Form unterstützt zu haben. Hinzu kommt, dass es dem Angeklagten nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

bei der Durchführung der Vergeltungsaktion darum ging, möglichst „alle, junge wie alte, männlichen Einwohner<br />

der umliegenden Ortschaften (…), derer seine Einheit habhaft werden konnte“, zu töten. Ein solcher zufälliger,<br />

unterschiedsloser <strong>und</strong> deshalb willkürlicher Rückgriff auf die gesamte männliche Zivilbevölkerung eines ganzen<br />

Landstrichs, mit dem Ziel, diese auszulöschen, offenbart ebenfalls die niedere Gesinnung des Angeklagten bei der<br />

Tatbegehung, der hierdurch ein außerordentliches Maß an Missachtung der körperlichen Integrität seiner Opfer zum<br />

Ausdruck gebracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 - 5 StR 306/03, BGHR <strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 Niedrige<br />

Beweggründe 43; BGH, Urteil vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01, BGHR <strong>StGB</strong> § 11 Abs. 2 Niedrige Beweggründe<br />

40). Dieses Maß an Missachtung zeigt sich darüber hinaus auch besonders in der Vorbereitung <strong>und</strong> Durchführung<br />

der Tötung der unschuldigen Zivilisten auf Anordnung des Angeklagten. Bei der von dem Angeklagten<br />

veranlassten Vergeltungsaktion handelte es sich nicht um eine Spontantat (vgl. allgemein zur Bedeutung eines spontanen<br />

Tatentschlusses für die Annahme niedriger Beweggründe BGH, Urteil vom 19. Juli 2000 - 2 StR 96/00, NStZ<br />

2001, 87; BGH, Urteil vom 14. Juli 1988 - 4 StR 210/88, BGHR <strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 11). Sie<br />

war vielmehr von dem Angeklagten gründlich vorbereitet. Für die Durchführung war ihm auf seinen Wunsch hin<br />

schon am Vortag durch das Bataillonskommando logistische Unterstützung durch mehrere Kisten Sprengstoff <strong>und</strong><br />

ein Flakgeschütz (das beim Durchkämmen der Wälder dazu eingesetzt werden sollte, die sich dort versteckt haltenden<br />

Personen aufzuscheuchen) gewährt worden. Die ihm unterstellten Zugführer informierte er schon am Vorabend<br />

der Tat über die von ihm geplante Vergeltungsaktion. Seine Opfer hingegen ließ er bis zur Sprengung des Gebäudes,<br />

in dem sie eingesperrt worden waren, über ihr Schicksal im Ungewissen. Keinem von ihnen war klar, dass ein Angriff<br />

auf sein Leben unmittelbar bevorstand, obwohl der Angeklagte dies seit langem schon so entschieden hatte.<br />

Angesichts dieser Umstände stellt sich die von dem Angeklagten veranlasste Tötung der Zivilisten durch Sprengung<br />

des Gebäudes <strong>und</strong> das sich anschließende Maschinengewehrfeuer, was jeweils für sich gesehen schon eine entwürdigende<br />

<strong>und</strong> erniedrigende Hinrichtungsart ist (vgl. Gribbohm, Selbst mit einer Repressalquote von zehn zu eins? Über<br />

Recht <strong>und</strong> Unrecht einer Geiseltötung im Zweiten Weltkrieg - Rechtsgeschichte <strong>und</strong> Rechtsgeschehen Kleine Schriften<br />

Bd. 6, S. 29), als besonders menschenverachtend dar (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 - 5 StR 306/03, BGHR<br />

<strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 43 mwN). Eine solche aus Rachsucht motivierte <strong>und</strong> gründlich vorbereitete<br />

Tötung von Unschuldigen, die durch ihr Verhalten keine Veranlassung für die durchgeführte Vergeltungsmaßnahme<br />

gegeben haben, durch Sprengung eines Gebäudes <strong>und</strong> anschließendes Maschinengewehrfeuer kann daher<br />

selbst vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer kriegsbedingten Ausnahmesituation nicht mehr als menschlich verständliche Handlung<br />

des Angeklagten angesehen werden. Sie ist vielmehr Ausdruck einer auf tiefster Stufe stehenden <strong>und</strong> besonders<br />

verachtenswerten Gesinnung. Mit dieser Wertung hat das Landgericht seinen aufgezeigten Beurteilungsspielraum<br />

offensichtlich nicht überschritten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1975 - 1 StR 192/75 ; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 5 StR 115/03 [Rz. 38]; allgemein zur Tötung von Unbeteiligten vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni<br />

2004 - 5 StR 306/03, BGHR <strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 43).<br />

III. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend dargelegten<br />

Gründen, die auch durch die Erwiderung der Revision nicht entkräftet werden, unbegründet.<br />

IV. Auch die Sachrüge bleibt erfolglos. Der Angeklagte war erstmals 2005 auf Ersuchen der italienischen Behörden<br />

als Beschuldigter vernommen worden. Damals hatte er erklärt, er habe mit der Tat nichts zu tun, so etwas wäre illegal<br />

<strong>und</strong> mit seinem Soldateneid nicht vereinbar gewesen. Auch im gesamten weiteren Verfahrensverlauf hat er die<br />

Tat nicht eingeräumt. Die Strafkammer sieht ihn dennoch als überführt an, weil die Racheaktion gegenüber der italienischen<br />

Zivilbevölkerung nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme ausschließlich von Soldaten der<br />

1. Kompanie des Gebirgspionierbataillons 818 durchgeführt wurde, deren alleiniger befehlshabender Offizier zur<br />

Tatzeit der Angeklagte war. Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung sind nicht ersichtlich. Auch die rechtliche Be-<br />

84


wertung der Tat durch die Strafkammer als Mord (§ 211 <strong>StGB</strong>) ist zutreffend (vgl. oben II 2. b). Anders als die Revision<br />

meint, ist die Tat auch weder als Kriegsrepressalie gerechtfertigt (1.), noch als Handeln auf Befehl straffrei (2.).<br />

1. Eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Bewertung der Tat als eine zur Tatzeit nach Kriegsvölkergewohnheitsrecht<br />

zulässige Kriegsrepressalie kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen hierfür sowohl in subjektiver<br />

als auch in objektiver Hinsicht fehlen.<br />

a) Die Annahme eines Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es erfordert neben seinen objektiven Voraussetzungen auch ein oft<br />

„Rechtfertigungsvorsatz“ genanntes subjektives Rechtfertigungselement. Die rechtfertigenden Umstände müssen<br />

dem Täter bekannt sein <strong>und</strong> sich im Motiv seines Handelns niederschlagen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15.<br />

Januar 1952 - 1 StR 552/51, BGHSt 2, 111, 114 ; BGH, Beschluss vom 8. März 2000 -<br />

3 StR 67/00, NStZ 2000, 365, 366 ; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 - 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245,<br />

247 ; BGH MDR 1953, 401 ; LK-Rönnau, 12. Aufl., vor § 32 Rn. 82 Fußn. 295 mwN<br />

auch zu anderen Rechtfertigungsgründen). Gründe für die Annahme, bei einer möglichen Rechtfertigung wegen<br />

einer Kriegsrepressalie gelte anderes, sind nicht ersichtlich (zur Notwendigkeit eines „Rechtfertigungsvorsatzes“ bei<br />

allen Rechtfertigungsgründen vgl. auch eingehend Rönnau aaO Rn. 82 mwN). Hier ist der Angeklagte bei der Tat<br />

jedoch nicht davon ausgegangen, er handle im Rahmen einer zur Tat vom Recht gedeckten Kriegsrepressalie. Dagegen<br />

spricht seine Einlassung, er habe die von ihm selbst als illegal <strong>und</strong> mit seinem Soldateneid nicht vereinbar bewertete<br />

Tat nicht begangen. Durch die so begründete Ablehnung eines „Rechtfertigungsvorsatzes“ entstehen dem<br />

Angeklagten hier keine Nachteile aus einem zulässigen Verteidigungsverhalten. Allerdings kann ein die Tat bestreitender<br />

Angeklagter nicht zugleich (möglicherweise) strafmildernde Umstände vorbringen. Gleichwohl, so die Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofes insbesondere im Zusammenhang mit § 213 <strong>StGB</strong>, ist insoweit von der dem Angeklagten<br />

günstigsten Möglichkeit auszugehen, die nach den konkreten Umständen in Betracht kommt, damit ihm<br />

aus zulässigem Verteidigungsverhalten keine Nachteile erwachsen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 1996 - 1 StR<br />

338/96, NStZ-RR 1997, 99 mwN). Diese Fälle sind dem vorliegenden Fall zwar ähnlich, aber nicht mit ihm identisch.<br />

Dort erscheint möglich, dass der Angeklagte sich nicht wahrheitsgemäß auf Strafmilderungsgründe beruft, weil<br />

er lieber freigesprochen als (nur) milder bestraft werden will. Hier wäre demgegenüber zu unterstellen, dass der<br />

Angeklagte sich nicht wahrheitsgemäß auf Gesichtspunkte beruft, die (möglicherweise) zu einem Freispruch wegen<br />

eines Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es führen könnten, weil er lieber mangels Tatnachweises freigesprochen werden will.<br />

Letztlich braucht der Senat diesem Unterschied aber nicht näher nachzugehen. Die Strafkammer hat nämlich mit<br />

rechtsfehlerfreien Erwägungen im Einzelnen dargelegt, dass der Angeklagte bei der Tat wusste, dass sie unter militärischen<br />

Gesichtspunkten keinen Sinn hatte, sondern ausschließlich der Rache für den Anschlag an hieran Unbeteiligten<br />

diente, <strong>und</strong> dass sein Vorgehen deshalb - entsprechend seiner eigenen Bewertung im Rahmen seines Verteidigungsvorbringens<br />

- einen rein verbrecherischen Charakter hatte.<br />

b) Ohnehin kommt eine Rechtfertigung des Angeklagten mit Blick auf eine nach damaligem Kriegsvölkergewohnheitsrecht<br />

als zulässig angesehene Kriegsrepressalie durch Tötung von „Sühnegefangenen“ hier nicht in Betracht (zur<br />

Fortgeltung des Kriegsvölkergewohnheitsrechts für sog. „Altfälle“ vgl. Gribbohm aaO S. 32 mwN; zur Zulässigkeit<br />

von Kriegsrepressalien vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 5 StR 115/03, BGHSt 49, 189, 193 mwN <strong>und</strong> zu<br />

deren völkerrechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen zusammenfassend Gribbohm aaO S. 5 ff, 25 ff m. zahlr. Nachw.). Die auch nach<br />

damaligem Rechtsverständnis hierfür erforderlichen objektiven Voraussetzungen waren nämlich insgesamt nicht<br />

erfüllt. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Umfeldes, als auch hinsichtlich der Auswahl der Opfer, der Art ihrer Tötung<br />

<strong>und</strong> dem darauf folgenden Geschehen.<br />

(1) Regelmäßige Voraussetzung für eine derartige Aktion war, dass sie letztlich im besetzten Gebiet zur Aufrechterhaltung<br />

der öffentlichen Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung diente (Gribbohm aaO S. 25; Artzt/Penner aaO S. 5 f unter Hinweis<br />

auf Art. 43 HLKO). Schon daran fehlte es. Das in Rede stehende Gebiet war nicht (mehr) von den Deutschen besetzt,<br />

die Alliierten waren wenige Kilometer entfernt, der Angeklagte war mit seinem Truppenteil nur kurzfristig in der<br />

Region, um die für den Rückzug wichtige Brücke zu reparieren, eine wie auch immer geartete Berechtigung oder<br />

Verpflichtung, gegenüber der einheimischen Bevölkerung noch öffentliche Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung durchzusetzen,<br />

bestand, auch wenn sie sonst bestanden haben sollte, zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr. Eine im Rahmen<br />

von Kriegsgeschehen erfolgte „vorbeugende Erschießung“ zur Abwehr womöglich anderweitig drohender künftiger<br />

Gefahren hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof als „verbrecherisch“ bewertet (BGH, Urteil vom 30. September 1960 - 4 StR<br />

242/60, BGHSt 15, 214, 217). Es ist nicht ersichtlich, warum für eine vorbeugende Tötung Unbeteiligter, die nicht<br />

der Wahrung <strong>und</strong> Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung in einem besetzten Gebiet diente, anderes<br />

gelten könnte.<br />

(2) Kriegsrepressalien waren von der so genannten Humanitätsschranke begrenzt. Wenn auch - um so mehr nach<br />

heutigem Verständnis - eine wie auch immer durchgeführte „humane“ Tötung Unschuldiger kaum vorstellbar ist, so<br />

85


fiel unter diesen Begriff jedenfalls schon damals das Verbot von Kriegsrepressalien gegen Frauen <strong>und</strong> Kinder (vgl.<br />

BGH, Urteil vom 5. Mai 1955 - 3 StR 603/54 ;<br />

BGH, Urteil vom 17. März 1967 - 4 StR 464/66, wo zwischen „Kindern“ <strong>und</strong> „Kleinkindern“ nicht durchgängig<br />

unterschieden ist; vgl. auch Artzt/Penner aaO S. 26; v. Münch, Geschichte vor Gericht - Der Fall Engel, S. 55). Die<br />

Revision meint, die hier Opfer gewordenen Personen im Alter von damals 15 <strong>und</strong> 16 Jahren seien keine Kinder gewesen.<br />

Der Senat neigt nicht zu dieser Auffassung. Das Gesetz definiert den Begriff des Kindes nicht einheitlich. Die<br />

UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 - in Deutschland seit dem 5. April 1992 in Kraft (vgl. die<br />

Bekanntmachung vom 10. Juli 1992, BGBl. II S. 990) - definiert in Art. 1 Kinder als Personen, die das 18. Lebensjahr<br />

noch nicht vollendet haben. Entsprechend dem jeweiligen Regelungsbedarf hat der Begriff des Kindes etwa im<br />

Strafrecht einen anderen Inhalt als im Unterhalts-recht oder im Erbrecht. Fehlt, wie hier, mangels Kodifikation eine<br />

ausdrückliche Altersgrenze zur Definition des Begriffs des Kindes, ist daher auf den Regelungszusammenhang abzustellen<br />

(in vergleichbarem Sinne OLG Zweibrücken NStZ 1985, 179, 180). Aus der damals vorgenommenen Gleichsetzung<br />

von Frauen <strong>und</strong> Kindern ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass Kriegsrepressalien nicht gegen solche<br />

Personen gerichtet sein sollten, die schon im Ansatz nicht (Frauen) oder noch nicht (Kinder) als reguläre Soldaten in<br />

Frage gekommen wären. Nach dem damals geltenden italienischen Wehrpflichtgesetz begann die Wehrpflicht jedoch<br />

erst mit 17 Jahren (v. Münch aaO S. 104), so dass hier die beiden von der Vergeltungsaktion betroffenen Jugendlichen<br />

nicht zum Militärdienst hätten eingezogen werden können, weshalb sie nach Auffassung des Senats im vorliegenden<br />

Fall als Kinder angesehen werden müssen.<br />

(3) Als ein für die Beurteilung der „Humanität“ einer Tötung im Rahmen einer Repressalie wesentlicher Gesichtspunkt<br />

wurde damals auch vielfach die Art der Tötung angesehen (Gribbohm aaO S. 29; Artzt/Penner S. 26). Als eine<br />

entwürdigende <strong>und</strong> erniedrigende <strong>und</strong> daher inhumane <strong>und</strong> von Kriegsrecht nicht gedeckte Tötungsart galt die hier<br />

praktizierte Sprengung des Gebäudes, in dem die über ihr Schicksal bewusst im Unklaren gelassenen Opfer gefangen<br />

gehalten wurden (Gribbohm aaO S. 28 f). Für das zusätzlich anschließend noch praktizierte Maschinengewehrfeuer<br />

gilt nichts anderes (Gribbohm aaO S. 29; vgl. auch v. Münch aaO S. 112).<br />

(4) Als völkerrechtlich unumstrittenste Anforderung an die Rechtmäßigkeit einer Kriegsrepressalie galt in diesem<br />

Zusammenhang die so genannte Notifikation, d.h. die öffentliche Bekanntmachung des Geschehens (BGH, Beschluss<br />

vom 17. Juni 2004 - 5 StR 115/03, BGHSt 49, 189, 193; BGH, Urteil vom 30. September 1960 - 4 StR<br />

242/60, BGHSt 15, 214, 217; Artzt/Penner aaO S. 28; Gribbohm aaO S. 29). Ihr Sinn lag darin, dass einerseits das<br />

Ziel der Abschreckung vor künftigen Wiederholungen von gegen die Besatzungsmacht gerichteten Anschlägen erreicht<br />

werden sollte (Artzt/Penner aaO) <strong>und</strong> andererseits gezeigt werden sollte, „dass die Maßnahmen der Durchsetzung<br />

des Rechts dienen (…) <strong>und</strong> deshalb das Tageslicht nicht zu scheuen brauchen“ (Gribbohm aaO S. 28). Eine<br />

solche Bekanntmachung ist vorliegend nicht erfolgt. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie<br />

ursprünglich vor Begehung der Tat beabsichtigt gewesen wäre.<br />

c) Es mag zwar in Einzelfällen durchaus vorstellbar sein, dass trotz der Nichteinhaltung einzelner, auch nach damaligem<br />

Kriegsvölkergewohnheitsrecht an die Rechtmäßigkeit einer Kriegsrepressalie zu stellenden Anforderungen im<br />

Hinblick auf die Gesamtumstände ausnahmsweise von einer zulässigen (Repressal)Maßnahme ausgegangen werden<br />

kann (Gribbohm aaO S. 30). Dies ist hier aber nicht der Fall. Auch eine Gesamtschau der Tatumstände unter Berücksichtigung<br />

der oben genannten Punkte führt hier dazu, dass die Auffassung der Strafkammer, die objektiven Voraussetzungen<br />

einer zulässigen Kriegsrepressalie würden hier fehlen, rechtlicher Überprüfung ohne weiteres Stand hält.<br />

d) Nachdem die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es weder in subjektiver noch in objektiver Hinsicht<br />

vorliegen, braucht der Senat der un-einheitlich beurteilten Frage nicht nachzugehen, welche Konsequenzen sich dann<br />

ergeben könnten, wenn zwar die objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es vorliegen, dieser aber<br />

gleichwohl wegen des fehlenden „Rechtfertigungsvorsatzes“ nicht eingreift (vgl. hierzu Rönnau aaO Rn. 88, 90<br />

mwN für die unterschiedlichen Auffassungen).<br />

2. Die Tat ist schließlich auch nicht nach § 47 Abs. 1 Satz 1 des zur Tatzeit geltenden Militärstrafgesetzbuchs<br />

(M<strong>StGB</strong>) straffrei, der noch immer für vor seiner Aufhebung durch das Kontrollratsgesetz Nr. 34 mit Wirkung vom<br />

20. August 1946 begangene Taten anwendbar ist (BGH LM § 47 M<strong>StGB</strong> Nr. 1, 3). Auch in diesem Zusammenhang<br />

braucht der Senat der Frage, ob dem Angeklagten, der sich hier auch nicht auf die Voraussetzungen von § 47 Abs. 1<br />

Satz 1 M<strong>StGB</strong> beruft, durch ein zulässiges Verteidigungsverhalten ein Nachteil entstehen kann, nicht nachzugehen<br />

(vgl. oben IV 1. a), da bereits die objektiven Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vorliegen. Nach § 47 Abs. 1<br />

Satz 1 des zur Tatzeit geltenden M<strong>StGB</strong> ist, von näher beschriebenen Ausnahmen abgesehen, ein befehlender Vorgesetzter<br />

allein verantwortlich, wenn „durch die Ausführung eines Befehls (…) ein Strafgesetz verletzt“ wird (zur heutigen<br />

Rechtslage vgl. MünchKomm<strong>StGB</strong>/Dau, § 5 WStG Rn. 4 mwN). Ein Befehl erforderte aber, dass der Vorgesetzte<br />

- so ältere militär-rechtliche Rechtsprechung - „in gebietender Weise“ (RGSt 58, 110; 64, 69) Gehorsam ver-<br />

86


langt (vgl. auch Schölz/Lingens, WStG, 4. Aufl., § 2 Rn. 9). Hieran fehlte es, wenn der Untergebene seinem Vorgesetzten<br />

eine Maßnahme vorschlug <strong>und</strong> deren Genehmigung einforderte. Auch wenn diese Genehmigung durch den<br />

Vorgesetzten äußerlich ein Befehl ist, fehlt die zur Entlastung des Untergebenen nötige Alleinverantwortlichkeit des<br />

Vorgesetzten, der hier nicht „ausschließlich (…) durch Ausübung seiner Befehlsgewalt (…) die Folgen (…) des<br />

Befehls“ herbeigeführt hat (BGH LM § 47 M<strong>StGB</strong> Nr. 3). Vorliegend beruht die Tat des Angeklagten nicht etwa nur<br />

auf dem Befehl seines Vorgesetzten, sondern sie entsprach seinem Plan, den er schon vor Erteilung des Befehls hatte,<br />

nämlich eine sog. Racheaktion gegenüber der italienischen Zivilbevölkerung durchzuführen. Nur deshalb hatte er<br />

dem Bataillonskommandeur nahegelegt, einen entsprechenden Befehl zu erteilen. Wer einen solchen Plan hat <strong>und</strong><br />

den Vorgesetzten zu dessen Genehmigung, auch in Form eines Befehls, - strafrechtlich gesprochen - anstiftet, kann<br />

nicht mit dem Vorbringen gehört werden, er hätte diesem Befehl gehorchen müssen, da es in einer solchen Situation<br />

an der typischerweise mit der Gehorsamspflicht verb<strong>und</strong>enen, einer Notstandslage nahe kommenden Konfliktslage<br />

eines Untergebenen fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 1971 - 3 StR 337/68; Schölz/Lingens, aaO zu § 5 WStG<br />

Rn. 3). Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass der Angeklagte gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 M<strong>StGB</strong> auch<br />

deshalb als <strong>Teil</strong>nehmer des Mordes zu bestrafen wäre, weil ihm „bekannt gewesen ist, dass der Befehl (…) ein (…)<br />

militärisches Verbrechen (…) bezweckte“.<br />

3. Die Strafzumessung ist rechtsfehlerfrei. Das Alter des Angeklagten, die Dauer des Verfahrens <strong>und</strong> die Zeitspanne<br />

zwischen Tat <strong>und</strong> Aburteilung sind in Fällen der vorliegenden Art keine derart außergewöhnlichen Umstände, aufgr<strong>und</strong><br />

derer die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erschiene (vgl. BGH, Urteil vom 21.<br />

Februar 2002 - 1 StR 538/01, StV 2002, 598).<br />

<strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 – Mord, Verdeckungsabsicht<br />

BGH, Urteil v.17.05.2011 - 1 StR 50/11 - NJW 2011, 2223<br />

LS: Zu den Anforderungen an das Vorliegen von Verdeckungsabsicht (im Anschluss an Senatsurteil<br />

vom 1. Februar 2005 - 1 StR 327/04 = BGHSt 50, 11 f.).<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Juli 2010 mit<br />

den Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben:<br />

a) soweit die Angeklagte wegen Totschlags verurteilt wurde (A. III. 2. der Urteilsgründe) <strong>und</strong><br />

b) im Gesamtstrafenausspruch.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen "Totschlags sowie Betrugs in zwei tatmehrheitlichen Fällen, in einem<br />

Fall mit Urk<strong>und</strong>enfälschung in zwei Fällen, in einem Fall mit Urk<strong>und</strong>enfälschung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von 14 Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Sie<br />

beanstandet mit der Sachrüge, dass die Angeklagte "nur" wegen Totschlags <strong>und</strong> nicht wegen Mordes verurteilt wurde.<br />

Die wirksam hierauf <strong>und</strong> den Gesamtstrafenausspruch beschränkte Revision, die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten<br />

wird, hat Erfolg.<br />

I. 1. Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen: Die Angeklagte gelangte in den Besitz der EC-<br />

Karte der Eheleute P. bei der Deutschen Bank. Sie wurde von ihrer Schwester Bi. beauftragt, Ratenzahlungen für<br />

eine gegen diese verhängte Geldstrafe an die Landesjustizkasse Bamberg zu überweisen. Die Angeklagte füllte am<br />

22. April 2008 für das ihr aus der EC-Karte bekannte Konto der Eheleute P. zwei Überweisungsformulare zu Gunsten<br />

der Landesjustizkasse Bamberg über jeweils 50 Euro aus, unterzeichnete sie mit dem Namenszug "P." <strong>und</strong> gab<br />

sie bei der Deutschen Bank ab. Da dieses Konto zu diesem Zeitpunkt nicht die erforderliche Deckung aufwies, wurden<br />

beide Überweisungen nicht ausgeführt. Im Mai 2008 kaufte die Angeklagte in zwei Geschäften in Erlangen ein<br />

<strong>und</strong> bezahlte jeweils mit dieser EC-Karte. Als die Angeklagte erfuhr, dass den Eheleuten P. 15.000 Euro auf ihr<br />

Konto gutgeschrieben wurden, beschloss sie, mit der EC-Karte Geld für sich abzuheben. Am 19. Mai 2008 suchte sie<br />

die Filiale der Deutschen Bank auf <strong>und</strong> gab sich gegenüber dem Bankangestellten B. als Frau P. aus. Sie teilte dem<br />

Bankangestellten mit, 2.000 Euro abheben zu wollen. B. erstellte zunächst aufgr<strong>und</strong> eines Versehens einen Auszahlungsbeleg<br />

über 1.000 Euro, der von der Angeklagten mit dem Namenszug "P." unterzeichnet wurde. Anschließend<br />

erstellte B. einen zweiten Auszahlungsbeleg über weitere 1.000 Euro, den die Angeklagte wiederum mit dem Na-<br />

87


menszug "P." unterzeichnete. B. zahlte ihr sodann 2.000 Euro in bar aus. Zwanzig Minuten später ging die Angeklagte<br />

erneut in diese Filiale <strong>und</strong> teilte B. mit, weitere 5.000 Euro abheben zu wollen. B. erstellte einen Auszahlungsbeleg<br />

über diesen Betrag, den die Angeklagte mit dem Namenszug "P." unterzeichnete. Sie erhielt daraufhin<br />

von B. 5.000 Euro in bar. Noch am Nachmittag dieses Tages beglich die Angeklagte Mietrückstände in Höhe von<br />

über 3.000 Euro. Am 21. Mai 2008 erstattete Herr P. bei der Polizei in Erlangen Anzeige wegen des Abhandenkommens<br />

der EC-Karte <strong>und</strong> der unberechtigten Abhebungen. Auch sprach er bei dem Mitarbeiter W. bei der Filiale der<br />

Deutschen Bank vor <strong>und</strong> erfuhr, dass die Abhebungen von einer dunkelhäutigen jüngeren Frau vorgenommen worden<br />

waren. Seine von ihm verdächtigte Schwester konnte nach einer Vorsprache bei der Deutschen Bank als Abheberin<br />

ausgeschlossen werden. Am 16. Juni 2008 äußerte Herr P. sowohl gegenüber den Mitarbeitern der Deutschen<br />

Bank als auch gegenüber der Polizei den Verdacht, dass die Angeklagte die Abhebungen vorgenommen haben könnte.<br />

Am 17. Juni 2008 erfuhr die Schwester der Angeklagten, dass die beiden Ratenzahlungen auf die gegen sie zu<br />

vollstreckende Geldstrafe nicht eingegangen waren. Ihr Ehemann ging deshalb zur Filiale der Deutschen Bank <strong>und</strong><br />

legte dem Mitarbeiter W. die zwei Durchschläge der Überweisungsträger vor, die die Angeklagte ihrer Schwester<br />

gegeben hatte <strong>und</strong> auf denen das Konto der Eheleute P. als Abbuchungskonto eingetragen war. W. schöpfte wegen<br />

der Kontoidentität sofort den Verdacht, dass es zwischen den gescheiterten Überweisungen <strong>und</strong> den Abhebungen<br />

einen Zusammenhang gebe. Bei einer persönlichen Vorsprache der Schwester der Angeklagten wurde diese vom<br />

Bankangestellten B. als Abheberin ausgeschlossen. W. erfuhr von ihr vielmehr, dass sie die Angeklagte mit den<br />

Überweisungen beauftragt hatte. Er rief daraufhin mehrfach die Angeklagte an <strong>und</strong> bat sie am 24. Juni 2008 zu einem<br />

Gespräch in die Bankfiliale. Gleichzeitig forderte die Schwester der Angeklagten diese auf, den Termin bei der<br />

Deutschen Bank unbedingt wahrzunehmen, um die Sache mit den fehlgeschlagenen Überweisungen aufzuklären, da<br />

sie die Sorge hatte, in Haft zu müssen. Die Angeklagte befürchtete jetzt, dass ihr Versuch, unberechtigte Überweisungen<br />

vom Konto der Eheleute P. auszuführen, vor der Aufdeckung stand. Noch mehr befürchtete sie aber, dass<br />

auch ihre Barabhebungen ans Licht kämen. Dabei hatte sie zum einen Angst vor einer Bestrafung zum anderen auch<br />

vor dem dann aufgedeckten Vertrauensbruch gegenüber Schwester <strong>und</strong> Bekannten. Deshalb <strong>und</strong> um weitere Ermittlungen<br />

gegen sie zu verhindern, ging sie weder am 24. Juni 2008 noch am 26. Juni 2008 zu Besprechungsterminen<br />

mit W.. Am 25. Juni 2008 war die Angeklagte wegen der Ermittlungen zu den Abhebungen nervös <strong>und</strong> befürchtete,<br />

dass über die von ihr für ihre Schwester durchgeführten Überweisungen auch ihre Barabhebungen von insgesamt<br />

7.000 Euro aufgedeckt würden. Sie wollte deshalb von Frau P. herausbekommen, was diese über die Sache weiß, ob<br />

sie selbst unter Verdacht stehe <strong>und</strong> welche Beweise vorliegen. Am Nachmittag kam die Angeklagte in die Wohnung<br />

der Eheleute P. <strong>und</strong> hielt sich mit Frau P. in der Küche auf. Als beide über die unberechtigten Abhebungen sprachen,<br />

entstand ein Streit. Die Angeklagte geriet dabei in Wut, schlug Frau P. einen scharfkantigen Gegenstand mehrfach<br />

auf den Kopf <strong>und</strong> stach mit einem Messer mehrmals auf diese ein, um sie zu töten. Die beigefügten Verletzungen<br />

führten nach ca. zehn bis fünfzehn Minuten zum Tod von J. P.. Erst danach sah die Angeklagte die Chance, die<br />

Überweisungsversuche an die Landesjustizkasse zu erklären <strong>und</strong> damit die weiteren Ermittlungen gegen sich zu<br />

beenden. Sie suchte deshalb am 3. Juli 2008 W. auf <strong>und</strong> gab vor, dass sich die Kontonummer der Eheleute P. auf den<br />

Überweisungsbelegen befinde, da Frau P. ihrer - der Angeklagten - Schwester noch einen Gefallen schuldig gewesen<br />

sei <strong>und</strong> deshalb für sie die Überweisungen unterschrieben habe. Jetzt könne man Frau P. aber nicht mehr fragen, da<br />

sie mittlerweile verstorben sei. Die Angeklagte wollte damit erreichen, dass die Ermittlungen gegen sie wegen der<br />

unberechtigten Kontoverfügungen beendet werden.<br />

2. Nach Auffassung des Landgerichts beging die Angeklagte die Tat nicht zur Verdeckung einer Straftat. Dies sei<br />

vorliegend nicht der Fall, da die Angeklagte zwar auch von J. P. verdächtigt wurde, die unberechtigten Kontoverfügungen<br />

vorgenommen zu haben. Da aber, wie die Angeklagte wusste, auch Jo. P. <strong>und</strong> W. diesen Verdacht hegten,<br />

sei, wie die Angeklagte wusste, die Tötung von J. P. nicht geeignet, die weitere Aufdeckung dieser Taten zu verhindern.<br />

Die Angeklagte habe auch nicht aus sonstigen niedrigen Beweggründen gehandelt. Es habe nicht festgestellt<br />

werden können, was letztlich der konkrete Auslöser für den Angriff der Angeklagten gewesen sei.<br />

II. Die Verurteilung wegen Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die zugr<strong>und</strong>e liegende Beweiswürdigung<br />

beruht auf durchgreifenden Rechtsfehlern. Die Urteilsgründe lassen in diesem Zusammenhang darüber hinaus<br />

besorgen, dass die Strafkammer das Mordmerkmal "Verdeckungsabsicht" rechtlich nicht zutreffend erfasst hat, indem<br />

sie von einem zu engen Verständnis von diesem Merkmal ausgegangen ist. Das Revisionsgericht hat es allerdings<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht tatsächliche Zweifel am Vorliegen von Mordmerkmalen<br />

nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt<br />

sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere<br />

der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze<br />

oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt<br />

88


die gebotene Gesamtwürdigung; die Beweiswürdigung ist lückenhaft. Das Landgericht hat zwar eine umfassende<br />

Beweiswürdigung hinsichtlich der Täterschaft der Angeklagten vorgenommen, aber hinsichtlich einer - eher nahe<br />

liegenden - Verdeckungsabsicht fehlt es an tragfähigen Überlegungen <strong>und</strong> Erörterungen. Lediglich im Rahmen der<br />

rechtlichen Würdigung (UA S. 69) wird als Ergebnis knapp mitgeteilt, dass die Angeklagte nicht mit Verdeckungsabsicht<br />

handelte, weil die Tötung von J. P. nicht geeignet sei, die weitere Aufdeckung der Taten zu verhindern. Die<br />

erforderliche Gesamtwürdigung aller Indizien, die für eine Verdeckungsabsicht der Angeklagten sprechen, hat das<br />

Landgericht jedoch nicht vorgenommen.<br />

1. In Verdeckungsabsicht handelt, wer als Täter ein Opfer deswegen tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat<br />

als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände<br />

geben könnten (vgl. u.a. Senatsurteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 327/04 = BGHSt 50, 11 ff. mit Anm. u.a.<br />

Steinberg JR 2007, 291; Kudlich JuS 2005, 659; Fischinger JA 2005, 490). Allerdings scheidet begrifflich eine Tötung<br />

zur Verdeckung einer Straftat dann aus, wenn diese bereits aufgedeckt ist <strong>und</strong> der Täter dies weiß (vgl. BGH,<br />

Urteil vom 1. August 1978 - 5 StR 302/78 = GA 1979, 108). Es kommt nicht darauf an, ob die vorangegangene<br />

Straftat oder seine Tatbeteiligung daran schon objektiv aufgedeckt waren oder ob objektiv von dem Opfer eine Aufdeckung<br />

zu befürchten war, solange der Täter nur subjektiv meint, zur Verdeckung dieser Straftat über die Leiche<br />

dieses möglichen Zeugen zu müssen (vgl. Geppert JK 10/05, <strong>StGB</strong> § 211/45). Auch nach Bekanntwerden einer Straftat<br />

kann ein Täter dann noch in Verdeckungsabsicht handeln, wenn er zwar weiß, dass er als Täter dieser Straftat<br />

verdächtigt wird, die genauen Tatumstände aber noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang<br />

aufgedeckt sind (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 2005 aaO). Verdeckungsabsicht ist aus der Sicht des Täters zu<br />

beurteilen. Glaubt er mit der Tötung eine günstige Beweisposition aufrecht erhalten oder seine Lage verbessern zu<br />

können, so reicht das für die Annahme der Verdeckungsabsicht aus, selbst wenn er bereits als Täter der Vortat verdächtigt<br />

wird (vgl. LK-Jähnke, <strong>StGB</strong>, 11. Aufl., § 211 Rn. 16 mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 27. April 1978 - 4<br />

StR 143/78 insoweit in BGHSt 28, 18 nicht abgedruckt), da die Tatumstände - nach seinem Wissen - noch nicht in<br />

einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt waren (vgl. BGHSt 15, 291, 296). Verdeckungsabsicht<br />

ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Tat als solche bereits entdeckt ist, dem Täter es jedoch noch darauf<br />

ankommt, seine eigene Täterschaft zu verbergen; Voraussetzung ist jedoch, dass er sich oder seine Tat noch nicht<br />

voll erkannt bzw. nicht voll überführungsfähig glaubt <strong>und</strong> daher mit der Vorstellung von Entdeckungsvereitelung<br />

handelt (Schönke/Schröder-Eser, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 211 Rn. 34 mwN). Der Umstand, dass die unberechtigten Abhebungen<br />

bereits entdeckt waren, schließt daher die Annahme der Verdeckungsabsicht i.S.d. § 211 <strong>StGB</strong> nicht aus,<br />

wenn es der Angeklagten darauf ankam, ihre Täterschaft nicht ans Licht kommen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 6.<br />

Dezember 1951 - 4 StR 672/51 = NJW 1952, 531 mwN). In Verdeckungsabsicht tötet, wer die Vortat überhaupt als<br />

auch, wer lediglich die eigene Täterschaft verbergen will, die den Strafverfolgungsbehörden nach seiner Vorstellung<br />

bisher nicht bekannt ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1988 - 3 StR 89/88 = NJW 1988, 2682 mwN; hierzu auch<br />

BGH, Urteil vom 20. September 1996 - 2 StR 278/96 = NStZ-RR 1997, 132 mwN). Ein Täter, der sich jedoch "nur"<br />

der Festnahme entziehen will, will "weder Tat noch Täter" zudecken (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 1990<br />

- 5 StR 480/90 = NJW 1991, 1189 mwN). Dass die Angeklagte wegen des Streits über die unberechtigten Abhebungen<br />

in Wut geraten ist, würde der Annahme von Verdeckungsabsicht nicht ohne weiteres entgegenstehen (vgl. auch<br />

BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 319/98 = NJW 1999, 1039 mit Anm. Momsen in JR 2000, 26, 30 f.<br />

<strong>und</strong> Schroth NStZ 1999, 554; vgl. hierzu auch Altvater NStZ 2000, 18 f.; LK-Jähnke aaO, § 211 Rn. 15). Reagiert<br />

der Täter allerdings allein auf wuterregende Vorhaltungen des Opfers, so kann es bei einer dadurch ausgelösten Tötung<br />

an der Verdeckungsabsicht fehlen (vgl. Eser NStZ 1983, 440 mit Hinweis auf BGH, Beschluss vom 2. September<br />

1981 - 3 StR 314/81). Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht kann im Übrigen auch bei einem in einer unvorhergesehenen<br />

Augenblicksituation spontan gefassten Tötungsentschluss gegeben sein. Die Absicht zur Verdeckung<br />

einer anderen Tat erfordert keine Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über die<br />

eigenen Ziele (vgl. hierzu Senatsurteil vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 Rn. 39 insoweit in BGHSt 51, 367 nicht abgedruckt).<br />

2. Diese Gr<strong>und</strong>sätze hat das Landgericht nicht zur Gr<strong>und</strong>lage seiner Beweiswürdigung gemacht. Es hätte sich nicht<br />

mit dem Hinweis begnügen dürfen, dass diese Tötung nicht geeignet war, die weitere Aufdeckung dieser Taten zu<br />

verhindern. Dieses objektive Kriterium ist zwar als gewichtiges Indiz gegen eine Verdeckungsabsicht in eine Beweiswürdigung<br />

einzustellen, zumal da im vorliegenden Fall das Landgericht mangels einer entsprechenden Einlassung<br />

der Angeklagten nur Schlussfolgerungen hinsichtlich der Motivation der Angeklagten ziehen konnte. Die maßgebliche<br />

Beurteilungsgr<strong>und</strong>lage ist aber nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon; die<br />

äußeren Gegebenheiten sind allerdings insofern von Belang, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des<br />

Täters zulassen. Der Hinweis auf die objektive Sachlage ersetzt aber nicht eine Würdigung aller maßgeblichen - auch<br />

89


für die Verdeckungsabsicht der Angeklagten sprechenden - Umstände. An einer solchen Würdigung fehlt es hier. Für<br />

die weitere Feststellung der Strafkammer, dass die Angeklagte von der Ungeeignetheit der Tötung zur Verdeckung<br />

wusste, fehlt es an einer Begründung. Das Landgericht hätte in der erforderlichen Gesamtwürdigung insbesondere<br />

folgende Indizien erörtern müssen, die für eine Verdeckungsabsicht sprechen <strong>und</strong> gegen die Feststellung, die Angeklagte<br />

habe die Tat für ungeeignet gehalten, die Aufdeckung zu verhindern: Die Angeklagte ging nicht zu dem Termin<br />

bei W., "um weitere Ermittlungen gegen sich zu verhindern" (UA S. 11). Sie befürchtete, dass ihre Überweisungen<br />

<strong>und</strong> Barabhebungen ans Licht kämen (UA S. 10). Sie suchte nach der Tat W. auf <strong>und</strong> versuchte, die von ihr<br />

gefälschte Unterschrift als von der Toten geleistet hinzustellen, um damit zu erreichen "dass die Ermittlungen gegen<br />

sie wegen der unberechtigten Kontoverfügungen beendet werden" (UA S. 11). Die Angeklagte war zum Tatopfer<br />

gegangen, um herauszubekommen, was diese über eine Täterschaft der Angeklagten wusste (UA S. 11; vgl. auch UA<br />

S. 30). Anlass des Streites war das Gespräch über die unberechtigten Abhebungen (UA S. 13). Den Urteilsfeststellungen<br />

lässt sich nicht entnehmen, dass die Angeklagte wusste, dass Jo. P. auch der Polizei seinen Tatverdacht gegen<br />

die Angeklagte mitgeteilt hatte (UA S. 23). Die Angeklagte wusste - entgegen ihrer Einlassung -, dass W. mit ihr die<br />

Überweisungen <strong>und</strong> Abhebungen klären wollte (UA S. 26). Die Angeklagte handelte in dem Gespräch mit W. nach<br />

der Tötung von J. P., um "weitere Ermittlungen gegen sie wegen der unberechtigten Überweisungen <strong>und</strong> wegen der<br />

unberechtigten Abhebungen zu stoppen" (UA S. 26). Die Angeklagte sah "als einzigen Ausweg aus ihrer Zwangslage<br />

die Tötung von J. P. " (UA S. 52), wobei ihre Zwangslage darin bestand, die unberechtigten Kontoverfügungen<br />

erklären zu müssen. Der zur Feststellung der Schuldfähigkeit der Angeklagten gehörte Sachverständige Dr. Wö.<br />

verneinte eine Affekttat. "Vielmehr ergebe sich die konkrete Konfliktlage zwischen der Angeklagten <strong>und</strong> J. P. aus<br />

den von der Angeklagten zuvor durchgeführten unberechtigten Kontoverfügungen, deren Aufdeckung sie befürchtete"<br />

(UA S. 68). All diese Indizien sind geeignet, eine Verdeckungsabsicht der Angeklagten zu belegen, da sie dagegen<br />

sprechen, dass die Angeklagte subjektiv die Tötung der J. P. für ungeeignet hielt, die weitere Aufdeckung ihrer<br />

vorausgehenden Taten zu verhindern. Die Beweiswürdigung ist insofern lückenhaft. Der Senat kann nicht ausschließen,<br />

dass auf diesem Rechtsfehler die Ablehnung des Mordmerkmals Verdeckungsabsicht beruht. Die Verurteilung<br />

wegen Totschlags war daher aufzuheben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben, da<br />

sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden. Der neue Tatrichter kann insoweit ergänzende, nicht im Widerspruch stehende,<br />

Feststellungen treffen; die subjektive Tatseite ist ohnehin neu festzustellen. Die bisherigen Feststellungen zum Tötungsvorsatz<br />

<strong>und</strong> zur Schuldfähigkeit der Angeklagten lassen keinen Rechtsfehler erkennen.<br />

3. Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.<br />

4. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, auch das Mordmerkmal niedrige Beweggründe zu prüfen. Die im<br />

angefochtenen Urteil vorgenommene Unterscheidung zwischen Motiv (Wut im Zusammenhang mit den unberechtigten<br />

Abhebungen; UA S. 13) <strong>und</strong> konkretem Auslöser (UA S. 69) ist ohne nähere Darlegung nicht nachzuvollziehen.<br />

Bei einer Tötung aus Wut oder Verärgerung kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer<br />

niedrigen Gesinnung beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 195/05 mwN). Dies wäre aber im<br />

Hinblick auf berechtigte Vorhaltungen wegen der Geldabhebungen nicht ausgeschlossen. Die Absicht, die Überführung<br />

durch Beseitigung eines Belastungszeugen zu erschweren, weist - wenn sie nach den Umständen für die Annahme<br />

eines Verdeckungsmordes nicht ausreicht - vielfach auf niedrige Beweggründe hin (vgl. BGHR <strong>StGB</strong> § 211<br />

Abs. 2 Verdeckung 6). Neben der Verdeckungsabsicht ist die Annahme niedriger Beweggründe jedoch nicht gerechtfertigt,<br />

wenn die zur Begründung dieses Merkmals herangezogenen Motive des Täters über die Verdeckungsabsicht<br />

hinaus keinen weiteren Unrechtsgehalt aufweisen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1999 - 3 StR 1/99 = NStZ-RR<br />

1999, 235).<br />

5. Wenn die Angeklagte J. P. tötete, um hinsichtlich der unberechtigten Geldabhebungen keine Rückzahlung leisten<br />

zu müssen, käme im Übrigen auch das Mordmerkmal Habgier in Betracht.<br />

<strong>StGB</strong> § 211 Mord, Verdeckungsabsicht<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 239/10 - NStZ 2011, 34<br />

Zwar kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 <strong>StGB</strong> nach der<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs gr<strong>und</strong>sätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des<br />

Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen<br />

wird. Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des<br />

90


Täters Mittel der Verdeckung sein soll. Wenn der Täter annimmt, eine Aufdeckung der anderen<br />

Straftat werde unabhängig von der Verdeckungshandlung <strong>und</strong> von deren Tötungserfolg nicht eintreten,<br />

fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv "verdeckenden"<br />

Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 4. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 28. Dezember<br />

2009, auch soweit es den Mitangeklagten T. betrifft,<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten T. <strong>und</strong> F. wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit<br />

mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Totschlags verurteilt sind;<br />

b) soweit es den Angeklagten F. betrifft, im Ausspruch über die wegen versuchten Mordes verhängte Einzelstrafe<br />

sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben;<br />

c) soweit es den Angeklagten T. betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hatte in einem ersten Urteil vom 11. September 2008 die Angeklagten F. <strong>und</strong> T. wegen schweren<br />

Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung <strong>und</strong> den Mitangeklagten B. wegen Raubs in Tateinheit mit<br />

gefährlicher Körperverletzung verurteilt.<br />

a) Dem lagen folgende Feststellungen zugr<strong>und</strong>e: Die Angeklagten F. <strong>und</strong> T. kamen in der Nacht vom 21. auf 22.<br />

Dezember 2007 über-ein, den schwer betrunkenen Nebenkläger R., der am Tag zuvor aus der Haft entlassen worden<br />

war <strong>und</strong>, wie die Angeklagten zufällig erfahren hatten, eine Bargeldsumme von 11.300 € bei sich führte, zu berauben.<br />

Auf mehrfache telefonische Aufforderung beider Angeklagten erklärte sich der Mitangeklagte B. bereit, hieran<br />

mitzuwirken; er begab sich daraufhin mit seinem Pkw zum Bahnhofsvorplatz in W. , wo er die Mitangeklagten traf.<br />

Als der Nebenkläger gegen 2.30 Uhr eine Gaststätte verließ, boten ihm die Angeklagten vorgeblich an, ihn nach<br />

Hause zu fahren. Stattdessen brachten sie das Tatopfer in einen Wald, in den sie von einem Parkplatz aus noch etwa<br />

400 m weit hinein fuhren. Während B. im Fahrzeug sitzen blieb, zerrten F. <strong>und</strong> T. den Geschädigten aus dem Pkw<br />

<strong>und</strong> schlugen <strong>und</strong> traten auf ihn ein; F. versetzte ihm Schläge mit einer massiven, 40 cm langen Taschenlampe. Sodann<br />

nahmen sie dem am Boden liegenden Geschädigten das mitgeführte Bargeld ab. Sie befragten ihn, ob er das<br />

Kennzeichen des Pkw erkannt habe, <strong>und</strong> äußerten, als er dies verneinte, das sei "gut für ihn". Der Angeklagte B.<br />

wusste vom Einsatz der Taschenlampe nichts. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass der Geschädigte nicht über<br />

ein Mobiltelefon verfügte, fuhren die Angeklagten nach W. zurück, wo sie die Beute teilten. Den Geschädigten ließen<br />

sie im Wald zurück. Hierbei gingen sie davon aus, dass der Nebenkläger trotz seiner Verletzungen <strong>und</strong> trotz der<br />

Außentemperatur von ca. minus 8 Grad Celsius die Strecke von ca. 400 m zur Straße würde zurücklegen <strong>und</strong> dort<br />

Hilfe finden würde. Tatsächlich gelang es dem stark übergewichtigen (BMI: 53) Geschädigten nicht, aus dem Wald<br />

herauszugelangen. Er fiel in einen Graben <strong>und</strong> wurde dort in unterkühltem Zustand gegen 7.30 Uhr von einem Jogger<br />

gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> gerettet. In den Morgenst<strong>und</strong>en des 22. Dezember 2007 fragte der Angeklagte T. den Angeklagten<br />

F. , ob man nicht noch einmal in den Wald fahren solle, um nachzuschauen, ob der Geschädigte vielleicht verstorben<br />

sei. Hierauf antwortete F., dies sei doch "scheiß egal", denn es werde sowieso niemand von der Tat erfahren; damit<br />

gab sich T. zufrieden. Beide hielten es dabei für möglich, dass der Geschädigte noch am Leben sei, aber infolge<br />

seiner Verletzungen nicht mehr aus dem Wald hinausgelangen <strong>und</strong> versterben könne; das nahmen sie billigend in<br />

Kauf, um die Raubtat zu verdecken.<br />

b) Das Landgericht hatte wegen des Raubs den Angeklagten F. zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, gegen den<br />

Angeklagten T. unter Einbeziehung eines früheren Urteils eine Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten <strong>und</strong> gegen den Angeklagten B. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren verhängt; gegen F. wurde eine Maßregel<br />

nach § 64 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> ein Vorwegvollzug von drei Jahren der Strafe vor der Maßregel angeordnet. An der Aburteilung<br />

des Geschehens am Morgen des 23. Dezember 2007 sah das Landgericht sich gehindert, weil es von der zugelassenen<br />

Anklage nicht umfasst sei.<br />

c) Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom 20. Mai 2009 - 2 StR 85/09<br />

(NJW 2010, 168) - aufgehoben, die Feststellungen zum äußeren Tatablauf aber aufrechterhalten. Nach Auffassung<br />

des Senats war auch das Geschehen am Morgen nach der Tat vom Anklage-vorwurf erfasst (§ 264 Abs. 1 StPO) <strong>und</strong><br />

hätte daher abgeurteilt werden müssen.<br />

91


2. Das Landgericht hat in der neuen Hauptverhandlung hierzu ergänzend unter anderem festgestellt, die Angeklagten<br />

hätten, als sie vom Tatort wegfuhren, den Geschädigten R. für fähig gehalten, sich zur Straße zu begeben <strong>und</strong> Hilfe<br />

zu erlangen. Bei dem Gespräch in den Morgenst<strong>und</strong>en hätten die Angeklagten T. <strong>und</strong> F. den für möglich gehaltenen<br />

Tod des Geschädigten hingegen billigend in Kauf genommen; er sei ihnen "als willkommene Folge ihres Tuns (erschienen),<br />

weil sie dann sicher sein konnten, dass ihre Tat nicht entdeckt werde" (UA S. 34). Die Angeklagten hätten<br />

"den Tod des Geschädigten nicht als zwingend zur Verdeckung der Raubtat angesehen" (UA S. 40); bei anonymer<br />

Alarmierung eines Notarztes hätten sie ihre Beteiligung an der Raubtat nicht zwingend offenbaren müssen (UA S.<br />

39). Das Landgericht hat die Angeklagten T. <strong>und</strong> F. daher nur wegen schweren Raubs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong>) in<br />

Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> Nr. 4 <strong>StGB</strong>) sowie wegen versuchten Verdeckungsmordes<br />

(§§ 211, 22 <strong>StGB</strong>) verurteilt. Für die Raubtat hat es gegen F. eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren,<br />

für den versuchten Mord - unter dreifacher Milderung des Strafrahmens gemäß §§ 13 Abs. 2, 21, 23 Abs. 2<br />

<strong>StGB</strong>, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> - eine Einzelstrafe von vier Jahren verhängt <strong>und</strong> hieraus eine<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten gebildet. Den Angeklagten T. , der nicht revidiert, hat es<br />

zur Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten (einbezogen drei frühere Urteile) verurteilt, den Angeklagten<br />

B. , der ebenfalls nicht revidiert, wegen Raubs (§ 249 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung<br />

(§ 224 Abs. 1 Nr. 4 <strong>StGB</strong>) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Von einer Maßregelanordnung gegen<br />

den Angeklagten F. hat das Landgericht abgesehen, weil es eine konkrete Erfolgsaussicht nicht feststellen konnte<br />

(UA S. 55); gegen den Mitangeklagten T. wurden nun eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie der<br />

Vorwegvollzug von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten der Jugendstrafe angeordnet.<br />

3. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten F. hat teilweise Erfolg <strong>und</strong> führt insoweit zur<br />

Erstreckung auch auf den Mitangeklagten T. gemäß § 357 StPO.<br />

a) Dass das Landgericht den Angeklagten nicht auch wegen lebensgefährdenden besonders schweren Raubs (§ 250<br />

Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b <strong>StGB</strong>), wegen Aussetzung (§ 221 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> wegen gefährlicher Körperverletzung durch<br />

lebensgefährliche Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 <strong>StGB</strong>) verurteilt hat, weil es rechtsfehlerhaft annahm, das Nichtvorliegen<br />

bedingten Tötungsvorsatzes schließe auch den subjektiven Tatbestand dieser Vorschriften aus (UA S. 37),<br />

beschwert den Angeklagten nicht.<br />

b) Die Verurteilung wegen versuchten (Verdeckungs-) Mordes hält, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend dargelegt<br />

hat, rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211<br />

Abs. 2 <strong>StGB</strong> nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs gr<strong>und</strong>sätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod<br />

des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl.<br />

BGHSt 41, 358, 359 ff.; BGH NJW 1992, 583 f.; 1999, 1039 f.; 2000, 1730 f.; NStZ 2004, 495, 496), wenn nicht im<br />

Einzelfall der Tod des Opfers sich als zwingend notwendige Voraussetzung einer Verdeckung darstellt (vgl. Fischer,<br />

<strong>StGB</strong>, 57 Aufl., § 211 Rn. 79). Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung<br />

des Täters Mittel der Verdeckung sein soll (vgl. Schneider in Müko, <strong>StGB</strong>, § 211 Rn. 196). Wenn der Täter<br />

annimmt, eine Aufdeckung der anderen Straftat werde unabhängig von der Verdeckungshandlung <strong>und</strong> von deren<br />

Tötungserfolg nicht eintreten, fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv<br />

"verdeckenden" Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg. So lag es hier. Nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

war der für möglich gehaltene - bereits eingetretene oder noch eintretende - Tod des Tatopfers den Tätern<br />

gerade deshalb "scheiß egal", weil dieser Erfolg für die Frage einer möglichen Aufdeckung ihrer Beteiligung an der<br />

Raubtat ohne Bedeutung war. Sie gingen davon aus, das Opfer habe sie nicht erkannt <strong>und</strong> werde sie auch im Fall<br />

seines Überlebens nicht identifizieren können. Es fehlt daher an den subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals<br />

der Verdeckungsabsicht. Da weitere Feststellungen insoweit ausgeschlossen erscheinen, hat der Senat entsprechend<br />

dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts den Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte nur des versuchten<br />

Totschlags schuldig ist.<br />

c) Da die Voraussetzungen des § 357 StPO gegeben sind, war die Schuldspruchänderung auch auf den nicht revidierenden<br />

Mitangeklagten T. zu erstrecken.<br />

d) Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafe wegen versuchten Mordes <strong>und</strong> der Gesamtstrafe<br />

beim Angeklagten F. sowie der Einheitsjugendstrafe beim Angeklagten T.. Obgleich das Landgericht das Schwergewicht<br />

der Schuld in der Raubtat gesehen hat, lässt sich das Beruhen der im Ergebnis verhängten Strafen auf dem<br />

Rechtsfehler nicht ausschließen. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten T. in einer Entziehungsanstalt<br />

war im Hinblick auf § 5 Abs. 3 JGG aufzuheben; der neue Tatrichter hat über die Rechtsfolge insgesamt neu<br />

zu entscheiden.<br />

92


<strong>StGB</strong> § 212, 216, 13 Sterbehilfe<br />

BGH, Urt. v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191 = NJW 2010, 2963 (<strong>und</strong> überall)<br />

LS: 1. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen<br />

Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen<br />

Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) <strong>und</strong> dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode<br />

führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.<br />

2. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen<br />

werden.<br />

3. Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch<br />

einer medizinischen Behandlung stehen, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht<br />

zugänglich.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 30. April 2009 aufgehoben.<br />

Der Angeklagte wird freigesprochen.<br />

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.<br />

3. Die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt<br />

<strong>und</strong> deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte verfolgt mit seiner auf die Sachrüge<br />

gestützten Revision die Aufhebung des Urteils <strong>und</strong> seine Freisprechung. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer<br />

auf die Sachrüge gestützten, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision die Strafzumessung. Das Rechtsmittel<br />

des Angeklagten hat in vollem Umfang Erfolg, das der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.<br />

A. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte ist ein für den Fachbereich des Medizinrechts,<br />

insbesondere auf Palliativmedizin spezialisierter Rechtsanwalt. Er beriet seit 2006 die beiden Kinder der 1931<br />

geborenen E. K., nämlich die ursprünglich Mitangeklagte G. <strong>und</strong> deren inzwischen verstorbenen Bruder P. K.. Frau<br />

K. lag seit Oktober 2002 nach einer Hirnblutung im Wachkoma. Sie war seither nicht ansprechbar <strong>und</strong> wurde in<br />

einem Altenheim in B. H. gepflegt <strong>und</strong> über einen Zugang in der Bauchdecke, eine sog. PEG-Sonde, künstlich ernährt.<br />

Frau K., der nach einer Fraktur im Jahr 2006 der linke Arm amputiert worden war, war im Dezember 2007 bei<br />

einer Größe von 1,59 m auf ein Gewicht von 40 kg abgemagert. Eine Besserung ihres Ges<strong>und</strong>heitszustands war nicht<br />

mehr zu erwarten. Nachdem schon ihr Vater im Jahr 2002 eine Hirnblutung ohne schwerwiegende ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Folgen erlitten hatte, hatte Frau G. ihre Mutter Ende September 2002 befragt, wie sie <strong>und</strong> ihr Bruder sich verhalten<br />

sollten, falls Frau K. etwas zustoßen sollte. Diese hatte darauf u.a. erwidert, falls sie bewusstlos werde <strong>und</strong> sich nicht<br />

mehr äußern könne, wolle sie keine lebensverlängernden Maßnahmen in Form künstlicher Ernährung <strong>und</strong> Beatmung,<br />

sie wolle nicht an irgendwelche "Schläuche" angeschlossen werden. Zunächst war für Frau K. deren Ehemann als<br />

Betreuer bestellt <strong>und</strong> später zu dessen Unterstützung eine Berufsbetreuung eingerichtet worden. Die Berufsbetreuerin<br />

nahm seit Ende 2005 die Betreuung allein wahr, nachdem der Ehemann der Betreuten verstorben war. Frau G. teilte<br />

der Berufsbetreuerin im März 2006 mit, dass sie <strong>und</strong> ihr Bruder den Wunsch hätten, dass die Magensonde entfernt<br />

würde, damit ihre Mutter in Würde sterben könne. Hierbei berichtete Frau G. auch von dem mit ihrer Mutter im<br />

September 2002 geführten Gespräch, dessen Inhalt diese trotz der Bitte der Tochter, die Angelegenheit mit ihrem<br />

Ehemann zu besprechen <strong>und</strong> sodann schriftlich zu fixieren, nicht schriftlich niedergelegt hatte. Die Berufsbetreuerin<br />

lehnte die Entfernung der Magensonde unter Hinweis auf den ihr nicht bekannten mutmaßlichen Willen der Betreuten<br />

ab <strong>und</strong> blieb auch auf mehrere Interventionen des inzwischen mandatierten Angeklagten bei ihrer Ablehnung.<br />

Der Angeklagte bemühte sich in der Folgezeit zusammen mit Frau G. <strong>und</strong> deren Bruder um die Einstellung der<br />

künstlichen Ernährung. Auf seinen Antrag wurden beide Kinder im August 2007 zu Betreuern ihrer Mutter bestellt.<br />

Der behandelnde Hausarzt unterstützte das Vorhaben der Betreuer, weil aus seiner Sicht eine medizinische Indikation<br />

zur Fortsetzung der künstlichen Ernährung nicht mehr gegeben war. Die Bemühungen stießen aber auf Widerstand<br />

bei Heimleitung <strong>und</strong> -personal. Nachdem auch eine ausdrückliche Anordnung des Arztes zur Einstellung der<br />

künstlichen Ernährung vom Pflegepersonal nicht befolgt worden war, schlug die Heimleiterin schließlich einen<br />

Kompromiss vor. Um den moralischen Vorstellungen aller Beteiligten gerecht zu werden, sollte sich das Personal<br />

nur noch um die Pflegetätigkeiten im engeren Sinn kümmern, während Frau G. <strong>und</strong> Herr K. selbst die Ernährung<br />

über die Sonde einstellen, die erforderliche Palliativversorgung durchführen <strong>und</strong> ihrer Mutter im Sterben beistehen<br />

93


sollten. Nach Rücksprache mit dem Angeklagten erklärten sich Frau G. <strong>und</strong> Herr K. hiermit einverstanden. Demgemäß<br />

beendete Frau G. am 20. Dezember 2007 die Nahrungszufuhr über die Sonde <strong>und</strong> begann, auch die Flüssigkeitszufuhr<br />

zu reduzieren. Am nächsten Tag wies die Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens jedoch die Heimleitung<br />

an, die künstliche Ernährung umgehend wieder aufzunehmen. Frau G. <strong>und</strong> Herrn K. wurde ein Hausverbot für<br />

den Fall angedroht, dass sie sich hiermit nicht einverstanden erklären sollten. Darauf erteilte der Angeklagte ihnen<br />

am gleichen Tag telefonisch den Rat, den Schlauch der Sonde unmittelbar über der Bauchdecke zu durchtrennen,<br />

weil gegen die rechtswidrige Fortsetzung der Sondenernährung durch das Heim ein effektiver Rechtsschutz nicht<br />

kurzfristig zu erlangen sei. Nach seiner Einschätzung der Rechtslage werde keine Klinik eigenmächtig eine neue<br />

Sonde einsetzen, so dass Frau K. würde sterben können. Frau G. folgte diesem Rat <strong>und</strong> schnitt Minuten später mit<br />

Unterstützung ihres Bruders den Schlauch durch. Nachdem das Pflegepersonal dies bereits nach einigen weiteren<br />

Minuten entdeckt <strong>und</strong> die Heimleitung die Polizei eingeschaltet hatte, wurde Frau K. auf Anordnung eines Staatsanwalts<br />

gegen den Willen ihrer Kinder in ein Krankenhaus gebracht, wo ihr eine neue PEG-Sonde gelegt <strong>und</strong> die<br />

künstliche Ernährung wieder aufgenommen wurde. Sie starb dort am 5. Januar 2008 eines natürlichen Todes auf<br />

Gr<strong>und</strong> ihrer Erkrankungen.<br />

B. Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten am 21. Dezember 2007 als einen gemeinschaftlich mit Frau G.<br />

begangenen versuchten Totschlag durch aktives Tun gewürdigt, der weder durch eine mutmaßliche Einwilligung der<br />

Frau K. noch nach den Gr<strong>und</strong>sätzen der Nothilfe oder des rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt sei. Auch auf<br />

einen entschuldigenden Notstand könne sich der Angeklagte nicht berufen. Soweit er sich im Erlaubnisirrtum bef<strong>und</strong>en<br />

habe, sei dieser für ihn als einschlägig spezialisierten Rechtsanwalt vermeidbar gewesen. Die Mitangeklagte G.<br />

hat das Landgericht freigesprochen, weil sie sich angesichts des Rechtsrats des Angeklagten in einem unvermeidbaren<br />

Erlaubnisirrtum bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> deshalb ohne Schuld gehandelt habe.<br />

C.<br />

I. Die Revision des Angeklagten<br />

Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Sie führt zur Aufhebung des Urteils <strong>und</strong><br />

zum Freispruch des Angeklagten. Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten des Angeklagten P. <strong>und</strong> das ihm<br />

nach § 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong> zurechenbare, auf seinen Rat hin erfolgte Durchtrennen des Versorgungsschlauchs der PEG-<br />

Sonde durch die frühere Mitangeklagte G. seien als versuchter Totschlag weder durch Einwilligung noch auf Gr<strong>und</strong><br />

des Eingreifens sonstiger Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt, hält im Ergebnis rechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

1. Eine ausdrückliche rechtliche Würdigung des Geschehens, welches den der Verurteilung zugr<strong>und</strong>e gelegten Tathandlungen<br />

vorausging, hat das Landgericht nicht vorgenommen. Seine Ansicht, dass die vom Heimbetreiber beabsichtigte<br />

Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung gegen den Willen der Betreuer <strong>und</strong> des behandelnden Arztes<br />

ein rechtswidriger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen gewesen wäre, setzt jedoch voraus, dass<br />

die vorausgehende Beendigung der Ernährung rechtmäßig war. Davon ist das Landgericht im Ergebnis zutreffend<br />

ausgegangen.<br />

a) Bereits mit Urteil vom 13. September 1994 (1 StR 357/94 = BGHSt 40, 257, 261) hat der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

über einen Fall des Abbruchs der künstlichen Ernährung bei einer irreversibel schwerst hirngeschädigten,<br />

entscheidungsunfähigen Patientin im Zusammenwirken von deren zum Pfleger bestellten Sohn <strong>und</strong> dem<br />

behandelnden Arzt entschieden. Da die Gr<strong>und</strong>erkrankung - wie im vorliegenden Fall - noch keinen unmittelbar zum<br />

Tod führenden Verlauf genommen hatte, lag, wie der 1. Strafsenat festgestellt hat, kein Fall der so genannten "passiven<br />

Sterbehilfe" nach den Kriterien der damaligen "Richtlinien für die Sterbehilfe" der Deutschen Ärztekammer vor<br />

(vgl. Deutsches Ärzteblatt 1993 B-1791 f.). Gleichwohl hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof erkannt, "dass angesichts der<br />

besonderen Umstände des hier gegebenen Grenzfalls ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch<br />

einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen (sei), sofern der Patient mit dem<br />

Abbruch mutmaßlich einverstanden ist. Denn auch in dieser Situation ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten<br />

zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung gr<strong>und</strong>sätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden<br />

darf" (BGHSt 40, 257, 262). In seinem Beschluss vom 17. März 2003 (XII ZB 2/03 - BGHZ 154, 205 = NJW 2003,<br />

1588), der den Fall eines an einem apallischen Syndrom leidenden Patienten betraf, hat der XII. Zivilsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

allerdings entschieden, das Unterlassen lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen bei einem<br />

einwilligungsunfähigen Patienten setze voraus, dass dies dessen tatsächlich geäußerten oder mutmaßlichen<br />

Willen entspreche <strong>und</strong> dass die Gr<strong>und</strong>erkrankung einen "irreversibel tödlichen Verlauf" angenommen habe. Hieraus<br />

ist in der Literatur vielfach abgeleitet worden, zwischen der zivilrechtlichen <strong>und</strong> der strafrechtlichen Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs bestehe in der Frage der Zulässigkeit so genannter "passiver Sterbehilfe" eine Divergenz<br />

(vgl. etwa Höfling/Rixen JZ 2003, 884, 885 ff.; Ingelfinger JZ 2006, 821; Otto NJW 2006, 2217, 2218 f.; Saliger<br />

MedR 2004, 237, 240 f.; Sternberg-Lieben in FS für Eser (2005) S. 1185, 1198 ff.; Verrel, Gutachten zum 66. DJT,<br />

94


2006, C 43 ff.). Diese Ansicht bestand auch fort, nachdem der XII. Zivilsenat in einem Kostenbeschluss vom 8. Juni<br />

2005 (XII ZR 177/03 - BGHZ 163, 195 = NJW 2005, 2385) entschieden hatte, ein Heimbetreiber sei zur Fortsetzung<br />

einer künstlichen Ernährung bei einem entscheidungsunfähigen, an einem apallischen Syndrom leidenden Patienten<br />

gegen dessen durch den Betreuer verbindlich geäußerten Willen nicht berechtigt <strong>und</strong> das Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht zu<br />

einer Entscheidung nicht berufen, wenn Betreuer <strong>und</strong> Arzt sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung<br />

entschieden hatten; der Eintritt in eine mutmaßlich unmittelbar zum Tod führende Phase der Gr<strong>und</strong>erkrankung<br />

war danach nicht vorausgesetzt. Die hierdurch in der öffentlichen Wahrnehmung entstandene Unsicherheit über<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> Reichweite der Erlaubnis, eine lebenserhaltende medizinische Behandlung auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Patientenwillens zu beenden, ist durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009<br />

(BGBl I 2286) jedenfalls insoweit beseitigt worden (näher dazu unten), als es nach § 1901a Abs. 3 BGB nicht (mehr)<br />

auf Art <strong>und</strong> Stadium der Erkrankung ankommt.<br />

b) Allerdings war, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, die Beendigung der künstlichen Ernährung<br />

durch Unterlassen bzw. Reduzierung der Zufuhr kalorienhaltiger Flüssigkeit durch die frühere Mitangeklagte<br />

<strong>und</strong> ihren Bruder schon auf der Gr<strong>und</strong>lage des zur Tatzeit geltenden Rechts zulässig, denn die anerkannten Voraussetzungen<br />

für einen rechtmäßigen Behandlungsabbruch durch so genannte "passive Sterbehilfe" lagen vor. Dabei<br />

kam es hier nicht auf einen - im Einzelfall möglicherweise schwer feststellbaren (vgl. BGHSt 40, 257, 260 f.) - mutmaßlichen<br />

Willen der Betroffenen an, da ihr wirklicher, vor Eintritt ihrer Einwilligungsunfähigkeit ausdrücklich<br />

geäußerter Wille zweifelsfrei festgestellt war. Zwischen den Betreuern <strong>und</strong> dem behandelnden Arzt bestand überdies<br />

Einvernehmen, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung dem Willen der Patientin entsprach. Unter diesen Voraussetzungen<br />

durfte die Fortsetzung der künstlichen Ernährung unterlassen werden, ohne dass eine betreuungsgerichtliche<br />

Genehmigung erforderlich oder veranlasst gewesen wäre.<br />

c) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht daher angenommen, dass die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme<br />

der künstlichen Ernährung einen rechtswidrigen Angriff gegen die körperliche Integrität <strong>und</strong> das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Patientin dargestellt hätte. Nach der schon zur Tatzeit ganz herrschenden Rechtsauffassung verliehen<br />

weder der Heimvertrag noch die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) der Heimleitung oder dem Pflegepersonal<br />

das Recht, sich über das Selbstbestimmungsrecht von Patienten hinwegzusetzen <strong>und</strong> eigenmächtig in deren<br />

verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf körperliche Unversehrtheit einzugreifen (vgl. BGHZ 163, 195, 200; Dirksen<br />

GesR 2004, 124, 128; Höfling JZ 2006, 145, 146; Hufen NJW 2001, 849, 853; ders. ZRP 2003, 248, 252; Ingelfinger<br />

JZ 2006, 821, 829; Lipp FamRZ 2004, 317, 324; Müller DNotZ 2005, 927, 928 f.; Sternberg-Lieben in FS für<br />

Eser (2005) S. 1185, 1203; Uhlenbruck NJW 2003, 1710, 1711 f.; Verrel, Gutachten zum 66. DJT, 2006, C 41 ff.;<br />

Wagenitz FamRZ 2005, 669, 670 f.; anders noch OLG München NJW 2003, 1743, 1745; LG Traunstein NJW-RR<br />

2003, 221, 224).<br />

2. Zutreffend hat das Landgericht die Frage verneint, ob die der Verurteilung zugr<strong>und</strong>e gelegten Handlungen des<br />

Angeklagten <strong>und</strong> der früheren Mitangeklagten, mit denen die rechtswidrige Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung<br />

<strong>und</strong> der hierin liegende Angriff auf die körperliche Unversehrtheit <strong>und</strong> das Selbstbestimmungsrecht verhindert<br />

werden sollten, schon nach den Regeln der Nothilfe (§ 32 <strong>StGB</strong>) gerechtfertigt waren. Zwar lag, wie sich aus Vorstehendem<br />

ergibt, eine Notwehrlage im Sinne von § 32 <strong>StGB</strong> vor, welche den Angeklagten <strong>und</strong> die Betreuerin zur<br />

Nothilfe gem. § 32 Abs. 2 <strong>StGB</strong> berechtigt hätte. Die Verteidigungshandlungen richteten sich hier aber nicht oder<br />

nicht allein gegen Rechtsgut der Angegriffenen selbst. Der Eingriff in das Rechtsgut Leben der angegriffenen Person<br />

kann aber ersichtlich nicht durch Nothilfe gegen einen Angriff auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit<br />

<strong>und</strong> das Selbstbestimmungsrecht derselben Person gerechtfertigt sein. Er bedurfte als selbständige Rechtsgutsverletzung<br />

vielmehr einer eigenen, von der Nothilfelage unabhängigen Legitimation. Rechtsgüter des Angreifers (Sachbeschädigung<br />

durch Zerschneiden des Schlauchs), sondern vor allem gegen ein höchstrangiges, anderes Rechtsgut der<br />

Angegriffenen selbst. Der Eingriff in das Rechtsgut Leben der angegriffenen Person kann aber ersichtlich nicht<br />

durch Nothilfe gegen einen Angriff auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit <strong>und</strong> das Selbstbestimmungsrecht<br />

derselben Person gerechtfertigt sein. Er bedurfte als selbständige Rechtsgutsverletzung vielmehr einer eigenen,<br />

von der Nothilfelage unabhängigen Legitimation. Auch eine Rechtfertigung aus dem Gesichtspunkt des Notstands<br />

gem. § 34 <strong>StGB</strong> scheidet, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend gesehen hat, vorliegend schon deshalb aus,<br />

weil sich der Eingriff des Angeklagten hier gegen das höchstrangige Rechtsgut (Leben) derjenigen Person richtete,<br />

welcher die gegenwärtige Gefahr (für die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit <strong>und</strong> des Selbstbestimmungsrechts)<br />

im Sinne von § 34 <strong>StGB</strong> drohte (a.A. Otto, Gut-achten zum 56. DJT, 1986, D 44 ff.; Merkel ZStW Bd. 107<br />

(1995) S. 454, 570 f.; ders., Früheuthanasie (2000) S. 523 ff.; Neumann NK-<strong>StGB</strong> vor § 211 Rn. 127; H. Schneider<br />

in MüKo-<strong>StGB</strong> vor §§ 211 ff. Rn. 111 f.; Chr. Schneider, Tun <strong>und</strong> Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender<br />

95


medizinischer Behandlung 1998 S. 242 ff.). Eine Entschuldigung gem. § 35 <strong>StGB</strong> oder aus dem Gesichtspunkt des<br />

"übergesetzlichen" Notstands scheidet ebenfalls aus.<br />

3. Eine Rechtfertigung für die Tötungshandlung konnte sich daher hier allein aus dem von den Kindern der Frau K.<br />

als deren Betreuern geltend gemachten Willen der Betroffenen, also ihrer Einwilligung ergeben, die künstliche Ernährung<br />

abzubrechen <strong>und</strong> ihre Fortsetzung oder Wiederaufnahme zu unterlassen. Im Unterschied zu den bislang vom<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof entschiedenen Fällen weist der vorliegende die Besonderheit auf, dass die die Wiederaufnahme<br />

der künstlichen Ernährung verhindernde, direkt auf die Lebensbeendigung abzielende Handlung der früheren Mitangeklagten,<br />

die dem Angeklagten vom Landgericht rechtsfehlerfrei als eigene Handlung gemäß § 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong><br />

zugerechnet worden ist, nach den allgemeinen Regeln nicht als Unterlassen, sondern als aktives Tun anzusehen ist.<br />

Für diesen Fall ist eine Rechtfertigung direkt lebensbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der "Sterbehilfe"<br />

von der Rechtsprechung bisher nicht anerkannt worden. Hieran hält der Senat, auch im Hinblick auf die durch<br />

das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl I 2286) geänderte zivilrechtliche<br />

Rechtslage, nicht fest.<br />

a) Der Gesetzgeber hat den betreuungsrechtlichen Rahmen einer am Patientenwillen orientierten Behandlungsbegrenzung<br />

durch Gesetz vom 29. Juli 2009 - so genanntes Patientenverfügungsgesetz - (BGBl I 2286) festgelegt. Das<br />

am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz hatte vor allem auch zum Ziel, Rechts- <strong>und</strong> Verhaltenssicherheit zu<br />

schaffen (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/13314 S. 3 f. <strong>und</strong> 7 f.). Maßstäbe für die<br />

gesetzliche Neuordnung waren zum einen das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Person,<br />

welches das Recht zur Ablehnung medizinischer Behandlungen <strong>und</strong> gegebenenfalls auch lebensverlängernder Maßnahmen<br />

ohne Rücksicht auf ihre Erforderlichkeit einschließt, zum anderen der ebenfalls von der Verfassung gebotene<br />

Schutz des menschlichen Lebens, der unter anderem in den strafrechtlichen Normen der §§ 212, 216 <strong>StGB</strong> seinen<br />

Ausdruck findet. In Abwägung dieser Gr<strong>und</strong>sätze hat der Gesetzgeber des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes<br />

nach umfassenden Beratungen <strong>und</strong> Anhörungen unter Einbeziehung einer Vielzahl von Erkenntnissen <strong>und</strong> Meinungen<br />

unterschiedlichster Art entschieden, dass der tatsächliche oder mutmaßliche, etwa in konkreten Behandlungswünschen<br />

zum Ausdruck gekommene Wille eines aktuell einwilligungsunfähigen Patienten unabhängig von<br />

Art <strong>und</strong> Stadium seiner Erkrankung verbindlich sein <strong>und</strong> den Betreuer sowie den behandelnden Arzt binden soll (§<br />

1901a Abs. 3 BGB; vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 16/8442 S. 11 f.; Diederichsen in<br />

Palandt BGB 69. Aufl. § 1901a Rn. 16 ff. u. 29). Eine betreuungsgerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit für Entscheidungen<br />

über die Vornahme, das Unterlassen oder den Abbruch medizinischer Maßnahmen ist auf Fälle von<br />

Meinungsdivergenzen zwischen Arzt <strong>und</strong> Betreuer oder Bevollmächtigtem über den Willen des nicht selbst äußerungsfähigen<br />

Patienten oder über die medizinische Indikation von Maßnahmen beschränkt (§ 1904 Abs. 2 <strong>und</strong> 4<br />

BGB). Die Regelungen der §§ 1901a ff. BGB enthalten zudem betreuungsrechtliche Verfahrensregeln zur Ermittlung<br />

des wirklichen oder mutmaßlichen Willens des Betreuten (vgl. dazu Diederichsen aaO Rn. 4 ff. u. 21 ff.;<br />

Diehn/Rebhan NJW 2010, 326; Höfling NJW 2009, 2849, 2850 f.).<br />

b) Diese Neuregelung entfaltet auch für das Strafrecht Wirkung. Allerdings bleiben die Regelungen der §§ 212, 216<br />

<strong>StGB</strong> von den Vorschriften des Betreuungsrechts unberührt, welche schon nach ihrem Wortlaut eine Vielzahl weit<br />

darüber hinaus reichender Fallgestaltungen betreffen <strong>und</strong> auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht etwa strafrechts-spezifische<br />

Regeln für die Abgrenzung erlaubter Sterbehilfe von verbotener Tötung enthalten (vgl. BT-<br />

Drucks. 16/8442 S. 7 f. u. 9). Im Übrigen ergibt sich schon aus dem gr<strong>und</strong>sätzlich schrankenlosen <strong>und</strong> die unterschiedlichsten<br />

betreuungsrechtlichen Fallgestaltungen erfassenden Wortlaut des § 1901a BGB selbst, dass die Frage<br />

einer strafrechtlichen Rechtfertigung von Tötungshandlungen nicht nur als zivilrechtsakzessorisches Problem behandelt<br />

werden kann. Wo die Grenze einer rechtfertigenden Einwilligung verläuft <strong>und</strong> der Bereich strafbarer Tötung auf<br />

Verlangen beginnt, ist, ebenso wie die Frage nach der Reichweite einer eine Körperverletzung rechtfertigenden Einwilligung<br />

(§ 228 <strong>StGB</strong>), eine strafrechts-spezifische Frage, über die im Lichte der Verfassungsordnung <strong>und</strong> mit Blick<br />

auf die Regelungen anderer Rechtsbereiche, jedoch im Gr<strong>und</strong>satz autonom nach materiell strafrechtlichen Kriterien<br />

zu entscheiden ist (ebenso Verrel, Gutachten zum 66. DJT, (2006) C 34 ff. <strong>und</strong> 57 ff.; vgl. auch AE-Sterbebegleitung<br />

GA 2005, 533, 564; a.A. Lipp FamRZ 2004, 317; Neumann/Saliger HRRS 2006, 280, 284; offengelassen für das<br />

frühere Betreuungsrecht von Bernsmann ZRP 1996, 87, 90). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte diese Grenze<br />

durch die Regelungen der §§ 1901a ff. BGB nicht verschoben werden (BT-Drucks. 16/8442 S. 9). Die §§ 1901a ff.<br />

BGB enthalten aber auch eine verfahrensrechtliche Absicherung für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts<br />

von Patienten, die selbst zu einer Willensäußerung nicht (mehr) in der Lage sind. Sie sollen gewährleisten,<br />

dass deren Wille über den Zeitpunkt des Eintritts von Einwilligungsunfähigkeit hinaus gilt <strong>und</strong> beachtet wird. Diese<br />

Neuregelung, die ausdrücklich mit dem Ziel der Orientierungssicherheit für alle Beteiligten geschaffen wurde, muss<br />

96


unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung (vgl. Reus JZ 2010, 80, 83 f.) bei der Bestimmung<br />

der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Handlungen berücksichtigt werden.<br />

4. Das Landgericht hat eine Rechtfertigung des Angeklagten <strong>und</strong> der Mittäterin durch Einwilligung der betroffenen<br />

Patientin abgelehnt, weil nach seiner Auffassung die Voraussetzungen einer nach bisherigem Recht zulässigen so<br />

genannten passiven Sterbehilfe durch Unterlassen der weiteren künstlichen Ernährung nicht vorgelegen haben; es hat<br />

das Durchtrennen des Schlauchs der PEG-Sonde als aktives Handeln gewertet <strong>und</strong> deshalb der Einwilligung der<br />

Patientin eine rechtfertigende Wirkung abgesprochen.<br />

a) Diese Ansicht entspricht der bisher in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung,<br />

wonach zwischen (unter bestimmten Bedingungen) erlaubter "passiver" <strong>und</strong> "indirekter" sowie stets verbotener "aktiver"<br />

Sterbehilfe zu unterscheiden sei (vgl. hierzu allgemein: Eser in Schönke/Schröder <strong>StGB</strong> 27. Aufl. Vorbem. §§<br />

211 ff. Rn. 21 ff.; Fischer <strong>StGB</strong> 57. Aufl. vor §§ 211-216 Rn. 16 ff.; Otto NJW 2006, 2214 ff.; Roxin in Roxin/Schroth<br />

Handbuch des Medizinstrafrechts 4. Aufl. S. 83 ff.; Chr. Schneider, Tun <strong>und</strong> Unterlassen beim Abbruch<br />

lebenserhaltender medizinischer Behandlung, 1998 S. 33 ff.; H. Schneider in MüKo-<strong>StGB</strong> vor §§ 211 ff. Rn. 88 ff.;<br />

Schöch in FS für Hirsch (1999) S. 693 ff.; Schreiber NStZ 2006, 473, 474 ff.; Schroth GA 2006, 549 ff.; Ulsenheimer,<br />

Arztstrafrecht in der Praxis 4. Aufl. (2008) S. 336, Rn. 275 ff., alle mwN; vgl. auch Sterbehilfe <strong>und</strong> Sterbebegleitung,<br />

Bericht der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz v. 23. April 2004 S. 64 ff.). Das bloße Einstellen künstlicher<br />

Ernährung ist danach schon wegen seines äußeren Erscheinungsbildes, jedenfalls aber nach dem Schwerpunkt<br />

des strafrechtlich relevanten Verhaltens, nicht als aktives Tun, sondern als Unterlassen <strong>und</strong> damit als "passives"<br />

Verhalten angesehen worden (BGHSt 40, 257, 265 f.; vgl. dazu auch Coeppicus FPR 2007, 63; Eser aaO Rn. 27 ff.;<br />

Fischer aaO Rn. 19 ff.; Rn. 92 u. 104 ff.; Helgerth JR 1995, 338, 339; Kutzer NStZ 1994, 110, 113 f.; ders. FPR<br />

2007, 59, 62; Merkel ZStW Bd. 107 (1995), 545, 554; H. Schneider aaO; Schöch NStZ 1995, 153, 154; Schroth GA<br />

2006, 549, 550 ff.; Verrel, Gutachten zum 66. DJT, 2006, C 13 ff. u. C 56 f.; Vogel MDR 1995, 337, 338 f.; Weigend<br />

in LK 12. Aufl. § 13 Rn. 8; jew. mwN; gr<strong>und</strong>legend dazu schon Geilen, "Euthanasie" <strong>und</strong> Selbstbestimmung,<br />

1975, S. 22 ff.). Eine zulässige "passive Sterbehilfe" setzt auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Differenzierung nach bisher<br />

herrschender Meinung deshalb stets ein Unterlassen im Rechtssinn (§ 13 <strong>StGB</strong>) voraus; aktives Handeln im natürlichen<br />

Sinne soll danach stets als rechtswidriges Tötungsdelikt im Sinne der §§ 212, 216 <strong>StGB</strong> strafbar sein (vgl. Helgerth<br />

JR 1995, 338, 339).<br />

b) An diesem an den äußeren Erscheinungsformen von Tun <strong>und</strong> Unterlassen orientierten Kriterium für die Abgrenzung<br />

zwischen gerechtfertigter <strong>und</strong> rechtswidriger Herbeiführung des Todes mit Einwilligung oder mutmaßlicher<br />

Einwilligung des betroffenen Patienten hält der Senat nicht fest.<br />

aa) Die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat sich in der Vergangenheit selbst auch nicht durchgängig hieran<br />

orientiert, denn ein pflichtwidriges Unterlassen kann den Tatbestand des § 216 <strong>StGB</strong> ebenfalls erfüllen (BGHSt 13,<br />

162, 166; 32, 367, 371). Schon dies zeigt, dass die Kriterien für die Abgrenzung zwischen erlaubtem <strong>und</strong> verbotenem<br />

Verhalten nicht allein in der äußerlichen Handlungsqualität gef<strong>und</strong>en werden können. Zwar unterscheidet das Gesetz<br />

zwischen dem pflichtwidrigen Unterlassen einer erfolgsabwendenden Handlung <strong>und</strong> dem aktiv erfolgsverursachenden<br />

Tun gr<strong>und</strong>sätzlich wertungsmäßig, da es in § 13 Abs. 2 <strong>StGB</strong> für den Fall der Erfolgsverursachung durch Unterlassen<br />

eine fakultative Strafmilderung bereit hält (vgl. Kargl GA 1999, 459 ff.; Ulsenheimer aaO S. 336). Diese generelle<br />

Differenzierung lässt jedoch gleichzeitig die Möglichkeit offen, Tun <strong>und</strong> Unterlassen wertungsmäßig gleich<br />

zu gewichten <strong>und</strong> damit auch gleich zu behandeln, wenn der zugr<strong>und</strong>e liegende Lebenssachverhalt dies erfordert.<br />

bb) Die Grenze zwischen erlaubter Sterbehilfe <strong>und</strong> einer nach den §§ 212, 216 <strong>StGB</strong> strafbaren Tötung kann nicht<br />

sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem <strong>und</strong> passivem Handeln bestimmt werden.<br />

Die Umdeutung der erlebten Wirklichkeit in eine dieser widersprechende normative Wertung, nämlich eines tatsächlich<br />

aktiven Verhaltens, etwa beim Abschalten eines Beatmungsgeräts, in ein "normativ verstandenes Unterlassen" -<br />

mit dem Ziel, dieses Verhalten als "passive Sterbehilfe" rechtlich legitimieren zu können - ist in der Vergangenheit<br />

zu Recht auf Kritik gestoßen <strong>und</strong> als dogmatisch unzulässiger "Kunstgriff" abgelehnt worden (vgl. etwa Fischer<br />

<strong>StGB</strong> 57. Aufl. vor §§ 211-216 Rn. 20; Gropp in GS für Schlüchter (2002) S. 173, 184; Hirsch in FS für Lackner<br />

(1987) S. 597, 605; Kargl GA 1999, 459, 478 ff.). Eine solche wertende Umdeutung aktiven Tuns in ein normatives<br />

Unter-lassen wird den auftretenden Problemen nicht gerecht. Ein "Behandlungsabbruch" erschöpft sich nämlich nach<br />

seinem natürlichen <strong>und</strong> sozialen Sinngehalt nicht in bloßer Untätigkeit; er kann <strong>und</strong> wird vielmehr fast regelmäßig<br />

eine Vielzahl von aktiven <strong>und</strong> passiven Handlungen umfassen, deren Einordnung nach Maßgabe der in der Dogmatik<br />

<strong>und</strong> von der Rechtsprechung zu den Unterlassungstaten des § 13 <strong>StGB</strong> entwickelten Kriterien problematisch ist <strong>und</strong><br />

teilweise von bloßen Zufällen abhängen kann. Es ist deshalb sinnvoll <strong>und</strong> erforderlich, alle Handlungen, die mit einer<br />

solchen Beendigung einer ärztlichen Behandlung im Zusammenhang stehen, in einem normativ-wertenden Oberbegriff<br />

des Behandlungsabbruchs zusammenzufassen, der neben objektiven Handlungselementen auch die subjektive<br />

97


Zielsetzung des Handelnden umfasst, eine bereits begonnene medizinische Behandlungsmaßnahme gemäß dem Willen<br />

des Patienten insgesamt zu beenden oder ihren Umfang entsprechend dem Willen des Betroffenen oder seines<br />

Betreuers nach Maßgabe jeweils indizierter Pflege- <strong>und</strong> Versorgungserfordernisse zu reduzieren (zum Begriff des<br />

"tätigen Behandlungsabbruchs" vgl. schon Jähnke in LK-<strong>StGB</strong> 11. Aufl. vor § 211 Rn. 18; ähnl. Roxin in Roxin/Schroth<br />

Handbuch des Medizinstrafrechts 4. Aufl. S. 94 f.; vgl. § 214 AE-Sterbehilfe 1986 <strong>und</strong> § 214 AE-<br />

Sterbebegleitung GA 2005, 552, 560 f. sowie Nr. II u. III der Gr<strong>und</strong>sätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung,<br />

Fassung 2004). Denn wenn ein Patient das Unterlassen einer Behandlung verlangen kann, muss dies gleichermaßen<br />

auch für die Beendigung einer nicht (mehr) gewollten Behandlung gelten, gleich, ob dies durch Unterlassen weiterer<br />

Behandlungsmaßnahmen oder durch aktives Tun umzusetzen ist, wie es etwa das Abschalten eines Respirators oder<br />

die Entfernung einer Ernährungssonde darstellen. Dasselbe gilt, wenn die Wiederaufnahme einer dem Patientenwillen<br />

nicht (mehr) entsprechenden medizinischen Maßnahme in Rede steht (so etwa Eser in Schönke/Schröder/Eser<br />

<strong>StGB</strong> 27. Aufl. vor § 211 Rn. 31 f.; Roxin NStZ 1987, 345, 350; LG Ravensburg NStZ 1987, 229), die verhindert<br />

werden soll.<br />

cc) Da eine Differenzierung nach aktivem <strong>und</strong> passivem Handeln nach äußerlichen Kriterien nicht geeignet ist, sachgerecht<br />

<strong>und</strong> mit dem Anspruch auf Einzelfallgerechtigkeit die Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer eine Rechtfertigung<br />

des Handelns durch den auf das Unterlassen oder den Abbruch der medizinischen Behandlung gerichteten<br />

Willen des Patienten anzuerkennen ist, müssen andere Kriterien gelten, anhand derer diese Unterscheidung vorgenommen<br />

werden kann. Diese ergeben sich aus den Begriffen der "Sterbehilfe" <strong>und</strong> des "Behandlungsabbruchs"<br />

selbst <strong>und</strong> aus der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter vor dem Hintergr<strong>und</strong> der verfassungsrechtlichen Ordnung.<br />

Der Begriff der Sterbehilfe durch Behandlungsunterlassung, -begrenzung oder -abbruch setzt voraus, dass die betroffene<br />

Person lebensbedrohlich erkrankt ist <strong>und</strong> die betreffende Maßnahme medizinisch zur Erhaltung oder Verlängerung<br />

des Lebens geeignet ist. Nur in diesem engen Zusammenhang hat der Begriff der "Sterbehilfe" einen systematischen<br />

<strong>und</strong> strafrechtlich legitimierenden Sinn. Vorsätzliche lebensbeendende Handlungen, die außerhalb eines<br />

solchen Zusammenhangs mit einer medizinischen Behandlung einer Erkrankung vorgenommen werden, sind einer<br />

Rechtfertigung durch Einwilligung dagegen von vornherein nicht zugänglich; dies ergibt sich ohne Weiteres aus §<br />

216 <strong>und</strong> § 228 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> den diesen Vorschriften zugr<strong>und</strong>e liegenden Wertungen unserer Rechtsordnung. Eine durch<br />

Einwilligung gerechtfertigte Handlung der Sterbehilfe setzt überdies voraus, dass sie objektiv <strong>und</strong> subjektiv unmittelbar<br />

auf eine medizinische Behandlung im oben genannten Sinn bezogen ist. Erfasst werden hiervon nur das Unterlassen<br />

einer lebenserhaltenden Behandlung oder ihr Abbruch sowie Handlungen in der Form der so genannten "indirekten<br />

Sterbehilfe", die unter Inkaufnahme eines möglichen vorzeitigen Todeseintritts als Nebenfolge einer medizinisch<br />

indizierten palliativen Maßnahme erfolgen. Das aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG abgeleitete Selbstbestimmungsrecht<br />

des Einzelnen legitimiert die Person zur Abwehr gegen nicht gewollte Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit<br />

<strong>und</strong> in den unbeeinflussten Fortgang ihres Lebens <strong>und</strong> Sterbens; es gewährt ihr aber kein Recht oder gar einen<br />

Anspruch darauf, Dritte zu selbständigen Eingriffen in das Leben ohne Zusammenhang mit einer medizinischen<br />

Behandlung zu veranlassen. Eine Rechtfertigung durch Einwilligung kommt daher nur in Betracht, wenn sich das<br />

Handeln darauf beschränkt, einen Zustand (wieder-)herzustellen, der einem bereits begonnenen Krankheitsprozess<br />

seinen Lauf lässt, indem zwar Leiden gelindert, die Krankheit aber nicht (mehr) behandelt wird, so dass der Patient<br />

letztlich dem Sterben überlassen wird. Nicht erfasst sind dagegen Fälle eines gezielten Eingriffs, der die Beendigung<br />

des Lebens vom Krankheitsprozess abkoppelt (vgl. zu dieser Unterscheidung auch Höfling JuS 2000, 111, 113; Verrel,<br />

Gutachten zum 66. DJT, 2006, C 64). Eine solche Unterscheidung nach den dem Begriff des Behandlungsabbruchs<br />

immanenten Kriterien der Behandlungsbezogenheit <strong>und</strong> der Verwirklichung des auf die Behandlung bezogenen<br />

Willens der betroffenen Person ist besser als die bisherige, dogmatisch fragwürdige <strong>und</strong> praktisch kaum durchführbare<br />

Unterscheidung zwischen aktivem <strong>und</strong> passivem Handeln geeignet, dem Gewicht der betroffenen Rechtsgüter<br />

in der Abwägung Geltung zu verschaffen <strong>und</strong> für alle Beteiligten eine klare rechtliche Orientierung zu bieten. Die<br />

tatbestandlichen Grenzen des § 216 <strong>StGB</strong> bleiben hierdurch unberührt. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers<br />

des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes, wonach Handlungen, die der Ablehnung einer medizinischen<br />

Maßnahme oder der Untersagung ihrer Fortführung durch den betroffenen Patienten Rechnung tragen, von<br />

einer Tötung auf Verlangen i.S.d. § 216 <strong>StGB</strong> strikt zu unterscheiden sind (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 3, 7 f.).<br />

dd) Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten beweismäßig strenge Maßstäbe, die der<br />

hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter Rechnung zu tragen haben (vgl. schon BGHSt 40, 257, 260 f.). Dies<br />

hat insbesondere zu gelten, wenn es beim Fehlen einer schriftlichen Patientenverfügung um die Feststellung eines in<br />

der Vergangenheit mündlich geäußerten Patientenwillens geht. Die Verfahrensregeln der §§ 1901a ff. BGB, insbesondere<br />

das zwingend erforderliche Zusammenwirken von Betreuer oder Bevollmächtigtem <strong>und</strong> Arzt sowie gegebenenfalls<br />

die Mitwirkung des Betreuungsgerichts, sichern die Beachtung <strong>und</strong> Einhaltung dieser Maßstäbe.<br />

98


c) Die Anwendung der oben dargelegten Gr<strong>und</strong>sätze einer Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs ist nicht auf das<br />

Handeln der den Patienten behandelnden Ärzte sowie der Betreuer <strong>und</strong> Bevollmächtigten beschränkt, sondern kann<br />

auch das Handeln Dritter erfassen, soweit sie als von dem Arzt, dem Betreuer oder dem Bevollmächtigten für die<br />

Behandlung <strong>und</strong> Betreuung hinzugezogene Hilfspersonen tätig werden. Dies folgt schon daraus, dass sich ein Behandlungsabbruch<br />

in der Regel nicht in einzelnen Handlungen oder Unterlassungen erschöpft, sondern unter Umständen<br />

ein Bündel von meist palliativ-medizinischen Maßnahmen erfordert, die nicht notwendig vom behandelnden<br />

Arzt selbst vorgenommen werden müssen.<br />

5. Ob der Senat mit der dargelegten Auslegung des § 216 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> der Inhaltsbestimmung des Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>s<br />

der Einwilligung im Rahmen der Sterbehilfe von früheren tragenden Entscheidungen anderer Senate des<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshofs abweicht, kann dahinstehen, weil der Senat auf der Gr<strong>und</strong>lage der neuen gesetzlichen Regelung<br />

der §§ 1901a ff. BGB zu entscheiden hatte; eine Anfrage gem. § 132 Abs. 3 GVG war daher nicht geboten (vgl.<br />

BGHSt 44, 121, 124; BGH NStZ 2002, 160 f.). Wäre nach der Rechtslage vor dem 1. September 2009 das Handeln<br />

des Angeklagten nicht gerechtfertigt gewesen, so wäre die Rechtsänderung jedenfalls gemäß § 2 Abs. 3 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> §<br />

354a StPO zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.<br />

6. Der Angeklagte hat als von den Betreuern der Frau K. hinzugezogener <strong>und</strong> sie beratender Rechtsanwalt ebenso<br />

wenig rechtswidrig gehandelt wie die Betreuer selbst. Er war deshalb gemäß § 354 Abs. 1 StPO durch den Senat<br />

freizusprechen.<br />

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die allein gegen die Strafzumessung gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist nach alledem unbegründet <strong>und</strong><br />

war deshalb zu verwerfen.<br />

<strong>StGB</strong> § 216 Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens<br />

BGH, Urt. v. 07.10.2010 – 3 StR 168/10 - NStZ 2011, 340<br />

Zur Voraussetzung der Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens i.S.d. § 216 Abs. 1 <strong>StGB</strong>.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Verhandlung vom 30. September 2010 in der Sitzung am<br />

7. Oktober 2010 für Recht erkannt: Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Verden<br />

vom 13. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung,<br />

auch über die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen,<br />

an eine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 <strong>StGB</strong>) zu einer Freiheitsstrafe von zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin,<br />

die einen Schuldspruch wegen Mordes erstrebt. Nach ihrer Auffassung ist das Landgericht zu Unrecht zu der<br />

Annahme gelangt, dass der Angeklagte durch ein ausdrückliches <strong>und</strong> ernsthaftes Verlangen des Tatopfers zu dessen<br />

Tötung bestimmt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen war der zur Tatzeit 74 Jahre alte Angeklagte mit dem späteren Tatopfer, der 53 Jahre alt<br />

gewordenen B. , seit 1986 in vierter Ehe verheiratet. Frau B. litt seit mehreren Jahren an einem Myom, das auf eine<br />

Masse von 1.885 Gramm herangewachsen war, fast die gesamte Bauchhöhle ausfüllte <strong>und</strong> infolge seiner Verhärtung<br />

von außen unter der Bauchdecke ertastbar war. Es verursachte zumindest unbestimmte Unterleibsschmerzen sowie<br />

Verdauungsstörungen <strong>und</strong> Harndrang. Frau B. hatte die Tumorerkrankung erkannt, verheimlichte sie aber vor ihrem<br />

persönlichen Umfeld; auch dem Angeklagten offenbarte sie erst wenige Tage vor der Tat, dass sie an Unterleibsschmerzen<br />

leide, ohne auf Nachfragen weiter einzugehen. Ob sie sich in ärztliche Behandlung begeben hatte, konnte<br />

das Landgericht nicht feststellen. Da sie Handwerker erwarteten, standen die Eheleute am 3. Juni 2009 früh auf.<br />

Zwischen ihnen entwickelte sich ein Gespräch, in dem Frau B. dem Angeklagten eröffnete, sie leide an einem bösartigen<br />

Unterleibsgeschwür, habe starke Schmerzen, die sie nicht mehr ertragen könne, <strong>und</strong> fühle sich körperlich am<br />

Ende. Sie hatte "zu diesem Zeitpunkt" ihren Lebensmut verloren <strong>und</strong> wollte sterben. Deshalb äußerte sie "ernsthaft<br />

<strong>und</strong> eindeutig" den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Sie bat den Angeklagten sie zu erschießen. Zwischen den<br />

Eheleuten "entspann sich daraufhin eine längere Diskussion", in deren Verlauf der Angeklagte sich schließlich bereiterklärte,<br />

Frau B. "ihrem dringend vorgetragenen Wunsch entsprechend" zu töten; er wolle dann aber "mit ihr<br />

99


gehen". Er versprach, auch den gemeinsamen H<strong>und</strong> <strong>und</strong> anschließend sich selbst zu töten. Frau B. legte ordentliche<br />

Kleidung <strong>und</strong> Schmuck an, schminkte sich <strong>und</strong> legte sich im Wohnzimmer auf das Sofa. Der Angeklagte trat von<br />

hinten an sie heran <strong>und</strong> schoss ihr mit einem im Scheitelbereich aufgesetzten Revolver in den Kopf. Frau B. verstarb<br />

nach wenigen Minuten. Anschließend tötete der Angeklagte den H<strong>und</strong>; wenig später schoss er sich mit einer aufgesetzten<br />

Pistole in die linke Brustseite. Er überlebte mit schweren Verletzungen.<br />

2. Das angefochtene Urteil hält in zweifacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zum einen ist die Beweiswürdigung<br />

wegen lückenhafter Darlegungen zur Überzeugungsbildung des Landgerichts für den Senat nicht<br />

insgesamt nachvollziehbar, zum anderen ermöglichen die getroffenen Feststellungen dem Senat nicht die Prüfung, ob<br />

das Tötungsverlangen des Tatopfers ernstlich im Sinne des § 216 Abs. 1 <strong>StGB</strong> war.<br />

a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Tötungsverlangen des Opfers beruhen auf den entsprechenden Angaben<br />

des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die er durch seinen Verteidiger verlesen ließ, als seine Einlassung bestätigte<br />

<strong>und</strong> mündlich ergänzte. Die Strafkammer hat nach einer "Gesamtbewertung sämtlicher vorhandener Indizien"<br />

nicht auszuschließen vermocht, dass sich das Tatgeschehen so abspielte, wie vom Angeklagten geschildert, <strong>und</strong> hat<br />

ihn daher in Anwendung des Zweifelssatzes nach § 216 <strong>StGB</strong> schuldig gesprochen. Ob das Landgericht bei der dem<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Überzeugungsbildung den Beweisstoff in dem gebotenen Umfang ausgeschöpft hat, bleibt indes<br />

in einem entscheidenden Punkt offen. Dies führt zur Aufhebung des Urteils (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., §<br />

337 Rn. 26 f.). Im Einzelnen: Das Landgericht hat zum Vorgeschehen der Tat, insbesondere zur Kenntnis der Ehefrau<br />

des Angeklagten von der genauen Art ihrer Erkrankung <strong>und</strong> deren Verheimlichung vor ihrem persönlichen Umfeld<br />

keine Feststellungen zu treffen vermocht, die es als unvereinbar mit der Einlassung des Angeklagten ansieht.<br />

Auch für ein abweichendes Tatmotiv des Angeklagten hat es keine hinreichenden Belege gesehen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

hat es die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zunächst dadurch gestützt gef<strong>und</strong>en, dass sich das<br />

objektive Spurenbild mit seinen Angaben in Einklang bringen lässt. Auch die Einlassung zu seinem - durch eine<br />

Panikattacke veranlassten - Verhalten zwischen der Tat <strong>und</strong> seinem Selbstmordversuch finde eine Entsprechung in<br />

der von mehreren Zeugen geschilderten Auffindesituation (Gartentor <strong>und</strong> Haustüren offen). Hinzu komme die emotionale<br />

Betroffenheit des Angeklagten während der Verlesung der Erklärung durch seinen Verteidiger. Demgegenüber<br />

hat das Landgericht mehrere Beweisanzeichen festgestellt, die gegen die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten<br />

sprechen können. So wollten die Eheleute Mitte Juli 2009 die Mutter von Frau B. in Süddeutschland besuchen<br />

<strong>und</strong> während der anschließenden Ferien die Enkelkinder des Tatopfers bei sich aufnehmen. Zudem hatten sie<br />

selbst eine Urlaubsreise in Aussicht genommen. Zunächst sollte jedoch am 3. Juni 2009, dem Tattag, die schon länger<br />

geplante Renovierung des gemeinsamen Wohnhauses beginnen, auf die Frau B. sich freute, die ihr wegen des<br />

vorgesehenen Umfangs der Arbeiten aber auch Angst machte. Die Handwerker wurden für den Morgen des Tattages<br />

erwartet. In der Nacht zuvor arbeitete Frau B. ihrer Gewohnheit entsprechend bis kurz vor 1.00 Uhr am Computer,<br />

las aktuelle Nachrichten <strong>und</strong> bearbeitete Bilder von ihrem Garten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte erstmals am<br />

vierten Hauptverhandlungstag das Tötungsverlangen seiner Ehefrau behauptete, nachdem zuvor das rechtsmedizinische<br />

Gutachten über das Obduktionsergebnis erstattet worden war. Das Landgericht hat zwar die Beweisbedeutung<br />

dieser Indizien nicht verkannt; es hat sie jedoch nicht für derart gewichtig erachtet, dass sie geeignet wären, die Richtigkeit<br />

der Einlassung des Angeklagten zu widerlegen. Deren Glaubhaftigkeit werde insbesondere nicht dadurch<br />

erschüttert, dass er weder bei den Explorationsgesprächen mit dem psychiatrischen Sachverständigen noch bei der<br />

mündlichen Haftprüfung durch das Landgericht <strong>und</strong> in dem sich anschließenden Haftbeschwerdeverfahren die in der<br />

Hauptverhandlung behauptete Tatversion vorgetragen habe; denn dies lasse sich durch die physischen <strong>und</strong> psychischen<br />

Folgen des Selbstmordversuchs erklären. Die Strafkammer gehe daher zugunsten des Angeklagten davon aus,<br />

dass er aufgr<strong>und</strong> seines Krankheitszustandes zunächst zu einer Einlassung überhaupt nicht in der Lage gewesen sei.<br />

Diese Würdigung leidet an einem durchgreifenden Mangel. Angesichts der besonderen Beweissituation musste sich<br />

das Landgericht mit dem genauen Inhalt der früheren Einlassungen des Angeklagten im Verfahren im Einzelnen<br />

auseinandersetzen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber nur, dass sich der Angeklagte offensichtlich vor Beginn<br />

der Hauptverhandlung bereits mehrfach zur Sache eingelassen hatte <strong>und</strong> diese Einlassungen nicht mit seinen Angaben<br />

in der Hauptverhandlung übereinstimmten. Was er ursprünglich zum Tatgeschehen geäußert hatte, teilt das Urteil<br />

hingegen nicht mit. Nur bei näherer Betrachtung der früheren Behauptungen zum Tatgeschehen kann jedoch<br />

nachvollzogen werden, ob der Schluss des Landgerichts, das abweichende Einlassungsverhalten des Angeklagten sei<br />

mit seinem wechselnden Ges<strong>und</strong>heitszustand erklärbar, frei von Rechtsfehlern ist. Schon dies führt zur Aufhebung<br />

des angefochtenen Urteils.<br />

b) Gemäß § 216 Abs. 1 <strong>StGB</strong> setzt die Privilegierung der Tötung auf Verlangen voraus, dass das Tötungsverlangen<br />

des Opfers, das den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich <strong>und</strong> ernsthaft ist. Während die Ausdrücklichkeit bestimmte<br />

Anforderungen an den Inhalt des Verlangens stellt, grenzt die Ernstlichkeit unter normativen Gesichtspunkten recht-<br />

100


lich anzuerkennende Beweggründe des Tatopfers für sein Tötungsverlangen von solchen ab, denen die Rechtsordnung<br />

eine privilegierende Wirkung versagt. Wo insoweit die Grenze zu ziehen ist, ist indessen streitig.<br />

aa) In der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist die Frage, welche Anforderungen an die Ernstlichkeit eines<br />

Tötungsverlangens zu stellen sind, nicht abschließend geklärt. Allerdings hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof in seinem Urteil<br />

vom 22. Januar 1981 (4 StR 480/80, NJW 1981, 932) festgehalten, dass ernstlich im Sinne des § 216 <strong>StGB</strong> nur ein<br />

Verlangen sei, das auf fehlerfreier Willensbildung beruhe. Der seinen Tod verlangende Mensch müsse die Urteilskraft<br />

besitzen, um Bedeutung <strong>und</strong> Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken <strong>und</strong> abzuwägen. Es<br />

komme deshalb auf die natürliche Einsichts- <strong>und</strong> Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an; sei dieser zu einer freien<br />

Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten Situation nicht imstande, z.B. als Geisteskranker<br />

oder Jugendlicher (s. aber auch BGH, Urteil vom 14. August 1963 - 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, zum<br />

"ernstlichen <strong>und</strong> in vollem Bewusstsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten" Todesverlangen eines 16jährigen,<br />

"über sein Alter hinaus gereifte(n) Mädchen(s)"), der nicht die entsprechende Verstandesreife besitze, so<br />

fehle es an einem ernstlichen Verlangen. Dem entsprechend hat er im Urteil vom 22. April 2005 - nicht tragend -<br />

einem Tötungsverlangen die Anerkennung versagt, weil das Tatopfer durch eine krankhafte seelische Störung in<br />

seiner natürlichen Einsichts- <strong>und</strong> Willensfähigkeit beeinträchtigt war <strong>und</strong> deshalb die Tragweite seines Entschlusses,<br />

sich töten zu lassen, nicht rational überblickte (2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, Rn. 5, 37). Damit sind indessen lediglich<br />

die gr<strong>und</strong>legenden Voraussetzungen umschrieben, die für jeden Verzicht des Betroffenen auf ein persönliches<br />

Rechts-gut zu fordern sind <strong>und</strong> die ungeachtet dessen, dass ihr Vorliegen keinen die Straflosigkeit begründenden<br />

Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> für die Tötung eines Menschen zu schaffen vermag, auch für § 216 <strong>StGB</strong> Geltung beanspruchen.<br />

Dass ein Tötungsverlangen von vornherein nur dann Anerkennung verdient, wenn das Opfer die zureichende<br />

natürliche Einsichts- <strong>und</strong> Urteilsfähigkeit besitzt, um frei verantwortlich entscheiden sowie die Bedeutung <strong>und</strong> die<br />

Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig überblicken <strong>und</strong> abwägen zu können, ist unumstritten. Auch das<br />

Schrifttum versagt einem Tötungsverlangen dann die Anerkennung, wenn dem Opfer diese Fähigkeit - etwa infolge<br />

alters- oder krankheitsbedingter Mängel oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen - fehlt (vgl. Fischer,<br />

<strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 216 Rn. 7; Lackner/Kühl, <strong>StGB</strong>, 27. Aufl., § 216 Rn. 2; LK-Jähnke, <strong>StGB</strong>, 11. Aufl., § 216 Rn. 7;<br />

MünchKomm<strong>StGB</strong>/Schneider § 216 Rn. 21; S/S-Eser, <strong>StGB</strong>, 26. Aufl., § 216 Rn. 8; SK-<strong>StGB</strong>/Horn, 6. Aufl., § 216<br />

Rn. 8). Gleiches gilt für einen Todeswunsch, der deshalb nicht auf einem in freier Eigenverantwortung gefassten<br />

Entschluss beruht, weil der Täter ihn durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorrief, etwa durch Vorspiegelung<br />

eigener Suizidabsicht (Fischer aaO; Jähnke aaO; Eser aaO; Schneider aaO Rn. 22; vgl. auch BGH, Urteil<br />

vom 3. Dezember 1985 - 5 StR 637/85, JZ 1987, 474).<br />

bb) Damit sind die inhaltlichen Anforderungen, die das normative Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit für die<br />

privilegierende Wirkung des Tötungsverlangens voraussetzt, jedoch nicht abschließend umschrieben. Das Fehlen<br />

von Willensmängeln der genannten Art ist zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Ernstlichkeit<br />

des Tötungsverlangens. Der Senat stimmt insoweit im Gr<strong>und</strong>satz der im strafrechtlichen Schrifttum einhellig<br />

geäußerten Auffassung zu, dass einem Todesbegehren die privilegierende Wirkung mangels Ernstlichkeit auch dann<br />

zu versagen sein kann, wenn es auf einem Entschluss des Opfers beruhte, der nach obigen Maßstäben frei von Willensmängeln<br />

war. Welche weiteren Eingrenzungen des Tatbestandsmerkmals danach geboten sind, wird aber in der<br />

Literatur nicht einheitlich beantwortet. <strong>Teil</strong>s wird einem Todeswunsch die Ernstlichkeit schon dann abgesprochen,<br />

wenn er als unüberlegt anzusehen ist (Kühl aaO), ohne diesem Begriff allerdings schärfere Konturen zu geben.<br />

Überwiegend wird einem Verlangen die Anerkennung dann versagt, wenn es einer Augenblicksstimmung oder einer<br />

vorübergehenden Depression entsprang (Fischer; Jähnke; Eser; Horn; jeweils aaO). Gelegentlich wird der Wunsch<br />

des Opfers, sterben zu wollen, darüber hinaus auch dann für unbeachtlich gehalten, wenn es bei seinem Entschluss<br />

von unzutreffenden Voraussetzungen ausging oder einem wesentlichen Motivirrtum unterlag, so etwa bei irriger<br />

Annahme einer unheilbaren Erkrankung (Eser; Horn; jeweils aaO). Am weitesten geht die Auffassung, das Tötungsverlangen<br />

sei ein Unterfall der Einwilligung, weshalb es gr<strong>und</strong>sätzlich schon dann anzuerkennen sei, wenn das Tatopfer<br />

keinen einwilligungsrelevanten Willensmängeln unterlag; auch diese Ansicht verlangt aber einschränkend eine<br />

durch Willensfestigkeit <strong>und</strong> Zielstrebigkeit gezeichnete innere Haltung des Lebensmüden, die einem beiläufig oder<br />

leichthin artikulierten Tötungsverlangen fehle (Schneider aaO Rn. 19 f.). Der Senat muss sich nicht im Einzelnen<br />

festlegen, welcher dieser Ansichten zu folgen ist. Selbst die Auffassung, nach der ein frei von Willensmängeln geäußerter<br />

Todeswunsch die weitestgehende Anerkennung verdient, lässt ein Verlangen in depressiver Augenblicksstimmung<br />

jedenfalls dann nicht genügen, wenn es nicht von innerer Festigkeit <strong>und</strong> Zielstrebigkeit getragen wird (Schneider<br />

aaO). Dem schließt sich der Senat insoweit an, als damit eine Voraussetzung umschrieben ist, welcher ein Tötungsverlangen<br />

mindestens zu genügen hat, um als ernstlich zu gelten. Bereits bei Anlegung eines solchen Maßstabs<br />

reichen die Feststellungen indes nicht aus, um beurteilen zu können, ob das Verlangen der Getöteten ernstlich war;<br />

101


denn das Urteil beschränkt sich insoweit im Wesentlichen darauf, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Es teilt<br />

weder den Inhalt des Gesprächs wenige Tage vor der Tat noch insbesondere den Inhalt der längeren Diskussion<br />

zwischen dem Angeklagtem <strong>und</strong> seiner Ehefrau unmittelbar vor der Tat mit. Ebenso wenig setzt es sich mit den<br />

genannten weiteren Beweisanzeichen auseinander, die gegen einen von innerer Festigkeit <strong>und</strong> Zielstrebigkeit getragenen<br />

Todeswunsch sprechen, insbesondere dass das Tatopfer bereits seit geraumer Zeit an seiner Erkrankung litt,<br />

was es aber nicht hinderte, konkrete Planungen für die nähere Zukunft anzustellen <strong>und</strong> bis kurz vor der Tat seinen<br />

gewohnten Alltagsbeschäftigungen nachzugehen.<br />

<strong>StGB</strong> § 223 Ärztliche Aufklärung über Außenseitermethoden („Zitronensaft“)<br />

BGH, Urt. v. 22.12.2010 – 3 StR 239/10 - NJW 2011, 1088<br />

LS: Zur erforderlichen Patientenaufklärung durch einen Chirurgen über dessen Absicht, bei einer<br />

Folgebehandlung, die wegen der Verwirklichung eines der Erstoperation typischerweise anhaftenden<br />

Risikos notwendig werden könnte, auch eine Außenseitermethode anzuwenden.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 15. Januar 2010, soweit<br />

es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch<br />

über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> drei Monaten verurteilt <strong>und</strong> deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf die<br />

Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils<br />

<strong>und</strong> Zurückverweisung der Sache.<br />

1. Nach den Feststellungen der Strafkammer war der Angeklagte Eigentümer <strong>und</strong> Geschäftsführer des Krankenhauses<br />

W. sowie dessen Chefarzt der Chirurgischen Abteilung. Am 10. März 2006 unterzog sich die 80-jährige M. in<br />

der Inneren Abteilung des Krankenhauses einer Darmspiegelung. Die Untersuchung ergab im Bereich des Dickdarms<br />

einen größeren Polypen, der sich im Rahmen der Koloskopie nicht vollständig entfernen ließ. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

mittelfristig bestehenden Gefahr eines Darmverschlusses hielten der Chefarzt der Inneren Abteilung <strong>und</strong> ein Arzt der<br />

Chirurgischen Abteilung eine Operation für sinnvoll bzw. angezeigt. Allerdings war eine sofortige Operation nicht<br />

erforderlich. Es hätte damit ohne erhebliche Risiken noch etwa ein halbes Jahr zugewartet werden können. Die Patientin<br />

war der Operation eher abgeneigt <strong>und</strong> zögerte, ihre Einwilligung zu erteilen. Sie verblieb allerdings im Krankenhaus<br />

<strong>und</strong> führte in der Folgezeit mehrere Aufklärungsgespräche mit zwei im Krankenhaus tätigen Ärzten. Im<br />

Rahmen dieser Unterredungen wurde sie ordnungsgemäß über den Gr<strong>und</strong> der Operation <strong>und</strong> die mit der geplanten<br />

Entfernung eines <strong>Teil</strong>s des Dickdarms verb<strong>und</strong>enen Risiken aufgeklärt. Schließlich willigte die Patientin am 12.<br />

März 2006 in den Eingriff ein. Am 13. März 2006 führte der Angeklagte die Operation durch. In der Folgezeit entzündete<br />

sich die Operationsw<strong>und</strong>e erheblich. Da sich trotz der ab dem 18. März 2006 vorgenommenen Gabe von<br />

Antibiotika der Zustand der Patientin verschlechterte, entschloss sich der Angeklagte am 20. März 2006 zur Durchführung<br />

einer Reoperation, der die zu diesem Zeitpunkt kaum mehr ansprechbare Patientin durch Nicken zustimmte.<br />

Am Ende dieser Operation legte der Angeklagte in die W<strong>und</strong>e einen mit Zitronensaft getränkten Streifen ein <strong>und</strong><br />

vernähte die W<strong>und</strong>e darüber. Der Angeklagte war aufgr<strong>und</strong> persönlicher beruflicher Erfahrungen der Überzeugung,<br />

Zitronensaft sei ein geeignetes Mittel zur Behandlung schwerwiegender W<strong>und</strong>heilungsstörungen. Weil er allgemein<br />

von einer keimtötenden Wirkung des Zitronensaftes ausging, hielt er die Einhaltung von sterilen Bedingungen bei<br />

dessen Gewinnung nicht für erforderlich. Er ließ den Zitronensaft daher in der Stationsküche durch Pflegekräfte aus<br />

handelsüblichen Früchten mit einer Haushaltspresse gewinnen, ohne besondere Vorkehrungen zur Gewährleistung<br />

der Sterilität des Saftes zu treffen. Tatsächlich barg der Einsatz des so hergestellten Zitronensaftes die Gefahr einer<br />

(weiteren) bakteriellen Verkeimung der W<strong>und</strong>e. Dem Angeklagten war klar, dass das Einbringen von Zitronensaft in<br />

W<strong>und</strong>en nicht dem allgemein üblichen medizinischen Standard entsprach <strong>und</strong> dessen Wirkung sowie allgemeine<br />

Verträglichkeit bislang nicht wissenschaftlich untersucht worden waren. Ihm war auch bewusst, dass eine Behandlung<br />

mit Zitronensaft der Einwilligung des Patienten bedurfte <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn der Saft nur zusätzlich zu<br />

der üblichen medizinischen W<strong>und</strong>behandlung eingesetzt wurde. Darüber, dass im Fall des Auftretens von W<strong>und</strong>heilungsstörungen<br />

an der Operationsw<strong>und</strong>e - der Praxis des Angeklagten entsprechend - (auch) unsteril gewonnener<br />

Zitronensaft in die W<strong>und</strong>e eingebracht werden würde, war die Patientin jedoch zu keinem Zeitpunkt aufgeklärt wor-<br />

102


den. Wäre sie hierüber informiert worden, so hätte sie schon in die Durchführung der ersten Operation nicht eingewilligt.<br />

Der Angeklagte wiederholte die Behandlung der Operationsw<strong>und</strong>e mit Zitronensaft in der Folgezeit noch<br />

zweimal. Am 30. März 2006 verstarb die Patientin an septischem Herz-Kreislauf-Versagen. Fachliche Fehler bei<br />

Durchführung der Operationen am 13. <strong>und</strong> 20. März 2006 ergaben sich nicht. Dass das Einbringen von Zitronensaft<br />

in die Operationsw<strong>und</strong>e diese zusätzlich bakteriell kontaminiert hatte oder dass diese Behandlung für den Tod der<br />

Patientin ursächlich war, konnte das Landgericht nicht feststellen. Vielmehr war todesursächlich die - typischerweise<br />

bei großen Bauchoperationen auftretende - Entzündung der bei dem ersten Eingriff entstandenen Operationsw<strong>und</strong>e.<br />

Das Landgericht hat die am Abend vor dem 13. März 2006 erteilte Einwilligung in die erste Operation aufgr<strong>und</strong><br />

eines Aufklärungsfehlers als unwirksam angesehen. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch unklar gewesen sei, ob es<br />

zu W<strong>und</strong>heilungsstörungen <strong>und</strong> infolgedessen zu einem Einsatz von Zitronensaft komme, hätte die Patientin bereits<br />

vor der ersten Operation darüber aufgeklärt werden müssen. Eine Aufklärung sei auch deshalb erforderlich gewesen,<br />

weil diese Methode derart ungewöhnlich sei, dass allein der Umstand ihres Einsatzes durch den Angeklagten dazu<br />

geeignet war, das Vertrauen der Patientin in eine sachgerechte Behandlung durch ihn zu erschüttern. Zudem habe<br />

von vornherein die Gefahr bestanden, dass im Fall des späteren Auftretens von W<strong>und</strong>heilungsstörungen zum Zeitpunkt<br />

der Entscheidung des Angeklagten über den Einsatz von Zitronensaft der Zustand der Patientin so schlecht<br />

gewesen wäre, dass sie nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr ohne Einschränkungen dazu in der Lage gewesen wäre,<br />

die Sachlage zu erfassen <strong>und</strong> sachgerecht über die Erteilung ihrer Zustimmung zu dieser Behandlungsmethode zu<br />

entscheiden. So sei es hier auch geschehen. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass seine Methode der Behandlung<br />

von W<strong>und</strong>heilungsstörungen unüblich <strong>und</strong> ungetestet war, auch wenn er von ihrem Nutzen überzeugt gewesen<br />

sein mag. Er habe daraus den richtigen Schluss gezogen, dass vor größeren Operationen, bei welchen die erhöhte<br />

Gefahr des späteren Auftretens von W<strong>und</strong>heilungsstörungen der Operationsw<strong>und</strong>e bestand, von vornherein eine<br />

Aufklärung des Patienten über seine ungewöhnlichen Methoden zur Behandlung derartiger Störungen erforderlich<br />

ist.<br />

2. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Gegen die Annahme des Landgerichts, die Einwilligung<br />

der Patientin in die Vornahme des ersten Eingriffs sei unwirksam gewesen, weil der Angeklagte es<br />

pflichtwidrig unterlassen hat, diese zuvor darüber aufzuklären, dass er im Falle einer W<strong>und</strong>heilungsstörung zu deren<br />

Behandlung auch Zitronensaft einsetzen werde, bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.<br />

a) Allerdings ist das Landgericht zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass jede in die körperliche Unversehrtheit<br />

eingreifende ärztliche Behandlungsmaßnahme den objektiven Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung<br />

erfüllt, unabhängig davon, ob sie lege artis durchgeführt <strong>und</strong> erfolgreich ist (st. Rspr.; vgl. nur die Nachw. bei<br />

Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 223 Rn. 9 ff.). Sie bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung, in der Regel der -<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich vor Durchführung der Behandlung ausdrücklich erteilten - wirksamen Einwilligung des Patienten. Die<br />

Wirksamkeit der Einwilligung setzt die Aufklärung über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, Risiken<br />

<strong>und</strong> mögliche Behandlungsalter-nativen mit wesentlich anderen Belastungen voraus. Nur so wird das aus der Menschenwürde<br />

(Art. 1 Abs. 1 GG) <strong>und</strong> dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) abgeleitete Selbstbestimmungsrecht<br />

des Patienten sowie sein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gewahrt<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1989 - VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391; Urteil vom 29. Juni 1995 - 4 StR 760/94,<br />

NStZ 1996, 34). Inhaltlich ist der Patient über die Chancen <strong>und</strong> Risiken der Behandlung im "Großen <strong>und</strong> Ganzen"<br />

aufzuklären, ihm muss ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs <strong>und</strong> von der Art der Belastungen<br />

vermittelt werden, die für seine körperliche Integrität <strong>und</strong> seine Lebensführung auf ihn zukommen können. Eine<br />

solche "Gr<strong>und</strong>aufklärung" hat regelmäßig auch einen Hinweis auf das schwerste, möglicherweise in Betracht kommende<br />

Risiko zu beinhalten; eine exakte medizinische Beschreibung all dessen bedarf es jedoch nicht (vgl. BGH,<br />

Urteil vom 12. März 1991 - VI ZR 232/90, NJW 1991, 2346). Der konkrete Umfang der Aufklärungspflicht bestimmt<br />

sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Behandlungsmaßnahme <strong>und</strong> unter Berücksichtigung der Dringlichkeit<br />

des Eingriffs. Je weniger ein sofortiger Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher <strong>und</strong> eindrücklicher<br />

ist der Patient, dem der Eingriff angeraten wird oder der ihn selbst wünscht, über die Erfolgsaussichten <strong>und</strong> etwaige<br />

schädliche Folgen zu informieren (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1990 - VI ZR 8/90, MedR 1991, 85; Urteil<br />

vom 10. Februar 1959 - 5 StR 533/58, BGHSt 12, 379). Zum Kern der Patientenaufklärung über einen operativen<br />

Eingriff zählt insbesondere die Erläuterung des sicher oder regelmäßig eintretenden post-operativen Zustands<br />

(Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., C. Haftung aus Aufklärungsfehler Rn. 18 f.). So kann etwa der Hinweis<br />

auf ein gegenüber dem Normalfall erhöhtes W<strong>und</strong>infektionsrisiko geboten sein (OLG <strong>Hamm</strong>, Urteil vom 16. Juni<br />

2008 - 3 U 148/07, juris; OLG Brandenburg, Urteil vom 13. November 2008 - 12 U 104/08, VersR 2009, 1230).<br />

Ausnahmsweise ist auch über schwerwiegende Risiken einer Folgebehandlung zu informieren, die trotz kunstgerechter<br />

Operation nötig werden kann, weil sich eine mit dieser verb<strong>und</strong>ene Komplikationsgefahr verwirklicht. Dies folgt<br />

103


daraus, dass der Patient über alle schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verb<strong>und</strong>en sind, auch dann aufzuklären<br />

ist, wenn sie sich nur selten verwirklichen. Für die ärztliche Hinweispflicht kommt es entscheidend nicht<br />

nur auf einen bestimmten Grad der Komplikationsdichte, sondern maßgeblich auch darauf an, ob das in Frage stehende<br />

Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet <strong>und</strong> bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders<br />

belastet. In solchen Fällen besteht zwischen einer ersten Operation <strong>und</strong> möglicherweise notwendig werdenden<br />

Folgebehandlungen ein enger Zusammenhang, der die Aufklärung über die Risiken der späteren Therapie schon<br />

vor dem ersten Eingriff erfordert. So ist etwa der Patient vor der Durchführung einer Nierenbeckenplastik darüber<br />

aufzuklären, dass die hiermit verb<strong>und</strong>ene Gefahr einer Anastomoseinsuffizienz eine Nachoperation erforderlich<br />

machen kann, die mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit einen Nierenverlust zur Folge hat (BGH, Urteil vom 9.<br />

Juli 1996 - VI ZR 101/95, NJW 1996, 3073). Ähnliches gilt vor der Entfernung einer Gallenblase, bei der mit erhöhter<br />

Wahrscheinlichkeit eine Choledochusrevision vorzunehmen ist, die infolge der aggressiven Manipulation an den<br />

Gallenwegen in zwei Prozent der Fälle eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse auslöst (BGH, Urteil vom 21. November<br />

1995 - VI ZR 341/94, NJW 1996, 779). Im Rahmen der primär dem Arzt überlassenen Therapiewahl ist ihm<br />

zwar die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Heilmethode (BGH, Urteil vom 29. Januar 1991 - VI ZR<br />

206/90, BGHZ 113, 297; Urteil vom 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06, BGHZ 172, 254) nicht untersagt. Zur Wirksamkeit<br />

der Einwilligung muss der Patient aber über die beabsichtigte Therapie aufgeklärt worden sein; neben der allgemeinen<br />

Aufklärung über das Für <strong>und</strong> Wider dieser Methoden ist auch darüber zu informieren, dass der geplante<br />

Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist <strong>und</strong> dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind<br />

(Geiß/Greiner, aaO, Rn. 39, 46; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 11. Auflage 2010, B. Die Haftungstatbestände,<br />

Rn. 454a, 455). Die Durchführung der Aufklärung obliegt gr<strong>und</strong>sätzlich dem behandelnden Arzt als eigene ärztliche<br />

Aufgabe. Sofern er sie auf einen anderen Arzt delegiert, muss er deren ordnungsgemäße Erfüllung sicherstellen, sei<br />

es durch ein Gespräch mit dem Patienten oder durch Überprüfung der schriftlichen Erklärung in den Krankenakten<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2007 - VI ZR 206/05, BGHZ 168, 364 = NJW-RR 2007, 310; Ulsenheimer,<br />

Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Auflage 2008, <strong>Teil</strong> I § 1 Rn. 104a, Seite 148 <strong>und</strong> Rn. 106 aE, Seite 151).<br />

b) Nach diesen Maßstäben war der Angeklagte auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen zunächst verpflichtet,<br />

die Patientin - neben der Aufklärung über die Operation selbst - auch über das diesem Eingriff typischerweise<br />

anhaftende Risiko einer W<strong>und</strong>heilungsstörung aufzuklären. Dieser Pflicht ist er nach dem Gesamtzusammenhang der<br />

Urteilsgründe durch die Aufklärungsgespräche seiner hierzu beauftragten Ärzte nachgekommen. Aber auch der - in<br />

seinem Krankenhaus übliche - Einsatz von mit einer Haushaltspresse gewonnenem Zitronensaft zur Behandlung<br />

einer W<strong>und</strong>heilungsstörung war - was dem Angeklagten bewusst war - aufklärungspflichtig. Diese Behandlung stellte<br />

eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Außenseitermethode dar, deren Wirkungen <strong>und</strong> allgemeine<br />

Verträglichkeit bislang nicht wissenschaftlich untersucht worden waren, so dass unbekannte Risiken nicht ausgeschlossen<br />

werden konnten. Diese Aufklärung hat der Angeklagte zwar nicht vorgenommen. Dieser Mangel führt<br />

indes nicht dazu, dass die Einwilligung der Patientin in die Durchführung der ersten (todesursächlichen) Darmoperation<br />

unwirksam gewesen wäre <strong>und</strong> sich der Angeklagte mit diesem Eingriff daher einer rechtswidrigen gefährlichen<br />

Körperverletzung schuldig gemacht hätte; denn über die Anwendung dieser Außenseitermethode musste der Angeklagte<br />

nicht schon vor der ersten Operation, sondern erst vor dem zweiten operativen Eingriff (Reoperation) aufklären.<br />

Im Einzelnen: Zwischen der Darmoperation <strong>und</strong> den Risiken der gegebenenfalls notwendig werdenden Folgebehandlung<br />

einer W<strong>und</strong>heilungsstörung unter Verwendung auch von (unsteril gewonnenem) Zitronensaft bestand kein<br />

derart erhöhter Gefahrzusammenhang, dass der Angeklagte die Patientin ausnahmsweise schon vor dem Ersteingriff<br />

über Art <strong>und</strong> Risiken einer etwa erforderlichen Nachbehandlung informieren musste. Die der ersten Darmoperation<br />

spezifisch anhaftende Gefahr war allein der Eintritt einer W<strong>und</strong>infektion. Deren Behandlung war aber gerade nicht<br />

notwendig mit einem schweren Risiko verb<strong>und</strong>en, dessen Realisierung die künftige Lebensführung der Patientin in<br />

besonders belastender Weise - wie etwa der Verlust eines Organs - beeinträchtigt hätte. So war die zusätzliche Verwendung<br />

von Zitronensaft schon nicht die einzige, alter-nativlose Möglichkeit zur Behandlung einer nach der Darmoperation<br />

auftretenden W<strong>und</strong>infektion. Vielmehr hätte diese - wie es hier zunächst auch geschehen ist - allein in der<br />

allgemein üblichen Weise durch die Gabe von Antibiotika bekämpft werden können. Nach dem Auftreten der W<strong>und</strong>infektion<br />

stand auch noch ausreichend Zeit zur Verfügung, um mit der Patientin ein die Frage der einzusetzenden<br />

Behandlungsmethode betreffendes Aufklärungsgespräch zu führen <strong>und</strong> sie über die Wahl der Behandlungsalternative<br />

entscheiden zu lassen. Insoweit darf - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt<br />

unmittelbar vor Durchführung der Reoperation abgestellt werden, in dem die Patienten in ihrem ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Zustand bereits erheblich reduziert war. Vielmehr ist der Zeitpunkt in den Blick zu nehmen, in dem sich erstmals die<br />

Notwendigkeit der Behandlung einer W<strong>und</strong>heilungsstörung ergab. Nach den Feststellungen entwickelte sich diese<br />

nach dem ersten Eingriff indes über mehrere Tage <strong>und</strong> führte nach fünf Tagen zu einer Behandlung mit Antibiotika.<br />

104


Weitere zwei Tage später nahm der Angeklagte den zweiten Eingriff vor, über den die Patientin unmittelbar davor -<br />

trotz ihres kaum mehr ansprechbaren Zustandes - aufgeklärt werden konnte. Sie hätte daher schon Tage zuvor über<br />

den geplanten zusätzlichen Einsatz von Zitronensaft unterrichtet werden können. Letztlich war das mit dem Einbringen<br />

unsterilen Zitronensaftes (neben der weiteren Gabe von Antibiotika) verb<strong>und</strong>ene Risiko einer zusätzlichen bakteriellen<br />

Kontaminierung der W<strong>und</strong>e für die künftige Lebensführung der Patientin nicht entfernt mit der Gefahr etwa<br />

einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, des Verlusts eines Organs oder einer ähnlichen Beeinträchtigung der<br />

körperlichen Integrität zu vergleichen. Dementsprechend hat das Landgericht auch nicht festzustellen vermocht, dass<br />

sich die Verwendung des Zitronensaftes nachteilig auf den weiteren Verlauf der Infektion auswirkte <strong>und</strong> zum Versterben<br />

der Patientin beitrug. Bei dieser Sachlage war der Angeklagte zu einer Aufklärung der Patientin über die<br />

eventuell ergänzende Anwendung von Zitronensaft im Falle einer W<strong>und</strong>heilungsstörung auch nicht unter dem Aspekt<br />

schon vor der ersten Operation verpflichtet, dass die Patientin in Kenntnis der vom Angeklagten praktizierten<br />

Anwendung dieser Außenseitermethode bei einer Nachbehandlung bereits in den ersten Eingriff nicht eingewilligt<br />

hätte.<br />

c) Nach alledem kann dem Angeklagten keine Körperverletzung mit Todesfolge angelastet werden, weil weder die<br />

Zweitoperation noch das Einbringen von Zitronensaft in die W<strong>und</strong>e mitursächlich für das Versterben der Patientin<br />

war. Deren Tod wurde vielmehr allein durch die infolge der Erstoperation entstandene W<strong>und</strong>infektion verursacht. Da<br />

der Angeklagte den ersten Eingriff nach den bisherigen Feststellungen der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt<br />

<strong>und</strong> die Patientin über die damit verb<strong>und</strong>enen Risiken - insbesondere auch die typische Gefahr einer W<strong>und</strong>infektion<br />

- ordnungsgemäß aufgeklärt hatte, war diese Verletzung der körperlichen Integrität der Patientin durch deren<br />

Einwilligung gerechtfertigt. Damit hat der Angeklagte insoweit keine rechtswidrige (gefährliche) Körperverletzung<br />

begangen. Hingegen hat sich der Angeklagte auf Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen durch die Reoperation der<br />

gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, weil er seine Patientin vor diesem Eingriff nicht über das beabsichtigte<br />

Einbringen von Zitronensaft in die W<strong>und</strong>e aufklärte <strong>und</strong> daher die von der Patientin für diese Operation erteilte<br />

Einwilligung unwirksam war. Eine entsprechende Abänderung des Schuldspruchs ist dem Senat indes verwehrt, da<br />

nicht ausgeschlossen werden kann, dass der neue Tatrichter Feststellungen trifft, die eine Verurteilung wegen Körperverletzung<br />

mit Todesfolge tragen. In der neuen Hauptverhandlung wird insbesondere - unter Berücksichtigung<br />

zum Zeitpunkt der Erstoperation eventuell vorhandener ärztlicher Richtlinien <strong>und</strong> mit sachverständiger Hilfe (vgl.<br />

etwa BGH, Beschluss vom 28. März 2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361) - möglichen (weiteren) Fehlern des Angeklagten<br />

bei Behandlung <strong>und</strong> Aufklärung der Patientin nachzugehen sein. Insofern weist der Senat auf Folgendes<br />

hin: Auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen Feststellungen zum Behandlungsverlauf ist offen, ob bei der Patientin vor dem<br />

ersten Eingriff eine vorbeugende Gabe von Antibiotika stattgef<strong>und</strong>en hat, eine Darmreinigung durchgeführt wurde<br />

<strong>und</strong> die Patientin über das eventuelle Unterlassen dieser möglicherweise gebotenen operationsvorbereitenden Maßnahmen<br />

aufgeklärt worden ist. Auch eine Verabreichung entzündungshemmender Mittel unmittelbar nach dem ersten<br />

Darmeingriff ist nicht festgestellt. Ungeklärt ist schließlich, weshalb die Reoperation erst sieben Tage nach der ersten<br />

Operation erfolgt ist.<br />

<strong>StGB</strong> § 223, 227 „Berliner Drogenarzt“<br />

BGH, Beschl. v. 11.01.2011 - 5 StR 491/10 - NStZ 2011, 341<br />

Es bestehen gr<strong>und</strong>legende Bedenken dagegen, die Gr<strong>und</strong>sätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher<br />

Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen<br />

auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter<br />

ärztlicher Heilkunst überschreitet.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,<br />

an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer tateinheitlichen Tat der Körperverletzung mit Todesfolge <strong>und</strong> der<br />

Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge (zwei tateinheitliche Fälle) sowie der gefährlichen Körperverletzung<br />

<strong>und</strong> der vorsätzlichen Überlassung von Betäubungsmitteln (fünf tateinheitliche Fälle) zu einer Freiheitsstrafe<br />

105


von vier Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt <strong>und</strong> ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener<br />

Arzt <strong>und</strong> als Psychotherapeut belegt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

I.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, ein auf psychotherapeutische Behandlungen<br />

spezialisierter Arzt, sogenannte psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen werden die Patienten<br />

– so der Ansatz der Psycholyse – durch Drogen in ein Wachtraumerleben der Objektumgebung versetzt. Ziel dieser<br />

in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen.<br />

Am 19. September 2009 führte der Angeklagte mit einer Gruppe von zwölf Personen eine Intensivsitzung<br />

durch. Nach einer „Einstimmungs- <strong>und</strong> Befindlichkeitsr<strong>und</strong>e“ stellte er die zur Einnahme bereitgehaltenen Substanzen<br />

Neocor <strong>und</strong> MDMA vor. Nachdem der Angeklagte an neun der Gruppenmitglieder zunächst eine Tablette des<br />

nicht als Arzneimittel zugelassenen Neocor verabreicht hatte, fragte er, wer von den Anwesenden MDMA einnehmen<br />

wolle. Daraufhin meldeten sich sieben Mitglieder der Gruppe, darunter die später verstorbenen K. <strong>und</strong> Kn.. Von<br />

dem MDMA, das von dem Nebenkläger N. beschafft worden war, sollten sechs Mitglieder der Gruppe, die sich zur<br />

Einnahme entschlossen hatten, 120 mg, der Nebenkläger N. 140 mg erhalten. Der Angeklagte übernahm das Abwiegen<br />

des Rauschgifts. Dabei w<strong>und</strong>erte er sich zwar über das Volumen der abgewogenen Menge, verließ sich aber auf<br />

die Anzeige seiner Waage. Tatsächlich übergab er an die zum Drogenkonsum bereiten Gruppenmitglieder jedoch<br />

mindestens die zehnfache Menge. Etwa zehn bis 15 Minuten nach der Einnahme kam es bei diesen zu heftigen körperlichen<br />

Reaktionen. Einige erlitten Spasmen <strong>und</strong> waren unfähig, sich zu bewegen, mussten sich übergeben oder<br />

fingen an, um sich zu schlagen. Die körperlichen Ausfälle aufgr<strong>und</strong> der Vergiftung verstärkten sich zunehmend.<br />

Trotz der vom Angeklagten <strong>und</strong> der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben Kn. <strong>und</strong> K.<br />

an Multiorganversagen aufgr<strong>und</strong> der Überdosis MDMA. Der Nebenkläger N. war lebensgefährlich erkrankt, konnte<br />

jedoch nach Intensivbehandlung gerettet werden; die übrigen vier Gruppenmitglieder wurden nach einigen Tagen<br />

stationärer Behandlung wegen Vergiftungserscheinungen wieder entlassen.<br />

2. Das Landgericht hat in der Verabreichung des MDMA eine vorsätzliche Körperverletzung gesehen. Der Angeklagte<br />

habe die Tatherrschaft über den Vorgang innegehabt, indem er das MDMA abgewogen <strong>und</strong> den Gruppenmitgliedern<br />

zur Verfügung gestellt habe. Eine Einwilligung fehle, weil er die Gruppenmitglieder nicht ausreichend aufgeklärt<br />

habe. Der durch diese Körperverletzungshandlung herbeigeführte Todeseintritt sei für ihn voraussehbar gewesen.<br />

Dies führe zugleich zu einer Strafbarkeit wegen des Überlassens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge, weil<br />

der Angeklagte den Tod von K. <strong>und</strong> Kn. auch leichtfertig verursacht habe.<br />

II. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen des Landgerichts, das der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf eine<br />

versehentliche Überdosierung gefolgt ist, erweist sich die Revision des Angeklagten als begründet. Die Annahme<br />

einer vorsätzlichen Körperverletzung zu Lasten der MDMA konsumierenden Gruppenmitglieder begegnet durchgreifenden<br />

Bedenken.<br />

1. Das Landgericht grenzt allerdings im Ansatz zutreffend die strafbare Körperverletzung von der straflosen Beteiligung<br />

an einer Selbstgefährdung ab. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs unterfällt die eigenverantwortlich<br />

gewollte <strong>und</strong> verwirklichte Selbstgefährdung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs-<br />

oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert.<br />

Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs-<br />

oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit<br />

wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger <strong>und</strong> damit kein strafbarer Vorgang ist<br />

(BGH, Urteile vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03,<br />

BGHSt 49, 34, 39; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290). Da sämtliche Mitglieder der Gruppe<br />

das Betäubungsmittel MDMA eigenhändig <strong>und</strong> wissentlich zu sich nahmen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung<br />

vor. Dies schließt eine Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung aus.<br />

2. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft wäre dem Angeklagten nur dann zugewachsen, wenn <strong>und</strong> soweit<br />

die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses der Gruppenteilnehmer beeinträchtigt gewesen wäre.<br />

Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende,<br />

namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt (vgl. BGH, Urteile<br />

vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985,<br />

319, 320), oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist (BGH,<br />

Urteil vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266). Eine solche besondere Situation belegen die Urteilsgründe<br />

nicht.<br />

106


a) Sämtliche Mitglieder der Gruppe nahmen das Betäubungsmittel MDMA willentlich zu sich. Ungeachtet der Tatsache,<br />

dass der Angeklagte die Dosierung bestimmte <strong>und</strong> die Betäubungsmittelportionen auch selbst abwog, verblieb<br />

ihnen ohne jede Einschränkung die letzte Entscheidung über die Einnahme.<br />

b) Auch der von der Strafkammer angeführte Gesichtspunkt, der Angeklagte als Arzt <strong>und</strong> ehemaliger Suchtberater<br />

habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich<br />

relevante Handlungsherrschaft (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, 4. Aufl., § 11 Rdn. 111; vgl. sehr weitgehend<br />

BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 – 1 StR 209/78, JR 1979, 429). Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der<br />

Droge. Bei der Psycholyse handelt es sich um eine in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode.<br />

Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits<br />

über Erfahrungen mit der Droge; der später Verstorbene Kn. hatte nach der Einnahme von MDMA überdies bereits<br />

früher Spasmen <strong>und</strong> Halluzinationen erlitten. Die Droge wurde vom Nebenkläger N. aus nicht näher geklärten –<br />

notwendigerweise jedoch illegalen – Quellen beschafft.<br />

c) Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angeklagte die<br />

einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der MDMA-Einnahme bei<br />

gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese<br />

Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem gr<strong>und</strong>legende Bedenken dagegen, die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche<br />

Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter<br />

ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG).<br />

3. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender Umstand wäre allerdings die Überdosierung mit der mindestens<br />

zehnfachen Menge des MDMA, weil hierdurch die Konsumenten der Drogen über einen ganz wesentlichen<br />

Gesichtspunkt im Unklaren gelassen wurden. Die wesentlich höhere Dosis hatte nämlich eine erhebliche Vergrößerung<br />

des Risikos zur Folge, das die Konsumenten nicht einschätzen konnten <strong>und</strong> auch tatsächlich verkannten. Diese<br />

Fehldosierung durfte dem Angeklagten jedoch auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen nicht als vorsätzliche<br />

Körperverletzung zugerechnet werden. Das Landgericht folgt nämlich der Einlassung des Angeklagten, aufgr<strong>und</strong><br />

einer Fehlfunktion seiner Waage sei es zur Überdosierung gekommen. Demnach fehlt es an einer Vermittlung der<br />

Tatherrschaft durch Irrtumsherrschaft, die bei der vorsätzlichen Körperverletzung nur durch ein vorsätzliches Handeln<br />

bewirkt werden kann. Wenn der Angeklagte die maßgebliche Risikoerhöhung durch die Falschdosierung nicht<br />

erkannt hat, liegt lediglich ein durch fahrlässiges Tun herbeigeführter Irrtum der Gruppenmitglieder vor. Der Angeklagte<br />

hätte deshalb auf der Basis der nach seiner Einlassung getroffenen Feststellungen – abhängig von den Folgen<br />

der Überdosierung bei den einzelnen Gruppenmitgliedern – lediglich wegen fahr-lässiger Tötung (§ 222 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong><br />

fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 <strong>StGB</strong>) verurteilt werden können.<br />

III. Der Rechtsfehler nötigt angesichts der tateinheitlichen Verknüpfung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände<br />

zu einer umfassenden Aufhebung des Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03,<br />

BGHSt 49, 34, 45). Abgesehen davon begegnet auch die Annahme einer Strafbarkeit wegen Überlassens der Betäubungsmittel<br />

mit Todesfolge (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen Bedenken.<br />

Die Tatbestandsverwirklichung setzt im Hinblick auf die Todesfolge Leichtfertigkeit voraus (§ 18 <strong>StGB</strong>). Hierfür ist<br />

das Maß der Pflichtwidrigkeit im Moment des Wiegevorgangs entscheidend, weil der vom Landgericht angenommene<br />

Wiegefehler die den Todeserfolg auslösende Bedingung gesetzt hat. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der<br />

Frage der Erkennbarkeit des Wiegefehlers vor dem Erfahrungshintergr<strong>und</strong> des Angeklagten als Arzt näher auseinandersetzen<br />

müssen. Von einer Aufrechterhaltung von <strong>Teil</strong>en der Feststellungen sieht der Senat ab, um dem neuen<br />

Tatgericht eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird sich dabei kritisch mit der Einlassung<br />

des Angeklagten auseinandersetzen müssen, dass er infolge eines Fehlers der Waage die zehnfache Überdosierung<br />

des MDMA nicht erkannt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – 5 StR 75/10, NStZ 2010, 503).<br />

107


<strong>StGB</strong> § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 Bereicherungsabsicht<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 2 StR 104/10 - NJW 2010, 3669<br />

LS: Die Bereicherungsabsicht des § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 <strong>StGB</strong> ist ebenso wie die Tatbegehung<br />

gegen Entgelt nach § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong> kein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28<br />

<strong>StGB</strong>.<br />

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 29. September 2009 im Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Beihilfe zur Entziehung Minderjähriger jeweils zu einer Freiheitsstrafe<br />

von einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten, mit denen jeweils die Verletzung<br />

formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gerügt wird, führen zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen sind sie unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der in Belgien lebende gesondert verfolgte A. beauftragte Anfang Juni<br />

2007 die als Detektive tätigen Angeklagten, seine inzwischen in Deutschland lebende vierjährige Adoptivtochter zu<br />

observieren. Hintergr<strong>und</strong> hierfür war, dass die Kindesmutter sich nach zweijähriger Ehe Ende 2004 von ihm getrennt<br />

hatte <strong>und</strong> mit dem Kind nach Deutschland verzogen war. Seitdem versuchte A. , die Rückführung des Kindes nach<br />

Belgien gerichtlich durchzusetzen. Ihm war 2006 durch ein belgisches Gericht ohne Kenntnis der Kindesmutter das<br />

alleinige Sorgerecht für das Kind übertragen worden. Der Titel war zwar in Deutschland für vollstreckbar erklärt<br />

worden, jedoch fehlte es an einer zur gewaltsamen Rückführung des Kindes berechtigenden besonderen gerichtlichen<br />

Verfügung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 FGG a.F. Deshalb weigerten sich die zuständigen Behörden, A. das Kind<br />

unter Anwendung von Zwangsmitteln zuzuführen. Zwischen-zeitlich hatte die Kindesmutter die Rückübertragung<br />

des alleinigen Sorgerechts vor einem deutschen Gericht beantragt. Die Angeklagten rechneten damit, dass eine gewaltsame<br />

Wegnahme des Kindes unzulässig ist. Sie entschlossen sich gleichwohl, A. bei der geplanten Entführung<br />

des Kindes zu unterstützen. Der Angeklagte N. übersandte A. mit Kenntnis des Angeklagten K. ein Schreiben, in<br />

dem er eine mögliche Entführungsstrategie darlegte. Der Angeklagte K. verfasste zudem Anfang Juni 2006 ein<br />

Schriftstück, worin er A. um Erteilung eines schriftlichen Auftrags zur Rückführung seiner Tochter bat. Ob es tatsächlich<br />

zu einer Auftragserteilung durch A. kam, konnte nicht geklärt werden. Wenige Tage vor der eigentlichen<br />

Entführung überführten die Angeklagten im Auftrag von A. einen Mietwagen aus Frankreich. Sie wussten, dass<br />

dieser bei einer möglichen Entführung des Kindes Verwendung finden würde. Am 26. Juni 2007 entführten drei<br />

unbekannte Täter auftragsgemäß mit diesem Mietwagen das Kind <strong>und</strong> verbrachten es zu A. nach Belgien. Ob die<br />

Angeklagten sich hierunter befanden, konnte nicht geklärt werden. Für ihre Tätigkeiten erhielten die Angeklagten<br />

einen Betrag von mindestens 10.400 € von A..<br />

2. Die Strafkammer hat die Angeklagten wegen Beihilfe zu dem Qualifikationstatbestand des § 235 Abs. 4 Nr. 2<br />

<strong>StGB</strong> (Tatbegehung gegen Entgelt oder in Bereicherungsabsicht) verurteilt. Dies ist rechtlich unzutreffend, da die<br />

Angeklagten sich lediglich wegen Beihilfe zu dem Gr<strong>und</strong>tatbestand des § 235 Abs. 1 <strong>StGB</strong> strafbar gemacht haben.<br />

Zwar handelten sie selbst in Bereicherungsabsicht, sie waren jedoch nicht Täter des § 235 Abs. 4 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> der<br />

Haupttäter A. verwirklichte lediglich den Gr<strong>und</strong>tatbestand des § 235 Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Die Bereicherungsabsicht nach §<br />

235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 <strong>StGB</strong> stellt ebenso wie die Tatbegehung gegen Entgelt nach § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong><br />

kein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 Abs. 2 <strong>StGB</strong> dar, da sie das Tatunrecht kennzeichnet, weshalb die<br />

Angeklagten akzessorisch aus dem Strafrahmen des § 235 Abs. 1 <strong>StGB</strong> haften.<br />

3. Die Strafe des <strong>Teil</strong>nehmers richtet sich gr<strong>und</strong>sätzlich nach der für die Haupttat geltenden Strafandrohung. § 28<br />

Abs. 2 <strong>StGB</strong> enthält Ausnahmen von diesem Gr<strong>und</strong>satz der akzessorischen <strong>Teil</strong>nehmerhaftung. Die Rechtsprechung<br />

folgt mit der noch h.L. der Auffassung, dass § 28 Abs. 2 <strong>StGB</strong> zu einer Tatbestandsverschiebung führt (BGHSt 6,<br />

308, 311; 8, 205, 208, BGH StV 1994, 17; BGH StV 1995, 84; Lackner/Kühl <strong>StGB</strong> 26. Aufl. § 28 Rn. 1; Joecks in<br />

Münchener Kommentar <strong>StGB</strong> § 28 Rn. 53; Heine in Schönke/Schröder <strong>StGB</strong> 28. Aufl. § 28 Rn. 28;<br />

Baumann/Weber/Mitsch Strafrecht <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> 11. Aufl. § 32 Rn. 28, 35; Jescheck/Weigend Strafrecht <strong>Allgemeiner</strong><br />

<strong>Teil</strong> § 61 VII S. 657). Wenn beim Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer besondere persönliche Merkmale vorliegen, die die<br />

108


Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, wird die Strafe demzufolge dem strengeren oder milderen Strafrahmen<br />

entnommen. Die Rechtsprechung differenziert zwischen täterbezogenen Umständen, die als besondere persönliche<br />

Merkmale nach § 28 <strong>StGB</strong> behandelt werden <strong>und</strong> tatbezogenen Merkmalen, für die § 28 <strong>StGB</strong> nicht gilt. Bei den<br />

Merkmalen des § 235 Abs. 4 Nr. 2 <strong>StGB</strong> handelt es sich nicht um besondere persönliche Merkmale i.S.v. § 28 <strong>StGB</strong>,<br />

sondern um tatbezogene Merkmale, die die akzessorische Haftung des <strong>Teil</strong>nehmers nicht durchbrechen. Dies hat das<br />

Landgericht ersichtlich nicht bedacht. In Anlehnung an die reichsgerichtliche Rechtsprechung bejaht der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

die Täterbezogenheit eines Merkmals, wenn es Motive <strong>und</strong> Gesinnungen betrifft, die die Persönlichkeit des<br />

Täters kennzeichnen (BGHSt 22, 375, 378; 23, 39, 40). Dagegen handelt es sich um ein tatbezogenes Merkmal,<br />

wenn die "Verwerflichkeit der Tat als solcher" erhöht wird (BGHSt 22, 375, 380) oder das Merkmal das äußere Bild<br />

der Tat prägt, indem eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens gekennzeichnet (BGHSt 8, 70, 72) oder die<br />

Ausführungsart des Delikts beschrieben wird (BGHSt 23, 103, 105; BGH NJW 1994, 271, 272). Das Merkmal der<br />

Tatbegehung gegen Entgelt gemäß § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong> ist tatbezogen, da die Entgeltlichkeit einen die Tat<br />

beschreibenden Umstand darstellt. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung noch nicht entschieden, ob die Bereicherungsabsicht<br />

i.S.v. § 235 Abs. 4 Nr. 2 <strong>StGB</strong> ein besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 <strong>StGB</strong> darstellt.<br />

Die Literatur qualifiziert die Bereicherungsabsicht als tatbezogenes Merkmal mit der Folge, dass § 28 <strong>StGB</strong> keine<br />

Anwendung findet (Roxin in LK 11. Aufl. § 28 Rn. 38; Heine in Schönke/Schröder <strong>StGB</strong> 28. Aufl. § 28 Rn. 20;<br />

Baumann/Weber/Mitsch Straf-recht <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> 11. Aufl. § 32 Rn. 11; Kühl Strafrecht <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> 6.<br />

Aufl. § 20 Rn. 159; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> I 5. Aufl. § 12 Rn. 195 ff.; a.A. Hoyer in SK-<br />

<strong>StGB</strong> 6. Aufl. § 28 Rn. 24 ff.). Dieser Auffassung folgt der Senat. Bei der Bereicherungsabsicht als Absichtsmerkmal<br />

handelt es sich um eine überschießende Innentendenz, die in der Regel nicht ein besonderes persönliches Merkmal<br />

i.S.v. § 28 <strong>StGB</strong>, sondern ein tatbezogenes Merkmal darstellt. Gr<strong>und</strong> hierfür ist deren (Delikts)Charakter als erfolgskupiertes<br />

Delikt. Die Bereicherungsabsicht erscheint anstelle eines äußeren Merkmals im Tatbestand <strong>und</strong> stellt damit<br />

ein verkapptes Element des äußeren Tatgeschehens dar. Sie ist daher funktionell sachlicher Natur. Durch die bloße<br />

Vorverlagerung des Vollendungszeitpunkts kann ein sonst eindeutig tatbezogenes Merkmal (wie die Bereicherung)<br />

sich nicht in ein täterbezogenes verwandeln. Hierauf hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof bereits in seiner Gr<strong>und</strong>satzentscheidung<br />

zur Qualifizierung der niedrigen Beweggründe als besondere persönliche Merkmale i.S.v. § 28 <strong>StGB</strong> hingewiesen<br />

(BGHSt 22, 375, 380). Der Umstand, dass die Bereicherungsabsicht im Kontext von § 235 Abs. 4 Nr. 2 <strong>StGB</strong><br />

einen Qualifikationstatbestand darstellt, ändert an der Einordnung als tatbezogenes Merkmal nichts (vgl. Gribbohm<br />

in LK 11. Aufl. § 235 Rn. 123). Dementsprechend betrachten Rechtsprechung <strong>und</strong> h.L. z.B. auch im Rahmen von §<br />

271 Abs. 3 <strong>StGB</strong>, der das gleiche Qualifikationsmerkmal enthält wie § 235 Abs. 4 Nr. 2 <strong>StGB</strong>, die Bereicherungsabsicht<br />

als tatbezogenes Merkmal (BGH StV 2009, 589, 591; Zieschang in LK 12. Aufl. § 271 Rn. 108; Puppe in NK<br />

3. Aufl. § 271 Rn. 66; Cramer/Heine in Schönke/Schröder <strong>StGB</strong> 28. Aufl. § 271 Rn. 45; a.A. Hoyer in SK-<strong>StGB</strong> 6.<br />

Aufl. § 271 Rn. 36). Der Schutzzweck des § 235 Abs. 4 Nr. 2 <strong>StGB</strong> legt ebenfalls eine Tatbezogenheit seiner Qualifikationsmerkmale<br />

nahe. Die Reformierung des Tatbestandes der Entziehung Minderjähriger im Zuge des 6. Strafrechtsreformgesetzes<br />

vom 26. Januar 1998 diente insbesondere der Eindämmung des organisierten <strong>und</strong> kommerziellen<br />

Kinderhandels (BT-Drs. 13/8587 S. 23). Sofern die Tathandlung gegen Entgelt oder in Bereicherungsabsicht<br />

vorgenommen wird, handelt es sich typischerweise um kommerziellen <strong>und</strong> professionellen Kinderhandel, was mit<br />

einer Erhöhung des Tatunrechts <strong>und</strong> einer Steigerung der Gefährlichkeit für die durch § 235 <strong>StGB</strong> geschützten<br />

Rechtsgüter einhergeht. Besonders deutlich wird dies bei der Alternative der Tatbegehung gegen Entgelt gemäß §<br />

235 Abs. 4 Nr. 2 <strong>StGB</strong>. Strafschärfungsgr<strong>und</strong> ist hier der Umstand, dass die Tat gegen eine Gegenleistung erfolgt.<br />

Hierbei handelt es sich, wie bereits oben ausgeführt, zweifelsfrei um einen die Tat beschreibenden Faktor. Nichts<br />

anderes gilt auch für die Bereicherungsabsicht.<br />

4. Die Angeklagten haben sich danach lediglich wegen Beihilfe zum Gr<strong>und</strong>tatbestand des § 235 Abs. 1 <strong>StGB</strong> strafbar<br />

gemacht. Da das Landgericht die Strafe dem nicht anwendbaren Qualifikationstatbestand entnommen hat, war der<br />

Strafausspruch aufzuheben <strong>und</strong> die Sache insoweit zurückzuverweisen.<br />

<strong>StGB</strong> § 238 § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> Folgen beim Opfer als Straferschwerungsgr<strong>und</strong><br />

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 - 4 StR 307/10 - BeckRS 2010, 27749<br />

Der objektive Tatbestand des § 238 <strong>StGB</strong> setzt gravierende <strong>und</strong> ernstzunehmende Folgen für das<br />

Opfer voraus, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Le-<br />

109


ensgestaltung erheblich <strong>und</strong> objektivierbar hinausgehen. Der straferschwerenden Berücksichtigung<br />

dieses Umstandes sind daher schon im Hinblick auf § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> Grenzen gesetzt.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 28. September 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum beim Amtsgericht<br />

Recklinghausen vom 27. Januar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer<br />

des Landgerichts Dortm<strong>und</strong> zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nachstellung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher<br />

Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim<br />

Versuch blieb, wegen Verleumdung, Hausfriedensbruchs <strong>und</strong> Betruges, Urk<strong>und</strong>enfälschung in zwei Fällen sowie<br />

wegen versuchter Nötigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt<br />

<strong>und</strong> ihn im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />

Sein Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg; einer Erörterung der Verfahrensrügen bedarf<br />

es daher nicht.<br />

I.<br />

1. Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben, weil es in mehrfacher Hinsicht den Anforderungen<br />

des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht genügt. Nach dieser Vorschrift müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten<br />

Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gef<strong>und</strong>en werden. Das bedeutet, dass der<br />

festgestellte Sachverhalt – in einem geschlossenen Abschnitt – so darzustellen ist, wie er sich nach Überzeugung des<br />

Gerichts abgespielt hat; zum inneren <strong>und</strong> äußeren Tatgeschehen sind Tatsachen mitzuteilen, so dass dem Revisionsgericht<br />

die Überprüfung der rechtlichen Würdigung ermöglicht wird (BGH, Urteil vom 19. Mai 1987 – 1 StR<br />

159/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1; Beschluss vom 23. Juni 1993 - 5 StR 326/93). Dem<br />

Zusammenhang der Urteilsgründe kann im vorliegenden Fall zwar noch entnommen werden, dass sich der Angeklagte<br />

der in der Urteilsformel genannten Straftaten schuldig gemacht haben kann. Durch welche konkreten Handlungen<br />

welcher Tatbestand erfüllt sein soll, bleibt jedoch insbesondere im Hinblick auf die Tatvorwürfe zum Nachteil<br />

der Geschädigten T., G. <strong>und</strong> Ge. unklar. Dabei wird die rechtliche Überprüfung nicht nur durch eine teilweise<br />

unzureichende Konkretisierung der einzelnen, von der Strafkammer festgestellten Lebenssachverhalte erschwert, es<br />

fehlt vor allem an einer nachvollziehbaren rechtlichen Zuordnung zu den als erfüllt angesehenen Straftatbeständen.<br />

Die rechtliche Würdigung beschränkt sich vielmehr auf eine bloße Wiederholung der Urteilsformel (UA 42). Eine<br />

Subsumtion unter die infrage kommenden Tatbestände hat das Landgericht nicht vorgenommen; sie wird auch durch<br />

die im Rahmen der Strafzumessung in die Urteilsgründe aufgenommene tabellarische Auflistung (UA 44) nicht ersetzt.<br />

2. Zu diesen gr<strong>und</strong>sätzlichen Mängeln des angefochtenen Urteils kommen weitere Rechtsfehler hinzu:<br />

a) Im Fall II. 2 der Urteilsgründe (Taten zum Nachteil der Geschädigten G. ) hat das Landgericht festgestellt, dass<br />

der Angeklagte in der Kanzlei der Bevollmächtigten der Nebenklägerin anrief <strong>und</strong> diese zu sprechen wünschte, anderenfalls<br />

er in seinem Besitz befindliche Nacktfotos der Geschädigten flächendeckend verteilen <strong>und</strong> anderweitig veröffentlichen<br />

werde. Am nächsten Tag rief er erneut an <strong>und</strong> wiederholte der Kanzleiangestellten Ty. gegenüber seine<br />

Drohung, woraufhin diese einen Aktenvermerk anfertigte. Dass die Geschädigte von dem Inhalt des Anrufs in<br />

Kenntnis gesetzt wurde, ist nicht festgestellt. Ob damit der objektive Tatbestand der versuchten Nötigung hinreichend<br />

dargetan ist, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt meint, kann letztlich dahinstehen. Jedenfalls belegen die Urteilsgründe<br />

nicht, dass der Angeklagte auch in der Vorstellung handelte, die Kanzleiangestellte, die das Telefonat entgegennahm,<br />

werde dessen Inhalt unmittelbar an die Geschädigte G. weiterleiten.<br />

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 3 der Urteilsgründe (Taten zum Nachteil der Geschädigten<br />

Ge. ) nur wegen versuchter <strong>und</strong> wegen vollendeter vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat, steht dies nicht in<br />

Übereinstimmung mit den getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte die Geschädigte nicht nur im Oktober<br />

2007 bei einem Streit schlug <strong>und</strong> zu Boden warf, sondern sie auch im Januar 2008 in den Rücken boxte, obwohl sie<br />

im achten Monat schwanger war, <strong>und</strong> es darüber hinaus am 21. Januar 2008 zu dem Versuch einer weiteren Misshandlung<br />

kam, der von der Zeugin D. verhindert werden konnte (UA 28). Zudem ist aus den Urteilsgründen nicht<br />

ersichtlich, ob das Landgericht die Absendung eines gefälschten Telefax-Schreibens an die Sparkasse V. (UA 30)<br />

110


oder die Fälschung eines Überweisungsträgers der Sparkasse B. (UA 31) rechtlich als Urk<strong>und</strong>enfälschung im Sinne<br />

des § 267 <strong>StGB</strong> gewürdigt hat.<br />

c) Das Urteil des Landgerichts begegnet auch hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Betruges zum Nachteil der B<strong>und</strong>esagentur<br />

für Arbeit (Fall II. 4 der Urteilsgründe) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer teilt in<br />

den Feststellungen lediglich mit, dass der Angeklagte für einen Zeitraum von etwa zwei Monaten Arbeitsentgelt<br />

erhalten <strong>und</strong> deshalb Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 1.411 Euro zu Unrecht bezogen habe. Diesem nur umrisshaft<br />

mitgeteilten Geschehen ist nicht zu entnehmen, auf welcher rechtlichen Gr<strong>und</strong>lage die Zahlungen der B<strong>und</strong>esagentur<br />

für Arbeit erfolgten, ob der Angeklagte möglicherweise nur gesetzlich vorgesehene Hinzuverdienstmöglichkeiten<br />

ausgeschöpft hat <strong>und</strong> welchen genauen Inhalt ihn gesetzlich treffende Mitteilungspflichten hatten. Was der<br />

als Zeuge gehörte Mitarbeiter der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit in der Hauptverhandlung dazu ausgesagt hat, ergibt sich<br />

aus den Urteilsgründen nicht. Auch die subjektive Seite des Betrugstatbestandes im Sinne des § 263 Abs. 1 <strong>StGB</strong> ist<br />

nicht hinreichend belegt. Die Strafkammer beschränkt sich insoweit auf die Feststellung, der Angeklagte habe es<br />

„vorsätzlich“ <strong>und</strong> „pflichtwidrig“ unterlassen, der Agentur für Arbeit die Arbeitsaufnahme anzuzeigen. Die bloße<br />

Benennung gesetzlicher Merkmale kann die Darlegung der zugr<strong>und</strong>e liegenden Tatsachen zum äußeren <strong>und</strong> inneren<br />

Tatgeschehen jedoch nicht ersetzen. Die gebotene rechtliche Überprüfung im Revisionsverfahren ist dem Senat so<br />

nicht möglich.<br />

II. Für den Fall, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten<br />

wegen Nachstellung im Sinne des § 238 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gelangen sollte, wird sie die durch den Angeklagten<br />

jeweils verwirklichte Tatbestandsvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 <strong>StGB</strong> genau zu bezeichnen haben. Sie wird<br />

hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Geschädigten Ge. in den Blick nehmen müssen, dass die Beeinträchtigung der<br />

Lebensgestaltung bei diesem als Erfolgsdelikt ausgestalteten Straftatbestand kausal durch die jeweilige Nachstellungshandlung<br />

herbeigeführt werden muss <strong>und</strong> lediglich bei § 238 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> auch der Versuch der Kontaktaufnahme<br />

(mit Telekommunikationsmitteln) ausreicht. Sie wird ferner bedenken müssen, dass bereits der objektive<br />

Tatbestand gravierende <strong>und</strong> ernstzunehmende Folgen für das Opfer voraussetzt, die über durchschnittliche, regelmäßig<br />

hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich <strong>und</strong> objektivierbar hinausgehen (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 244/09, NJW 2010, 1680, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).<br />

Der straferschwerenden Berücksichtigung dieses Umstandes sind daher schon im Hinblick auf § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong><br />

Grenzen gesetzt.<br />

III. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354<br />

Abs. 2 StPO).<br />

111


<strong>StGB</strong> § 240 Nötigung durch Sitzblockade (2. Reihe)<br />

BVerfG, Beschl v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 - JuS 2011, 563<br />

Zur verfassungskonformen Auslegung von § 240 <strong>StGB</strong>.<br />

(von der vollständigen Wiedergabe der Entscheidung wird hier wegen des Umfangs abgesehen)<br />

<strong>StGB</strong> § 242, 259 Postpendenz Diebstahl Hehlerei<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.2011 - 4 StR 651/10 - BeckRS 2011, 07701<br />

Auf die Postpendenzfeststellung finden die Gr<strong>und</strong>sätze der Wahlfeststellung Anwendung.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortm<strong>und</strong> vom 23.April 2010, soweit es ihn<br />

betrifft,<br />

a) in der Urteilsformel dahin ergänzt, dass der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird <strong>und</strong> dass die Staatskasse<br />

insoweit die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt;<br />

b) aufgehoben in den Aussprüchen über<br />

aa) die in den Fällen II.1, II.2, II.5, II.7, II.8, II.18, II.29 <strong>und</strong> II.33 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen,<br />

bb) die Gesamtstrafe.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die verbleibenden<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in 13 Fällen, wegen "gewerbsmäßigen<br />

Diebstahls" in einem weiteren Fall sowie wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen<br />

Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel<br />

unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Schuldspruch wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in den Fällen II.1, II.2, II.5, II.7, II.8, II.18, II.29 <strong>und</strong> II.33 der<br />

Urteilsgründe ist frei von den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehlern.<br />

a) Das Landgericht hat sich in diesen Fällen rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte G. - was vom<br />

konkreten Anklagesatz der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortm<strong>und</strong> vom 11. Mai 2009 umfasst ist - jeweils<br />

zuvor auf einem Gelände der V. AG gestohlenes Buntmetall im Interesse der Mitangeklagten an Schrotthändler veräußerte.<br />

Eine - ihm mit der Anklageschrift jeweils als mittäterschaftlich begangener schwerer Bandendiebstahl zur<br />

Last gelegte - "Beteiligung" (etwa UA 27) bzw. "Mitwirkung" (etwa UA 30) an den Diebstählen hat es dagegen nicht<br />

bzw. "nicht sicher" (etwa UA 30) feststellen können.<br />

b) Bei einer derartigen Fallgestaltung der Nichterweislichkeit der Mittäterschaft bei der Vortat <strong>und</strong> der zweifelsfreien<br />

Feststellung einer Hehlereihandlung ist eine Verurteilung wegen der dem Diebstahl folgenden "Nachtat" der Hehlerei<br />

im Wege der Postpendenzfeststellung möglich <strong>und</strong> geboten (vgl. BGH, Urteil vom 14. September 1989 - 4 StR<br />

170/89, BGHR vor § 1/Wahlfeststellung Postpendenz 3).<br />

c) Da Gegenstand der Anklage in den Fällen II.1, II.2, II.5, II.7, II.8, II.18, II.29 <strong>und</strong> II.33 jeweils zwei Taten waren,<br />

nämlich das Diebstahlsgeschehen in der Nacht <strong>und</strong> der Verkauf der Beute am folgenden Tag, eine Beteiligung des<br />

Angeklagten G. an den Diebstahlstaten aber nicht nachgewiesen werden konnte, war er insoweit freizusprechen (vgl.<br />

BGH, Urteil vom 21. Juni 1995 - 2 StR 157/95; Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR 214/98, NStZ 1998, 635, zur<br />

Erforderlichkeit eines <strong>Teil</strong>freispruchs bei eindeutiger Verurteilung nach Anklage von Alternativtaten). Dies holt der<br />

Senat nach.<br />

2. Die Einzelstrafen in den Fällen II.1, II.2, II.5, II.7, II.8, II.18, II.29 <strong>und</strong> II.33 haben jedoch keinen Bestand. Auf die<br />

Postpendenzfeststellung finden die Gr<strong>und</strong>sätze der Wahlfeststellung Anwendung (vgl. LK-Dannecker, <strong>StGB</strong>, 12.<br />

Aufl. Anh. § 1, Rn. 104), bei der die Strafe dem Gesetz entnommen werden muss, das die - aufgr<strong>und</strong> konkreter Be-<br />

112


trachtung zu ermittelnde - mildeste Strafe zulässt (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2000 - 3 StR 500/99, NStZ 2000,<br />

473, 474). Da das Landgericht für die genannten Taten rechtsfehlerfrei eine bandenmäßige Verbindung zwischen<br />

dem Angeklagten G. <strong>und</strong> den Mitangeklagten verneint hat, wäre bei erwiesener Mittäterschaft an den Diebstählen die<br />

Strafe aus § 243 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zu schöpfen gewesen, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu zehn Jahren<br />

Freiheitsstrafe eröffnet. Das Landgericht ist jedoch vom Strafrahmen des § 260 Abs. 1 <strong>StGB</strong> ausgegangen, der bei<br />

gleicher Strafobergrenze eine Mindeststrafe von sechs Monaten vorsieht. Es hat sich bei der Strafzumessung auch an<br />

dieser Mindeststrafe orientiert. Der Senat kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die<br />

Einzelstrafen in den Fällen II.1, II.2, II.5, II.7, II.8, II.18, II.29 <strong>und</strong> II.33 noch niedriger ausgefallen wären, wenn das<br />

Landgericht den zutreffenden Strafrahmen zugr<strong>und</strong>e gelegt hätte.<br />

3. Wegen der Aufhebung der genannten Einzelstrafen hat auch die Gesamtstrafe keinen Bestand.<br />

4. Die der Strafbemessung zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler unberührt; sie<br />

können deshalb bestehen bleiben. Dies schließt nicht aus, dass der neue Tatrichter ergänzende Feststellungen trifft;<br />

diese dürfen den bisherigen nicht widersprechen.<br />

5. Der Senat weist darauf hin, dass der den Angeklagten G. betreffende Fall 19 der Anklageschrift vom 11. Mai 2009<br />

noch beim Landgericht anhängig ist. Er ist weder Gegenstand des angefochtenen Urteils noch des Beschlusses vom<br />

14. April 2010 (PB 92) über die Einstellung des Verfahrens wegen einzelner Tatvorwürfe gemäß § 154 Abs. 2 StPO<br />

(vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. November 1993 - 4 StR 629/93, BGHR StPO § 352 Abs. 1 Prüfungsumfang 4; vom<br />

16. März 2010 - 4 StR 48/10, NStZ-RR 2010, 251).<br />

<strong>StGB</strong> § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Diebstahl aus geschlossenem Behältnis mit Schlüssel<br />

BGH, Beschl. v. 05.08.2010 – 2 StR 385/10 - NJW 2010, 3175 = StV 2011, 18<br />

LS: Der Täter stiehlt auch dann eine durch ein verschlossenes Behältnis besonders gesicherte Sache,<br />

wenn er als Unberechtigter den ordnungsgemäß dafür vorgesehenen Schlüssel verwendet.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 5. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Gießen vom 26. März 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die<br />

Bezeichnung des Diebstahls als "gemeinschaftlich" begangen entfällt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des<br />

Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl<br />

des Amtsgerichts Nidda vom 24. März 2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, sechs Monaten <strong>und</strong> einer<br />

Woche verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel<br />

ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf nur die Anwendung von § 243 Abs. 1 Satz 2<br />

Nr. 2 <strong>StGB</strong>.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte <strong>und</strong> die gesondert abgeurteilte N. dazu entschlossen,<br />

Geld aus der Postfiliale in N. zu entwenden. N. war dort als Angestellte am Schalter eingesetzt. Dort nahm sie<br />

am 22. Juli 2008 entsprechend dem gemeinsamen Tatplan zuerst heimlich 11.000 € Bargeld an sich. Dann bat sie<br />

ihren Kollegen R. darum, sie beim Bedienen eines K<strong>und</strong>en am Schalter zu vertreten. Diese Ablenkung nutzte sie<br />

dazu aus, um unbeobachtet den in der offenen Kasse am Schalter ihres Kollegen R. liegenden Schlüssel zum Haupttresor<br />

an sich zu nehmen, den sie gr<strong>und</strong>sätzlich nicht benutzen durfte. Sie öffnete damit den Tresor <strong>und</strong> entnahm<br />

daraus weitere 113.000 € Bargeld. Mit ihrer gesamten Beute verließ sie die Postfiliale <strong>und</strong> floh zusammen mit dem<br />

Angeklagten in dessen Fahrzeug.<br />

2. Diese Handlung hat das Landgericht zu Recht als Diebstahl im besonders schweren Fall im Sinne der §§ 242 Abs.<br />

1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong> bewertet. Das Regelbeispiel des Diebstahls aus einem verschlossenen<br />

Behältnis ist erfüllt. Dies entspricht dem Wortlaut <strong>und</strong> dem Zweck des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 <strong>StGB</strong>. Dient das<br />

Behältnis nach seiner erkennbaren Zweckbestimmung wenigstens unter anderem auch zur Sicherung der darin aufbewahrten<br />

Sache gegen Diebstahl, wie es bei einem Tresor idealtypisch der Fall ist, dann ist das verschlossene Behältnis<br />

ein Spezialfall einer Schutzvorrichtung im Sinne der Vorschrift. Das Regelbeispiel setzt voraus, dass das<br />

Behältnis verschlossen ist. Weitere Sicherungen, etwa durch Wegschließen des Schlüssels, sind danach zu seiner<br />

Erfüllung nicht mehr erforderlich. Der Täter muss - sofern er nicht sogar die Sache mitsamt dem Behältnis stiehlt -<br />

113


die Sicherung überwinden, wobei es aber nicht darauf ankommt, wie er das bewirkt (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 403;<br />

Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 243 Rn. 17). § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 <strong>StGB</strong> betont nämlich die besondere Sicherung des<br />

Diebstahlsobjekts, während § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> besondere Arten der Tatausführung bei einer allgemeinen<br />

Sicherung des Gegenstands hervorhebt; auf eine besondere Gestaltung der Tathandlung über das Überwinden<br />

der Sicherung hinaus kommt es dagegen bei § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 <strong>StGB</strong> nicht an (vgl. OLG Frankfurt, NJW<br />

1988, 3028). Daher scheidet die Anwendung des Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall des Diebstahls<br />

wegen der Wegnahme einer Sache aus einem verschlossenen Behältnis auch dann nicht aus, wenn der Verschluss mit<br />

dem dafür vorgesehenen Schlüssel geöffnet wird. Allenfalls dann, wenn der Benutzer des Schlüssels zu dessen Verwendung<br />

befugt ist, könnte für ihn die Eigenschaft des Behältnisses als besondere Diebstahlssicherung entfallen (vgl.<br />

OLG <strong>Hamm</strong>, JR 1982, 119 mit abl. Anm. Schmid; Schmitz in MünchKomm, <strong>StGB</strong>, 2003, § 243 Rn. 35). Jedenfalls<br />

wenn ein Unbefugter den Schlüssel an sich nimmt <strong>und</strong> er damit das Behältnis öffnet, überwindet er die Diebstahlssicherung,<br />

die sich aus dem Verschlusszustand des Behältnisses ergibt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2010, 48; Fischer,<br />

<strong>StGB</strong>, § 243 Rn. 17; LK/Vogel, <strong>StGB</strong>, 12. Aufl., § 243 Rn. 32). Die Erfüllung des Regelbeispiels führt gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zur Anwendung des Ausnahmestrafrahmens. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass auch<br />

nach den Umständen des konkreten Falles kein Gr<strong>und</strong> dafür besteht, die Regelwirkung hier entfallen zu lassen.<br />

<strong>StGB</strong> § 244 Einsteigen in Raum<br />

BGH, Beschl. v. 27.07.2010 – 1 StR 319/10 - StV 2011, 17<br />

1. Einsteigen in einen Raum i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> ist über den engeren Sprachsinn hinaus<br />

jedes nur unter Schwierigkeiten mögliche Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt<br />

nicht bestimmte Öffnung. Eine im Erdgeschoss gelegene Terrassentür ist demgegenüber allgemein<br />

zum Betreten des Gebäudes vorgesehen. In solchen Fällen liegt ein Einsteigen selbst dann nicht vor,<br />

wenn der Täter zum Öffnen der Tür zunächst durch einen gekippten Türflügel in die Wohnung<br />

hineingreifen muss.<br />

2. Soweit das OLG Köln (NStZ-RR 2002, 247) der Ansicht ist, die mit einem Wohnungseinbruch für<br />

die Opfer verb<strong>und</strong>enen psychischen Belastungen dürften auch dann nicht zu Lasten des Täters<br />

strafschärfend berücksichtigt werden, wenn psychische Folgen der Tat im Einzelfall festgestellt<br />

sind, folgt ihm der Senat nicht.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 27. Juli 2010 gemäß § 346 Abs. 2 StPO sowie § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4<br />

StPO <strong>und</strong> § 206a StPO beschlossen:<br />

1. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 16. März 2010, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig<br />

verworfen worden ist, wird aufgehoben.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. November 2009 aufgehoben,<br />

soweit der Angeklagte im Fall I.5 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Das Verfahren wird insoweit gemäß §<br />

206a StPO eingestellt.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Revision zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in 14 Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem<br />

Wohnungseinbruchdiebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dabei hat es Einzelstrafen<br />

zwischen zehn Monaten <strong>und</strong> drei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verhängt. Für den Fall I.5 der Urteilsgründe hat es eine<br />

Einzelstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> sieben Monaten festgesetzt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner<br />

auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg.<br />

1. Die Revision wurde rechtzeitig begründet. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 16. März 2010, mit<br />

dem das Landgericht die Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO verworfen hat, ist daher auf den Antrag<br />

des Beschwerdeführers hin gemäß § 346 Abs. 2 StPO aufzuheben.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten ist das angefochtene Urteil hinsichtlich der Verurteilung im Fall I.5 der Urteilsgründe<br />

wegen Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO); das<br />

Verfahren wird insoweit wegen eingetretener Strafverfolgungsverjährung gemäß § 206a StPO eingestellt.<br />

114


a) Zum Betreten der Wohnung durch den Angeklagten in diesem Fall hat das Landgericht folgende Feststellungen<br />

getroffen: „Am 29.01.1999 zwischen 14.00 Uhr <strong>und</strong> 18.00 Uhr brach der Angeklagte in die im Erdgeschoss liegende<br />

Wohnung der Zeugin A. … ein, indem er auf die an der Rückseite des Hauses liegende Terrasse ging, dort durch<br />

einen gekippten Terrassenflügel hindurch griff <strong>und</strong> so den Griff der danebenliegenden weiteren Terrassentüre öffnete.“<br />

Bei dieser Sachlage ist der Tatbestand des Wohnungseinbruchdiebstahls nicht gegeben. Das Landgericht hat zu<br />

Unrecht ein „Einsteigen“ i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> angenommen. Einsteigen in einen Raum ist über den engeren<br />

Sprachsinn hinaus jedes nur unter Schwierigkeiten mögliche Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt<br />

nicht bestimmte Öffnung (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 243 Rdn. 6 mN). Eine im Erdgeschoss gelegene Terrassentür<br />

ist demgegenüber allgemein zum Betreten des Gebäudes vorgesehen. Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner<br />

Antragsschrift vom 16. Juni 2010 zutreffend ausgeführt hat, liegt in solchen Fällen ein Einsteigen selbst dann nicht<br />

vor, wenn der Täter zum Öffnen der Tür zunächst durch einen gekippten Türflügel in die Wohnung hineingreifen<br />

muss (vgl. BGH, Beschl. vom 6. September 1968 - 4 StR 390/68; BGH, Urt. vom 5. Februar 1957 - 5 StR 526/56,<br />

BGHSt 10, 132, 133; Vogel in LK <strong>StGB</strong> 12. Aufl. § 243 Rdn. 22). Der Angeklagte hätte deshalb insoweit nur wegen<br />

einfachen Diebstahls gemäß § 242 <strong>StGB</strong> schuldig gesprochen werden dürfen.<br />

b) Einer Änderung des Schuldspruchs in diesem Fall steht die eingetretene Strafverfolgungsverjährung entgegen.<br />

Denn anders als der Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong>) mit einer Verjährungsfrist von zehn<br />

Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 <strong>StGB</strong>) verjährt der Diebstahl i.S.v. § 242 <strong>StGB</strong> auch dann in fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4<br />

<strong>StGB</strong>), wenn - was hier nahe liegt - ein (unbenannter) besonders schwerer Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1<br />

Satz 1 <strong>StGB</strong> gegeben ist. Die Eröffnung des Hauptverfahrens konnte die Strafverfolgungsverjährung nicht mehr<br />

gemäß § 78b Abs. 4 <strong>StGB</strong> hemmen, weil die Verjährung hinsichtlich dieser Straftat bereits vor diesem Zeitpunkt<br />

eingetreten war.<br />

3. Der Senat schließt angesichts der Vielzahl der von dem Angeklagten im Rahmen zweier Tatserien im Übrigen<br />

begangenen Wohnungseinbruchdiebstähle aus, dass sich der Wegfall der im Fall I.5 der Urteilsgründe verhängten<br />

Einzelstrafe auf die übrigen Einzelstrafen <strong>und</strong> die Gesamtstrafe auswirken könnte, zumal da verjährte, aber prozessordnungsgemäß<br />

festgestellte Straftaten bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen (vgl. BGHR <strong>StGB</strong> § 46<br />

Abs. 2 Vorleben 19; Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 46 Rdn. 38b <strong>und</strong> § 78 Rdn. 2).<br />

4. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der<br />

Revisionsrechtfertigung im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2<br />

StPO). Auch die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung<br />

(§ 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong>) liegt nicht vor. Das Landgericht durfte die konkret festgestellten psychischen Beeinträchtigungen<br />

der Opfer der Wohnungseinbruchdiebstähle strafschärfend werten. Soweit das OLG Köln (NStZ-RR<br />

2002, 247) der Ansicht ist, die mit einem Wohnungseinbruch für die Opfer verb<strong>und</strong>enen psychischen Belastungen<br />

dürften auch dann nicht zu Lasten des Täters strafschärfend berücksichtigt werden, wenn psychische Folgen der Tat<br />

im Einzelfall festgestellt sind, folgt ihm der Senat nicht.<br />

5. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Revision zu tragen. Der geringfügige <strong>Teil</strong>erfolg rechtfertigt kein<br />

anderes Ergebnis (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

<strong>StGB</strong> § 250 Abs. 2 Nr. 1 „Halsband“ als gefährliche Waffe<br />

BGH, Urt. v. 05.08.2010 – 3 StR 190/10 - NStZ 2011, 211<br />

Ein bei einem Raub um den Hals des Opfers gelegtes Band kann ein gefährliches Werkzeug i.S.d. §<br />

250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> sein.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. August 2010 für Recht erkannt:<br />

I.1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 18. Dezember 2009 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten T. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel <strong>und</strong> die durch die Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

115


II. Die Revisionen der Angeklagten K. <strong>und</strong> H. werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer<br />

Rechtsmittel zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des "gemeinschaftlichen" schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250<br />

Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong> schuldig gesprochen. Die Angeklagte K. hat es zur Jugendstrafe von zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt, gegen die Angeklagten T. <strong>und</strong> H. hat es Freiheitsstrafen von fünf Jahren bzw.<br />

drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verhängt. Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Die Beschwerdeführerin beanstandet<br />

insbesondere, dass das Landgericht die festgestellte Tat nicht als besonders schweren Raub gemäß § 249<br />

Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> gewürdigt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg <strong>und</strong> hat hinsichtlich des Angeklagten T.<br />

die Aufhebung des Urteils auch zu dessen Gunsten zur Folge (§ 301 StPO). Die Angeklagten wenden sich mit ihren<br />

Revisionen jeweils mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gegen das Urteil des Landgerichts, wobei die<br />

Angeklagte K. ihr Rechtsmittel wirksam auf die Überprüfung des Strafausspruchs beschränkt hat. Die Revision des<br />

Angeklagten T. ist erfolgreich; die Rechtsmittel der Angeklagten K. <strong>und</strong> des Angeklagten H. sind hingegen unbegründet.<br />

I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

1. Die Angeklagten <strong>und</strong> ein weiterer, anderweitig verfolgter Beteiligter entschlossen sich, einem Freier der als Prostituierte<br />

tätigen Angeklagten K. Geld wegzunehmen <strong>und</strong> diesen dabei mit einer ungeladenen Waffe zu bedrohen. Dem<br />

gemeinsamen Tatplan entsprechend veranlasste die Angeklagte K. das spätere Tatopfer, sich mit ihr zu treffen. Unter<br />

dem Vorwand, er könne sie mit seinem Pkw in die Nähe ihrer Wohnung bringen, dirigierte sie den arglosen Zeugen<br />

zu einem dunklen Platz, wo die beiden Mitangeklagten <strong>und</strong> der weitere Tatgenosse warteten. Nachdem das Opfer<br />

seinen Pkw angehalten hatte, stieg der Angeklagte H. absprachegemäß durch eine der hinteren Türen in das Kraftfahrzeug<br />

ein, umfasste den Überfallenen mit einem Arm am Hals, hielt ihm mit der anderen Hand die Augen zu <strong>und</strong><br />

sagte ihm, er solle ruhig bleiben <strong>und</strong> seine Arme auf das Lenkrad legen. Sodann legte der Angeklagte H. - entgegen<br />

der ursprünglichen Planung - ein etwa 60 Zentimeter langes, stabiles Kunststoffband in der Art eines Schnürsenkels<br />

mit einem Holzanhänger, das er zuvor als Armband getragen hatte, um den Hals des Tatopfers, um dieses zu fixieren<br />

<strong>und</strong> an einer Gegenwehr zu hindern. Dem Überfallenen gelang es jedoch, eine Hand unter das Band zu schieben <strong>und</strong><br />

es wegzureißen, sodass es auf der Mittelkonsole des Pkw zu liegen kam. Nachdem der nunmehr an der geöffneten<br />

hinteren rechten Autotür stehende Angeklagte T. den Zeugen verbal eingeschüchtert hatte, nahm er dessen Mobiltelefon<br />

<strong>und</strong> Jacke an sich, ließ sich dessen Armbanduhr aushändigen <strong>und</strong> nahm dem Opfer sodann auch die Geldbörse<br />

weg, in der sich unter anderem 60 € Bargeld befanden. Entgegen der Erwartung der Täter hatte der Zeuge indes an<br />

diesem Abend - anders als am Tag zuvor, als er für die Angeklagte K. wahrnehmbar 33.000 € mit sich geführt hatte -<br />

keinen größeren Bargeldbetrag bei sich. Daher ließen die Täter nach einer Durchsuchung des Pkw von ihrem Opfer<br />

ab <strong>und</strong> entfernten sich mit ihrer Beute, die zunächst der Angeklagte T. an sich nahm. Das Mobiltelefon des Opfers<br />

verblieb schließlich bei der Angeklagten K.. Das weggenommene Geld teilten die Täter unter sich auf. Dass bei der<br />

Tat - wie ursprünglich geplant - eine (ungeladene) Waffe verwendet oder - wie vom Angeklagten T. nach der Tat<br />

behauptet - von diesem ein Messer mitgeführt wurde, vermochte die Kammer nicht festzustellen.<br />

2. Das Landgericht hat diese Tat als - gemeinschaftlich begangenen (§ 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) - schweren Raub gemäß §<br />

250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b <strong>StGB</strong> gewürdigt. Die Strafkammer ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 250<br />

Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> nicht erfüllt seien. Ein anderes gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift sei nur ein generell<br />

<strong>und</strong> nicht erst durch die konkrete Art seiner Anwendung gefährlicher Gegenstand. Diese Voraussetzung erfülle<br />

das eingesetzte Kunststoffband nicht. Ferner habe der Angeklagte H. das Werkzeug auch nicht verwendet im Sinne<br />

dieses Qualifikationstatbestandes. Zwar wäre das Band gr<strong>und</strong>sätzlich zum Strangulieren geeignet gewesen. Es habe<br />

aber nicht festgestellt werden können, dass es hierzu auch benutzt worden sei. Der Angeklagte habe dem Zeugen das<br />

Band lediglich über den Kopf geworfen bzw. um den Hals gelegt. Er habe auch nicht damit gedroht, den Zeugen<br />

damit zu strangulieren. Dass bei der Tat das Kunststoffband <strong>und</strong> nicht - wie ursprünglich geplant - eine ungeladene<br />

Waffe verwendet worden sei, stelle eine unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom geplanten Kausalverlauf<br />

dar, den sich die Angeklagten K. <strong>und</strong> T. zurechnen lassen müssten.<br />

II. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts hält auf der Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen der Nachprüfung nicht<br />

stand. Zwar ist die Ansicht des Landgerichts, dass es sich bei dem von dem Angeklagten H. verwendeten Band nicht<br />

um ein objektiv gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a <strong>StGB</strong> handelt, nicht zu beanstanden.<br />

Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Auffassung der Strafkammer, auch der konkrete Einsatz des Bandes durch den<br />

116


Angeklagten H. könne nicht als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> gewertet<br />

werden.<br />

a) Ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes wird nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern auch,<br />

wenn sich die objektive Gefährlichkeit eines an sich ungefährlichen (neutralen) Gegenstandes erst aus seiner konkreten<br />

Verwendung ergibt, weil diese geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen; die Gefährlichkeit kann sich<br />

gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand bestimmungswidrig gebraucht wird (vgl. - je mwN - Fischer, <strong>StGB</strong>, 57.<br />

Aufl., § 250 Rn. 6 f. <strong>und</strong> 20 f.; MünchKomm<strong>StGB</strong>/Sander, § 250 Rn. 60 f.). Der Begriff des Verwendens umfasst<br />

jeden zweckgerichteten Gebrauch. Nach der Konzeption der Raubdelikte bezieht er sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels<br />

im Gr<strong>und</strong>tatbestand, so dass das Verwenden immer dann zu bejahen ist, wenn der Täter zur Wegnahme<br />

einer fremden beweglichen Sache eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Gewalt<br />

gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für deren Leib oder Leben gebraucht (BGH, Urteil<br />

vom 11. Mai 1999 - 4 StR 380/98, BGHSt 45, 92, 94 f. mwN; BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 - 3 StR 102/08, NStZ<br />

2008, 687; Sander, aaO, Rn. 58 ff.). Die Drohung kann ausdrücklich oder konkludent geäußert werden (vgl. Fischer,<br />

aaO, § 240 Rn. 31 mwN). Das (vollendete) Verwenden eines Werkzeuges zur Drohung setzt voraus, dass das Opfer<br />

das Nötigungsmittel als solches erkennt <strong>und</strong> die Androhung seines Einsatzes wahrnimmt (BGH, Beschluss vom 1.<br />

September 2004 - 2 StR 313/04, NJW 2004, 3437). Bedient sich der Täter zur Drohung eines objektiv ungefährlichen<br />

Gegenstandes, so verwendet er ihn dann als gefährliches Werkzeug, wenn er ankündigt, ihn in einer Weise zu<br />

benutzen, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR<br />

34/07, BGHSt 51, 276, 278; LK-Vogler, 12. Aufl., § 250 Rn. 32).<br />

b) Danach kann der Angeklagte H. den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> entgegen der Ansicht des Landgerichts<br />

verwirklicht haben. Dabei kann dahinstehen, ob er dadurch, dass er dem Opfer zu dessen Fixierung das - nach<br />

den Feststellungen des Landgerichts zum Strangulieren generell geeignete - Band von hinten um den Hals legte,<br />

dieses - insbesondere auch wegen erwarteter Abwehr- oder Fluchtreaktionen - zu einer Gewaltausübung nutzte, die<br />

geeignet war, erhebliche Verletzungen zu verursachen; denn naheliegend hat er durch sein Verhalten dem Überfallenen<br />

objektiv <strong>und</strong> subjektiv jedenfalls mit einer konkret gefährlichen Verwendung des Bandes gedroht, nämlich konkludent<br />

damit, dieses am Hals zuzuziehen, falls der Zeuge sich der beabsichtigten Wegnahmehandlung widersetzen<br />

sollte. Nach seiner wehrhaften Reaktion hat der Genötigte das Band als Nötigungsmittel wahrgenommen <strong>und</strong> dessen<br />

Einsatz wohl auch als Drohung mit einer Strangulation verstanden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts<br />

kommt es nicht darauf an, dass der Angeklagte den Zeugen tatsächlich nicht stranguliert hat. Für die Verwirklichung<br />

des Tatbestandes ist weiter ohne Belang, dass der Überfallene das Band wegreißen konnte <strong>und</strong> es im weiteren Fortgang<br />

der Tat nicht mehr verwendet wurde; denn die Qualifikation ist verwirklicht, wenn das Werkzeug - wie hier -<br />

im Zeitraum vom Ansetzen zum Versuch bis zur Beendigung der Tat eingesetzt wird (Fischer, aaO, § 250 Rn. 18<br />

mwN).<br />

2. Diese Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten H. betreffen auch die Verurteilungen der anderen Angeklagten<br />

als Mittäter. Die Sache bedarf daher umfassend neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung. Für den Fall einer Verurteilung<br />

gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 <strong>StGB</strong> wäre auf "besonders schweren Raub" zu erkennen, da die von §<br />

260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat die Kennzeichnung der jeweils gegebenen<br />

Qualifikation notwendig macht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09 mwN).<br />

3. Die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil<br />

der Angeklagten K. ergeben (§ 301 StPO). Sie führt indes wegen eines den Angeklagten T. belastenden Rechtsfehlers<br />

auch zu dessen Gunsten zur Aufhebung des Urteils (vgl. unten III. 1.).<br />

III. Revisionen der Angeklagten<br />

1. Die Revision des Angeklagten T. hat Erfolg. Die getroffenen Feststellungen des Landgerichts sind unzureichend<br />

<strong>und</strong> belegen - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - nicht seine Mittäterschaft an dem (gegebenenfalls besonders)<br />

schweren Raub des Angeklagten H.. Es fehlen zunächst Feststellungen dazu, aus welchen Gründen es nicht zu dem<br />

ursprünglich geplanten Einsatz einer ungeladenen Waffe kam <strong>und</strong> ob der Angeklagte T. Kenntnis davon hatte, dass<br />

der Angeklagte H. stattdessen das Kunststoffband als Nötigungsmittel einsetzen wollte. Die getroffenen Feststellungen<br />

lassen weiterhin offen, ob der hinzutretende Angeklagte T. das anfängliche - nur kurz andauernde - Legen des<br />

Bandes um den Hals des Opfers durch den Angeklagten H. gesehen oder sonst wahrgenommen hat; solches versteht<br />

sich auch nach den sonstigen Umständen der Tat nicht von selbst. Der Senat ist daher nicht in der Lage zu überprüfen,<br />

ob hinsichtlich des Angeklagten T. - wie das Landgericht annimmt - die Voraussetzungen einer (eventuell sukzessiven)<br />

mittäterschaftlichen Beteiligung an dem schweren Raub des Angeklagten H. gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1<br />

117


Buchst. b <strong>StGB</strong> gegeben sind oder die Verwendung des Kunststoffbandes einen nicht zurechenbaren Exzess dieses<br />

Angeklagten darstellte (vgl. Fischer, aaO, § 25 Rn. 20).<br />

2. Die Rechtsmittel der Angeklagten K. <strong>und</strong> H. sind hingegen aus den Gründen der Antragsschriften des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

unbegründet.<br />

<strong>StGB</strong> § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 „Hausverlosung“ im Internet Vermögensverlust großen Ausmaßes<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 StR 529/10 – NJW 2011, 1825<br />

Das Regelbeispiel der Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (§ 263 Abs. 3<br />

Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong>) bezieht sich nicht auf den erlangten Vorteil des Täters, sondern allein auf<br />

die Vermögenseinbuße beim Opfer. Das Ausmaß der Vermögenseinbuße ist daher auch bei Betrugsserien,<br />

die nach den Kriterien der rechtlichen oder natürlichen Handlungseinheit eine Tat bilden,<br />

opferbezogen zu bestimmen. Eine Addition der Einzelschäden kommt insoweit nur in Betracht,<br />

wenn die tateinheitlich zusammentreffenden Betrugstaten dasselbe Opfer betreffen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen:<br />

1. Die Strafverfolgung wird mit Zustimmung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2<br />

StPO auf den Vorwurf des Betruges beschränkt.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 29. März 2010 im Schuldspruch<br />

dahingehend geändert, dass der Angeklagte des Betruges in 18.294 tateinheitlichen Fällen schuldig ist.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen unerlaubter Ausspielung in Tateinheit mit Betrug in 18.294<br />

tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; die Vollstreckung der Strafe hat es zur<br />

Bewährung ausgesetzt. Es hat weiterhin gemäß § 111i Abs. 2 StPO festgestellt, dass es hinsichtlich der von dem<br />

Angeklagten aus der Tat erlangten Geldbeträge nur deshalb nicht auf den Verfall von Wertersatz erkannt hat, weil<br />

einer entsprechenden Anordnung Ansprüche i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> der im Urteil im Einzelnen aufgeführten<br />

Verletzten entgegenstehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt nach der Beschränkung<br />

der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO zu einer Abänderung des Schuldspruchs. Im<br />

Übrigen bleibt sie erfolglos.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab der Angeklagte im Oktober 2008 der Regierung der Oberpfalz bekannt,<br />

dass er im Internet gegen eine „<strong>Teil</strong>nahmegebühr“ von 19 € ein „Gewinnspiel“ bestehend aus einem Quiz <strong>und</strong><br />

einer anschließenden Verlosung durchführen wolle. Hauptpreis sollte eine dem Angeklagten gehörende Doppelhaushälfte<br />

in V. bei M. sein. Die Behörde teilte dem Angeklagten mit, dass sie sein Vorhaben angesichts des überwiegenden<br />

Zufallselements als ein erlaubnispflichtiges öffentliches Glücksspiel i.S.d. § 3 GlüStV ansehe. Um eine Bewertung<br />

als erlaubnisfreies Geschicklichkeitsspiel zu erreichen, erwog der Angeklagte eine Änderung der Spielbedingungen<br />

dahingehend, dass nunmehr mehrere Quizr<strong>und</strong>en durchgeführt werden sollten, um aus der Gesamtzahl der<br />

<strong>Teil</strong>nehmer eine zuvor festgelegte Anzahl von „Siegern“ zu ermitteln, unter denen die Preise, darunter auch das<br />

Haus, verlost werden sollten. Anlässlich einer anwaltlichen Beratung wurde ihm mitgeteilt, dass die glücksspielrechtliche<br />

Bewertung eines solchen Vorhabens unter den geänderten Bedingungen als Geschicklichkeitsspiel „vertretbar“<br />

erscheine; jedoch sei die Rechtslage „unklar“ <strong>und</strong> weitere Schritte sollten mit den zuständigen Behörden<br />

abgestimmt werden, um „rechtswidriges Handeln“ zu vermeiden. Die Regierung der Oberpfalz wies den Angeklagten<br />

in einem weiteren Schreiben darauf hin, dass ihr schon aufgr<strong>und</strong> fehlender Unterlagen eine abschließende rechtliche<br />

Beurteilung auch unter Berücksichtigung der vorgebrachten eventuellen Änderung der <strong>Teil</strong>nahmebedingungen<br />

nicht möglich sei. Außerdem teilte sie ihm vorsorglich mit, dass das Veranstalten von öffentlichen Glücksspielen<br />

ohne die erforderliche Erlaubnis eine Straftat darstelle. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 bat der Angeklagte<br />

die Regierung der Oberpfalz um die Erteilung eines Negativbescheids, wonach es sich bei dem von ihm geplanten<br />

Gewinnspiel um ein erlaubnisfreies Geschicklichkeitsspiel handele. Ohne eine Rückantwort abzuwarten, nahm der<br />

Angeklagte noch am selben Tag den Spielbetrieb über eine von ihm eingerichtete Internetseite auf. Auf dieser teilte<br />

118


er Spielinteressenten mit, dass die Verlosung (des Hauses) als „zulässiges Geschicklichkeitsspiel“ entsprechend den<br />

„rechtlichen Vorgaben“ konzipiert worden sei, weil in Deutschland eine reine Verlosung „leider“ nicht erlaubt sei. In<br />

den „<strong>Teil</strong>nahmebedingungen“ versicherte er nochmals ausdrücklich die rechtliche Zulässigkeit der Veranstaltung.<br />

Mit Schreiben vom 7. Januar 2009 teilte die Regierung der Oberpfalz dem Angeklagten erneut mit, dass seine Eingabe<br />

mangels hinreichender Unterlagen nicht abschließend geprüft werden könne; allerdings liege die Vermutung<br />

nahe, dass es sich bei seinem Vorhaben um ein gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV unerlaubtes Glücksspiel im Internet handele.<br />

Mit Schreiben vom 15. Januar 2009 erteilte die Regierung von Mittelfranken als die für Bayern zuständige<br />

Glücksspielaufsichtsbehörde dem Angeklagten einen entsprechenden Hinweis <strong>und</strong> drohte ihm die Untersagung des<br />

Spielbetriebes an. Diese erfolgte schließlich mit Bescheid vom 27. Januar 2009, gegen den der Angeklagte Anfechtungsklage<br />

erhob. Außerdem stellte er einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das Verwaltungsgericht in München<br />

mit Beschluss vom 9. Februar 2009 ablehnte. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde sowie die von ihm erhobene<br />

Anfechtungsklage nahm der Angeklagte zurück. Außerdem stoppte er das Gewinnspiel. Eine Verlosung des<br />

Hauses fand nicht mehr statt. Bis zur Einstellung des Spielbetriebes nahmen 18.294 Personen an dem Gewinnspiel<br />

teil, zahlreiche davon auch mehrfach, <strong>und</strong> entrichteten den vom Angeklagten geforderten Einsatz. Die höchste Einzelüberweisung<br />

an den Angeklagten lag bei 190 €; darüber hinaus zahlten einzelne Spieler in mehreren Überweisungen<br />

bis zu 874 € für ihre Spielteilnahme. Insgesamt erlangte der Angeklagte hierdurch 404.833 €. Hiervon zahlte er<br />

nicht mehr als 4.833 € an einige der Spielteilnehmer zurück. Den Restbetrag verbrauchte er für eigene Zwecke.<br />

II.<br />

1. Der Senat hat gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO mit Zustimmung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts die<br />

Strafverfolgung auf den Vorwurf des Betruges (§ 263 <strong>StGB</strong>) beschränkt <strong>und</strong> von einer Ahndung der Tat wegen unerlaubter<br />

Ausspielung (§ 287 <strong>StGB</strong>) abgesehen. Die Beschränkung ist erfolgt, weil die bisherigen Feststellungen nicht<br />

ausreichen, um den Schuldspruch wegen unerlaubter Ausspielung zu begründen. So fehlen Feststellungen zu den von<br />

dem Angeklagten verwendeten Quizfragen <strong>und</strong> deren Schwierigkeitsgrad. Angesichts dessen ist es dem Senat nicht<br />

möglich, die Frage, ob es sich bei dem von dem Angeklagten im Internet veranstalteten Gewinnspiel um ein verbotenes<br />

Glücksspiel i.S.d. § 287 <strong>StGB</strong> oder um ein erlaubtes Geschicklichkeitsspiel handelt (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 58.<br />

Aufl., § 287 Rn. 8 zur Abgrenzung bei Preisrätseln), abschließend zu beurteilen.<br />

2. Danach war der Schuldspruch wie geschehen zu ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Der nach der Beschränkung<br />

verbliebene Vorwurf des Betruges ist vom bisherigen Schuldspruch umfasst. Es ist nicht ersichtlich, dass<br />

sich der zum äußeren Tatgeschehen geständige Angeklagte anders als bisher hätte verteidigen können.<br />

III.<br />

Die weitergehende Revision des Angeklagten ist unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Entgegen der Ansicht der Revision erfüllt das vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellte Verhalten des Angeklagten<br />

sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht alle Merkmale des Betruges nach § 263 Abs. 1 <strong>StGB</strong>.<br />

a) Durch die wahrheitswidrigen Ausführungen auf seiner Internetseite rief der Angeklagte bei den Spielteilnehmern<br />

die Fehlvorstellung hervor, dass er die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit des von ihm angebotenen Gewinnspiels<br />

abschließend geklärt habe <strong>und</strong> dass seinem Vorhaben von Seiten der zuständigen Behörden keine rechtlichen Bedenken<br />

entgegenstünden. Eine solche Klärung der Rechtslage war vor Aufnahme des Spielbetriebes aber gerade nicht<br />

erfolgt. Aufgr<strong>und</strong> des vorangegangenen Schriftverkehrs mit den Behörden, die den Angeklagten mehrfach auf ihre<br />

rechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit des Gewinnspiels hingewiesen hatten, <strong>und</strong> der von ihm eingeholten Auskünfte<br />

von <strong>Rechtsanwälte</strong>n, die die Rechtslage ebenfalls als „unklar“ bezeichnet <strong>und</strong> ein weiteres Vorgehen nur im Einvernehmen<br />

mit den Behörden angemahnt hatten, musste er vielmehr damit rechnen, dass ihm die weitere Durchführung<br />

seines Vorhabens einschließlich der Verlosung der von ihm als Hauptgewinn ausgelobten Immobilie umgehend<br />

untersagt werden wird, wie dies dann auch tatsächlich geschehen ist.<br />

b) Im Vertrauen auf die Zusicherung des Angeklagten erbrachten die <strong>Teil</strong>nehmer ihre Spieleinsätze <strong>und</strong> erlitten insoweit<br />

auch einen Vermögensschaden. Die Gegenleistung des Angeklagten blieb infolge der drohenden Untersagung<br />

des Gewinnspiels hinter der vertraglich geschuldeten Leistung zurück, denn der Angeklagte war gr<strong>und</strong>sätzlich weder<br />

willens noch in der Lage, den überwiegenden <strong>Teil</strong> der vereinnahmten Gelder, den er schon für eigene Zwecke verbraucht<br />

hatte, im Fall einer vorzeitigen zwangsweisen Einstellung des Spielbetriebes durch die Behörden an die<br />

Spielteilnehmer zurückzuzahlen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1983 - 3 StR 300/83; BGH, Urteil vom 3.<br />

November 1955 - 3 StR 172/55, BGHSt 8, 289, 291). Dass er einen geringen <strong>Teil</strong> der Einsätze an einige der Spielteilnehmer<br />

- die ihm zum <strong>Teil</strong> mit einer Strafanzeige gedroht hatten - zurück erstattet hat, steht dabei der Annahme<br />

eines Betrugsschadens nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 204).<br />

Das Landgericht hat die <strong>Teil</strong>rückzahlung zu Recht als bloße Schadenswiedergutmachung gewertet <strong>und</strong> bei der Strafzumessung<br />

berücksichtigt.<br />

119


c) Der Angeklagte, der dies alles erkannt <strong>und</strong> gewollt hat, handelte vorsätzlich. Da es ihm zudem darauf ankam,<br />

seinen eigenen Gewinn durch die Einsätze der getäuschten Spielteilnehmer zu steigern, ist bei ihm auch die Absicht<br />

gegeben, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der Umstand, dass er bei der Tatbegehung<br />

möglicherweise darauf hoffte, dass die zuständigen Behörden letztlich keine Einwände erheben <strong>und</strong> ihm die Durchführung<br />

des Gewinnspiels einschließlich der Verlosung gestatten würden, lässt die Annahme eines (bedingten) Betrugsvorsatzes<br />

nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2002 - 2 StR 332/02, NStZ 2003, 264 mwN).<br />

2. Nicht zu beanstanden ist weiterhin die vom Landgericht vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung, wonach<br />

sich der Angeklagte nur wegen einer Tat des Betruges in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen strafbar<br />

gemacht hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren wesentliche <strong>Teil</strong>e der Tatausführung „vollautomatisiert“,<br />

d.h. die Anmeldung der Spielteilnehmer, die Aufforderung zur Zahlung nach der Anmeldung, die Überwachung<br />

des Zahlungseingangs <strong>und</strong> die Übermittlung der Quizfragen erfolgten automatisch über das Internet durch den<br />

Einsatz eines Computerprogramms, ohne dass es eines weiteren Zutuns des Angeklagten bedurfte. Da seine Tathandlung<br />

im Wesentlichen in der Einrichtung <strong>und</strong> Überwachung der Internetseite bestand, über die das Gewinnspiel abgewickelt<br />

wurde, ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die an sich selbständigen zahlreichen Abschlüsse<br />

der Spielverträge mit den <strong>Teil</strong>nehmern hier als Tateinheit verb<strong>und</strong>en sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28.<br />

Mai 2003 - 2 StR 74/03 mwN).<br />

3. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben.<br />

a) Allerdings ist die Annahme des Landgerichts rechtsfehlerhaft, der Angeklagte habe im Hinblick auf den von ihm<br />

verursachten Gesamtschaden das Regelbeispiel der Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (§<br />

263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong>) verwirklicht. Das Landgericht verkennt hierbei, dass sich das Regelbeispiel<br />

nicht auf den erlangten Vorteil des Täters, sondern allein auf die Vermögenseinbuße beim Opfer bezieht (NK-<br />

Kindhäuser, <strong>StGB</strong>, 3. Aufl., § 263 Rn. 394). Das Ausmaß der Vermögenseinbuße ist daher auch bei Betrugsserien,<br />

die nach den Kriterien der rechtlichen oder natürlichen Handlungseinheit eine Tat bilden, opferbezogen zu bestimmen.<br />

Eine Addition der Einzelschäden kommt insoweit nur in Betracht, wenn die tateinheitlich zusammentreffenden<br />

Betrugstaten dasselbe Opfer betreffen (vgl. hierzu LK-Tiedemann, <strong>StGB</strong>, 11. Aufl., § 263 Rn. 298; MüKo-<br />

Hefendehl, <strong>StGB</strong>, § 263 Rn. 777; NK-Kindhäuser aaO). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Auch die Voraussetzungen<br />

des Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 <strong>StGB</strong> liegen hier nicht vor, da sich die Vorstellung<br />

des Täters auf die fortgesetzte Begehung mehrerer rechtlich selbständiger Betrugstaten richten muss (MüKo-<br />

Hefendehl aaO Rn. 779; NK-Kindhäuser aaO Rn. 395).<br />

b) Die fehlerhafte Annahme des Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong> hat jedoch keine Auswirkungen<br />

auf die Strafrahmenwahl, da jedenfalls die Voraussetzungen des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit (§<br />

263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 <strong>StGB</strong>) rechtsfehlerfrei vom Landgericht bejaht worden sind. Der Umstand, dass die<br />

Einzeldelikte der Betrugsserie hier tateinheitlich zusammentreffen, steht dem nicht entgegen (BGH, Urteil vom 17.<br />

Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177).<br />

c) Weder die Schuldspruchänderung infolge der Beschränkung nach § 154a StPO, noch die rechtsfehlerhafte Annahme<br />

des Regelbeispiels nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 <strong>StGB</strong> haben vorliegend Auswirkungen auf den Strafausspruch.<br />

Bei der Strafrahmenwahl ist das Landgericht vom Strafrahmen des § 263 Abs. 3 <strong>StGB</strong> ausgegangen <strong>und</strong><br />

nicht von dem des § 287 <strong>StGB</strong>. Es hat außerdem die von ihm angenommene tateinheitliche Begehung der unerlaubten<br />

Ausspielung bei der Strafzumessung nicht zum Nachteil des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt, sondern<br />

lediglich betrugsspezifische Gesichtspunkte in seine Überlegungen zur Strafhöhe einfließen lassen. Die vom Landgericht<br />

bei der Strafzumessung aufgeführte Erwägung, dass der Angeklagte zwei Tatbestandsalternativen des § 263<br />

Abs. 3 <strong>StGB</strong>, nämlich die Nrn. 1 <strong>und</strong> 2, verwirklicht hätte, dient ersichtlich nur der näheren Erläuterung der vom<br />

Angeklagten bei der Tat aufgewendeten kriminellen Energie, zumal die geringe Höhe der bei den einzelnen Spielteilnehmern<br />

eingetretenen Schäden ausdrücklich strafmildernd gewertet worden ist. Da die verhängte Freiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren trotz des beträchtlichen Gesamtschadens <strong>und</strong> der erheblichen, bei der Tatvorbereitung <strong>und</strong> -<br />

ausführung aufgewendeten kriminellen Energie noch im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens<br />

liegt, kann der Senat insgesamt ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte,<br />

wenn es von einer Verurteilung des Angeklagten wegen einer tateinheitlich begangenen unerlaubten Ausspielung<br />

abgesehen hätte.<br />

IV. Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels des Angeklagten rechtfertigt es nicht, ihn von den Kosten des Revisionsverfahrens<br />

teilweise freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

120


<strong>StGB</strong> § 263 Vermögensnachteil muss der Bereicherungsabsicht entsprechen<br />

BGH, Beschl. v. 07.12.2010 – 3 StR 433/10 - BeckRS 2011, 03179<br />

Für die Tatbestandsverwirklichung des § 263 <strong>StGB</strong> sind nur die Vermögenseinbußen relevant, auf<br />

die spiegelbildlich die Absicht des Täters gerichtet ist, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil<br />

zu verschaffen; weitergehende Vermögensnachteile, die der Geschädigte aufgr<strong>und</strong> der irrtumsbedingten<br />

Vermögensverfügung erleidet, sind allenfalls verschuldete Tatauswirkungen im Sinne des §<br />

46 Abs. 2 <strong>StGB</strong>.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 7. Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird<br />

das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 16. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird<br />

zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- <strong>und</strong> banden- mäßigen Betruges in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung<br />

in 51 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen<br />

eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen beschlossen der Angeklagte <strong>und</strong> der gesondert abgeurteilte frühere Mitangeklagte K.,<br />

sich durch Betrugstaten zu Lasten von Mobilfunknetzbetreibern eine Einnahmequelle von einiger Dauer <strong>und</strong> einigem<br />

Umfang zu verschaffen. Der Angeklagte, der für seine Tatbeteiligung von K. 10.000 € erhalten sollte, mietete unter<br />

Verwendung eines falschen Namens Räume an, stellte einen Geschäftsführer ein, nahm die Gewerbeanmeldung vor<br />

<strong>und</strong> eröffnete ein Geschäftskonto. Außerdem stellte er auf Aufforderung des K. seinen türkischen Pass einem "D."<br />

aus den Niederlanden zur Verfügung, der nach diesem Muster auf einem Computer Dateien türkische Ausweispapiere<br />

<strong>und</strong> Debitkarten nicht existenter Personen erstellte. Ab Anfang Dezember 2008 füllte der Angeklagte zusammen<br />

mit einer Angestellten Anträge auf Einrichtung von Mobiltelefonanschlüssen aus, wobei sie die Personalien erf<strong>und</strong>ener<br />

Personen verwendeten. Für die erforderliche Vorlage einer Kopie des Personalausweises des angeblichen Antragstellers<br />

sowie dessen Debitkarte gebrauchten sie Ausdrucke der von "D." erstellten Dateien. Die Anträge <strong>und</strong><br />

Kopien der gefälschten Dokumente übersandten sie an die Mobilfunknetzbetreiber, um Provisionszahlungen zu erhalten<br />

<strong>und</strong> in den Besitz subventionierter Mobiltelefone sowie freigeschalteter SIM-Karten zu gelangen. Die Mobiltelefone<br />

<strong>und</strong> die SIM-Karten wurden an dritte Personen weiterverkauft. Mehrere Erwerber von SIM-Karten verursachten<br />

durch die Anwahl so genannter Mehrwertnummern, die sie vorher angemietet hatten, hohe uneinbringliche<br />

Telefongebühren, <strong>und</strong> verschafften sich auf diese Weise vermeintliche Vergütungsansprüche gegen die Mobilfunknetzbetreiber<br />

in beträchtlicher Höhe. Ab Mitte Dezember 2008 wirkten die gesondert abgeurteilten Angeklagten S.<br />

<strong>und</strong> Ku. anstelle der Angestellten an den Straftaten mit. Die Ausdrucke der Personalausweise <strong>und</strong> Debitkarten der<br />

nicht existenten Personen wurden in der Folgezeit insbesondere von Ku. <strong>und</strong> ab dem 5. Januar 2009 auch von S.<br />

erstellt. Die inzwischen rechtskräftig freigesprochene frühere Mitangeklagte G. war im Wesentlichen damit befasst,<br />

die Anträge auf Einrichtung eines Mobilfunkanschlusses zu unterschreiben <strong>und</strong> Kopien der gefälschten Dokumente<br />

zu erstellen. Der Angeklagte, der Anfang 2009 eine Woche lang nicht in den Geschäftsräumen arbeitete, wirkte teilweise<br />

beim Ausfüllen der Anträge mit. Außerdem war er neben Ku. für die Annahme - auch gegen Nachnahme -<br />

gelieferter Mobiltelefone verantwortlich. Das Landgericht hat mehrere am selben Tag bei demselben Mobilfunknetzbetreiber<br />

gestellte Anträge als eine rechtlich selbständige Tat behandelt. Als täuschungsbedingten Vermögensschaden<br />

hat es den jeweiligen Vergütungsanspruch der Mobilfunknetzbetreiber auf der Gr<strong>und</strong>lage des vereinbarten <strong>und</strong><br />

verkehrsüblichen Gebührentarifs angesehen; diesen hat es seiner Schadensberechnung "anteilig" zugr<strong>und</strong>e gelegt.<br />

Außerdem hat es als "reine Telefonie" bezeichnete Schadensbeträge in Ansatz gebracht. Hierbei handelt es sich um<br />

Vergütungen vermeintlicher Ansprüche aus der Benutzung von "Mehrwertnummern" durch Erwerber der freigeschalteten<br />

SIM-Karten.<br />

2. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben; denn die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich 51<br />

tatmehrheitlicher Betrugstaten schuldig gemacht, hält auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen rechtlicher<br />

Überprüfung nicht stand.<br />

a) Sind an einer Deliktsserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, so ist<br />

die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, für jeden Beteiligten geson-<br />

121


dert zu prüfen <strong>und</strong> zu entscheiden; maßgeblich ist dabei der Umfang seines Tatbeitrags oder seiner Tatbeiträge. Erfüllt<br />

ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person<br />

oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so<br />

sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen.<br />

Allein die organisatorische Einbindung des Täters in ein betrügerisches Geschäftsunternehmen ist nicht geeignet, die<br />

Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zusammenzufassen. Erbringt er dagegen<br />

im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte<br />

seiner Mittäter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich<br />

begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im<br />

Sinne des § 52 Abs. 1 <strong>StGB</strong> verknüpft werden. Ob die übrigen Beteiligten die einzelnen Delikte gegebenenfalls<br />

tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 10. Mai<br />

2001 - 3 StR 52/01, wistra 2001, 336; BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840).<br />

b) Gemessen an diesen Maßstäben belegen die Feststellungen keine vom Angeklagten in Tatmehrheit begangenen 51<br />

Straftaten des Betruges in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung. Ein konkreter Tatbeitrag zu jeder einzelnen dieser<br />

Taten lässt sich ihnen nicht entnehmen. Vielmehr wirkte der Angeklagte nur teilweise beim Ausfüllen der gefälschten<br />

Anträge mit <strong>und</strong> nahm nur in Einzelfällen von den Mobilfunknetzbetreibern gelieferte Mobiltelefone entgegen.<br />

Insbesondere ist nicht festgestellt, dass er in allen 51 Fällen die gefälschten Anträge <strong>und</strong> die Kopien der Ausweispapiere<br />

sowie der Debitkarten der nicht existierenden Personen den Mobilfunknetzbetreibern zuschickte. Außerdem<br />

war er nach der Durchsuchung seiner Wohnung am 2. Januar 2009 für eine Woche nicht im Handyladen anwesend.<br />

Dennoch wurden in dieser Zeit weitere betrügerische Anmeldungen vorgenommen.<br />

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Zwar lässt sich den Feststellungen<br />

entnehmen, dass der Angeklagte zumindest beim Aufbau <strong>und</strong> beim allgemeinen Betrieb des Handyladens mittäterschaftliche<br />

Tatbeiträge leistete, die zur Verwirklichung jedes der abgeurteilten Einzeldelikte beitrugen. Dennoch<br />

kann der Senat den Schuldspruch nicht dahin ändern, dass der Angeklagte des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Betruges<br />

nebst gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßiger Urk<strong>und</strong>enfälschung in 51 tateinheitlichen Fällen schuldig ist, <strong>und</strong> die ausgesprochene<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten als Strafe für die einheitliche Tat bestehen<br />

lassen. Denn ein solches Vorgehen setzt voraus, dass das Tatgericht den Unrechts- <strong>und</strong> Schuldgehalt der Tat rechtsfehlerfrei<br />

festgestellt hat <strong>und</strong> dieser durch die zutreffende Bewertung des Konkurrenzverhältnisses nicht berührt<br />

wird. Schon an der erstgenannten Voraussetzung fehlt es hier, da das Landgericht den entstandenen Betrugsschaden<br />

sowie den Gegenstand der vom Angeklagten erstrebten rechtswidrigen Bereicherung in zweifacher Weise unzutreffend<br />

bestimmt hat. Im Einzelnen:<br />

a) Der vollendete Betrug setzt voraus, dass beim Geschädigten eine Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne<br />

eingetreten ist, die unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Vermögensverfügung sein muss. Außerdem muss<br />

auch der vom Täter erstrebte rechtswidrige Vermögensvorteil unmittelbare Folge der vom Opfer aufgr<strong>und</strong> seines<br />

Irrtums vorgenommenen Vermögensverfügung sein <strong>und</strong> der dadurch bedingten Vermögenseinbuße des Opfers spiegelbildlich<br />

entsprechen (sog. Stoffgleichheit). Der Vermögensschaden ist durch einen Vergleich der Vermögenslage<br />

des Geschädigten vor <strong>und</strong> unmittelbar nach der Verfügung festzustellen (Cramer/Perron in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>,<br />

28. Aufl., § 263 Rn. 99; Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 263 Rn. 110). Beim Betrug durch Abschluss eines Vertrages ist<br />

der Vermögensvergleich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beziehen (Eingehungsschaden). Zu vergleichen<br />

sind demnach die wirtschaftlichen Werte der beiderseitigen Vertragspflichten (BGH, Urteil vom 13. November 2007<br />

- 3 StR 462/06, BGHR <strong>StGB</strong> § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 70; Fischer, aaO Rn. 176). Dieser zunächst durch die<br />

rein rechnerische Gegenüberstellung der wirtschaftlichen Werte der gegenseitigen vertraglichen Ansprüche bestimmte<br />

Schaden materialisiert sich mit der Erbringung der versprochenen Leistung des Tatopfers (Erfüllungsschaden) <strong>und</strong><br />

bemisst sich nach deren vollen wirtschaftlichen Wert, wenn die Gegenleistung völlig ausbleibt, bzw. nach der Differenz<br />

zwischen dem wirtschaftlichen Wert der Leistung <strong>und</strong> demjenigen der Gegenleistung, soweit eine solche vom<br />

Täter erbracht wird. An dem Erfordernis, dass der Vermögensschaden unmittelbare Folge der Vermögensverfügung<br />

<strong>und</strong> der erstrebte rechtswidrige Vermögensvorteil wiederum unmittelbare Folge des Vermögensschadens sein muss,<br />

fehlt es etwa, wenn der Getäuschte dem Täter - entsprechend dessen Absicht - lediglich die tatsächliche Möglichkeit<br />

gibt, den Vermögensschaden durch weitere selbständige deliktische Handlungen herbeizuführen.<br />

b) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht den Betrugsschaden sowie den Inhalt der Bereicherungsabsicht nicht<br />

rechtsfehlerfrei festgestellt. Mit Annahme des gefälschten Antrags auf Abschluss eines Mobilfunkvertrages verpflichtete<br />

sich der jeweilige Mobilfunknetzbetreiber in zweifacher Hinsicht. Zum einen versprach er dem angeblichen<br />

Neuk<strong>und</strong>en die Lieferung eines kostenlosen oder preisreduzierten Mobiltelefons nebst freigeschalteter SIM-<br />

Karte sowie die Möglichkeit des Telefonierens in <strong>und</strong> aus dem entsprechenden Mobilfunknetz für die Dauer der<br />

122


Vertragslaufzeit. Zum anderen sagte er dem "Inhaber des Handyladens" die Zahlung einer Provision für die Vermittlung<br />

des Mobilfunkvertrages sowie die Übersendung des Mobiltelefons nebst freigeschalteter SIM-Karte zu, damit<br />

dieses dem vermeintlichen neuen K<strong>und</strong>en ausgehändigt werden konnte. Dem standen folgende Gegenansprüche<br />

gegenüber: Der angebliche Neuk<strong>und</strong>e verpflichtete sich im Falle der Lieferung eines verbilligten Mobiltelefons zur<br />

Zahlung des reduzierten Kaufpreises; außerdem sagte er die künftige Begleichung der vereinbarten Telefongebühren<br />

während der Vertragslaufzeit zu. Der "Inhaber des Handyladens" versprach die Übergabe des Mobiltelefons nebst<br />

SIM-Karte an den Neuk<strong>und</strong>en sowie eine Zahlung auf das Mobiltelefon, wenn hierauf bei dessen Auslieferung im<br />

Wege der Nachnahme Vorkasse zu leisten war. Diese Gegenansprüche waren wegen fehlender Erfüllungsbereitschaft<br />

der (angeblichen) Schuldner weitgehend wertlos; eine Ausnahme galt nur hinsichtlich der bei Nachnahmelieferung<br />

des Mobiltelefons zu leistenden Vorkasse, da der Angeklagte <strong>und</strong> seine Mittäter zu deren Zahlung bereit<br />

waren, um in Besitz des Mobiltelefons <strong>und</strong> der SIM-Karte zu gelangen. Der Eingehungsschaden des Mobilfunknetzbetreibers<br />

könnte daher im Gr<strong>und</strong>satz nach dem vollen wirtschaftlichen Wert der von ihm eingegangenen Verpflichtungen<br />

bestimmt werden, allenfalls abzüglich der Höhe des werthaltigen Anspruchs auf Vorkasse. Indes ist zu beachten,<br />

dass für die Tatbestandsverwirklichung nur die Vermögenseinbußen relevant sind, auf die spiegelbildlich die<br />

Absicht des Täters gerichtet ist, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen; weitergehende Vermögensnachteile,<br />

die der Geschädigte aufgr<strong>und</strong> der irrtumsbedingten Vermögensverfügung erleidet, sind allenfalls<br />

verschuldete Tatauswirkungen im Sinne des § 46 Abs. 2 <strong>StGB</strong>. Hieraus folgt, dass der Wert der von dem jeweiligen<br />

Mobilfunkbetreiber eingegangenen Verpflichtung, dem angeblichen Neuk<strong>und</strong>en während der Vertragslaufzeit das<br />

Telefonieren in <strong>und</strong> aus seinem Mobilfunknetz zu gestatten, hier bei der Berechnung des tatbestandlichen Schadens<br />

unberücksichtigt zu bleiben hat; denn dem Angeklagten <strong>und</strong> seinen Mittätern kam es gerade nicht darauf an, selbst<br />

entsprechende Telefongespräche zu führen, ohne hierfür ein Entgelt zu bezahlen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> kann auch dahinstehen,<br />

ob eine entsprechende Schadensposition - wie das Landgericht meint - nach den für die Vertragslaufzeit<br />

vereinbarten Gr<strong>und</strong>gebühren oder gegebenenfalls nach einem Anteil hiervon berechnet werden kann. Der vom Angeklagten<br />

<strong>und</strong> seinen Mittätern erstrebte Vermögensvorteil bestand tatsächlich in der Auszahlung der Provision sowie<br />

der Lieferung der kostenlosen oder verbilligten Mobiltelefone nebst freigeschalteter SIM-Karte, die gewinnbringend<br />

veräußert werden sollten. Der entsprechende Eingehungsschaden des jeweiligen Mobilfunknetzbetreibers bemisst<br />

sich daher allein nach dem Wert der von ihm insoweit eingegangenen Verpflichtungen, im Einzelfall unter<br />

Abzug des Werts des Anspruchs auf Entrichtung der Vorkasse, für die Erfüllungsbereitschaft bestand. Zu den insoweit<br />

in Ansatz zu bringenden Beträgen verhält sich das angefochtene Urteil indessen nicht. Demgemäß enthält es<br />

weder eine nachvollziehbare Berechnung des mit Vertragsschluss eingetretenen Eingehungsschadens noch legt es<br />

den mit der Auszahlung der Provision <strong>und</strong> der Auslieferung von Mobiltelefonen <strong>und</strong> SIM-Karten entstandenen Erfüllungsschaden<br />

dar. Auch soweit das Landgericht die "reinen Telefoniekosten" als tatbestandliche Schadensbeträge<br />

in Ansatz gebracht hat, sind seine Ausführungen von Rechtsirrtum beeinflusst. Diesbezüglich hat es verkannt, dass<br />

die Herbeiführung der entsprechenden Vermögensnachteile zwar durch die Übersendung der freigeschalteten SIM-<br />

Karten ermöglicht wurde, aber erst durch den betrügerischen Abschluss von Verträgen über die Nutzung von<br />

"Mehrwertnummern" <strong>und</strong> deren Anwahl über die durch Betrug erlangten SIM-Karten, also durch ein selbständiges<br />

deliktisches Verhalten, die vermeintlichen Vergütungsansprüche begründet <strong>und</strong> teilweise Zahlungen ausgelöst wurden.<br />

Es fehlt daher an der erforderlichen Unmittelbarkeit zwischen täuschungsbedingter Vermögensverfügung <strong>und</strong><br />

eingetretenem Vermögensschaden (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2005 - 4 StR 559/04, BGHSt 50, 174, 178). Hinzu<br />

kommt, dass sich die Bereicherungsabsicht des Angeklagten <strong>und</strong> seiner Mittäter auch nicht auf die Erlöse aus dem<br />

betrügerischen Ausnutzen von "Mehrwertnummern" erstreckte. Denn die entsprechenden Verträge wurden allein von<br />

Dritten abgeschlossen, die SIM-Karten vom Angeklagten <strong>und</strong> seinen Mittätern erworben hatten, ohne dass diese an<br />

den erschwindelten Gebühren beteiligt werden sollten. In Betracht kommt daher insoweit lediglich, dass sich der<br />

Angeklagte durch den Verkauf der SIM-Karten in dem Wissen um die von den Erwerbern beabsichtigte missbräuchliche<br />

Verwendung an deren Straftaten als Gehilfe beteiligt hat. Ansonsten handelt es sich bei dem Gebührenschaden<br />

ebenfalls nur um eine verschuldete Tatfolge im Sinne des § 46 Abs. 2 <strong>StGB</strong>.<br />

4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung. Der Senat sieht im Übrigen Anlass zu folgendem<br />

Hinweis: Bei einer Serie von Straftaten ist sorgfältig auf eine geordnete <strong>und</strong> über-sichtliche Darstellung der einzelnen<br />

Delikte zu achten, um Fehler zu vermeiden. Dem wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.<br />

Fall Nr. 211 der Anklage wurde als Fall 14 <strong>und</strong> nochmals als Fall 16 - allerdings mit unter-schiedlichen Anmeldedaten<br />

<strong>und</strong> nicht identischen Schadenshöhen - abgeurteilt. Die Fälle 183 <strong>und</strong> 206 der unverändert zur Hauptverhandlung<br />

zugelassenen Anklage, wurden - soweit ersichtlich - weder nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt noch sind sie Gegenstand<br />

der Urteilsgründe. Sie sind also beim Landgericht anhängig geblieben.<br />

123


<strong>StGB</strong> § 263 Versuchsbeginn<br />

BGH, Beschl. v. 12.01.2011 – 1 StR 540/10 - StV 2011, 362<br />

Zum Versuchsbeginn beim Betrug: Handelt es sich um ein mehraktiges Geschehen, so ist erst diejenige<br />

Täuschungshandlung maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar zur irrtumsbedingten Verfügungsverfügung<br />

bestimmen <strong>und</strong> den Vermögensschaden herbeiführen soll.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 12. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die<br />

Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Mai 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch<br />

über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt,<br />

deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt <strong>und</strong> ihn von weiteren Vorwürfen freigesprochen. Gegen die Verurteilung<br />

wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Schon die Sachrüge ist erfolgreich. Eines näheren Eingehens<br />

auf die zudem erhobene Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.<br />

1. Die Verurteilung hat das Landgericht im Wesentlichen auf folgende Feststellungen gestützt: Seit 2002 arbeitete<br />

der Angeklagte für die 1923 geborene Frau J. als Hausmeister. Nachdem diese im September 2005 schwer gestürzt<br />

war, kümmerte er sich gegen entsprechendes Honorar u.a. auch um deren körperliche Hygiene <strong>und</strong> Verpflegung. Im<br />

August 2008 erklärte sich Frau J. mit dem Vorschlag des Angeklagten einverstanden, ihm das ihr gehörende Gr<strong>und</strong>stück,<br />

dessen Verkehrswert das Urteil nicht mitteilt, zu schenken. In dem darauf stehenden Haus sollte sie weiterhin<br />

unentgeltlich wohnen dürfen <strong>und</strong> vom Angeklagten wie bisher gepflegt werden. Bei diesem Gespräch spiegelte der<br />

Angeklagte Frau J. „bewusst wahrheitswidrig … vor, dass für die Übertragung des Anwesens Schenkungssteuer in<br />

Höhe von 150.000 € anfallen würde“, obwohl er „wusste, dass die“ Steuer „wesentlich niedriger … sein“, nämlich<br />

81.175,40 € betragen würde. Da der Angeklagte sie nicht hätte bezahlen können, willigte Frau J. ein, ihm 150.000 €<br />

zusätzlich „zur Begleichung der anfallenden Schenkungssteuer zu schenken“. Mitte September 2008 beauftragte der<br />

Angeklagte einen befre<strong>und</strong>eten Rechtsanwalt, einen Überlassungsvertrag zu entwerfen. Der Entwurf enthielt in § 9<br />

folgende Regelung: „Die Überlasserin übergibt dem Übernehmer neben der Überlassung des Gr<strong>und</strong>stücks einen<br />

Betrag in Höhe von 150.000 € als Schenkung. Den Betrag in Höhe von 150.000 € übergibt die Überlasserin an den<br />

Übernehmer im Ausgleich der mit der Überlassung <strong>und</strong> auch der Schenkung des Betrages von 150.000 € anfallenden<br />

Schenkungssteuer. Sollte die anfallende Schenkungssteuer unter dem Betrag von 150.000 € liegen, ist vom Übernehmer<br />

eine teilweise Rückerstattung nicht geschuldet. Ein möglicher Restbetrag wird dem Übernehmer von der<br />

Überlasserin geschenkt“. Nachdem der Angeklagte den Vertragsentwurf gebilligt hatte, übersandte ihn sein Rechtsanwalt<br />

an einen Notar, der den Beurk<strong>und</strong>ungstermin auf den 1. Oktober 2008 um 17.00 Uhr bestimmte. Zu der Beurk<strong>und</strong>ung<br />

kam es nicht mehr, weil der Angeklagte am Vormittag des genannten Tages festgenommen wurde.<br />

2. Diese Feststellungen vermögen die Verurteilung wegen versuchten Betruges nicht zu tragen. Denn sie belegen<br />

nicht, dass der Angeklagte nach seinem Tatentschluss zur Verwirklichung des Betruges unmittelbar angesetzt hat (§<br />

22 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> ggf. von dessen Versuch nicht strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 <strong>StGB</strong>).<br />

a) Der Senat hat Bedenken, ob der Angeklagte die nach § 22 <strong>StGB</strong> für den Versuchsbeginn maßgebliche Schwelle<br />

schon überschritten hat. Zwar trifft die vom Landgericht vertretene Ansicht zu, dass es hierfür regelmäßig genügt,<br />

dass ein Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar<br />

1991 - 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 296; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2002 - 1 StR 222/01, NStZ 2002, 433,<br />

435). Es hat insofern eine Täuschung bejaht. Jedoch muss das, was der Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens<br />

getan hat, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand <strong>und</strong> dessen beabsichtigter Verwirklichung in Beziehung<br />

gesetzt werden. Handelt es sich aber dabei - wie hier - um ein mehraktiges Geschehen, so ist erst diejenige Täuschungshandlung<br />

maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar zur irrtumsbedingten Verfügungsverfügung bestimmen<br />

<strong>und</strong> den Vermögensschaden herbeiführen soll (vgl. Satzger in SSW, <strong>StGB</strong>, 1. Aufl., § 263 Rn. 254). Daher lag<br />

es nicht nahe, auf die in dem ersten, im August 2008 geführten Gespräch hinsichtlich der Höhe der Schenkungssteuer<br />

gemachte Angabe abzustellen. Denn diese konnte nicht ohne weitere wesentliche Zwischenschritte in die angestrebte<br />

Vermögensverschiebung münden, sondern sollte diese nur vorbereiten. Insbesondere bedurfte es auch nach der Vorstellung<br />

des Angeklagten noch der Ausarbeitung eines entsprechenden schriftlichen Vertrages <strong>und</strong> zwingend (§ 311b<br />

Abs. 1 Satz 1 <strong>und</strong> Abs. 3 BGB) dessen notarieller Beurk<strong>und</strong>ung. Angesichts dessen vermag der Senat den Feststel-<br />

124


lungen ebenfalls nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte gar ohne Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals das<br />

Vorbereitungsstadium (hierzu BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 - 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297; BGH, Beschluss<br />

vom 7. Februar 2002 - 1 StR 222/01, NStZ 2002, 433, 435) bereits verlassen <strong>und</strong> die Schwelle zum „Jetzt<br />

geht es los“, also zum ohne Zwischenakte den Tatbestand verwirklichenden Tun überschritten hatte. Die Frage des<br />

unmittelbaren Ansetzens kann er aber letztlich offen lassen.<br />

b) Denn jedenfalls hat das Landgericht nicht geprüft, ob der Angeklagte von dem - angenommenen - Betrugsversuch<br />

strafbefreiend zurückgetreten ist. Eventuell ist es im Hinblick auf die einige St<strong>und</strong>en vor dem Notartermin erfolgte<br />

Festnahme des Angeklagten von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen. Hierdurch hat es sich jedoch den<br />

Blick auf die Möglichkeit verstellt, dass der Angeklagte bereits zuvor vom Versuch zurückgetreten ist. Insofern wäre<br />

es für die Voraussetzungen des für den allein handelnden Täter maßgeblichen § 24 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zunächst darauf<br />

angekommen, ob ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorliegt. Im ersten Fall erlangt der Täter Strafbefreiung<br />

nur dann, wenn er durch aktives Tun den Eintritt des Erfolges freiwillig verhindert. Im zweiten Fall genügt es,<br />

wenn er während der Ausführung seines Tatplans dessen weitere Durchführung freiwillig aufgibt. Maßgeblich für<br />

die Abgrenzung ist der sog. Rücktrittshorizont, d.h. die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung<br />

(BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 93 f.). Hierzu enthält das Urteil keinerlei<br />

Feststellungen. Diese zu treffen hätte aber schon wegen der Ausgestaltung des dem Notar übermittelten Entwurfs<br />

eines Übernahmevertrages Anlass bestanden. Denn hierin war nicht nur von der für das zu schenkende Gr<strong>und</strong>stück<br />

anfallenden Steuer die Rede, sondern es wurde - was das Landgericht ebenfalls nicht ausdrücklich gewürdigt hat -<br />

zutreffend auch auf diejenige für die Geldschenkung hingewiesen. Beide zusammen hätten nach den §§ 1 Abs. 1 Nr.<br />

2, 7, 10, 16 Abs. 1 Nr. 5, 19 Abs. 1 ErbStG (in der zum Tatzeitraum geltenden Fassung) 128.992 € betragen, wenn<br />

man die in der Beweiswürdigung mitgeteilte Annahme des Angeklagten zugr<strong>und</strong>e legt, „das Haus“ sei 300.000 €<br />

wert. Schließlich verwies der Vertragsentwurf auf die Möglichkeit, dass die insgesamt fällig werdende Steuer weniger<br />

als 150.000 € ausmachen könnte. Der Umstand, dass diese in Aussicht genommene Regelung keine Täuschung<br />

(mehr) enthielt <strong>und</strong> der Notar verpflichtet gewesen wäre, sie Frau J. vor der Beurk<strong>und</strong>ung vorzulesen (§ 13 Abs. 1<br />

Satz 1 BUrkG), durfte in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben <strong>und</strong> hätte zur Prüfung der Voraussetzungen<br />

des § 24 Abs. 1 <strong>StGB</strong> führen müssen.<br />

3. Auf die erhobene Verfahrensrüge, das Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung der Belastungszeugin<br />

(Art. 6 Abs. 3 Buchst. b MRK) sei dadurch verletzt worden, dass keine ermittlungsrichterliche Vernehmung Frau J. s<br />

durchgeführt wurde, bei der diese zumindest durch einen Verteidiger hätte „konfrontativ“ befragt werden können,<br />

kommt es somit nicht mehr an. Der Senat bemerkt jedoch, dass diese nur dann hätte erfolgreich sein können, wenn<br />

das Unterlassen der Vernehmung der Justiz zuzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR<br />

493/06, BGHSt 51, 150), die Durchführung der Vernehmung m.a.W. geboten gewesen wäre. Dies war aber nicht<br />

schon deshalb so, weil Frau J. im fraglichen Zeitpunkt 85 Jahre alt <strong>und</strong> infolge ihres Sturzes im Jahr 2005 „körperlich<br />

gebrechlich“ war. Insbesondere war nicht vorhersehbar, dass sie Anfang November 2008 einen Schlaganfall mit<br />

Hirnblutung erleiden würde, infolge dessen sie bis zu ihrem Tod im Februar 2009 nicht mehr vernehmungsfähig sein<br />

würde. Bei ihren im Oktober 2008 durchgeführten polizeilichen Vernehmungen war Frau J. ungeachtet eines<br />

„schwankenden Zustandes“ jedenfalls uneingeschränkt zeugentüchtig, wie das Landgericht im Urteil ausführlich<br />

dargelegt hat.<br />

<strong>StGB</strong> § 263 Vermögensschaden bei Kapitalerhöhung<br />

BGH, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 StR 616/10 - BeckRS 2011, 17607<br />

LS: Zur Schadensfeststellung bei betrügerischer Kapitalerhöhung.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 9. Juni 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 78 rechtlich zusammenfallenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe<br />

von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§<br />

349 Abs. 4 StPO).<br />

125


I. 1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte der Angeklagte Ende der 1990er Jahre die Idee, durch<br />

den "Verkauf von Aktien" Geld für einen von ihm geplanten Windkraftpark zu gewinnen. Zu diesem Zweck erwarb<br />

er im Jahre 2001 die nicht börsennotierte, vermögenslose L. AG als Alleinaktionär <strong>und</strong> wurde deren alleiniger Vorstand.<br />

Den Aufsichtsrat der L. AG berief er ab <strong>und</strong> ersetzte ihn durch ihm nahe stehende Personen. Auf Anraten<br />

eines Rechtsanwalts verschaffte sich der auf dem Gebiet des Aktiengeschäfts völlig unerfahrene Angeklagte in der<br />

Folgezeit Geld von Anlegern, indem er mehrfach das Gr<strong>und</strong>kapital der L. AG gegen Bareinlage im Wege der Ausgabe<br />

von Vorzugsaktien, teils auch Inhaberaktien, erhöhte bzw. zu erhöhen vorgab. Die Aktien ließ er in der Zeit<br />

vom 28. Januar 2002 bis 3. Januar 2005 zu jeweils unterschiedlichen Preisen durch Telefonverkäufer an Privatanleger<br />

vertreiben. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Zeichnung von Aktien durch 17 Anleger, denen in 78<br />

Fällen Aktien veräußert wurden. Hierbei vereinnahmte die L. AG 8,258 Mio. €. Während des Tatzeitraums <strong>und</strong> danach<br />

entnahm der Angeklagte in seiner Funktion als Vorstand der L. AG hiervon 7,74 Mio. €. Damit finanzierte er<br />

seinen eigenen Lebensunterhalt als Ausgleich für seine Vorstandstätigkeit <strong>und</strong> zahlte an die Telefonverkäufer Provisionen<br />

in Höhe von 12 % der jeweiligen Anlagesumme. Die meisten Anleger erhielten vor allem zu Beginn Dividendenzahlungen<br />

in zwei- bis fünfstelliger Höhe.<br />

b) Den Kapitalerhöhungen lagen nur am Anfang entsprechende Beschlüsse der Hauptversammlung zugr<strong>und</strong>e (Kapitalerhöhungsbeschlüsse<br />

vom 7. November 2001, 8. März 2002 <strong>und</strong> 22. November 2002). Für zwei weitere Kapitalerhöhungen<br />

in den Jahren 2003 <strong>und</strong> 2004 fehlten die notwendigen Kapitalerhöhungsbeschlüsse. Lediglich die Durchführung<br />

der ersten Kapitalerhöhung vom 7. November 2001 wurde am 24. September 2002 mit einem Betrag von<br />

1,547 Mio. € in das Handelsregister eingetragen. Die handelsrechtliche Eintragung weiterer Kapitalerhöhungen unterblieb,<br />

da - was hierfür erforderlich gewesen wäre - die an die L. AG geleisteten Einlagezahlungen der Anleger<br />

dem Handelsregister aufgr<strong>und</strong> der Entnahmen des Angeklagten nicht nachgewiesen werden konnten.<br />

c) Der Angeklagte ließ in seiner Funktion als Vorstand einen umfangreichen Emissionsprospekt anfertigen, in dem er<br />

nicht nur die L. AG als junges, im Aufbau befindliches Immobilienunternehmen darstellte, sondern auch auf die<br />

Möglichkeit des Totalverlustes des eingesetzten Kapitals hinwies. Mit dem Emissionsprospekt bzw. einem entsprechenden<br />

Kurzexposé warb der Angeklagte über die Telefonverkäufer für den Kauf von Vorzugsaktien der L. AG,<br />

deren Börsengang er für die Jahre 2004/05 in Aussicht stellte. Den Emissionsprospekt passte der Angeklagte bei den<br />

jeweiligen Kapitalerhöhungen inhaltlich an. Ein operatives Geschäft entfaltete der Angeklagte zunächst nicht. Aufgr<strong>und</strong><br />

gegen ihn gerichteter polizeilicher Ermittlungen im Mai 2002 erkannte er jedoch die Notwendigkeit, gewisse<br />

Bemühungen hinsichtlich des prospektierten Börsengangs <strong>und</strong> des Immobilienerwerbs gegenüber den Anlegern<br />

darstellen zu können. Pläne des Angeklagten, den "Börsenmantel" der K. AG, die nach einem abgeschlossenen Insolvenzverfahren<br />

von allen Verbindlichkeiten bereinigt war, zu übernehmen, scheiterten. Ende Dezember 2002 kam<br />

es zum einzigen Immobilienerwerb der L. AG im Tatzeitraum, als diese 90 % der Anteile der Fa. A. T. GmbH, die<br />

Eigentümerin dreier M. -Hotels war, übernahm. Den ratenweise zu zahlenden Kaufpreis von 3,1 Mio. € erbrachte die<br />

L. AG nur unvollständig, so dass die C. R. E. AG (ehemals K. AG) im Oktober 2004 die von der L. AG gehaltenen<br />

Anteile an der A. T. GmbH erwarb.<br />

d) Nach Ablauf der Eintragungsfrist für die zweite Kapitalerhöhung vom 8. März 2002 war die L. AG am 31. März<br />

2003 außerstande, den erforderlichen Bareinlagebetrag nachzuweisen. Infolge dessen entfiel die Wirkung der Zeichnungserklärungen<br />

der Anleger, denen deshalb Rückzahlungsansprüche gegen die L. AG in Höhe der von ihnen geleisteten<br />

Zahlungen zustanden. Hierdurch wurde die L. AG zahlungsunfähig. Um eine Insolvenz der Gesellschaft zu<br />

verhindern, ließ der Angeklagte gleichwohl den Vertrieb von Vorzugsaktien fortsetzen. In den Zeichnungsscheinen<br />

der Anleger ließ er mit fiktiven Daten zwei weitere Kapitalerhöhungsbeschlüsse ausweisen, die tatsächlich nie gefasst<br />

worden waren.<br />

e) In der Folge unterbreitete die Mehrheitseignerin der C. R. E. AG der L. AG ein bedingtes Übernahmeangebot, das<br />

letztlich nicht zustande kam. Gleichwohl ließ der Angeklagte weiterhin Anleger mit einer unmittelbar bevorstehenden<br />

Übernahme durch die C. R. E. AG werben. Erst am 3. Januar 2005 stellte er schließlich den telefonischen Aktienverkauf<br />

ein.<br />

f) Am 2. Juni 2005 kam es zu einer Informationsveranstaltung, bei der den Anlegern ein Tausch von L. -Aktien in<br />

Aktien einer Tochtergesellschaft der C. R. E. AG in Aussicht gestellt wurde. Tatsächlich wurde ihnen Mitte des<br />

Jahres 2006 gegen Rückgabe von L. -Vorzugsaktien im Verhältnis 3:2 Vorzugsaktien der amerikanischen Gesellschaft<br />

D.S. I. (DSI) angeboten. Im Gegenzug sollten mit der Übertragung der Aktien sämtliche Ansprüche gegen die<br />

L. AG abgegolten sein. Nähere Feststellungen zum wirtschaftlichen Hintergr<strong>und</strong> dieses Tauschangebots hat das<br />

Landgericht nicht getroffen. Nahezu alle Anleger, die sich verpflichten mussten, die Aktien der DSI mindestens 12<br />

Monate zu halten, nahmen das Angebot an. Zum Übertragungszeitpunkt betrug der Kurswert der DSI-Aktie 8,50 €,<br />

126


nach Ablauf der Haltefrist 2,50 €. Zwei Anleger erhielten im Vergleichsweg einen erheblichen Anteil der geleisteten<br />

Anlagesummen zurück.<br />

2. Das Landgericht hat - ohne dies näher zu erläutern - Betrug in 78 rechtlich zusammentreffenden Fällen angenommen.<br />

Hierbei hat es dem Angeklagten die von den Telefonverkäufern vorgenommenen Täuschungshandlungen mittäterschaftlich<br />

(§ 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) zugerechnet. Hinsichtlich des Vermögensschadens hat das Landgericht - auch ohne<br />

weitere Darlegung - zu Beginn des Tatzeitraums einen nicht näher bezifferten Vermögensgefährdungsschaden, nach<br />

dem Scheitern des Ankaufs der A. T. -Anteile <strong>und</strong> Einzahlungen der Anleger auf tatsächlich nicht gefasste Kapitalerhöhungsbeschlüsse<br />

einen tatsächlichen Vermögensschaden angenommen.<br />

II. Die Verurteilung wegen Betrugs hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Es fehlt an der hinreichenden Feststellung<br />

eines Vermögensschadens.<br />

1. a) Ein Schaden i.S.v. § 263 <strong>StGB</strong> tritt ein, wenn die Vermögensverfügung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs<br />

ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Prinzip<br />

der Gesamtsaldierung, BGHSt 53, 199, 201 mwN). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der<br />

Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor <strong>und</strong> nach der Verfügung (BGHSt 30, 388 f.; BGH wistra 1993, 265;<br />

wistra 1995, 222; NStZ 1999, 353, 354; BGHSt 53, 199, 201). Bei der - hier vorliegenden - Konstellation eines Betruges<br />

durch Abschluss eines Vertrages ist der Vermögensvergleich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beziehen<br />

(Eingehungsschaden). Zu vergleichen sind die wirtschaftlichen Werte der beiderseitigen Vertragspflichten<br />

(BGHR <strong>StGB</strong> § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 10). Ein Schaden liegt demnach vor, wenn die von dem Getäuschten<br />

eingegangene Verpflichtung wertmäßig höher ist als die ihm dafür gewährte Gegenleistung unter Berücksichtigung<br />

aller mit ihr verb<strong>und</strong>enen, zur Zeit der Vermögensverfügung gegebenen Gewinnmöglichkeiten (BGHSt 30, 388,<br />

390). Zu berücksichtigen ist beim Eingehen von Risikogeschäften dabei auch eine täuschungs- <strong>und</strong> irrtumsbedingte<br />

Verlustgefahr, die über die vertraglich zugr<strong>und</strong>e gelegte hinausgeht. Ein darin liegender Minderwert des im Synallagma<br />

Erlangten ist unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bewerten (vgl. BGHSt 53, 198, 202 f.; zur Frage der<br />

Entbehrlichkeit des Begriffs des Gefährdungsschadens vgl. Fischer <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 263 Rn. 157 f.). Entsprechend<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss des 2. Senats - 2 BvR 2559/08, NJW 2010,<br />

3209, 3220) ist dieser Minderwert konkret festzustellen <strong>und</strong> ggf. unter Beauftragung eines Sachverständigen zur<br />

wirtschaftlichen Schadensfeststellung zu beziffern. Sofern genaue Feststellungen zur Einschätzung dieses Risikos<br />

nicht möglich sind, sind Mindestfeststellungen zu treffen, um den dadurch bedingten Minderwert <strong>und</strong> den insofern<br />

eingetretenen wirtschaftlichen Schaden unter Beachtung des Zweifelsatzes zu schätzen. Dieser zunächst durch die<br />

rein rechnerische Gegenüberstellung der wirtschaftlichen Werte der gegenseitigen vertraglichen Ansprüche bestimmte<br />

Schaden materialisiert sich mit der Erbringung der versprochenen Leistung des Tatopfers (Erfüllungsschaden) <strong>und</strong><br />

bemisst sich nach deren vollen wirtschaftlichen Wert, wenn die Gegenleistung völlig ausbleibt bzw. nach der Differenz<br />

zwischen dem wirtschaftlichen Wert der Leistung <strong>und</strong> demjenigen der Gegenleistung, soweit eine solche vom<br />

Täter erbracht wird (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - 3 StR 434/10).<br />

b) Gemessen daran ist nach den landgerichtlichen Feststellungen ein Vermögensschaden für Zeichnungen bis März<br />

2003 (anders ab April 2003; s. unten II.1.d) nicht hinreichend nachgewiesen. Für die Beurteilung, ob <strong>und</strong> in welcher<br />

Höhe bei Abschluss der Zeichnungsverträge ein Schaden eingetreten ist, ist der Wert der erworbenen Vorzugsaktien<br />

der L. AG - zum jeweiligen Zeichnungszeitpunkt - maßgebend <strong>und</strong> dem jeweils zu zahlenden Kaufpreis gegenüberzustellen.<br />

Entsprach der Aktienwert dem Gegenwert des Kaufpreises, liegt kein Schaden vor. Ob <strong>und</strong> ggf. in welcher<br />

Höhe die gezeichneten Aktien zum Zeitpunkt der jeweiligen Zeichnung tatsächlich einen wirtschaftlichen Wert hatten,<br />

lässt sich den Feststellungen jedoch nicht entnehmen. Der Senat vermag daher nicht festzustellen, ob das Landgericht<br />

zutreffend von einem Schaden ausgegangen ist. Ein Schaden in Höhe der jeweiligen Anlagesumme - wovon<br />

das Landgericht trotz Annahme eines Vermögensgefährdungsschadens offenbar ausgeht - besteht nur dann, wenn die<br />

Aktie zum jeweiligen Zeichnungszeitpunkt wertlos war. Zu Beginn des Tatzeitraums (Januar 2002) könnte dies der<br />

Fall gewesen sein, da die L. AG zunächst kein operatives Geschäft betrieb <strong>und</strong> die Dividendenzahlungen in erster<br />

Linie als Anreiz für den Erwerb weiterer Aktienpakete dienten. Ob zu dieser Zeit unter Berücksichtigung der Angaben<br />

im Emissionsprospekt ein Ertragswert des Unternehmens <strong>und</strong> damit eine sich daraus ergebende Werthaltigkeit<br />

der Aktie festgestellt werden kann, erscheint deshalb zweifelhaft. Soweit aufgr<strong>und</strong> der dauernden Einzahlung von<br />

Anlagegeldern, die dem Handelsregister bei der Eintragung auch noch in Höhe von 1,547 Mio. € im Jahr 2002 nachgewiesen<br />

werden konnten, Barvermögen der Gesellschaft vorhanden war, könnte dies freilich gegen die vollständige<br />

Wertlosigkeit der gezeichneten Aktien sprechen. Zu bedenken ist allerdings auch, dass die durch Täuschung veranlasste<br />

Zeichnung von Aktien zur Anfangszeit mit den Fällen sog. Schneeball-Systeme vergleichbar sein könnte, bei<br />

denen Neu-Anlagen zumindest auch verwendet werden, um früheren Anlegern angebliche Gewinne oder Zinsen<br />

auszuzahlen. Hier nimmt die Rechtsprechung ohne weitere Differenzierung auch für die Erstanleger einen Schaden<br />

127


in Höhe des gesamten eingezahlten Kapitals an, da ihre Chance sich allein auf die Begehung weiterer Straftaten<br />

stütze <strong>und</strong> ihre Gewinnerwartung daher von vornherein wertlos sei (vgl. BGHSt 53, 199, 204 f.; kritisch hierzu Fischer<br />

<strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 263 Rn. 130). Der Senat braucht dies hier nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls ab Mai 2002<br />

ist die Annahme einer vollständigen Wertlosigkeit der Anlage zumindest zweifelhaft. Zu diesem Zeitpunkt begann<br />

die L. AG - orientiert an den Planvorgaben des Emissionsprospekts - mit der Aufnahme eines Geschäftsbetriebs, in<br />

dessen Folge es im Dezember 2002 zum Erwerb der Anteile an der A. T. GmbH kam. Daneben zahlte die L. AG im<br />

August 2002 125.000 € an Do. I., im September 2002 1,3 Mio. € an F. C. zum Zwecke der (letztlich allerdings gescheiterten)<br />

Übernahme des "Börsenmantels" der K. AG <strong>und</strong> erwarb im November 2002 Aktien der K. AG im Wert<br />

von 185.000 €. Hinzu kommt, dass die L. AG für die (vorübergehende) Übernahme der A. T. -Anteile jedenfalls<br />

größere <strong>Teil</strong>e des ratenweise zu zahlenden Kaufpreises aufgebracht hat. Schließlich weisen die spätere Veräußerung<br />

der A. T. -GmbH-Anteile <strong>und</strong> die wirtschaftlich nicht näher nachzuvollziehende Übernahme von werthaltigen DSI-<br />

Aktien mit dem darauf erfolgten Tausch von L. -Vorzugsaktien in DSI-Aktien darauf hin, dass die L. AG offenbar<br />

nicht ohne Wert war. Dies legt - auch wenn es sich dabei um nach der Zeichnung der Aktien liegende Umstände<br />

handelt - nahe, dass jedenfalls ein vollständiger Wertverlust der L. -Aktie ab Mai 2002 nicht gegeben war. Das<br />

Landgericht hätte daher den Wert der Aktie (als Anteil an einem zu bestimmenden Unternehmenswert) zum jeweiligen<br />

Zeichnungszeitpunkt ermitteln müssen, um unter Gegenüberstellung zu den jeweiligen Erwerbspreisen die erforderliche<br />

Saldierung vornehmen <strong>und</strong> die Schadenshöhe in jedem Einzelfall konkret beziffern zu können. Es hätte<br />

dabei auch das - täuschungs- <strong>und</strong> irrtumsbedingt überhöhte - Risiko des Aktienerwerbs <strong>und</strong> den dadurch verursachten<br />

Minderwert bewertend berücksichtigen müssen. Die Bewertung von Unternehmen bzw. Aktien erfordert zwar<br />

komplexe wirtschaftliche Analysen (vgl. hierzu etwa Großfeld Recht der Unternehmensbewertung 6. Aufl. Rn. 202<br />

ff.; Peemöller Praxishandbuch der Unternehmensbewertung 3. Aufl. Rn. 201 ff.), insbesondere dann, wenn das Unternehmen<br />

- wie vorliegend der Fall - nicht börsennotiert ist <strong>und</strong> es sich um ein junges Unternehmen handelt (hierzu<br />

näher Peemöller aaO Rn. 601 ff.). Dies beruht insbesondere darauf, dass der Ertragswert eines Unternehmens auch in<br />

die Zukunft reichende Entwicklungen, unter Berücksichtigung von Prospektangaben, erfasst (vgl. näher Großfeld<br />

aaO Rn. 982 ff.). Die Einschätzung von Risiken bei der Bewertung im Wirtschaftsleben ist jedoch kaufmännischer<br />

Alltag (vgl. im Zusammenhang mit der Bewertung von Forderungen BVerfG NJW 2010, 3209, 3219 f.; zu Anlagen<br />

auch BGHSt 53, 199, 203, jeweils mit weiteren Nachweisen). Das Landgericht hätte sich deshalb sachverständiger<br />

Hilfe bedienen können, um unter Beachtung der gängigen betriebswirtschaftlichen Bewertungskriterien den Aktienwert<br />

in jedem der Einzelfälle feststellen zu können.<br />

c) Die Feststellungen tragen für die Zeit bis März 2003 auch hinsichtlich der Zahlung der Anlagegelder nicht die<br />

Annahme eines Vermögensschadens. Zwar ist es ab der 2. Kapitalerhöhung vom 8. März 2002, für die die Eintragungsfrist<br />

am 31. März 2003 ablief, nicht mehr zu einer Eintragung in das Handelsregister gekommen, so dass die<br />

Anleger keine Aktien erwarben. Erfolgt die Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister nicht bis zum<br />

Ende der Eintragungsfrist, entfällt entsprechend § 158 Abs. 2 BGB die Wirkung der Zeichnung (BGH NJW 1999,<br />

1252, 1253; Hüffer AktG 9. Aufl. § 185 Rn. 14; Peifer in MüKo AktG 2. Aufl. § 185 Rn. 25) mit der Folge, dass die<br />

Anleger keine Aktionärstellung erlangen <strong>und</strong> bereits gezahlte Anlagegelder zurückzugewähren sind. Hätte der Angeklagte<br />

bereits bei der jeweiligen Zeichnung der Aktien durch die Anleger die Vorstellung gehabt, dass es mangels<br />

fehlenden Nachweises gegenüber dem Registergericht nicht zur Eintragung in das Handelsregister kommen könnte,<br />

wäre mit der täuschungsbedingten Zahlung der Anlagegelder angesichts eines in Kauf genommenen Entfallens der<br />

Gegenleistung ein Schaden anzunehmen. Dahingehende Feststellungen lassen sich dem Urteil des Landgerichts<br />

jedoch nicht entnehmen.<br />

d) Dagegen dürfte die Annahme eines Schadens für die ab April 2003 gezeichneten Anlagen, bei denen der Angeklagte<br />

Kapitalerhöhungen vortäuschte, denen kein entsprechender Beschluss der Hauptversammlung zugr<strong>und</strong>e lag,<br />

im Ergebnis nicht zu beanstanden sein. Es kann dahinstehen, ob die Zeichnungserklärungen der Anleger <strong>und</strong> die<br />

Annahme durch die L. AG vor diesem Hintergr<strong>und</strong> überhaupt zu wirksamen wechselseitigen Verpflichtungen geführt<br />

haben (vgl. hierzu Hüffer AktG 9. Aufl. § 185 Rn. 27; Lutter in Kölner Kommentar AktG 2. Aufl. § 185 Rn.<br />

36; Peifer in MüKo AktG 3. Aufl. § 185 Rn. 62), die im Rahmen der Schadensfeststellung zu saldieren wären. Da<br />

der Angeklagte in den Zeichnungsscheinen fiktive Kapitalerhöhungsbeschlüsse angegeben hat <strong>und</strong> damit erkennbar<br />

von Anfang an nicht die Absicht hatte, wirksame Kapitalerhöhungen durchzuführen, ist den Anlegern spätestens mit<br />

Erbringung der Zahlungen in dieser Höhe ein endgültiger Schaden entstanden. Sie hatten keine Aussicht, Aktionär zu<br />

werden, so dass ein Schaden in Höhe der jeweiligen Zeichnungssumme vorlag. Der den Anlegern zustehende Anspruch<br />

auf Rückerstattung bereits geleisteter Einlagen stellt insoweit keine unmittelbare Schadenskompensation,<br />

sondern lediglich einen möglichen Schadensausgleich dar, der die Annahme eines Schadens unberührt lässt. Auf-<br />

128


gr<strong>und</strong> der landgerichtlichen Annahme tateinheitlicher Verknüpfung sämtlicher Betrugstaten unterliegt das Urteil<br />

jedoch insgesamt der Aufhebung.<br />

2. Der Senat weist darauf hin, dass die Verurteilung wegen einer Tat in 78 tateinheitlich zusammen treffenden Betrugsfällen<br />

rechtlichen Bedenken begegnet. Das Landgericht hat übersehen, dass für jeden Beteiligten von Straftaten<br />

selbständig zu ermitteln ist, ob Handlungseinheit oder -mehrheit gegeben ist. Maßgeblich ist dabei der Umfang seines<br />

Tatbeitrages oder seiner Tatbeiträge. Erfüllt ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten einer Deliktsserie<br />

sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen<br />

individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit<br />

vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Allein die organisatorische Einbindung des Täters in ein betrügerisches<br />

Geschäftsunternehmen ist nicht geeignet, die Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des<br />

§ 52 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zusammenzufassen (vgl. BGH NStZ 2010, 103). Erbringt der Täter dagegen im Vorfeld oder während<br />

des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte seiner Mittäter gleichzeitig<br />

gefördert werden, so sind ihm diese gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen,<br />

da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 <strong>StGB</strong><br />

verknüpft werden. Ob die übrigen Beteiligten die einzelnen Delikte gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben,<br />

ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr., vgl. BGHSt 49, 177, 182 ff.). Gemessen daran belegen die Feststellungen<br />

jedenfalls keine 78 Straftaten des Betrugs. Der Angeklagte hat nicht mit jeder einzelnen Anlagevermittlung<br />

durch die Telefonverkäufer, von der er im Zweifel keine Kenntnis hatte, eine selbständige Tat begangen, sondern mit<br />

jedem neuen Entschluss zur täuschenden Werbung von Anlegern, die er durch sein Verhalten gegenüber den Telefonverkäufern<br />

initiierte. Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte jedenfalls mit jeder<br />

neuen Kapitalerhöhung, womöglich aber auch mit weiteren von ihm veranlassten, auf Irreführung ausgelegten Werbungsmaßnahmen,<br />

auch äußerlich einen neuen Entschluss fasste, durch Täuschungen mittels des - den einzelnen<br />

Kapitalerhöhungen jeweils angepassten - Emissionsprospekts Anleger neu zu werben. Die aufgr<strong>und</strong> der einzelnen<br />

Täuschungsentschlüsse durch die Vermittlung der Telefonverkäufer zustande gekommenen Anlagegeschäfte werden<br />

dabei zu einer Tat verb<strong>und</strong>en. Für eine Verknüpfung dieser selbständigen Taten zu lediglich einer einzigen Tat, etwa<br />

im Sinne eines "uneigentlichen Organisationsdelikts", ist kein Raum. Es handelt sich hinsichtlich des als Mittäter<br />

agierenden Angeklagten nicht um bloße Handlungen "zur Errichtung, zur Aufrechterhaltung <strong>und</strong> zum Ablauf eines<br />

auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes", sondern um solche, die über die Einschaltung von Telefonverkäufern<br />

unmittelbar auf den betrügerischen Vertrieb von Aktien gerichtet waren.<br />

3. Der neue Tatrichter wird bei der Bemessung der Strafe die erfolgten Schadenskompensationen genauer als bisher<br />

erfolgt zu berücksichtigen haben. Neben den gezahlten Dividenden fällt insbesondere der Umstand ins Gewicht, dass<br />

die Anleger für ihre L. -Aktien im Tausch Aktien der DSI erhalten haben, deren Wert jedenfalls zum Zeitpunkt des<br />

Tauschs (8,50 €/Aktie) im Verhältnis 3:2 regelmäßig über den Anlagebeträgen der Geschädigten lag.<br />

<strong>StGB</strong> § 264 Suventinserheblichkeit Darlegung im Urteil<br />

BGH, Beschl. v. 30.09.2010 - 5 StR 61/10 - StV 2011, 163<br />

Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der tatrichterlichen Annahme einer Subventionserheblichkeit<br />

zu ermöglichen, sind regelmäßig jedenfalls die vom Tatrichter herangezogenen maßgeblichen<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>lagen für die Subventionsgewährung mitzuteilen. Entbehrt diese ausdrücklicher<br />

Anhaltspunkte für die tatbestandlich erforderliche gesetzliche Abhängigkeit der Subvention, hat<br />

der Tatrichter diese durch Auslegung zu ermitteln. Wird namentlich vom Subventionszweck auf<br />

den Charakter der Subventionsvoraussetzungen geschlossen, sind die dafür bedeutsamen rechtlichen<br />

Anknüpfungspunkte in den schriftlichen Urteilsgründen in der Regel ebenfalls darzulegen.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. November 2008 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO mit den zugr<strong>und</strong>eliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung,<br />

auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

129


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Subventionsbetruges zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt<br />

<strong>und</strong> deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge<br />

Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

a) Der seinerseits rechtskräftig wegen Subventionsbetruges in mehreren Fällen zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe<br />

verurteilte S. (vgl. Senatsbeschluss vom 29. September 2010 – 5 StR 146/10) erwarb nach der Wiedervereinigung in<br />

Brandenburg eine ehemalige Werft <strong>und</strong> wandelte deren Betrieb in der Folgezeit dergestalt um, dass mehrere von ihm<br />

gegründete Gesellschaften mit beschränkter Haftung auf dem Werftgelände Sitz nahmen <strong>und</strong> den Werftbetrieb fortführten.<br />

S. beherrschte sämtliche von ihm übernommenen <strong>und</strong> gegründeten Gesellschaften; er veranlasste jeweils<br />

Strohgeschäftsführer, von ihm entworfene, unrichtige Subventionsanträge zu unterzeichnen <strong>und</strong> bei den jeweiligen<br />

Subventionsgebern einzureichen, um auf diese Weise Geldleistungen der Subventionsgeber zu erlangen <strong>und</strong> für sich<br />

selbst zweckwidrig zu verwenden. In diesem Zusammenhang trat er Anfang Januar 1999 an den Angeklagten heran<br />

<strong>und</strong> bat ihn, ein von ihm handschriftlich entworfenes Angebot von seiner Sekretärin auf dem Briefbogen des vom<br />

Angeklagten geführten Instituts für Schiffs- <strong>und</strong> Meerestechnik der Technischen Universität (TU) Berlin schreiben<br />

zu lassen <strong>und</strong> es sodann selbst zu unterschreiben. Weiter erläuterte er dem Angeklagten, dass das Angebot für ein<br />

Subventionsvorhaben der von ihm geführten P. B. GmbH benötigt werde. Der Angeklagte nahm dies zur Kenntnis<br />

<strong>und</strong> wusste, dass die Abgabe des Angebots unter dem Briefkopf der Hochschule die Genehmigung des Fördervorhabens<br />

erleichtern sollte. Gegenstand des Angebots waren Arbeiten zur Weiterentwicklung „des Unterwasser-<br />

Bootskörpers“ für ein vorangegangenes angebliches Forschungsprojekt mit dem Namen „Luftkissen Trimaran“ (UA<br />

S. 8). Der Angeklagte fertigte wunschgemäß das von S. entworfene Angebotsschreiben aus. Dabei war ihm bewusst,<br />

dass er durch die Verwendung des Briefkopfes seines Instituts unwahre Angaben zugunsten der P. B. GmbH im<br />

Rahmen eines von dieser beabsichtigten Subventionsverfahrens abgab. Von Beginn an beabsichtigte er, die dem S.<br />

angebotenen Arbeiten ohne die erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung der Hochschule im eigenen Namen <strong>und</strong><br />

nicht namens des Instituts durchzuführen. Die von S. gesteuerte P. B. GmbH beantragte am 22. März 1999 die öffentliche<br />

Zuwendung für das genannte Projekt <strong>und</strong> fügte ihrem Antrag das vom Angeklagten erstellte Angebot bei.<br />

Das B<strong>und</strong>esministerium für Wirtschaft <strong>und</strong> Technologie erließ am 30. Juni 1999 den begehrten Zuwendungsbescheid<br />

in Höhe von etwa 650.000 DM. Zu einer Auszahlung kam es indes aufgr<strong>und</strong> der gegen S. geführten strafrechtlichen<br />

Ermittlungen nicht mehr.<br />

b) Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Subventionsbetrug nach § 264 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> bewertet.<br />

Die bewusst unwahre Angabe des Angeklagten darüber, das Projekt im eigenen Namen vorzunehmen <strong>und</strong> gerade<br />

nicht als Institut der TU Berlin aufzutreten, sei eine „Scheinhandlung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die<br />

mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen (Subventionsgesetz – SubvG) <strong>und</strong> damit subventionserheblich<br />

nach § 264 Abs. 8 Nr. 2 <strong>StGB</strong>.<br />

2. Die Revision des Angeklagten rügt zu Recht, dass der festgestellte Sachverhalt die Verurteilung wegen Subventionsbetrugs<br />

nach § 264 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> nicht rechtfertigt. Es ist nicht belegt, dass der Angeklagte unrichtige oder<br />

unvollständige Angaben über subventionserhebliche Tatsachen im Rechtssinn gemacht hat. Die von der Strafkammer<br />

allein festgestellte Abgabe des Angebots auf dem Briefkopf des vom Angeklagten geführten Instituts für Schiffs- <strong>und</strong><br />

Meerestechnik der TU Berlin in dem vom Verurteilten S. betriebenen Verfahren zur Erlangung öffentlicher Fördermittel<br />

stellt keine subventionserhebliche Tatsache dar. Dazu reicht es vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Feststellungen nach<br />

dem insoweit von der Strafkammer allein herangezogenen § 264 Abs. 8 Nr. 2 <strong>StGB</strong> nicht aus, wie das Landgericht<br />

meint, dass der Angeklagte eine falsche Willenserklärung abgegeben hat, indem er ein vermeintliches Angebot seitens<br />

der TU Berlin abgab, tatsächlich den Auftrag aber im eigenen Namen erledigen wollte. Eine Subventionserheblichkeit<br />

nach dieser Vorschrift belegen die Feststellungen nicht. Es wird im Urteil nicht belegt <strong>und</strong> ist für den Senat<br />

auch sonst nicht ersichtlich, dass die Vergabe der Fördermittel von der Person oder dem Institut eines vom Subventionsnehmer<br />

beauftragten Subunternehmers gesetzlich abhängig ist, wie die Regelung des § 264 Abs. 8 Nr. 2 <strong>StGB</strong><br />

voraussetzt.<br />

a) § 264 Abs. 8 Nr. 2 <strong>StGB</strong> erfasst Sachverhalte, in denen, anders als regelmäßig nach § 264 Abs. 8 Nr. 1 <strong>StGB</strong>, eine<br />

ausdrückliche Bezeichnung als subventionserheblich fehlt oder unwirksam ist, dem Gesetz selbst aber sonst – wenn<br />

auch erst mit Hilfe der üblichen Interpretationsmethoden – entnommen werden kann, unter welchen Voraussetzungen<br />

die Subvention gewährt wird (vgl. BGHSt 44, 233, 241; 34, 111, 113 f.). Die erforderliche Abhängigkeit im<br />

Sinne des § 264 Abs. 8 Nr. 2 <strong>StGB</strong> wird dabei nur begründet, wenn das Gesetz selbst mit hinreichender Deutlichkeit<br />

zum Ausdruck bringt, dass die Subventionierung unter der im Gesetz genannten Voraussetzung erfolgt, ohne die<br />

entsprechende Tatsache ausdrücklich mit der Erklärung als subventionserheblich im Sinne des § 264 Abs. 7 Nr. 1<br />

<strong>StGB</strong> a.F. zu verbinden (vgl. BT-Drucks. 7/5291 S. 13). Daran wird es in der Regel fehlen, wenn die gesetzliche<br />

130


Vorschrift der Verwaltung einen Ermessensspielraum einräumt. Denn dann ist im konkreten Einzelfall nicht allein<br />

dem Gesetz zu entnehmen, ob die Bewilligung der Subvention von der Voraussetzung abhängt, sondern eine an den<br />

konkreten Umständen des Einzelfalls orientierte Ermessensentscheidung des Subventionsgebers hinzukommt. Allein<br />

die Kenntnis des Gesetzes reicht dann weder für den potentiellen Täter noch für die Strafverfolgungsorgane aus, um<br />

im konkreten Fall beurteilen zu können, ob die Subventionierung an die Erfüllung der Voraussetzung geknüpft ist<br />

(BGHSt 44, 233, 241). An der Erforderlichkeit dieser gesetzlichen Abhängigkeit der Subventionsgewährung ändert<br />

auch die Tatsache nichts, dass der Täter des Subventionsbetrugs nicht selbst Subventionsnehmer, sondern Dritter ist.<br />

Zwar richtet sich dann das Bezeichnungsgebot nach § 2 SubvG nicht auch an ihn. Das ändert indes nichts an seiner<br />

möglichen Strafbarkeit nach § 264 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong>. Erforderlich ist freilich, dass er die der Subventionserheblichkeit<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Wertung nachvollzogen hat oder nachvollziehen musste.<br />

b) Als rechtliche Gr<strong>und</strong>lage für die Vergabe der hier in Rede stehenden öffentlichen Mittel kommen namentlich<br />

spezialgesetzliche b<strong>und</strong>esrechtliche Vorschriften, aber auch normative Festlegungen, etwa durch einen entsprechenden<br />

Ansatz in den jeweiligen durch Haushaltsgesetz festgelegten Haushaltsplänen in Betracht (vgl. BT-Drucks.<br />

7/3441 S. 28 f.). Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der tatrichterlichen Annahme einer Subventionserheblichkeit<br />

zu ermöglichen, sind regelmäßig jedenfalls die vom Tatrichter herangezogenen maßgeblichen Rechtsgr<strong>und</strong>lagen<br />

für die Subventionsgewährung mitzuteilen. Entbehrt diese ausdrücklicher Anhaltspunkte für die tatbestandlich<br />

erforderliche gesetzliche Abhängigkeit der Subvention, hat der Tatrichter diese durch Auslegung zu ermitteln. Wird<br />

namentlich vom Subventionszweck auf den Charakter der Subventionsvoraussetzungen geschlossen, sind die dafür<br />

bedeutsamen rechtlichen Anknüpfungspunkte in den schriftlichen Urteilsgründen in der Regel ebenfalls darzulegen.<br />

Daran fehlt es hier vollständig.<br />

c) Gesetzliche Anknüpfungspunkte oder nachvollziehbare Wertungen teilt das Landgericht in seinen schriftlichen<br />

Urteilsgründen nicht mit. Der pauschale Hinweis auf §§ 3 bis 5 SubvG reicht dazu nicht aus. Denn nicht jede unrichtige<br />

oder unvollständige Angabe ist zugleich eine Scheinhandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SubvG), die ohne weiteres eine<br />

Strafbarkeit nach § 264 Abs. 1 <strong>StGB</strong> nach sich zieht (insoweit missverständlich Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 264 Rdn.<br />

17). Dies ist nur der Fall, wenn die durch die unrichtige Angabe verdeckte Tatsache zu einer anderen Entscheidung<br />

über die Subventionsgewährung führen könnte. Zudem ist selbst im Falle einer Scheinhandlung zu prüfen, ob der<br />

verdeckte Sachverhalt subventionserheblich ist (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 SubvG). Hier ging es dem Subventionsgeber<br />

nach den getroffenen Feststellungen nur darum, die angebotenen Ingenieurleistungen von einer insoweit anerkanntermaßen<br />

fachk<strong>und</strong>igen Person erbringen zu lassen. Diese Voraussetzungen erfüllt der Angeklagte nach den Feststellungen<br />

des Landgerichts ohne weiteres. In welcher Rechtsform bzw. in welchem abrechnungstechnischen Zusammenhang<br />

diese Leistung hätte erbracht werden sollen, ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> der getroffenen Feststellungen nicht<br />

offensichtlich oder ohne weiteres erkennbar subventionserheblich.<br />

d) Das Urteil unterliegt daher insgesamt der Aufhebung (§ 349 Abs. 4 StPO). Eine Durcherkennung auf Freispruch<br />

kam indes nicht in Betracht. Der Senat kann nicht vollständig ausschließen, dass sich im Rahmen einer neuen Hauptverhandlung<br />

die Subventionserheblichkeit der vom Angeklagten gemachten Angaben – gar im Sinne des ursprünglichen,<br />

vom Landgericht nicht als erwiesen angesehenen Anklagevorwurfs – im Sinne von § 264 Abs. 8 Nr. 2 <strong>StGB</strong><br />

feststellen lassen wird. Gleiches gilt für die subjektive Tatseite eingeschlossen einen etwaigen Vorsatz für eine <strong>Teil</strong>nahme<br />

an der Tat des anderweitig Verurteilten S.. Das hohe Alter des Angeklagten, dessen Unbestraftheit, die erhebliche<br />

Verfahrensdauer von zehn Jahren <strong>und</strong> die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung jedenfalls schon wegen<br />

einer um ein Jahr verspäteten Übersendung der Verfahrensakten an den Generalb<strong>und</strong>esanwalt lassen indes eine alsbaldige<br />

Einstellung des Verfahrens angezeigt erscheinen.<br />

<strong>StGB</strong> § 264a Kapitalanlagebetrug – Vorsatz<br />

BGH, Urt. v. 15.07.2010 – III ZR 321/08 - NZG 2010, 1031= MDR 2010, 1050<br />

LS: Zu den Anforderungen an den Vorsatz für einen Kapitalanlagebetrug durch unrichtige vorteilhafte<br />

Angaben <strong>und</strong> Verschweigen nachteiliger Tatsachen in einem Emissionsprospekt.<br />

(Diese zivilrechtliche Entscheidung sollte auch in Strafverfahren wegen Kapitalanwendungsbetrugs beachtet werden.<br />

Von ihrem Abdruck wird hier abgesehen.)<br />

131


<strong>StGB</strong> § 266 Handlungsbevollmächtigte<br />

BGH, Urt. v. 16.12.2010 – 4 StR 492/10 - NStZ 2011, 280 = wistra 2011, 141<br />

Der Handlungsbevollmächtigte gemäß § 54 HGB ist Befugnisinhaber im Sinne des § 266 Abs. 1 1.<br />

Alt. <strong>StGB</strong>.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 7. Juni 2010 wird verworfen.<br />

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Untreue in vier Fällen <strong>und</strong> versuchten<br />

Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verurteilt. Mit seiner Revision<br />

rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Tatzeitraum Vertriebsleiter der Firma R. GmbH<br />

(Firma R.), die Supermärkte, Handelsmärkte <strong>und</strong> Online-Shops mit Computern <strong>und</strong> Computerzubehör belieferte. In<br />

dieser Funktion war der Angeklagte insbesondere für das Aushandeln <strong>und</strong> den Abschluss von Geschäften mit Großk<strong>und</strong>en<br />

der Firma R. zuständig. Er war bevollmächtigt, im Außenverhältnis wirksam Verträge abzuschließen (UA 5).<br />

Im Innenverhältnis musste er die Vertragsangebote mit dem Geschäftsführer der Firma R., dem Zeugen K., abstimmen.<br />

Der Angeklagte schloss in den vier als Untreue abgeurteilten Fällen unter Missachtung der Vorgaben der Geschäftsleitung<br />

Kaufverträge mit zu geringen, unter dem Einkaufs- bzw. Herstellungspreis liegenden Verkaufspreisen<br />

ab (Fälle II. 2., 4., 6. <strong>und</strong> 8. der Urteilsgründe). Alle gegenständlichen Verträge wurden zu den vom Angeklagten<br />

ausgehandelten, unter dem Selbstkostenpreis liegenden Verkaufspreisen abgewickelt. Einer der Großk<strong>und</strong>en war die<br />

Firma Ro. GmbH & Co L. KG (Firma Ro.), die unter dem Label "N." eine Reihe von Supermärkten betreibt <strong>und</strong> im<br />

Rahmen von Aktionen auch jeweils größere Posten an Unterhaltungselektronik, Computern <strong>und</strong> Computerzubehörteilen<br />

bei der Firma R. kaufte. Als deren Vertreter schloss der Angeklagte am 24. Juli 2007 einen Kaufvertrag mit<br />

der Firma Ro. über 4.500 Computer zu einem Verkaufspreis von 303 € pro Stück, obwohl der Einkaufspreis bei<br />

313,80 € lag (Fall II. 2. der Urteilsgründe). In der nachfolgend von der Firma Ro. übersandten Kaufbestätigung änderte<br />

der Angeklagte den Verkaufspreis handschriftlich auf 351 € pro Stück ab; sodann legte er die Bestätigung dem<br />

Geschäftsführer der Firma R., dem Zeugen K., zur Unterschrift vor. Das von diesem unterzeichnete Schriftstück<br />

sandte der Angeklagte allerdings nicht, wie von der Firma Ro. erbeten, an diese zurück. Die Firma Ro. behielt letztlich<br />

2.700 Computer. Der Firma R. entstand durch den Verkauf unter dem Einkaufspreis ein Schaden in Höhe von<br />

29.160 €. Auch in den anderen drei Fällen der Untreue ging der Angeklagte in vergleichbarer Weise vor. Im Fall II.<br />

8. der Urteilsgründe verkaufte der Angeklagte der Firma Ro. 2.200 Media-Player, wobei die Käuferin nur 1.100<br />

Geräte behielt, zu einem Preis von 125 €, obwohl der Einkaufspreis bei 131,80 € pro Stück lag. Die Firma G. AG<br />

kaufte 180 Einsteiger-PCs zu einem Preis von je 180 €, obwohl der Herstellungspreis 226,29 € betrug (Fall II. 4. der<br />

Urteilsgründe). Mit der Firma C. E. SE, die 600 LCD-Monitore kaufte, deren Einkaufspreis pro Stück bei 163,50 €<br />

lag, vereinbarte der Angeklagte einen Verkaufspreis von jeweils 157 € (Fall II. 6. der Urteilsgründe). Der Angeklagte<br />

erhielt neben seinem Festgehalt umsatzabhängige Provisionszahlungen. Ihm standen als Provision 8 % der Rohertragssumme<br />

zu, die jeweils im abgelaufenen Monat an seine K<strong>und</strong>en fakturiert wurden; bei dem Rohertrag handelte<br />

es sich um die Differenz zwischen dem Bewertungspreis bzw. den Herstellungskosten <strong>und</strong> dem Verkaufspreis. Der<br />

Bewertungspreis ergibt sich aus dem Einkaufspreis zuzüglich eines Gemeinkostenzuschlags von 2 %. Für die Provisionsabrechnung<br />

führte die Firma R. eine Art Kontokorrentkonto. In den jeweils als versuchten Betrug abgeurteilten<br />

Fällen II. 1., 3., 5. <strong>und</strong> 7. der Urteilsgründe spiegelte der Angeklagte nach Vertragsabschluss der Geschäftsführung<br />

der Firma R. vor, die Verträge mit höheren, über dem Bewertungspreis bzw. den Herstellungskosten liegenden Verkaufspreisen<br />

abgeschlossen zu haben, um auf diese Weise Provisionszahlungen zu erhalten, auf die er keinen Anspruch<br />

hatte. Es handelte sich hierbei um die bereits dargestellten Vertragsabschlüsse mit der Firma Ro. vom 24. Juli<br />

2007 (Fall II. 3. der Urteilsgründe), der Firma G. AG – hier spiegelte der Angeklagte einen Verkaufspreis von 265 €<br />

vor – (Fall II. 5. der Urteilsgründe) <strong>und</strong> der Firma C. E. SE, wobei der Angeklagte wahrheitswidrig einen Verkaufspreis<br />

von 170,50 € erklärte (Fall II. 7. der Urteilsgründe). Der Fall II. 1. der Urteilsgründe betraf einen weiteren Vertragsabschluss<br />

mit der Firma Ro.. Der Angeklagte vereinbarte mit dem dort als Einkaufsleiter tätigen Zeugen F. die<br />

Lieferung von 3.600 LCD-TV-Geräten, wobei letztlich allenfalls 1.335 Geräte bei der Firma Ro. verblieben, zum<br />

Preis von je 181 €, obwohl der Bewertungspreis bei 181,88 € lag. In der von der Firma Ro. übersandten Kaufbestätigung<br />

änderte der Angeklagte handschriftlich den Verkaufspreis in 191 € pro Stück ab. Der Zeuge K., der die Kaufbestätigung<br />

unterschrieb, ging somit von einem gemäß seiner Vorgabe tatsächlich vereinbarten Kaufpreis von 191 €<br />

132


aus. Die Strafkammer konnte nicht feststellen, ob die in den vier Fällen zu Unrecht erstrebten Provisionen tatsächlich<br />

ausgezahlt oder auf andere Weise mit den Einkünften des Angeklagten verrechnet wurden.<br />

II. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Sachrüge hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des<br />

Angeklagten nicht ergeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Der Angeklagte<br />

hat in den Fällen II. 2., II. 4., II. 6. <strong>und</strong> II. 8. der Urteilsgründe jeweils den Tatbestand der Untreue in der Alternative<br />

des Missbrauchstatbestandes verwirklicht. Entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts hat er in diesen Fällen<br />

nicht als Vertreter ohne Vertretungsmacht, sondern im Rahmen des ihm nach außen hin möglichen Könnens gehandelt.<br />

Ebenso wenig ist die Annahme von Tatmehrheit zwischen Untreue <strong>und</strong> versuchtem Betrug in den Fällen II.<br />

2./3., II. 4./5. <strong>und</strong> II. 6./7. der Urteilsgründe zu beanstanden.<br />

1. Der Missbrauchstatbestand gemäß § 266 Abs. 1 1. Alt. <strong>StGB</strong> erfasst Rechtsbeziehungen, durch die einem Beteiligten<br />

rechtliches Können gewährt wird, das über das rechtliche Dürfen hinausgeht (BGH, Urteil vom 27. Januar 1988 –<br />

3 StR 61/87, BGHR <strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1 Missbrauch 2). Nach den getroffenen Feststellungen konnte der Angeklagte<br />

auf Gr<strong>und</strong> der ihm erteilten Vertretungsmacht die Firma R. im Außenverhältnis in rechtlich wirksamer Weise verpflichten.<br />

Er war als Vertriebsleiter für das Aushandeln <strong>und</strong> den Abschluss von Geschäften mit Großk<strong>und</strong>en der<br />

Firma R. zuständig. Die Verträge handelte er hinsichtlich des Liefergegenstandes, -umfangs <strong>und</strong> -zeitpunktes, des<br />

Verkaufspreises <strong>und</strong> der Möglichkeit zur Rückgabe nicht verkaufter Ware verbindlich aus. Der Zeuge K. - Geschäftsführer<br />

der Firma R. - sah sich dementsprechend in den abgeurteilten Fällen an die vom Angeklagten als Vertriebsleiter<br />

mündlich oder per E-Mail vereinbarten Konditionen geb<strong>und</strong>en. Dem Angeklagten ist danach zumindest<br />

schlüssig (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1982 – VII ZR 268/81, NJW 1982, 1389, 1390; Baumbach/ Hopt/Hopt,<br />

HGB, 34. Aufl. 2010, § 54 Rn. 8) Handlungsvollmacht gemäß § 54 Abs. 1 HGB für die Erledigung aller mit dem<br />

Vertrieb üblicherweise verb<strong>und</strong>enen Geschäfte erteilt worden. Der Handlungsbevollmächtigte gemäß § 54 HGB ist<br />

Befugnisinhaber im Sinne des § 266 Abs. 1 1. Alt. <strong>StGB</strong> (Wittig in von Heintschel-Heinegg, <strong>StGB</strong>, § 266 Rn. 7, 8.3;<br />

Schünemann in Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 266 Rn. 49; MünchKomm<strong>StGB</strong>/Dierlamm § 266 Rn. 29). § 54<br />

HGB regelt in Absatz 1 eine widerlegbare Vermutung für einen bestimmten typisierten Umfang der erteilten Handlungsvollmacht<br />

(Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/Weber, HGB, 2. Aufl., § 54 Rn. 8; Baumbach/Hopt/Hopt aaO § 54<br />

Rn. 9). Soweit die Auslegung der erteilten Vollmacht ergibt, dass eine der in Absatz 1 geregelten typisierten Formen<br />

vorliegt, ist auf die gesetzliche Vermutung zurückzugreifen (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Weber aaO § 54 Rn. 9).<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen besaß der Angeklagte eine so genannte Arthandlungsvollmacht. Er<br />

war als Leiter des Vertriebs zur Vornahme einer bestimmten, zu einem Handelsgewerbe gehörigen Art von Geschäften<br />

ermächtigt (vgl. Baumbach/Hopt/Hopt aaO § 54 Rn. 10). Die Handlungsvollmacht erstreckt sich auf alle Geschäfte<br />

<strong>und</strong> Rechtshandlungen, welche die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt. Was gewöhnlich<br />

ist, bestimmt sich etwa nach der Branche sowie der Art <strong>und</strong> Größe des Unternehmens (Baumbach/Hopt/Hopt<br />

aaO § 54 Rn. 10). Bei einem Großunternehmen wie der Firma R. sind selbst Vertragsabschlüsse von erheblicher<br />

finanzieller Tragweite noch zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb zu rechnen (BGH, Urteil vom 19. März 2002 – X<br />

ZR 157/99, BGHR HGB § 54 Abs. 3 Beschränkung 1). Angesichts der Vertretungsmacht des Angeklagten ist das<br />

Schweigen auf die schriftlichen Kaufbestätigungen der Firma Ro. in den abgeurteilten Fällen II. 2. <strong>und</strong> 8. der Urteilsgründe<br />

für die Frage der Wirksamkeit der Verträge nicht von Bedeutung. Die Kaufbestätigungen enthielten außer<br />

den vom Angeklagten <strong>und</strong> dem Zeugen F. – Einkaufsleiter der Firma Ro. – ausgehandelten Konditionen insbesondere<br />

ein Vertragsstrafenversprechen <strong>und</strong> eine Gerichtsstandsvereinbarung. Die dem Zeugen K. in den Fällen II. 2.<br />

<strong>und</strong> 8. der Urteilsgründe vorgelegten <strong>und</strong> unterzeichneten Kaufbestätigungen wurden vom Angeklagten nicht an die<br />

Firma Ro. zurückgesandt; dies war für die Durchführung der Verträge nach der Übung der Vertragsparteien auch<br />

nicht erforderlich. Warenlieferung sowie Bezahlung erfolgten ungeachtet der Nichtrücksendung der Kaufbestätigung<br />

entsprechend der per E-Mail oder mündlich zuvor zwischen dem Zeugen F. <strong>und</strong> dem Angeklagten getroffenen Vereinbarung.<br />

Der jeweilige Vertrag ist demnach im Vorfeld des Bestätigungsschreibens bereits mündlich bzw. im<br />

Rahmen des E-Mail-Kontakts zum Abschluss gebracht worden, so dass den Kaufbestätigungen nur noch die Bedeutung<br />

eines Beweismittels zukommt (BGH, Urteil vom 18. März 1964 – VIII ZR 281/62, NJW 1964, 1269, 1270;<br />

Baumbach/Hopt/Hopt aaO § 346 Rn. 17). Zudem kann entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts von einer<br />

Wirksamkeit der Verträge in den als Untreue abgeurteilten Fällen II. 2. <strong>und</strong> II. 8. der Urteilsgründe erst aufgr<strong>und</strong> des<br />

nachfolgenden Schweigens auf die Kaufbestätigungen auch deshalb nicht ausgegangen werden, da die Firma Ro.<br />

jeweils um eine Gegenbestätigung gebeten hat. Derjenige, der um eine Gegenbestätigung bittet, verfasst gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

kein Bestätigungsschreiben, das bei Schweigen des Empfängers verbindlich ist (BGH, Urteil vom 18. März 1964<br />

– VIII ZR 281/62, NJW 1964, 1269, 1270; MünchKommHGB/Karsten Schmidt, 2. Aufl., § 346 Rn. 151; Heymann/Horn,<br />

HGB, 2. Aufl., § 346 Rn. 51). Im Außenverhältnis konnte der Angeklagte demnach den Verkaufspreis<br />

verbindlich festlegen. Das Verhalten des Angeklagten, der Abschluss von Kaufverträgen unter Missachtung der<br />

133


Vorgaben der Geschäftsleitung mit zu geringen, unter dem Einkaufs- oder Herstellungspreis liegenden Verkaufspreisen,<br />

war jedoch im Innenverhältnis nicht durch die verliehene Befugnis gedeckt (vgl. zur überschießenden Rechtsmacht<br />

im Außenverhältnis bei der Handlungsvollmacht Joost in: Großkomm. HGB, 5. Aufl., § 54 Rn. 41 f., 73). Die<br />

weiteren Voraussetzungen des § 266 Abs. 1 1. Alt. <strong>StGB</strong> sind erfüllt.<br />

2. Die Annahme von Tatmehrheit zwischen dem Tatbestand der Untreue <strong>und</strong> dem des versuchten Betruges lässt hier<br />

entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts ebenso wenig einen Rechtsfehler erkennen. Die Bewertung des<br />

Konkurrenzverhältnisses hält sich vorliegend im Rahmen des insoweit dem Tatrichter eröffneten Beurteilungsspielraums<br />

(BGH, Urteil vom 25. September 1997 – 1 StR 481/97, NStZ-RR 1998, 68, 69; Beschluss vom 19. April 2007<br />

– 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235). Auch unter Berücksichtigung der Gr<strong>und</strong>sätze der natürlichen Handlungseinheit<br />

war die Annahme nur einer Tat zwischen Untreue <strong>und</strong> versuchtem Betrug in den Fällen II. 2./3., II. 4./5. <strong>und</strong> II.<br />

6./7. der Urteilsgründe nicht geboten. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit strafrechtlich relevanter<br />

Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher <strong>und</strong> zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln<br />

des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, <strong>und</strong> wenn die<br />

einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2010 – 4<br />

StR 182/10, wistra 2010, 345; vom 3. August 2010 – 4 StR 157/10 <strong>und</strong> vom 14. September 2010 – 4 StR 422/10).<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts spiegelte der Angeklagte jeweils nach Vertragsschluss der Geschäftsleitung<br />

der Firma R. vor, die Verträge mit höheren, über dem Bewertungs- bzw. Herstellungspreis liegenden Verkaufspreisen<br />

abgeschlossen zu haben. Damit liegt der Untreue durch Abschluss der Kaufverträge <strong>und</strong> dem (versuchten)<br />

Betrug durch Täuschung des Arbeitgebers schon kein einheitlicher Tatentschluss zu Gr<strong>und</strong>e.<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht Gerichtsvollzieher<br />

BGH, Beschl. v. 07.01.2011 - 4 StR 409/10 - NJW 2011, 2149 = NStZ 2011, 281<br />

LS: Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan im<br />

Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem<br />

Vollstreckungsgläubiger.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 7. Januar 2011 gemäß § 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. April 2010 wird<br />

a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 26, 29, 60 <strong>und</strong> 75 der<br />

Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die dem Angeklagten<br />

entstandenen notwendigen Auslagen;<br />

b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Untreue in Tateinheit mit<br />

Gebührenüberhebung in 57 Fällen <strong>und</strong> der Abgabenüberhebung in sieben Fällen schuldig ist. Die Einzelstrafen für<br />

die Taten II. 13, 15, 18, 23, 26, 28, 29, 33, 39, 41, 44, 48, 50, 53, 55, 58, 60, 62, 65, 70, 73, 75, 77 <strong>und</strong> 81 der Urteilsgründe<br />

entfallen.<br />

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Gebührenüberhebung in 81 Fällen,<br />

jeweils in Tateinheit mit Untreue, <strong>und</strong> wegen Abgabenüberhebung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es dem Angeklagten<br />

die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, für die Dauer von zwei Jahren aberkannt. Mit seiner Revision rügt der<br />

Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen<br />

Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen erhob der Angeklagte als Gerichtsvollzieher<br />

in einer Vielzahl von Vollstreckungsverfahren zu hohe Gebühren. Nachdem der Angeklagte in den verschiedenen<br />

Vollstreckungsverfahren bereits früher tätig gewesen war <strong>und</strong> <strong>Teil</strong>zahlungen der Schuldner entgegen genommen<br />

hatte, erbrachten die Schuldner in den einzelnen Fällen jeweils weitere freiwillige <strong>Teil</strong>leistungen an den Angeklagten.<br />

Dieser hätte für die Entgegennahme dieser weiteren <strong>Teil</strong>zahlungen nach den Vorschriften des Gesetzes über<br />

Kosten der Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherkostengesetz – GvKostG) vom 19. April 2001 (BGBl. I S. 623)<br />

134


maximal jeweils Gebühren in Höhe von 3,60 € ansetzen dürfen. Soweit der Vollstreckungsschuldner freiwillig an<br />

den Gerichtsvollzieher zahlt, fällt - nach § 10 Abs. 2 Satz 3 GvKostG für jede Zahlung - lediglich eine Hebegebühr<br />

nach Nr. 430 KV-GvKostG in Höhe von 3 € an (Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., 430 KVGv Rn. 3), die als<br />

Festgebühr die gesamte Tätigkeit des Gerichtsvollziehers abgilt. Hinzu kommt die Pauschale für sonstige bare Auslagen<br />

nach Nr. 713 KV-GvKostG in Höhe von 20 % des Betrages von 3 €. Tatsächlich berechnete der Angeklagte in<br />

den einzelnen Fällen Gebühren von 21,10 € <strong>und</strong> erhob damit um 17,50 € überhöhte Gebühren, die er jeweils von den<br />

vereinnahmten <strong>Teil</strong>zahlungen der Schuldner vor Weiterleitung an die Gläubiger in Abzug brachte.<br />

2. Der Senat stellt das Verfahren aus verfahrensökonomischen Gründen auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß<br />

§ 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 26, 29, 60 <strong>und</strong> 75 der Urteilsgründe verurteilt<br />

worden ist. Den Urteilsgründen ist nämlich in den Fällen II. 29, 60 <strong>und</strong> 75 nicht hinreichend zu entnehmen, ob der<br />

Angeklagte überhöhte Gebühren anlässlich freiwilliger <strong>Teil</strong>zahlungen der Vollstreckungsschuldner erhoben hat. Im<br />

Fall II. 26 sind die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zu den erhaltenen <strong>und</strong> weitergeleiteten Beträgen<br />

widersprüchlich.<br />

3. In den verbleibenden Fällen tragen die Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue gemäß §<br />

266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Angeklagte allerdings jeweils Untreuetaten zum<br />

Nachteil der Gläubiger begangen. Durch die Berechnung überhöhter Gebühren <strong>und</strong> deren Einbehalt bei der Weiterleitung<br />

der vereinnahmten <strong>Teil</strong>zahlungen hat der Angeklagte die ihm als Gerichtsvollzieher gegenüber den Gläubigern<br />

obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt <strong>und</strong> den Gläubigern einen Vermögensnachteil zugefügt.<br />

a) Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan gemäß §§ 753 ff. ZPO im<br />

Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gläubigern (vgl.<br />

hierzu BGH, Urteil vom 20. Oktober 1959 – 1 StR 466/59, BGHSt 13, 274; RGSt 71, 31). Zwar handelt der Gerichtsvollzieher<br />

hoheitlich <strong>und</strong> wird nicht als Vertreter des Gläubigers tätig (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 753 Rn.<br />

4). Die Zwangsvollstreckung dient aber den Gläubigerinteressen. Sie erfordert als verfahrenseinleitende Prozesshandlung<br />

einen Antrag des Gläubigers. Damit bestimmt der Gläubiger Beginn, Art <strong>und</strong> Ausmaß des Vollstreckungszugriffs.<br />

Er hat die Herrschaft über seinen vollstreckbaren Anspruch <strong>und</strong> bleibt somit auch "Herr" seines Verfahrens<br />

(Zöller/Stöber aaO Vor § 704 Rn. 19). Zudem hat der Gerichtsvollzieher die Vorschriften der Geschäftsanweisung<br />

für Gerichtsvollzieher (GVGA) zu beachten (vgl. Zöller/Stöber aaO § 753 Rn. 4). Deren Einhaltung gehört nach § 1<br />

Abs. 4 GVGA zu den Amtspflichten des Gerichtsvollziehers. Nach § 58 Nr. 1 GVGA handelt der Gerichtsvollzieher<br />

bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig. Er hat gemäß § 58 Nr. 2 GVGA die Weisungen des<br />

Gläubigers insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch<br />

stehen. Insbesondere hat der Gerichtsvollzieher nach § 106 Nr. 6 GVGA die empfangene Leistung <strong>und</strong> nach § 138<br />

Nr. 1 GVGA bzw. § 170 GVGA gepfändetes oder ihm gezahltes Geld nach Abzug der Vollstreckungskosten unverzüglich<br />

an den Gläubiger abzuliefern. Gegen diese Amtspflichten hat der Angeklagte verstoßen, indem er das von<br />

den Vollstreckungsschuldnern erhaltene Geld im Umfang der zuviel einbehaltenen Gebühren nicht an die Gläubiger<br />

weitergeleitet hat.<br />

b) Die Forderung des jeweiligen Gläubigers ist zwar nicht bereits durch die Zahlung des jeweiligen Vollstreckungsschuldners<br />

an den Angeklagten als Gerichtsvollzieher im Sinne des § 362 BGB teilweise erfüllt worden. Die Erfüllungswirkung<br />

gemäß § 362 BGB tritt bei Zahlung erst ein, wenn der Gerichtsvollzieher das empfangene Geld an den<br />

Gläubiger weitergeleitet hat. Fehlt es hieran, ist die beizutreibende Forderung nicht durch Erfüllung erloschen (BGH,<br />

Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08, MDR 2009, 466; Zöller/ Stöber aaO § 754 Rn. 6). § 362 Abs. 2<br />

BGB i.V.m. § 185 BGB ist nicht anwendbar, weil die Rechtsstellung des Gerichtvollziehers gemäß § 754 ZPO nicht<br />

auf einem bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zum Gläubiger, sondern auf seiner Stellung als auch im Bereich<br />

der Entgegennahme freiwilliger Zahlungen hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung beruht. Auf freiwillige<br />

Zahlungen des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ist aber § 815 Abs. 3 ZPO analog anwendbar (BGH,<br />

Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08, MDR 2009, 466, 467; Zöller/Stöber aaO § 754 Rn. 6; Musielak/Becker,<br />

ZPO, 7. Aufl., § 815 Rn. 5). Nach der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur<br />

wird § 815 Abs. 3 ZPO nicht als Erfüllungsfiktion, sondern als eine von § 270 BGB abweichende Regelung über die<br />

Gefahrtragung verstanden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08 aaO; Urteil vom 30. Januar<br />

1987 – V ZR 220/85, ZZP 102, 366; Zöller/Stöber aaO § 815 Rn. 2; Musielak/Becker aaO § 815 Rn. 4; Münch-<br />

Komm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 815 Rn. 14). Der Schuldner ist bei freiwilliger Leistung unter dem Druck drohender<br />

Pfändung ebenso schutzwürdig wie bei der Wegnahme (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08 aaO;<br />

Musielak/Becker aaO § 815 Rn. 5). Dieser Schutz des Schuldners trägt dem Umstand Rechnung, dass er auf den<br />

weiteren Verfahrensablauf keinen Einfluss nehmen kann (Münch-KommZPO/Gruber aaO § 815 Rn. 14). Verwendet<br />

135


der Gerichtsvollzieher das Geld nicht entsprechend den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften, trägt der Gläubiger<br />

somit die Gefahr. Er kann den Schuldner nicht nochmals in Anspruch nehmen.<br />

4. Die Annahme selbständiger, real konkurrierender Taten durch das Landgericht hält in den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

in seiner Antragsschrift vom 10. August 2010 genannten Fällen sowie in den Fällen II. 12 <strong>und</strong> 13 der Urteilsgründe<br />

der rechtlichen Überprüfung nicht stand. In diesen Fällen teilte der Angeklagte die von den Vollstreckungsschuldnern<br />

geleisteten Zahlungen auf <strong>und</strong> leitete die Gelder am selben Tag an zwei Gläubiger weiter, wobei er jeweils<br />

zu hohe Gebühren in Höhe von 17,50 € in Abzug brachte. Die jeweils am selben Tag vorgenommenen Überweisungen<br />

bzw. Ausbuchungen stehen in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer<br />

Mehrheit strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher <strong>und</strong> zeitlicher Zusammenhang<br />

besteht, dass das gesamte Handeln des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges<br />

Tun erscheint, <strong>und</strong> wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (BGH,<br />

Beschlüsse vom 14. September 2010 – 4 StR 422/10; vom 3. August 2010 – 4 StR 157/10 <strong>und</strong> vom 18. Mai 2010 – 4<br />

StR 182/10 m.w.N.). Angesichts des Umstandes, dass die am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw.<br />

Ausbuchungen jeweils denselben Vollstreckungsschuldner betrafen, liegt es nahe, dass der Angeklagte die Verfügungen<br />

zusammen erledigte <strong>und</strong> nicht aufgr<strong>und</strong> eines neuen Tatentschlusses handelte. Da jeweils zwei Gläubiger<br />

geschädigt wurden, ist gleichartige Idealkonkurrenz gegeben (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1985 – 1 StR 274/85,<br />

wistra 1986, 67; BGH, Beschlüsse vom 8. April 1998 – 1 StR 128/98, NStZ-RR 1998, 234 <strong>und</strong> vom 9. März 2010 –<br />

4 StR 23/10; vgl. auch Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 266 Rn. 194 m.w.N.).<br />

5. Einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe bedarf es nicht. Denn durch die Zusammenfassung mehrerer<br />

Taten zu jeweils einer einzigen Tat ändert sich deren Schuldgehalt nicht (BGH, Beschlüsse vom 3. August 2010<br />

– 4 StR 157/10 <strong>und</strong> vom 9. März 2010 – 4 StR 592/09). Der Senat schließt im Hinblick auf die Anzahl <strong>und</strong> Höhe der<br />

verbleibenden Einzelstrafen - 57 Einzelfreiheitsstrafen von einem Monat <strong>und</strong> sieben Einzelfreiheitsstrafen von drei<br />

Monaten - aus, dass die verhängte Gesamtstrafe bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses <strong>und</strong> ohne<br />

die eingestellten Fälle niedriger ausgefallen wäre.<br />

6. Der nur geringe <strong>Teil</strong>erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten nach § 473 Abs. 4 StPO teilweise<br />

von den nach der <strong>Teil</strong>einstellung verbleibenden, durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten <strong>und</strong> Auslagen freizustellen.<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1; BetrVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Untreue nur bei Verletzung von Vermögensbetreuungspflichten<br />

BGH, Beschl. v. 13.09.2010 – 1 StR 220/09<br />

LS:<br />

1. Eine nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 i.V.m. § 20 Abs. 2 BetrVG strafbare Beeinflussung der Wahl<br />

des Betriebsrats liegt jedenfalls dann vor, wenn der Arbeitgeber einer Wahlvorschlagsliste durch<br />

die Zuwendung von Geldmitteln ermöglicht, sich im Zusammenhang mit der Wahl nachhaltiger als<br />

sonst möglich zu präsentieren, <strong>und</strong> wenn dabei die finanzielle Unterstützung der Kandidaten durch<br />

den Arbeitgeber verschleiert wird.<br />

2. Eine Normverletzung ist in der Regel nur dann pflichtwidrig i.S.d. § 266 <strong>StGB</strong>, wenn die verletzte<br />

Rechtsnorm ihrerseits - hier der Straftatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG - wenigstens auch,<br />

<strong>und</strong> sei es mittelbar vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat, mag<br />

die Handlung auch nach anderen Normen pflichtwidrig sein <strong>und</strong> gegebenenfalls Schadensersatzansprüche<br />

gegenüber dem Treupflichtigen begründen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 13. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten S. gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24. November 2008<br />

wird<br />

a) die Verfolgung mit Zustimmung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 <strong>und</strong> 2 StPO<br />

auf den Vorwurf des Betruges beschränkt, soweit der Angeklagte S. im Tatkomplex III.1/2 der Urteilsgründe wegen<br />

Beihilfe zur Untreue in Tateinheit mit Betrug in vier tateinheitlich begangenen Fällen verurteilt worden ist. Insoweit<br />

136


trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die dem Angeklagten S. dadurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen,<br />

b) der Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte S. des Betruges, der Steuerhinterziehung in fünf Fällen<br />

<strong>und</strong> der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 20 Fällen schuldig ist,<br />

c) das genannte Urteil, soweit es den Angeklagten S. betrifft, aufgehoben<br />

aa) im Ausspruch über die Einzelstrafen<br />

(1) im Tatkomplex III.1/2 der Urteilsgründe (Betrug),<br />

(2) in den Fällen des Tatkomplexes III. 4 der Urteilsgründe (Steuerhinterziehung in fünf Fällen) sowie<br />

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten S. der „Beihilfe zur Untreue mit Betrug in vier hierzu tateinheitlichen Fällen,<br />

der Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatzsteuer in dreizehn Fällen, der Beihilfe zur Hinterziehung von Gewerbesteuer<br />

in drei Fällen, der Beihilfe zur Hinterziehung von Körperschaftsteuer in drei Fällen, der Beihilfe zur Hinterziehung<br />

von Körperschaftsteuer mit Hinterziehung des Solidaritätszuschlags <strong>und</strong> mit Hinterziehung der Gewerbesteuer<br />

sowie der Hinterziehung von Einkommensteuer in fünf Fällen, jeweils mit Hinterziehung des Solidaritätszuschlags,<br />

von Gewerbesteuer <strong>und</strong> von Umsatzsteuer“ schuldig gesprochen <strong>und</strong> ihn deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Den<br />

nicht revidierenden Mitangeklagten Fe. hat das Landgericht wegen Untreue, Hinterziehung von Umsatzsteuer in<br />

dreizehn Fällen, von Körperschaftsteuer in drei Fällen, von Gewerbesteuer in drei Fällen <strong>und</strong> von Körperschaftsteuer<br />

in Tateinheit mit Hinterziehung des Solidaritätszuschlags <strong>und</strong> von Gewerbesteuer zu einer zur Bewährung ausgesetzten<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen verurteilt. Der Angeklagte<br />

S. wendet sich mit seiner Revision gegen seine Verurteilung <strong>und</strong> rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen<br />

Rechts. Die Revision führt zu einer Verfolgungsbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO <strong>und</strong> hat darüber hinaus<br />

mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg. Im Übrigen ist sie - auch soweit sie auf Verfahrensrügen<br />

gestützt wird - unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

1. Vorgeschichte der verfahrensgegenständlichen Zahlungen an die „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger<br />

- AUB - die Unabhängigen e.V.“ Der Angeklagte S. war seit 1975 bei der Siemens AG als Vertriebskaufmann<br />

beschäftigt <strong>und</strong> seit 1982 als Kandidat der „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsräte (AUB)“<br />

freigestelltes Betriebsratsmitglied. Ende des Jahres 1983 ging unter Beibehaltung der Abkürzung AUB aus der „Aktionsgemeinschaft<br />

Unabhängiger Betriebsräte“ die „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“ hervor,<br />

für die der Angeklagte S. im Jahr 1984 am Siemens-Standort Erlangen Betriebsratsvorsitzender wurde. Diese<br />

Funktion übte er bis kurz vor seinem offiziellen Ausscheiden aus der Siemens AG Ende des Jahres 1990 aus. Im<br />

November 1985 wurde der Verein „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger - AUB e.V.“ gegründet,<br />

der später in „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger - AUB - die Unabhängigen e.V.“ (im Folgenden:<br />

AUB) umbenannt wurde <strong>und</strong> in dem die bisherige „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“<br />

aufging. Sitz des Vereins AUB war Nürnberg, Vorsitzender war seit der Vereinsgründung der Angeklagte S.. Im<br />

Anschluss an die Aufsichtsratswahl 1988 setzten auf Initiative des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens<br />

AG, N. , zweier namentlich nicht mehr ermittelbarer Mitglieder des Zentralvorstandes <strong>und</strong> des damaligen Leiters des<br />

Gesamtsprecherausschusses der leitenden Angestellten, D., Planungen ein, wie über die Verschiebung der Kräfteverhältnisse<br />

in den Betriebsräten die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Siemens AG zum Nachteil der dort vertretenen<br />

Mitglieder der IG Metall, die zur damaligen Zeit sämtliche Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat stellten,<br />

verändert werden könnte. Im Jahr 1990 kamen „Verantwortliche der Firma Siemens aus dem obersten Führungskreis“<br />

<strong>und</strong> der Angeklagte S. überein, dass die IG Metall im Aufsichtsrat <strong>und</strong> den Betriebsräten durch Unterstützung<br />

des AUB zurückgedrängt werden sollte. Der Plan sah vor, dass der Angeklagte S. aus dem Unternehmen<br />

ausscheiden <strong>und</strong> die AUB mit Geldern, die er von Siemens zur Verfügung gestellt bekommen sollte, ausbauen sollte.<br />

Die Siemens AG sollte darüber hinaus Personal für die AUB-Geschäftsstelle zur Verfügung stellen <strong>und</strong> bezahlen,<br />

während der Angeklagte S. in den Personalabteilungen des Unternehmens dafür sorgen sollte, dass die dortigen Leiter<br />

geeignete AUB-Kandidaten für Betriebsratswahlen auswählten <strong>und</strong> förderten. Eingeb<strong>und</strong>en in diese Planung<br />

waren neben anderen auch Dr. F., der zu dieser Zeit „die eigentliche ‚Nr. 1’ der Siemens AG war“, <strong>und</strong> der damals<br />

noch dem Bereichs-vorstand angehörende Dr. W.. In Ausführung dieses Plans schloss die Siemens AG, vertreten<br />

137


durch den Betriebsleiter des Standorts Erlangen, Dr. K. , <strong>und</strong> den Leiter der Abteilung Leasingfinanzierung, Fl. , im<br />

August 1990 mit dem Angeklagten S. zunächst eine Vereinbarung über das Ausscheiden des Angeklagten S. aus<br />

dem Unternehmen. Dieser Vereinbarung ging ein im Wesentlichen inhaltsgleiches Absichtsschreiben voraus, das für<br />

die Siemens AG von Dr. F. <strong>und</strong> Dr. W. unterschrieben worden war. Daneben wurde zwischen der Siemens AG,<br />

wiederum vertreten durch Dr. K. <strong>und</strong> Fl., <strong>und</strong> dem Angeklagten S. eine Zusatzvereinbarung getroffen. Diese sah<br />

insbesondere vor, dass der Angeklagte S. mit einer Fremdfirma einen Beratungs- <strong>und</strong> Schulungsvertrag schließen<br />

sollte. Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Zusatzvereinbarung wurde im Dezember 1990 zwischen der neu gegründeten Einzelfirma<br />

des Angeklagten S. „ S. Unternehmensberatung <strong>und</strong> Mitarbeiterschulung“ <strong>und</strong> der Firma SI. Holding für<br />

Gr<strong>und</strong>besitz GmbH (im Folgenden: SI. GmbH) zum Schein ein Beratungs- <strong>und</strong> Schulungsvertrag geschlossen, auf<br />

dessen Gr<strong>und</strong>lage die SI. GmbH ab dem Jahr 1991 zunächst 52.000 DM monatlich <strong>und</strong> ab April 1992 monatlich<br />

57.000 DM an das Unternehmen des Angeklagten S. zahlte. Diesen Zahlungen lagen keine Leistungen des Angeklagten<br />

S. zu Gr<strong>und</strong>e. Vielmehr dienten sie allein der Verschleierung der Zahlungen der Siemens AG an ihn, damit<br />

er absprachegemäß die AUB weiter ausbauen konnte. Die SI. GmbH stellte der Siemens AG die an den Angeklagten<br />

S. geleisteten Zahlungen in Rechnung, was aufgr<strong>und</strong> anderweitiger geschäftlicher Verbindungen der beiden Gesellschaften<br />

unauffällig möglich war. In der Folgezeit wurden zunächst auf der Gr<strong>und</strong>lage dieses Scheinvertrages bis<br />

zum Jahr 1995 durch Scheinrechnungen Zahlungen der Siemens AG an den Angeklagten S. in Höhe von insgesamt<br />

8,5 Millionen DM verschleiert; eine Kontrolle der Mittelverwendung durch die Siemens AG fand dabei nicht statt.<br />

Absprachegemäß wurden darüber hinaus Mitarbeiter der Siemens AG in der B<strong>und</strong>esgeschäftsstelle der AUB eingesetzt.<br />

Parallel dazu warb der Angeklagte S. in den Personalabteilungen der Siemens AG für Kandidaturen auf der<br />

AUB-Liste, wobei er die jeweils Verantwortlichen animierte, geeignete Mitarbeiter auszuwählen <strong>und</strong> diesen klarzumachen,<br />

dass eine Kandidatur von Siemens gefördert werde. Aufgr<strong>und</strong> geänderter geschäftlicher Strukturen war seit<br />

dem Jahr 1995 die Verschleierung der Zahlungen der Siemens AG an den Angeklagten S. zur Förderung des Ausbaus<br />

der AUB unter Zwischenschaltung der SI. GmbH nicht mehr möglich. An deren Stelle trat die G. Leasing<br />

GmbH & Co KG (im Folgenden: G. Leasing), zur damaligen Zeit eine 100%ige Tochtergesellschaft der Siemens<br />

AG, als neuer Vertragspartner in die zum Schein geschlossenen Vereinbarungen ein. Zudem wurden die zwischen<br />

dem Angeklagten S. <strong>und</strong> der Siemens AG geschlossenen Vereinbarungen, die zunächst bis zum Jahr 1995 befristet<br />

waren, verlängert. Die Siemens AG wurde hierbei vom Mitglied des Zentralvorstands Dr. W. sowie dem ebenfalls<br />

dem Zentralvorstand angehörenden Leiter der Zentralabteilung Personal, G., vertreten. Bis zum Jahr 2000 flossen auf<br />

diesem Weg verschleiert weitere 17,7 Millionen DM von der Siemens AG an den Angeklagten S. . Im Jahr 1998<br />

kam es zu Unstimmigkeiten über den Zahlungsweg, weil der Geschäftsführer der G. Leasing diesen für problematisch<br />

hielt („er wolle den ‚Schweinkram‘ nicht mehr in seinen Abschlüssen sehen“). In der Folge führte der Angeklagte<br />

S. mit dem neuen Leiter der Zentralabteilung Finanzen, Ne. , der ebenfalls dem Zentralvorstand angehörte, ein<br />

Gespräch über diese Problematik. Ergebnis des Gesprächs war, dass der Geschäftsführer der G. Leasing in einem<br />

Schreiben darüber informiert wurde, die bisherige Form der Zahlung solle mit Einverständnis von Herrn Ne. beibehalten<br />

werden.<br />

2. Die verfahrensgegenständlichen Zahlungen der Siemens AG an den Angeklagten S. zur Verwendung für die AUB<br />

<strong>und</strong> die wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit der AUB für die Siemens AG (Tatkomplexe III.1/2 der Urteilsgründe)<br />

a) Im Hinblick auf die Unstimmigkeiten über die bisherige Zahlungsabwicklung mit dem Geschäftsführer der G.<br />

Leasing bemühte sich der Angeklagte S. darum, eine anderweitige Möglichkeit zur Verschleierung der Zahlungen zu<br />

finden. Unter Beteiligung des Zentralvorstands Dr. W. wurde im Herbst des Jahres 2000 ein Treffen des Angeklagten<br />

S. mit dem kaufmännischen Vorstand des Bereichs „Automation and Drives“ des Standorts Erlangen, dem Mitangeklagten<br />

Fe., mit dem Ziel vereinbart, einen neuen Zahlungsweg zur Verschleierung der Zahlungen der Siemens AG<br />

an die AUB zu finden. Bei diesem Treffen wurde der Mitangeklagte Fe. über die Hintergründe der Zahlungen informiert.<br />

Unter der Bedingung, dass das Ergebnis seines Bereiches durch die Zahlungen nicht beeinträchtigt werde, war<br />

der Mitangeklagte Fe. mit der verschleierten Abwicklung der Zahlungen an die AUB über seinen Bereich einverstanden.<br />

Im weiteren Verlauf wurde am 22. Januar 2001 eine Rahmenvereinbarung zwischen der Siemens AG, Geschäftsbereich<br />

„Automation and Drives“ - vertreten durch den Mitangeklagten Fe. - <strong>und</strong> dem Angeklagten S. unter<br />

seiner Firma „W. Unternehmensberatung <strong>und</strong> Mitarbeiterschulung“ getroffen. Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Vereinbarung<br />

rechnete der Angeklagte S. tatsächlich nicht erbrachte Leistungen ab, um zum Schein eine Gr<strong>und</strong>lage für die<br />

Zahlungen der Siemens AG an die AUB zu schaffen. Die Rechnungen wurden jeweils an die Privatadresse des Mitangeklagten<br />

Fe. geschickt. Zwischen Januar 2001 <strong>und</strong> November 2006 erstellte der Angeklagte S. auf Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Rahmenvereinbarung insgesamt 44 Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer über einen Gesamtbetrag<br />

von netto 30,3 Millionen Euro, der auf Veranlassung des Mitangeklagten Fe. durch die Siemens AG an die Un-<br />

138


ternehmensberatung des Angeklagten S. gezahlt wurde. Beiden war dabei bewusst, dass die finanzielle Unterstützung<br />

der AUB nicht offen gelegt <strong>und</strong> transparent gestaltet wurde, sondern ohne Unterrichtung des Vorstandes <strong>und</strong><br />

des Aufsichtsrates, zudem ohne ausreichende Kontrolle der Mittelverwendung durchgeführt wurde (UA S. 37). Wie<br />

von dem Angeklagten S. <strong>und</strong> dem Mitangeklagten Fe. zumindest billigend in Kauf genommen, wurden die Rechnungen<br />

von der Zentralen Abrechnungseinheit der Siemens AG (ARE) mit dem Nettobetrag als Betriebsausgaben<br />

verbucht <strong>und</strong> hinsichtlich der in den Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug verwendet (UA<br />

S. 38). Bei Abschluss der Rahmenvereinbarung unterließ es der Mitangeklagte Fe. entgegen den bei der Siemens AG<br />

bestehenden Vertretungsregeln, eine zweite Unterschrift eines hierzu bevollmächtigten weiteren Mitarbeiters der<br />

Siemens AG einzuholen. Auch informierte er den Vorstand <strong>und</strong> den Aufsichtsrat der Siemens AG nicht über den<br />

Abschluss der Rahmenvereinbarung. Nach Eingang der auf der Gr<strong>und</strong>lage der Rahmenvereinbarung vom Angeklagten<br />

S. erstellten Rechnungen veranlasste der Mitangeklagte Fe. zu-nächst bis zu seinem Ausscheiden als kaufmännischer<br />

Vorstand des Bereichs „Automation and Drives“ des Standorts Erlangen die Zahlungen selbst. Danach sorgte<br />

er in seinen Funktionen als Leiter einer Hauptabteilung für Konzernstrategie <strong>und</strong> als Mitglied des Gesamtvorstands,<br />

zuletzt als Mitglied des Zentralvorstands dafür, dass die Rechnungen weiter durch den Bereich „Automation and<br />

Drives“ des Standorts Erlangen beglichen wurden. Hierzu informierte er seinen Nachfolger am Standort Erlangen<br />

über den Hintergr<strong>und</strong> der Rechnungen, damit dieser in der Folge die Rechnungen - wie dann auch tatsächlich geschehen<br />

- anerkannte. Eine inhaltliche Kontrolle der Rechnungen nahm der Mitangeklagte Fe. weder selbst vor, noch<br />

ließ er die Rechnungen von anderen Stellen prüfen. Als bei einer am Ende des Jahres 2005 von der Abteilung „Corporate<br />

Finance Financial Audit“ durchgeführten Routineüberprüfung Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der<br />

Bezahlung der Rechnung der Unternehmensberatung des Angeklagten S. beanstandet wurden, erreichte der Mitangeklagte<br />

Fe., dass die Beanstandungen der Revisoren nicht mehr weiterverfolgt wurden („vom Radarschirm der<br />

Revisoren gebracht“).<br />

b) Mit den Geldbeträgen, die auf die beschriebene Weise von der Siemens AG verschleiert an die Unternehmensberatung<br />

des Angeklagten S. überwiesen wurden, bestritt der Angeklagte S. unmittelbar von den Konten seines Einzelunternehmens<br />

die Ausgaben, die bei der Tätigkeit <strong>und</strong> bei Werbemaßnahmen der AUB anfielen. Ohne die Zahlungen<br />

der Siemens AG, die für die Finanzierung der Ausgaben der AUB verwendet wurden, wäre die AUB als Verein nicht<br />

überlebensfähig gewesen. Sie hätte die Kosten für Werbe- <strong>und</strong> Informationsmaterial sowie die Kosten ihrer Infrastruktur<br />

<strong>und</strong> für die von ihr angebotenen Leistungen aus ihren satzungsmäßigen Einnahmequellen nicht tragen können.<br />

Die langjährige Unterstützung bei Aufbau, Stabilisierung <strong>und</strong> Erhalt der AUB hatte für die Siemens AG erhebliche<br />

wirtschaftliche Vorteile: Durch die Zusammenarbeit des Angeklagten S. mit den Leitern der Personalabteilungen<br />

konnten interessierte „zukunftsfähige“ Mitarbeiter gef<strong>und</strong>en werden, denen verdeutlicht werden konnte, dass<br />

eine Kandidatur als Betriebsrat für die AUB auch für sie selbst mit Vorteilen im Hinblick auf einen Aufstieg in der<br />

Organisation der Siemens AG verb<strong>und</strong>en war. An den Standorten, an denen die AUB im Betriebsrat vertreten war,<br />

konnte auf betrieblicher Ebene eine Vielzahl von Vereinbarungen geschlossen werden, die aus Arbeitgebersicht<br />

erhebliche wirtschaftliche Vorteile einbrachten <strong>und</strong> firmenstrategische Maßnahmen erleichterten.<br />

c) Durch mindestens vier Rechnungsstellungen im Jahr 2006, mit denen - was auf der Gr<strong>und</strong>lage der Rahmenvereinbarung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich möglich war - „Zusatzaufwand“ in Höhe von jeweils 800.000 Euro netto abgerechnet wurde,<br />

veranlasste der Angeklagte S. die Siemens AG zu Zahlungen, die er nicht für die Förderung, den Aufbau <strong>und</strong> die<br />

Stabilisierung der AUB verwenden wollte, sondern für die von ihm im eigenen Interesse betriebene Sportförderung,<br />

für sonstige private Zwecke <strong>und</strong> für andere Unternehmen. Mit der bei der Rechnungsstellung vorgenommenen Bezugnahme<br />

auf die mit der Siemens AG getroffenen Rahmenvereinbarung erklärte der Angeklagte S. bewusst wahrheitswidrig,<br />

dass er die abgerechneten Beträge für die AUB verwenden würde. Im Vertrauen darauf, dass der Angeklagte<br />

S. die Gelder für die vereinbarten Zwecke einsetzen würde, wurden die Zahlungen durch die Siemens AG<br />

angewiesen. Bei Kenntnis von der tatsächlich vom Angeklagten S. geplanten Verwendung der Gelder, wäre dies<br />

nicht der Fall gewesen.<br />

d) Das Landgericht hat die Zahlungen der Siemens AG an den Angeklagten S. zur Verwendung für die Tätigkeit der<br />

AUB seitens des Mitangeklagten Fe. als Untreue (§ 266 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> als Beihilfe hierzu durch den Angeklagten S.<br />

angesehen. Durch die Zahlungen habe der Mitangeklagte Fe. gegen die Vorschrift des § 119 BetrVG verstoßen <strong>und</strong><br />

dadurch die ihm gegenüber der Siemens AG obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt. Der Siemens AG sei<br />

hierdurch ein Vermögensnachteil in Höhe der gezahlten 30,3 Millionen Euro entstanden, weil den Zahlungen kein<br />

unmittelbarer wirtschaftlicher Vorteil der Siemens AG gegenüber gestanden habe (UA S. 37). Die Täuschung der<br />

Verantwortlichen der Siemens AG über die Erforderlichkeit weiterer Zahlungen für die AUB durch den Angeklagten<br />

S. mit dem Ziel der Verwendung für eigene Zwecke hat das Landgericht als Betrug (§ 263 <strong>StGB</strong>) des Angeklagten S.<br />

zum Nachteil der Siemens AG eingestuft.<br />

139


3. Steuerrechtliche Behandlung der Zahlungen an die AUB bei der Siemens AG (Tatkomplex III.3 der Urteilsgründe).<br />

Als kaufmännischer Vorstand des Bereichs „Automation and Drives“ des Standorts Erlangen bewirkte der Mitangeklagte<br />

Fe. durch die firmeninterne Weiterleitung der vom Angeklagten S. hierzu vorgelegten 44 Rechnungen,<br />

dass die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer bei Abgabe der jeweiligen Umsatzsteuererklärungen der<br />

Siemens AG als Vorsteuer geltend gemacht <strong>und</strong> die jeweiligen Nettobeträge als Betriebsausgaben bei den Körperschaftsteuer-<br />

<strong>und</strong> Gewerbesteuererklärungen in Abzug gebracht wurden. Nach Auffassung des Landgerichts verstießen<br />

die Zahlungen mit dem Verwendungszweck AUB gegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG <strong>und</strong> unterlagen daher dem<br />

ertragsteuerlichen Abzugsverbot des § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG. Ein Vorsteuerabzug aus den<br />

Rechnungen sei nicht gemäß § 15 Abs. 1 UStG zulässig gewesen, weil die in Rechnung gestellten Leistungen nicht<br />

erbracht worden seien. Indem der Mitangeklagte Fe. die Rechnungsbeträge ohne Hinweis auf die fehlende Abzugsfähigkeit<br />

firmenintern weiterbelastete, bewirkte er für die Netto-Rechnungsbeträge einen unzulässigen Betriebsausgabenabzug<br />

i.S.v. § 4 Abs. 5 EStG <strong>und</strong> hinsichtlich der gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer einen nicht gerechtfertigten<br />

Vorsteuerabzug. Hierdurch habe er nach Berechnung des Landgerichts - unterstützt durch den Angeklagten<br />

S. mit der Zurverfügungstellung der Rechnungen - zugunsten der Siemens AG für die Jahre 2001 bis 2006 Umsatzsteuer<br />

in Höhe von insgesamt mehr als 4,8 Millionen Euro <strong>und</strong> für das Jahr 2004 Körperschaftsteuer mit Solidaritätszuschlag<br />

in Höhe von mehr als 500.000 Euro verkürzt (UA S. 48). Zudem hat die Siemens AG hierdurch nach der<br />

Berechnung des Landgerichts in den Jahren 2001 bis 2004 bei der Körperschaftsteuer <strong>und</strong> Gewerbesteuer Steuervorteile<br />

in Form ungerechtfertigter Verlustvorträge in Höhe von mehr als 30 Millionen Euro erlangt (UA S. 47, 48).<br />

4. Steuerliche Behandlung der von der Siemens AG erhaltenen Zahlungen <strong>und</strong> weitere unrichtige Angaben gegenüber<br />

dem Finanzamt durch den Angeklagten S. (Tatkomplex III.4 der Urteilsgründe). Der Angeklagte S. machte die<br />

Ausgaben, die er für Zwecke der AUB von den Konten seines Unternehmens tätigte, als eigene Betriebsausgaben<br />

geltend. Darüber hinaus verbuchte er in den Jahren 2000 bis 2004 zu Unrecht auch noch anderweitige Ausgaben für<br />

Sportförderung, private Zwecke <strong>und</strong> andere Unternehmen in Höhe von insgesamt mehr als 12,7 Millionen Euro als<br />

Betriebsausgaben seiner Unternehmensberatung. Nach Auffassung des Landgerichts hat er dadurch <strong>und</strong> durch weitere<br />

unzutreffende Angaben in seinen persönlichen Einkommensteuererklärungen (u.a. 1.275 Euro für den Eiltransport<br />

einer toten Biberratte zu einem Tierpräparator in Österreich) für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2004 Einkommensteuer<br />

in Höhe von insgesamt mehr als 7 Millionen Euro, Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt mehr als<br />

380.000 Euro <strong>und</strong> Gewerbesteuer in Höhe von insgesamt mehr als 3,4 Millionen Euro verkürzt. Zudem hat er nach<br />

Berechnung des Landgerichts Umsatzsteuer von insgesamt mehr als 220.000 Euro verkürzt, indem er zu Unrecht<br />

Vorsteuern aus Rechnungen geltend machte, denen keine Leistungen an seine Unternehmensberatung zu Gr<strong>und</strong>e<br />

lagen. Hierdurch habe er sich jeweils der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) schuldig gemacht.<br />

II. Der Senat beschränkt mit Zustimmung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts im Tatkomplex III.1/2 der Urteilsgründe die<br />

Verfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf die Strafbarkeit wegen Betruges. Die bisher getroffenen Feststellungen<br />

des Landgerichts ermöglichen keine umfassende Prüfung des Schuldspruchs zur Untreue. Selbst wenn noch weitere<br />

Feststellungen sollten getroffen werden können, erscheint es fraglich, ob diese einen Schuldspruch wegen Beihilfe<br />

zur Untreue rechtfertigen könnten. Die Verfahrensbeschränkung ist daher aus verfahrensökonomischen Gründen<br />

angebracht.<br />

1. Der Senat hat nämlich Bedenken, ob der Mitangeklagte Fe. dem Vermögen der Siemens AG - <strong>und</strong> zwar durch<br />

pflichtwidrige Handlungen i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> - einen Vermögensnachteil zugefügt hat, indem er die verfahrensgegenständlichen<br />

Zahlungen in der konkreten Art <strong>und</strong> Weise veranlasste. Entsprechendes gilt für die Verurteilung<br />

des Angeklagten S. wegen Beihilfe zur Untreue.<br />

a) Der Mitangeklagte Fe. hat aufgr<strong>und</strong> seiner beruflichen Stellung eine Vermögensbetreuungspflicht i.S.v. § 266<br />

<strong>StGB</strong> gegenüber der Siemens AG.<br />

aa) Eine Vermögensbetreuungspflicht ist gegeben, wenn der Täter in einer Beziehung zum (potentiell) Geschädigten<br />

steht, die eine besondere, über die für jedermann geltenden Pflichten zur Wahrung der Rechtssphäre anderer hinausgehende<br />

Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Der Täter muss eine inhaltlich besonders herausgehobene<br />

Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen. Hierbei ist in erster Linie von Bedeutung,<br />

ob die fremdnützige Vermögensfürsorge den Hauptgegenstand der Rechtsbeziehung bildet <strong>und</strong> ob dem Verpflichteten<br />

bei deren Wahrnehmung ein gewisser Spielraum, eine gewisse Bewegungsfreiheit oder Selbständigkeit,<br />

mit anderen Worten die Möglichkeit zur verantwortlichen Entscheidung innerhalb eines gewissen Ermessensspielraums<br />

verbleibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1951 - 1 StR 171/51, BGHSt 1, 186, 188 f.; BGH, Urteil<br />

vom 4. November 1952 - 1 StR 441/52, BGHSt 3, 289, 294; BGH, Urteil vom 3. März 1953 - 1 StR 5/53, BGHSt 4,<br />

170, 172; BGH, Urteil vom 11. Dezember 1957 - 2 StR 481/57, BGHSt 13, 315, 317; vgl. auch BVerfG, Beschluss<br />

vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 92 f., 108 mwN).<br />

140


) Sowohl zunächst als kaufmännischer Vorstand des Bereichs „Automation and Drives“ des Standorts Erlangen als<br />

auch in der Folgezeit als Leiter einer Hauptabteilung für Konzernstrategie, als Mitglied des Gesamtvorstands <strong>und</strong><br />

zuletzt als Mitglied des Zentralvorstands war der Mitangeklagte Fe. in diesem Sinne verpflichtet, die Vermögensinteressen<br />

der Siemens AG wahrzunehmen.<br />

b) Es erscheint - jedenfalls aufgr<strong>und</strong> der bisherigen Feststellungen - fraglich, ob der Mitangeklagte Fe. dadurch<br />

pflichtwidrig i.S.v. § 266 <strong>StGB</strong> gehandelt hat, dass er unter Verstoß gegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die AUB<br />

finanziell förderte.<br />

aa) Nach Auffassung des Landgerichts hat es der Mitangeklagte Fe. zunächst bei Abschluss des Vertrages vom 22.<br />

Januar 2001 - entgegen den bei der Siemens AG zur Tatzeit bestehenden Vertretungsregelungen - pflichtwidrig unterlassen,<br />

die für die Vertretung der Gesellschaft erforderliche zweite Unterschrift eines entsprechend bevollmächtigten<br />

weiteren Mitarbeiters der Siemens AG einzuholen. Den Inhalt der insoweit maßgeblichen Vertretungsregeln teilt<br />

die Strafkammer indes nicht mit, obwohl es die verfahrensgegenständliche Rahmenvereinbarung als einen „wesentlichen<br />

Vertrag“, der eine zweite Unterschrift erforderlich mache, charakterisiert. Dem Senat ist aber ohne Mitteilung<br />

des in Bezug genommenen Inhaltes „der bei der Siemens AG damals bestehenden Vertretungsregelungen“ (UA S.<br />

34) nicht möglich, zu beurteilen, ob tatsächlich eine zweite Unterschrift erforderlich war, was der frühere Mitangeklagte<br />

Fe. bestritten hat (UA S. 76). Eine auf das Fehlen einer zweiten Unterschrift gestützte Pflichtwidrigkeit wird<br />

daher nicht tragfähig durch Tatsachen belegt.<br />

bb) Die Strafkammer begründet die Pflichtwidrigkeit der Handlungen des Mitangeklagten Fe. darüber hinaus damit,<br />

dass er es unterlassen habe, die zuständigen Organe der Siemens AG von dem abgeschlossenen Vertrag zu informieren.<br />

Diese Wertung ist jedenfalls ohne nähere Erörterung nicht mit der Feststellung zu vereinbaren, dass der Abschluss<br />

der verfahrensgegenständlichen Rahmenvereinbarung durch den Mitangeklagten Fe. auf Veranlassung eines<br />

damaligen Mitglieds des Zentralvorstandes zurückging. Zudem stellt das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung<br />

fest, dass „nach dem Ergebnis der durchgeführten Hauptverhandlung von der Kammer ausgeschlossen werden<br />

kann, dass sich damals ein Bereichsvorstand wie der Mitangeklagte Fe. ohne ‚Absegnung von oben’ auf so etwas wie<br />

die schriftliche Rahmenvereinbarung vom 22. Januar 2001 eingelassen hätte“ (UA S. 92). Dies legt nahe, dass die<br />

Strafkammer davon ausging, dass der Abschluss der getroffenen Vereinbarung <strong>und</strong> die darauf zurückgehenden Zahlungen<br />

an den Angeklagten S. von einer Einwilligung des Zentralvorstandes der Siemens AG gedeckt waren. Dann<br />

bedurfte es aber näherer Begründung, warum das Unterlassen der Unterrichtung des Vorstandes geeignet war, die<br />

Pflichtwidrigkeit der Handlungen des Mitangeklagten Fe. zu begründen.<br />

cc) Der Senat hat jedenfalls Bedenken, dass die Annahme des Landgerichts zutrifft, der Mitangeklagte Fe. habe die<br />

ihn treffende Vermögensbetreuungspflicht auch deshalb verletzt, weil die Zahlungen an das Unternehmen des Angeklagten<br />

S. gegen die Strafvorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstoßen. Denn bei dieser Norm handelt es sich<br />

nicht um eine das zu betreuende Vermögen - hier der Siemens AG - schützende Vorschrift. Schutzzweck dieser<br />

Strafvorschrift ist vielmehr - allein - die Integrität der Wahl des Betriebsrats, namentlich die Freiheit der Willensbetätigung<br />

der Wahlbeteiligten i.S.d § 20 BetrVG.<br />

(1) § 266 <strong>StGB</strong> ist ein Vermögensdelikt; die Norm schützt das zu betreuende Vermögen im Sinne der Gesamtheit der<br />

geldwerten Güter einer Person (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 - 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295, 301).<br />

Umfang <strong>und</strong> Grenzen der im Rahmen von § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> strafrechtlich relevanten Pflichten richten sich nach<br />

dem zugr<strong>und</strong>e liegenden Rechtsverhältnis. Es besteht daher eine Anbindung an die zivil- oder öffentlichrechtlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 - 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187; BGH, Urteil vom<br />

23. Mai 2002 - 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295, 297; BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147,<br />

155; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 335; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom<br />

23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 95 sowie Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 266 Rn. 58 <strong>und</strong> SSW-<strong>StGB</strong>/Saliger §<br />

266 Rn. 31 mwN). Das Pflichtwidrigkeitsmerkmal erschöpft sich dabei aber nicht nach Art eines Blankettmerkmals<br />

in der Weiterverweisung auf genau bezeichnete Vorschriften (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR<br />

2559/08 u.a., Rn. 97); es handelt sich vielmehr um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal (vgl. BVerfG aaO<br />

mwN). Bei dessen Auslegung ist es von Verfassungs wegen geboten, die Anwendung des Untreuetatbestands auf<br />

Fälle klarer <strong>und</strong> deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken, Wertungswidersprüche zur<br />

Ausgestaltung spezifischer Sanktionsregelungen zu vermeiden <strong>und</strong> - was hier ausschlaggebend ist - den Charakter<br />

des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts zu bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1955 - 3 StR<br />

234/55, BGHSt 8, 254, 257 ff.; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 297; vgl. auch<br />

BVerfG aaO Rn. 110). Im Hinblick auf die tatbestandliche Weite des § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> kann daher nicht in jedem<br />

(strafbewehrten) Verstoß gegen die Rechtsordnung auch eine i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> strafrechtlich relevante<br />

Pflichtverletzung erblickt werden. Das folgt aus dem Schutzzweck des § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>, der das zu betreuende<br />

141


Vermögen schützt. Eine Normverletzung - hier eine Straftat i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG - ist deshalb in der<br />

Regel nur dann pflichtwidrig i.S.v. § 266 <strong>StGB</strong>, wenn die verletzte Rechtsnorm ihrerseits - wenigstens auch, <strong>und</strong> sei<br />

es mittelbar - vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat, mag die Handlung auch nach<br />

anderen Normen pflichtwidrig sein <strong>und</strong> unter Umständen sogar Schadensersatzansprüche gegenüber dem Treuepflichtigen<br />

auslösen. Nur dann, wenn die unmittelbar verletzte Rechtsnorm selbst vermögensschützenden Charakter<br />

hat, liegt der untreuespezifische Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung <strong>und</strong> geschütztem Rechtsgut i.S.v. § 266<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> vor. Fehlt es daran, kann der Gesetzesverstoß, soweit er für sich sanktionsbewehrt ist, nach Maßgabe<br />

des diesbezüglichen Sanktionstatbestandes geahndet werden. Der Gesetzesverstoß kann darüber hinaus auch geeignet<br />

sein, Schadensersatzansprüche zu begründen. Eine - daneben tretende - Pflichtwidrigkeit i.S.d § 266 <strong>StGB</strong> wegen<br />

Untreue kann allein aus diesem Gesetzesverstoß aber gr<strong>und</strong>sätzlich noch nicht abgeleitet werden. Ob etwas anderes<br />

gilt, wenn an die Verletzung einer solchen Rechtsnorm eine spezifische, sich vermögensmindernd auswirkende<br />

Sanktion anknüpft, lässt der Senat offen. Das BetrVG jedenfalls sieht eine solche sich vermögensmindernd auswirkende<br />

Sanktion nicht vor.<br />

(2) Bei einer Aktiengesellschaft bestimmen sich Umfang <strong>und</strong> Grenzen der Vermögensbetreuungspflichten der Organe<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nach Maßgabe der §§ 76, 93, 116 AktG (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04,<br />

BGHSt 50, 331, 335 f. für den Aufsichtsrat; BGH, Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, BGHSt 54, 148<br />

Rn. 36 für den Vorstand). Die den Organen einer Aktiengesellschaft angehörenden Personen haben deshalb - auch<br />

gegenüber der Aktiengesellschaft selbst - die rechtlichen Pflichten <strong>und</strong> Vorgaben der Rechtsordnung einzuhalten<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1993 - II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127; Spindler in MünchKomm-AktG, 3.<br />

Aufl., § 93 Rn. 63 ff. mwN). Die somit für die Organe einer Aktiengesellschaft bestehende Legalitätspflicht bedingt,<br />

dass kein aktienrechtlich geschützter Handlungsspielraum für „profitable Pflichtverletzungen“ besteht (vgl. Fleischer,<br />

ZIP 2005, 141, 145 mwN). Verstöße gegen die Legalitätspflicht können auch im Verhältnis zur Gesellschaft<br />

selbst nicht mit dem Vorbringen gerechtfertigt werden, sie lägen in deren Interesse; die Bindung an gesetzliche Vorschriften<br />

hat vielmehr Vorrang (BGH, Urteil vom 27. August 2010 - 2 StR 111/09 mwN). Gesetzesverstöße, wie hier<br />

der Verstoß gegen § 119 BetrVG, stellen daher - in aktienrechtlicher Hinsicht - eine Verletzung der in § 93 Abs. 1<br />

<strong>und</strong> § 116 Satz 1 AktG statuierten Pflichten dar <strong>und</strong> können zivilrechtliche Rechtsfolgen begründen. Dies hat aber<br />

nicht zur Folge, dass die primär verletzte Rechtsnorm, wenn sie nicht das betreute Vermögen schützt, allein dadurch<br />

vermögensschützend wird, dass ihre Verletzung zugleich eine Verletzung aktienrechtlicher Vorschriften darstellt.<br />

Anders gewendet heißt dies: Liegt der Verstoß gegen die §§ 93, 116 AktG allein darin, dass eine nicht vermögensschützende<br />

Norm außerhalb des Aktiengesetzes verletzt wird, führt dies nicht dazu, dass die Verletzung einer vermögensschützenden<br />

Norm im Sinne einer Pflichtverletzung gemäß § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> vorläge, nur weil die primär<br />

verletzte Pflicht durch die §§ 93, 116 AktG zu einer aktienrechtlichen Pflicht der Organe der Aktiengesellschaft<br />

wird. Denn auch die §§ 93, 116 AktG sind Vorschriften von erheblicher Unbestimmtheit <strong>und</strong> generalklauselartigem<br />

Charakter (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 97). Eine allein auf die Verletzung dieser<br />

Vorschriften abstellende Auslegung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals des § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> wäre daher nicht<br />

geeignet, die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Anwendung des Untreuetatbestands auf evidente Fälle<br />

pflichtwidrigen Handelns zu beschränken <strong>und</strong> damit den Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts<br />

zu bewahren. Wollte man dies anders sehen, würde letztlich jeder Gesetzesverstoß (etwa auch die Beauftragung<br />

einer Werbeagentur mit einer i.S.v. § 3 UWG unlauteren Werbung) gleichzeitig eine pflichtwidrige Handlung i.S.v. §<br />

266 <strong>StGB</strong> darstellen <strong>und</strong> - bei Vorliegen eines Vermögensnachteils - den Tatbestand der Untreue erfüllen. Dies würde<br />

nicht nur dem Untreuetatbestand jegliche Kontur nehmen; es wäre bei weniger gewichtigen Verstößen gegen<br />

selbst nicht strafbewehrte Normen vielfach auch nicht mehr mit der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts zu vereinbaren.<br />

Maßgeblich ist daher auch bei Verstößen gegen die §§ 93, 116 AktG, ob die primär verletzte Rechtsnorm,<br />

deren Verletzung zugleich den Verstoß gegen diese aktienrechtlichen Vorschriften bildet, vermögensschützenden<br />

Charakter hat. Dies ist bei der Strafnorm des § 119 BetrVG nicht der Fall. Die Vorschrift des § 119 BetrVG dient<br />

allein dem Schutz der Wahl <strong>und</strong> der Funktionsfähigkeit der im Gesetz aufgeführten betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Organe (vgl. Oetker in GK-BetrVG, 9. Aufl., § 119 Rn. 6). Der Verstoß gegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG ist<br />

daher für sich allein nicht geeignet, eine Pflichtwidrigkeit der Handlungen des Mitangeklagten Fe. i.S.v. § 266 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> zu begründen. Das dadurch verwirklichte Unrecht kann im vorliegenden Fall straf-rechtlich allein nach Maßgabe<br />

des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG geahndet werden. Eine eventuelle, sich aus dem Verstoß gegen aktienrechtliche<br />

Vorschriften ergebende zivilrechtliche Haftung bleibt davon unberührt.<br />

dd) Demnach kann ein i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> pflichtwidriges <strong>und</strong> zudem vermögensschädigendes Verhalten des<br />

Mitangeklagten Fe. allein darin erblickt werden, dass er die Zahlungen auf der Gr<strong>und</strong>lage der Rahmenvereinbarung<br />

veranlasste, ohne selbst eine ausreichende inhaltliche Kontrolle durchzuführen oder zumindest dafür Sorge zu tragen,<br />

142


dass Dritte eine inhaltliche Kontrolle durchführen. Überprüfungen wurden zudem dadurch erschwert, dass die tatsächlichen<br />

Rechtsverhältnisse durch Scheinrechnungen verschleiert wurden. Ein solches Vorgehen ist mit den - insoweit<br />

fraglos vermögensschützenden - Pflichten, die den Mitangeklagten Fe. allgemein aufgr<strong>und</strong> seiner Stellung<br />

innerhalb der Siemens AG <strong>und</strong> im Speziellen bei Abwicklung der zwischen der Siemens AG <strong>und</strong> dem Angeklagten<br />

S. getroffenen Vereinbarung trafen, nicht zu vereinbaren. Denn dadurch wurde bereits die Prüfung durch die zuständigen<br />

Stellen vereitelt, ob die Leistungen der Siemens AG in einem äquivalenten Verhältnis zu den mit der Vereinbarung<br />

erlangten Vermögensvorteilen des Unternehmens stehen. Insoweit belegen die bisherigen Feststellungen aber<br />

nicht, dass der Siemens AG durch diese Verletzung der dem Mitangeklagten Fe. obliegenden Vermögensbetreungspflicht<br />

auch ein Nachteil i.S.v. § 266 <strong>StGB</strong> entstanden ist. Ein dem betreuten Vermögen zugefügter Nachteil i.S.d. §<br />

266 <strong>StGB</strong> ist jede durch die Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße. Die Vermögensminderung ist dabei nach<br />

dem Prinzip der Gesamtsaldierung (Vermögensvergleich) festzustellen (BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 - 1 StR<br />

372/01, BGHSt 47, 295, 301; BGH, Urteil vom 11. Juli 2000 - 1 StR 93/00, wistra 2000, 384, 386 mwN; BGH, Beschluss<br />

vom 17. August 2006 - 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378, 379 mwN). Ein Nachteil liegt deshalb nicht vor,<br />

wenn durch die Tathandlung zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird. Werterhöhend<br />

kann auch eine vermögenswerte realistische Gewinnerwartung wirken (BGH, Beschluss vom 29. November<br />

1995 - 5 StR 495/95, NStZ 1996, 191; BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378,<br />

379). Beim Vermögen als Rechtsgut <strong>und</strong> Bezugspunkt des anzustellenden Vergleichs handelt es sich allerdings nicht<br />

um einen der sinnlichen Wahrnehmung unmittelbar zugänglichen Gegenstand, sondern um eine wirtschaftliche Größe,<br />

deren Umfang zu einem bestimmten Zeitpunkt sich erst aus einer Bewertung ergibt. In deren Rahmen bedarf es<br />

der Entscheidung, welche Vermögenspositionen in die Wertbestimmung einfließen <strong>und</strong> wie deren Wert zu ermitteln<br />

ist. Hierbei können normative Erwägungen eine Rolle spielen. Sie dürfen aber, soll der Charakter der Untreue als<br />

Vermögensdelikt <strong>und</strong> Erfolgsdelikt bewahrt bleiben, wirtschaftliche Überlegungen nicht verdrängen. Stets ist zu<br />

prüfen, ob das verbotene Geschäft - wirtschaftlich betrachtet - nachteilig war (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August<br />

2006 - 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378, 379 mwN; BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW<br />

2008, 2451, 2452; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a. Rn. 102, 114). Der Vermögensnachteil<br />

stellt hierbei ein selbständiges neben dem der Pflichtverletzung stehendes Tatbestandsmerkmal dar,<br />

das nicht in dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit aufgehen darf. Deswegen sind eigenständige Feststellungen zum<br />

Vorliegen eines Nachteils geboten (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2452;<br />

BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08, NStZ 2009, 330, 331; BGH, Beschluss vom 20. Oktober<br />

2009 - 3 StR 410/09, NStZ 2010, 329, 330; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a.<br />

Rn. 112, 113 f. mwN). An diesen Gr<strong>und</strong>sätzen gemessen erweisen sich die Wertungen des Landgerichts, nach denen<br />

die auf Gr<strong>und</strong>lage der Scheinrechnung erfolgenden Zahlungen der Siemens AG an die AUB einen endgültigen Schaden<br />

i.S.v. § 266 <strong>StGB</strong> verursachten, da kein den Geldabfluss kompensierender Vermögensvorteil bei der Siemens<br />

AG gegeben sei (UA S. 128), aufgr<strong>und</strong> der bisherigen Feststellungen nicht als tragfähig. Das Landgericht stellt zwar<br />

fest, dass der Siemens AG infolge der Zusammenarbeit mit der AUB finanzielle Vorteile erwachsen seien. Diese<br />

Vorteile stellen nach Auffassung des Landgerichts indes keinen unmittelbaren Vermögenszuwachs dar, sondern<br />

vielmehr lediglich eine „vage Chance“, die nicht konkret messbar sei. Das Landgericht hat dabei nicht hinreichend<br />

bedacht, dass ein unmittelbarer, den Vermögensnachteil kompensierender Vermögensvorteil nicht nur dann gegeben<br />

ist, wenn die schadensausschließende Kompensation in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Pflichtverletzung<br />

steht. Denn „unmittelbar“ heißt insoweit nicht zeitgleich bzw. sofort oder auch nur bald. Eine unmittelbare Schadenskompensation<br />

ist vielmehr dann gegeben, wenn keine weitere, selbstständige Handlung mehr hinzutreten muss,<br />

damit der kompensationsfähige Vermögenszuwachs entsteht (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 266 Rn. 166 mwN).<br />

Mit den im Tatzeitraum geleisteten Zahlungen an den Angeklagten S. , die den Fortbestand der AUB sicherstellten,<br />

wurde aus Sicht der Verantwortlichen der Siemens AG - jedenfalls im Tatzeitraum - der mit den Zahlungen angestrebte<br />

wirtschaftliche Vorteil, auf den bei der Gesamtsaldierung allein abzustellen ist (BGH, Urteil vom 28. Januar<br />

1983 - 1 StR 820/81, BGHSt 31, 232, 234 f.; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293,<br />

298; BGH, Urteil vom 29. August 2008 - 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323 Rn. 45 ff.; siehe auch BVerfG, Beschluss<br />

vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 142, 153, 150), bereits erreicht. Angesichts der nach den Feststellungen<br />

zu diesem Zeitpunkt gegebenen Etablierung der AUB hätte es weitergehender Darlegung bedurft, warum die Zahlungen<br />

lediglich zu einer vagen Chance, nicht aber zu einem bereits messbaren Vermögenszuwachs geführt hätten.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des zur Tatzeit etablierten <strong>und</strong> „bewährten“ Systems sind die Zuwendungen auch nicht mit Fällen vergleichbar,<br />

bei denen durch Einsatz von Bestechungsgeldern in nicht konkretisierten zukünftigen Fällen dem Vermögensinhaber<br />

günstige Vertragsabschlüsse erreicht werden sollen (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 29. August 2008 - 2<br />

StR 587/07, BGHSt 52, 323 Rn. 45).<br />

143


2. Eine Verurteilung des Angeklagten S. wegen Beihilfe zur Untreue würde daher weitergehende als die bisher getroffenen<br />

Feststellungen erfordern. Namentlich wären die seitens des Landgerichts festgestellten wirtschaftlichen<br />

Vorteile, welche die Siemens AG aufgr<strong>und</strong> der mit dem Angeklagten S. getroffenen Vereinbarung erzielte, in betriebswirtschaftlicher<br />

Hinsicht - erforderlichenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen - zu bewerten <strong>und</strong><br />

mit den von der Siemens AG geleisteten Zahlungen zu saldieren. Dies gebietet aus verfahrensökonomischen Gründen<br />

die Beschränkung des Verfahrens im Fall III. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 2 auf den Vorwurf<br />

des Betruges des Angeklagten S. zum Nachteil der Siemens AG.<br />

III. Der Schuldspruch im Übrigen hat Bestand.<br />

1. Der Schuldspruch des Angeklagten S. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Haupttäters Fe. seitens der<br />

Siemens AG in 20 Fällen hält rechtlicher Nachprüfung stand. Indem S. an dem zur Verschleierung der Zahlungen an<br />

die AUB ersonnenen System von Scheinverträgen <strong>und</strong> -rechnungen mitwirkte, leistete er jeweils Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />

gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 27 Abs. 1 <strong>StGB</strong>.<br />

a) Die getroffenen Feststellungen belegen die Wertung des Landgerichts, der Mitangeklagte Fe. habe bewirkt, dass<br />

durch unrichtige Angaben gegenüber den Finanzbehörden von der Siemens AG geschuldete Ertragssteuern verkürzt<br />

wurden <strong>und</strong> die Gesellschaft nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangte. Denn die Scheinrechnungen berechtigten<br />

die Siemens AG nicht zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG, da ihnen keine Leistungen zu Gr<strong>und</strong>e lagen. Zudem<br />

waren die durch die Scheinrechnungen des Angeklagten S. verschleierten Zahlungen an das Unternehmen des Angeklagten<br />

S. nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG nicht als Betriebsausgaben abziehbar, da es sich bei<br />

diesen Zahlungen um die Zuwendung von Vorteilen handelte, die als rechtswidrige Handlungen den Tatbestand<br />

eines Strafgesetzes verwirklichten. Sie erfüllen den Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG. Der Senat teilt<br />

nicht die vom Beschwerdeführer <strong>und</strong> teilweise in der Literatur erhobenen Bedenken gegen eine weite Auslegung des<br />

Begriffs der Beeinflussung der Wahl (vgl. dazu Joecks in MünchKomm<strong>StGB</strong>, § 119 BetrVG; Kudlich in Festschrift<br />

für Heinz Stöckel, 2009, S. 93 ff.; das gilt auch für die von Prof. Dr. Joecks in einem Rechtsgutachten im Auftrag des<br />

Angeklagten S. in diesem Verfahren vor dem Landgericht vorgebrachten Bedenken). Er ist insbesondere der Auffassung,<br />

dass diese Strafnorm hinreichend klar <strong>und</strong> bestimmt im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG ist, so dass bei Vorliegen<br />

der Tatbestandsvoraussetzungen des § 119 BetrVG das steuerliche Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG<br />

ausgelöst wird.<br />

aa) Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG macht sich strafbar, wer eine Wahl des Betriebsrats eines Unternehmens<br />

durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst. Hierdurch werden Verstöße gegen das Verbot des §<br />

20 Abs. 2 BetrVG sanktioniert. § 20 Abs. 2 BetrVG schützt - zusammen mit dem Verbot des § 20 Abs. 1 BetrVG,<br />

das nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BetrVG strafbewehrt ist - umfassend die Integrität der Wahl (vgl. Fitting, BetrVG,<br />

25. Aufl. § 20 Rn. 20). Dadurch soll eine Beeinflussung des Wahlergebnisses in einer nicht von der Rechtsordnung<br />

gebilligten Weise ausgeschlossen werden (so auch OVG Münster, Beschluss vom 10. November 2005 - 1 A 5076/04,<br />

BeckRS, 2006, 20067 zum im Wesentlichen inhaltsgleichen § 21 Abs. 1 LPVG NRW). Das Verbot in § 20 Abs. 1<br />

BetrVG gewährleistet dabei die Freiheit der Willensbetätigung der Wahlbeteiligten (vgl. Vogt BB 1987, 189, 190<br />

mwN; Kreutz in GK-BetrVG, 9. Aufl., § 20 Rn. 24). Der vorliegend maßgebliche § 20 Abs. 2 BetrVG zielt demgegenüber<br />

auf die Sicherung der freien Willensbildung der Wahlbeteiligten ab (Kreutz aaO mwN). Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

erfasst das Verbot des § 20 Abs. 2 BetrVG - <strong>und</strong> ihm folgenden der Straftatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt.<br />

2 BetrVG (vgl. Oetker in GK-BetrVG, 9. Aufl., § 119 Rn. 12 mwN) - nicht nur die unmittelbare Beeinflussung des -<br />

aktiv oder passiv - Wahlberechtigten, sein Wahlrecht in der einen oder anderen Art <strong>und</strong> Weise auszuüben (z.B. in<br />

Form des Stimmenkaufs oder durch Vorteilsgewährung, wenn sich ein Arbeitnehmer nicht als Wahlkandidat aufstellen<br />

lässt). Vielmehr ist - sowohl nach dem Wortsinn, als auch nach dem Zweck der Vorschrift - auch die Gewährung<br />

solcher Vorteile erfasst, die sich mittelbar auf die Wahl auswirken, indem sie die innere Willensbildung der Wahlberechtigten<br />

beeinflussen. Insoweit ist anerkannt, dass sich der Arbeitgeber gr<strong>und</strong>sätzlich nicht in die Wahlpropaganda<br />

einschalten, insbesondere nicht für einen Kandidaten werben darf (vgl. Thüsing in Richardi BetrVG, 12. Aufl., § 20<br />

Rn. 18 mwN; Fitting BetrVG, 25. Aufl., § 20 Rn. 24; Koch in Erfurter Kommentar zum Arbeits-recht, 10. Aufl.,<br />

BetrVG § 20 Rn. 6 f.). Denn dies ist nicht mit dem den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl<br />

treffenden Neutralitätsgebot zu vereinbaren, das daraus folgt, dass die Betriebsratswahl der Legitimation der betrieblichen<br />

Arbeitnehmerrepräsentanten dient, die im Verhältnis zum Arbeitgeber die Beteiligungsrechte der Belegschaft<br />

ausüben (vgl. Thüsing aaO). Die Vorteilsgewährung muss dabei nicht zwingend gegenüber einem einzelnen Arbeitnehmer<br />

erfolgen, eine unzulässige Wahlbeeinflussung liegt vielmehr auch dann vor, wenn einer Gruppe von Arbeitnehmern<br />

ein Vorteil zugesagt wird (vgl. Thüsing aaO Rn. 17 mwN, auch zur Gegenauffassung). Davon ausgehend<br />

ist auch die finanzielle oder sonstige tatsächliche Unterstützung von Wahlpropaganda einer Vorschlagsliste durch<br />

den Arbeitgeber nach § 20 Abs. 2 BetrVG verboten (BAGE 53, 385; ebenso Koch aaO; Fitting aaO; aA Kreutz aaO<br />

144


Rn. 30; vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 10. No-vember 2005 - 1 A 5076/04, BeckRS 2006, 20067 zum im<br />

Wesentlichen inhaltsgleichen § 21 Abs. 1 LPVG NRW). Denn auch dadurch, dass einer Vorschlagsliste durch die<br />

Zuwendung von Geldmitteln ermöglicht wird, sich im Zusammenhang mit der Wahl nachhaltiger als sonst möglich<br />

zu präsentieren, wird die Willensbildung der Wahlberechtigten mittelbar beeinflusst. Dies gilt jedenfalls dann, wenn<br />

- wie hier - die finanzielle Unterstützung einzelner Kandidaten oder einer bei der Betriebsratswahl zur Wahl stehenden<br />

Liste durch den Arbeitgeber verschleiert wird. Die tatbestandsmäßige Beeinflussung der Betriebsratswahl besteht<br />

insoweit nicht allein - worauf in der Literatur teilweise abgestellt wird (Joecks in MünchKomm<strong>StGB</strong>, § 119<br />

BetrVG Rn. 16; Kudlich in Festschrift für Heinz Stöckel, 2009, S. 93 , 110 f.) - in der infrastrukturellen Unterstützung<br />

einer betriebsverfassungsrechtlichen Wahlliste, sondern auch in der damit einhergehenden Verschleierung der<br />

Finanzierung, die zudem nicht mit dem Neutralitätsgebot des § 75 BetrVG zu vereinbaren ist. Die aktiv Wahlberechtigten<br />

können unter diesen Voraussetzungen eine von Willensmängeln freie Wahlentscheidung nicht treffen.<br />

bb) Nach diesen Maßstäben wurde vorliegend durch die Zahlungen an den Angeklagten S., die dieser zum Ausbau<br />

der AUB verwenden sollte, gegen § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen. Denn mit den Geldern wurde plangemäß erreicht,<br />

dass Kandidaten, die auf der Liste der AUB bei Betriebsratswahlen antraten, in die Betriebsräte gewählt werden<br />

konnten, um so über die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in den Betriebsräten die Zusammensetzung des Aufsichtsrates<br />

der Siemens AG zum Nachteil der dort vertretenen Mitglieder der IG Metall zu verändern. Die Urteilsfeststellungen<br />

belegen hinreichend, dass durch die Vorteilsgewährungen an die AUB <strong>und</strong> die Karriereversprechen<br />

gegenüber deren Kandidaten die durchgeführten Betriebsratswahlen auch tatsächlich beeinflusst wurden. Bei dem<br />

Vorgehen handelte es sich nicht lediglich um eine gezielte Einflussnahme auf bestimmte einzelne Betriebsratswahlen;<br />

vielmehr wurde über Jahre hinweg das Gesamtkonzept verfolgt, mittels der Unterstützung der AUB alle anstehenden<br />

Betriebsratswahlen zu beeinflussen, um später Arbeitgeberinteressen leichter durchsetzen zu können. Nach<br />

den vom Landgericht getroffenen Feststellungen bestand bei der Siemens AG bereits seit dem Jahr 1990 die Absicht,<br />

ein Gegengewicht zur IG Metall zu schaffen <strong>und</strong> eine Betriebsräteorganisation zu fördern, die sich kooperativer<br />

gegenüber der Arbeitgeberseite zeigt (UA S. 14). Einzelne Verantwortliche der Siemens AG kamen deshalb mit dem<br />

Angeklagten S. überein, dass die IG Metall in den Gremien des Aufsichtsrats <strong>und</strong> der Betriebsräte durch Unterstützung<br />

der AUB zurückgedrängt werden sollte (UA S. 20). Abredegemäß stellte die Siemens AG eigenes Personal für<br />

die Tätigkeit bei der AUB bereit <strong>und</strong> unterstützte den Aufbau der AUB durch Zahlungen in Millionenhöhe, deren<br />

Gr<strong>und</strong>lage fingierte Beratungs- <strong>und</strong> Schulungsverträge waren (UA S. 24). Entsprechend der Vereinbarung warb der<br />

Angeklagte S. in den Personalabteilungen für die Kandidatur auf der Liste der AUB, auch mit dem Argument, dass<br />

die Kandidatur von der Siemens AG mit Vorteilen für deren weiteren Aufstieg verb<strong>und</strong>en sei. Durch die Zusammenarbeit<br />

zwischen den Personalabteilungen konnten dann auch tatsächlich „zukunftsfähige“ Kandidaten gef<strong>und</strong>en werden<br />

(UA S. 24, 42). Die Vorauswahl der Kandidaten trafen der Angeklagte S. <strong>und</strong> die Personalabteilungen (UA S.<br />

105). Von den Mitgliedern der AUB waren im Jahr 2006 ca. ein Drittel bis die Hälfte in Betriebsräte - wenn auch<br />

nicht nur bei der Siemens AG - gelangt (UA S. 43). Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn die AUB von der Siemens<br />

AG nicht unterstützt worden wäre. Vielmehr wäre die AUB ohne die erhebliche finanzielle Unterstützung der<br />

Siemens AG nicht überlebensfähig gewesen (UA S. 95). Damit ist die Beeinflussung der Betriebsratswahlen bereits<br />

durch das Wahlergebnis belegt. Die Beeinflussung der Betriebsratswahlen liegt aber unabhängig vom konkreten<br />

Wahlergebnis schon darin, dass die Zahlungen der Siemens AG für die Finanzierung der Wahlwerbung der AUB<br />

verwendet wurden. Auch durch die Zahlungen an die AUB, die nicht unmittelbar in die Finanzierung von Wahlkampfwerbung<br />

flossen, wurden die anstehenden Betriebsratswahlen beeinflusst. Bereits in den 1990er Jahren hätte<br />

der Verein die Kosten für Werbe- <strong>und</strong> Informationsmaterial sowie seiner Infrastruktur <strong>und</strong> für die von ihm angebotenen<br />

Leistungen aus seinen satzungsmäßigen Einnahmequellen nicht tragen können. Dies hätte aber zur Folge gehabt,<br />

dass der von den Verantwortlichen der Siemens AG verfolgte <strong>und</strong> vom Angeklagten S. unterstützte Plan, die Kandidaten<br />

der AUB bei den Betriebsratswahlen als Gegenpol zu den Kandidaten der IG Metall zu etablieren, gescheitert<br />

wäre. Seitens der AUB hätten ohne die finanzielle Unterstützung durch die Siemens AG bereits keine Gegenkandidaten<br />

aufgestellt werden können. Damit liegt auch in der nach außen nicht erkennbaren Gewährleistung der auf die<br />

Kandidatenaufstellung gerichteten Tätigkeit der AUB eine Beeinflussung der Wahlen. Durch das kollusive Zusammenwirken<br />

von Verantwortlichen der Siemens AG mit dem Angeklagten S. wurden immer wieder der Firma Siemens<br />

genehme Betriebsratskandidaten auf einer angeblich „unabhängigen“ Liste (AUB) platziert, deren Hintergr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Motivation die Wahlberechtigten der Betriebsratswahlen nicht kannten (UA S. 134). Der Angeklagte S. selbst<br />

hat vorgetragen, dass die AUB Probleme bekommen hätte, wenn bekannt geworden wäre, dass sie von der Siemens<br />

AG gefördert wurde. Allein dies hätte gereicht, dass „die Leute uns nicht mehr gewählt hätten“ (UA S. 78). Diese<br />

Wahlbeeinflussung führte unter anderem dazu, dass an den Standorten, an denen die AUB im Betriebsrat vertreten<br />

war <strong>und</strong> auch den in von der „AUB dominierten Betriebsräten“ firmenstrategische Maßnahmen der Siemens AG u.a.<br />

145


durch Betriebsvereinbarungen erleichtert wurden <strong>und</strong> dieser wirtschaftliche Vorteile brachten (UA S. 24, 42, 43).<br />

Der Umstand, dass das Urteil keine Feststellungen dazu enthält, wie Betriebsratswahlen mit welchem konkreten<br />

Wahlergebnis durch die Zahlungen (kausal) beeinflusst wurden, ist für die Erfüllung des Tatbestands des § 119 Abs.<br />

1 Nr. 1 BetrVG unerheblich. Der Kausalitätsnachweis lässt sich in der Regel schon deshalb nicht führen, weil der<br />

Betriebsrat in geheimer Wahl gewählt wird (§ 14 Abs. 1 BetrVG). Ausreichend ist vielmehr schon der Umstand, dass<br />

sich wegen der Vorteilsgewährungen tatsächlich der Siemens AG genehme Gegenkandidaten für die Betriebsratswahlen<br />

gef<strong>und</strong>en haben. Allein dies hat schon die Wahl beeinflusst. Auch kann für die Frage, ob eine Zahlung gegen<br />

das Verbot des § 20 Abs. 2 BetrVG verstößt, nicht auf den jeweiligen Zeitpunkt der Zahlung abgestellt <strong>und</strong> gefordert<br />

werden, dass die Zahlung unmittelbar zeitlich zur Betriebsratswahl erfolgt. Gerade die hier gewählte Strategie, die<br />

Mitbestimmungsverhältnisse nachhaltig zu verändern, erforderte ein längerfristiges Vorgehen, das „notwendigerweise“<br />

schon im Vorfeld des eigentlichen Wahlvorgangs angelegt sein musste. So sahen es ersichtlich auch der Angeklagte<br />

S. <strong>und</strong> die Verantwortlichen der Siemens AG, was - von deren Standpunkt aus - folgerichtig <strong>und</strong> deshalb<br />

auch erfolgreich war. Hinzu kommt: Wollte man dies anders sehen, könnten die Beteiligten das Wahlbeeinflussungsverbot<br />

des § 20 Abs. 2 BetrVG dadurch umgehen, dass sie die Vorteile in einem zeitlichen Abstand zu der<br />

Wahl gewähren.<br />

b) Da demnach ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 BetrVG gegeben ist <strong>und</strong> der Mitangeklagte Fe. diesbezüglich auch<br />

vorsätzlich handelte, hat er, indem er die Zahlungen veranlasste, auch den Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2<br />

BetrVG erfüllt. Dies ergibt sich daraus, dass diese Norm den Wort-laut des § 20 Abs. 2 BetrVG übernimmt <strong>und</strong><br />

zwischen beiden Vorschriften ein systematischer <strong>und</strong> teleologischer Zusammenhang besteht (vgl. Oetker in GK-<br />

BetrVG, 9. Aufl., § 119 Rn. 12 mwN). Der für die Verwirklichung des Tatbestandes notwendige Erfolg (vgl. Oetker<br />

aaO Rn. 13 mwN) ist nach den vorstehenden Ausführungen eingetreten. Die Zahlungen der Siemens AG haben die<br />

freie Willensbildung bei den jeweiligen Betriebsratswahlen <strong>und</strong> damit deren Integrität beeinflusst. Bei der gegebenen<br />

Sachlage muss der Senat nicht abschließend entscheiden, ob es - wie teilweise vertreten wird (vgl. Sax, Die Strafbestimmungen<br />

des Betriebsverfassungsgesetzes, Diss. 1975 S. 73 f.; Dannecker in Festschrift für Gitter, 1995, 167,<br />

179) - verfassungsrechtlich geboten ist, den Anwendungsbereich von § 119 BetrVG im Wege der teleologischen<br />

Reduktion auf solche Verstöße zu beschränken, die sich als erheblich erweisen. Denn die verfahrensgegenständlichen<br />

Zahlungen, die über mehrere Jahre unter Verschleierung ihres tatsächlichen Zwecks <strong>und</strong> unter nachhaltigem<br />

Verstoß gegen das dem Arbeitgeber nach dem Betriebsverfassungsgesetz in Bezug auf die Betriebsratswahlen treffende<br />

Neutralitätsgebot geleistet wurden, um - im Ergebnis auch erfolgreich - zur einseitigen Förderung der Arbeitgeberinteressen,<br />

über die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in den Betriebsräten die Zusammensetzung des Aufsichtsrates<br />

der Siemens AG zum Nachteil der dort vertretenen Mitglieder der IG Metall, die ihrerseits Schutz nach<br />

Art. 9 Abs. 3 GG genießt, zu verändern, erweisen sich sowohl im Hinblick auf den Wortlaut, insbesondere aber auch<br />

mit Blick auf den von § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG i.V.m. § 20 Abs. 2 BetrVG verfolgten Zweck als ein erheblicher<br />

Verstoß.<br />

c) Erfüllten die Zahlungen mithin den Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BetrVG, unterfielen sie dem Abzugsverbot<br />

des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG (vgl. Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG, 201. Aktualisierung September<br />

2009, § 4 Rn. Q 60). Auf die eigenständige Verfolgbarkeit der Straftat kommt es nicht an. Es ist daher auch unbeachtlich,<br />

ob der nach § 119 Abs. 2 BetrVG erforderliche Strafantrag gestellt wurde oder ob hinsichtlich dieser Straftat<br />

Verfolgungsverjährung eingetreten ist (Söhn aaO Rn. Q 68 mwN). Indem die Zahlungen gleichwohl als Betriebsausgaben<br />

geltend gemacht wurden, wurden von der Siemens AG geschuldete Steuern verkürzt bzw. ungerechtfertigte<br />

Verlustvorträge erlangt.<br />

d) Insbesondere im Hinblick darauf, dass die vom Angeklagten S. erstellen Scheinrechnungen mit Wissen des Mitangeklagten<br />

Fe. in der Buchhaltung der Siemens AG erfasst wurden, erweist sich auch der Schluss des Landgerichts,<br />

dass der Mitangeklagte Fe. die Verkürzung von Steuern zumindest billigend in Kauf nahm, zumindest als möglich,<br />

eher sogar als nahe liegend <strong>und</strong> ist damit rechtlich nicht zu beanstanden.<br />

2. Auch soweit der Angeklagte S. hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2000 bis 2004 (Tatkomplex III.4 der Urteilsgründe)<br />

wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen (jeweils in gleichartiger Tateinheit von Hinterziehung von<br />

Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer <strong>und</strong> Umsatzsteuer) verurteilt wurde, wird der Schuldspruch<br />

von den Feststellungen getragen.<br />

IV. Die Verfolgungsbeschränkung gemäß § 154a StPO im Tatkomplex III.1/2 der Urteilsgründe führt zu einer Änderung<br />

<strong>und</strong> Neufassung des Schuldspruchs. Dabei sieht der Senat davon ab, in den Fällen, in denen sich der Angeklagte<br />

S. zugleich mehrfach wegen Steuerhinterziehung, Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder Betrug strafbar gemacht hat,<br />

die jeweils gleichartige Tateinheit im Tenor zum Ausdruck zu bringen. Nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO genügt die<br />

Angabe der rechtlichen Bezeichnung der Tat; daher reicht hier die Bezeichnung „Steuerhinterziehung“, „Beihilfe zur<br />

146


Steuerhinterziehung“ <strong>und</strong> „Betrug“ aus. Zwar kann es sich gr<strong>und</strong>sätzlich auch bei gleichartiger Tateinheit empfehlen,<br />

dieses Konkurrenzverhältnis im Urteilsspruch kenntlich zu machen. Davon kann aber abgesehen werden, wenn - wie<br />

hier - der Tenor unübersichtlich würde. Denn dies widerspräche dem auch zu berücksichtigenden Gebot der Klarheit<br />

<strong>und</strong> Verständlichkeit der Urteilsformel (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 5 StR 127/07, wistra 2007, 388,<br />

391; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 525/05; BGH, Beschluss vom 27. Juni 1996 - 4 StR 3/96, NStZ<br />

1996, 610, 611). Für die Bezeichnung der Tat gemäß § 260 Abs. 4 StPO genügt bei einer Straftat nach § 370 AO im<br />

Übrigen die Angabe „Steuerhinterziehung“. Die Angabe der Steuerart gehört nicht zur Deliktsbezeichnung gemäß §<br />

370 AO (BGH, Beschluss vom 13. September 2007 - 5 StR 292/07, BGHR, StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung<br />

9). Die vom Landgericht angenommene Klammerwirkung der nach § 154a StPO von der Verfolgung ausgenommenen<br />

Beihilfe zur Untreue im Hinblick auf sonst an sich rechtlich selbständige Taten des Betruges beschwert<br />

den Angeklagten S. nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1983 - 5 StR 319/83, StV 1983, 457; BGH, Beschluss<br />

vom 6. September 1988 - 1 StR 481/88, NStZ 1989, 20).<br />

V. Die rechtsfehlerfrei gebildeten Einzelstrafen im Tatkomplex III.3 der Urteilsgründe können bestehen bleiben. Im<br />

Übrigen haben die Strafaussprüche allerdings keinen Bestand.<br />

1. Soweit der Angeklagte S. im Tatkomplex III.4 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, hält<br />

der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn das Landgericht hat den Schuldumfang zu Lasten des<br />

Angeklagten S. falsch bestimmt. Der Berechnung der hinterzogenen Einkommensteuer <strong>und</strong> des hinterzogenen Solidaritätszuschlages<br />

wurde ein zu hohes zu versteuerndes Einkommen, der Berechnung der hinterzogenen Gewerbesteuer<br />

ein zu hoher Gewerbeertrag zu Gr<strong>und</strong>e gelegt. Entgegen der Auffassung der Strafkammer unterfielen die<br />

Aufwendungen für die Zwecke der AUB, die der Angeklagte S. von den Konten seines Unternehmens, aber aus<br />

Mitteln der Siemens AG tätigte, nicht dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG. Zwar hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frage, ob ein Abzugsverbot eingreift, für jeden Steuerpflichtigen<br />

gesondert zu behandeln ist. Das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG würde hier aber bei dem Angeklagten S.<br />

im Ergebnis zu einer Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips <strong>und</strong> des in § 40 AO verankerten Gr<strong>und</strong>satzes der<br />

Wertneutralität der Besteuerung (Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff EStG, 201. Aktualisierung September 2009, §<br />

4 Rn. Q 15) führen. Dies gebietet eine restriktive Auslegung des Abzugsverbots. Namentlich dann, wenn - wie hier -<br />

die Zuwendung i.S.v. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG unter Zwischenschaltung eines Dritten gewährt wird, der selbst mit der<br />

Zuwendung <strong>und</strong> bei deren Weiterleitung keine weitergehenden Ziele verfolgt als der eigentliche Vorteilsgeber, greift<br />

das Abzugsverbot lediglich bei diesem, nicht aber bei dem - letztlich als (Geld-)Bote fungierenden - Mittler. In solchen<br />

Fällen ist die Vorteilszuwendung allein dem eigentlichen Vorteilsgeber zuzurechnen, in dessen Interesse sie<br />

auch erfolgt. Nur so kann zudem verhindert werden, dass es zu einer unzulässigen Doppelbesteuerung des für die<br />

Zuwendung aufgewandten Betrages kommt. Ein anderes Ergebnis ist auch im Hinblick auf den Zweck des Abzugsverbotes<br />

i.S.v. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG - die Bekämpfung der Korruption (BT-Drucks. 13/1686 S. 18; 14/265 S. 170)<br />

- nicht geboten. Diesem wird vielmehr hinreichend durch das Abzugsverbot bei dem eigentlichen Vorteilsgeber<br />

Rechnung getragen. Der Schuldspruch wird von der fehlerhaften Bestimmung des Schuldumfangs bei den Ertragsteuern<br />

nicht berührt, weil - auch im Hinblick auf die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen - auszuschließen ist,<br />

dass eine Steuerverkürzung insgesamt entfallen könnte. Auch soweit der Angeklagte S. tat-einheitlich zur Hinterziehung<br />

der Umsatzsteuer wegen Hinterziehung der Einkommen- <strong>und</strong> Gewerbesteuer sowie des Solidaritätszuschlags<br />

verurteilt wurde, hat der Schuldspruch Bestand. Auf Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen Feststellungen kann ausgeschlossen<br />

werden, eine Neuberechnung der Höhe der hinterzogenen Ertragsteuern könnte zu einer derartigen Minderung der<br />

Hinterziehungsbeträge führen, dass insoweit der Schuldspruch entfiele (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2008 - 5<br />

StR 547/07, wistra 2008, 310, 313 mwN). Der Umstand, dass das Landgericht die gebotene Gewerbesteuerrückstellung<br />

mit Hinweis auf den Beschluss des B<strong>und</strong>esfinanzhofs vom 13. Februar 2008 - I B 175/07 noch nicht bei der<br />

Bestimmung des tatbestandsmäßigen Schuldumfangs, sondern erst bei der Strafzumessung berücksichtigt hat, beschwert<br />

den Angeklagten S. nicht. Es bleibt daher für ihn ohne nachteilige Auswirkung, dass die vom Landgericht<br />

herangezogene Entscheidung nicht die vorliegende Rechtsfrage betrifft. Im Steuerstrafrecht ist bei Bestimmung des<br />

tatbestandsmäßigen Verkürzungsumfangs als Vergleichsgröße zur festgesetzten Steuer die Steuer zugr<strong>und</strong>e zu legen,<br />

die der Steuerpflichtige geschuldet hätte, wenn er zutreffende Angaben gemacht hätte (vgl. BGH, Urteil vom 12.<br />

Januar 2005 - 5 StR 301/04, wistra 2005, 144, 145). Dem steht vorliegend auch nicht das Kompensationsverbot (§<br />

370 Abs. 4 Satz 3 AO) entgegen, weil die Bildung der Gewerbesteuerrückstellung in unmittelbarem Zusammenhang<br />

mit den verschwiegenen steuererhöhenden Umständen steht. Der Vorteil hätte dem Angeklagten S. bei wahrheitsgemäßen<br />

Angaben ohne weiteres zugestanden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2008 - 5 StR 547/07, wistra 2008,<br />

310, 312 mwN).<br />

147


2. Im Hinblick auf die Verfolgungsbeschränkung gemäß § 154a StPO kann auch der Einzelstrafausspruch im Tatkomplex<br />

III.1/2 der Urteilsgründe keinen Bestand haben. Durch die Verfolgungsbeschränkung hat sich der Schuldumfang<br />

in diesem Tatkomplex verringert. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne den Vorwurf<br />

der Beihilfe zur Untreue <strong>und</strong> damit allein für den Betrug gegenüber der Siemens AG eine niedrigere - wenn<br />

auch, schon wegen des verübten Betrugs in Millionenhöhe, nicht unangemessen erscheinende - Einzelstrafe als drei<br />

Jahre <strong>und</strong> sechs Monate Freiheitsstrafe verhängt hätte. Dies <strong>und</strong> die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen des<br />

Tatkomplexes III. 4 der Urteilsgründe (Steuerhinterziehung in fünf Fällen; vgl. vorstehend V.1.) zieht die Aufhebung<br />

des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.<br />

3. Die Urteilsfeststellungen können bestehen bleiben, da sie von den Fehlern in der Rechtsanwendung, die zur <strong>Teil</strong>aufhebung<br />

des Strafausspruchs führen, nicht betroffen sind. Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen,<br />

die mit den bisherigen nicht im Widerspruch stehen.<br />

VI. Eine Erstreckung der Schuldspruchänderung <strong>und</strong> der Aufhebung des Strafausspruchs auf den nichtrevidierenden<br />

Mitangeklagten Fe. findet nicht statt, weil sich die Änderung des Schuldspruchs allein aus der Verfolgungsbeschränkung<br />

ergibt (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08 mwN).<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1; PartG Rechtswidrige Parteispenden keine Untreue, wenn PartG <strong>und</strong> Parteisatzung<br />

keinen Bezug zu Vermögensbetreuungspflicht herstellen<br />

BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 1 StR 94/10 - NJW 2011, 1747<br />

1. Die unzulässige Aufnahme rechtswidrig erlangter Parteispenden in den Rechenschaftsbericht<br />

einer Partei stellt auch dann keine pflichtwidrige Handlung i.S.d. Straftatbestandes der Untreue<br />

gemäß § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> dar, wenn das Parteiengesetz für diesen Fall gegen die Partei eine zwingende<br />

finanzielle Sanktion vorsieht, hier den Verlust auf staatliche Mittel im Rahmen der Parteienfinanzierung<br />

in Höhe des Zweifachen des erlangten Betrages gemäß § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG idF<br />

vom 28. Januar 1994. Pflichtwidrig i.S.d. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> sind nur Verstöße gegen vermögensschützende<br />

Normen. Der hier verletzte § 25 PartG idF vom 28. Januar 1994 bezweckt einen solchen<br />

Vermögensschutz nicht (Fortführung von BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09).<br />

2. Die Parteien können aber - z.B. durch Satzungen - bestimmen, dass die Beachtung der Vorschriften<br />

des Parteiengesetzes für die Funktionsträger der Partei eine selbständige das Parteivermögen<br />

schützende Hauptpflicht i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> darstellt.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 13. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. August 2009 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben mit Ausnahme der Feststellungen zur Vorgeschichte, zum objektiven Tatgeschehen, außer zum<br />

Inhalt der ergangenen Steuerbescheide, <strong>und</strong> zum Geschehen in der Folgezeit.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Untreue in Tateinheit mit Betrug <strong>und</strong> wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt<br />

hat. Die Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. hat das Landgericht jeweils wegen Beihilfe zur Untreue<br />

in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug <strong>und</strong> wegen Steuerhinterziehung zu Gesamtgeldstrafen zwischen 80 <strong>und</strong> 130<br />

Tagessätzen verurteilt. Weiter hat es angeordnet, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung drei Monate<br />

der Gesamtfreiheitsstrafe sowie jeweils 30 Tagessätze der Gesamtgeldstrafen als vollstreckt gelten. Hiergegen<br />

richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügen.<br />

Die Rechtsmittel der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg <strong>und</strong> führen zur Aufhebung des angefochtenen<br />

Urteils <strong>und</strong> zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Lediglich die getroffenen Feststellungen haben<br />

teilweise Bestand. Die weitergehenden Revisionen sind unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO; auch die geltend gemachten<br />

Prozesshindernisse bestehen nicht.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

148


1. Der Angeklagte B. war seit dem Jahr 1998 bis zu seinem Rücktritt am 28. Oktober 2003, der aufgr<strong>und</strong> der Vorwürfe<br />

erfolgte, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, Vorsitzender des Kreisverbandes der CDU Köln.<br />

In dieser Eigenschaft vertrat er den Kreisverband nach dessen Satzung gerichtlich <strong>und</strong> außergerichtlich <strong>und</strong> wirkte<br />

auch an der Erstellung der Rechenschaftsberichte des Kreisverbandes mit. Als mit Parteifinanzen befasster Funktionsträger<br />

war der Angeklagte B. gemäß § 7 Abs. 1 der zur Tatzeit geltenden Finanz- <strong>und</strong> Beitragsordnung (FBO) des<br />

CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen verpflichtet, bei Parteispenden die Bestimmungen des Parteiengesetzes,<br />

des B<strong>und</strong>esstatuts der CDU <strong>und</strong> der FBO strikt einzuhalten. In diesem Zusammenhang war zur Tatzeit im „Leitfaden<br />

zum Abrechnungsbuch für Stadt-, Stadtbezirks-, Gemeinde-, Ortsverbände“ der CDU Deutschland unter „1.<br />

Einleitung“ festgehalten: „Alle Parteien sind bekanntlich zur umfassenden Rechnungslegung über Einnahmen <strong>und</strong><br />

Ausgaben <strong>und</strong> die Zusammensetzung ihres Vermögens verpflichtet. Die Rechenschaftsberichte der einzelnen Organisationsstufen<br />

bauen aufeinander auf. Die B<strong>und</strong>espartei kann ihren gesetzlichen Pflichten somit nur nachkommen,<br />

wenn alle Organisationsstufen richtige <strong>und</strong> vollständige Aufzeichnungen über ihren Zahlungsverkehr machen. Jeder<br />

mit Parteifinanzen befasste Funktionsträger muss sich bewusst sein, dass Verstöße gegen die gesetzlichen Buchführungspflichten<br />

zu erheblichen finanziellen Nachteilen für die Partei führen können.“ In Kenntnis der ihn als Kreisvorsitzenden<br />

treffenden Pflichten wirkte er an der Erstellung des Rechenschaftsberichts des CDU-Kreisverbandes<br />

Köln für das Jahr 1999 mit, den er unter dem Datum des 26. Juni 2000 gemeinsam mit dem Schatzmeister des Kreisverbandes<br />

<strong>und</strong> dem Kreisgeschäftsführer unterschrieb. Dem Rechenschaftsbericht war eine - ebenfalls vom Angeklagten<br />

B. sowie dem Schatzmeister <strong>und</strong> dem Kreisgeschäftsführer unterzeichnete - schriftliche Erklärung beigefügt,<br />

in der unter anderem versichert wurde, dass im Berichtszeitraum Spenden im Einzelfall von mehr als 1.000 DM nur<br />

angenommen worden seien, wenn der Spender feststellbar gewesen sei, <strong>und</strong> dass Spenden nach § 25 Abs. 2 PartG<br />

1994, deren Gesamtwert 20.000 DM überstieg, aufgeführt seien. Diese Erklärung <strong>und</strong> in der Folge auch der Rechenschaftsbericht<br />

waren - wie der Angeklagte B. wusste - falsch. Im Laufe des Jahres 1999 hatte der Angeklagte B.<br />

insgesamt 67.000 DM als anonyme Parteispenden erhalten, wobei sich der Gesamtbetrag aus Spenden von jeweils<br />

mehr als 1.000 DM zusammensetzte. Das Geld übergab der Angeklagte B. im Zusammenhang mit dem Kommunalwahlkampf<br />

1999 an drei verschiedenen Tagen im August 1999 in <strong>Teil</strong>beträgen jeweils in bar an den Kreisgeschäftsführer<br />

M., <strong>und</strong> zwar am 18. August <strong>und</strong> am 26. August 1999 jeweils 25.000 DM sowie an einem weiteren, nicht<br />

näher feststellbaren Tag im August 1999 17.000 DM. Der Kreisgeschäftsführer M. leitete die Gelder jeweils unmittelbar<br />

nach der Übergabe an die Kreisgeschäftsstelle der CDU Köln weiter, von wo aus sie dann auf das Konto der<br />

CDU Köln bei der Stadtsparkasse Köln in <strong>Teil</strong>beträgen einbezahlt wurden. Der zuständige Mitarbeiter der CDU-<br />

Kreisgeschäftsstelle verbuchte zunächst den Gesamtbetrag in der internen Kontenbuchhaltung der Geschäftsstelle als<br />

Parteispende des Angeklagten B. auf dessen Mitgliedskonto, weil der Angeklagte ihm gegenüber als Übergeber der<br />

Spenden angegeben worden war. Um den oder die tatsächlichen Spender der insgesamt 67.000 DM <strong>und</strong> die Höhe der<br />

tatsächlichen Spenden zu verschleiern, veranlasste der Angeklagte B., dass der Gesamtbetrag in der Buchhaltung des<br />

CDU-Kreisverbandes Köln - entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten - gestückelt in Einzelbeträgen zwischen 200<br />

DM <strong>und</strong> 7.000 DM einzelnen Personen zugeordnet wurde, die zum Schein als Spender auftraten <strong>und</strong> unter denen<br />

sich auch die Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. befanden. Dadurch war es - wie vom Angeklagten B.<br />

gewollt - möglich, den Gesamtbetrag dem Kreisverband der CDU Köln zugute kommen zu lassen, den Angeklagten<br />

B. als Einwerber der Spenden auszuweisen <strong>und</strong> die Parteispenden bei der Festsetzung der staatlichen Parteifinanzierung<br />

zu Gunsten der B<strong>und</strong>es-CDU zu berücksichtigen. Bei Erstellung <strong>und</strong> Einreichung des aufgr<strong>und</strong> der vorstehenden<br />

Tatsachen unrichtigen Rechenschaftsberichts des CDU-Kreisverbandes Köln waren dem Angeklagten B. die<br />

Vorschriften des Parteiengesetzes 1994, die Satzung der CDU Deutschland - Landesverband Nordrhein-Westfalen,<br />

die Finanz- <strong>und</strong> Beitragsordnung des CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen <strong>und</strong> der Kontenrahmen der CDU<br />

Deutschland ebenso bekannt wie der Leitfaden zum Abrechnungsbuch für Stadt-, Stadtbezirks-, Gemeinde- <strong>und</strong><br />

Ortsverbände sowie die dazugehörigen Richtlinien für den Kontenrahmen der CDU Deutschland. Er wusste daher,<br />

dass die unrichtig erfassten Spenden (Verteilung auf vorgebliche Spender) in den Rechenschaftsbericht des Kreisverbandes<br />

<strong>und</strong> im weiteren in den Rechenschaftsbericht der B<strong>und</strong>es-CDU einfließen <strong>und</strong> damit Gr<strong>und</strong>lage des Antrages<br />

der B<strong>und</strong>espartei an den Präsidenten des Deutschen B<strong>und</strong>estages auf Festsetzung der staatlichen Parteifinanzierung<br />

sein würden. Dem Angeklagten B. war auch bewusst, dass durch die unrichtige Verbuchung der 67.000 DM<br />

im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung eine zu hohe Festsetzung zugunsten der B<strong>und</strong>es-CDU <strong>und</strong>, bei Erreichen<br />

der Maximalgrenze der Finanzierung, bei anderen Parteien eine zu niedrige Festsetzung erfolgen würde.<br />

Gleichwohl veranlasste er mit der Verbuchung falscher Spendernamen die Erstellung eines unrichtigen Rechenschaftsberichts<br />

des CDU-Kreisverbandes Köln, um das Parteivermögen rechtswidrig zu mehren. Aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

Kenntnis um die Statuten seiner Partei erkannte der Angeklagte B. auch die Gefahr für das Vermögen des CDU-<br />

Kreisverbandes Köln, die sich daraus ergab, dass die Kreisverbände gegenüber dem Landesverband <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>es-<br />

149


partei im Innenverhältnis für Maßnahmen nach § 23a Abs. 1 PartG hafteten, die durch ein von den Kreisverbänden<br />

zu vertretendes Fehlverhalten verursacht wurde. § 23a Abs. 1 PartG in der zur Tatzeit geltenden Fassung (im Folgenden:<br />

§ 23a PartG aF) sah vor, dass Parteien, die Spenden rechtswidrig erlangt oder nicht den Vorschriften des<br />

Parteiengesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht haben, den Anspruch auf staatliche Mittel in<br />

Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend<br />

veröffentlichten Betrages verlieren. Im Falle des Bekanntwerdens der Unrichtigkeit des Rechenschaftsberichtes bestand<br />

daher die Gefahr, dass der Kreisverband von der B<strong>und</strong>espartei in Höhe dieser Haftung in Anspruch genommen<br />

werden würde. Die Realisierung dieser Gefahr nahm der Angeklagte B. billigend in Kauf, er fand sich „mit dem als<br />

möglich erkannten Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs“ ab. Den zum Schein als Spender auftretenden Angeklagten<br />

A. , E. , L. , R. , Sch. , Sc. , S. <strong>und</strong> W. war bewusst, dass sie als vorgebliche Spender in die Buchführung <strong>und</strong> die<br />

Rechenschaftsberichte der CDU eingehen würden <strong>und</strong> dadurch dem Angeklagten B. als Vorsitzenden des Kreisverbandes<br />

halfen, die wahre Herkunft des Geldes zu verschleiern. Sie wussten auch, dass sie durch ihr Auftreten als<br />

Scheinspender den Angeklagten B. dabei unterstützten, nicht gerechtfertigte finanzielle Vorteile für die CDU im<br />

Rahmen der staatlichen Parteifinanzierung zum Nachteil des B<strong>und</strong>es oder der anderen Parteien zu erlangen. Schließlich<br />

war ihnen auch bewusst, dass die unrichtige Verbuchung der Spenden im Falle des Bekanntwerdens zu erheblichen<br />

finanziellen Nachteilen für den Kreisverband führen konnte. Dies nahmen sie ebenso billigend in Kauf wie die<br />

Möglichkeit, dass sich der Angeklagte B. mit einem solchen - freilich unerwünschten Ergebnis - für den Fall der<br />

Aufdeckung abgef<strong>und</strong>en hatte. Auf der Gr<strong>und</strong>lage des in Folge der vorgenannten Manipulationen unrichtigen Rechenschaftsberichts<br />

der CDU Deutschland gegenüber dem Präsidenten des Deutschen B<strong>und</strong>estages erfolgte mit Bescheid<br />

vom 13. Februar 2001 die endgültige Festsetzung <strong>und</strong> Auszahlung des Zuwendungsanteils im Rahmen der<br />

staatlichen <strong>Teil</strong>finanzierung der Gesamtpartei gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 PartG 1994. Diese wurde aufgr<strong>und</strong> der Manipulationen<br />

um mehr als 8.200 Euro zu Gunsten der CDU Deutschland zu hoch festgesetzt. Dieser Betrag wäre bei<br />

ordnungsgemäßem Rechenschaftsbericht den übrigen anspruchsberechtigten Parteien zugeflossen. Erst im Laufe des<br />

Jahres 2002 wurde der vorstehende Sachverhalt öffentlich bekannt, woraufhin auch das für Parteifinanzierung zuständige<br />

Referat der Verwaltung des Deutschen B<strong>und</strong>estages eine Überprüfung des Vorgangs vornahm. Eine Neubescheidung<br />

des betroffenen Festsetzungsjahrs durch den Präsidenten des Deutschen B<strong>und</strong>estags ist bisher noch nicht<br />

erfolgt; vielmehr wird der Ausgang des Strafverfahrens abgewartet, da der Sachverhalt aus Sicht der Verwaltung des<br />

Deutschen B<strong>und</strong>estages noch nicht hinreichend aufgeklärt ist. Sollte sich der dem Angeklagten B. zur Last liegende<br />

Tatvorwurf als richtig erweisen, würde der Festsetzungsbescheid vom 13. Februar 2001 gegenüber der CDU<br />

Deutschland in Höhe von 8.292,59 Euro zurückgenommen <strong>und</strong> eine Sanktion in Höhe von 68.513,11 Euro festgesetzt<br />

werden.<br />

2. Den zum Schein als Spender auftretenden Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. sowie weiteren Scheinspendern<br />

wurden vom CDU-Kreisverband Köln über die vorgeblichen Spenden Bescheinigungen ausgestellt. Diese -<br />

den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entsprechenden - Spendenbescheinigungen legten die vorgenannten Angeklagten<br />

<strong>und</strong> weitere Scheinspender im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen für den Veranlagungszeitraum<br />

1999 den jeweils zuständigen Finanzämtern vor. Dies hatte - wie beabsichtigt - zur Folge, dass die von den Empfängern<br />

der fingierten Spendenbescheinigungen zu entrichtende Steuer zu Gunsten der Steuerpflichtigen nicht zutreffend<br />

festgesetzt wurde. Der Umstand, dass die Empfänger der unrichtigen Spendenbescheinigungen diese zur Verkürzung<br />

der tatsächlich geschuldeten Steuern nutzen würden, nahm der Angeklagte B. billigend in Kauf.<br />

II.<br />

1. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten B. als Untreue (§ 266 <strong>StGB</strong>) zum Nachteil des Vermögens<br />

des CDU-Kreisverbandes Köln in Tateinheit mit Betrug zum Nachteil der anderen an der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

beteiligten Parteien sowie als Beihilfe zur Steuerhinterziehung (§ 370 AO, § 27 <strong>StGB</strong>) der Scheinspender,<br />

die die Spendenbescheinigungen steuerlich geltend gemacht haben, gewertet.<br />

a) Untreue liege vor, weil der Angeklagte B. die ihn gegenüber dem CDU-Kreisverband Köln treffende Vermögensbetreuungspflicht<br />

i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> durch die Erstellung <strong>und</strong> Unterzeichnung eines unrichtigen Rechenschaftsberichts<br />

verletzt habe. Hierdurch habe er dem Kreisverband einen Vermögensnachteil zugefügt. Dieser bestehe<br />

in einer schadensgleichen Vermögensgefährdung, die sich daraus ergebe, dass der Kreisverband nach Bekanntwerden<br />

der Manipulationen in Höhe der durch den Präsidenten des Deutschen B<strong>und</strong>estages gegenüber der CDU<br />

Deutschland zwingend zu verhängenden Sanktion von der B<strong>und</strong>espartei in Regress genommen würde.<br />

b) Betrug liege vor, weil der Angeklagte B. durch sein Verhalten das Vermögen der anderen an der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

beteiligten Parteien betrügerisch zu Gunsten der CDU Deutschland geschädigt habe. Ohne die<br />

unzulässige Aufnahme der in Wirklichkeit anonymen Spenden in den Rechenschaftsbericht der Partei wären die<br />

Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu Gunsten der B<strong>und</strong>espartei um 8.292,59 Euro geringer ausgefallen.<br />

150


Dieser Betrag wäre den anderen Parteien zugeflossen, da (auch) im Jahr 1999 die Höhe der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

die absolute Obergrenze erreicht hatte (vgl. § 18 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 5 Satz 2 PartG aF). Bei Auszahlung der<br />

den Parteien unter Beachtung der relativen Obergrenze (§ 18 Abs. 5 Satz 1 PartG aF) nach § 18 Abs. 3 PartG aF<br />

gesetzlich zustehenden Zuschüsse wäre die absolute Obergrenze der Förderung überschritten worden. Deshalb seien<br />

die Ansprüche der Parteien auf staatliche Mittel anteilig zu kürzen gewesen (§ 19 Abs. 6 Satz 2 PartG aF), ohne dass<br />

sich das Gesamtvolumen der staatlichen Mittel verändert hätte. Damit sei nicht die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

geschädigt, sondern die anderen an der staatlichen Parteienfinanzierung beteiligten Parteien, die aufgr<strong>und</strong> der unrichtigen<br />

Angaben zu den bei der CDU berücksichtigungsfähigen Spenden geringere staatliche Mittel erhalten hätten, als<br />

ihnen zugestanden hätte.<br />

c) Das Verhalten des Angeklagten B. stelle zudem eine einheitliche Beihilfe (in natürlicher Handlungseinheit) zu den<br />

Steuerhinterziehungen der Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. dar. Denn diese Angeklagten hätten - vom<br />

Angeklagten B. unterstützt - durch Geltendmachung unrichtiger Spendenbescheinigungen Einkommensteuern verkürzt.<br />

Der Taterfolg liege in der Gewährung unberechtigter Steuerermäßigungen nach § 34g EStG für Spenden an<br />

politische Parteien.<br />

2. Neben den Steuerhinterziehungen hätten die Scheinspender, indem sie sich als solche zur Verfügung gestellt hätten,<br />

dem Angeklagten B. Beihilfe zu dessen Untreue <strong>und</strong> zu dessen Betrug geleistet.<br />

III. Die Verurteilung des Angeklagten B. hat keinen Bestand. Der Schuldspruch wird von den bisherigen Feststellungen<br />

nicht getragen. Die Sache bedarf daher neuer tatrichterlicher Aufklärung.<br />

1. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Untreue zum Nachteil des CDU-<br />

Kreisverbandes Köln nicht.<br />

a) Allerdings hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass den Angeklagte B. als Vorsitzenden des Kreisverbandes<br />

eine Vermögensbetreuungspflicht i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> für das Vermögen des CDU-Kreisverbandes<br />

Köln traf. Für den Vorsitzenden einer Untergliederung einer Partei gilt insoweit nichts anderes als für den Vorsitzenden<br />

eines Vereins (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1991 - 1 StR 623/90, BGHR <strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht<br />

18; BGH, Urteil vom 27. Februar 1975 - 4 StR 571/74, NJW 1975, 1234; BGH, Beschluss vom 13.<br />

Juni 1986 - 3 StR 197/86, wistra 1986, 256). Daneben hatte der Angeklagte B. - ohne dass aber das Landgericht<br />

darauf abgestellt hätte - auch gegenüber der B<strong>und</strong>es-CDU eine Vermögensbetreuungspflicht i.S.v. § 266 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 240/06, NStZ-RR 2007, 176). Ihn traf die Pflicht,<br />

bei Wahrnehmung der ihm eingeräumten, (auch) für das Vermögen der B<strong>und</strong>es-CDU bedeutsamen Befugnisse die<br />

Vermögensinteressen der B<strong>und</strong>espartei zu wahren. Dies gilt namentlich auch, soweit er an den für die Parteienfinanzierung<br />

bedeutsamen Rechenschaftsberichten mitwirkte. Die B<strong>und</strong>espartei ist auf materiell <strong>und</strong> formell richtige Berichte<br />

der nachgeordneten Gebietsverbände (§ 7 PartG) über die Herkunft <strong>und</strong> die Verwendung der Mittel sowie über<br />

das Vermögen der Partei angewiesen, um dem Präsidenten des B<strong>und</strong>estages einen ordnungsgemäßen Rechenschaftsbericht<br />

(vgl. § 23 PartG) erstatten zu können. Der Angeklagte B. war daher zur Tatzeit als Vorsitzender eines solchen<br />

nachgeordneten Gebietsverbandes verpflichtet, einen den gesetzlichen Pflichten entsprechenden Bericht zu erstellen.<br />

b) Indem der Angeklagte B. den Vorschriften des Parteiengesetzes zuwider die Erstellung eines unrichtigen Rechenschaftsberichts<br />

veranlasste, verletzte er allerdings keine das Vermögen seiner Partei schützende Rechtsnorm. Er hat<br />

daher - insoweit - keine ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> verletzt. Die vorliegend<br />

betroffenen Vorschriften des Parteiengesetzes dienen vornehmlich der Sicherstellung <strong>und</strong> Transparenz der<br />

staatlichen Parteienfinanzierung. Dagegen sollen die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen der für die Parteien<br />

handelnden Personen nicht das jeweilige Parteivermögen vor Regressansprüchen des B<strong>und</strong>es schützen. Damit kann<br />

auch ein Verstoß gegen diese Vorschriften des Parteiengesetzes für sich allein keine pflichtwidrige Handlung i.S.v. §<br />

266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> darstellen. Pflichtwidrig im Sinne dieser Vorschrift sind nur Verstöße gegen vermögensschützende<br />

Normen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, NJW 2011, 88, 91). Jedenfalls der hier verletzte<br />

§ 25 PartG aF bezweckt einen solchen Vermögensschutz aber nicht. Der Umstand, dass ein Verstoß gegen die<br />

Vorschriften des Parteiengesetzes spezifische <strong>und</strong> sich damit mittelbar auf das Vermögen der Partei auswirkenden<br />

Sanktionen auslösen kann, macht diese Vorschriften nicht zu vermögensschützenden Normen i.S.v. § 266 <strong>StGB</strong>.<br />

c) Das Verhalten des Angeklagten B. berührte gleichwohl Pflichten, die das Vermögen der Partei schützen sollten.<br />

Denn die Beachtung der Vorschriften des Parteiengesetzes war hier im Verhältnis zwischen der B<strong>und</strong>esCDU <strong>und</strong> den<br />

Funktionsträgern der Partei, die mit den Parteienfinanzen befasst waren, Gegenstand einer selbständigen, von der<br />

Partei statuierten Verpflichtung. Diese parteiinterne Pflicht war dem Angeklagten B. auch bekannt. Im Leitfaden<br />

zum Abrechnungsbuch für Stadt-, Stadtbezirks-, Gemeinde- <strong>und</strong> Ortsverbände der CDU Deutschland wurde von<br />

jedem mit Parteienfinanzen befassten Funktionsträger ausdrücklich die Beachtung der gesetzlichen (d.h. aus dem<br />

Parteiengesetz folgenden) Buchführungspflichten gefordert, damit finanzielle Nachteile für die Partei vermieden<br />

151


werden (UA S. 15 f.). Diese Forderung, die gesetzlichen Buchführungspflichten zu beachten, beschränkte sich nicht<br />

auf die allgemeine Aufforderung zum gesetzestreuen Verhalten. Vielmehr sollten mit der statuierten Verpflichtung<br />

zur Einhaltung der Vorschriften des Parteiengesetzes gerade - wie sich aus dem Hinweis auf die aus Verstößen resultierenden<br />

finanziellen Nachteilen ergibt - Vermögenseinbußen vermieden werden, die sich aus gesetzwidrigem Verhalten<br />

ergeben können. Hierdurch wurde die Beachtung der Vorschriften des Parteiengesetzes für die mit den Parteienfinanzen<br />

befassten Funktionsträger der Partei zu einer fremdnützigen, das Parteivermögen schützenden Hauptpflicht<br />

i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Die B<strong>und</strong>es-CDU durfte im Hinblick auf die bei einem Verstoß gegen das Parteiengesetz<br />

für das Parteivermögen drohenden Sanktionen entsprechende Pflichten zum Schutz des Parteivermögens<br />

durch Satzung oder parteiinterne Vorgaben begründen. Im Hinblick auf die erheblichen finanziellen Auswirkungen<br />

solcher Sanktionen besteht - jenseits eventueller Schadensersatzansprüche - ein anzuerkennendes Interesse der Parteien,<br />

die Einhaltung der Vorschriften des Parteiengesetzes gegenüber den mit den Parteienfinanzen befassten Funktionsträgern<br />

der Partei als vermögensschützende Hauptpflichten auszugestalten. Zwischen den Aufgaben der Verpflichteten<br />

<strong>und</strong> dem insoweit zu schützenden Vermögen besteht vorliegend auch ein hinreichender funktionaler Zusammenhang,<br />

der die Statuierung entsprechender - sich auch strafrechtlich auswirkender - Pflichten zum Schutz des<br />

Parteienvermögens rechtfertigt.<br />

d) Der Angeklagte B. hat die ihn treffende Vermögensbetreuungspflicht verletzt, indem er inhaltlich falsche Berichte<br />

über die Herkunft <strong>und</strong> die Verwendung der Mittel sowie über das Vermögen des CDU-Kreisverbandes erstattet hat.<br />

Wegen der parteiinternen Ausgestaltung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung als vermögensbezogene<br />

Hauptpflicht war auch der erforderliche untreuespezifische Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung <strong>und</strong> dem<br />

geschützten Rechtsgut Vermögen gegeben (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09,<br />

NJW 2011, 88, 91). Nicht der Verstoß gegen die nicht vermögensschützenden Vorschriften des Parteiengesetzes,<br />

sondern die Verletzung der dem Angeklagten B. aufgr<strong>und</strong> seiner Funktion durch Rechtsgeschäft auferlegten Treuepflichten<br />

begründete damit die Pflichtwidrigkeit seines Tuns i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Gemessen an dem schutzwürdigen<br />

Interesse der Partei als Vermögens-träger erweist sich die Pflichtverletzung des Angeklagten B. auch als<br />

gravierend (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2001 - 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148, 150; BGH, Urteil vom 6.<br />

Dezember 2001 - 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187; BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147,<br />

155). Sie war zum einen durch die Angabe von Scheinspendern gezielt verschleiert. Zum anderen war die fehlerhafte<br />

Verbuchung von Spenden geeignet, erhebliche das Parteivermögen betreffende Sanktionen nach sich zu ziehen.<br />

Auch ist zwischen der Pflichtverletzung <strong>und</strong> dem geschützten Vermögen der erforderliche funktionale Zusammenhang<br />

gegeben, der die parteiinterne Statuierung der - hier verletzten - Pflichten zum Schutz des Parteivermögens<br />

rechtfertigt.<br />

e) Die Annahme des Landgerichts, dass dem Vermögen des CDU-Kreisverbandes Köln durch das Verhalten des<br />

Angeklagten B. ein Nachteil i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> entstanden ist, wird allerdings durch die bisherigen Feststellungen<br />

nicht belegt. Das Landgericht begründet seine Wertung, dass dem Vermögen des CDU-Kreisverbandes ein<br />

Nachteil entstanden sei, damit, dass nach § 46 Abs. 4 der zur Tatzeit geltenden Satzung des CDU-Landesverbands<br />

Nordrhein-Westfalen im Falle von durch einen Kreisverband verursachten Sanktionen des Präsidenten des B<strong>und</strong>estages<br />

nach § 23a PartG aF Rückgriff auf den Kreisverband genommen werde (vgl. UA S. 175). Insoweit wird in den<br />

Urteilsgründen zwar festgestellt, dass in der Satzung entsprechende Haftungstatbestände vorhanden sind. Allerdings<br />

wird nicht festgestellt, dass der CDU-Kreisverband Köln innerhalb der CDU auch tatsächlich in Anspruch genommen<br />

wurde oder eine solche Inanspruchnahme ernsthaft droht. Die bloße Existenz eines in der Parteisatzung enthaltenen<br />

Haftungstatbestandes genügt indes nicht, um einen bereits eingetretenen Vermögensnachteil des CDU-<br />

Kreisverbandes Köln i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zu begründen. Insoweit weist die Revision zu Recht darauf hin, dass<br />

die Entscheidung über die haftungsrechtliche Inanspruchnahme eines Kreisverbandes einer Partei durch die dem<br />

Kreisverband übergeordnete B<strong>und</strong>espartei nicht in erster Linie an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet sein<br />

wird. Es hätte daher konkreter Feststellungen dazu bedurft, ob - <strong>und</strong> wenn ja, in welcher Höhe - die Durchsetzung<br />

von Ersatzansprüchen gegenüber dem CDU-Kreisverband Köln tatsächlich beabsichtigt war.<br />

f) Eine strafbare Untreue könnte allerdings auch darin liegen, dass das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten B.<br />

das Vermögen der B<strong>und</strong>es-CDU den im Parteiengesetz vorgesehenen Sanktionen ausgesetzt <strong>und</strong> damit diesem Vermögen<br />

einen Nachteil i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zugefügt hat. Das Landgericht hat indes hinsichtlich des Vermögensnachteils<br />

allein auf das Vermögen des CDU-Kreisverbandes Köln abgestellt. In der Anklage wird der Untreuevorwurf<br />

auf andere, nach Auffassung des Senats nicht tragfähige tatsächliche <strong>und</strong> rechtliche Gesichtspunkte gestützt.<br />

Der Senat könnte daher die Verurteilung nur dann auf die veränderten Gesichtspunkte stützen, wenn der Angeklagte<br />

in der Hauptverhandlung entsprechend § 265 Abs. 1 StPO hierauf hingewiesen worden wäre oder zumindest auszu-<br />

152


schließen ist, dass er sich, wenn er darauf hingewiesen worden wäre, anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

Beides ist nicht der Fall. Der Schuldspruch wegen Untreue ist daher aufzuheben.<br />

2. Die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Betruges zum Nachteil der anderen an der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

beteiligten Parteien kann ebenfalls keinen Bestand haben.<br />

a) Bereits die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Untreue bedingt die Aufhebung der Verurteilung wegen tateinheitlich<br />

begangenen Betruges. Der Senat ist schon deshalb daran gehindert, den Schuldspruch wegen Betruges isoliert<br />

aufrechtzuerhalten, weil nach den obigen Ausführungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass das neue Tatgericht<br />

wieder zu einer Verurteilung wegen (tateinheitlich begangenen) Betruges gelangen wird.<br />

b) Die Verurteilung wegen Betruges kann aber auch wegen durchgreifender Darlegungsmängel zum Umfang des den<br />

anderen Parteien entstandenen Vermögensschadens keinen Bestand haben.<br />

aa) Der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts ist allerdings nicht zu beanstanden. Indem der Angeklagte B.<br />

veranlasste, dass in den Rechenschaftsbericht der CDU (§§ 23, 24 PartG aF) rechtswidrig erlangte Spenden (hier<br />

nach § 23a Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG aF) aufgenommen wurden, damit die Partei nach Einreichung<br />

des Rechenschaftsberichts (§ 23 Abs. 2 Satz 3 PartG aF) <strong>und</strong> Beantragung der staatlichen Förderung (§ 19<br />

Abs. 1 Satz 1 PartG aF) staatliche Mittel in ihr tatsächlich nicht zustehender Höhe erhält, täuschte er den Präsidenten<br />

des Deutschen B<strong>und</strong>estages über die Bemessungsgr<strong>und</strong>lagen für die Förderung im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung.<br />

Durch die täuschungsbedingte Festsetzung (§ 19 Abs. 2 PartG aF) <strong>und</strong> Auszahlung der Förderung<br />

entstand in Höhe des nicht gerechtfertigten Auszahlungsbetrages ein Vermögensschaden. Verfügender <strong>und</strong> Geschädigter<br />

waren hier allerdings nicht identisch. Denn die Täuschung über die Höhe der berücksichtigungsfähigen Spenden<br />

ließ den Gesamtumfang der staatlichen Parteienfinanzierung unberührt <strong>und</strong> betraf nur die Verteilung der Fördersumme<br />

auf die einzelnen Parteien. Die unrichtigen Angaben im Rechenschaftsbericht der CDU konnten sich somit<br />

auf die Förderbeträge der anderen Parteien auswirken. Würde nämlich - wie hier (UA S. 35, 177) - im betroffenen<br />

Kalenderjahr bei Auszahlung der den Parteien unter Beachtung der relativen Obergrenze (§ 18 Abs. 5 Satz 1 PartG<br />

aF) gesetzlich an sich zustehenden Zuschüsse nach § 18 Abs. 3 PartG aF die absolute Obergrenze der Förderung<br />

überschritten, sind die den Parteien zustehenden Förderungsbeträge anteilig zu kürzen (§ 18 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 5 Satz 2<br />

PartG aF i.V.m. § 19 Abs. 6 Satz 2 PartG aF; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - 3 StR 240/06, NStZ-<br />

RR 2007, 176; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 3 StR 301/03, BGHSt 49, 275, 299 f.). Damit konnte der täuschungsbedingte<br />

Vermögensschaden nicht beim B<strong>und</strong>, sondern nur bei denjenigen Parteien eintreten, die wegen der<br />

Falschangaben eine niedrigere als ihnen zustehende Förderung erhielten.<br />

bb) Die Urteilsfeststellungen zum Vermögensnachteil der anderen Parteien enthalten allerdings einen durchgreifenden<br />

Rechtsfehler. Sie sind lückenhaft, weil sich aus ihnen nicht ergibt, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welchem Umfang<br />

bei den übrigen am System der staatlichen Parteienfinanzierung beteiligten Parteien durch die Festsetzung geringerer<br />

Förderungsbeträge ein Vermögensschaden eingetreten ist. Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass das Urteil<br />

auf diesem Darlegungsmangel beruht. Da hier - wie dargelegt - die Summe der staatlichen Finanzierungsbeträge die<br />

absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung überschreiten würde, waren die Ansprüche der Parteien anteilig zu<br />

kürzen, wobei sich die Förderquote einer Partei aus dem Verhältnis ihrer anrechnungsfähigen Einnahmen (§ 18 Abs.<br />

5 Satz 1 PartG aF) gegenüber denen der anderen Parteien ergab (§ 19 Abs. 5, 6 PartG aF). Zur Bestimmung des Umfangs<br />

der Auswirkung, die den Vermögensschaden der anderen Parteien bildet, hätte es der Feststellung der Finanzierungsbeträge<br />

der Parteien im betroffenen Kalenderjahr bedurft. Daran fehlt es hier.<br />

3. Die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung der anderen Angeklagten hat ebenfalls<br />

keinen Bestand. Es fehlt bereits an tragfähigen Feststellungen zu den (Haupt-)Taten der anderen Angeklagten.<br />

a) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen<br />

mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gef<strong>und</strong>en werden. Beim Delikt der Steuerhinterziehung<br />

finden sich die Merkmale der Straftat einerseits in § 370 AO <strong>und</strong> zudem in den im Einzelfall anzuwendenden<br />

steuerrechtlichen Normen, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen<br />

Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat. Um dem Revisionsgericht die sachlich-rechtliche Überprüfung<br />

der vom Tatgericht vorgenommenen Rechtsanwendung zu ermöglichen, ist es bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung<br />

erforderlich, dass alle steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt werden. Dazu gehören jedenfalls<br />

die Tatsachen, die den staatlichen Steueranspruch begründen, <strong>und</strong> diejenigen Tatsachen, die für die Höhe der geschuldeten<br />

<strong>und</strong> der verkürzten Steuern von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR<br />

718/08, NJW 2009, 2546, 2547 f. mwN).<br />

b) Wird einem der Steuerhinterziehung Verdächtigen - wie vorliegend - die Verkürzung von Einkommensteuer aufgr<strong>und</strong><br />

einer rechtswidrigen Geltendmachung von Steuerermäßigungen i.S.v. § 34g Satz 1 Nr. 1 EStG im Zusammenhang<br />

mit Zuwendungen an politische Parteien zur Last gelegt, bedarf es zunächst der Feststellung der tariflichen<br />

153


Einkommensteuer i.S.v. § 34g Satz 1 EStG. Im Hinblick auf die Obergrenzen der Ermäßigung gemäß § 34g Satz 2<br />

<strong>und</strong> 3 EStG ist daneben noch die Höhe eventueller rechtmäßiger Zuwendungen des Steuerpflichtigen einschließlich<br />

der Mitgliedsbeiträge <strong>und</strong> bei Zusammenveranlagung auch des Ehegatten festzustellen. Erst dann lässt sich der Umfang<br />

einer Steuerverkürzung bestimmen.<br />

c) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Soweit die Angeklagten Parteimitglieder waren, fehlt<br />

es schon an der Feststellung der von diesen gezahlten Mitgliedsbeiträgen. Daneben kommt angesichts der Urteilsfeststellungen<br />

in Betracht, dass einige Angeklagte tatsächlich Spenden an die CDU geleistet haben (Spenden der<br />

Angeklagten E. [UA S. 128], R. [UA S. 132 f.] <strong>und</strong> A. [UA S. 136]). Unklar bleibt insoweit, ob diese Spenden nach<br />

§ 34g EStG berücksichtigungsfähig waren <strong>und</strong> gegebenenfalls in welcher Höhe. Der Senat kann daher nicht prüfen,<br />

in welchem Umfang diesen Angeklagten aus Spenden <strong>und</strong> Mitgliedsbeiträgen tatsächlich eine Steuerermäßigung<br />

nach § 34g EStG zustand. Soweit die Angeklagten verheiratet waren, fehlt es an Feststellungen dazu, ob die Ehegatten<br />

steuerlich jeweils gemeinsam veranlagt waren <strong>und</strong> ob diese gegebenenfalls eigene nach § 34g EStG berücksichtigungsfähige<br />

Zuwendungen im Veranlagungszeitraum erbracht hatten. Der Senat kann daher für diese Angeklagten<br />

auch nicht den Höchstbetrag der Steuerermäßigung nach § 34g Satz 2 EStG feststellen. Angesichts der Höchstbeträge<br />

der Steuerermäßigung nach § 34g EStG lässt sich der vom Landgericht für den ledigen Angeklagten L. festgestellte<br />

Verkürzungsbetrag von 2.500 DM von vornherein nicht nachvollziehen. Der Senat kann nicht ausschließen,<br />

dass das Urteil zum Nachteil des Angeklagten B. auf diesen Darlegungsmängeln beruht.<br />

IV. Die Verurteilung der Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. hat ebenfalls keinen Bestand.<br />

1. Soweit diese Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden sind, ist das Urteil bereits im Hinblick auf<br />

die genannten lückenhaften Feststellungen zu ihren steuerlichen Verhältnissen aufzuheben. Der Senat kann nicht<br />

nachprüfen, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welchem Umfang sich die zu Un-recht geltend gemachten Spendenbeträge auf<br />

die Einkommensteuerfestsetzung ausgewirkt haben.<br />

2. Soweit das Landgericht diese Angeklagten wegen Beihilfe zur Untreue <strong>und</strong> zum Betrug verurteilt hat, ist das Urteil<br />

ebenfalls aufzuheben.<br />

a) Ihre Verurteilung kann schon aus denselben Gründen, die zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten B.<br />

wegen Untreue <strong>und</strong> Betruges geführt haben, keinen Bestand haben.<br />

b) Zudem hält die Beweiswürdigung zu diesen Tatvorwürfen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen<br />

zum Vorsatz werden von der Beweiswürdigung nicht getragen.<br />

aa) Nach den Urteilsfeststellungen hatten sich die Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. bereit erklärt, zum<br />

Schein als Spender aufzutreten. Das Landgericht zieht hieraus den nahe liegenden Schluss, ihnen sei bewusst gewesen,<br />

dass die wirklichen Spender nicht in der Buchhaltung der Partei aufgeführt werden sollten, damit die Partei<br />

höhere Förderungsbeträge aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten konnte. Es zieht darüber hinaus den<br />

weitergehenden Schluss, den Angeklagten sei bekannt <strong>und</strong> bewusst gewesen, dass dem CDU-Kreisverband Köln<br />

durch die Verschleierung der Herkunft der Gelder <strong>und</strong> ihrer unrichtigen Verbuchung im Falle des Bekanntwerdens<br />

erhebliche finanzielle Nachteile entstehen würden. Diese Schlussfolgerung fußt nicht auf einer ausreichenden Tatsachengr<strong>und</strong>lage.<br />

Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass derjenige, dem bekannt ist, dass Parteispenden die Höhe der<br />

staatlichen Parteienfinanzierung beeinflussen, auch weiß, dass das Parteiengesetz bei Geltendmachung überhöhter<br />

Spendenbeträge finanzielle Sanktionen gegen die Parteien vorsieht, besteht nicht. Es hätte deshalb näherer Erörterung<br />

bedurft, dass die Angeklagten - zumindest in laienhafter Parallelwertung - die Sanktionsmechanismen des Parteiengesetzes<br />

kannten <strong>und</strong> dabei billigend in Kauf nahmen, dass ihre Unterstützung des Angeklagten B. dazu führte,<br />

dass dem CDU-Kreisverband Köln nicht nur kein finanzieller Vorteil, sondern sogar ein Vermögensnachteil entstand.<br />

Der bloße Hinweis auf Presseartikel über die Struktur der Parteienfinanzierung kann die Auseinandersetzung<br />

in den Urteilsgründen mit dem konkreten Wissensstand der Angeklagten nicht ersetzen.<br />

V. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils zieht die Aufhebung der Urteilsfeststellungen nach sich. Allerdings<br />

können diejenigen Feststellungen aufrechterhalten werden, die von den Rechtsfehlern, die zur Aufhebung des Urteils<br />

geführt haben, nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Es handelt sich zu-nächst um die Feststellungen zum objektiven<br />

Tatgeschehen, dabei namentlich zur Verbuchung der Spenden in der Buchhaltung des CDU-Kreisverbandes<br />

Köln, zu den Auswirkungen auf den Rechenschaftsbericht der B<strong>und</strong>espartei <strong>und</strong> zur Entdeckung des Tatgeschehens.<br />

Auch die Feststellungen zur Vorgeschichte <strong>und</strong> zum Geschehen in der Folgezeit haben Bestand. Das neue Tatgericht<br />

kann weitere Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.<br />

VI. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

1. Die hier nach § 23a PartG aF bei der Aufdeckung der Geltendmachung rechtswidrig erlangter Parteispenden für<br />

die betroffene Partei zu erwartenden finanziellen Nachteile sind auch vor deren Festsetzung durch den Präsidenten<br />

des Deutschen B<strong>und</strong>estages im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 <strong>StGB</strong>) nicht lediglich unter dem<br />

154


Gesichtspunkt einer schadens-gleichen Vermögensgefährdung zu betrachten. Der Vermögensnachteil i.S.v. § 266<br />

<strong>StGB</strong> tritt unmittelbar mit der Entdeckung der Tathandlung ein.<br />

a) Bei den vor Inkrafttreten des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 (BGBl. I S.<br />

2268) abgeschlossenen Fällen ist § 23a Abs. 1 PartG aF die Rechtsgr<strong>und</strong>lage für den Verlust des Anspruchs auf<br />

staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten Betrages (vgl. BVerwGE 126, 254). Diese Vorschrift<br />

räumt dem Präsidenten des B<strong>und</strong>estages kein Ermessen bei der Verhängung der Sanktion ein, ihre Rechtsfolge<br />

ist zwingend („self-executing“, vgl. Saliger NStZ 2007, 545, 549; siehe auch BT-Drucks. 13/8888 S. 29). Die<br />

Voraussetzungen für die Rücknahme des ursprünglichen Bewilligungsbescheides gemäß § 48 VwVfG <strong>und</strong> die Rückforderung<br />

der zuviel gezahlten Mittel gemäß § 49a VwVfG liegen vor. Die Inanspruchnahme der Partei ist nahezu<br />

sicher, jedenfalls überwiegend wahrscheinlich. Damit ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung (vgl.<br />

BVerfG NJW 2010, 3209, 3217) das Vermögen der betroffenen Partei nach Entdeckung der Tat unmittelbar um den<br />

sich aus § 23a Abs. 1 PartG aF ergebenden - <strong>und</strong> damit bezifferbaren (BVerfG aaO S. 3209, 3220) - Abzugsbetrag<br />

vermindert. Für die Rückforderung wäre jedenfalls eine Rückstellung zu bilden (vgl. BFH NJW 1998, 2695, 2696<br />

mwN).<br />

b) Liegt - wie hier nach den Urteilsfeststellungen - zwischen der Vornahme der pflichtwidrigen Handlung (Abgabe<br />

eines falschen Rechenschaftsberichts) <strong>und</strong> der die finanziellen Nachteile auslösenden Entdeckung des Tatgeschehens<br />

ein längerer Zeitraum, steht das der Annahme eines Nachteils i.S.v. § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> nicht entgegen. Die Kausalität<br />

zwischen der vermögensbezogenen Pflichtverletzung <strong>und</strong> dem daraus resultierenden Vermögensnachteil i.S.v. §<br />

266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> wird durch das zeitliche Auseinanderfallen dieser beiden Ereignisse nicht berührt. Insofern gilt<br />

nichts anderes als bei anderen Erfolgsdelikten, bei denen zwischen Tathandlung <strong>und</strong> Taterfolg ebenfalls ein längerer<br />

Zeitraum liegen kann. Nicht erforderlich ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Tun <strong>und</strong><br />

Vermögensnachteil (vgl. aber BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, NStZ 2009, 686, 688). Der Kausalzusammenhang<br />

wird nicht dadurch unterbrochen, dass der Vermögensschaden erst bei Entdeckung der Tathandlung<br />

eintritt. Eines solchen Unmittelbarkeitserfordernisses bedarf es auch nicht im Hinblick auf die tatbestandliche Weite<br />

des § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Selbst wenn - mit der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGH aaO) - an einem über den Zurechnungszusammenhang<br />

hinausgehenden Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Pflichtwidrigkeit <strong>und</strong> Nachteil<br />

festgehalten werden sollte, würde sich daraus jedenfalls nicht ergeben, dass Pflichtwidrigkeit <strong>und</strong> Nachteil in einem<br />

engen zeitlichen Verhältnis zueinander stehen müssten. Denn „unmittelbar” bedeutet jedenfalls nicht zeitgleich,<br />

sofort oder auch nur alsbald (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, NJW 2011, 88,<br />

93). Dass bei der Rechtsfigur der schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung für die Annahme eines Vermögensnachteils<br />

eine zeitliche Nähe zwischen Tathandlung, Gefährdung <strong>und</strong> tatsächlichem Nachteil verlangt wird (vgl.<br />

BGH, Urteil vom 21. Oktober 1994 - 2 StR 328/94, BGHSt 40, 287, 296), steht bei der vorliegenden Fallkonstellation<br />

der Annahme eines unmittelbaren Nachteils nicht entgegen. Denn mit Entdeckung der Tathandlung ist das Vermögen<br />

der Partei nicht nur gefährdet. Vielmehr ist der endgültige Vermögensnachteil - in Form eines zu bilanzierenden<br />

Rückforderungsanspruchs - bereits endgültig eingetreten.<br />

2. Auch an den Untreuevorsatz sind in solchen Fällen keine gesteigerten Anforderungen zu stellen. Insbesondere<br />

liegt kein Fall einer bloß schadensgleichen Vermögensgefährdung vor, bei der teilweise verlangt wird, der Vorsatz<br />

müsse sich auch auf die Billigung des endgültigen Vermögensnachteils erstrecken (BGH, Urteil vom 18. Oktober<br />

2006 - 2 StR 499/05, BGHSt 51, 100 Rn. 63 ff.; zu den Bedenken des Senats gegen diese Rechtsprechung vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NStZ 2008, 457). Der Umstand, dass in Fällen der vorliegenden Art<br />

die sich aus einer Tatentdeckung nach dem Parteiengesetz ergebenden finanziellen Nachteile von den Handelnden<br />

nicht gewollt sind, steht auch im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des Vermögensnachteils einem bedingten<br />

Tatvorsatz nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 1997 - 4 StR 116/97, StV 1998, 127, 128). Ebenso<br />

schließen Verschleierungsmaßnahmen, die eine Entdeckung möglichst verhindern sollen, bedingten Tatvorsatz nicht<br />

von vornherein aus.<br />

3. Der Umstand, dass der Gesetzgeber zum 1. Juli 2002 die Strafnorm des § 31d PartG in Kraft gesetzt hat (BGBl. I<br />

S. 2268), mit der die hier in Rede stehenden Tathandlungen explizit unter Strafe gestellt wurden, stünde einer Verurteilung<br />

wegen Betruges oder Untreue nicht entgegen (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - 3 StR<br />

240/06, NStZ-RR 2007, 176). Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um eine gemäß § 2 Abs. 3 <strong>StGB</strong> zu beachtende<br />

Privilegierung gegenüber den Straftatbeständen der Untreue (§ 266 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> des Betruges (§ 263 <strong>StGB</strong>).<br />

Vielmehr schützt diese Strafnorm andere Rechtsgüter. Während § 31d PartG das Vertrauen der Öffentlichkeit in die<br />

Richtigkeit der Rechnungslegung nach Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG schützt (vgl. BT-Drucks. 14/8778 S. 17), dienen die<br />

§§ 266, 263 <strong>StGB</strong> dem Vermögensschutz (hier: der Partei). Mit der Schaffung des § 31d PartG sollten Strafbarkeitslücken<br />

geschlossen werden, die sich daraus ergaben, dass eine angemessene Aufklärung von unerlaubten Handlun-<br />

155


gen im Rahmen staatlicher Parteienfinanzierung nicht immer möglich war (BT-Drucks. aaO). Der Schutz von Parteivermögen<br />

gegen solche Handlungen sollte hierdurch nicht eingeschränkt werden.<br />

4. Im Hinblick auf den nicht unerheblichen weiteren Aufklärungsbedarf zu den Untreue- <strong>und</strong> Betrugsvorwürfen<br />

könnte bei den Angeklagten A., E., L., R., Sch., Sc., S. <strong>und</strong> W. wegen der seit den Taten verstrichenen Zeit eine<br />

Beschränkung des Verfahrens durch <strong>Teil</strong>einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO auf die Steuerdelikte angezeigt sein.<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Haushaltsuntreue – Vorsatz bei verschleierter Kassenkreditaufnahme durch Bürgermeister<br />

BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 1 StR 592/10 - BeckRS 2011, 09688<br />

Die allgemeine Absicht, mit den pflichtwidrigen Handlungen "letztlich" (aber nach eigenem Gutdünken)<br />

den Interessen des Treugebers nicht schaden oder ihnen dienen zu wollen, schließt den<br />

Vorsatz bei der Untreue nicht aus.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 13. April 2011 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2010 werden als unbegründet verworfen.<br />

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

I. Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Untreue in zwei Fällen zu einer zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe<br />

verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, den Angeklagten Z. hat es wegen Untreue in fünf<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren<br />

Revisionen, die sie auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> die näher ausgeführte Sachrüge stützen. Die Nachprüfung des Urteils<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs.<br />

2 StPO).<br />

II. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bedarf näherer Erörterung lediglich die Verurteilung der<br />

Angeklagten wegen Untreue (§ 266 <strong>StGB</strong>) im Zusammenhang mit zwei Kreditaufnahmen. Auch diese hält umfassender<br />

sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.<br />

1. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte S. im Tatzeitraum Erster Bürgermeister<br />

der Marktgemeinde W. , der Angeklagte Z. deren Kämmerer (zugleich Leiter der Finanzverwaltung).<br />

Nach der Haushaltssatzung der Marktgemeinde war die Aufnahme von Kassenkrediten (Art. 73 BayGO) bis zu einer<br />

Höhe von insgesamt 3 Mio. Euro gestattet. Um zu verschleiern, dass dieser Betrag (als Summe aus einem Kontokorrentkredit<br />

<strong>und</strong> „festen Kassenkrediten“ mit fixen Zinsen <strong>und</strong> Rückzahlungsterminen) seit dem Jahr 2001 zum <strong>Teil</strong><br />

erheblich überschritten wurde, verbuchten die Angeklagten - beginnend mit dem Jahresabschluss für den Haushalt<br />

des Jahres 2005 - im Haushaltsjahr angefallene Ausgaben in das darauf folgende. Mit Einnahmen verfuhren sie umgekehrt.<br />

Über das Jahresende weiterlaufende feste Kassenkredite wurden nicht ausgewiesen. Dem Gemeinderat präsentierten<br />

die Angeklagten auf diese Weise einen von ihnen so bezeichneten „ordentlichen Haushalt“, der Schuldenstand<br />

der Marktgemeinde habe sich ständig reduziert, für als erforderlich dargestellte Investitionen seien Kreditaufnahmen<br />

„nicht mehr geplant“ (Haushalt 2007) bzw. „nicht vorgesehen“ (Haushalt 2008). Im Vertrauen auf diese<br />

Angaben beschloss der Marktgemeinderat jeweils die vorgeschlagenen Hoch- <strong>und</strong> Tiefbaumaßnahmen. Um die bestehenden<br />

<strong>und</strong> dem Gemeinderat vorenthaltenen Finanzierungslücken zu decken (die den Angeklagten bekannte<br />

Summe bestehender Kassenkredite belief sich bereits auf mehr als 4 Mio. Euro), nahmen die Angeklagten im Juli<br />

2007 <strong>und</strong> im März 2008 für die Marktgemeinde weitere feste Kassenkredite in Höhe von jeweils 2 Mio. Euro auf,<br />

wobei sie gegenüber den Kreditgebern wahrheitswidrig behaupteten, die gesetzlichen <strong>und</strong> satzungsmäßigen Bestimmungen<br />

seien eingehalten. Die Darlehensvaluten wurden Konten der Gemeinde gutgebracht <strong>und</strong> „sämtlich für Aufgaben<br />

der Gemeinde verwendet“ (UA S. 19).<br />

2. Das Landgericht hat die Kreditaufnahmen - ebenso wie die drei Fälle, in denen der Angeklagte Z. private Aufwendungen<br />

über den Gemeindehaushalt abgerechnet <strong>und</strong> sich dadurch persönlich bereichert hat - jeweils als Untreue<br />

(§ 266 <strong>StGB</strong>) gewertet. Der Marktgemeinde W. sei durch die pflichtwidrige Kreditaufnahme ein Schaden in Höhe<br />

der Zinsverpflichtung gegenüber der Bank (88.279,94 Euro <strong>und</strong> 92.766,67 Euro) entstanden; es sei nicht feststellbar,<br />

dass das Ermessen des allein zur Entscheidung berufenen Gemeinderats hinsichtlich der Investitionen aus dem Bereich<br />

kommunaler Pflichtaufgaben (Art. 57 Abs. 1 BayGO) in zeitlicher Hinsicht oder der Höhe nach „auf Null reduziert<br />

gewesen wäre“ (UA S. 19).<br />

156


3. Dies ist frei von Rechtsfehlern.<br />

a) Die Angeklagten, deren Amtsstellung vermögensrechtliche Aufgaben umfasste, waren der Marktgemeinde gegenüber<br />

vermögensbetreuungspflichtig (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - 5 StR 400/06, NStZ 2007, 579;<br />

BGH, Urteil vom 9. Dezember 2004 - 4 StR 294/04, NStZ-RR 2005, 83; BGH, Urteil vom 8. Mai 2003 - 4 StR<br />

550/02, NStZ 2003, 540; BGH, Beschluss vom 20. Mai 1994 - 2 StR 202/94, NStZ 1994, 586). Der Angeklagte S.<br />

hat seine Amtsstellung missbraucht, weil er gemäß Art. 38 Abs. 1 BayGO die Gemeinde im Außenverhältnis wirksam<br />

verpflichtete. Der Angeklagte Z. handelte treuwidrig. Es wurden entgegen den Bestimmungen der Haushaltssatzung<br />

<strong>und</strong> entgegen Art. 73 BayGO, die jeweils - zumindest mittelbar - dem Schutz des gemeindlichen Vermögens<br />

dienen, weitere (feste) Kassenkredite aufgenommen. Für die Investitionen, die nicht aus dem Vermögenshaushalt der<br />

Gemeinde bestritten werden konnten <strong>und</strong> deren Finanzierung - auch nach dem Revisionsvorbringen - die Aufnahme<br />

der verfahrensgegenständlichen Kredite bedingte, hätte es einer in der Haushaltssatzung festzusetzenden (Art. 63<br />

Abs. 2 Nr. 2 BayGO) <strong>und</strong> genehmigungspflichtigen (Art. 71 Abs. 2 BayGO) Aufnahme von Kommunaldarlehen<br />

bedurft. Kassenkredite dürfen nicht dazu eingesetzt werden, Investitionen zu finanzieren, sondern dienen ausschließlich<br />

der Erhaltung der Kassenliquidität bzw. der Behebung oder Überbrückung von Liquiditätsengpässen (vgl.<br />

Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung des Freistaats Bayern, Art. 73 GO Erl. 3.; Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze,<br />

Art. 73 GO Rn. 2; Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 73 GO Rn. 2 f.).<br />

b) Durch die Kreditaufnahme haben die Angeklagten der Gemeinde in Höhe der Kreditzinsen einen Vermögensnachteil<br />

zugefügt.<br />

aa) Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs kann Untreue i.S.d. § 266 <strong>StGB</strong> auch bei Verstößen gegen<br />

haushaltsrechtliche Vorgaben o-der Prinzipien gegeben sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2003 - 5 StR 448/02,<br />

NJW 2003, 2179; BGH, Urteil vom 17. April 2002 - 2 StR 531/01, NStZ-RR 2002, 237; BGH, Urteil vom 14. Dezember<br />

2000 - 5 StR 123/00, NStZ 2001, 248; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293;<br />

BGH, Urteil vom 21. Oktober 1994 - 2 StR 328/94, BGHSt 40, 287; BGH, Urteil vom 6. Mai 1986 - 4 StR 124/86,<br />

NStZ 1986, 455; BGH, Urteil vom 1. August 1984 - 2 StR 341/84, NStZ 1984, 549; vgl. auch Dierlamm in Münch-<br />

Komm-<strong>StGB</strong>, § 266 Rn. 219 ff.; Saliger in SSW, <strong>StGB</strong>, § 266 Rn. 94 ff. mwN). § 266 <strong>StGB</strong> schützt jedoch als ein<br />

Vermögens- <strong>und</strong> Erfolgsdelikt (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, Rn. 115) nur das (private<br />

oder öffentliche) Vermögen des Geschäftsherrn oder Treugebers als Ganzes, nicht aber seine Dispositionsbefugnis.<br />

Deshalb begründet nicht jeder Verstoß gegen haushalts-rechtliche Vorschriften einen Vermögensnachteil. Vielmehr<br />

bedarf es auch in Fällen pflichtwidriger Verfügungen über Haushaltsmittel der eigenständigen, wirtschaftlich nachvollziehbaren<br />

Feststellung, dass das Vermögen des Berechtigten im Ganzen in einer bestimmten Höhe unter Berücksichtigung<br />

der durch die Verfügung erlangten Vermögensmehrungen vermindert ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. April<br />

2003 - 5 StR 448/02, NJW 2003, 2179; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293 jew.<br />

mN).<br />

bb) Nach der Haushaltssatzung sollten die beschlossenen Baumaßnahmen ausschließlich aus dem Vermögenshaushalt<br />

bestritten werden. Die Angeklagten haben für die genehmigten Zwecke - Tief- <strong>und</strong> Hochbaumaßnahmen - die<br />

falschen Mittel (Darlehen) eingesetzt. Durch die Verpflichtung zur Zahlung von Kreditzinsen haben sie dem Haushalt<br />

ohne Gegenwert für die Gemeinde Mittel in Höhe dieser Zinsen endgültig <strong>und</strong> dauerhaft entzogen. Die Darlehensaufnahme<br />

stellt angesichts der Rückzahlungsverpflichtung keinen wirtschaftlichen Vorteil für die Gemeinde dar,<br />

ein anderer wirtschaftlicher Vorteil ist nicht ersichtlich. Auf das angestrebte oder erhoffte wirtschaftliche Gesamtergebnis<br />

am Ende des Haushaltsjahres kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 17. April 2002 - 2 StR 531/01, NStZ-RR<br />

2002, 237 mwN; Dierlamm in Münch-Komm-<strong>StGB</strong>, § 266 Rn. 219). Vage oder nur mittelbare Vorteile aus der -<br />

wenn auch von Anfang an beabsichtigten - Verwendung der Kreditmittel für kommunale Baumaßnahmen (die Revision<br />

nennt z.B. die erhöhte Attraktivität der Gemeinde) stellen keinen den Nachteil ausgleichenden vermögenswerten<br />

Vorteil dar. Im Übrigen ergeht sich die Revision insoweit - was in der Natur derartiger Überlegungen liegt - in reinen<br />

Spekulationen. Der in der pflichtwidrig eingegangenen Zinszahlungsverpflichtung liegende Schaden hat sich - sukzessive<br />

- in voller Höhe realisiert <strong>und</strong> konnte - rechtsfehlerfrei - in dieser Höhe der Verurteilung der Angeklagten<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegt werden. Die Angeklagten können sich hier auch nicht darauf berufen, durch einen von ihnen durch<br />

Manipulationen <strong>und</strong> Täuschung herbeigeführten Gemeinderatsbeschluss oder aufgr<strong>und</strong> der Dringlichkeit der die<br />

Kreditaufnahme bedingenden Investitionen zum Mitteleinsatz verpflichtet gewesen zu sein oder der Marktgemeinde<br />

eine sonst unumgängliche Inanspruchnahme anderweitiger Mittel oder eine anderweitige Kreditaufnahme erspart zu<br />

haben. Eine Ermessensreduzierung auf Null war nicht feststellbar, ebenso wenig, dass der Gemeindrat auch bei<br />

Kenntnis der wahren Vermögensverhältnisse die Investitionen mit Sicherheit beschlossen hätte.<br />

c) Die Feststellungen des Landgerichts begründen tragfähig den Vorsatz der Angeklagten hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit<br />

<strong>und</strong> hinsichtlich des aufgezeigten Vermögensschadens, auch wenn die Kreditaufnahmen ohne unmittelbaren<br />

157


Eigennutz für die Angeklagten erfolgten. Die Angeklagten handelten in Kenntnis aller Tatumstände, ihnen war die<br />

Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens <strong>und</strong> des dadurch bewirkten Vermögensschadens bewusst. Obwohl der Angeklagte<br />

Z. den Angeklagten S. wiederholt <strong>und</strong> ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts hinwies, unterließ<br />

dieser es, einen entsprechenden Beschluss herbeizuführen, „um sein Renommee als erfolgreicher Bürgermeister<br />

im Hinblick auf die anstehende Landratswahl nicht zu gefährden“ (UA S. 6). Hieraus den Schluss zu ziehen, die<br />

Angeklagten haben den Eintritt des oben dargestellten Vermögensschadens zumindest billigend in Kauf genommen,<br />

ist möglich - wenn nicht sogar nahe liegend. Die allgemeine Absicht, mit den pflichtwidrigen Handlungen „letztlich“<br />

(aber nach eigenem Gutdünken) den Interessen des Treugebers nicht schaden oder ihnen dienen zu wollen, schließt<br />

den Vorsatz nicht aus (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 266 Rn. 175 mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 29. August<br />

2008 - 2 StR 587/07 Rn. 48, BGHSt 52, 323, 329).<br />

4. Angesichts der Schadenshöhe hat die Strafkammer den Strafrahmen zutreffend den §§ 266 Abs. 1, Abs. 2, 263<br />

Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 <strong>StGB</strong> entnommen. Rechtsfehler bei der vom Revisionsgericht gr<strong>und</strong>sätzlich hinzunehmenden<br />

Strafzumessung werden von der Revision nicht aufgezeigt <strong>und</strong> sind auch nicht ersichtlich.<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Untreue durch schwarze Kassen bei Einverständnis mit Prinzipal<br />

BGH, Urt. v. 27.08.2010 – 2 StR 111/09 – BGHSt 55, 266 (!) = NJW 2010, 3458<br />

LS:<br />

1. Ein Geschäftsführer einer GmbH <strong>und</strong> ein Vorstand einer AG können sich wegen Untreue strafbar<br />

machen, wenn sie unter Verstoß gegen § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG <strong>und</strong> unter Verletzung<br />

von Buchführungsvorschriften eine schwarze Kasse im Ausland einrichten (Fortführung von<br />

BGHSt 52, 323).<br />

2. Ein den Untreuetatbestand ausschließendes Einverständnis der Mehrheit der Gesellschafter einer<br />

GmbH setzt voraus, dass auch die Minderheitsgesellschafter mit der Frage der Billigung der<br />

Pflichtwidrigkeit befasst waren.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 26. Mai 2008 werden mit der Maßgabe<br />

als unbegründet verworfen, dass der Tagessatz der verhängten Einzelgeldstrafen auf 1 € festgesetzt wird. Jeder<br />

Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen Beihilfe zur Untreue in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

drei Jahren verurteilt <strong>und</strong> angeordnet, dass hiervon neun Monate wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt<br />

gelten. Den Angeklagten M. hat es wegen Beihilfe zur Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt, wovon wegen überlanger Verfahrensdauer acht Monate als vollstreckt gelten.<br />

Die auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.<br />

A. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

I. Die Angeklagten F. , ein Kommunalpolitiker <strong>und</strong> späterer Abgeordneter F., des nordrhein-westfälischen Landtags,<br />

<strong>und</strong> M., ein gelernter Einzelhandelskaufmann <strong>und</strong> staatlich geprüfter Betriebswirt, waren von 1996 bis 2002 in der<br />

Unternehmensgruppe T. als leitende Angestellte tätig. Alleiniger Gesellschafter <strong>und</strong> Geschäftsführer der Muttergesellschaft<br />

T. GmbH, ab 1996 T. GmbH, deren Geschäftsgegenstand die Entsorgung von Abfällen war, war ursprünglich<br />

der gesondert verfolgte H. T.. Ende der 1980er Jahre interessierte sich der RWE-Konzern für das Geschäftsfeld<br />

der Müllentsorgung. Als Ergebnis von Verhandlungen mit T. , der Kapitalgeber benötigte, kam es 1989 zu einer<br />

Überkreuzbeteiligung an der T. GmbH einerseits <strong>und</strong> einem von der RWE AG beherrschten Entsorgungsunternehmen,<br />

der R. GmbH, andererseits: Ein RWE-Konzernunternehmen, die RWE Entsorgung GmbH, 1989 in die RWE<br />

Entsorgung AG umgewandelt <strong>und</strong> 1998 in RWE Umwelt AG umfirmiert, übernahm 49 % des Stammkapitals der T.<br />

GmbH. Das übrige Stammkapital wurde weiterhin von T. gehalten, der in der Folgezeit Anteile auf seine drei Töchter<br />

übertrug. Er selbst blieb alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer, neben ihm wurden ab 1989 weitere Geschäftsführer<br />

bestellt. Der Gesellschaftsvertrag enthielt einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte: U.a. mussten<br />

die Geschäftsführer für die Aufnahme neuer Geschäftszweige sowie bei Vergabe von Krediten ab 2 Mio. DM<br />

einen Beschluss der Gesellschafterversammlung einholen. Bei der Gesellschaft wurde ein Aufsichtsrat eingerichtet,<br />

der aus sechs Personen bestand <strong>und</strong> dessen Vorsitz vom Vorstandsvorsitzenden der RWE Entsorgung AG geführt<br />

158


wurde. T. hielt im Gegenzug gemeinsam mit seinen Töchtern 49 % der Geschäftsanteile an der ebenfalls im Bereich<br />

der Müllentsorgung tätigen R. GmbH. Die übrigen Anteile an diesem Unternehmen hatte die RWE Entsorgung AG<br />

inne. Um die absehbare Konkurrenz beider Unternehmen zu verringern, wurde eine Aufteilung der innerdeutschen<br />

Tätigkeitsregionen vereinbart. Da die RWE Entsorgung AG mittelfristig die Übernahme der Mehrheit auch an der T.<br />

-Gruppe anstrebte, kam es dennoch von Beginn an zu Spannungen zwischen den beiden Gesellschaftern im Sinne<br />

einer latenten internen Konkurrenzsituation. Zudem konkurrierten die T. -Gruppe <strong>und</strong> die RWE im Auslandsgeschäft.<br />

Bestrebungen seitens der RWE, die Interessen auch insofern zu bündeln, behinderte T., der seine Eigenständigkeit<br />

in dem finanziell lukrativen Ankauf von ausländischen Abfällen zur anschließenden Verbrennung in<br />

Deutschland behalten wollte. Das unternehmensinterne Konkurrenzverhältnis dauerte fort, nachdem die R. GmbH<br />

Ende des Jahres 1998 auf die T. GmbH verschmolzen <strong>und</strong> die Gesellschaft nach mehreren Kapitalerhöhungen mit<br />

Beschluss vom 14. Dezember 1998 in die T. AG umgewandelt worden war. Aktionäre dieser Gesellschaft waren auf<br />

der einen Seite T. <strong>und</strong> seine drei Töchter (der sog. "Stamm T. ") mit insgesamt 50 % der Anteile, auf der anderen<br />

Seite die RWE Umwelt AG mit den restlichen 50 %. Dem Vorstand der T. AG gehörten neben dem Vorsitzenden T.<br />

drei weitere dem Stamm T. zuzurechnende Mitglieder sowie ein von der RWE gewechseltes Mitglied an. T., der stets<br />

alle finanziellen Fragen in seiner Zuständigkeit behielt, war bis zum 13. März 2002 berechtigt, die Gesellschaft allein<br />

zu vertreten. Nach dem Gesellschaftsvertrag hatte der Vorstand für besonders bedeutsame, enumerativ erfasste<br />

Rechtsgeschäfte ab einer Wertgrenze von 25 Mio. € die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen. Weil der Vorstand<br />

der T. AG damit von Führungskräften aus der T. -Gruppe dominiert war, erlangte die RWE Umwelt AG keinen<br />

zusätzlichen Einfluss auf die Führung des Unternehmens. Ihr einziges Steuerungselement war vielmehr der Aufsichtsrat,<br />

dessen Mehrheit sie stellte. Eine operative Einflussnahme der RWE Umwelt AG auf das laufende Geschäft<br />

ließ T. nicht zu; lediglich Informationen über Geschäftszahlen wurden der RWE zur Verfügung gestellt. Während die<br />

übrigen Beteiligungen der RWE Umwelt AG überwiegend hohe Verluste verursachten, stellte die Beteiligung an der<br />

T. -Gruppe ihren wesentlichen Geschäftserfolg dar. Die Geschäftszahlen der T. AG waren durchgängig gut, gesetzte<br />

Zielvorgaben wurden stets eingehalten, zumeist sogar deutlich übertroffen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ließ die RWE<br />

Umwelt AG die T. AG in der beschriebenen Form "an der langen Leine" operieren, zumal immer ein uneingeschränkt<br />

positives Testat der zuständigen Wirtschaftsprüfer vorlag, die dem Aufsichtsrat persönlich berichteten.<br />

II. Anfang der 1990iger Jahre beschloss T. , ein außerhalb der Buchhaltung des T. -Konzerns geführtes Konto im<br />

Ausland als "Kriegskasse" zur Finanzierung so genannter "nützlicher Aufwendungen" einzurichten. Solche Aufwendungen<br />

sollten dazu dienen, sowohl im Inlands-, vornehmlich aber im Auslandsgeschäft bei Entscheidungsträgern<br />

eine "politische Gr<strong>und</strong>bereitschaft" herzustellen. So leistete T. aus dieser Kasse eine Zahlung in Höhe von 1,5 Mio.<br />

DM an den Bonner Lokalpolitiker M., der u.a. deswegen inzwischen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt<br />

worden ist, außerdem eine Zahlung in Höhe von 1,1 Mio. DM an zwei unbekannt gebliebene Personen in<br />

Nordspanien, um dort "Türen zu öffnen".<br />

1. Zur Einrichtung <strong>und</strong> Unterhaltung seiner "Kriegskasse" bediente T. sich der S. AG (im Folgenden S. AG) in F. in<br />

der Schweiz. Bei der S. AG handelte es sich um eine reine Domizilgesellschaft ohne eigene operative Tätigkeit. Ihr<br />

Alleinaktionär war der Schweizer H., ein gelernter Werkzeugmacher <strong>und</strong> früherer Profisportler, der in F. ein Immobilienmaklerbüro<br />

<strong>und</strong> eine Versicherungsvermittlung betrieb. Die S. AG wurde auf Gr<strong>und</strong> einer Vereinbarung zwischen<br />

H. <strong>und</strong> T. von diesem ab 1993 nach Art einer Briefkastenfirma ausschließlich dazu genutzt, Scheinrechnungen<br />

für tatsächlich nicht erbrachte Beratungsleistungen an Unternehmen des T. -Konzerns zu stellen, die darauf gezahlten<br />

Gelder auf ihrem Bankkonto in der Schweiz zu vereinnahmen <strong>und</strong> bei Bedarf auf Weisung von T. Geldbeträge in bar<br />

zurückzuleiten. Als wirtschaftlich Berechtigter wurde gegenüber der kontoführenden Bank der Zeuge S. angegeben,<br />

für den H. als Treuhänder fungierte. Bei S., der den Rücktransport des bei der Bank abgehobenen Bargelds zu T.<br />

organisierte, handelte es sich um einen früheren Düsseldorfer Lokalpolitiker, der jetzt als Lobbyist tätig war. Über<br />

die weitere Verwendung der Gelder entschied ausschließlich T. persönlich, ohne jemand anderen darüber zu informieren.<br />

H. wurde nie in nennenswertem zeitlichem Umfang für die S. AG tätig, sondern widmete sich hauptsächlich<br />

seinem Immobiliengeschäft. Unternehmen der T. -Gruppe zahlten in den Jahren bis 2001 in dieser Weise insgesamt<br />

etwa 30 Mio. DM auf ein Schweizer Bankkonto der S. AG; davon entfielen 8,5 Mio. DM auf die U. GmbH <strong>und</strong> 6,6<br />

Mio. DM auf die I. GmbH. Beide Unternehmen waren 100 %-ige Töchter der von T. geleiteten Muttergesellschaft;<br />

die U. GmbH wurde im Jahr 2000 auf die I. GmbH verschmolzen. T. bediente sich ihrer, um die Zahlungen an die S.<br />

AG angesichts der operativen Entwicklung der verschiedenen Konzerngesellschaften so aufzuteilen, dass auffällige<br />

Abweichungen von den auf Gesellschafterebene aufgestellten Wirtschaftsplänen vermieden wurden. Die Zahlungen<br />

wurden vereinbarungsgemäß wirtschaftlich von der Muttergesellschaft getragen; in den den Angeklagten F. betreffenden<br />

Fällen durch unmittelbare Erstattung an die jeweilige Tochtergesellschaft, in den den Angeklagten M. betreffenden<br />

Fällen durch Minderung der auf Gr<strong>und</strong> von Gesellschafterbeschlüssen ständig praktizierten nahezu vollstän-<br />

159


digen Gewinnabführung der I. GmbH an die T. GmbH/AG in entsprechender Höhe. Etwa 30 % der transferierten<br />

Gelder erhielt H. als Honorar für seine Dienste sowie zur Deckung der Steuerschuld der S. AG, außerdem ab 1999<br />

eine jährliche Aufwandspauschale von zumindest 300.000 DM, später 300.000 CHF. Diese diente der Deckung der<br />

Kosten, die dadurch entstanden waren, dass H. zur Aufrechterhaltung der Geschäftsfassade auf Drängen von T. 1997<br />

den Architekten D. bei der S. AG eingestellt hatte. D. sollte zumindest formal in der Lage sein, vorgespiegelte Beratungsleistungen<br />

für die T. -Gruppe zu erbringen. Weil T. bereits frühzeitig an der ordnungsgemäßen Verwaltung<br />

seiner "Kriegskasse" durch H. zweifelte, wurden im Jahr 1997 auf seine Weisung hin 5 Mio. DM von der S. AG an<br />

den weiteren Strohmann E. geleitet. Dieser leitete die Betreibergesellschaft der Kölner Müllverbrennungsanlage <strong>und</strong><br />

hatte, wie T. wusste, im Zusammenhang mit deren Bau von einem Bauunternehmen auch über die S. AG eine Bestechungszahlung<br />

in siebenstelliger Höhe erhalten, weswegen er inzwischen anderweit zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe<br />

verurteilt worden ist. E. verwahrte den Betrag zunächst im eigenen Namen auf einem Liechtensteiner Konto<br />

<strong>und</strong> vereinnahmte als Gegenleistung den Zinsertrag. Das Geld erhielt letztlich ein Schweizer Rechtsanwalt, den T.<br />

beauftragt hatte, einem Rechtshilfeersuchen deutscher Behörden im Hinblick auf die Machenschaften der S. AG<br />

entgegenzutreten. Den Verbleib der übrigen ca. 12 bis 13 Mio. DM hat das Landgericht aufgr<strong>und</strong> einer bewusst unzutreffenden<br />

Dokumentation der Zahlungswege durch den Zeugen S. , den T. seit 1996 als Bote für den sukzessive<br />

erfolgten Transport von Bargeld von der S. AG zu ihm nach V. einsetzte, nicht feststellen können. S. quittierte in<br />

wahlloser Weise sowohl ihm von H. ausgezahlte Beträge als auch Auszahlungen, die tatsächlich nicht erfolgt waren;<br />

die Weitergabe von Geld an T. ließ er sich hingegen nicht quittieren. Als Provision für seine Dienste erhielt er 3 %<br />

sowohl der von ihm tatsächlich transportierten als auch der wahrheitswidrig quittierten Beträge. Soweit Gelder aus<br />

der "Kriegskasse" zurück zu T. gelangt sind, ist das Landgericht aber davon ausgegangen, dass er sie, wie von Anfang<br />

an beabsichtigt, für "nützliche Aufwendungen" zur Förderung von Geschäften der T. -Gruppe verwendete. T. ,<br />

der nach wie vor an der ordnungsgemäßen Verwaltung <strong>und</strong> Abrechnung der Kasse durch H. zweifelte, beauftragte<br />

im Februar 2002 seinen Rechtsanwalt G. erfolglos, gemeinsam mit einem Vorstandsmitglied der T. AG in die<br />

Schweiz zu reisen, um dort nach dem Verbleib der restlichen zur S. AG verschobenen Gelder zu forschen.<br />

2. Der Angeklagte F. war seit 1996 Geschäftsführer der U. GmbH <strong>und</strong> wurde nach deren Verschmelzung auf die I.<br />

GmbH im Jahr 2000 zu deren weiterem Geschäftsführer bestellt. Ab 1997 fungierte er als Bindeglied der T. -Gruppe<br />

zur S. AG. Er veranlasste von 1997 bis 2001 auf Weisung von T. in 14 Fällen Zahlungen der U. GmbH <strong>und</strong> später<br />

der I. GmbH an die S. AG in einer Gesamthöhe von etwa 3 Mio. DM, indem er Scheinrechnungen der S. AG in den<br />

regulären Geschäftsgang einschleuste oder selbst zur Zahlung freigab. In Zusammenarbeit mit dem bei der S. AG<br />

eingestellten D. schuf er eine Geschäftsfassade für den jeweiligen Zahlungsvorgang durch Erteilung vorgeschützter<br />

Beratungsaufträge des von ihm geführten Unternehmens an die S. AG, teils unter Erstellung von tatsächlich wertlosen<br />

Berichten, Gutachten, Konzepten oder Vorlagen. Der Angeklagte M. war seit 1996 Geschäftsführer der I. GmbH<br />

<strong>und</strong> ebenso wie F. in "strategische" Besprechungen zwischen T. <strong>und</strong> H. häufig eingeb<strong>und</strong>en. Er veranlasste in den<br />

Jahren 1997 <strong>und</strong> 1998 auf Weisung von T. in drei Fällen in gleicher Weise Zahlungen der I. GmbH an die S. AG in<br />

einer Gesamthöhe von über 6 Mio. DM. Sämtliche für nicht erbrachte Beratungsleistungen geleisteten Zahlungen an<br />

die S. AG wurden - was F. <strong>und</strong> M. wussten - als Betriebsausgaben gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht.<br />

3. Weder die übrigen Organe der T. GmbH/AG noch die Vorstände der RWE Umwelt AG <strong>und</strong> der RWE AG erlangten<br />

zunächst Kenntnis von den Vermögensverschiebungen. Die RWE Umwelt AG verfolgte als Tochtergesellschaft<br />

eines im DAX notierten Großunternehmens die Politik, schwarze Kassen <strong>und</strong> Schmiergeldzahlungen nicht zuzulassen;<br />

Konzernmitarbeiter, die sich hieran nicht hielten, wurden entlassen. Sowohl gegenüber der RWE-Gruppe als<br />

auch gegenüber den mit der Prüfung der Abschlüsse der T. -Gruppe befassten Wirtschaftsprüfern wurden die Zahlungen<br />

an die S. AG deshalb als Entgelte für tatsächlich erbrachte Beratungsleistungen dargestellt.<br />

III. Bei der RWE Umwelt AG wurden die Zahlungen der T. -Gruppe an Berater <strong>und</strong> Domizilgesellschaften mit unklarem<br />

Leistungshintergr<strong>und</strong> erst im Gefolge einer Betriebsprüfung der T. AG durch das Finanzamt Düsseldorf im<br />

Jahr 2002 bekannt, die zu Steuernachzahlungen in Höhe von ca. 5,3 Mio. DM führte. Im Zuge der danach eingeleiteten<br />

Verhandlungen, die schließlich zur vollständigen Übernahme der Anteile des T. -Stamms an der T. AG durch die<br />

RWE Umwelt AG <strong>und</strong> schließlich zur Verschmelzung der T. AG auf die RWE Umwelt AG führten, wurden die bis<br />

dahin nur zum <strong>Teil</strong> aufgedeckten Zahlungen an die S. AG durch einen pauschalen Abschlag von 10 Mio. € auf den<br />

Kaufpreis berücksichtigt. Die Angeklagten wurden im März 2002 unter Fortzahlung ihres Gehalts von ihrer Geschäftsführertätigkeit<br />

suspendiert. Der Angeklagte F. schied nach der erfolgten Verschmelzung im November 2002<br />

gegen Zahlung einer Abfindung, einer Tantieme <strong>und</strong> eines Sonderbonus sowie unter Übernahme seiner Verteidigerkosten<br />

durch die RWE Umwelt AG aus dem Unternehmen aus; insgesamt erhielt er für das Jahr 2002 von seiner<br />

Arbeitgeberin Zahlungen von über 318.000 €. Der Angeklagte M. schied im November 2002 gegen Zahlung einer<br />

Abfindung von 80.000 € sowie unter teilweiser Übernahme seiner Verteidigerkosten aus.<br />

160


B. Das Landgericht hat - nach Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO - das<br />

Handeln der Angeklagten jeweils als Beihilfe zur Untreue des Haupttäters T. zum Nachteil der T. GmbH bzw. der T.<br />

AG bewertet. Dieser habe seine gegenüber der Treugeberin bestehende Vermögensbetreuungspflicht verletzt, indem<br />

er die einzelnen Zahlungen zur Einrichtung <strong>und</strong> Auffüllung der schwarzen Kasse bei der S. AG in der Schweiz ohne<br />

Einverständnis der Mitgesellschafterin RWE bewirkt habe, um die transferierten Gelder eigenmächtig <strong>und</strong> unkontrolliert<br />

nach seinem persönlichen Gutdünken unter Ausschluss der gesellschafts-rechtlichen Kontrollmechanismen<br />

verwenden zu können. Hierdurch habe er dem Unternehmen beträchtliche Vermögenswerte entzogen <strong>und</strong> sie so in<br />

die konkrete Gefahr eines endgültigen Verlustes gebracht. Diese Gefahr habe sich zum einen aus den vielfachen<br />

unkontrollierten Zugriffsmöglichkeiten dritter Personen ergeben, zum anderen aus dem Umstand, dass ein etwaiger<br />

Verlust wegen der fehlenden bzw. absichtlich unzutreffenden Dokumentation der Zahlungsabflüsse <strong>und</strong> wegen etwaiger<br />

steuerstrafrechtlicher Konsequenzen mit rechtlichen Mitteln kaum erfolgreich habe verfolgt werden können.<br />

Den Betrieb der schwarzen Kasse hätten die Angeklagten durch konkrete eigene Unterstützungshandlungen individuell<br />

gefördert. Dabei sei es unerheblich, dass die Mittel nach der Vorstellung T. <strong>und</strong> der Angeklagten letztlich dem<br />

T. -Konzern über die Generierung von Umsätzen durch "nützliche Aufwendungen" zugute kommen sollten, weil<br />

dadurch die Möglichkeit eines endgültigen Vermögensverlusts nicht berührt <strong>und</strong> zudem ein nicht unbeträchtlicher<br />

<strong>Teil</strong> der Gelder durch die Kosten aufgezehrt worden sei.<br />

C.<br />

I. Die Sachrügen sind unbegründet. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilungen<br />

F. <strong>und</strong> M. s wegen Beihilfe zu den Untreuehandlungen T. zum Nachteil der T. GmbH bzw. der T. AG.<br />

1. Anders als die Revisionen meinen, fehlt es nicht an einer von T. begangenen Haupttat nach § 266 <strong>StGB</strong>.<br />

a) T. war als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer bzw. alleinvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied der<br />

T. GmbH/AG zur Wahrung deren Vermögensinteressen verpflichtet. Zutreffend hat das Landgericht den Untreuevorwurf<br />

jeweils an seine einzelnen darauf gerichteten Weisungen geknüpft, Vermögensbestandteile der Treugeberin<br />

mittels fingierter Geschäftsvorfälle <strong>und</strong> inhaltlich unrichtiger Buchungsvorgänge aus der Buchhaltung des Unternehmens<br />

auszusondern <strong>und</strong> in eine im Ausland verdeckt geführte Kasse zu transferieren. Zwar lag die Verletzung der<br />

T. obliegenden qualifizierten Vermögensbetreuungspflicht nicht in der Eigenmächtigkeit der durch ihn betriebenen<br />

Mittelverlagerung im Sinne einer Verletzung gesellschaftsrechtlicher Kompetenzvorschriften. T. war als Mitglied<br />

des zur Geschäftsführung der Gesellschaft berufenen Organs hinsichtlich seiner Entscheidungen über den Einsatz<br />

<strong>und</strong> die Koordinierung von Unternehmensressourcen nicht in der Weise beschränkt, dass er eine Zustimmung der<br />

(Mit-)Gesellschafter hätte einholen müssen. Eine Pflicht zur Vorlage ergab sich weder aus den vom Landgericht<br />

festgestellten gesellschaftsvertraglichen Gr<strong>und</strong>lagen oder der Beschlusslage der Gesellschaftsorgane, noch erreichten<br />

die Zahlungen an die S. AG im Vergleich zum Gesamtumsatz der T. -Gruppe einen solchen Umfang, dass eine Vorlagepflicht<br />

unter dem Gesichtspunkt eines tiefgreifenden Eingriffs in Mitgliedschafts- <strong>und</strong> Vermögensrechte der<br />

Gesellschafter in Betracht gekommen wäre (BGHZ 83, 122, 131; 159, 30, 41 ff.). Bei der Einrichtung <strong>und</strong> Verwendung<br />

eines Bankkontos für bestimmte Geschäftsvorfälle handelt es sich, soweit diese sich innerhalb des satzungsmäßigen<br />

Unternehmensgegenstands halten <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>sätze der Unternehmenspolitik unberührt lassen (BGH, NJW<br />

1991, 1681 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 35 Rn. 30), zunächst typischerweise um<br />

eine Maßnahme der laufenden Geschäftsführung (so auch Rönnau in FS für Tiedemann S. 713, 723), die gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

in den originären Zuständigkeitsbereich des geschäftsführenden Gesellschaftsorgans fällt (vgl. auch BGHSt 28,<br />

371, 372). T. verletzte aber seine Treuepflicht dadurch, dass er entgegen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes<br />

(§ 43 Abs. 1 GmbHG) bzw. eines ordentlichen <strong>und</strong> gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG)<br />

sowie unter Verstoß gegen das handelsrechtliche Gebot der Vollständigkeit <strong>und</strong> Richtigkeit der Buchführung (§ 239<br />

Abs. 2 HGB) Vermögensgegenstände durch inhaltlich falsche Buchungsvorgänge aus der Buchhaltung aussonderte,<br />

um unter gezielter Umgehung der gesellschaftsinternen Kontrollen <strong>und</strong> seiner Rechenschaftspflichten über Vermögensbestandteile<br />

der Treugeberin nach Maßgabe eigener Zwecksetzung verfügen zu können.<br />

aa) Die Sorgfaltsgeneralklauseln des Gesellschaftsrechts sind als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung einer Vermögensbetreuungspflicht<br />

im Sinne des § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> geeignet, weil durch fallgruppenspezifische Konkretisierung<br />

die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit im Regelfall gesichert ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR<br />

2559/08 u. a. - Absatz-Nr. 81 ff., 111 f., 128): Die Sorgfaltspflichten der § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 S. 1 AktG<br />

umfassen nach allgemeiner Auffassung zum einen die Pflicht, für die Legalität des Handelns der Gesellschaft, insbesondere<br />

auch für die Erfüllung der ihr aufgetragenen buchführungs- <strong>und</strong> steuerrechtlichen Pflichten Sorge zu tragen<br />

(Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rn. 8; Spindler in MünchKomm-AktG, § 93 Rn. 63 ff.;<br />

Mertens/Cahn in KK-AktG, § 93 Rn. 71 ff.; jew. mwN). Verstöße gegen die Legalitätspflicht können auch im Verhältnis<br />

zur Gesellschaft selbst nicht mit dem Vorbringen gerechtfertigt werden, sie lägen in deren Interesse (Klein-<br />

161


diek aaO, Rn. 9; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 43 Rn. 22; Hopt in Hopt/Wiedemann,<br />

AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 99; jew. mwN). Die - sei es auch profitable - Pflichtverletzung liegt nicht im Handlungsspielraum<br />

des geschäftsführenden Organs; die Bindung an gesetzliche Vorschriften hat vielmehr Vorrang (vgl.<br />

Rönnau in FS für Tiedemann S. 713, 725 mwN). Zum anderen begründet der Pflichtenmaßstab des § 43 Abs. 1<br />

GmbHG, § 93 Abs. 1 S. 1 AktG auch die Pflicht zur Loyalität gegenüber den übrigen Gesellschaftsorganen. Dies<br />

bedeutet insbesondere, dass das Geschäftsleitungsorgan durch Information <strong>und</strong> Beratung dafür zu sorgen hat, dass<br />

die anderen Organe die ihnen zugewiesenen Aufgaben erfüllen können (Kleindiek aaO, Rn. 10; Hopt aaO, Rn. 137;<br />

jew. mwN). Die Einrichtung <strong>und</strong> Unterhaltung einer "Kriegskasse" im Ausland verletzte in gravierender Weise die<br />

von T. zu beachtende Sorgfalt in beiderlei Hinsicht. Er verschleierte die von ihm vorgenommenen Vermögensverschiebungen<br />

durch das Auslassen tatsächlicher <strong>und</strong> Hinzufügen fingierter Vorfälle in den Geschäftsbüchern nicht nur<br />

zur Täuschung des Finanzamts, sondern auch um Abweichungen gegenüber den unter Beteiligung der Mitgesellschafterin<br />

aufgestellten Jahreswirtschaftsplänen zu verhindern, den Scheincharakter der Rechnungen gegen kritische<br />

Fragen <strong>und</strong> Kontrollen von Organvertretern der Mitgesellschafterin abzusichern (UA 41/42, 51) <strong>und</strong> die Speisung<br />

seiner "Kriegskasse" zu ermöglichen. Damit unterlief T. gleichzeitig die der Mitgesellschafterin von Gesetzes wegen<br />

eingeräumten Minderheitsrechte, insbesondere das Recht auf Einberufung der Gesellschafter- bzw. der Hauptversammlung<br />

nach § 50 GmbHG, § 122 AktG, das Recht auf Auskunftserteilung <strong>und</strong> Einsicht in die Bücher <strong>und</strong> Schriften<br />

nach § 51a GmbHG sowie die Aktionärsrechte auf Auskunftserteilung <strong>und</strong> auf Einleitung einer Sonderprüfung<br />

durch gerichtlich bestellte Prüfer nach § 131, § 142 Abs. 2 AktG.<br />

bb) Zugleich verletzte T. damit die ihm nach § 41 GmbHG, § 91 AktG obliegende Verpflichtung, für die ordnungsmäßige<br />

Buchführung der Muttergesellschaft zu sorgen, was auch die Konzernbuchhaltung für die zum Konsolidierungskreis<br />

des T. -Konzerns gehörenden Tochterunternehmen U. <strong>und</strong> I. einschloss (§ 290 HGB). Die Buchführungsvorschriften<br />

beinhalten eine Konkretisierung der Leitungs- <strong>und</strong> Geschäftsführungsaufgaben des jeweiligen Organs<br />

<strong>und</strong> des ihm durch die Generalklauseln auferlegten Sorgfaltsmaßstabs (Kort in Hopt/Wiedemann, AktG, 4. Aufl., §<br />

91 Rn. 1; Mertens/ Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 91 Rn. 1). Zwar wird der Charakter der dem geschäftsführenden<br />

Organ einer Kapitalgesellschaft auferlegten handelsrechtlichen Buchführungspflicht als Vermögensbetreuungspflicht<br />

verschiedentlich mit der Begründung in Abrede gestellt, sie diene nicht dem Schutz des Vermögensträgers selbst,<br />

sondern allein dem öffentlichen Interesse am Schutz seiner Gläubiger (vgl. etwa Brammsen wistra 2009, 85, 87;<br />

weit. Nachw. bei Rönnau in FS für Tiedemann S. 713, 722 Fn. 46). Dies trifft aber jedenfalls für gravierende Verstöße,<br />

wie sie bewusste Nicht- <strong>und</strong> Falschbuchungen zur Verschleierung der Führung "schwarzer Kassen" durch Organe<br />

einer Kapitalgesellschaft darstellen, nicht zu (so auch Rönnau aaO, mwN in Fn. 49; ders. StV 2009, 246, 247; Knauer<br />

NStZ 2009, 151, 152; Satzger NStZ 2009, 297, 300 f.). Derartige Vorgänge stellen Verletzungen auch der Vermögensinteressen<br />

der betroffenen Gesellschaft selbst dar. Zweck der gesetzlichen Vorgaben über die Rechnungslegung<br />

bei Kapitalgesellschaften ist es zumindest auch, neben den Gläubigern ebenso die Gesellschafter als materielle Inhaber<br />

des Gesellschaftsvermögens <strong>und</strong> die mit der Wahrung ihrer Interessen betrauten Kontrollorgane der Gesellschaft<br />

über deren Vermögensstand <strong>und</strong> finanzielle Lage zu informieren. Ihnen eröffnet sich im Regelfall allein über die<br />

Geschäftsbücher die Möglichkeit, den Stand des Gesellschaftsvermögens zu ermitteln, die Mittelverwendung durch<br />

den Geschäftsführer bzw. den Vorstand zu kontrollieren <strong>und</strong> sich ergebende Ersatzansprüche gegen diese geltend zu<br />

machen (Weimann, Die Strafbarkeit der Bildung schwarzer Kassen gem. § 266 <strong>StGB</strong>, 1996 S. 70 f.; Kleindiek in<br />

Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., Vor § 41 Rn. 28; Spindler in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 91 Rn. 1; jew.<br />

mwN). Dementsprechend sieht die Rechtsprechung in einer unordentlichen Buchführung dann eine pflichtwidrige<br />

Untreuehandlung, wenn der Treugeber keine Übersicht über seine Rechte <strong>und</strong> Pflichten, mithin über seinen Vermögensstand<br />

zu gewinnen vermag, so dass er verhindert ist, Ansprüche geltend zu machen, weil er sie nicht erkennt<br />

(vgl. schon BGH MDR/H 1956, 121; weit. Nachw. bei Saliger in SSW-<strong>StGB</strong> § 266 Rn. 73). Anders als die Revision<br />

des Angeklagten F. geltend macht, geht es hier auch nicht lediglich um den Fall der Verbuchung von Zahlungen auf<br />

Rechnungen mit falscher Leistungsbezeichnung, die den Vermögensstand der Treugeberin nicht unmittelbar betrafen;<br />

vielmehr standen den Zahlungen nicht anders zu bezeichnende, sondern keine Gegenleistungen der S. AG gegenüber.<br />

b) An einer wirksamen Einwilligung der Treugeberin, welche eine Pflichtwidrigkeit möglicherweise hätte ausschließen<br />

können (vgl. BGHSt 52, 323, 335 Rn. 40 mwN), fehlte es. Da die Pflichtwidrigkeit des Handelns Merkmal des<br />

Untreuetatbestands ist, schließt das Einverständnis des Inhabers des zu betreuenden Vermögens bereits die Tatbestandsmäßigkeit<br />

aus (BGHSt 50, 331, 342; 52, 323, 335; jew. mwN). Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des<br />

Vermögensinhabers dessen oberstes Willensorgan für die Regelung der inneren Angelegenheiten (vgl. BGHSt 9,<br />

203, 216; BGH, Urteil vom 24. Juni 2010 - 3 StR 90/10 - Rn. 15). Eine erklärte Einwilligung ist nur dann unwirksam,<br />

wenn sie gesetzwidrig oder erschlichen ist, auf sonstigen Willensmängeln beruht oder - wie bei der Gefährdung<br />

162


der wirtschaftlichen Existenz einer juristischen Person - ihrerseits pflichtwidrig ist (Perron in Schönke/Schröder,<br />

<strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 266 Rn. 21 ff.; Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 266 Rn. 90 ff.).<br />

aa) Oberstes Willensorgan der GmbH ist die Gesamtheit ihrer Gesellschafter (BGHSt 9, 203, 216; vgl. auch Rönnau<br />

in FS für Amelung S. 256 f.; Hoffmann, Untreue <strong>und</strong> Unternehmensinteresse, 2010 S. 72 f.). Dies ergibt sich insbesondere<br />

aus deren Befugnis zur Erteilung von Weisungen gegenüber den Geschäftsführern gemäß § 37 Abs. 1<br />

GmbHG <strong>und</strong> zu Abänderungen des Gesellschaftsvertrags gemäß § 53 Abs. 1 GmbHG (Wolff in Münch., Hdb. d.<br />

GesR, 3. Aufl. Bd. 3, § 36 Rn. 3; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 45 Rn. 4; K. Schmidt in Scholz,<br />

GmbHG, 10. Aufl., § 45 Rn. 5; anders Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl., § 45 Rn. 4: Organstellung<br />

nicht der Gesamtheit der Gesellschafter, sondern der Gesellschafterversammlung). Ein die Pflichtwidrigkeit im Sinne<br />

des § 266 <strong>StGB</strong> ausschließendes Einverständnis der Gesellschafter kommt auch dann in Betracht, wenn die Vermögensverfügung<br />

des Geschäftsführers unter Verstoß gegen Buchführungsvorschriften erfolgt (BGHSt 35, 333, 335 ff.;<br />

dazu Rönnau in FS für Tiedemann S. 713, 718 Fn. 25; Weimann, Die Strafbarkeit der Bildung sog. schwarzer Kassen<br />

gem. § 266 <strong>StGB</strong>, 1996 S. 78, 84; Hoffmann aaO S. 97 ff.; anders noch BGHSt 34, 379, 384 ff.). Die Revisionen<br />

meinen, schon allein das Einverständnis des Mehrheitsgesellschafters in die pflichtwidrige Handlung des Geschäftsführers<br />

entfalte eine den Tatbestand der Untreue ausschließende Wirkung unabhängig davon, ob überhaupt eine<br />

Willensbildung aller Gesellschafter erfolgt sei; sie folgern dies aus den auch sonst dem Mehrheitsprinzip folgenden<br />

Willensbildungsregeln des GmbH-Rechts (§ 47 Abs. 1 GmbHG). Nach der neueren Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

kommt jedoch nur dem Einverständnis sämtlicher Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft oder einem<br />

(Mehrheits-)Beschluss des die Gesamtheit der Gesellschafter repräsentierenden Gesellschaftsorgans (so BGHSt 50,<br />

331, 342 betr. die Aktiengesellschaft; noch enger Krekeler/ Werner, Unternehmer <strong>und</strong> Strafrecht, 2006: stets Einverständnis<br />

aller Gesellschafter erforderlich) tatbestandsausschließende Wirkung zu. Ob nur Mehrheitsentscheidungen<br />

der Gesellschafter tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen werden kann, die im Wege eines förmlichen<br />

Beschlusses herbeigeführt worden sind (kritisch Ransiek NJW 2006, 814, 815 f.; Dierlamm in MüKo-<strong>StGB</strong>, § 266<br />

Rn. 136), oder ob tatbestandsausschließende Wirkung auch solchen Mehrheitsentscheidungen zukommt, die nicht<br />

unter Einhaltung der Formalien der §§ 47 ff. GmbHG getroffen worden sind (so BGH, Urteil vom 18. Oktober 1956<br />

- 2 StR 434/56 -; vgl. zusammenfassend zum Streitstand Hoffmann aaO S. 190 ff.), bedarf hier keiner abschließenden<br />

Entscheidung. Voraussetzung der Erteilung eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses durch eine Gesellschaftermehrheit<br />

ist jedenfalls stets die inhaltliche Befassung auch der Minderheitsgesellschafter mit der Frage<br />

der Billigung der betreffenden Pflichtwidrigkeit. Dies folgt daraus, dass Träger des rechtlich geschützten Vermögensinteresses<br />

die GmbH selbst ist, nicht ihre einzelnen Gesellschafter. Von einer Willensbildung ihres obersten<br />

Willensorgans <strong>und</strong> von einem mehrheitlichen Konsens in der Sache (Schramm, Untreue <strong>und</strong> Konsens, 2005 S. 125)<br />

kann aber nur die Rede sein, wenn die Gesamtheit der Gesellschafter mit der in Rede stehenden Fragestellung überhaupt<br />

befasst worden ist, nicht dagegen, wenn die fragliche Pflichtwidrigkeit, wie hier, vor der Minderheitsgesellschafterin<br />

bzw. deren willensbildenden Organen planmäßig verschleiert worden ist. Anderenfalls würden die Minderheitsrechte<br />

der uninformiert bleibenden Mitgesellschafterin, etwa auf Einberufung der Gesellschafterversammlung<br />

nach § 50 GmbHG sowie auf Auskunftserteilung <strong>und</strong> Einsicht in die Bücher <strong>und</strong> Schriften nach § 51a GmbHG,<br />

<strong>und</strong> ihre Befugnis zur Anfechtung oder Feststellung der Nichtigkeit von Mehrheitsentscheidungen unterlaufen. Soweit<br />

es den Tatzeitraum betrifft, innerhalb dessen die Treugeberin als GmbH verfasst war (Fälle 8 bis 15 <strong>und</strong> 25 bis<br />

27 der Anklage), hat das Landgericht eine Kenntnis der Minderheitsgesellschafterin RWE von den Vermögensverschiebungen<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage seiner rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zutreffend verneint.<br />

bb) Soweit die vom Landgericht festgestellten Taten den Zeitraum betreffen, innerhalb dessen die Treugeberin als<br />

Aktiengesellschaft verfasst war (Fälle 17 bis 18, 21 bis 24 <strong>und</strong> 28 der Anklage), gilt folgendes: Im neueren Schrifttum<br />

ist angezweifelt worden, ob den Anteilseignern einer Aktiengesellschaft in Übereinstimmung mit dem Urteil des<br />

3. Strafsenats vom 21. Dezember 2005 (BGHSt 50, 331, 342 - "Mannesmann") überhaupt eine Kompetenz zu einer<br />

tatbestandsausschließenden Einwilligung in gesellschaftsschädigende Vermögensverfügungen des Vorstands in gleicher<br />

Weise zukommt wie den Gesellschaftern einer GmbH (vgl. dazu zuletzt Rönnau in FS für Amelung S. 247, 253<br />

ff.; Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 266 Rn. 102; Brammsen/Apel WM 2010, 781, 786 mwN einerseits; Hoffmann, Untreue<br />

<strong>und</strong> Unternehmensinteresse, 2010 S. 73 ff. andererseits). Dies kann hier dahinstehen, da nach den rechtsfehlerfrei<br />

getroffenen Feststellungen des Landgerichts auch in diesem Zeitraum Hauptversammlung <strong>und</strong> Aufsichtsrat der<br />

Treugeberin ebenso wenig Kenntnis von den durch den Vorstandsvorsitzenden T. vorgenommenen Vermögensverschiebungen<br />

erlangten wie von der RWE Umwelt AG gestellte Vorstandsmitglieder. Ein schlichtes Einverständnis<br />

eines Mehrheitsaktionärs käme hier ohnehin nicht in Betracht, da der T. -Stamm nur 50 % der Anteile innehatte.<br />

Soweit die Revision des Angeklagten F. meint, T. habe als alleinvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied sein<br />

eigenes Handeln "genehmigen" können, liegt dies fern. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 29. August 2008<br />

163


(BGHSt 52, 325, 335 - "Siemens") offen gelassen, ob im Falle der Führung einer schwarzen Kasse durch einen leitenden<br />

Angestellten einer Aktiengesellschaft eine auf § 76 Abs. 1 AktG gestützte Befugnis des Vorstands zum tatbestandsausschließenden<br />

Einverständnis in Betracht kommt oder ob eine solche durch § 93 AktG auf Gr<strong>und</strong> normativer<br />

Bindungen ausgeschlossen ist. Anders als bei der GmbH ist das Verhältnis der drei Organe der Aktiengesellschaft<br />

ein solches der Gewaltenteilung <strong>und</strong> wechselseitigen Kontrolle, in dem die Führung der laufenden Geschäfte ausschließlich<br />

dem Vorstand anvertraut ist (Rönnau aaO, S. 257 f.; Hoffmann aaO, S. 73 ff.; jew. mwN auch zur gesellschaftsrechtl.<br />

Lit.; vgl. allerdings zur Verpflichtung des Vorstands zur Beteiligung der Hauptversammlung bei tiefgreifenden<br />

Eingriffen in Mitgliedschafts- <strong>und</strong> Vermögensrechte der Aktionäre BGHZ 83, 122 - "Holzmüller"; 159,<br />

30, 38 ff. - "Gelatine"). Im Hinblick auf eben diese Kompetenzverteilung kommt eine Befugnis des Vorstands zur<br />

Einwilligung in pflichtwidriges Handeln jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es - wie hier- um ein eigenes<br />

pflichtwidriges Verhalten geht, das gerade in der Verschleierung der von ihm selbst vorgenommenen Vermögensverfügungen<br />

gegenüber den zu seiner Kontrolle berufenen beiden anderen Gesellschaftsorganen sowie den für diese<br />

tätigen Abschlussprüfern besteht (für die Bildung <strong>und</strong> Unterhaltung verdeckter Kassen im Ergebnis ebenso<br />

Brammsen/Apel WM 2010, 781, 786 f.). Von der insbesondere durch §§ 111 Abs. 1-3, 119 Abs. 1 Nr. 4 u. 7, Abs. 2<br />

AktG gewährleisteten Kontrolle <strong>und</strong> Aufsicht durch die übrigen Gesellschaftsorgane kann sich der Vorstand nicht<br />

durch die Erteilung des Einverständnisses in seine eigene Pflichtwidrigkeit dispensieren.<br />

c) Durch die pflichtwidrigen Handlungen entstanden der Treugeberin in sämtlichen Fällen Vermögensnachteile im<br />

Sinne von § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Anders als vom Landgericht im Hinblick auf die Entscheidung des erkennenden Senats<br />

vom 18. Oktober 2006 (BGHSt 51, 100 - "Kanther") angenommen, ist nicht nur hinsichtlich des beträchtlichen<br />

<strong>Teil</strong>s der Zahlungen, die als Provisionen <strong>und</strong> Honorare für die an der Einrichtung <strong>und</strong> Verwendung der schwarzen<br />

Kasse Beteiligten abgeflossen sind, ein endgültiger Vermögensschaden eingetreten. Vielmehr liegt in der gesamten<br />

Höhe des an die S. AG überwiesenen Betrages nicht nur eine schadensgleiche Vermögensgefährdung, sondern bereits<br />

ein endgültiger Vermögensschaden.<br />

aa) Der Senat hat mit - nach der Verkündung der angefochtenen Entscheidung ergangenen - Urteil vom 29. August<br />

2008 (BGHSt 52, 323, 338 Rn. 46 - "Siemens") an seiner Auffassung nicht festgehalten, das "bloße" Führen einer<br />

verdeckten Kasse sei lediglich als schadensgleiche Vermögensgefährdung anzusehen (so noch BGHSt 51, 100, 113 f.<br />

Rn. 43 f.). Vielmehr hat er die Führung einer solchen Kasse durch einen leitenden Angestellten einer Aktiengesellschaft<br />

ohne Kenntnis des Vorstands <strong>und</strong> unter Verstoß gegen dessen ausdrückliche Richtlinien bereits als endgültigen<br />

Vermögensschaden der Treugeberin bewertet. Bei pflichtwidriger Wegnahme, Entziehung, Vorenthaltung oder<br />

Verheimlichung von Vermögensteilen durch einen Arbeitnehmer kann der Eintritt eines Vermögensschadens nicht<br />

dadurch ausgeschlossen werden, dass der Täter beabsichtigt, die Mittel gegen die ausdrückliche Weisung des Treugebers<br />

so zu verwenden, dass diesem hierdurch "letztlich" ein Vermögensvorteil entstehen könnte. Die Bestimmung<br />

über die Verwendung des eigenen Vermögens obliegt dem Vermögensinhaber, im Fall einer Kapitalgesellschaft<br />

deren zuständigen Organen (BGHSt 52, 323, 337 Rn. 43 f.).<br />

bb) Diese rechtliche Würdigung ist auf die Einrichtung <strong>und</strong> Führung einer verdeckten Kasse durch den alleinvertretungsberechtigten<br />

GmbH-Geschäftsführer bzw. AG-Vorstand, also das eigentlich für die Vermögensverwaltung des<br />

Treugebers zuständige Organ, zwar nicht ohne weiteres übertragbar. Die Würdigung der durch T. veranlassten Vermögensverschiebungen<br />

als end-gültiger Schaden beruht hier jedoch auf der konkreten Ausgestaltung der verdeckten<br />

Kasse. T. veranlasste die Einzahlung der auf seine Initiative verschobenen Geldmittel auf ein ausländisches Bankkonto<br />

einer ausländischen juristischen Person, die ausschließlich durch ihren ausländischen Alleingesellschafter, den<br />

Immobilienmakler H., beherrscht wurde. Als nach außen hin wirtschaftlich Berechtigten schob er den "Lobbyisten"<br />

S. vor. Ein eigener zivilrechtlicher Auszahlungsanspruch der T. GmbH/AG oder eines von ihr beherrschten Unternehmens<br />

gegen die kontoführende Bank bestand damit nicht; die Treugeberin hätte allenfalls gegen T. persönlich<br />

oder dessen an der Einrichtung der schwarzen Kasse beteiligten Helfer vorgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss<br />

vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a. - Absatz-Nr. 126). Die Gelder waren unter Aufbau einer vorgetäuschten<br />

Geschäftsfassade aus dem Vermögensbestand der T. -Gruppe herausgelöst <strong>und</strong> tauchten weder in der Haupt- noch in<br />

einer inoffiziellen Nebenbuchhaltung auf. Ihr Verbleib <strong>und</strong> ihre Verwendung wurden von keiner Unternehmenseinheit<br />

der T. -Gruppe überwacht. Die Kontrolle über die Verwaltung lag vielmehr ausschließlich bei T. persönlich.<br />

Soweit die Gelder nicht ohnehin zur Deckung der Kosten für die Einrichtung <strong>und</strong> Aufrechterhaltung der verdeckten<br />

Kasse selbst dienten, war auch im Zuge ihrer späteren Verwendung weder ein Rückfluss in den Vermögensbestand<br />

des Unternehmens noch eine Entscheidung oder Kontrollmöglichkeit durch dessen Organe oder untergeordnete Einheiten<br />

vorgesehen. Sie wurden vielmehr in bar abgehoben <strong>und</strong> durch Boten an T. überbracht, der über ihre weitere<br />

Verwendung persönlich unter bewusstem Ausschluss der Kontrolle <strong>und</strong> Aufsicht durch die Gesellschaftsorgane<br />

entschied. Eine Sicherung gegen eigenmächtige Zugriffe der zur Unterhaltung der schwarzen Kasse oder zum Trans-<br />

164


port der Bargelder eingesetzten Personen (H., E., S.) bestand nicht, ebenso wenig Vorkehrungen für den Fall des<br />

unerwarteten Ausfalls zumindest einiger dieser Personen oder von T. selbst oder zum Schutz vor Zugriffen von<br />

Gläubigern der S. AG. Dem entspricht, dass T. seit längerem die ordnungsgemäße Verwaltung <strong>und</strong> Abrechnung<br />

durch H. bezweifelte <strong>und</strong> dass auch persönliche Nachforschungen seines Rechtsanwalts im Februar 2002 in der<br />

Schweiz nach dem verbliebenen Geld ohne Erfolg blieben (UA 190-192, 405, 433, 446/447). Im Übrigen hätte der<br />

Versuch einer gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen gegen die S. AG, H. persönlich oder einen anderen am<br />

Betrieb der schwarzen Kasse Beteiligten zwangs-läufig eine steuerstrafrechtliche Verfolgung nach sich gezogen. Bei<br />

dieser Sachlage waren die ausgegliederten Vermögenswerte bereits zur Zeit ihrer Überführung in die schwarze Kasse<br />

nicht nur im Sinne einer Vermögensgefährdung in ihrem wirtschaftlichen Wert gemindert (vgl. zu diesem Begriff<br />

des Gefährdungsschadens zuletzt gr<strong>und</strong>legend BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u. a. - Absatz-<br />

Nr. 137 ff.; s. auch Fischer NStZ-Sonderheft 2009, 8, 11 f.; Perron in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 266 Rn.<br />

45c); sie waren vielmehr dem Zugriff der Treugeberin bereits endgültig entzogen.<br />

cc) Die mögliche Absicht T. , den nach Abzug der Kosten verbleibenden <strong>Teil</strong> der Gelder bei späterer Gelegenheit im<br />

Interesse der Treugeberin zu verwenden, insbesondere um durch verdeckte Zahlungen Geschäftsabschlüsse für sie zu<br />

akquirieren <strong>und</strong> ihr so mittelbar zu einem Vermögensvorteil zu verhelfen, ist für die Bewertung als Untreue ohne<br />

Belang. Das Erlangen von durch spätere Geschäfte letztlich erzielten Vermögensvorteilen durch die Treugeberin<br />

kann den bereits eingetretenen Schaden nicht mehr beseitigen, sondern allenfalls eine Schadenswiedergutmachung<br />

darstellen (vgl. BGHSt 52, 323, 337 Rn. 43-46).<br />

d) Zutreffend ist die Kammer davon ausgegangen, dass in Folge der Erstattung der Zahlungen an die Tochtergesellschaften<br />

bzw. der Minderung des Gewinnabführungsanspruchs gegen die I. GmbH für das jeweilige Geschäftsjahr<br />

der Schaden, wie von T. <strong>und</strong> auch den Angeklagten von Anfang an beabsichtigt, in allen Fällen bei der Treugeberin,<br />

also der von T. geführten Muttergesellschaft, eingetreten ist.<br />

e) Am Vorsatz T. bestehen weder hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit noch hinsichtlich des so verstandenen (endgültigen)<br />

Vermögensschadens Zweifel, wie nicht nur seine Verschleierungshandlungen gegenüber der Mitgesellschafterin,<br />

sondern auch die spätere, von ihm widerstandslos hingenommene Festlegung eines pauschalen Abschlags auf<br />

den Preis der Gesellschaftsanteile im Zuge der Übernahme durch die RWE belegen.<br />

2. Die Angeklagten F. <strong>und</strong> M. haben T. Beihilfe zu dessen Untreuehandlungen geleistet.<br />

a) In objektiver Hinsicht lag ihr Gehilfenbeitrag zum einen in der Veranlassung der Zahlungen der von ihnen geführten<br />

Unternehmen auf die Scheinrechnungen der S. AG, zum anderen in ihrer Beteiligung an der Schaffung einer<br />

Geschäftsfassade für diese Zahlungen.<br />

b) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts war beiden Angeklagten bekannt, dass den Zahlungen<br />

an die S. AG keine realen Gegenleistungen gegenüberstanden, sondern dass die Geschäftsbeziehung zur S. AG<br />

der Schaffung einer Legende diente, um erhebliche Summen verdeckt <strong>und</strong> unter Ausschluss der gesellschaftsrechtlichen<br />

Kontrollmechanismen ausgeben zu können. Beiden Angeklagten war auch bewusst, dass seitens der Mitgesellschafterin<br />

nicht nur kein Einverständnis mit den Vermögensverschiebungen erklärt worden war, sondern dass dieser<br />

in Folge der von ihnen mitinitiierten Verschleierungsmaßnahmen die Einrichtung der "Kriegskasse" schon nicht<br />

bekannt geworden war. Zwar wussten sie nicht um alle Einzelheiten der Verwaltung <strong>und</strong> Verwendung der in die<br />

verdeckte Kasse verschobenen Mittel durch T.. Von ihrem Vorsatz umfasst war aber, dass die Gelder auf ein Konto<br />

einer von H. kontrollierten ausländischen Briefkastenfirma gelangten, wobei als wirtschaftlich Berechtigte jedenfalls<br />

nicht die T. GmbH/AG ausgewiesen war. Faktisch konnte - wie sie wussten - allein T. unkontrolliert über die verschobenen<br />

Mittel verfügen. Die Sicherheitsrisiken, die bei einer solchen Vorgehensweise im Hinblick auf die Möglichkeit<br />

eines Verlusts der Gelder bestanden, waren ihnen jedenfalls im Allgemeinen bekannt. So wussten sie, dass<br />

die Sicherheit der Gelder in den Händen ihnen nur zum <strong>Teil</strong> bekannter, unredlich handelnder unternehmensexterner<br />

Personen lag, die Scheinrechnungen ohne realen Leistungshintergr<strong>und</strong> stellten. Auch war ihnen bewusst, dass T. bei<br />

möglichen Unregelmäßigkeiten an einer gerichtlichen Durchsetzung etwaiger Ansprüche gehindert gewesen wäre, da<br />

er die Existenz einer solchen Kasse nicht hätte offenbaren können, ohne dass dies zu erheblichen Steuernachforderungen<br />

<strong>und</strong> der naheliegenden Gefahr steuerstrafrechtlicher Verfolgung der in der Unternehmensgruppe Verantwortlichen<br />

geführt hätte.<br />

3. Auch die konkurrenzrechtliche Würdigung des Verhältnisses der Fälle 12, 14 <strong>und</strong> 15, der Fälle 8 <strong>und</strong> 9 sowie der<br />

Fälle 17 <strong>und</strong> 21 der Anklage zueinander stößt nicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Zwar war in diesen drei<br />

Tatkomplexen die Bezahlung mehrerer Scheinrechnungen der S. AG durch die Buchhaltung der U. GmbH jeweils im<br />

Wege einer einzelnen Sammelüberweisung erfolgt. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ging aber<br />

jeder einzelne Zahlungsvorgang <strong>und</strong> die damit einhergegangene Konstruktion der zugehörigen Geschäftsfassade im<br />

Wege der Rechnungsstellung durch die S. AG auf gesonderte Weisung des Zeugen T. zurück. Der Angeklagte F.<br />

165


eteiligte sich an den einzelnen Untreuehandlungen, indem er die jeweils getrennt eingegangenen Rechnungen der S.<br />

AG durch seine Paraphe zur Bezahlung durch die Buchhaltung freigab, in der Mehrzahl der genannten Fälle zudem<br />

auch bereits durch eigene Mitwirkung an der Schaffung der der jeweiligen Zahlung zu Gr<strong>und</strong>e gelegten Geschäftsfassade.<br />

Die in eine Sammelüberweisung mündende Bündelung mehrerer selbständiger Zahlungsvorgänge erfolgte<br />

ohne sein Zutun. Dass die Wirtschaftsstrafkammer bei dieser Sachlage von tatmehrheitlicher Begehungsweise ausgegangen<br />

ist, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.<br />

4. Schließlich sind auch die Strafzumessung <strong>und</strong> die Bemessung des zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen<br />

Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärten <strong>Teil</strong>s der jeweiligen Gesamtstrafe frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht<br />

hat den Strafrahmen des § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> zutreffend doppelt gemildert, weil den Angeklagten als Geschäftsführern<br />

von Tochtergesellschaften das strafbarkeitsbegründende persönliche Merkmal eines Treueverhältnisses<br />

zur T. GmbH/AG fehlte (§ 28 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> weil sie sich an den Taten des Haupttäters T. nur als Gehilfen<br />

beteiligten (§ 27 Abs. 2 S. 2 <strong>StGB</strong>). Dass es, ausgehend nur von einer Vermögensgefährdung, bei keiner Tat das<br />

naheliegende Vorliegen eines besonders schweren Falls nach § 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1<br />

<strong>StGB</strong> angenommen hat, beschwert die Angeklagten nicht. Die Einzelstrafen berücksichtigen die jeweiligen Schadenshöhen<br />

<strong>und</strong> bewegen sich im Rahmen tatrichterlichen Bewertungsspielraums. Ausdrücklich hat das Landgericht<br />

in seine Erwägungen den Umstand einbezogen, dass die Angeklagten in der nachgeordneten Stellung als Geschäftsführer<br />

von Tochtergesellschaften Anweisungen des alleinvertretungsberechtigten Mitgesellschafters der Muttergesellschaft<br />

ausführten, <strong>und</strong> auch deshalb handelten, um ihre berufliche Führungsposition nicht durch eine Weigerung<br />

zu riskieren, die ihnen als Illoyalität oder als mangelnde Zuverlässigkeit im Verhältnis zu T. hätte ausgelegt werden<br />

können (UA 501). Soweit die Revisionen beanstanden, die Angeklagten seien im Verhältnis zu T. <strong>und</strong> anderen Beteiligten<br />

zu hoch bestraft worden, zeigt dies keinen revisionsrechtlich beachtlichen Fehler auf. Die Angeklagten können<br />

sich auf eine etwaige unangemessene Milde einer gegen den Haupttäter oder gegen andere Beteiligte verhängten<br />

Strafe nicht berufen (vgl. BGH NStZ 1991, 581; NJW 1999, 2129, 2130; StraFo 2005, 208; StV 2008, 295, 296). Die<br />

Strafkammer hat es allerdings versäumt, in den Fällen, in denen sie Geldstrafen verhängt hat (Angeklagter F. : Fälle<br />

9, 15, 17, 21 <strong>und</strong> 24 der Anklage; Angeklagter M. : Fall 26 der Anklage), die jeweilige Tagessatzhöhe festzusetzen.<br />

Einer Festsetzung bedarf es auch dann, wenn - wie hier - aus Einzelgeldstrafen <strong>und</strong> Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

gebildet worden ist (BGHSt 30, 93, 97). Der Senat hat daher in entsprechender Anwendung des § 354<br />

Abs. 1 StPO die Tagessatzhöhe auf den gesetzlichen Mindestsatz festgesetzt.<br />

II. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts keinen Erfolg. Näherer<br />

Erörterung bedarf nur Folgendes:<br />

1. Das Landgericht hat die Beweisbehauptungen, der Zeuge T. habe, telefonisch informiert durch H. , jederzeit<br />

Kenntnis vom jeweiligen Vermögensstand der S. AG gehabt <strong>und</strong> habe die Auszahlungen, die von der S. AG vollzogen<br />

wurden, anhand ihm von H. zur Verfügung gestellter Kontoauszüge kontrolliert, als bereits erwiesen behandelt.<br />

Dies steht aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt dargelegten Gründen nicht im Widerspruch zu den Feststellungen im<br />

angefochtenen Urteil. Insbesondere widerspricht dem nicht die Feststellung, T. habe H. misstraut, d.h. den ihm allein<br />

durch H. telefonisch bzw. durch gelegentliche Übersendung von Kontoauszügen verschafften Überblick über den<br />

Bestand der "Kriegskasse" angezweifelt <strong>und</strong> deshalb Gelder auf den weiteren Strohmann E. ausgelagert (UA 190 f.,<br />

446) sowie seinen Rechtsanwalt G. mit Nachforschungen beauftragt (UA 192, 405, 433, 447). Im Übrigen war die<br />

auf den Umfang der durch T. ausgeübten Überprüfungsmöglichkeiten gerichtete Beweisbehauptung - von denen die<br />

Angeklagten ohnedies keine Kenntnis hatten (UA 201, 204) - für die Bewertung der einzelnen Vermögensverschiebungen<br />

als endgültige Vermögensnachteile aus den bereits im Zusammenhang mit der Sachrüge erörterten Gründen<br />

bedeutungslos. Das Landgericht war nicht gehindert, auch eine für die Entscheidung bedeutungslose Tatsache als<br />

bereits erwiesen anzusehen; eine Pflicht, bei einer unerheblichen Beweistatsache den Antrag als bedeutungslos abzulehnen,<br />

besteht nicht (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 244 Rn. 235; Meyer-Goßner, StPO, 53.<br />

Aufl., § 244 Rn. 57; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 332). Nach alldem hat das Landgericht<br />

den Beweisantrag rechtsfehlerfrei abgelehnt. Selbst wenn es sich im Urteil zu der als erwiesen behandelten Tatsache<br />

in Widerspruch gesetzt hätte, könnte wegen deren Bedeutungslosigkeit das Urteil auf einem solchen Rechtsfehler<br />

nicht beruhen.<br />

2. Die Beweisbehauptung, der Zeuge H. habe durch Verfügungen sichergestellt, dass die T. AG im Falle seines Ablebens<br />

jederzeitigen Zugriff auf das bei der S. AG angesammelte Depot gehabt hätte, hat die Kammer im Ergebnis zu<br />

recht als bedeutungslos behandelt. Wie bereits im Zusammenhang mit der Sachrüge ausgeführt, hindern allein Vorkehrungen<br />

für den Fall des Ablebens H.s die Bewertung der Überweisungen an die S. AG als endgültiger Vermögensnachteil<br />

bei der Treugeberin nicht. Eine Rückführung eventuell noch vorhandener Gelder an die Treugeberin<br />

166


eim Ableben H. s hätte angesichts der Gesamtkonstruktion der "Kriegskasse" lediglich eine nachträgliche Schadenswiedergutmachung<br />

bedeutet.<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Zweckwidrige Verwendung von Drittmitteln<br />

BGH, Urt. v. 30.09.2010 – 4 StR 150/10 - NStZ-RR 2011, 82<br />

1. Ein Lehrstuhlinhaber verletzt seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Universität,<br />

wenn er nach Abschluss von mit Drittmittel geförderten Projekten es unterlässt, der Hochschule<br />

gegenüber die nach Abschluss der jeweiligen Projekte noch verbleibenden Drittmittel zu offenbaren.<br />

2. Durch das Nichtoffenbaren der vorhandenen Drittmittel entsteht der Universität ein Vermögensnachteil<br />

im Sinne von § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong>.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. September 2010 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts vom 17. Juli 2009 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben,<br />

a) soweit es den Angeklagten Prof. Dr. F. betrifft, hinsichtlich der Tatkomplexe IV. 1. b. aa. (Vertrag "TPW"), IV. 1.<br />

b. bb. (Vertrag "Hybrid-System"), IV. 1. b. cc. (Vertrag "Hybrid-System II"), IV. 1. c. (Vertrag "InnoCluster"), IV. 2.<br />

a. (Projekt "In2Math") <strong>und</strong> IV. 2. b. (Projekt "math-kit"),<br />

b) soweit es den Angeklagten Dr. K. betrifft, hinsichtlich der Tatkomplexe IV. 2. a. (Projekt "In2Math") <strong>und</strong> IV. 2. b.<br />

(Projekt "math-kit").<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des Subventionsbetruges, den Angeklagten Prof. Dr. F. auch,<br />

soweit es um Förderprojekte zugunsten der Firma S. GmbH & Co. KG (S. KG) geht, vom Vorwurf der Untreue,<br />

sowie beide Angeklagte, soweit es um zwei Förderprojekte zugunsten der Universität geht, vom Vorwurf des Betruges<br />

freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen<br />

Rechts gestützten Revisionen – wie der Begründung der Rechtsmittel zu entnehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.<br />

September 2009 – 3 StR 293/09 <strong>und</strong> vom 12. April 1989 – 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3) –<br />

allein gegen den Freispruch des Angeklagten Prof. Dr. F. vom Vorwurf der Untreue in den Tatkomplexen IV. 1. b.<br />

aa. (Vertrag "TPW"), IV. 1. b. bb. (Vertrag "Hybrid-System"), IV. 1. b. cc. (Vertrag "Hybrid-System II"), IV. 1. c.<br />

(Vertrag "InnoCluster") sowie gegen den Freispruch beider Angeklagter in den Komplexen IV. 2. a. (Projekt<br />

"In2Math") <strong>und</strong> IV. 2. b. (Projekt "math-kit") der Urteilsgründe. Die wirksam beschränkten – vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

vertretenen – Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeschwerden<br />

der Staatsanwaltschaft nicht ankommt.<br />

I.<br />

1. Der Angeklagte Prof. Dr. F. war im Tatzeitraum Professor für Mathematik an der Universität. Seine Beschäftigung<br />

mit sogenannter Computeralgebra mündete im Jahre 1987 in der Gründung der– sodann von ihm geleiteten – M. -<br />

Forschungsgruppe ; seit Anfang der 1990er Jahre war diese ein <strong>Teil</strong> des Instituts , das "A. " genannt <strong>und</strong> vom Angeklagten<br />

sowie zwei weiteren Professoren geleitet wurde. In der M. -Forschungsgruppe waren weitere Wissenschaftler<br />

tätig, unter ihnen der Angeklagte Dr. K.. Mit Gesellschaftsvertrag vom 21. Februar 1997 gründete der Angeklagte<br />

Prof. Dr. F. die S. KG mit Sitz in <strong>und</strong> zwar als Ausgründung aus der Universität. Als alleiniger Kommanditist übernahm<br />

er eine Beteiligung von 100.000 DM. Komplementärin wurde die S. Verwaltungs GmbH, deren alleiniger<br />

Gesellschafter ebenfalls der Angeklagte Prof. Dr. F. war. Hintergr<strong>und</strong> für die Gründung der Kommanditgesellschaft<br />

war, dass die Entwicklungen der "M. -Forschungsgruppe" kommerziell verwertet <strong>und</strong> vermarktet werden sollten. Der<br />

Angeklagte Dr. K. übernahm ab dem 1. Oktober 1997 die Stellung als alleiniger Geschäftsführer der S. Verwaltungs<br />

GmbH. Gegenstand der zugelassenen Anklage waren zum einen – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse<br />

– zwei Förderprojekte des Landes Nordrhein-Westfalen zugunsten der S. KG, die hinsichtlich aller Projekte Unteraufträge<br />

an die Universität vergeben hat, <strong>und</strong> zum anderen zwei weitere Förderprojekte, in welchen die Universität<br />

Fördermittel erhalten <strong>und</strong> ihrerseits Unteraufträge an die S. KG erteilt hat. Die Anklage hat den Angeklagten zur Last<br />

gelegt, dass die Fördermittel, welche die Universität aufgr<strong>und</strong> der abgeschlossenen Fremdleistungsverträge mit der<br />

167


S. KG erhalten hat, (größtenteils) nicht projektbezogen verwendet worden seien. Im Hinblick auf die Förderprojekte<br />

des B<strong>und</strong>es zugunsten der Universität seien Entwicklungsleistungen der S. KG abgerechnet worden, denen kein<br />

entsprechender Personal- oder Arbeitsaufwand zugr<strong>und</strong>e gelegen habe.<br />

2. Zu diesen in der Anklage als Subventionsbetrug bzw. Beihilfe hierzu gewerteten Vorwürfen hat das Landgericht<br />

folgende Feststellungen getroffen:<br />

a) Tatkomplex IV. 1. b. der Urteilsgründe – TPW – Multimediale mathematisch-technische Arbeitsumgebung für<br />

Ingenieure, Mathematiker <strong>und</strong> Naturwissenschaftler basierend auf einem mathematisch-technischen Expertensystem.<br />

Bei dieser Fördermaßnahme handelt es sich um eine Zuwendung des Landes Nordrhein-Westfalen an die S. KG im<br />

Rahmen des Technologieprogramms Wirtschaft (TPW NW). Nach dem Zuwendungsbescheid des Ministeriums für<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Mittelstand, Technologie <strong>und</strong> Verkehr vom 19. Dezember 1997 wurde das Projekt in Höhe von<br />

684.159 DM gefördert. Der mehrfach verlängerte Bewilligungszeitraum endete am 31. Dezember 2002. Die Universität<br />

wurde aufgr<strong>und</strong> von drei Fremdleistungsverträgen mit der S. KG tätig.<br />

aa) Tatkomplex IV. 1. b. aa: Namensräume für Computer-Algebra-Systeme mit lexikalischer Variabelenbildung<br />

(Kennwort: TPW). Zunächst wurde am 1. Dezember 2000 ein Vertrag – unterzeichnet vom Angeklagten Dr. K. <strong>und</strong><br />

vom Zeugen P. in Vertretung der Kanzlerin der Universität – über die Durchführung des vorgenannten Forschungs-<br />

<strong>und</strong> Entwicklungsvorhabens abgeschlossen. Die Vergütung aus diesem Vertrag in Höhe von 125.000 DM ist am 26.<br />

Januar 2001 an die Universitätskasse unter Angabe der Projekt Nr. <strong>und</strong> des Kennworts "TPW" überwiesen worden.<br />

In dieser Zeit kam es zwischen dem Angeklagten Prof. Dr. F. <strong>und</strong> der Universitätsverwaltung zu Unstimmigkeiten<br />

über die Verwaltung von Drittmittelkonten. Die Universitätsverwaltung hatte von Sachmittelkonten des Angeklagten<br />

pauschale Abbuchungen vorgenommen, um damit andere Projekte der Universität zu fördern. Er beschloss deshalb,<br />

ihm gewährte Drittmittel dem Zugriff der Universitätsverwaltung zu entziehen (UA 24) <strong>und</strong> diese auf eigenen Konten<br />

selbständig zu verwalten sowie unabhängig von der Kontrolle der Universität auszugeben. Weiterhin plante er,<br />

die Gelder zeitweise auf Festgeldkonten mit höheren Zinsen einzuzahlen, um die Gelder später für seine Forschungen<br />

an der Universität zu verwenden <strong>und</strong> die aufgelaufenen Zinsen seinen Universitätsprojekten als Spende zukommen<br />

zu lassen. Dieses Vorhaben, dem der Angeklagte Dr. K. "als Projektförderer" bereits mit Schreiben vom 4.<br />

Dezember 2001 zugestimmt hatte, war Gegenstand einer E-Mail des Angeklagten Prof. Dr. F. vom 16. Mai 2002 an<br />

den Zeugen Sch., den zuständigen Dezernenten der Hochschule für die Drittmittelverwaltung. Der Angeklagte führte<br />

aus, dass weder der Hochschule noch dem Projekt durch diese Handhabung ein Nachteil entstünde, denn das Projekt<br />

werde zielstrebig durch Nutzung von Synergien <strong>und</strong> auch durch Substitution vorangetrieben. Die Gelder selbst würden<br />

der Hochschule zur Verfügung stehen, sobald das Projekt abgeschlossen wäre, d. h. die Mittel frei verfügbare<br />

Drittmittel wären. Mit Schreiben vom 29. Mai 2002 erklärte sich der Zeuge Sch. mit der Selbstverwaltung der Drittmittel<br />

einverstanden. Bereits mit Schreiben vom 5. April 2002 an die Kanzlerin der Universität hatte der Angeklagte<br />

Prof. Dr. F. ausgeführt, dass die Drittmittel von ihm "als sichere Festgelder/Geldmarktfonds" angelegt <strong>und</strong> bei dem<br />

schon genau geplanten Bedarf nur über die Hochschulkasse zweckgeb<strong>und</strong>en verausgabt würden.<br />

bb) Tatkomplex IV. 1. b. bb: hybrides symbolisch-numerisches System (Kennwort: Hybrid-System). Nach den Feststellungen<br />

der Wirtschaftsstrafkammer schlossen das Unternehmen S. KG <strong>und</strong> die Universität am 1. November 2001<br />

einen Vertrag über die Durchführung des vorgenannten Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungs-vorhabens. Die Vergütung<br />

aus diesem Vertrag in Höhe von 120.000 DM (61.355,03 €) überwies die S. KG am 6. Februar 2002 an den Angeklagten<br />

Prof. Dr. F. auf dessen Konto Nr. bei der Sparkasse.<br />

cc) Tatkomplex IV. 1. b. cc: hybrides symbolisch-numerisches System II (Kennwort Hybrid-System II). Über die<br />

Durchführung dieses Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsvorhabens wurde am 2. September 2002 ein Fremdleistungsvertrag<br />

zwischen der S. KG <strong>und</strong> der Universität abgeschlossen. Die Vergütung aus dem Vertrag in Höhe von 60.000 €<br />

wurde am 27. Dezember 2002 an den Angeklagten Prof. Dr. F. auf dessen vorgenanntes Sparkassenkonto überwiesen.<br />

Nach den aufgr<strong>und</strong> der vorgelegten Kontoauszüge getroffenen Feststellungen sind die aus den Verträgen "Hybrid-System"<br />

<strong>und</strong> "Hybrid-System II" stammenden Gelder in den Jahren 2002 <strong>und</strong> 2003 zunächst in vollem Umfang<br />

zum Kauf von Wertpapieren bei der D. bank verwendet worden, die zum 30. Dezember 2004 wieder verkauft wurden.<br />

Der aus dem Verkauf resultierende Erlös von 124.144,92 € wurde auf ein Festgeldkonto des Angeklagten Prof.<br />

Dr. F. mit der Nr. bei der Sparkasse umgebucht. Am 7. Dezember 2005 überwies der Angeklagte einen <strong>Teil</strong>betrag in<br />

Höhe von 23.000 € von dort auf sein Sammelkonto Nr. bei der Universität. Das übrige Festgeldguthaben wurde in<br />

den Jahren 2006 <strong>und</strong> 2007 in mehreren <strong>Teil</strong>beträgen auf das weitere Kontokorrentkonto des Angeklagten bei der<br />

Sparkasse mit der Nr. umgebucht <strong>und</strong> von dort – wiederum in mehreren <strong>Teil</strong>beträgen – auf das oben genannte Sammelkonto<br />

des Angeklagten bei der Universität transferiert.<br />

b) Tatkomplex IV. 1. c. – PSS – mathematisch-technische Expertensysteme für Handheld-Computer. Im Rahmen<br />

dieser Fördermaßnahme des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Programm "Industriere-<br />

168


gionen im Strukturwandel" (PSS) erging der Zuwendungsbescheid zugunsten der S. KG am 15. November 2000.<br />

Antragsgemäß wurde für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2002 eine Anteilsfinanzierung<br />

in Höhe von 254.454 DM (130.100,26 €) bewilligt. Im Blick auf dieses Projekt schloss die S. KG am 1.<br />

Dezember 2000 einen Fremdleistungsvertrag mit der Universität über die Durchführung eines Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsvorhabens<br />

zum Thema "Mathematische Expertensysteme für Handheld-Computer (Kennwort: InnoCluster)".<br />

Als Vergütung war ein Betrag von 193.800 DM vorgesehen, der nach einem Auszahlungsplan in sechs <strong>Teil</strong>beträgen<br />

auf ein Konto der Universitätskasse überwiesen werden sollte. Dort sind lediglich zwei Zahlungen von jeweils<br />

24.225 DM eingegangen, <strong>und</strong> zwar am 26. Januar <strong>und</strong> am 26. April 2001. Aus diesem Guthaben wurden keine Projektausgaben<br />

bestritten. Es wurde vielmehr unangetastet auf dem Projektkonto weitergeführt <strong>und</strong> schließlich am 26.<br />

August 2004 auf das bereits erwähnte Sammelkonto des Angeklagten Prof. Dr. F. mit der Nr. umgebucht. Im Jahr<br />

2005 wurde das Guthaben für Personalausgaben verwendet. Die weitere aus dem Vertrag "InnoCluster" stammende<br />

Vergütung in Höhe von insgesamt 145.350 DM (74.316,28 €) ist in drei <strong>Teil</strong>beträgen, am 7. Februar 2002 in Höhe<br />

von 33.415,48 €, am 11. Juli 2002 in Höhe von 28.514,75 € <strong>und</strong> am 18. November 2002 in Höhe von 12.386,05 €<br />

auf das Konto Nr. des Angeklagten Prof. Dr. F. bei der Sparkasse zur Gutschrift gelangt. Von dort wurden auch diese<br />

Forschungsmittel auf das Sammelkonto des Angeklagten bei der Universität mit der Nr. transferiert. Insgesamt sind<br />

auf diesem Sammelkonto 168.780 € eingegangen.<br />

c) Tatkomplexe IV. 2. a. (Projekt "In2Math: Interaktive Mathematik- <strong>und</strong> Informatik-Gr<strong>und</strong>ausbildung") <strong>und</strong> IV. 2.<br />

b. (Projekt "math-kit"). Nach den Feststellungen der Strafkammer zu diesen Tatkomplexen war die S. KG bei den<br />

beiden Förderprojekten "In2Math" <strong>und</strong> "math-kit" für die – unmittelbar mit anderen Projektpartnern geförderte –<br />

Universität als Unterauftragnehmerin tätig. Für das Projekt "In2Math" wurden am 17. Januar 2001 491.284 DM<br />

bewilligt; für Unteraufträge an die S. KG wurden – gegenüber im Zuwendungsantrag veranschlagten 157.600 DM –<br />

182.900 DM (93.515,29 €) abgerechnet. Das Projekt "math-kit" wurde am 29. Januar 2001 mit 1.824.468 DM unterstützt<br />

(Projektförderung auf Ausgabenbasis), wobei für Fremdarbeiten auf der Gr<strong>und</strong>lage eines aktualisierten Angebots<br />

der S. KG 668.650 DM veranschlagt <strong>und</strong> von dem Unternehmen gegenüber der Universität mit zehn Rechnungen<br />

über insgesamt 700.053,90 DM (357.931,88 €) abgerechnet wurde. Beide Projekte wurden im Rahmen des Förderprogramms<br />

"Neue Medien in der Bildung" des B<strong>und</strong>esministeriums für Bildung <strong>und</strong> Forschung (BMBF) durchgeführt.<br />

Nach den diesem Programm zugr<strong>und</strong>e liegenden Richtlinien war Zuwendungszweck die Förderung von Vorhaben<br />

zur Entwicklung, Erprobung <strong>und</strong> Einführung innovativer <strong>und</strong> multimedialer Lehr- <strong>und</strong> Lernformen an Hochschulen.<br />

Mit der Prüfung <strong>und</strong> Durchführung der Fördervorhaben beauftragte das BMBF als Projektträger die Fraunhofer-Gesellschaft<br />

e.V., St. Augustin ("In2Math") bzw. das Deutsche Zentrum für Luft- <strong>und</strong> Raumfahrt e.V. (DLR),<br />

Bonn ("math-kit"). Der Zeuge N. betreute beim DLR das Bewilligungsverfahren.<br />

3. a) Hinsichtlich der zwei Förderprojekte des Landes Nordrhein-Westfalen zugunsten der S. KG hat das Landgericht<br />

beide Angeklagte von dem ursprünglich erhobenen Vorwurf des Subventionsbetruges, den Angeklagten Prof. Dr. F.<br />

auch vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Letzterer habe sich nicht dadurch der Untreue schuldig gemacht,<br />

dass er die im Rahmen der Fremdleistungsverträge gezahlten Entgelte nicht unmittelbar für die Ausführung dieser<br />

Unteraufträge verwendet, sondern auf Festgeldkonten bei der Sparkasse angelegt <strong>und</strong> erst später wieder dem Universitätshaushalt<br />

zugeführt habe. Zwar habe die Hochschule auch im Tatzeitraum bei Drittmittelprojekten ein angemessenes<br />

Entgelt u.a. für die Inanspruchnahme ihres Personals verlangen können. Die bei den Projekten "TPW" <strong>und</strong><br />

"PSS" für das Personal angefallenen Kosten seien teilweise aus dem Personalkostenetat der Hochschule finanziert<br />

worden. Dadurch, dass er es der Hochschule nicht ermöglicht habe, ein entsprechendes Entgelt einzufordern, könnte<br />

der Angeklagte seine Vermögensbetreuungspflichten verletzt haben. Der Universität sei aber kein Schaden entstanden.<br />

Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass man auf Seiten der Universität die von dem Angeklagten auf den<br />

Sparkassenkonten "geparkten" Gelder ohnehin nicht als Entgelt für die Tätigkeit der Universitätsmitarbeiter bei der<br />

Abwicklung der Unteraufträge einbehalten hätte. Daher könne auch nicht festgestellt werden, dass dem Angeklagten<br />

Prof. Dr. F. bewusst gewesen sei, sein Verhalten verstoße möglicherweise gegen seine Pflichten nach dem Hochschulgesetz.<br />

b) Hinsichtlich der Projekte "In2Math" <strong>und</strong> "math-kit" hat das Landgericht die Angeklagten von dem ursprünglich<br />

gegen sie erhobenen Vorwurf des Subventionsbetruges bzw. der Beihilfe hierzu sowie vom Vorwurf des Betruges<br />

freigesprochen. Durch die Verwendung <strong>und</strong> Abrechnung von Software, die zumindest teilweise bereits in dem durch<br />

das Land Nordrhein-Westfalen geförderten Projekt "TPW" entwickelt worden sei, hätten sich die Angeklagten insbesondere<br />

nicht des Betruges schuldig gemacht. Zwar sei durch die Angebote der S. KG im Rahmen des Projektes<br />

"math-kit" sowie in den späteren Beschaffungsanträgen <strong>und</strong> den Zwischenverwendungsnachweisen der Eindruck<br />

erweckt worden, dass es sich bei den Leistungen der S. KG um zeitnahe Entwicklungen handele, die konkret für<br />

dieses Projekt erbracht worden <strong>und</strong> für die konkrete Arbeitsst<strong>und</strong>en während der Projektlaufzeit angefallen seien.<br />

169


Auch sei bei den zuständigen Mitarbeitern des DLR ein entsprechender Irrtum entstanden. Es könne aber schon nicht<br />

mit der "entsprechenden" Sicherheit gesagt werden, dass dieser Irrtum ursächlich für die Förderung des Projekts<br />

"math-kit" gewesen sei. Zudem könne nicht festgestellt werden, dass dem Förderungsgeber ein Schaden entstanden<br />

sei; der Zweck der Förderung, nämlich die Entwicklung von innovativen Lehr- <strong>und</strong> Lernkonzepten unter Verwendung<br />

moderner Medien, sei nämlich erreicht worden.<br />

II. Das Urteil hat schon deshalb keinen Bestand, weil es nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil nach<br />

§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO genügt. Die Urteilsbegründung muss aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGH, Urteile<br />

vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2; vom 26. April 1990 – 4 StR<br />

24/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 3 <strong>und</strong> vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5<br />

Freispruch 10). Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich nicht, welche strafbaren Handlungen<br />

dem Angeklagten Prof. Dr. F. konkret im Zusammenhang mit den beiden Förderprojekten zugunsten der<br />

Firma S. KG <strong>und</strong> den diesbezüglich mit der Universität abgeschlossenen Fremdleistungsverträgen "TPW", "Hybrid-<br />

System", "Hybrid-System II" <strong>und</strong> "InnoCluster" vorgeworfen werden. Zu dem Vertrag "TPW" führt das Landgericht<br />

lediglich aus, dass die Vergütung am 26. Januar 2001 an die Universitätskasse überwiesen worden sei. Feststellungen<br />

dahingehend, ob diese Forschungsmittel überhaupt projektbezogen eingesetzt wurden, werden dagegen nicht getroffen.<br />

In Bezug auf den Fremdleistungsvertrag "InnoCluster" stellt die Strafkammer zwar noch fest, dass die an die<br />

Universitätskasse geleisteten <strong>Teil</strong>zahlungen in Höhe von 48.450 DM nicht projektrelevant eingesetzt wurden. Im<br />

Rahmen der Beweiswürdigung stützt der Tatrichter die mögliche Untreuehandlung des Angeklagten aber nur darauf,<br />

dass er die erzielten Entgelte nicht unmittelbar für die Ausführung der Unteraufträge verwendet, sondern auf Festgeldkonten<br />

bei der Sparkasse angelegt <strong>und</strong> erst später wieder dem Universitätshaushalt zugeführt habe. Es bleibt<br />

somit unklar, ob das Landgericht auch hinsichtlich der von der S. KG an die Universitätskasse geleisteten Zahlungen<br />

eine Untreuehandlung überhaupt in Erwägung gezogen hat. Zudem wird die Urteilsbegründung den Anforderungen<br />

an eine zusammenhängende Wiedergabe der Einlassung der Angeklagten <strong>und</strong> deren Würdigung unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände nicht gerecht. Im Rahmen der erforderlichen Beweiswürdigung muss das Landgericht von der<br />

Einlassung des Angeklagten ausgehen <strong>und</strong> diese so vollständig <strong>und</strong> genau wiedergeben, wie es erforderlich ist, damit<br />

das Revisionsgericht prüfen kann, ob der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu Recht die<br />

Einlassung als unwiderlegbar seiner Entscheidung zugr<strong>und</strong>e gelegt hat (BGH, Urteil vom 4. Juli 1991 – 4 StR<br />

233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Es bedarf somit einer geschlossenen <strong>und</strong> zusammenhängenden<br />

Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Gr<strong>und</strong>züge der Einlassung des Angeklagten, um diese einer umfassenden<br />

Würdigung unterziehen zu können (BGH, Urteile vom 17. Mai 1990 – 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5<br />

Freispruch 4 <strong>und</strong> vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10; BGH, Beschluss<br />

vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90). Das Landgericht teilt die Einlassungen der Angeklagten jedoch lediglich<br />

bruchstückhaft <strong>und</strong> verstreut über verschiedene Abschnitte der Urteilsbegründung mit. So hat es etwa in Bezug auf<br />

die Förderprojekte zugunsten der S. KG lediglich angegeben, dass die Feststellungen zu den Finanztransaktionen<br />

auch auf den Angaben des Angeklagten Prof. Dr. F. beruhten. Des Weiteren führt es aus, dass nach den unwiderlegbaren<br />

Angaben dieses Angeklagten die insoweit angefallenen Personalkosten teilweise aus dem Personalkostenetat<br />

der Hochschule <strong>und</strong> im Übrigen aus freien Drittmitteln aufgebracht worden seien. Auch die Feststellung, dass die in<br />

den Projekten "In2Math" <strong>und</strong> "math-kit" durch die S. KG in Rechnung gestellten Entwicklungskosten teilweise nicht<br />

direkte Arbeiten im Rahmen dieser Projekte, sondern eine Lieferung von Software beträfen, die in dem Projekt<br />

"TPW" entwickelt worden sei, würden auf den eigenen Einlassungen der Angeklagten beruhen. Zwar ist die Mitteilung<br />

der Einlassung des Angeklagten kein Selbstzweck, sondern dient vielmehr dazu, dem Revisionsgericht die<br />

Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 1. April 1992<br />

– 2 StR 614/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 8). Hier fehlt es aber nicht nur an einer zusammenhängenden<br />

Wiedergabe der Einlassungen der Angeklagten, sondern es werden nicht einmal deren wesentliche Gr<strong>und</strong>züge mitgeteilt.<br />

III. Das angefochtene Urteil begegnet auch im Weiteren durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

1. Soweit das Landgericht in den Tatkomplexen IV. 1. b. bb. (Vertrag "Hybrid-System"), IV. 1. b. cc. (Vertrag "Hybrid-System<br />

II") <strong>und</strong> IV. 1. c. (Vertrag "InnoCluster") eine Strafbarkeit des Angeklagten Prof. Dr. F. wegen Untreue<br />

verneint hat, hält bereits die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Zwar ist die Beweiswürdigung gr<strong>und</strong>sätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist aber rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft<br />

ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder nahe liegende Schlussfolgerungen nicht<br />

erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder<br />

wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.;<br />

vgl. etwa BGH, Urteile vom 31. März 1999 – 5 StR 689/98, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; vom 30.<br />

170


März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 f. <strong>und</strong> vom 7. Januar 2010 – 4 StR 413/09, NStZ 2010, 407, 408).<br />

Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung<br />

wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen.<br />

Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH, Urteil<br />

vom 13. Januar 2010 – 1 StR 247/09).<br />

b) Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen kann das Urteil in den Tatkomplexen IV. 1. b. bb. (Vertrag "Hybrid-System"), IV. 1. b.<br />

cc. (Vertrag "Hybrid-System II") <strong>und</strong> IV. 1. c. (Vertrag "InnoCluster") keinen Bestand haben. Die Beweiswürdigung<br />

des Landgerichts erweist sich als lückenhaft, da wesentliche Umstände, die für eine Untreue des Angeklagten Prof.<br />

Dr. F. sprechen könnten, nicht erörtert werden. Betrachtet man die Beträge, die für die drei genannten Fremdleistungsverträge<br />

zunächst auf Konten dieses Angeklagten bei der Sparkasse gelangt sind, so ergibt sich zwischen diesen<br />

Beträgen in Höhe von 61.355,03 € ("Hybrid-System"), von 60.000 € ("Hybrid-System II") bzw. von 74.316,28 €<br />

("InnoCluster") <strong>und</strong> dem auf das Sammelkonto des Angeklagten bei der Universität im Jahr 2006 insgesamt überwiesenen<br />

Geldbetrag in Höhe von 168.780 € (einschließlich des bereits am 7. Dezember 2005 dorthin überwiesenen<br />

Betrages von 23.000 € <strong>und</strong> der am 27. Februar 2007 erfolgten Schlusszahlung von 1.000 €) ein Differenzbetrag von<br />

26.891,31 €. Auf diesen Differenzbetrag geht die Strafkammer in der Beweiswürdigung nicht ein, obwohl hinsichtlich<br />

dieser Tatkomplexe eine mögliche Untreuehandlung auch darin bestehen könnte, dass hoheitliche Mittel für<br />

private Zwecke verwendet worden sein könnten (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 1982 – 1 StR 209/82, NJW 1982,<br />

2881; MünchKomm/<strong>StGB</strong>/Dierlamm § 266 Rn. 220).<br />

2. Soweit das Landgericht bei den Förderprojekten zugunsten der S. KG nur darauf abgestellt hat, dass ein Untreueschaden<br />

nicht darin zu sehen ist, dass die Universität kein Entgelt für die Durchführung der Drittmittelprojekte unter<br />

Inanspruchnahme ihres Personals <strong>und</strong> ihrer Sachmittel erhalten hat, begegnet dies ebenfalls durchgreifenden rechtlichen<br />

Bedenken.<br />

a) Das Landgericht hat insoweit den Regelungsgehalt des zur Tatzeit geltenden § 101 des Gesetzes über die Hochschulen<br />

des Landes Nordrhein-Westfalen (HG NRW) vom 14. März 2000 (GV. NRW. 2000, S. 190) nicht hinreichend<br />

berücksichtigt. Nach § 101 Abs. 6 HG NRW 2000 (entspricht dem geltenden § 71 Abs. 6 HG NRW) stehen<br />

finanzielle Erträge der Hochschule aus (drittmittelfinanzierten) Forschungsvorhaben, die in der Hochschule durchgeführt<br />

werden, insbesondere aus Einnahmen, die der Hochschule als Entgelt für die Inanspruchnahme von Personal,<br />

Sachmitteln <strong>und</strong> Einrichtungen zufließen, der Hochschule für die Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung. Die als<br />

zwingende Regelung formulierte Norm hat vor allem den Sinn klarzustellen, dass finanzielle Erträge oder auch<br />

"freie" Drittmittelreste weder dem Drittmittelgeber noch dem Drittmittelforscher zufließen, sondern der Hochschule<br />

haushaltsrechtlich verbleiben (vgl. Detmer in Leuze/Epping Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen § 71 Rn. 184 [Stand: Oktober 2008]; Reich Hochschulrahmengesetz mit Wissenschaftszeitvertragsgesetz,<br />

10. Aufl., § 25 Rn. 18). Erfasst sind Erträgnisse aus der Forschung ganz allgemein (Löwer in Hailbronner/Geis<br />

Hochschulrecht in B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern § 25 Rn. 83 [Stand: September 2004]). Ein Vermögensschaden könnte daher<br />

auch darin liegen, dass noch nahezu vollständig vorhandene <strong>und</strong> damit "freie" Drittmittel nicht dem Haushalt der<br />

Universität nach Abschluss der Projekte zugeführt wurden.<br />

b) Der neue Tatrichter wird deshalb bei der Prüfung des § 266 <strong>StGB</strong> insbesondere Folgendes zu beachten haben:<br />

aa) Der Angeklagte Prof. Dr. F. als Lehrstuhlinhaber hat auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen Feststellungen seine Vermögensbetreuungspflicht<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 1982 – 1 StR 209/82, NJW 1982, 2881) verletzt, indem er<br />

es unterlassen hat, der Hochschule gegenüber die nach Abschluss der jeweiligen Projekte noch verbleibenden Drittmittel<br />

zu offenbaren. Nach dem Regelungsgehalt des § 101 Abs. 6 HG NRW 2000 gehörte es zum Kernbereich der<br />

Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten, der Universität bislang unbekannte, ihr zustehende Vermögenswerte<br />

offenzulegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. August 2008 - 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323, 333 f.).<br />

bb) Ein ausdrückliches oder stillschweigendes Einverständnis der Treugeberin, welche eine Pflichtwidrigkeit hätte<br />

ausschließen können (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2010 – 2 StR 111/09), hat das Landgericht nicht festgestellt.<br />

Freilich hat der Zeuge Sch. , der zuständige Dezernent für die Drittmittelverwaltung, angegeben, dass es häufiger<br />

vorgekommen sei, dass nach Beendigung von Projekten auf den jeweiligen Drittmittelkonten noch größere Geldbeträge<br />

vorhanden gewesen seien, die von der Universität nicht vereinnahmt, sondern auf das Sammelkonto des jeweiligen<br />

Professors umgebucht worden seien. Auch der Zeuge V., ein Sachbearbeiter in der Drittmittelverwaltung, hat<br />

bek<strong>und</strong>et, dass die auf dem Drittmittelkonto verbliebenen ersparten Aufwendungen dem jeweiligen Professor als<br />

freie Drittmittel auf seinem Sammelkonto zur Verfügung gestellt worden seien. Abgesehen davon, dass sich gerade<br />

auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> des zwingenden Charakters des § 101 Abs. 6 HG NRW 2000 dem Urteil nicht entnehmen<br />

lässt, wer in der Universität für derartige Entscheidungen über den Verbleib nicht verbrauchter Drittmittel zuständig<br />

war (vgl. §§ 18 ff. HG NRW 2000) <strong>und</strong> ob solche getroffen wurden, setzt eine solche Handhabung in jedem Fall die<br />

171


Kenntnis der zuständigen Stelle voraus, dass freie Drittmittel vorhanden sind. Dies ist im Hinblick auf die Forschungsmittel,<br />

die auf den privaten Sparkassenkonten des Angeklagten Prof. Dr. F. eingegangen sind, jedenfalls<br />

nicht hinreichend belegt. In diesem Zusammenhang ist die E-Mail des Angeklagten vom 16. Mai 2002 an den Zeugen<br />

Sch. von Bedeutung, mit welcher er die Selbstverwaltung der Drittmittel beantragte <strong>und</strong> insoweit zusicherte,<br />

dass die Gelder der Hochschule als frei verfügbare Drittmittel zur Verfügung stünden, sobald das Projekt abgeschlossen<br />

sei. Der Angeklagte kündigte somit eine projektbezogene Verwendung der Drittmittel an. Auch verhält<br />

sich das Urteil nicht dazu, für welche der verschiedenen Fremdleistungsverträge er eine Selbstverwaltung der Drittmittel<br />

gemäß dem – auf das jeweilige Projekt bezogenen – § 101 Abs. 4 Satz 4 HG NRW 2000 beantragt hatte, so<br />

dass nach den Feststellungen bereits fraglich bleibt, in welchem Umfang die Universität überhaupt Kenntnis vom<br />

Eingang der Fördergelder auf Privatkonten des Angeklagten hatte. Des Weiteren ist hinsichtlich einer Kenntnis der<br />

zuständigen Organe der Universität zu bedenken, dass bereits vor der Entscheidung über die Selbstverwaltung der<br />

Drittmittel am 29. Mai 2002 ein Geldtransfer auf die Privatkonten stattgef<strong>und</strong>en hat. So sind am 6. <strong>und</strong> 7. Februar<br />

2002 Vergütungen aus den Verträgen "Hybrid-System" <strong>und</strong> "InnoCluster" auf Privatkonten des Angeklagten gutgeschrieben<br />

worden. Die Universität hatte auch durchaus ein materielles Interesse an den Drittmitteln; sie hatte nämlich<br />

von Sachmittelkonten des Angeklagten pauschale Abbuchungen vorgenommen, um andere Projekte der Universität<br />

zu fördern. Dieses Vorgehen war Auslöser für den Entschluss des Angeklagten, ihm gewährte Drittmittel dem Zugriff<br />

der Universitätsverwaltung zu entziehen (UA 24). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen<br />

zu den Fremdleistungsverträgen "Hybrid-System", "Hybrid-System II" <strong>und</strong> "InnoCluster" sämtliche Forschungsmittel<br />

nicht projektrelevant verwendet wurden, auch soweit ein <strong>Teil</strong>betrag von der S. KG an die Universitätskasse<br />

gezahlt wurde. Es geht also nicht darum, dass noch Drittmittel nach Projektabschluss vorhanden sind, sondern<br />

es standen sämtliche Forschungsmittel weiterhin zur Verfügung.<br />

cc) Durch das Nichtoffenbaren der (vollständig) vorhandenen Drittmittel ist der Universität auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />

bisher getroffenen Feststellungen ein Vermögensnachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 <strong>StGB</strong> entstanden. Diese konnte<br />

auf ihr gemäß § 101 Abs. 6 HG NRW 2000 zustehende Vermögenswerte keinen Zugriff nehmen, da sie keine<br />

Kenntnis von diesen Geldmitteln hatte. Der Angeklagte hielt insoweit auch nicht eigenes Vermögen zum Einsatz<br />

bereit, sondern verheimlichte gegenüber der Universität jedenfalls über einen erheblichen Zeitraum Geldvermögen,<br />

um dieses nach Maßgabe eigener Zweckmäßigkeitserwägungen bei noch nicht absehbaren späteren Gelegenheiten<br />

für möglicherweise nützliche Zwecke einzusetzen. Die eventuelle Rückführung der entzogenen Mittel ist allenfalls<br />

eine Schadenswiedergutmachung (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 2008 - 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323, 336 ff.;<br />

bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08; BGH, Urteil vom 27. August 2010 – 2 StR<br />

111/09).<br />

dd) Vor diesem rechtlichen Hintergr<strong>und</strong> wird auch der subjektive Tatbestand neu zu bewerten sein.<br />

3. Soweit das Landgericht die Angeklagten in den Tatkomplexen IV. 2. a. (Projekt "In2Math") <strong>und</strong> IV. 2. b. (Projekt<br />

"math-kit") der Urteilsgründe vom Vorwurf des Betruges freigesprochen hat, leidet das Urteil ebenfalls an durchgreifenden<br />

Rechtsfehlern.<br />

a) Das Landgericht hat im Hinblick auf das Projekt "math-kit" zwar angenommen, dass "durch die Angebote der<br />

Firma S. im Rahmen des Projekts … sowie in den späteren Beschaffungsanträgen <strong>und</strong> den Zwischenverwendungsnachweisen<br />

der Eindruck erweckt worden (ist), dass es sich bei den Leistungen der Firma S. um zeitnahe Entwicklungen<br />

handelte, die konkret für dieses Projekt erbracht worden sind <strong>und</strong> für die konkrete Arbeitsst<strong>und</strong>en während<br />

der Projektlaufzeit angefallen sind"; der Zeuge Dr. So. hatte auf Anweisung des Angeklagten Dr. K. die Entwicklungskosten<br />

für das Angebot aufgeschlüsselt. Das Tatgericht hat sodann aber einen zu strengen Maßstab hinsichtlich<br />

der Kausalität des Irrtums für die getroffene Vermögensverfügung angelegt. Es hat mit rechtsfehlerhafter, jedenfalls<br />

unklarer Begründung den Angaben des Zeugen N. als Betreuer des Bewilligungsverfahrens die ihnen zukommende<br />

rechtliche Bedeutung abgesprochen. Dieser Zeuge hat bek<strong>und</strong>et, dass von seiner Seite das Projekt nicht befürwortet<br />

worden wäre, wenn er gewusst hätte, dass in größerem Maße bereits vorhandene oder von dritter Seite noch zu erstellende<br />

Standardsoftware verwendet worden wäre. Der Zeuge L. hat dagegen zwar die Zuwendungsbescheide unterzeichnet,<br />

dabei aber keine eigene detaillierte Prüfung der in Rede stehenden Punkte vorgenommen, sondern seine<br />

Unterschrift nach der Empfehlung des DLR <strong>und</strong> einer Diskussion im Beirat im BMBF geleistet. Auch wenn erst die<br />

letzte Verfügung durch den Zeugen L. die Vermögensminderung ermöglichte, war diese eine zwingende bzw. wirtschaftliche<br />

Folge des durch die Täuschung beim Zeugen N. hervorgerufenen Irrtums (vgl. BGH, Urteil vom 20.<br />

Februar 1991 – 2 StR 421/90, BGHR <strong>StGB</strong> § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 29). Ebenso hält die Begründung, mit<br />

der die Strafkammer im Tatkomplex "math-kit" einen Vermögensschaden verneint hat, rechtlicher Nachprüfung<br />

nicht stand. Liegt ein zweckwidriger Einsatz öffentlicher Mittel vor, so kann darin bereits ein Schaden liegen, weil<br />

die zweckgeb<strong>und</strong>enen Mittel verringert wurden, ohne dass der Zweck erreicht wurde (BGH, Urteile vom 4. Novem-<br />

172


er 1997 - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 297 f. <strong>und</strong> vom 14. Dezember 2000 – 5 StR 123/00, NStZ 2001, 248, 251;<br />

vgl. auch Wagner NStZ 2003, 543). Das Projekt "math-kit" wurde nach den Feststellungen im Rahmen des Förderprogramms<br />

des BMBF "Neue Medien in der Bildung" durchgeführt. Diesem Programm lag eine Bekanntmachung<br />

des BMBF vom 27. März 2000 zugr<strong>und</strong>e, wonach Zuwendungszweck die Förderung von Vorhaben zur Entwicklung,<br />

Erprobung <strong>und</strong> Einführung innovativer <strong>und</strong> multimedialer Lehr- <strong>und</strong> Lernformen an Hochschulen war. Der Einkauf<br />

von bereits vorhandener <strong>und</strong> damit entwickelter Software verwirklicht dagegen diesen Förderzweck nicht; der Erwerb<br />

von zur Durchführung des Projekts erforderlichen Betriebsmitteln ist ein der Zweckerreichung vorgelagerter<br />

Vorgang. Die Strafkammer stellt zwar darauf ab, dass die Zweckerreichung eingetreten sei, da das Projekt erfolgreich<br />

durchgeführt worden sei <strong>und</strong> noch heute von verschiedenen Universitäten angewendet werde. Insoweit hat sie<br />

bei der Schadensprüfung aber auf den falschen Zeitpunkt abgestellt. Maßgebend war der Zeitpunkt, zu dem die Gelder<br />

beim Zuwendungsempfänger bzw. bei der S. KG eingegangen sind (vgl. BGH, Urteile vom 21. Oktober 1994 - 2<br />

StR 328/94, BGHSt 40, 287, 298 <strong>und</strong> vom 14. Dezember 2000 – 5 StR 123/00, NStZ 2001, 248, 251). Der Umstand,<br />

dass das Projekt letztendlich als erfolgreich durchgeführt zu bewerten sein mag, hat demgegenüber allenfalls für die<br />

Strafzumessung Bedeutung. Außerdem könnte ein Schaden auch darin liegen, dass die bereits vorhandene Software<br />

überbezahlt worden ist. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das Landgericht eine vorsätzliche<br />

Täuschung der zuständigen Mitarbeiter des DLR durch den Angeklagten Prof. Dr. F. über seine weitere Mitarbeit<br />

in diesem Projekt rechtsfehlerfrei verneint hat.<br />

b) Für den Freispruch vom Vorwurf des Betruges im Komplex "In2Math" gibt die Strafkammer keine Begründung;<br />

daher entbehrt das Urteil insoweit der erforderlichen Verständlichkeit <strong>und</strong> Nachvollziehbarkeit (vgl. oben II.).<br />

IV. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird gegebenenfalls auch die Frage der Verjährung anhand<br />

der nach den Rechtsausführungen des Senats neu zu treffenden Feststellungen einer erneuten Prüfung zu unterziehen<br />

haben.<br />

<strong>StGB</strong> § 266a Abs. 1 Darlegung im Urteil<br />

BGH, Beschl. v. 07.10.2010 – 1 StR 424/10 - NStZ 2011, 161= StV 2011, 348<br />

LS: Zum Umfang der erforderlichen Feststellungen bei der Verurteilung wegen Vorenthaltens <strong>und</strong><br />

Veruntreuens von Arbeitsentgelt i.S.v. § 266a Abs. 1 <strong>StGB</strong> in Fällen der Nicht-Zahlung ordnungsgemäß<br />

angemeldeter Sozialversicherungsbeiträge.<br />

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 23. April 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die<br />

Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 7. Juli<br />

2010, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.<br />

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der<br />

Senat: In den Fällen B. IV. 2. Taten 1 - 19 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen Vorenthaltens<br />

<strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 <strong>StGB</strong> verurteilt, da er als verantwortlicher Geschäftsführer<br />

der F. GmbH unterlassen hatte, die jeweils fälligen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung an die zuständige<br />

Einzugsstelle abzuführen. Für Fälle der vorliegenden Art - <strong>und</strong> so auch hier - ist typisch, dass der Arbeitgeber<br />

die Beitragsnachweise für die ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer bei der zuständigen Krankenkasse einreicht<br />

<strong>und</strong> lediglich in der Folge die auf der Gr<strong>und</strong>lage der Beitragsnachweise geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge<br />

nicht zahlt. Tathandlung ist insoweit - anders in Fällen illegaler Beschäftigung, bei denen der Arbeitgeber die<br />

von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht oder nicht in richtigem Umfang meldet - die schlichte Nicht-Zahlung der<br />

geschuldeten Beiträge; weitere Unrechtselemente enthält das Tatbestandsmerkmal des Vorenthaltens in diesen Fällen<br />

nicht (Fischer <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 266a Rn. 10). Für Fälle dieser Art besteht - soweit die Taten nach dem 1. April 2003<br />

datieren - nach Auffassung des Senats entgegen früherer Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember<br />

1991 - 1 StR 496/91, NStZ 1992, 145; Beschluss vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Beschluss vom<br />

22. März 2004 - 1 StR 31/94, wistra 1994, 193; Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543) gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

kein Anlass dafür, im Urteil umfangreiche Feststellungen über die Anzahl der Beschäftigten, deren Beschäftigungszeiten,<br />

das zu zahlende Arbeitsentgelt <strong>und</strong> zur Höhe des Beitragssatzes der zuständigen Krankenkasse zu tref-<br />

173


fen. Vielmehr bedarf es in solchen Fällen - anders als in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse (vgl. insoweit<br />

BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10) - neben den Feststellungen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung<br />

des Täters <strong>und</strong> - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern<br />

ergeben, in der Regel lediglich der Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge<br />

<strong>und</strong> der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie<br />

der Beitragsmonate, in denen die Arbeitnehmeranteile vorenthalten wurden. Weitergehende Feststellungen waren<br />

nach der bis zum 31. März 2003 geltenden Rechtslage insbesondere deshalb erforderlich, um ausschließen zu können,<br />

dass zu den Arbeitnehmern geringfügig Beschäftigte i.S.v. § 8 SGB IV zählten (vgl. BGH, Beschluss vom 3.<br />

Dezember 1991 - 1 StR 496/91, NStZ 1992, 145; Beschluss vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Beschluss<br />

vom 22. März 2004 - 1 StR 31/94, wistra 1994, 193; Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996,<br />

543), für die allein Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung anfallen, deren Nichtabführen nicht gemäß § 266a<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> strafbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543 mwN). Durch Art. 2 Nr.<br />

14 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, 4621,<br />

4625) wurde indes § 28i SGB IV mit Wirkung vom 1. April 2003 (vgl. Art. 17 Abs. 1a des Zweiten Gesetzes für<br />

moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) dahingehend erweitert, dass bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen<br />

i.S.v. § 8 SGB IV ausschließlich die B<strong>und</strong>esknappschaft (nunmehr Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See)<br />

als Träger der Rentenversicherung zuständige Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge ist<br />

(§ 28i Satz 5 SGB IV nF). Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> kann bei Sozialversicherungsbeiträgen, die zum Nachteil einer<br />

Krankenkasse vorenthalten wurden, ohne weitere Feststellungen ausgeschlossen werden, dass sich darunter Beiträge<br />

für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse befinden. Auch zur Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmeranteile<br />

- <strong>und</strong> somit zur Bestimmung des Schuldumfangs - sind in der Regel weitergehende Feststellungen als<br />

die vorgenannten nicht erforderlich. Denn nach § 28f Abs. 3 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber gr<strong>und</strong>sätzlich die<br />

Höhe der geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung selbst zu berechnen <strong>und</strong> der Einzugsstelle nachzuweisen<br />

(vgl. auch Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht 66. Ergänzungslieferung 2010, § 28f SGB IV<br />

Rn. 14). Dieser sog. Beitragsnachweis gilt nach § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV für die Vollstreckung als Leistungsbescheid<br />

der Einzugsstelle <strong>und</strong> im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle.<br />

Er belegt somit die geschuldeten <strong>und</strong> demnach auch in der Regel die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge.<br />

Die Feststellung des im Beitragsnachweis vom Arbeitgeber nachgewiesenen Gesamtsozialversicherungsbetrags<br />

ermöglicht dem Revisionsgericht daher in hinreichendem Maße die Überprüfung des Urteils. Mit Feststellung<br />

des im Beitragsnachweis vom Arbeitgeber nachgewiesenen Gesamtsozialversicherungsbetrags geht einher, dass die<br />

nachgewiesenen Beiträge auf Gr<strong>und</strong>lage der im jeweiligen Beitragsmonat tatsächlich geschuldeten Bruttogehälter<br />

unter Anwendung des maßgeblichen Beitragssatzes berechnet wurden. Lediglich dann, wenn mangels rechtzeitiger<br />

Einreichung der Beitrags-nachweise das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt nach § 28f Abs. 3<br />

Satz 2 SGB IV geschätzt wurde, oder wenn sich im konkreten Fall aus anderen Gründen Anhaltspunkte dafür ergeben,<br />

dass die im Beitragsnachweis ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge mit dem den Arbeitnehmern im jeweiligen<br />

Beitragsmonat geschuldeten Bruttoarbeitsentgelt nicht in Einklang zu bringen sind, besteht Anlass zu weitergehenden<br />

Feststellungen. In Fällen der vorliegenden Art kann sich aufgr<strong>und</strong> der vorgenannten Umstände regelmäßig<br />

auch die Beweiswürdigung darauf beschränken, darzulegen, dass seitens des Arbeitgebers Beitragsnachweise<br />

eingereicht wurden, in denen die Sozialversicherungsbeiträge in der festgestellten Höhe ausgewiesen sind. Lediglich<br />

dann, wenn aufgr<strong>und</strong> der Einlassung des Angeklagten oder anderweitiger besonderer Umstände Anhaltspunkte dafür<br />

bestehen, dass die im Beitragsnachweis ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge nicht den tatsächlich geschuldeten<br />

entsprechen, wird das Tatgericht gehalten sein, die getroffenen Feststellungen eingehender, z.B. unter Berücksichtigung<br />

der kaufmännischen Erfahrung des Arbeitgebers oder der Ergebnisse durchgeführter Betriebsprüfungen<br />

nach § 28p Abs. 1 SGB IV, zu belegen. Denn weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten,<br />

zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte<br />

erbracht sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310 mwN).<br />

174


<strong>StGB</strong> § 266a Unterschied Bemessungsgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Beweiswürdigung, Hochrechnung<br />

BGH, Urt. v. 11.08.2010 - 1 StR 199/10 - NJW 2011, 97<br />

Bei einem geständigen Angeklagten ist auch in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des<br />

Umfangs der Sachdarstellung zwischen der Feststellung der Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> der Beweiswürdigung<br />

zu unterscheiden. Während die Darstellung der steuerlich erheblichen Tatsachen<br />

regelmäßig nicht verkürzt erfolgen kann, weil die Subsumtion sonst nicht mehr nachprüfbar ist,<br />

bedarf es bei einem geständigen Angeklagten zumeist keiner ausführlichen Würdigung der Beweise,<br />

die diesen Feststellungen zugr<strong>und</strong>e liegen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlungen vom 10. <strong>und</strong> 11. August 2010 für<br />

Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten A. C. wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 30. November 2009,<br />

soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte<br />

a) im Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt <strong>und</strong><br />

b) im Fall II. 83 der Urteilsgründe wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition<br />

schuldig ist.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. C. <strong>und</strong> die Revision der Angeklagten E. C. werden verworfen.<br />

3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten A. C. wegen Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 55 Fällen,<br />

wegen Betruges in zehn Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Vorenthalten <strong>und</strong> Veruntreuen von Arbeitsentgelt,<br />

wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen <strong>und</strong> wegen<br />

Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die<br />

Angeklagte E. C. hat es wegen Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwölf Fällen <strong>und</strong> wegen Betruges<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt<br />

hat. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf Sachrügen gestützten Revisionen. Die<br />

Revision des Angeklagten A. C. hat zum Schuldspruch den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen <strong>Teil</strong>erfolg. Im<br />

Übrigen sind die Revisionen unbegründet.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

1. Der Angeklagte A. C. - ein in der Türkei ausgebildeter Steuerberater - betrieb im Zeitraum von 1998 bis 2008 -<br />

zum <strong>Teil</strong> zeitlich überlappend - mehrere Unternehmen im Baugewerbe, deren Gewinne er mit illegalen Mitteln maximieren<br />

wollte. Außer bei seiner Einzelfirma verschleierte er bei den Firmen jeweils seine beherrschende Stellung<br />

als tatsächlicher Inhaber <strong>und</strong> faktischer Geschäftsführer, indem er jeweils andere Personen als Inhaber bzw. als Geschäftsführer<br />

auftreten ließ. Bei der Firma C. Bau trat seine Ehefrau, die Angeklagte E. C., nach außen als Firmeninhaberin<br />

auf. Daneben betrieb der Angeklagte eine Tabledance-Bar, in der er mindestens zwei weibliche Arbeitnehmer<br />

beschäftigte, die ein monatliches Gehalt von jeweils mindestens 140 Euro erhielten. Um seinen Gewinn zu erhöhen,<br />

kam der Angeklagte A. C. bei diesen Unternehmen den ihm obliegenden steuerlichen Erklärungspflichten<br />

nicht nach <strong>und</strong> meldete auch den ganz überwiegenden <strong>Teil</strong> der bei den Firmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht den<br />

Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger. Bei der C. Bau handelte er dabei im bewussten <strong>und</strong> gewollten Zusammenwirken<br />

mit der Angeklagten E. C.. Indem er für die von ihm beherrschten Firmen in den Veranlagungszeiträumen<br />

2003 <strong>und</strong> 2004 trotz getätigter Umsätze keine Umsatzsteuererklärungen abgab, verkürzte der Angeklagte A. C.<br />

Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt mehr als 47.000 Euro. Daneben verkürzte er zugunsten der Es. GmbH, für die<br />

er im Veranlagungszeitraum 2004 weder eine Körperschaftsteuer- noch eine Gewerbesteuererklärung abgab, Körperschaftsteuer<br />

<strong>und</strong> Gewerbesteuer von insgesamt mehr als 19.000 Euro. Ebenfalls für den Veranlagungszeitraum 2004<br />

gab der Angeklagte A. C. keine Einkommensteuererklärung ab <strong>und</strong> verkürzte dadurch Einkommensteuer in Höhe<br />

von 3.642 Euro. Indem er die in den von ihm beherrschten Baufirmen beschäftigen Arbeitnehmer bei den zuständigen<br />

Stellen nicht anmeldete, bewirkte er, dass mehr als 238.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen vorenthalten<br />

<strong>und</strong> Lohnsteuer in Höhe von 19.130 Euro verkürzt wurden.<br />

2. Darüber hinaus veranlasste der Angeklagte A. C. , indem er in entsprechenden Anträgen bewusst wahrheitswidrige<br />

Angaben über seine Beschäftigungs- <strong>und</strong> Vermögensverhältnisse machte, zum einen die B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit<br />

zur ungerechtfertigten Bewilligung <strong>und</strong> Zahlung von Arbeitslosengeld I in Höhe von mehr als 9.000 Euro <strong>und</strong> zum<br />

175


anderen - gemeinschaftlich mit der Angeklagten E. C. handelnd - die L. GmbH zur Bewilligung <strong>und</strong> Zahlung von<br />

Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II in Höhe von insgesamt mehr als 31.000 Euro, auf die er ebenfalls<br />

keinen Anspruch hatte. Gegenüber der Landesbrandversicherungsanstalt, bei der er eine Wohngebäudeversicherung<br />

unterhielt, meldete der Angeklagte wahrheitswidrig einen Sturmschaden <strong>und</strong> veranlasste dadurch die Versicherung<br />

zur Zahlung einer nicht gerechtfertigten Versicherungsleistung in Höhe von mehr als 2.300 Euro.<br />

3. Schließlich besaß der Angeklagte A. C. im Jahr 2008 eine Pistole Kaliber 7,65 mm <strong>und</strong> insgesamt 13 Patronen<br />

Munition, ohne die dafür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.<br />

II. Die Revision des Angeklagten A. C. bleibt, abgesehen von einer Schuldspruchberichtigung in den Fällen II. 8 <strong>und</strong><br />

II. 83 der Urteilsgründe, im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar sind die Feststellungen zum <strong>Teil</strong> sehr knapp <strong>und</strong> teilweise<br />

sogar lückenhaft. Der Senat kann jedoch sowohl zum Schuldspruch als auch zum Strafausspruch ausschließen, dass<br />

dies den Angeklagten beschwert.<br />

1. Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14, 15 <strong>und</strong> 18 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung<br />

bzw. versuchter Steuerhinterziehung <strong>und</strong> in den Fällen II. 9 bis 13 sowie 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen<br />

Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt hält rechtlicher Nachprüfung noch stand. Soweit das Landgericht<br />

der Strafzumessung einen geringfügig zu großen Schuldumfang zu Gr<strong>und</strong>e gelegt hat, kann der Senat ausschließen,<br />

dass sich dies auf den Strafausspruch ausgewirkt hat.<br />

a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Abgabe un-richtiger Steuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr.<br />

1 AO) sind in den Urteilsgründen diejenigen Parameter festzustellen, die die Gr<strong>und</strong>lage für die Steuerberechnung<br />

bilden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639, 640). Liegt dem Angeklagten demgegenüber<br />

- wie hier - eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last, sind zunächst<br />

die Umstände festzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte zur Abga-be der fraglichen Steuererklärungen<br />

verpflichtet war. Sodann sind in den Urteilsgründen die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Höhe der durch die<br />

pflichtwidrige Nichtabgabe der Erklärungen hinterzogenen Steuer ergibt. Bei einem geständigen Angeklagten ist<br />

auch in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Umfangs der Sachdarstellung zwischen der Feststellung<br />

der Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> der Beweiswürdigung zu unterscheiden. Während die Darstellung der steuerlich<br />

erheblichen Tatsachen regelmäßig nicht verkürzt erfolgen kann, weil die Subsumtion sonst nicht mehr nachprüfbar<br />

ist, bedarf es bei einem geständigen Angeklagten zumeist keiner ausführlichen Würdigung der Beweise, die<br />

diesen Feststellungen zugr<strong>und</strong>e liegen. Räumt der Angeklagte die Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen ein <strong>und</strong> hat sich der<br />

Tatrichter von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt, dann genügt eine knappe Würdigung der so gef<strong>und</strong>enen<br />

Überzeugung. Jedenfalls, soweit es um das „reine Zahlenwerk” - etwa den Umsatz, die Betriebseinnahmen oder die<br />

Betriebsausgaben - geht, wird regelmäßig davon ausgegangen werden können, dass selbst ein steuerrechtlich nicht<br />

versierter Angeklagter diese Parameter aus eigener Kenntnis bek<strong>und</strong>en kann. Der Tatrichter kann seine Überzeugung<br />

insoweit auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung zu den tatsächlichen Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

stützen. Angaben von Finanzbeamten zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen<br />

Zeugen auch - taugliche Gr<strong>und</strong>lage der Überzeugung des Tatrichters sein.<br />

b) Dieselben Gr<strong>und</strong>sätze gelten für die Straftaten des Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß §<br />

266a Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 <strong>StGB</strong>. Hier sind zunächst diejenigen Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung<br />

des Täters <strong>und</strong> - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern<br />

ergeben. Festzustellen sind weiter die im jeweiligen Beitragsmonat gezahlten Löhne oder Gehälter. Bei<br />

der Feststellung der monatlichen Beiträge ist für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Anzahl der Arbeitnehmer <strong>und</strong> die<br />

Höhe des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse anzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar<br />

2007 - 5 StR 544/06, wistra 2007, 220 mwN), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Gr<strong>und</strong>lage des<br />

Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen<br />

der Renten-, Arbeitslosen- <strong>und</strong> Pflegeversicherung errechnet. Nur so wird dem Revisionsgericht die Nachprüfung der<br />

Höhe der den Sozialversicherungsträgern vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ermöglicht. Auch bei einem<br />

geständigen Angeklagten ist die Nennung der Höhe der gezahlten Löhne <strong>und</strong> Gehälter sowie der Beitragssätze der<br />

zuständigen Krankenkasse regelmäßig unverzichtbar. Demgegenüber kann die Beweiswürdigung hierzu bei Vorliegen<br />

eines glaubhaften Geständnisses knapp gehalten werden, denn diese Umstände können Gegenstand eines Geständnisses<br />

sein. Im Rahmen seiner Überzeugungsbildung zu den Bemessungsgr<strong>und</strong>lagen kann sich der Tatrichter<br />

auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Ermittlungsbeamten stützen. Liegen - z.B. wegen unvollständiger oder<br />

fehlender Buchhaltung des Arbeitgebers - keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne <strong>und</strong><br />

Gehälter vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann -<br />

wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein<br />

solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung<br />

176


ist sogar unumgänglich, wenn keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der<br />

Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Schuldumfang festzustellen. Dabei hat er auf der Gr<strong>und</strong>lage der ihm zur<br />

Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne <strong>und</strong> Gehälter zu schätzen <strong>und</strong> daraus den Umfang der jeweils<br />

vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Die Schätzung kann - wie hier - auch aus verfahrensökonomischen<br />

Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine genaue Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge einen<br />

erheblichen Aufklärungsaufwand erfordern würde, sie aber gegenüber der Schätzung voraussichtlich nur zu nicht<br />

erheblich abweichenden Werten führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra<br />

2010, 148 mwN).<br />

c) Gemessen an diesen Gr<strong>und</strong>sätzen halten Schuldspruch <strong>und</strong> Strafausspruch in den vorgenannten Fällen rechtlicher<br />

Nachprüfung stand.<br />

aa) Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14 <strong>und</strong> 18 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung<br />

von Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat die in den jeweiligen<br />

Besteuerungszeiträumen erzielten Umsätze mitgeteilt <strong>und</strong> sodann unter Anwendung des sich aus dem Gesetz<br />

ergebenden Umsatzsteuersatzes die verkürzte Umsatzsteuer zutreffend berechnet. Der Angeklagte hat - was ihm<br />

möglich war, weil er die Umsätze kannte - die Höhe der verkürzten Umsatzsteuern auch eingeräumt. Dieses Geständnis<br />

hat das Landgericht unter Heranziehung des übrigen Ermittlungsergebnisses rechtsfehlerfrei als glaubhaft<br />

angesehen.<br />

bb) Demgegenüber sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft, soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen<br />

II. 9 bis 13 <strong>und</strong> 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt <strong>und</strong> im Fall<br />

II. 15 der Urteilsgründe wegen versuchter Steuerhinterziehung verurteilt hat. In den Fällen II. 9 bis 13 <strong>und</strong> 31 bis 80<br />

der Urteilsgründe hat das Landgericht nicht festgestellt, welche Beitragssätze der Krankenkassen es der Berechnung<br />

der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu Gr<strong>und</strong>e gelegt hat. Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Hinterziehung<br />

von Einkommensteuer für das Jahr 2004) hat das Landgericht nicht alle Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen, die für die Bestimmung<br />

des zu versteuernden Einkommens bedeutsam sind, mitgeteilt. Der Senat kann auf Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen<br />

Feststellungen jedoch sicher ausschließen, dass sich diese Darstellungsmängel auf den Schuldspruch <strong>und</strong><br />

den Strafausspruch ausgewirkt haben.<br />

(1) Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für das Jahr 2004) hat das Landgericht zwar<br />

nicht alle zur Berechnung der verkürzten Steuer erforderlichen Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen mitgeteilt. Aus dem Gesamtzusammenhang<br />

der Urteilsgründe ergibt sich aber, dass weitere als die vom Landgericht berücksichtigten Faktoren,<br />

die sich einkommensteuerrechtlich zugunsten des Angeklagten auswirken könnten, nicht vorhanden waren.<br />

Solche hat der steuerlich vorgebildete <strong>und</strong> kaufmännisch versierte, zudem anwaltlich verteidigte Angeklagte auch<br />

nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er ein vollumfängliches Geständnis abgelegt, das sich auch auf die festgestellten<br />

Umsätze <strong>und</strong> Gewinne bezogen hat <strong>und</strong> für das er ersichtlich auch eine ausreichende Sachk<strong>und</strong>e besaß. Angesichts<br />

der festgestellten Höhe des von dem Angeklagten nicht erklärten Arbeitslohnes <strong>und</strong> der von ihm vereinnahmten<br />

verdeckten Gewinnausschüttung aus der Es. GmbH schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei vollständiger<br />

Darstellung der maßgeblichen Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen zu einem Hinterziehungsumfang gelangt wäre, bei dem es<br />

eine noch mildere Strafe als die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von 90 Tagessätzen festgesetzt hätte. Der Senat<br />

hat dabei berücksichtigt, dass sich ausgehend von den vom Landgericht mitgeteilten Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen ein<br />

geringfügig niedrigerer Verkürzungsumfang als vom Landgericht angenommen ergibt.<br />

(2) In den Fällen II. 9 bis 13, 31 bis 38 <strong>und</strong> 40 bis 50 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a <strong>StGB</strong>) kann der<br />

Senat trotz der vorhandenen Darstellungsmängel zu den sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

sicher ausschließen, dass das Landgericht bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zum<br />

Nachteil des Angeklagten einen zu großen Schuldumfang angenommen hat. Denn das Landgericht hat in den Urteilsgründen<br />

die der Beitragsberechnung zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Schwarzlohnsummen mitgeteilt. Ausgehend von diesen<br />

Beträgen kann der Senat die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR<br />

416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 9 ff.) gebotene Hochrechnung der ausgezahlten Löhne auf ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt<br />

selbst vornehmen <strong>und</strong> davon ausgehend den Beitragsschaden auch selbst berechnen.<br />

(3) Demgegenüber hat das Landgericht in den Fällen II. 39 sowie 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß §<br />

266a <strong>StGB</strong>) der Strafzumessung einen zu großen Schuldumfang zu Gr<strong>und</strong>e gelegt. Der Senat kann jedoch ausschließen,<br />

dass das Landgericht niedrigere als die verhängten Einzelstrafen festgesetzt hätte, wenn es in diesen Fällen von<br />

einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen wäre.<br />

(a) Bei Fall II. 39 der Urteilsgründe (Straftat gemäß § 266a <strong>StGB</strong>) hat das Landgericht - was gr<strong>und</strong>sätzlich zulässig<br />

ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 Rn. 21) - die Schwarzlohnsumme<br />

auf zwei Drittel der Nettoumsätze geschätzt. Allerdings lässt sich hier die festgestellte Schwarzlohnsumme mit<br />

177


den festgestellten Nettoumsätzen nicht in Einklang bringen, weshalb auch die weiteren Berechnungen fehlerhaft<br />

sind. Angesichts einer Abweichung von etwa 2.000 Euro gegenüber der zutreffenden Schadenssumme kann der<br />

Senat im Hinblick auf die seitens der Strafkammer vorgenommene, an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung<br />

der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere<br />

Einzelstrafe verhängt hätte.<br />

(b) In den Fällen II. 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a <strong>StGB</strong>) hat das Landgericht die Zahlungen<br />

an die weiblichen Beschäftigten der Tabledance-Bar in Höhe von jeweils 140 Euro pro Monat als Nettolöhne gewertet<br />

<strong>und</strong> diese nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein fiktives Bruttogehalt hochgerechnet. Dieses Bruttogehalt wurde<br />

der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu Gr<strong>und</strong>e gelegt; dabei wurden die regelmäßigen Beitragssätze<br />

angewendet, wie sie für ein in vollem Umfang sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gelten. Dieses<br />

Vorgehen erweist sich als rechtsfehlerhaft. Denn die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet in Fällen<br />

der vorliegenden Art - jedenfalls für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Beitragsschadens - keine Anwendung,<br />

weil es sich bei den fraglichen Arbeitsverhältnissen nach den Feststellungen um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse<br />

i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelte. Einer Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB<br />

IV auf ein Bruttoarbeitsentgelt steht insoweit sowohl der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, auf den § 14 Abs.<br />

2 Satz 2 SGB IV verweist, als auch der Zweck, den der Gesetzgeber bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV<br />

verfolgte (vgl. insoweit BT-Drucks. 14/8221 S. 14), entgegen. Die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist in<br />

diesen Fällen insbesondere nicht zur Verhinderung <strong>und</strong> Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen geboten. Denn auch<br />

bei rechtmäßigem Verhalten müsste der Arbeitgeber nicht mehr als die Pauschalbeiträge <strong>und</strong> -steuern tragen. Eine<br />

Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge<br />

aus einem Bruttoentgelt ermittelt werden müssten, kann somit rechtmäßig getroffen werden (vgl.<br />

insoweit BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 14). Hierin liegt der Unterschied zu<br />

sonstigen Fällen illegaler Beschäftigung. Die im Tatzeitraum i.S.v. § 266a Abs. 2 <strong>StGB</strong> vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge<br />

betrugen daher auf Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen zu den ausgezahlten Löhnen nach<br />

Maßgabe von § 249b Satz 1 SGB V (Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 13 % bzw. bis 30. Juni<br />

2006 11 % des Arbeitsentgelts) <strong>und</strong> § 172 Abs. 3 Satz 1 SGB VI (Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung in Höhe<br />

von 15 % bzw. bis 30. Juni 2006 12 %) bis einschließlich Juni 2006 lediglich 64,40 Euro <strong>und</strong> ab Juli 2006 78,40<br />

Euro pro Monat. Auch insoweit kann der Senat im Hinblick auf vom Landgericht vorgenommene, an der Schadenshöhe<br />

ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Berechnung<br />

in diesen Fällen noch niedrigere Einzelstrafen festgesetzt hätte.<br />

2. In den Fällen II. 19 bis 30 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Lohnsteuer) wird der vom Landgericht angenommene<br />

tatbestandliche Schuldumfang von den Feststellungen getragen. Die der Berechnung der Lohnsteuer zu<br />

Gr<strong>und</strong>e liegenden Schwarzlohnzahlungen hat das Landgericht im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen Vorenthaltens<br />

<strong>und</strong> Veruntreuens von Arbeitsentgelt in den Fällen II. 2 bis 13 der Urteilsgründe festgestellt. Ausgehend<br />

von diesen rechtsfehlerfrei festgestellten Lohnsummen, die nicht auf ein Bruttoentgelt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB<br />

IV hochzurechnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 16), hat das<br />

Landgericht die hinterzogene Lohnsteuer zutreffend berechnet.<br />

3. In den Fällen II. 16 <strong>und</strong> 17 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Körperschaftsteuer <strong>und</strong> Gewerbesteuer betreffend<br />

die Es. GmbH im Veranlagungszeitraum 2004) hat das Landgericht bei der Berechnung der verkürzten Steuern<br />

zwar die in diesem Veranlagungszeitraum noch vorzunehmende Gewerbesteuerrückstellung nicht berücksichtigt<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2004 - 5 StR 547/07, wistra 2008, 310, 313 sowie § 4 Abs. 5b i.V.m. § 52 Abs.<br />

12 Satz 7 EStG). Wegen der lediglich geringfügigen Abweichungen zum tatsächlichen Verkürzungsumfang ist der<br />

Angeklagte aber nicht beschwert.<br />

4. In den übrigen Fällen enthält das Urteil - abgesehen von den aus der Urteilsformel ersichtlichen Schuldspruchberichtigungen<br />

- keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten A. C..<br />

a) In den Fällen II. 2 bis 7 der Urteilsgründe (Straftaten zum Nachteil von Sozialversicherungsträgern) betreffend die<br />

Beitragsmonate November <strong>und</strong> Dezember 2003 sowie März bis Juni 2004 tragen die Feststellungen des Landgerichts<br />

die Verurteilung wegen Betruges gemäß § 263 <strong>StGB</strong>. Der Angeklagte hat in diesen Fällen die von ihm beschäftigten<br />

Arbeitnehmer nicht den zuständigen Sozialversicherungsträgern gemeldet, obwohl er hierzu gemäß § 28a SGB IV<br />

verpflichtet war. Infolgedessen haben diese von der Beitreibung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge abgesehen.<br />

Die auch bei Betrug durch Unterlassen erforderliche Täuschung mit Irrtumserregung beim Getäuschten (hier:<br />

Einzugsstelle) hat das Landgericht vorliegend ausdrücklich festgestellt. Von einer Schuldspruchberichtigung in diesen<br />

Fällen im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten gemäß § 266a <strong>StGB</strong> hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 5 StR 165/02, NJW 2003, 1821, 1823; Beschluss vom 13. Juli<br />

178


2006 - 5 StR 173/06, NStZ-RR 2006, 308) sieht der Senat ab. Bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise bei<br />

Anwendung des § 2 Abs. 3 <strong>StGB</strong> im Hinblick auf die Änderung des § 266a <strong>StGB</strong> mit Wirkung vom 1. August 2004<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 5<br />

StR 482/07, wistra 2008, 180, 181) kann ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte insoweit beschwert ist.<br />

b) Im Fall II. 8 der Urteilsgründe betreffend den Beitragsmonat Juli 2004 verdrängt der am 1. August 2004 in Kraft<br />

getretene § 266a Abs. 2 <strong>StGB</strong> den Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 <strong>StGB</strong> (BGH, Beschluss vom 24. April 2007 -<br />

1 StR 639/06, NStZ 2007, 527). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch insoweit auf Vorenthalten <strong>und</strong> Veruntreuen<br />

von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 <strong>StGB</strong> ab.<br />

c) Im Fall II. 83 der Urteilsgründe rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen<br />

Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2<br />

Buchst. b WaffenG. Da das Landgericht in den Tenor lediglich einen „Verstoß gegen das Waffengesetz“ aufgenommen<br />

hat, berichtigt der Senat die Urteilsformel zur Klarstellung entsprechend.<br />

III. Die Revision der Angeklagten E. C. bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Wie bereits hinsichtlich des Angeklagten A. C.<br />

ausgeführt, kann der Senat bezüglich der Fälle II. 40 bis 50 der Urteilsgründe - in Mittäterschaft begangene Taten der<br />

Angeklagten A. <strong>und</strong> E. C. - trotz der vorhandenen Darstellungsmängel ausschließen, dass das Landgericht der Strafzumessung<br />

einen zu großen Schuldspruch zugr<strong>und</strong>e gelegt hat. Im Fall II. 39 der Urteilsgründe schließt der Senat -<br />

ebenfalls wie beim Angeklagten A. C. - angesichts der an der Schadenshöhe ausgerichteten Staffelung der verhängten<br />

Einzelstrafen aus, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe<br />

verhängt hätte. Auch im Übrigen ist die Revision der Angeklagten E. C. unbegründet.<br />

<strong>StGB</strong> § 299 Vorteil<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 2 StR 200/10 - BeckRS 2010, 21226, NStZ-RR 2010, 376 (L)<br />

Der Tatrichter ist bei (nachträglicher) Gewährung/Annahme eines Vorteils für in der Vergangenheit<br />

liegende Bevorzugungen i.S.d. § 299 <strong>StGB</strong> - schon zur Bestimmung des Unrechts- <strong>und</strong> Schuldgehalts<br />

der Tat, die nicht allein durch Art <strong>und</strong> Umfang des Vorteils, sondern auch durch Art <strong>und</strong><br />

Außmaß der unlauteren Bevorzugung geprägt ist - gr<strong>und</strong>sätzlich gehalten, die jeweiligen Bevorzugungshandlungen<br />

konkret nach Zeit, Ort <strong>und</strong> Begehungsweise festzustellen <strong>und</strong> sich nicht nur auf<br />

allgemeine Beschreibungen, etwa orientiert an der getroffenen Unrechtsvereinbarung, zu beschränken.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> der Beschwerdeführer<br />

am 14. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 24. September 2009 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr in 33 Fällen, den Angeklagten<br />

R. wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in 33 Fällen jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem<br />

Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision der Angeklagten hat mit der<br />

Sachrüge vollen Erfolg.<br />

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts standen die Angeklagten, die sich auch privat kannten, seit 1996<br />

miteinander im geschäftlichen Kontakt. Der Angeklagte G. ist (heute) Alleingesellschafter der Firma G. GmbH, an<br />

der die Ehefrau des Angeklagten R. zeitweilig beteiligt war; geschäftlicher Schwerpunkt dieser Firma war ursprünglich<br />

die Belieferung von Baustellen mit Bau- <strong>und</strong> Dämmstoffen. Er ist darüber hinaus Alleininhaber eines weiteren<br />

Unternehmens, der Firma GI. GmbH, die die Belieferung von Baumarktketten mit Holzprodukten zum Geschäftsgegenstand<br />

hat (UA S. 5 f.). Der Angeklagte R. ist seit vielen Jahren bei verschiedenen Baumärkten tätig, im Tatzeitraum<br />

war er bei der Firma H. als Einkäufer im Geschäftsführungsbereich Einzelhandel/Baumarkt beschäftigt. Im<br />

Bereich Holz/Elemente gehörte zu seinen Aufgaben u.a. die Lieferantenauswahl, die Führung von Preis-, Sortiments<strong>und</strong><br />

Jahresgesprächen mit den Lieferanten, Artikelauswahl <strong>und</strong> Präsentation in der Werbe- <strong>und</strong> Sortimentskommissi-<br />

179


on, eine eigenständige Sortimentsbestimmung, die Findung neuer Artikel- <strong>und</strong> Sortimentsbereiche, Qualitätskontrolle<br />

<strong>und</strong> Sortimentssichtung bei den Lieferanten sowie die Markt- <strong>und</strong> Wettbewerbsbeobachtung hinsichtlich der Sortiments-<br />

<strong>und</strong> Preisgestaltung. Zu den Entscheidungsbefugnissen des Angeklagten R. bei der Firma H. zählten nach<br />

der Stellenbeschreibung insbesondere die Lieferantenein- <strong>und</strong> -auslistung sowie die Lieferanten- <strong>und</strong> Artikelauswahl<br />

bei der Werbung (UA S. 6 f.). Anfang des Jahres 1999 schlossen der Angeklagte G. als Geschäftsführer der Firma G.<br />

<strong>und</strong> der Angeklagte R. eine "Vertriebsvereinbarung", die rückwirkend ab dem 1. Januar 1998 gelten sollte. Sie diente<br />

der weiteren Stärkung der Firma G. im überregionalen Geschäft. Dazu verpflichtete sich der Angeklagte R., der<br />

Firma G. seine Kenntnisse, insbesondere in den Bereichen Warenbeschaffung, Marketing, K<strong>und</strong>enwerbung, Produktkenntnisse<br />

<strong>und</strong> Vertriebsstrategien, zur Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung sollte er eine Provision von 2%<br />

auf den fakturierten Nettoumsatz mit den K<strong>und</strong>en S., M., R. -D., H. <strong>und</strong> O. erhalten, wobei die Produktgruppen Holz<br />

im Garten, Schnittholz, Regalsysteme sowie Fußböden <strong>und</strong> Massivholzplatten zum Umsatzpotential zählten (UA S.<br />

8-10). In Erfüllung dieser Vertriebsvereinbarung beriet der Angeklagte R. den Angeklagten G. im Folgenden bei der<br />

Produktauswahl <strong>und</strong> der Preisgestaltung, wobei er ihn über Preise der Mitkonkurrenten <strong>und</strong> von der Firma H. benötigte<br />

Produkte informierte (UA S. 21). Zu diesem Zweck fuhren beide Angeklagte zu Lieferanten der Firmen G. <strong>und</strong><br />

GI. <strong>und</strong> bestimmten Entwicklung, Produktion <strong>und</strong> Preisgestaltung von künftig an die Firma H. zu liefernden Waren<br />

ab, die genau in deren Bedarf passten (UA S. 11, 20). Aufträge der H. gruppe wurden entweder über eine zentrale<br />

"Listung" von Produkten, die Voraussetzung für einen Erwerb von Produkten durch einzelne lokale Baumärkte ist,<br />

oder im Rahmen von Werbemaßnahmen vergeben (UA S. 7). Die Listen enthielten für jeden Artikel regelmäßig<br />

verschiedene Lieferanten; über die Aufnahme in die Listen entschied auf Vorschlag des jeweiligen Einkäufers, der<br />

mehrere Anbieter unter Beifügung eines Preisvergleichs präsentierte, ausschließlich die zuständige Sortimentskommission.<br />

Der Angeklagte R. unterbreitete regelmäßig für sein Tätigkeitsfeld entsprechende Empfehlungen, denen die<br />

Kommission aber nicht immer folgte. In keinem Fall setzte sich der Angeklagte R. dabei offen für die Firmen G. <strong>und</strong><br />

GI. ein. Auch bei Vergaben im Rahmen von Werbemaßnahmen, die durch die Werbekommission auf Vorschlag des<br />

Einkäufers erfolgte, verwandte sich der Angeklagte R. nicht direkt für die Firmen des Angeklagten G. (UA S. 19).<br />

Allerdings beschränkte sich seine Empfehlung in der Werbekommission - wie üblich - auf einen einzigen Vorschlag<br />

ohne Alternativlieferanten. So erhielten die Firma GI. <strong>und</strong> G. im Rahmen von Werbemaßnahmen eine Vielzahl von<br />

Aufträgen durch die H. gruppe (UA S. 11). Aufgr<strong>und</strong> der Informationen <strong>und</strong> Beratungsleistungen durch den Angeklagten<br />

R. war der Angeklagte G. in der Lage, in einer nicht näher bekannten Zahl von Fällen für die Firmen G. <strong>und</strong><br />

GI. im Vergleich zu Mitbewerbern günstigere Angebote zu erstellen (UA S. 11). Dies führte nach Listung zu Beauftragungen<br />

durch Baumärkte der H. gruppe, obwohl es in den entsprechenden Listen während des gesamten Tatzeitraums<br />

Alternativlieferanten zu den Firmen GI. <strong>und</strong> G. gab. In den Jahren 2002 – 2004 erzielten die Firmen des Angeklagten<br />

G. r<strong>und</strong> die Hälfte ihrer Umsätze mit der Firma H.. Im Jahre 2002 waren es ca. 2,7 Mio. €, im Jahre 2003<br />

ca. 2,5 Mio. € <strong>und</strong> im Jahre 2004 ca. 3,18 Mio. € (UA S. 12). Als Gegenleistung erhielt der Angeklagte R. für seine<br />

Tätigkeit in den Jahren 2002 – 2004 183.504 € (UA S. 13). Nach Bekanntwerden der Tätigkeit des Angeklagten R.<br />

für den Angeklagten G. wurde die Zusammenarbeit der Firma H. mit den Firmen G. <strong>und</strong> GI. im Jahre 2005 eingestellt.<br />

b) Nach Ansicht des Landgerichts hat sich der Angeklagte R. wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, der<br />

Angeklagte G. wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr strafbar gemacht (UA S. 23). Der Angeklagte R. hat<br />

danach in den festgestellten 33 Fällen einer Provisionszahlung im Tatzeitraum zwischen 2002 - 2004 einen Vorteil<br />

angenommen. Hierfür hat er als Gegenleistung den Angeklagten G. bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen<br />

Leistungen bevorzugt (UA S. 24). Das Bevorzugen sah das Landgericht darin, dass der Angeklagte R. mit dem Angeklagten<br />

G. Entwicklung, Produktion <strong>und</strong> Preisgestaltung (schon bei den Einkaufspreisen der Firmen G. <strong>und</strong> GI.)<br />

von künftig an die Firma H. zu liefernden Waren abgestimmt habe. Der Angeklagte G. sei über Preise der Mitkonkurrenten<br />

<strong>und</strong> von der Firma H. benötigte Produkte informiert worden. Diese Informationen habe anderen Mitbewerbern<br />

nicht zur Verfügung gestanden. Schließlich habe der Angeklagte R. den Mitangeklagten G. gezielt im Rahmen<br />

von Werbemaßnahmen vorgeschlagen. Diese Bevorzugung sei im Wettbewerb erfolgt <strong>und</strong> sei auch unlauter;<br />

Ziel sei eine Steigerung der Umsätze der Firmen des Angeklagten bei der H. gruppe zu Lasten der Mitbewerber<br />

gewesen. Hierfür seien dem Angeklagten R. 2% des in den Jahren 2002 - 2004 erzielten Umsatzes, insgesamt<br />

168.800 €, zugeflossen. Lediglich 14.704 € seien - da sich aus den Rechnungen des Angeklagten R. keine konkreten<br />

Beratungsleistungen ergeben hätten - auf sonstige, nicht Geschäfte mit der H. gruppe betreffende Beratungsleistungen<br />

entfallen (UA S. 26). Spiegelbildlich habe sich der Angeklagte G. wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr<br />

strafbar gemacht.<br />

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Schuldspruch wird nicht von den Feststellungen getragen.<br />

180


a) Dies gilt zunächst hinsichtlich der in Bezug auf den empfangenen Vorteil versprochenen/erbrachten Leistungen<br />

des Angeklagten R.. § 299 <strong>StGB</strong> setzt eine Unrechtsvereinbarung dergestalt voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung<br />

für eine künftige unlautere Bevorzugung gefordert, angeboten, versprochen oder angenommen wird. Da oftmals<br />

noch keine genaue Vorstellung darüber besteht, wann, bei welcher Gelegenheit <strong>und</strong> in welcher Weise die Unrechtsvereinbarung<br />

eingelöst werden soll, lässt der B<strong>und</strong>esgerichtshof es in ständiger Rechtsprechung genügen, dass die<br />

ins Auge gefasste Bevorzugung nach ihrem sachlichen Gehalt in groben Umrissen erkennbar <strong>und</strong> festgelegt ist (vgl.<br />

BGHSt 32, 290, 291). Kommt es dagegen ausnahmsweise wie in den hier abgeurteilten Fällen zu einer Strafbarkeit<br />

wegen (nachträglicher) Gewährung/Annahme eines Vorteils für in der Vergangenheit liegende Bevorzugungen (vgl.<br />

zur tatbestandsmäßigen Erfassung insoweit Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 299, Rn. 13), stellt sich das Problem der<br />

schwierigen Bestimmbarkeit einer (künftigen) Bevorzugungshandlung naturgemäß nicht. Der Tatrichter ist deshalb -<br />

schon zur Bestimmung des Unrechts- <strong>und</strong> Schuldgehalts der Tat, die nicht allein durch Art <strong>und</strong> Umfang des Vorteils,<br />

sondern auch durch Art <strong>und</strong> Ausmaß der unlauteren Bevorzugung geprägt ist - gr<strong>und</strong>sätzlich gehalten, die jeweiligen<br />

Bevorzugungshandlungen konkret nach Zeit, Ort <strong>und</strong> Begehungsweise festzustellen <strong>und</strong> sich nicht nur auf allgemeine<br />

Beschreibungen, etwa orientiert an der getroffenen Unrechtsvereinbarung, zu beschränken. Feststellungsschwierigkeiten<br />

bei Serienstraftaten über einen längeren Zeitraum, die auch in Fällen immer wiederkehrender Bestechungstaten<br />

auftreten können, lässt sich entsprechend der hierzu bestehenden Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

Rechnung tragen (vgl. nur BGHSt 42, 107 ff.; st. Rspr.; zur Möglichkeit der Schätzung des Schuldumfangs bei Vermögensstraftaten<br />

im Falle nicht möglicher Zuordnung von bestimmten strafbaren Einzelakten s. BGH wistra 2007,<br />

143 f.). Sie befreien aber gr<strong>und</strong>sätzlich nicht von der notwendigen Individualisierung der einzelnen Tathandlungen<br />

<strong>und</strong> entbinden zudem nicht davon, die einzelnen Bevorzugungshandlungen möglichst genau aufzuklären. Diesen<br />

Maßstäben ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Es beschreibt zwar die nach der Vertriebsvereinbarung von<br />

dem Angeklagten R. zu erbringenden Leistungen, legt auch allgemein dar, wie er in der Folgezeit den Angeklagten<br />

G. beraten <strong>und</strong> unterstützt hat. Es werden dabei auch die möglichen Bevorzugungshandlungen sichtbar, die eine<br />

Strafbarkeit nach § 299 <strong>StGB</strong> begründen können. Zuordnungen oder Konkretisierungen dieser Handlungen nach<br />

Zeit, Ort, Produktgegenstand oder nach der Art <strong>und</strong> Weise, wie sie in die entsprechenden Entscheidungsgremien der<br />

H. gruppe eingebracht <strong>und</strong> dort behandelt worden sind, werden allerdings nicht vorgenommen. Soweit Einzelheiten<br />

genannt werden, werden sie nicht konkreten Taten zugeordnet, obwohl sie zur Individualisierung einzelner Taten<br />

hätten genutzt werden können. Es bleibt so bei einer allgemeinen Beschreibung der Organisationsabläufe <strong>und</strong> des<br />

(vermeintlichen) Tatunrechts, obwohl eine Konkretisierung unter Zugriff auf Daten zu den Vertragsabschlüssen bei<br />

dem Angeklagten G. <strong>und</strong> der Firma H. sicher möglich gewesen wäre. Soweit sie schließlich in die Feststellung mündet,<br />

der Angeklagte G. sei aufgr<strong>und</strong> ihm von dem Angeklagten R. gelieferter Informationen in der Lage gewesen, in<br />

einer nicht näher bekannten Zahl von Fällen im Vergleich zu Mitbewerbern günstigere Angebote zu erstellen <strong>und</strong> so<br />

Aufträge zu bekommen (UA S. 11), genügt auch dies zur Konkretisierung nicht. Die fehlende Individualisierung der<br />

Bevorzugungshandlungen wird im Übrigen auch nicht dadurch ausgeglichen, dass für die einzelnen Taten mit der<br />

Bezugnahme auf die monatlichen Provisionszahlungen jedenfalls eine zeitliche Einordnung vorgenommen wird.<br />

Dies ändert nichts daran, dass Zahl, Art <strong>und</strong> Ausgestaltung der Bevorzugungshandlungen weiter im Dunkeln bleiben.<br />

Schließlich gewährleistet auch die Anknüpfung an die Höhe der jeweils geleisteten Provision keine zuverlässige<br />

Bestimmung des Unrechts- <strong>und</strong> Schuldgehalts einer Tat nach § 299 <strong>StGB</strong>, der maßgeblich auch von Art <strong>und</strong> Umfang<br />

des Eingriffs in den Wettbewerb bestimmt wird.<br />

b) Auch mit Blick auf den angenommenen <strong>und</strong> gewährten Vorteil, den das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend<br />

in den in den Jahren 2002 - 2004 geflossenen Provisionszahlungen gesehen hat, ist das Urteil lückenhaft. Es hat<br />

ihn unter Bezugnahme auf die getroffene Vertriebsvereinbarung mit 2% des in diesen Jahren festgestellten Umsatzes<br />

der Firmen des Angeklagten G. mit der H. gruppe bemessen <strong>und</strong> ist dabei insgesamt zu einem Betrag von 168.800 €<br />

gelangt, der 14.704 € unter den tatsächlich an den Angeklagten R. geflossenen, auch die Beratung anderer K<strong>und</strong>en<br />

betreffenden Leistungen von 183.504 € liegt. Dabei hat das Landgericht allerdings nicht nur übersehen, dass sich die<br />

ursprüngliche Vereinbarung nur auf Umsätze der Firma G. bezogen hat, diese also solche der Firma GI. nicht erfasst.<br />

Feststellungen zur Erstreckung der Vereinbarung auf die Firma GI. finden sich in den Urteilsgründen nicht. Die<br />

Kammer hat auch nicht berücksichtigt, dass sich die Ursprungsvereinbarung nur auf bestimmte Artikelgruppen bezog,<br />

der Umsatz der Firmen G. <strong>und</strong> GI. sich aber auch - wie sich den Urteilsgründen entnehmen lässt - aus der Veräußerung<br />

von darin nicht aufgeführten Produkten zusammengesetzt hat (vgl. z.B. UA S. 21: Dämmstoffe). Ob insoweit<br />

eine Provisionspflicht nachträglich begründet worden ist, erörtern die Urteilsgründe nicht. Anhand der im Urteil<br />

enthaltenen Angaben lässt sich deshalb schon nicht nachvollziehen, ob tatsächlich ein Betrag von 168.800 € für Beratungsleistungen<br />

betreffend die Firma H. geflossen oder ob nicht vielmehr eine viel größere Summe als von der<br />

181


Kammer angenommen für eine Tätigkeit hinsichtlich nicht zur Firma H. gehörender K<strong>und</strong>en der Firmen GI. <strong>und</strong> G.<br />

angefallen ist.<br />

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung, da die Nachholung der notwendigen<br />

Feststellungen möglich erscheint. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, auch wenn sich den Urteilsgründen durch<br />

den Abschluss der Vertriebsvereinbarung zumindest eine Strafbarkeit im Hinblick auf das Versprechen bzw. Versprechenlassen<br />

eines Vorteils mit Blick auf eine künftige unlautere Bevorzugung im Wettbewerb entnehmen lässt.<br />

Für diese Tat, die dann, wenn wie hier der Vorteil in der Unrechtsvereinbarung nicht genau festgelegt ist, auch bei<br />

späterer Vorteilsgewährung bestehen bleibt (vgl. BGH NStZ 1995, 92), bedarf es nicht der konkreten Feststellung<br />

der ins Auge gefassten späteren Bevorzugung. Mit der Aufhebung der gesamten Entscheidung erhält der Tatrichter<br />

Gelegenheit, widerspruchsfreie Feststellungen zum gesamten Tatkomplex zu treffen <strong>und</strong> so den Unrechts- <strong>und</strong><br />

Schuldgehalt vollständig zu erfassen.<br />

<strong>StGB</strong> § 306a Abs. 1 Nr. 1 Mischgebäude ohne Brand in Wohnraumen.<br />

BGH, Beschl. v. 15.02.2011 - 4 StR 659/10 - NJW 2011, 2148<br />

Anfragebeschluss des 4. Senats zur Auslegung des § 306a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong>.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 15. Februar 2011 beschlossen: Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:<br />

Die Tatbestandsalternative des teilweisen Zerstörens eines der Wohnung von Menschen dienenden Gebäudes<br />

gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> ist bei der Brandlegung in einem einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken<br />

genutzten Gebäude erst vollendet, wenn ein zum Wohnen bestimmter selbständiger <strong>Teil</strong> des Gebäudes durch<br />

die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist. Der Senat fragt daher beim 2. Strafsenat an, ob an dem<br />

Beschluss vom 19. Juli 2007 - 2 StR 266/07 festgehalten wird.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur besonders schweren Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe<br />

von fünf Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen<br />

Rechts gestützte Revision des Angeklagten.<br />

I. Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte in angemieteten Räumlichkeiten im Erdgeschoß des Tatanwesens,<br />

in welchem sich im Erdgeschoß verschiedene Geschäftslokale <strong>und</strong> im Obergeschoß fünf genutzte Wohnungen befanden,<br />

ein Sonnenstudio. Da die Einkünfte des Angeklagten nicht ausreichten, um seine Zahlungsverpflichtungen<br />

zu erfüllen, fasste er den Entschluss, das Inventar des Sonnenstudios durch Dritte in Brand setzen zu lassen, um<br />

gegenüber der Inventarversicherung vermeintliche Versicherungsansprüche betrügerisch geltend zu machen. Mit der<br />

Brandlegung beauftragte der Angeklagte ihm bekannte Personen, die nicht ermittelt werden konnten. Der Angeklagte<br />

hielt es für möglich <strong>und</strong> nahm billigend in Kauf, dass sich das Feuer auch auf das bewohnte Obergeschoß ausweiten<br />

konnte. Nicht ausschließbar vertraute er aber darauf, dass Menschen dadurch weder verletzt noch getötet werden.<br />

Am 24. Januar 2009 zwischen 2.30 <strong>und</strong> 4.20 Uhr gelangten die vom Angeklagten beauftragten Täter mit einem vom<br />

Angeklagten überlassenen Schlüssel in das Sonnenstudio. Sie entzündeten im Eingangsbereich in der Nähe der dortigen<br />

Empfangstheke befindliche Gegenstände, wofür sie etwas Benzin aus einem mitgebrachten 5-Liter-Kanister<br />

verwendeten, den sie mit geöffnetem Verschluss im Sonnenstudio zurückließen. Das Feuer, das Gebäudeteile nicht<br />

erfasste, führte dazu, dass die Einrichtungen des Sonnenstudios, vor allem die Trennwände im Bereich der Empfangstheke<br />

<strong>und</strong> in ihrer Nähe in größerem Umfang verrußt bzw. verkohlt <strong>und</strong> - ebenso wie die Akustikdecke - durch<br />

die Hitzeeinwirkung zerstört wurden. Beim Eintreffen der um 6.55 Uhr alarmierten Feuerwehr war das Feuer bis auf<br />

noch vorhandene Glutnester erloschen. In Folge des Brandes, durch den niemand verletzt wurde, war das vom Angeklagten<br />

angemietete Geschäftslokal bis zu dessen Instandsetzung nicht mehr nutzbar. Hätte sich aus der Brandlegung<br />

ein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwartender Vollbrand des Sonnenstudios entwickelt, wäre mit einem<br />

Übergreifen des Feuers auf das Obergeschoß <strong>und</strong> einer Gefährdung der Bewohner zu rechnen gewesen.<br />

II.<br />

1. Der Senat beabsichtigt, den Schuldspruch des angefochtenen Urteils dahin zu ändern, dass sich der Angeklagte der<br />

Anstiftung zur versuchten besonders schweren Brandstiftung in Tateinheit mit Brandstiftung gemäß § 26 <strong>StGB</strong><br />

i.V.m. § 306b Abs. 2 Nr. 2, § 306a Abs. 1 Nr. 1, § 22, § 306 Abs. 1 Nr. 1, § 52 <strong>StGB</strong> schuldig gemacht hat. Die von<br />

den unbekannten Tätern begangene schwere Brandstiftung ist nicht über das Versuchsstadium hinaus verwirklicht<br />

worden. Da das Landgericht ein Übergreifen des Feuers auf Gebäudeteile in der Weise, dass deren Fortbrennen aus<br />

182


eigener Kraft möglich war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1986 - 1 StR 270/86, BGHSt 34, 115, 117), nicht hat<br />

feststellen können, fehlt es an einem vollendeten Inbrandsetzen. Nach Ansicht des Senats liegen entgegen der Annahme<br />

der Strafkammer auch die Voraussetzungen der Tatbestandsalternative des teilweisen Zerstörens eines der<br />

Wohnung von Menschen dienenden Gebäudes nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> nicht vor. Schutzobjekt des durch das<br />

Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164) neu gefassten § 306a Abs.<br />

1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> ist jede Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient. Geschützt ist die Wohnstätte des Menschen<br />

als der örtliche Mittelpunkt menschlichen Lebens (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1975 - 4 StR 120/75,<br />

BGHSt 26, 121, 123). Aus dem auf das Wohnen bezogenen Schutzzweck des § 306a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> folgt, dass<br />

die Tatbestandsalternative des teilweisen Zerstörens eines Wohngebäudes bei einer Brandlegung in einem einheitlichen,<br />

teils gewerblich, teils als Wohnung genutzten Gebäude erst dann verwirklicht ist, wenn (zumindest) ein zum<br />

selbständigen Gebrauch bestimmter <strong>Teil</strong> des Wohngebäudes, d.h. eine zum Wohnen bestimmte abgeschlossene Untereinheit,<br />

durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. September<br />

2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 18, 20; Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 3 StR 339/06, NStZ-RR 2007, 78;<br />

Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 401/06, NStZ 2007, 270, 271; Beschluss vom 6. Mai 2008 - 4 StR 20/08,<br />

NStZ 2008, 519; Beschluss vom 14. Juli 2009 - 3 StR 276/09, NStZ 2010, 151, 152; Beschluss vom 26. Januar 2010<br />

- 3 StR 442/09, NStZ 2010, 452; Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 306a Rn. 8a; anders noch BGH, Beschluss vom 29.<br />

September 1999 - 3 StR 359/99, NStZ 2000, 197). Dass das Feuer auf zu Wohnzwecken genutzte <strong>Teil</strong>e des Gebäudes<br />

hätte übergreifen können, ändert nichts am fehlenden Eintritt des in § 306a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> tatbestandlich<br />

vorausgesetzten Erfolgs <strong>und</strong> vermag daher die Annahme einer vollendeten schweren Brandstiftung gemäß § 306a<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 - 3 StR 442/09 aaO). Da die Inbrandsetzung<br />

des Inventars des Sonnenstudios lediglich zu einer Zerstörung des dem Betrieb des Sonnenstudios dienenden<br />

Geschäftslokals führte, ist die von den unbekannt gebliebenen Tätern verübte schwere Brandstiftung nach § 306a<br />

Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> im Versuchsstadium stecken geblieben.<br />

2. Der beabsichtigten Entscheidung steht der Beschluss des 2. Strafsenats vom 19. Juli 2007 - 2 StR 266/07 entgegen.<br />

In dieser Entscheidung hat der 2. Strafsenat bei einer Brandlegung in einem teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken<br />

genutzten Gebäude, die zur zeitweisen Unbrauchbarkeit eines Ladengeschäfts als abgrenzbarer <strong>Teil</strong> des Gebäudes<br />

führte, ohne nähere Begründung die Tatbestandsalternative des teilweisen Zerstörens eines Wohngebäudes als<br />

vollendet angesehen. Die Ausführungen in dem Urteil des 2. Strafsenats vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10<br />

(zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) sprechen zwar dafür, dass nunmehr auch der 2. Strafsenat davon ausgeht,<br />

dass für die Vollendung des § 306a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> in der Tatbestandsalternative des teilweisen Zerstörens erforderlich<br />

ist, dass Wohnräume von der Zerstörungswirkung der Brandlegung betroffen sind. Eine eindeutige Aufgabe<br />

des Beschlusses vom 19. Juli 2007 - 2 StR 266/07 ist ihnen indes nicht zu entnehmen.<br />

3. Der Senat fragt daher gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei dem 2. Strafsenat an, ob an der dem Beschluss vom 19.<br />

Juli 2007 zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Rechtsauffassung festgehalten wird.<br />

<strong>StGB</strong> § 306a Abs. 2 Schwere Brandstiftung bei Mischgebäuden<br />

BGH, Urt. v. 17.11.2010 – 2 StR 399/10 - NJW 2011, 1090<br />

LS: Ist das "Gebäude" im Sinne von §§ 306a Abs. 2, 306 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> im Einzelfall zugleich<br />

ein "Wohngebäude", dann müssen zur Vollendung des Auffangtatbestands der schweren Brandstiftung<br />

nicht notwendigerweise auch Wohnräume von der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung<br />

betroffen sein.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. November 2010 für Recht erkannt: Die Revision<br />

des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. April 2010 wird verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> vier<br />

Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechts-mittel<br />

hat keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte unter Schizophrenie. Er setzte am 22. Oktober<br />

2009 kurz nach 11.30 Uhr in einem Wohnblock in Erfurt in zwei Kellerräumen auf dem Boden liegende Textilien<br />

183


<strong>und</strong> andere herumliegende Gegenstände in Brand. Er wusste, dass sich Mieter im Hause aufhielten, die durch Rauchentwicklung<br />

gefährdet oder verletzt werden konnten; dies nahm er jedoch billigend in Kauf. Er wollte das Gebäude<br />

zumindest teilweise zerstören. Tatsächlich kam es zur Verbrennung von <strong>Teil</strong>en der Kellerboxen <strong>und</strong> ihres Inhalts, zur<br />

Verschmorung von Stromleitungen im Keller, zur Zerstörung von Kellertüren <strong>und</strong> zur Verrußung von Kellerräumen.<br />

Dadurch entstand ein Sachschaden im Wert von mehr als 10.000 Euro. Acht Personen in den Wohnräumen des Hauses<br />

erlitten Rauchvergiftungen <strong>und</strong> mussten deswegen behandelt werden. Ein konkretes Motiv des Angeklagten bei<br />

der Brandlegung konnte nicht festgestellt werden. Er litt aber zur Tatzeit nicht an Wahnvorstellungen, sondern handelte<br />

möglicherweise zur Entlastung von inneren Anspannungen. In dieser Handlung hat das Landgericht eine<br />

schwere Brandstiftung des Angeklagten in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen<br />

Fällen gesehen. Es hat die §§ 306a Abs. 2, 306 Abs. 1 Nr. 1, 223 <strong>StGB</strong> angewendet. Eine weiter gehende Qualifikation<br />

nach § 306b Abs. 1 <strong>StGB</strong> wegen Verursachung einer Ges<strong>und</strong>heitsbeschädigung bei einer großen Zahl von Menschen<br />

hat es nicht angenommen. Zugunsten des Angeklagten ist die Strafkammer von einer erheblich verminderten<br />

Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit gemäß § 21 <strong>StGB</strong> ausgegangen. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus gemäß § 63 <strong>StGB</strong> hat sie nicht angeordnet, weil die paranoide Schizophrenie mit Erfolg medikamentös<br />

behandelt werde. Die Revision des Angeklagten beanstandet mit der Sachbeschwerde vor allem die Beweiswürdigung<br />

des Landgerichts.<br />

II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist bereits aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift vom<br />

10. August 2010 genannten Gründen rechtsfehlerfrei. Die rechtliche Wertung des Landgerichts ist im Ergebnis zutreffend.<br />

a) Die Strafkammer ist zu Recht vom Vorliegen einer schweren Brandstiftung ausgegangen. § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong><br />

greift ein, wenn ein Objekt im Sinne von § 306 Abs. 1 <strong>StGB</strong> in Brand gesetzt oder durch Brandlegung ganz oder<br />

teilweise zerstört wird <strong>und</strong> der Täter dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Ges<strong>und</strong>heitsschädigung<br />

bringt. Dies ist nach den Feststellungen geschehen. Durch Brandlegung wird die gänzliche oder teilweise Zerstörung<br />

des Objektes verursacht, wenn diese auf einer tatbestandsrelevanten Handlung beruht. Es muss sich ein mit der<br />

Brandlegung typischerweise geschaffenes Risiko im Zerstörungserfolg verwirklicht haben, wozu auch Verrußungsschäden<br />

am Brandstiftungsobjekt zu zählen sind, wie sie hier vom Angeklagten verursacht wurden. Dadurch liegt im<br />

Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes auch ein teilweises Zerstören des Gebäudes vor. Der Normzweck gestattet<br />

hier ebenfalls die Anwendung von § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong>, obwohl für die Vollendung von § 306a Abs. 1 <strong>StGB</strong> für den<br />

Fall des Zerstörens eines Wohngebäudes vorauszusetzen ist, dass auch Wohnräume von der Zerstörungswirkung der<br />

Brandlegung betroffen sind. § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong> besitzt durch die Verweisung auf Objekte nach § 306 Abs. 1 <strong>StGB</strong><br />

einen anderen Bezugspunkt als § 306a Abs. 1 <strong>StGB</strong>. Dies wirkt sich auf die Auslegung des Begriffes des teilweisen<br />

Zerstörens des Objektes aus. Im Hinblick auf die hohe Strafdrohung des § 306a <strong>StGB</strong> muss nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ein "teilweises Zerstören" von Gewicht vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 12. September 2002 -<br />

4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 19 f.; Beschl. vom 10. Januar 2007 - 5 StR 401/06, NStZ 2007, 270; Beschl. vom 6.<br />

Mai 2008 - 4 StR 20/08, NStZ 2008, 519). Dies ist nur dann der Fall, wenn das Tatobjekt für eine nicht unbeträchtliche<br />

Zeit wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, ferner wenn ein für die<br />

ganze Sache nötiger <strong>Teil</strong> unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen<br />

Gebrauch bestimmt <strong>und</strong> eingerichtet sind, vollständig vernichtet werden. Auch für die Qualifikation des § 306a Abs.<br />

2 <strong>StGB</strong> ist diese einschränkende Auslegung des Merkmals des teilweisen Zerstörens von Gewicht vorauszusetzen;<br />

allerdings ist sie mit Blick auf die Bezugsobjekte des § 306 Abs. 1 <strong>StGB</strong> rechtsgutsspezifisch zu verstehen. Einerseits<br />

ist der von § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong> in Bezug genommene Katalog der Brandstiftungsobjekte nach § 306 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> von demjenigen in § 306a Abs. 1 <strong>StGB</strong> qualitativ zu unterscheiden; andererseits nennt § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong> das<br />

zusätzliche Merkmal der Gefahr einer Ges<strong>und</strong>heitsschädigung für einen anderen Menschen. Lässt § 306a Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> bereits die Verursachung einer abstrakten Gefahr für Leib oder Leben von Menschen im Einzelfall genügen,<br />

weil die teilweise Zerstörung u.a. von Wohngebäuden ein generell hohes Gefährdungspotenzial für Menschen einschließt,<br />

so wird in § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong> bei der teilweisen Zerstörung von Objekten, die nicht zum Wohnen oder<br />

zum ständigen Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind, zusätzlich eine konkrete Gefahr für die Ges<strong>und</strong>heit<br />

von Menschen vorausgesetzt (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 306a Rn. 10, 11). Gesetzgeberischer Zweck<br />

der Auffangregelung ist es, auch bei Brandlegungen mit geringeren Objektschäden, im Fall einer konkreten Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung<br />

für Menschen dieselbe Strafdrohung auszusprechen, wie sie in § 306a Abs. 1 <strong>StGB</strong> bereits für Fälle<br />

einer abstrakten Gefährdung genannt wird (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 19 f.; 13/9064 S. 22). Ist das betroffene "Gebäude"<br />

im Sinne von § 306a Abs. 2 in Verbindung mit § 306 Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> zugleich ein "Wohngebäude", wie es<br />

der insoweit enger gefasste § 306a Abs. 1 <strong>StGB</strong> als Brandstiftungsobjekt voraussetzt, dann müssen zur Vollendung<br />

184


des Auffangtatbestands nicht notwendigerweise auch Wohnräume von der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung<br />

betroffen sein. Es genügt hier, wenn ein anderer funktionaler Gebäudeteil, wie ein Kellerraum, für nicht unerhebliche<br />

Zeit nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden kann, sofern durch die typischen Folgen der Brandlegung, wie<br />

Rauch- <strong>und</strong> Russentwicklung, auch eine konkrete Gefährdung der Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen verursacht wird. Nach<br />

der Brandlegung in dem Wohnblock durch den Angeklagten wurden mehrere Kellerräume durch Verrußung für nicht<br />

unerhebliche Zeit in dem bestimmungsgemäßen Zweck als Versorgungs- <strong>und</strong> Aufbewahrungsräume unbrauchbar.<br />

Die Stromleitungen mussten erneuert werden, die Russschäden waren zu beseitigen <strong>und</strong> die verbrannten Kellertüren<br />

zu ersetzen; der Reparaturaufwand verursachte erhebliche Kosten. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang<br />

der Feststellungen, dass die Schadensbeseitigung nicht unerhebliche Zeit in Anspruch nahm. Dieser Objektschaden,<br />

zu dem eine konkrete Gefährdung von Menschen durch die Folgen der Brandlegung hinzukam, genügt zur Anwendung<br />

von § 306a Abs. 2 <strong>StGB</strong>.<br />

b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe tateinheitlich mit der schweren Brandstiftung eine vorsätzliche<br />

Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 <strong>StGB</strong> in acht tateinheitlichen Fällen begangen, ist rechtsfehlerfrei.<br />

c) Auch soweit das Landgericht einen Ausschluss der Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gemäß<br />

§ 20 <strong>StGB</strong> verneint hat, ist dies nicht zu beanstanden. Eine paranoide Schizophrenie führt nicht generell zum Ausschluss<br />

der Schuldfähigkeit. Dies ist zwar bei akuten Schüben in der Regel anzunehmen (vgl. Senat, Beschl. vom 24.<br />

März 1995 - 2 StR 707/94, StV 1995, 405, 406; BGH, Beschl. vom 16. Januar 2003 - 1 StR 531/02). In lichten Momenten<br />

können aber Unrechtseinsicht <strong>und</strong> Steuerungsfähigkeit vorhanden gewesen sein. Das Landgericht hat aufgr<strong>und</strong><br />

der Einlassung des Angeklagten angenommen, dass der Angeklagte nicht aufgr<strong>und</strong> von Wahnvorstellungen<br />

gehandelt hat. Dagegen ist nichts zu erinnern.<br />

2. Schließlich ist es im Ergebnis auch nicht zu beanstanden (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO), dass das sachverständig<br />

beratene Landgericht keine Maßregel nach § 63 <strong>StGB</strong> angeordnet hat. Ob die Gefährlichkeit des Angeklagten nach<br />

erstmaliger Diagnose <strong>und</strong> medikamentöser Therapie der Schizophrenie im Januar 2010 auszuschließen ist, kann<br />

offen bleiben. Jedenfalls ist ein Symptomzusammenhang zwischen der Erkrankung <strong>und</strong> der Brandlegung nicht festgestellt<br />

worden.<br />

<strong>StGB</strong> § 332, 334 Verjährungsbeginn<br />

BGH, Beschl. v. 31.03.2011 – 4 StR 657/10<br />

Für den Verjährungsbeginn bei der Bestechung kommt es auf die letzte Handlung zur Erfüllung<br />

der Unrechtsvereinbarung beziehungsweise auf den Zeitpunkt des letzten den Schaden vertiefenden<br />

Ereignisses an.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 31. März 2011 gemäß § 206a, § 357 Satz 1 StPO, § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten R. gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 13. Juli 2010 wird<br />

a) das Verfahren gegen ihn <strong>und</strong> den Angeklagten P. in den Fällen 1 bis 21 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang<br />

der Einstellung fallen die Verfahrenskosten <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen der Angeklagten R. <strong>und</strong> P. der Staatskasse<br />

zur Last;<br />

b) das genannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte R. der Bestechlichkeit in Tateinheit mit<br />

Untreue in 54 Fällen <strong>und</strong> der Angeklagte P. der Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in 54 Fällen<br />

schuldig ist;<br />

c) das genannte Urteil im Gesamtstrafenausspruch gegen den Beschwerdeführer aufgehoben.<br />

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten R. wird als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit Untreue in 75 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten <strong>und</strong> den Angeklagten P. wegen Bestechung in Tateinheit mit<br />

Beihilfe zur Untreue in 75 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der<br />

gegen den Angeklagten P. verhängten Strafe hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten<br />

R., mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügt, hat den aus dem Beschlusstenor ersicht-<br />

185


lichen <strong>Teil</strong>erfolg. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte R. Leiter der Technischen<br />

Abteilung des Klinikums M., einer Anstalt des Öffentlichen Rechts. Spätestens ab 1999 ließ er sich von dem Mitangeklagten<br />

P., der zwei Krankenhausservicefirmen betrieb, für die Auftragserteilung 10 % des Umsatzes versprechen.<br />

P. erhöhte die Rechnungen der von ihm betriebenen Firmen, indem er die Anzahl der St<strong>und</strong>en oder den Materialaufwand<br />

heraufsetzte, so dass außer dem Anteil für den Angeklagten R. auch ein Anteil von 5 % für ihn selbst verblieb,<br />

was R. nicht wusste. Der Angeklagte R. durfte Rechnungen bis 15.000 € als sachlich <strong>und</strong> rechnerisch richtig abzeichnen;<br />

die Rechnungen wurden dann ohne weitere Überprüfung zur Zahlung angewiesen. Auch soweit 15.000 €<br />

geringfügig überschritten wurden, fand eine Überprüfung der vom Angeklagten R. abgezeichneten Rechnungen nicht<br />

statt. Der Angeklagte P. erstellte zwischen dem 26. Januar 2002 <strong>und</strong> dem 5. Oktober 2008 über 600 überhöhte Rechnungen<br />

mit einem Gesamtrechnungsbetrag von 2.383.444,56 €, die der Angeklagte R. abzeichnete <strong>und</strong> die bezahlt<br />

wurden. Der Angeklagte R. notierte sich die Rechnungen sowie die Zahlungen des Angeklagten P. <strong>und</strong> hielt ihn zur<br />

Zahlung an, wenn 10 % des Umsatzes nicht erreicht waren. Der Angeklagte R. erhielt zwischen dem 4. Februar 2002<br />

<strong>und</strong> dem 25. September 2008 75 Zahlungen des Angeklagten P. über insgesamt 248.929,20 €.<br />

1. Die Revision des Angeklagten R. führt in den Fällen 1 bis 21 der Urteilsgründe zur Einstellung des Verfahrens<br />

wegen Verjährung auch hinsichtlich des nicht revidierenden Mitangeklagten P. <strong>und</strong> zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs<br />

gegen den Beschwerdeführer. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten R. aus den Gründen<br />

der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 18. Januar 2011 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

a) Das Landgericht hat zu Recht 75 Straftaten der Bestechlichkeit (§ 332 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> der Bestechung (§ 334<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong>) angenommen. Mehrere Vorteilsannahmen stehen untereinander gr<strong>und</strong>sätzlich im Verhältnis der Tatmehrheit.<br />

Eine tatbestandliche Handlungseinheit hinsichtlich aller aus einer Unrechtsvereinbarung erlangten Vorteile<br />

hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof nur anerkannt, wenn die Annahme auf eine Unrechtsvereinbarung zurückgeht, die den zu<br />

leistenden Vorteil genau festlegt, mag er auch in bestimmten <strong>Teil</strong>leistungen zu erbringen sein (BGH, Urteile vom 18.<br />

Oktober 1995 – 3 StR 324/94, BGHSt 41, 292, 302; 11. Mai 2001 – 3 StR 549/00, BGHSt 47, 22, 30 <strong>und</strong> vom 20.<br />

August 2003 – 2 StR 160/03, wistra 2008, 29). Eine solche genaue Festlegung des Vorteils bei der Unrechtsvereinbarung<br />

ist hier nicht festgestellt. Bei ihrem Zustandekommen war lediglich der Prozentsatz vom Rechnungsbetrag<br />

vereinbart, den der Angeklagte R. für die dem Angeklagten P. künftig erteilten Aufträge erhalten sollte. Das genaue<br />

Volumen der Aufträge lag noch nicht fest. Dies reicht nicht aus, die späteren Zahlungsannahmen zu einer Tat zu<br />

verbinden. Rechtlich zutreffend hat das Landgericht Tateinheit zwischen der Untreue des Angeklagten R. <strong>und</strong> der<br />

Bestechlichkeit bejaht. Die pflichtwidrige Abzeichnung der überhöhten Rechnungen als sachlich <strong>und</strong> rechnerisch<br />

richtig stellte sowohl den Missbrauch der Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen bzw. bei den einen Betrag<br />

von 15.000 € überschreitenden Rechnungen den Treubruch gegenüber dem Klinikum M. als auch die Vornahme der<br />

vereinbarten pflichtwidrigen Diensthandlung dar. Durch die Annahme von jeweils nur einer tateinheitlichen Untreuehandlung<br />

ist der Angeklagte R. nicht beschwert.<br />

b) Nach den rechtsfehlerfrei vom Landgericht getroffenen Feststellungen erhielt der Angeklagte R. die Zahlungen in<br />

den Fällen 1 bis 21 bis zum 25. März 2004 einschließlich. Die erste die Verjährung unterbrechende Handlung erfolgte<br />

am 31. März 2009 durch den Erlass von Haftbefehlen <strong>und</strong> Durchsuchungsbeschlüssen gegen die Angeklagten.<br />

Damit war hinsichtlich dieser Fälle die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 <strong>StGB</strong> bereits vor den Unterbrechungshandlungen<br />

abgelaufen <strong>und</strong> Verfolgungsverjährung eingetreten. Zugunsten der Angeklagten ist davon auszugehen,<br />

dass die Beendigung der 75 Einzeltaten der Bestechlichkeit jeweils mit der Empfangnahme der Zahlungen<br />

eintrat <strong>und</strong> diesen Zahlungen eine vorherige pflichtwidrige Abzeichnung überhöhter Rechnungen zugr<strong>und</strong>e lag (zur<br />

Anwendung des Zweifelssatzes auf die die Verjährung begründenden Tatsachen vgl. BGH, Urteil vom 15. März<br />

2001 – 5 StR 454/00, BGHR <strong>StGB</strong> § 78a Satz 1 Betrug 3). Das Landgericht hat die über 600 pflichtwidrig abgezeichneten<br />

Rechnungen nicht den einzelnen Zahlungsempfängen des Angeklagten R. zugeordnet. Der Senat schließt<br />

jedoch aus, dass sich noch konkrete Feststellungen dahingehend treffen lassen, dass der Angeklagte R. als Gegenleistung<br />

für die bis zum 25. März 2004 erhaltenen Zahlungen nach dem 1. April 2004 Rechnungen abgezeichnet hat, so<br />

dass die Beendigung der Taten der Bestechlichkeit <strong>und</strong> der Untreue erst zu diesem Zeitpunkt in nicht verjährter Zeit<br />

eingetreten wäre (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 – 3 StR 90/08, BGHSt 52, 300). Für die Beendigung der 75<br />

Taten ist jeweils auf die einzelne Tat, nicht auf die Entgegennahme der letzten Zahlung bzw. der Abzeichnung der<br />

letzten überhöhten Rechnung der Tatserie abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1995 – 3 StR 324/94,<br />

BGHSt 41, 292, 303). Jeweils für die einzelne konkrete Tat gilt, dass sie erst mit der vollständigen Umsetzung der<br />

Unrechtsvereinbarung (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 927 f.) beziehungsweise<br />

mit der vollständigen Realisierung des Schadens (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2004 – 5 StR 412/03,<br />

BGHR <strong>StGB</strong> § 78a Satz 1 Untreue 3) ihren Abschluss findet, so dass es für den Verjährungsbeginn auf die letzte<br />

186


Handlung zur Erfüllung der Unrechtsvereinbarung beziehungsweise auf den Zeitpunkt des letzten den Schaden vertiefenden<br />

Ereignisses ankommt.<br />

2. Die Einstellung von 21 von 75 Taten hat die Aufhebung der Gesamtstrafe gegen den Beschwerdeführer zur Folge.<br />

Auch wenn die Einzelstrafen für die Taten des Angeklagten R. milde bemessen sind, strafbares verjährtes Vortatverhalten<br />

– wenngleich nicht in voller Schwere – strafschärfend berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom<br />

22. März 1994 – 4 StR 117/94, BGHR <strong>StGB</strong> § 46 Abs. 2 Vorleben 24) <strong>und</strong> die Gesamtstrafe äußerst straff zusammen<br />

gezogen worden ist, kann der Senat letztlich nicht ausschließen, dass der Tatrichter für nur 54 Fälle eine noch<br />

geringere Gesamtstrafe verhängt hätte.<br />

3. Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen 1 bis 21 ist auf den Angeklagten P. zu erstrecken. Es ist anerkannt,<br />

dass § 357 StPO auch dann anzuwenden ist, wenn die Aufhebung des Urteils wegen Fehlens einer von Amts wegen<br />

zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung oder des Vorliegens von Verfahrenshindernissen erfolgt (st. Rspr., vgl.<br />

BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 1959 – 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 340 f., vom 16. September 1971 – 1 StR<br />

284/71, BGHSt 24, 208, 210 f., vom 29. November 1994 – 3 StR 221/94 <strong>und</strong> vom 29. Juli 1998 – 2 StR 197/98; KK-<br />

Kuckein, StPO, 6. Aufl. § 357 Rn. 7). Der Senat hat davon abgesehen, auch beim Angeklagten P. die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

aufzuheben, da er ausschließen kann, dass eine neue Verhandlung zu einer milderen Bestrafung führen<br />

würde (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 - 1 StR 564/01). Das Landgericht hat bei diesem Angeklagten<br />

lediglich für 19 Taten Einzelstrafen festgesetzt (UA S. 30). Durch die Einstellung entfallen zwar vier dieser Einzelstrafen.<br />

Bei einer Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs müssten aber Einzelstrafen für die Fälle 22 bis 24, 27, 28,<br />

30 bis 37, 40 bis 53, 57 bis 63, 65, 66, 68, 69 <strong>und</strong> 72 neu festgesetzt werden. Das Verschlechterungsverbot des § 358<br />

Abs. 2 StPO stünde dem nicht entgegen (st. Rspr., vgl. Urteile vom 22. September 1953 – 1 StR 726/52, BGHSt 4,<br />

346 <strong>und</strong> vom 26. Februar 1993 – 3 StR 207/92, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 1 Einzelstrafe, fehlende 2.)<br />

<strong>StGB</strong> § 332, 73a Bestechlichkeit Tateinheit bei Serienzahlung, Wertersatzverfall bei Beamten des<br />

B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögens<br />

BGH, Urt. v. 24.06.2010 – 3 StR 84/10 - StV 2011, 16 = wistra 2010, 439<br />

1. Nimmt der Täter dafür, dass er Diensthandlungen vorgenommen hat oder künftig vornehme,<br />

widerkehrend Zuwendungen entgegen, so stehen die einzelnen Tathandlungen dann in tatbestandlicher<br />

Handlungseinheit, wenn sie <strong>Teil</strong>leistungen betreffen, die auf einer einheitlichen, die Gewährung<br />

eines bestimmten Vorteils insgesamt umfassenden Unrechtsvereinbarung beruhen.<br />

2. Sind die Merkmale eines Regelbeispiels erfüllt, so besteht zwar die Vermutung dafür, dass der<br />

Fall insgesamt als besonders schwer anzusehen ist, jedoch kann diese indizielle Bedeutung durch<br />

Umstände entkräftet werden, die für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass die Anwendung<br />

des erhöhten Strafrahmens unangemessen erscheint; dies hat der Tatrichter im Rahmen<br />

einer Gesamtwürdigung aller die Bemessung der Strafe bestimmenden Umstände zu überprüfen.<br />

3. Zum Wertersatzverfall bei der Bestechung von Beamten des B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögens.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 8. Juli 2009<br />

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Bestechlichkeit in 114 Fällen verurteilt wird;<br />

b) aufgehoben im Ausspruch<br />

aa) über die Einzelstrafe im Fall II. 2. b) aa) der Urteilsgründe <strong>und</strong> über die Gesamtstrafe; jedoch werden die zugehörigen<br />

Feststellungen aufrechterhalten;<br />

bb) über den Wertersatzverfall mit den zugehörigen Feststellungen.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Ausspruch über den Wertersatzverfall mit<br />

den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel <strong>und</strong> die dem Angeklagten durch die Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen notwendigen Auslagen,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

187


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 112 Fällen der Bestechlichkeit zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt <strong>und</strong> zu seinen Lasten 57.815,29 € für verfallen erklärt. Gegen das Urteil wendet<br />

sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Schuldspruch im Falle II. 2.<br />

b) aa) der Urteilsgründe <strong>und</strong> den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das auf die Rüge der Verletzung<br />

materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel wird vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten. Die auf den Rechtsfolgenausspruch<br />

beschränkte Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />

I. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Die Verurteilung des Angeklagten (nur) wegen 112 Fällen der Bestechlichkeit hält revisionsgerichtlicher Überprüfung<br />

nicht stand; zu Unrecht gelangt das Landgericht im Falle II. 2. b) aa) der Urteilsgründe zu einer einheitlichen<br />

Tat.<br />

a) Nach den Feststellungen war der Angeklagte Beamter des B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögens <strong>und</strong> als solcher der Deutschen<br />

Bahn AG zur Dienstleistung zugewiesen, die ihn zunächst bei der Deutschen Bahn Netz AG <strong>und</strong> ab 1. Januar<br />

2003 bei der Deutschen Bahn Projekt-Bau GmbH als Bauüberwacher einsetzte. Zu seinen Aufgaben gehörte unter<br />

anderem die inhaltliche Prüfung der Aufmaße <strong>und</strong> Rechnungen, welche das von der Deutschen Bahn Netz AG mit<br />

Tiefbauarbeiten für den Ausbau der Fernbahnstrecke Köln - Aachen bzw. der S-Bahnstrecke Köln - Düren beauftragte<br />

Bauunternehmen vorlegte. In den Jahren 2000 bis 2003 bestätigte der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen<br />

diese Aufmaße <strong>und</strong> Rechnungen teils ungeprüft, teils wider besseres Wissen als sachlich richtig <strong>und</strong> ermöglichte es<br />

so dem Bauunternehmen, Leistungen abzurechnen, die es nicht oder nicht in dem aufgeführten Umfang erbracht<br />

hatte. Konkret feststellen konnte das Landgericht, dass Abschlagsrechnungen vom 10. April 2000, 9. Oktober 2000<br />

<strong>und</strong> 12. April 2001 insgesamt neun solcher unrichtiger Positionen enthielten; durch die Begleichung dieser Rechnungen<br />

entstand der Deutschen Bahn Netz AG ein Schaden von mindestens etwa 1.000.000 €. Von Überprüfungen <strong>und</strong><br />

Beanstandungen sah der Angeklagte ab, weil ihm das Bauunternehmen dafür "Gegenleistungen" in Form von Bargeldzahlungen<br />

oder Sachzuwendungen gewährte oder weiter in Aussicht stellte. Für die Leistungen an den Angeklagten<br />

im Gesamtwert von mindestens 57.815,29 € - das Landgericht stellt im Einzelnen 114 Zuwendungen im<br />

Zeitraum von Mai 2000 bis März 2003 fest - bediente es sich einer "schwarzen Kasse", im Wesentlichen bestehend<br />

aus "Antrittsgeldern", welche es seinen Subunternehmern für den Zuschlag von Aufträgen abverlangte. Zu drei dieser<br />

Zuwendungen (Fall II. 2. b) aa) der Urteilsgründe) hat das Landgericht festgestellt: Der Angeklagte erwarb am<br />

21. März 2000 einen Pkw Audi A 6. Auf den Kaufpreis hatte er bei Auslieferung 54.000 DM anzuzahlen; einen<br />

weiteren <strong>Teil</strong>betrag von 32.250 DM finanzierte er über einen Bankkredit. Als "Beitrag zur Finanzierung" übergab<br />

ihm ein Mitarbeiter des Bauunternehmens, der Zeuge S., zu-nächst Anfang Mai 15.000 DM in bar, die er für die<br />

geschuldete Anzahlung verwendete. Zur Rückzahlung der noch offenen Darlehensforderung erhielt der Angeklagte<br />

vom Zeugen S. dann im Januar <strong>und</strong> im Februar 2001 weitere Bargeldbeträge von 10.000 DM bzw. 12.000 DM.<br />

b) Nimmt der Täter dafür, dass er Diensthandlungen vorgenommen hat oder künftig vornehme, wiederkehrend Zuwendungen<br />

entgegen, so stehen die einzelnen Tathandlungen dann in tatbestandlicher Handlungseinheit, wenn sie<br />

<strong>Teil</strong>leistungen betreffen, die auf einer einheitlichen, die Gewährung eines bestimmten Vorteils insgesamt umfassenden<br />

Unrechtsvereinbarung beruhen (Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 331 Rn. 39 mwN). Eine Übereinkunft des Angeklagten<br />

mit den Verantwortlichen des Bauunternehmens dahin, dass dieses ihm zur Finanzierung seines Pkw-Kaufs einen<br />

vorab der Höhe nach festgelegten <strong>und</strong> in <strong>Teil</strong>beträgen auszuzahlenden Zuschuss gewähren werde, hat das Landgericht<br />

indes nicht festgestellt. Aus den Feststellungen ergibt sich vielmehr, dass jeder der Zahlungen eine eigenständige<br />

Unrechtsvereinbarung zu Gr<strong>und</strong>e lag. Dies führt zu drei rechtlich selbständigen Taten.<br />

c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Schon aufgr<strong>und</strong> der Einlassung des Angeklagten schließt der<br />

Senat aus, dass eine neue Hauptverhandlung zur Feststellung einer einheitlichen, alle drei Zahlungen umfassenden<br />

Unrechtsvereinbarung führen kann. Danach hat der Zeuge S. dem Angeklagten zur Finanzierung des Pkw-Kaufs<br />

zunächst 15.000 bis 20.000 DM angeboten. Auf seine - des Angeklagten - Bemerkung, dieser Betrag reiche aus,<br />

erhielt er vom Zeugen 15.000 DM. Erst einige Zeit danach stellte ihm der Zeuge zur rascheren Tilgung des Kredits<br />

noch "weiteres Geld" in Aussicht. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass der Angeklagte nach der Aussage des Zeugen<br />

S. den Wunsch nach einem Pkw geäußert <strong>und</strong> der als Geschäftsführer des Bauunternehmens auftretende frühere<br />

Mitangeklagte K. hierauf entschieden hat, der Angeklagte bekomme einen Pkw Audi A 6, jedoch solle ihm der dafür<br />

erforderliche Geldbetrag in Raten ausbezahlt werden, um Abhängigkeit zu erzeugen. Dies belegt allein die Absicht<br />

des früheren Mitangeklagten K., der ersten Zahlung weitere folgen zu lassen.<br />

2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 2.<br />

b) aa) der Urteilsgründe <strong>und</strong> im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Der neue Tatrichter wird für die Annahme jeder<br />

der drei zur Finanzierung des Pkw-Kaufs geleisteten Zahlungen eine gesonderte Einzelstrafe auszusprechen haben.<br />

Insoweit besteht Anlass zu folgendem Hinweis: Der Annahme gewerbsmäßigen Handelns (§ 335 Abs. 1 Nr. 1a, Abs.<br />

188


2 Nr. 3 <strong>StGB</strong>) stünde nicht bereits entgegen, dass die Finanzierung des Pkw innerhalb der sich über nahezu vier Jahre<br />

erstreckenden Unrechtsbeziehung ein atypisches Geschehen darstellt, das sich so nicht wiederholt hat. Anders könnte<br />

dies zu beurteilen sein, soweit diese Zuwendungen das Tatgeschehen überhaupt erst eingeleitet haben <strong>und</strong> fortlaufende<br />

Zahlungen noch nicht im Raum standen. Hierzu werden ergänzende Feststellungen zu treffen sein.<br />

3. Die für die weiteren 111 Taten ausgesprochenen Einzelstrafen haben dem gegenüber Bestand.<br />

a) Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ein im Fall II. 2. b) aa) der Urteilsgründe aus der Annahme eines<br />

einheitlichen Geschehens etwa abgeleitetes erhöhtes Tatunrecht bei der Bemessung der durchweg milden Einzelstrafen<br />

für die weiteren Taten erschwerend berücksichtigt hat (§ 301 StPO).<br />

b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stößt es auch nicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken,<br />

dass das Landgericht in den Fällen II. 2. b) bb)<br />

(1) bis (62) der Urteilsgründe trotz gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten keine besonders schweren Fälle der<br />

Bestechlichkeit angenommen hat. Sind die Merkmale eines Regelbeispiels erfüllt, so besteht zwar die Vermutung<br />

dafür, dass der Fall insgesamt als besonders schwer anzusehen ist, jedoch kann diese indizielle Bedeutung durch<br />

Umstände entkräftet werden, die für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass die Anwendung des erhöhten<br />

Strafrahmens unangemessen erscheint; dies hat der Tatrichter im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller die Bemessung<br />

der Strafe bestimmenden Umstände zu überprüfen (Fischer aaO § 46 Rn. 91 mwN). Nach diesen Maßstäben<br />

hat das Landgericht den dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumten Beurteilungsspielraum in den<br />

genannten Fällen noch nicht überschritten. Es hat die Anwendung des erhöhten Strafrahmens trotz des Seriencharakters<br />

der Taten deshalb für unangemessen erachtet, weil der Bestechungslohn jeweils nur 500 DM betrug <strong>und</strong> darüber<br />

hinaus gewichtige Strafmilderungsgründe vorliegen.<br />

4. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist das Urteil schließlich auch aufzuheben, soweit das Landgericht den<br />

Wertersatzverfall angeordnet hat (§ 301 StPO).<br />

a) Allerdings steht § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> vorliegend einer Verfallsanordnung nicht entgegen. Nach den Feststellungen<br />

(oben I. 1. a)) besteht kein Anspruch eines Verletzten, dessen Erfüllung dem Angeklagten den Wert des aus<br />

seinen Taten Erlangten entziehen würde.<br />

aa) Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> kann nur derjenige sein, dessen Individualinteressen durch das<br />

vom Täter übertretene Strafgesetz geschützt werden sollen. Soweit der Angeklagte wegen Bestechlichkeit verurteilt<br />

worden ist, trifft dies weder auf das B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögen noch auf die Deutsche Bahn AG oder die ihrem<br />

Konzern zugehörigen Unternehmen zu. Schutzgut des § 332 Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong> ist nicht das Vermögensinteresse<br />

der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes<br />

(BGHSt 30, 46, 47 f.; BGH, NStZ 1999, 560; 2000, 589, 590).<br />

bb) Der Verfall ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Deutsche Bahn Netz AG durch die pflichtwidrigen,<br />

auch als Untreue (§ 266 Abs. 1 1. Alt. <strong>StGB</strong>) zu bewertenden Diensthandlungen einen Vermögensnachteil erlitten<br />

hat, zu dessen Ersatz der Angeklagte nach § 75 Abs. 1 BBG - auf ihn anwendbar nach § 7 Abs. 1 B<strong>und</strong>esbahnneugliederungsG,<br />

§ 12 Abs. 4 Deutsche Bahn GründungsG - verpflichtet ist. Erhält der Amtsträger aufgr<strong>und</strong> der mit<br />

einem Dritten getroffenen Unrechtsvereinbarung für eine den Dienstherrn schädigende Untreuehandlung eine Belohnung,<br />

so hat er diese gr<strong>und</strong>sätzlich "für" die Tat zulasten des Dienstherrn <strong>und</strong> nicht "aus" ihr erlangt; auf Erlangtes<br />

"für" die Tat bezieht sich § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> nicht (BGHSt 30, 46, 47; BGH, NStZ 1999, 560). Dass hier nicht<br />

unmittelbar der Dienstherr geschädigt <strong>und</strong> die Deutsche Bahn AG zur Geltendmachung des Anspruchs berechtigt ist,<br />

ändert daran nichts (vgl. § 1 Nr. 25 DBAG-ZuständigkeitsVO). "Aus" der Tat zum Nachteil des Dienstherrn ist der<br />

Bestechungslohn allerdings dann erlangt, wenn er mit dem durch das pflichtwidrige Handeln entstandenen Schaden<br />

inhaltlich so verknüpft ist, dass der Vermögensnachteil des Dienstherrn <strong>und</strong> der Vermögenszuwachs beim Täter<br />

gleichsam spiegelbildlich miteinander korrespondieren, etwa wenn einem Dritten Vorteile aus dem Vermögen des<br />

Dienstherrn verschafft werden, die dessen Aufwendungen für den Bestechungslohn kompensieren oder die ganz oder<br />

teilweise dem Täter zufließen sollen (vgl. BGHSt 47, 22, 31; BGHR <strong>StGB</strong> § 73 Verletzter 4, 5; BGH, NStZ 2003,<br />

423). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor, denn das Bauunternehmen hat die dem Angeklagten zugeflossenen<br />

Bestechungsgelder nicht aus dem aufgr<strong>und</strong> der Untreuehandlungen des Angeklagten unberechtigt erhaltenen<br />

Anteilen ihres Werklohns finanziert, sondern dort aus anderen Quellen gespeisten "schwarzen Kasse" entnommen.<br />

Darauf, dass von der Verfolgung der in Betracht kommenden Untreuehandlungen des Angeklagten gemäß §<br />

154 StPO abgesehen worden ist, kommt es nach alledem nicht mehr an.<br />

cc) Zwar hat ein B<strong>und</strong>esbeamter nach § 71 Abs. 2 Satz 1 BBG i.d.F. des DNeuG vom 5. Februar 2009 (BGBl. I 160)<br />

einen Vermögensvorteil, den er in Bezug auf sein Amt angenommen hat, dem Dienstherrn herauszugeben (so schon<br />

zum früheren Rechtszustand BVerwGE 115, 389 mwN; zur Geltendmachung gegenüber zugewiesenen Beamten des<br />

B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögens nunmehr § 1 Nr. 25 DBAG-ZuständigkeitsVO). Dies führt jedoch nicht zu einer doppel-<br />

189


ten Inanspruchnahme des Beamten, wenn er den Vorteil zugleich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong> für eine<br />

rechtswidrige Tat oder aus ihr erlangt hat, denn nach dem Wortlaut von § 71 Abs. 2 Satz 1 BBG kann der Dienstherr<br />

die Herausgabe nur verlangen, soweit nicht im Strafverfahren der Verfall angeordnet worden ist. Danach kommt dem<br />

Verfallanspruch des Staates gegenüber dem Ablieferungsanspruch des Dienstherrn der Vorrang zu (vgl. BVerwGE<br />

aaO; OVG Münster NVwZ-RR 2003, 136); dies gilt auch dann, wenn der Verfall erst nach der Geltendmachung des<br />

Anspruchs durch den Dienstherrn angeordnet wird (Plog/Wiedow, BBG, § 71 BBG 2009 Rn. 0.2; § 70 BBG aF Rn.<br />

3a).<br />

dd) Dass der Angeklagte Kapitalgesellschaften des Privatrechts zur Dienstleistung zugewiesen war, führt auch nicht<br />

zu einem neben die Verfallsanordnung tretenden Anspruch auf Herausgabe des Bestechungslohns nach den Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 667, 681 Satz 2, 687 Abs. 2 Satz 1 BGB; hierzu BGH, NJW 2001,<br />

2476, 2477). Diese Vorschriften sind auf das Beamtenverhältnis unanwendbar (BVerwGE aaO); die Rechtsstellung<br />

eines Beamten des B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögens bleibt auch bei seiner Zuweisung zur Dienstleistung an die Deutsche<br />

Bahn AG gewahrt (Art. 143a Abs. 1 Satz 3 GG; § 12 Abs. 4 Deutsche Bahn GründungsG). Auf die Frage, ob auch<br />

der bürgerlich-rechtliche Herausgabeanspruch von vornherein mit der Möglichkeit der strafrechtlichen Verfallserklärung<br />

belastet ist (vgl. BGHZ 39, 1; LAG Berlin LAGReport 2005, 289), kommt es nicht an.<br />

b) Indes hat die Anordnung des Wertersatzverfalls deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft<br />

nicht geprüft hat, inwieweit sie für den Angeklagten eine unbillige Härte wäre (§ 73c Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong>). So kann<br />

der Verfall eine unbillige Härte sein, wenn der Täter auf Gr<strong>und</strong> der Rechtsverfolgung eines Geschädigten voraussichtlich<br />

sein gesamtes Vermögen verlieren wird (vgl. BGH, wistra 1999, 464). Dies liegt hier nicht fern, denn der<br />

Angeklagte haftet - jedenfalls gesamtschuldnerisch mit den Verantwortlichen des Bauunternehmens - für den der<br />

Deutschen Bahn Netz AG entstandenen Schaden. Dass das Landgericht nicht hat feststellen können, ob der Deutschen<br />

Bahn Netz AG nach Einbehalt von ca. 22 Mio. DM aus der Schlussrechnung "dauerhaft ein Vermögensschaden<br />

verbleiben wird", schließt seine Inanspruchnahme nicht aus. Nennenswerte Vermögensgegenstände des Angeklagten<br />

über seinen Miteigentumsanteil an dem weitgehend abbezahlten Wohngr<strong>und</strong>stück hinaus sind nicht ersichtlich.<br />

Der neue Tatrichter wird deshalb ergänzende Feststellungen zu dessen Wert sowie zum Umfang der zu erwartenden<br />

Inanspruchnahme des Angeklagten zu treffen haben.<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

Soweit der Angeklagte das Verfahren beanstandet, ist die Rüge nicht ausgeführt <strong>und</strong> deshalb unzulässig (§ 344 Abs.<br />

2 Satz 2 StPO). Auf die Sachrüge ist die Anordnung des Verfalls aufzuheben (oben I. 4. b)); das weitergehende<br />

Rechtsmittel erweist sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

StPO § 22 Nr. 4 Richterausschluss früherer StA<br />

Verfahrensrecht<br />

BGH, Beschl v. 12.08.2010 – 4 StR 378/10 – NStZ 2011, 106<br />

Hat ein Mitglied des erkennenden Gerichts als Staatsanwalt in dem Verfahren dem Vertreter des<br />

Geschädigten auf dessen Antrag Akteneinsicht gewährt, eine Frist für eine eventuelle Stellungnahme<br />

eingeräumt <strong>und</strong> den Zeitpunkt der Wiedervorlage bestimmt, so stellt dies eine Tätigkeit im Sinne<br />

des § 22 Nr. 4 StPO dar.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. November 2009 mit<br />

den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, den<br />

Angeklagten A. ferner wegen vorsätzlicher Körperverletzung <strong>und</strong> wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt,<br />

<strong>und</strong> zwar den Angeklagten W. zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren <strong>und</strong> den Angeklagten A. zu einer Jugendstrafe<br />

von sieben Jahren; darüber hinaus hat es bezüglich des Letzteren eine Maßregelanordnung nach §§ 69,<br />

190


69a <strong>StGB</strong> getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung<br />

formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügen. Die Revisionen haben mit der Rüge der Verletzung des § 22 Nr. 4<br />

StPO Erfolg. Die Beschwerdeführer beanstanden mit Recht, dass an der Hauptverhandlung als beisitzende Richterin<br />

die Richterin am Landgericht Dr. S. teilgenommen hat, obwohl sie in der Sache bereits als Staatsanwältin tätig gewesen<br />

<strong>und</strong> somit kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen war (§ 338 Nr. 2 StPO). Im Rahmen<br />

ihrer damaligen Tätigkeit als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft München I hat die jetzige Richterin am<br />

Landgericht mit Verfügung vom 28. August 2007 dem Vertreter des Geschädigten R. , Rechtsanwalt Sch. , auf dessen<br />

Antrag Akteneinsicht gewährt, eine Frist für eine eventuelle Stellungnahme eingeräumt <strong>und</strong> den Zeitpunkt der<br />

Wiedervorlage bestimmt (Bd. I Bl. 68 d.A.). Dies stellt eine Tätigkeit im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO dar. Dieser Begriff<br />

ist weit auszulegen, um Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens dadurch zu wahren,<br />

dass bereits der Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit eines Richters vermieden wird, zu genügen. Er<br />

umfasst nach ständiger Rechtsprechung jedes amtliche Handeln in der Sache, das geeignet ist, den Sachverhalt zu<br />

erforschen oder den Gang des Verfahrens zu beeinflussen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 1981 - 1 StR<br />

711/81, NStZ 1982, 78 <strong>und</strong> vom 24. März 2006 - 2 StR 271/05, wistra 2006, 310 jeweils m.w.N.; vgl. auch Siolek in<br />

Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 22 Rn. 29, 30). Dies trifft auf die Verfügung vom 28. August 2007 zu, durch die<br />

der Gang des Verfahrens gefördert werden sollte. Ob die Tätigkeit für das Verfahren wesentlich oder unbedeutend<br />

war, ist dabei unerheblich. Über die Sache ist daher insgesamt durch eine andere als Jugendkammer zuständige<br />

Strafkammer des Landgerichts München I erneut zu entscheiden, deren Zuständigkeit auch hinsichtlich des durch die<br />

ursprünglich an das Amtsgericht Wolfratshausen - Jugendrichter - gerichtete Anklageschrift der Staatsanwaltschaft<br />

München II vom 7. Februar 2009 gegen den Angeklagten A. erhobenen Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr gegeben<br />

ist (§ 39 Abs. 2 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des Staatsministeriums der Justiz<br />

<strong>und</strong> für Verbraucherschutz [Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz - GZVJu] vom 16. November 2004<br />

[GVBl. S. 471]; § 4 Abs. 2 Satz 1 StPO).<br />

StPO § 24 Richterablehnung in Bayern<br />

BGH, Beschl. v. 03.11.2010 - 1 StR 500/10 – NStZ 2011, 228 = StraFo 2011, 99<br />

Der tadelnde Hinweis "nun mandeln Sie sich doch nicht so auf" oder "jetzt mandeln Sie sich schon<br />

wieder auf" kann im Einzelfall als eine auf bayrisch eher zurückhaltend formulierte Bitte um Respektierung<br />

des Rechts <strong>und</strong> der Pflicht des Strafkammervorsitzenden, die Verhandlung zu leiten (§<br />

238 Abs. 1 StPO), sowie um Wahrung des - auch standesrechtlich geforderten (§ 43a BRAO) - Gebots<br />

der Sachlichkeit verstanden werden.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 3. November 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allg.) vom 20. Mai 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt<br />

der Senat zur Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO: Der Angeklagte stellte durch seinen damaligen Verteidiger<br />

einen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit.<br />

Dem Befangenheitsantrag lag Folgendes zugr<strong>und</strong>e: Am 2. Verhandlungstag wurde ein Ermittlungsbeamter als Zeuge<br />

gehört. Während dessen Vernehmung unterband der Vorsitzende die Beantwortung einer Frage des Verteidigers<br />

unter Hinweis auf die eingeschränkte Aussagegenehmigung des Zeugen. Er verlas dazu das entsprechende Schreiben<br />

des Polizeipräsidenten. Dieses war dem Landgericht am Tag zuvor um 15.31 Uhr per Fax zugegangen. Der Verteidiger<br />

des Angeklagten forderte die Übergabe einer Kopie. Der Vorsitzende lehnte dies ab. Stattdessen wurde dem<br />

Verteidiger das (Original-)Fax zur Einsichtnahme übergeben (mit der Bitte um Rückgabe in angemessener Zeit - so<br />

die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden). Der Verteidiger bestand gleichwohl auf der Aushändigung einer<br />

Kopie. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung über die Forderung nach der sofortigen Übergabe einer Kopie äußerte<br />

der Vorsitzende: „Jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf. Sie kriegen jetzt keine Kopie“ (so in der Revisionsbegründung)<br />

oder „er - der Verteidiger - solle sich nicht so aufmandeln“ (so in der dienstlichen Stellungnahme des<br />

Strafkammervorsitzenden). Die Vernehmung des Zeugen wurde zunächst fortgesetzt, später kurz zur Fertigung von<br />

Kopien des Schreibens über die Beschränkung der Aussagegenehmigung unterbrochen. Die Ablichtungen wurden<br />

dann dem Verteidiger des Beschwerdeführers sowie der Verteidigerin bzw. dem Verteidiger der beiden Mitangeklag-<br />

191


ten <strong>und</strong> der Vertreterin der Staatsanwaltschaft übergeben. Der Befangenheitsantrag wurde durch Beschluss der Strafkammer<br />

(in der Besetzung gemäß § 27 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 StPO) als unbegründet zurückgewiesen. Die Revision trägt vor,<br />

dieser Zurückweisungsbeschluss sei unter Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs <strong>und</strong><br />

schon deshalb fehlerhaft gefasst worden. Außerdem sei der Befangenheitsantrag auch in der Sache zu Unrecht verworfen<br />

worden. Auch insoweit bleibt der Revision - entsprechend dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts - der Erfolg<br />

versagt.<br />

1. Zum Vorwurf der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs: Die Strafkammer habe - so der<br />

Beschwerdeführer - bei der Ablehnung des Befangenheitsantrags überraschend Tatsachen zugr<strong>und</strong>e gelegt, zu denen<br />

kein Gehör gewährt worden sei, nämlich hinsichtlich vermeintlicher Spannungen während der Hauptverhandlung,<br />

deren Ursache einseitig beim Verteidiger gesehen worden sei. Dazu führte die Strafkammer im Zurückweisungsbeschluss<br />

aus: „Wie der Berichterstatter der Kammer mitteilte, war das Verhalten des Verteidigers bisher dadurch gekennzeichnet,<br />

dass er mit der Verhandlungsführung des Vorsitzenden nicht einverstanden war, diesem mehrfach ins<br />

Wort fiel <strong>und</strong> dies auch trotz mehrmaligen Bittens des Vorsitzenden nicht unterließ, wodurch sich naturgemäß eine<br />

angespannte Atmosphäre aufbaute….. Vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass auch sein Verteidiger nicht gerade höflich mit<br />

Prozessbeteiligten umgeht, stellt die schroffe Zurückweisung dieses Ansinnens [Fertigung <strong>und</strong> Übergabe einer Kopie<br />

des Schreibens des Polizeipräsidenten] daher keinen Ablehnungsgr<strong>und</strong> dar. So sagte dieser zur Staatsanwältin bereits<br />

am ersten Verhandlungstag ‚sie solle doch nicht dümmer tun, als sie tatsächlich sei‘. Wer derart austeilt, darf sich<br />

aber nicht w<strong>und</strong>ern, wenn er selbst nicht mit Samthandschuhen angefasst wird.“ Eine Verletzung des rechtlichen<br />

Gehörs liegt nicht vor. Das Gesetz sieht für das Verfahren zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch lediglich die<br />

Herbeiführung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters vor (§ 26 Abs. 3 StPO), die zur Gewährung des<br />

rechtlichen Gehörs dem Antragsteller mitzuteilen ist. Eine förmliche Beweisaufnahme über das Ablehnungsvorbringen<br />

findet hingegen nicht statt. Es ist vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen, mit welchen<br />

Mitteln es sich Kenntnis von dem Bestehen oder Nichtbestehen der maßgeblichen Tatsachen verschaffen will. Haben<br />

sich die Tatsachen vor demselben Gericht ereignet, so kann dieses auf Gr<strong>und</strong> eigener Wahrnehmungen ohne weiteres<br />

die Entscheidung treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 382/06 – NStZ 2007, 51 mwN). So war<br />

es im vorliegenden Fall, da der Berichterstatter als Mitglied der Strafkammer den fraglichen Vorgang miterlebt hatte.<br />

In der Sache widerspricht der Beschwerdeführer in der Revisionsbegründung der Schilderung des Prozessverhaltens<br />

des damaligen Verteidigers im Beschluss der Strafkammer über die Ablehnung des Befangenheitsantrags nicht, insbesondere<br />

nicht hinsichtlich der Eingriffe des Verteidigers in die allein dem Vorsitzenden obliegenden Leitung der<br />

Verhandlung (§ 238 Abs. 1 StPO) <strong>und</strong> zu der zumindest unsachlichen Äußerung gegenüber der Staatsanwältin. Der<br />

Senat kann folglich davon ausgehen, dass die Ausführungen der Strafkammer im Ablehnungsbeschluss insoweit<br />

zutreffen. Zwar trat in der Instanz ein anderer Verteidiger auf als derjenige, der die Revision begründete. Dies ist<br />

jedoch ohne Belang, da der Revisionsverteidiger verpflichtet ist, sich bei seinem - insoweit auskunftspflichtigen -<br />

Kollegen über alle wesentlichen Vorgänge in der Hauptverhandlung zu erk<strong>und</strong>igen, um die Revision ordnungsgemäß<br />

begründen zu können. Dass dies im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen wäre, wird nicht vorgetragen <strong>und</strong> ist<br />

auch sonst nicht ersichtlich. Der damalige Verteidiger erlebte die Hauptverhandlung selbst mit. Er beeinflusste sie<br />

hinsichtlich des Verhandlungsstils maßgeblich. Es konnte ihn somit nicht überraschen, dass die Strafkammer sein<br />

Auftreten bei der Bescheidung des Ablehnungsgesuchs berücksichtigte. Dies lag hier auf der Hand.<br />

2. Zum Vorwurf der Befangenheit: Den auf die eingangs geschilderten Vorgänge gestützten Befangenheitsantrag hat<br />

die Strafkammer zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.<br />

a) Ein Anspruch auf sofortige Aushändigung einer Kopie des Schreibens des Polizeipräsidenten über die Beschränkung<br />

der Aussagegenehmigung des Ermittlungsbeamten bestand nicht. Ein Verteidiger hat gr<strong>und</strong>sätzlich keinen<br />

Anspruch auf Übergabe von Kopien der Ermittlungs- <strong>und</strong> Gerichtsakten. Er kann sie sich bei Akteneinsichtnahme<br />

selbst fertigen. Gleichwohl wird sinnvoller Weise häufig anders verfahren, wenn dies aus Gründen der Fairness, der<br />

Verfahrensvereinfachung <strong>und</strong> -beschleunigung angezeigt erscheint; so dann ja auch im vorliegenden Fall noch während<br />

der Vernehmung des Zeugen. Zwingend war dies hier nicht. Das - im Text - zweiseitige <strong>und</strong> bei mündlichem<br />

Vortrag ohne weiteres verständliche Schreiben des Polizeipräsidenten wurde zur Information der Verfahrensbeteiligten<br />

vom Vorsitzenden vorgelesen. Dem damaligen Verteidiger des Beschwerdeführers wurde das Fax zur Einsichtnahme<br />

übergeben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Angeklagte oder sein Verteidiger dann noch in ihren Verteidigungsrechten<br />

beschnitten gewesen sein könnten oder ein entsprechender Eindruck beim Angeklagten hätte entstehen<br />

können.<br />

b) Die Verwendung des Begriffs „aufmandeln“ seitens des Vorsitzenden der Strafkammer (beim Landgericht Kempten)<br />

gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten vermag hier den Eindruck der Befangenheit nicht zu begründen.<br />

Dieser Begriff wird im bayerischen Sprachraum häufig gebraucht. Er ist abgeleitet von der bayerischen Verkleine-<br />

192


ungsform für Mann (Mandl). „Mandeln Sie sich nicht so auf“ beinhaltet zwar eine gewisse Kritik (etwa: spielen Sie<br />

sich doch nicht so auf). Gerade durch die Verwendung der lokalen Sprachform wird dem Vorwurf aber die Schärfe<br />

genommen. Dementsprechend erklärte auch der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme, er habe mit der<br />

„Verwendung des fre<strong>und</strong>lich bleibenden <strong>und</strong> hier nicht ungebräuchlichen Ausdrucks“ nur weiteres „unnötiges Insistieren“<br />

verhindern wollen. Diese Erläuterung in der dienstlichen Erklärung ist für sich schon geeignet, ursprüngliches<br />

Misstrauen zu beseitigen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2002 - 1 StR 557/01 – NStZ 2002, 495). Im Übrigen<br />

kann der tadelnde Hinweis „nun mandeln Sie sich doch nicht so auf“ oder „jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf“<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> des von der Strafkammer in ihrem Beschluss über die Zurückweisung des Befangenheitsantrags<br />

geschilderten Prozessverhaltens des Verteidigers nur als eine auf bayerisch eher zurückhaltend formulierte Bitte<br />

um Respektierung des Rechts <strong>und</strong> der Pflicht des Strafkammervorsitzenden, die Verhandlung zu leiten (§ 238 Abs. 1<br />

StPO), sowie um Wahrung des - auch standesrechtlich geforderten (§ 43a BRAO) - Gebots der Sachlichkeit verstanden<br />

werden.<br />

StPO § 45 Abs. 1 Wiedereinsetzung<br />

BGH, Beschl. v. 05.08.2010 – 3 StR 269/10 - NStZ-RR 2010, 378<br />

Zu den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts am 5. August 2010 gemäß § 46<br />

Abs. 1 StPO beschlossen: Der Antrag des Verurteilten, ihm nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 11. August 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,<br />

wird auf seine Kosten verworfen.<br />

Gründe:<br />

Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig.<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert<br />

war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen einer Woche nach Wegfall<br />

des Hindernisses zu stellen (§ 45 Satz 1 StPO) <strong>und</strong> muss daher auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls<br />

des Hindernisses enthalten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 45 Rn. 5). Ferner hat der Gesuchsteller alle Tatsachen<br />

glaubhaft zu machen, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit <strong>und</strong> Begründetheit seines Gesuchs von<br />

Bedeutung sind (§ 45 Abs. 2 StPO; Meyer-Goßner aaO, Rn. 6). An diesen Zulässigkeitsvoraussetzungen fehlt es. Der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt: "Der Antrag enthält keine Angaben dazu, wann<br />

das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, wegfiel (Senat, Beschluss vom 8. April 2003 - 3 StR 30/03;<br />

BGH NStZ 2006, 54, 55; BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 2, 7; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 45 Rn. 5).<br />

Zwar hat der Verteidiger vorgetragen, die Verwerfung seiner Revision sei dem Verurteilten erstmals durch die im<br />

Jahr 2010 zugestellten Verfahrenskostenrechnungen zur Kenntnis gelangt. Wann genau dem Verurteilten die Versäumung<br />

der Revisionsbegründungsfrist bekannt wurde, teilt der Wiedereinsetzungsantrag jedoch nicht mit. Die<br />

Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO ist nach Aktenlage auch nicht offensichtlich. Vielmehr ist dem Angeklagten<br />

der Beschluss des Landgerichts Aurich, mit dem seine Revision als unzulässig verworfen worden ist, bereits am 16.<br />

November 2009 formlos übersandt worden (Bl. 2 - 4 Band V d.A.). Seinen damaligen Verteidigern, Rechtsanwalt J.<br />

<strong>und</strong> Rechtsanwalt B., wurde der Beschluss am 18. <strong>und</strong> 23. November 2009 gegen Empfangsbekenntnis mit Rechtsmittelbelehrung<br />

zugestellt (Bl. 4, 6, 7 Band V d.A.). Darüber hinaus fehlt es an einer ausreichenden Glaubhaftmachung<br />

gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO. Die eigene Erklärung des Angeklagten, er habe erst 2010 mit Zustellung der<br />

Verfahrenskostenrechnungen Kenntnis erlangt, reicht hierfür nicht aus (BGHR StPO § 45 Abs. 2 Glaubhaftmachung<br />

3; BGH NStZ 2006, 54; Meyer-Goßner aa0 § 45 Rn. 9 f. m.w.N.). Erklärungen der <strong>Rechtsanwälte</strong> J. <strong>und</strong> B. hat der<br />

Angeklagten nicht vorgelegt." Dem schließt sich der Senat an. Soweit der Antragsteller zur Glaubhaftmachung des<br />

Zeitpunktes des Hinderniswegfalls "im Jahre 2010" ("abzufordernde") Erklärungen seiner Instanzverteidiger benennt,<br />

ist dies schon deshalb nicht ausreichend, weil diese Verteidiger zu dem bei dem Verurteilten eingetretenen<br />

Ereignis ersichtlich nichts mitteilen könnten. Deshalb kann auch dahinstehen, ob - wie der Antragsteller in seiner<br />

Erwiderung zum Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vorträgt - in der Benennung der Erklärungen der Instanzverteidiger<br />

als Mittel der Glaubhaftmachung die Erklärung gelegen hat, die benannten Personen zu vernehmen. Im Übrigen<br />

hat der Antragsteller zwar seinen damaligen Pflichtverteidiger, nicht aber seinen früheren Wahlverteidiger, der nach<br />

dem Wiedereinsetzungsgesuch entgegen der Beauftragung durch den Verurteilten die Begründung der Revision<br />

193


versäumt haben soll, von der Verschwiegenheitspflicht entb<strong>und</strong>en (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2003 - 3 StR<br />

142/03, NStZ 2004, 166). Schließlich reicht die bloße Benennung eines Zeugen zur Glaubhaftmachung nur dann,<br />

wenn gleichzeitig dargetan wird, dieser habe eine schriftliche Bestätigung verweigert, er sei nicht unverzüglich erreichbar<br />

oder es handele sich um einen für die Säumnis verantwortlichen Beamten (vgl. KK-Maul, 6. Aufl., § 45 Rn.<br />

11). Solches ist vorliegend nicht der Fall. Für die Entscheidung über die mit dem Wiedereinsetzungsgesuch erhobene,<br />

gegen den Bewährungsbeschluss des Landgerichts gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist der Senat nicht<br />

zuständig (§ 305a Abs. 2 StPO; vgl. KK-Engelhardt, aaO, § 305a Rn. 17 f.).<br />

StPO § 45 Frist für Wiedereinsetzungsgesuch<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 365/10 - BeckRS 2010, 21231<br />

Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht<br />

offensichtlich ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass<br />

der Antragsteller mitteilt, wann dieses Hindernis entfallen ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger<br />

ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 4. August 2010 gemäß §§ 46, 349 Abs. 1 StPO beschlossen: Der Antrag des Angeklagten auf<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das<br />

Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Januar 2010 wird als unzulässig verworfen. Die Revision des<br />

Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unzulässig verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des<br />

Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung<br />

unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren<br />

<strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat er rechtzeitig Revision eingelegt. Das schriftliche Urteil wurde<br />

seinem Verteidiger am 19. April 2010 zugestellt. Mit einem am 9. Juni 2010 beim Landgericht eingegangenen Verteidigerschriftsatz<br />

beantragt er unter Hinweis auf ein Büroversehen des Verteidigers die Wiedereinsetzung in den<br />

vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels <strong>und</strong> begründet seine Revision mit<br />

der allgemein erhobenen Sachrüge.<br />

2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, da die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht eingehalten<br />

wurden. Die Antragsbegründung äußert sich nicht dazu, wann das Hindernis, das einer rechtzeitigen Revisionsbegründung<br />

entgegenstand, weggefallen ist. Entscheidend für den Beginn der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag<br />

im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Fristversäumung durch den<br />

Angeklagten. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich<br />

ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt,<br />

wann dieses Hindernis entfallen ist (vgl. BGH, NStZ 2006, 54 f.). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger<br />

ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO,<br />

53. Aufl., § 45 Rn. 5). Erforderlich war demnach die Mitteilung, wann der Angeklagte von der Versäumung der<br />

Revisionsbegründungsfrist Kenntnis erhalten hat. Daran fehlt es. Im Übrigen sind die Tatsachen zur Begründung des<br />

Wiedereinsetzungsantrages weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden (§ 45 Abs. 2 Satz 1<br />

StPO). Aus dem Hinweis auf ein "Büroversehen" ist nicht zu entnehmen, dass den Angeklagten auch kein mitwirkendes<br />

Verschulden trifft. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> besteht kein Anlass, dem Angeklagten von Amts wegen Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages (vgl.<br />

BGHR <strong>StGB</strong> § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 9) zu gewähren.<br />

3. Die Frist zur Begründung der Revision begann mit der Urteilszustellung (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) am 19. April<br />

2010 <strong>und</strong> sie endete mit Ablauf des 19. Mai 2010. Die am 9. Juni 2010 eingegangene Revisionsbegründung wahrt<br />

diese Frist nicht. Das Rechtsmittel ist daher als unzulässig zu verwerfen (§ 349 Abs. 1 StPO).<br />

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.<br />

194


StPO § 45 Wiedereinsetzung für einzelne Verfahrensrügen<br />

BGH, Beschl. v. 13.07.2010 – 3 StR 241/10 - BeckRS 2010, 20288<br />

Macht der Beschwerdeführer geltend, fehlende Akteneinsicht habe die formgerechte Formulierung<br />

einer Verfahrensrüge verhindert, muss er die beabsichtigte Rüge so genau mitteilen, wie dies ohne<br />

Akteneinsicht möglich ist, <strong>und</strong> darlegen, inwieweit er dadurch an einer ordnungsgemäßen Begründung<br />

gehindert war.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführerin<br />

am 13. Juli 2010 einstimmig beschlossen: Der Antrag der Nebenklägerin B. , sie in die versäumte<br />

Frist zur Begründung der mit ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 19. Mai 2009 erhobenen<br />

Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht wiedereinzusetzen, wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.<br />

Die Revision der Nebenklägerin gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Die<br />

Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der von der Nebenklägerin mit Schriftsatz vom 7. August 2009 (vorsorglich) gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand zur Nachholung der Begründung für die erhobene Rüge der Verletzung formellen Rechts ist als<br />

unzulässig zu verwerfen, da er nicht in der erforderlichen Weise begründet ist (§ 45 StPO). Macht der Beschwerdeführer<br />

geltend, fehlende Akteneinsicht habe die formgerechte Formulierung einer Verfahrensrüge verhindert, muss er<br />

die beabsichtigte Rüge so genau mitteilen, wie dies ohne Akteneinsicht möglich ist, <strong>und</strong> darlegen, inwieweit er<br />

dadurch an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 44 Rn. 7 a). Eine<br />

Erstattung der dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen findet nicht statt, da<br />

auch dessen Revision verworfen worden ist (vgl. Meyer-Goßner aaO § 473 Rn. 10 a).<br />

StPO § 100g Abs. 1 Vorratsdatenverwertung im Übergangsrecht nach BVerfG<br />

BGH, Beschl. v. 04.11.2010 – 4 StR 404/10 - NJW 2011, 467<br />

LS:<br />

Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer während der Geltungsdauer einer einstweiligen<br />

Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts nach deren einschränkenden Vorgaben gerichtlich angeordneten<br />

<strong>und</strong> vollzogenen Ermittlungsmaßnahme (hier: Anforderung <strong>und</strong> Übermittlung von Telekommunikations-Verkehrsdaten),<br />

wenn das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in seiner späteren Hauptsacheentscheidung<br />

die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Ermittlungsmaßnahme<br />

feststellt.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der<br />

Beschwerdeführer am 4. November 2010 gemäß §§ 206a Abs. 1, 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4, 354 Abs. 1, 357 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten -D. <strong>und</strong> R. wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 7. Dezember 2009<br />

a) aufgehoben, soweit der Angeklagte R. <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte S. im Fall II. 1 der Urteilsgründe (jeweils<br />

wegen Diebstahls) verurteilt worden sind; in diesem Umfang wird das Verfahren eingestellt;<br />

b) soweit es die Angeklagte -D. <strong>und</strong> den früheren Mitangeklagten S. betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass<br />

die Angeklagten in den Fällen II. 54 <strong>und</strong> II. 55 nur eines Computerbetruges schuldig sind; die im Fall II. 55 der Urteilsgründe<br />

verhängten Einzelstrafen entfallen;<br />

c) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass die Angeklagte -D. des Diebstahls in ein<strong>und</strong>dreißig <strong>und</strong> des Computerbetruges<br />

in sechs Fällen, der Angeklagte R. des Diebstahls in neunzehn <strong>und</strong> des Computerbetruges in zwei Fällen sowie<br />

der frühere Mitangeklagte S. des Diebstahls in sieben<strong>und</strong>fünfzig <strong>und</strong> des Computerbetruges in neun Fällen<br />

schuldig sind;<br />

195


d) hinsichtlich des Angeklagten R. aufgehoben, soweit über den Betrag von 13.862,43 € hinaus festgestellt ist, dass<br />

der Verfall des Wertersatzes wegen entgegen stehender Ansprüche von Verletzten unterbleibt <strong>und</strong> soweit der Umfang<br />

des aus den Taten Erlangten über diesen Betrag hinaus bezeichnet ist; die weiter gehenden Feststellungen entfallen.<br />

2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.<br />

3. Die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die dem Angeklagten R. entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse<br />

zur Last, soweit das Verfahren eingestellt worden ist. Die Angeklagte -D. hat die Kosten ihres, der Angeklagte R.<br />

die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte -D. des Diebstahls in 31 Fällen sowie des Computerbetruges in sieben Fällen,<br />

den Angeklagten R. des Diebstahls in 20 Fällen sowie des Computerbetruges in zwei Fällen <strong>und</strong> den früheren Mitangeklagten<br />

S. des Diebstahls in 58 Fällen sowie des Computerbetruges in zehn Fällen schuldig gesprochen. Es hat<br />

jeweils Gesamtfreiheitsstrafen verhängt, gegenüber der Angeklagten -D. eine solche von drei Jahren <strong>und</strong> drei Monaten,<br />

gegenüber dem Angeklagten R. eine solche von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten sowie gegenüber dem früheren<br />

Mitangeklagten S. eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> – unter Einbeziehung der Strafen aus einem anderen<br />

Urteil – eine weitere von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten. Ferner hat es festgestellt, dass die Angeklagte -D. aus<br />

den Taten insgesamt 3.420,66 € bzw. der Angeklagte R. insgesamt 19.730,21 € erlangt haben <strong>und</strong> nur deshalb nicht<br />

auf den Verfall des Wertersatzes erkannt worden ist, weil dem die Ansprüche der in den Urteilsgründen im Einzelnen<br />

aufgeführten Verletzten entgegenstehen. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten jeweils die Verletzung<br />

materiellen Rechts. Die Angeklagte -D. beanstandet ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge<br />

in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; soweit die Fälle II. 1, II. 54 <strong>und</strong> II. 55 der Urteilsgründe<br />

betroffen sind, ist die Entscheidung gemäß § 357 StPO auch auf den früheren Mitangeklagten S. zu erstrecken,<br />

der nicht Revision eingelegt hat. Im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verübte der frühere Mitangeklagte S. , zunächst ab Februar<br />

2004 gemeinsam mit dem Angeklagten R. <strong>und</strong> spätestens ab Februar 2008 gemeinsam mit der Angeklagten -D. ,<br />

zahlreiche Einbruchsdiebstähle, im Wesentlichen in öffentliche Gebäude wie Kindergärten, Schulen oder kirchliche<br />

Einrichtungen. Jeweils einer der beiden Angeklagten hatte die Aufgabe, S. zum Tatort zu fahren <strong>und</strong> diesen zu sichern,<br />

während S. in die jeweiligen Tatobjekte einbrach. Die Angeklagten sorgten in den Fällen, in denen sie beteiligt<br />

waren, auch für den Absatz der Beute, wobei der Verkaufserlös mit S. geteilt wurde. Während der Ausführung<br />

der einzelnen Taten stand S. mit R. bzw. -D. über Mobiltelefone in ständiger Verbindung, um gegebenenfalls unverzüglich<br />

gewarnt werden zu können. In den Fällen, in denen EC-Karten mit den zugehörigen PIN aus den Gebäuden<br />

entwendet wurden, hoben S. <strong>und</strong> der jeweils tatbeteiligte Angeklagte entweder gemeinsam oder einer allein im Anschluss<br />

mit den erbeuteten Karten Geld an Bankautomaten ab.<br />

II. Die Verurteilung wegen Diebstahls im Fall II. 1 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil insoweit Verjährung<br />

eingetreten ist; dies führt zur Verfahrenseinstellung gemäß § 206a Abs. 1 StPO. Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in<br />

seiner Antragsschrift vom 31. August 2010 zutreffend ausgeführt hat, war der Haftbefehl vom 10. Februar 2009 nicht<br />

geeignet, eine Unterbrechung der Verjährungsfrist herbeizuführen, da er lediglich Taten aus dem Jahr 2008 betraf,<br />

nicht aber die Tat vom 14. Februar 2004 (Fall II. 1 der Urteilsgründe). Zu einer vorherigen Unterbrechung (§ 78c<br />

<strong>StGB</strong>) der gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 i.V.m. §§ 242, 243 <strong>StGB</strong> fünf Jahre betragenden Verjährungsfrist ist es<br />

nicht gekommen. Das Verfahren wegen dieses Diebstahls wurde mit Verfügung vom April 2004 eingestellt, weil<br />

kein Täter ermittelt werden konnte (Fallakte 1, Bl. 17). Erstmals aufgr<strong>und</strong> der geständigen Einlassung des früheren<br />

Mitangeklagten S. vom 9. März 2009 (Bd. "Vernehmungen", Bl. 3114, 3117) wurden die Ermittlungen zu dieser Tat<br />

wieder aufgenommen <strong>und</strong> die betreffende Verfahrensakte mit Verfügung vom 11. Mai 2009 (Bd. I c, Bl. 860) angefordert.<br />

Die deswegen gemäß § 206a Abs. 1 StPO gebotene teilweise Einstellung des Verfahrens, die gemäß § 357<br />

Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten S. zu erstrecken ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Januar<br />

1959 – 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 340; vom 16. September 1971 – 1 StR 284/71, BGHSt 24, 208 <strong>und</strong> vom 9.<br />

Januar 1987 – 3 StR 601/86, NStZ 1987, 239 m.w.N.; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 357 Rn. 8;<br />

Kuckein in KK, StPO, 6. Aufl., § 357 Rn. 7; Wiedner in Graf, StPO, § 357 Rn. 6, jeweils m.w.N.), führt zu einer<br />

Änderung des Schuldspruchs. Im Hinblick auf die Anzahl <strong>und</strong> die Höhe der jeweils verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen<br />

schließt der Senat aus, dass der Tatrichter ohne die im Fall II. 1 der Urteilsgründe verhängten Einzelfreiheitsstrafen<br />

von sechs (R.) bzw. acht (S.) Monaten geringere Gesamtfreiheitsstrafen verhängt hätte. Diese können deshalb<br />

in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO bestehen bleiben.<br />

III. Die Angeklagte -D. macht mit einer Verfahrensrüge geltend, die Beweiswürdigung des Landgerichts beruhe<br />

unter anderem auf der Auswertung von Verkehrsdaten über Telekommunikationsvorgänge im Sinne der §§ 96, 113a<br />

196


TKG. Diese seien jedoch auf einer gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BVerfGG nichtigen Rechtsgr<strong>und</strong>lage von<br />

den Telekommunikationsdiensteanbietern übermittelt worden, da das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht mit Urteil vom 2.<br />

März 2010 (1 BvR 256/08 u.a., JZ 2010, 611 m. Anm. Ohler JZ 2010, 626 <strong>und</strong> Anm. Klesczewski JZ 2010, 629)<br />

entschieden habe, § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO verstoße gegen Art. 10 Abs. 1 GG, soweit es um die Erhebung von<br />

Verkehrsdaten gemäß § 113a TKG gehe. Auf diesem Verfahrensverstoß beruhe das angefochtene Urteil, da die geständigen<br />

Einlassungen der Angeklagten teilweise sehr allgemein gehalten gewesen seien <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte<br />

S. die Täterschaft im Fall II. 65 der Urteilsgründe bestritten habe.<br />

1. Die Rüge ist nicht in der § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Form erhoben. Die Revision hat den der Datenerhebung<br />

zu Gr<strong>und</strong>e liegenden amtsgerichtlichen Beschluss nicht mitgeteilt. Dies war auch nach der Entscheidung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 nicht entbehrlich. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in seiner Antragsschrift vom 31. August 2010 Bezug genommen.<br />

2. Die Rüge hätte aber auch in der Sache keinen Erfolg gehabt. Das Landgericht war weder aus Gründen des einfachen<br />

Rechts noch von Verfassungs wegen gehindert, aus den erhobenen Daten Erkenntnisse zu gewinnen <strong>und</strong> für die<br />

Beweiswürdigung zu verwerten.<br />

a) Das Amtsgericht Münster hat seinen Beschluss vom 16. Januar 2009 rechtsfehlerfrei auf § 100g Abs. 1 StPO in<br />

der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung <strong>und</strong> anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen<br />

sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) nach<br />

Maßgabe der bis zur Entscheidung in der Hauptsache <strong>und</strong> damit im Beschlusszeitpunkt geltenden einstweiligen Anordnung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts (Beschluss vom 11. März 2008 – 1 BvR 256/08, BGBl. I S. 659; BVerfGE<br />

121, 1) <strong>und</strong> der dort getroffenen (einschränkenden) Übergangsregelung gestützt.<br />

aa) Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige<br />

Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder<br />

aus einem anderen wichtigen Gr<strong>und</strong> zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dies umfasst nach der ständigen<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts auch die Befugnis, im Wege einer solchen einstweiligen Anordnung<br />

das Inkrafttreten eines Gesetzes hinauszuzögern, ein bereits in Kraft getretenes Gesetz – ganz oder teilweise – wieder<br />

außer Kraft zu setzen oder dessen Anwendbarkeit einzuschränken (vgl. nur BVerfGE 104, 23, 27 f.; 112, 284, 292;<br />

117, 126, 135; 122, 342, 361 f.; BVerfG, Beschluss vom 14. September 2010 – 1 BvR 872/10, Tz. 2). Wird eine<br />

gesetzliche Regelung, wie im vorliegenden Fall, durch eine Entscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts gemäß §<br />

32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig modifiziert, bedeutet dies für die Zeit ihrer Geltung regelmäßig eine endgültige Regelung<br />

der Rechtslage. Eine nachträgliche Korrektur für den Geltungszeitraum der einstweiligen Anordnung scheidet<br />

aus (vgl. dazu Graßhof in Maunz, BVerfGG, § 32 Rn. 8 f. [Stand: Juli 2002] m.w.N.; Volkmer NStZ 2010, 318,<br />

320). Zwar wird die Gesetzeskraft einer solchen Entscheidung, anders als bei der Hauptsacheentscheidung (vgl. § 31<br />

Abs. 2 BVerfGG), nicht ausdrücklich gesetzlich angeordnet; eine der Gesetzeskraft zumindest entsprechende Wirkung<br />

der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG angeordneten Anwendungseinschränkung ergibt sich aber – für die Geltungsdauer<br />

der Anordnung – aus ihrer Funktion als Modifikation eines Gesetzes im formellen Sinne <strong>und</strong> wird vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

in ständiger Rechtsprechung angenommen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 28. August 2003<br />

– 2 BvR 1012/01, NJW 2004, 279, Tz. 15 zur Zulässigkeit der Informationsweitergabe gem. § 3 Abs. 5 Satz 1 G 10<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage einer im Wege einstweiliger Anordnung ausgesprochenen Übergangsregelung trotz in der Hauptsacheentscheidung<br />

festgestellter Unvereinbarkeit mit Art. 10 GG). Dementsprechend ordnet das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

bei Erlass einer einstweiligen Anordnung, die in die Geltung eines Gesetzes eingreift, regelmäßig die Veröffentlichung<br />

der Entscheidungsformel im B<strong>und</strong>esgesetzblatt an; dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen (vgl.<br />

BGBl. I 2008 S. 659).<br />

bb) Die Verkehrsdaten wurden im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit den einschränkenden Vorgaben der<br />

ergangenen einstweiligen Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE<br />

121, 1) übermittelt <strong>und</strong> konnten deshalb im angefochtenen Urteil verwertet werden. Aus der Entscheidungsformel<br />

der einstweiligen Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1)<br />

ergibt sich, dass eine Verpflichtung zur Datenübermittlung an die ersuchende Behörde auf Gr<strong>und</strong> eines Beschlusses<br />

nach § 100g Abs. 1 StPO für die Dauer der Geltung der Anordnung nur bestand, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens<br />

eine Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO war <strong>und</strong> die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO<br />

vorlagen. Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend dargelegt hat, sind diese Maßgaben im vorliegenden Fall eingehalten<br />

worden. Zum Zeitpunkt des Beschlusses des Amtsgerichts Münster vom 16. Januar 2009 wurde gegen die<br />

Beschwerdeführerin wegen des Verdachts schwerer Bandendiebstähle gemäß § 244a <strong>StGB</strong> ermittelt; diese Straftat ist<br />

Katalogtat gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. j StPO.<br />

197


) Eine andere rechtliche Beurteilung der gerichtlich angeordneten Übermittlung der entscheidungserheblichen Verkehrsdaten<br />

ergibt sich auch nicht daraus, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in der am 2. März 2010 ergangenen<br />

Hauptsacheentscheidung die §§ 113a, 113b TKG sowie § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO wegen Verstoßes gegen Art. 10<br />

Abs. 1 GG teilweise für nichtig erklärt hat. Die ex-tunc-Wirkung dieser Entscheidung lässt die selbständige Legitimierungsfunktion<br />

der einstweiligen Anordnung im Rahmen der dort näher umschriebenen einschränkenden Maßgaben<br />

als sog. normvertretendes Übergangsrecht (vgl. dazu Graßhof aaO, § 32 Rn. 8, 190; Berkemann in Mitarbeiterkommentar<br />

zum BVerfGG, 2. Aufl., § 32 Rn. 369 f.) unberührt. Dies ergibt sich im Übrigen auch unmittelbar aus<br />

den Gründen des Urteils vom 2. März 2010: Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat eine sechsmonatige anlasslose Speicherung<br />

von Telekommunikations-Verkehrsdaten – für eine qualifizierte Verwendung – im Rahmen der Strafverfolgung<br />

nicht für schlechthin unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 GG angesehen (BVerfG aaO, S. 615, Tz. 213). Es hat<br />

ferner ausgeführt, dass lediglich die aufgr<strong>und</strong> der einstweiligen Anordnung erhobenen, aber einstweilen nicht an die<br />

ersuchenden Behörden übermittelten, sondern gespeicherten Verkehrsdaten unverzüglich zu löschen sind <strong>und</strong> nicht<br />

an die Behörden übermittelt werden dürfen (BVerfG aaO, S. 623, Tz. 306). Auf diejenigen Verkehrsdaten, die unter<br />

den Vorgaben der einstweiligen Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08,<br />

BVerfGE 121, 1) bereits übermittelt wurden, bezieht sich das Gebot der unverzüglichen Löschung gerade nicht.<br />

IV. Die von den Angeklagten erhobenen Sachrügen haben jeweils einen geringen <strong>Teil</strong>erfolg.<br />

1. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle II. 54 <strong>und</strong> II. 55 der Urteilsgründe ist fehlerhaft.<br />

a) Nach den Feststellungen begaben sich die Angeklagte -D. <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte S. am frühen Morgen des<br />

7. November 2008 in die Volksbank in S., wo S. mit einer der in der Nacht zuvor gestohlenen EC-Karten zweimal,<br />

um 03:01:35 Uhr <strong>und</strong> um 03:03 Uhr, Geld bei ein <strong>und</strong> demselben Geldautomaten abhob. Das erbeutete Bargeld wurde<br />

später geteilt. Da bei den zeitlich aufeinander folgenden Abhebungen weder die Bankfiliale noch die Karte gewechselt<br />

wurde, stehen die Taten in natürlicher Handlungseinheit (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2001 – 5 StR<br />

250/01, NStZ 2001, 595; vom 21. November 2002 – 4 StR 448/02 <strong>und</strong> vom 27. April 2010 – 4 StR 112/10). Somit<br />

ist lediglich von einer Tat des Computerbetruges auszugehen. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall<br />

der für den Fall II. 55 der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafe. Da der nicht revidierende Mitangeklagte S. sämtliche<br />

Tatbestandsmerkmale in eigener Person erfüllt hat, ist die Entscheidung insoweit gemäß § 357 Satz 1 StPO<br />

auch auf ihn zu erstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 – 5 StR 276/04, BGHR StPO § 357 Entscheidung<br />

2; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840, 2841).<br />

b) Einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafen bedarf es nicht. Durch die Zusammenfassung mehrerer<br />

Taten zu jeweils einer einzigen Tat ändert sich deren Schuldgehalt nicht (BGH, Beschlüsse vom 9. März 2010 – 4<br />

StR 592/09 <strong>und</strong> vom 3. August 2010 – 4 StR 157/10). Der Senat schließt daher vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Anzahl <strong>und</strong><br />

der Höhe der verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen aus, dass die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen bei zutreffender<br />

Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses niedriger ausgefallen wären.<br />

c) Aus Gründen der Klarstellung hat der Senat den Schuldspruch insgesamt neu gefasst.<br />

2. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand, soweit das Landgericht gemäß § 111i<br />

Abs. 2 StPO die Feststellung ausgesprochen hat, dass der Angeklagte R. aus den seiner Verurteilung zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Taten einen Geldbetrag von insgesamt 19.730,21 € erlangt hat <strong>und</strong> dieser Betrag dem Wertersatzverfall nicht<br />

unterliegt, da Ansprüche Verletzter entgegenstehen.<br />

a) Im Gr<strong>und</strong>satz rechtsfehlerfrei hat das Landgericht im Urteilstenor zu-nächst (allein) den Vermögensgegenstand<br />

bzw. Geldbetrag bezeichnet, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar<br />

oder als Zahlungsanspruch erwirbt (vgl. dazu eingehend Senatsurteil vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, z. Veröff.<br />

in BGHSt best.). Das Landgericht hat, insoweit ebenfalls rechtsfehlerfrei, nach den getroffenen Feststellungen<br />

eine gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten R. angenommen (vgl. dazu ebenfalls Senatsurteil vom 28. Oktober<br />

2010 – 4 StR 215/10) <strong>und</strong> ist dabei zutreffend von einem Betrag in Höhe von insgesamt 23.934,69 € ausgegangen,<br />

den dieser aus den seiner Verurteilung zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Taten erlangt hat. Die in den Urteilsgründen in<br />

Anwendung der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> vorgenommene Minderung des Erlangten bzw. des Geldbetrages,<br />

der dem Wert des Erlangten entspricht, ist aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden; es entspricht<br />

vielmehr der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, dass § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> auch im Rahmen der nach § 111i<br />

Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten ist (Senatsurteil vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10<br />

m.w.N.). Gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> hat die Strafkammer nur die Werte (in Höhe von insgesamt 19.730,21 €)<br />

berücksichtigt, die sich noch im Vermögen des Angeklagten befanden. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu<br />

erinnern.<br />

b) Das Landgericht hat jedoch übersehen, dass die Regelung des § 111i Abs. 2 StPO auf die Fälle II. 1 bis II. 8 der<br />

Urteilsgründe nicht anwendbar ist. Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe <strong>und</strong><br />

198


der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2350) geschaffen worden <strong>und</strong> am 1.<br />

Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendete Taten steht § 2 Abs. 5 i. V. m. Abs. 3<br />

<strong>StGB</strong> entgegen, wonach insoweit das mildere alte Recht gilt (BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 – 4 StR 502/07,<br />

NJW 2008, 1093 f.; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 – 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56; Beschluss vom 18.<br />

Dezember 2008 – 3 StR 460/08, wistra 2009, 241; BGH, Beschluss vom 12. August 2010 – 4 StR 293/10). Nach den<br />

rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wurden die Taten in den Fällen II. 1 bis II. 8 der Urteilsgründe im Zeitraum<br />

vom Februar 2004 bis August 2006 begangen <strong>und</strong> waren vor dem 1. Januar 2007 beendet. In diesen Fällen hat<br />

der Angeklagte insgesamt einen Betrag in Höhe von 5.867,78 € erlangt. In entsprechender Anwendung des § 354<br />

Abs. 1 StPO zieht der Senat diese Summe von dem Betrag von 19.730,21 € ab.<br />

c) Eine Erstreckung auf den Nichtrevidenten S. kommt hier nicht in Betracht (vgl. zur Anwendbarkeit des § 357<br />

StPO im Rahmen des § 111i Abs. 2 StPO ebenfalls Senatsurteil vom 28. Dezember 2010 – 4 StR 215/10). Der aufgezeigte<br />

Rechtsfehler hat sich nicht zu dessen Nachteil ausgewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 1988 – 4 StR<br />

297/88, NStZ 1989, 113, 114; Kuck-ein aaO § 357 Rn. 16 m.w.N.). Das Landgericht hat den Betrag, den der Nichtrevident<br />

S. aus den seiner Verurteilung zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Taten erlangt hat, rechtsfehlerfrei mit 61.764,48 € errechnet.<br />

Es hat gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> aber nur einen Betrag in Höhe von 6.200 € in Ansatz gebracht. Der<br />

Senat kann somit ausschließen, dass sich der oben aufgezeigte sachlich-rechtliche Fehler bei der Entscheidung gemäß<br />

§ 111i Abs. 2 StPO zum Nachteil des S. ausgewirkt hat.<br />

3. Der nur geringe <strong>Teil</strong>erfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Angeklagten nach § 473 Abs. 4 StPO teilweise<br />

von den durch ihre Rechtsmittel entstandenen (verbleibenden) Kosten <strong>und</strong> Auslagen freizustellen.<br />

StPO § 100g Beweisverwertung nach Vorratsdatenspeicherung – „Normvertretendes Übergangsrecht“<br />

BGH, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 StR 663/10 - NJW 2011, 1377<br />

LS: Telekommunikationsdaten, die vor dem 2. März 2010 auf der Gr<strong>und</strong>lage der einstweiligen Anordnung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 11. März 2008 im Verfahren 1 BvR 256/08 (BGBI. I<br />

2008, 659, wiederholt <strong>und</strong> erweitert mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 - BGBI. I 2008, 2239 -,<br />

zuletzt wiederholt mit Beschluss vom 15. Oktober 2009 - BGBI. 2009, 3704) rechtmäßig erhoben<br />

<strong>und</strong> an die ersuchenden Behörden übermittelt wurden, bleiben auch nach dem Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 2. März 2010 zu §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO (1 BvR 256/08 u.a. -<br />

BGBI. I 2010, 272) in einem Strafverfahren zu Beweiszwecken verwertbar.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 18. Januar 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat<br />

die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls <strong>und</strong> Beihilfe zum Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von einem Jahr <strong>und</strong> fünf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge <strong>und</strong> eine Verfahrensrüge<br />

gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Der näheren Erörterung bedarf<br />

lediglich die Verfahrensrüge, mit der mit Blick auf das am 2. März 2010 ergangene Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

zu §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO (BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833)<br />

ein Verwertungsverbot von Telekommunikationsdaten geltend gemacht wird.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte an zwei Einbruchdiebstählen beteiligt, bei einer der<br />

Taten hat er möglicherweise zu deren Förderung „lediglich ‚Schmiere’“ gestanden. Die Überzeugung von der Tatbeteiligung<br />

des Angeklagten hat die Strafkammer insbesondere aus Verbindungsdaten eines dem Angeklagten zugeordneten<br />

Mobiltelefons gewonnen, nämlich betreffend den jeweiligen Standort des Telefons sowie zu Zeitpunkt <strong>und</strong><br />

Dauer geführter Telefongespräche <strong>und</strong> zu den daran beteiligten Anschlüssen. Die Verbindungsdaten wurden auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage mehrerer - von der Revision nicht im Einzelnen mitgeteilter - ermittlungsrichterlicher Beschlüsse, datierend<br />

zwischen 12. August 2009 <strong>und</strong> 1. Februar 2010, erhoben, die sich auf einen gegen den Angeklagten bestehenden<br />

Verdacht des schweren Bandendiebstahls (§ 244a <strong>StGB</strong>) <strong>und</strong> als Rechtsgr<strong>und</strong>lage auf §§ 113a, 113b TKG, §<br />

100g StPO stützten. In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte am 21. Juni 2010 Widerspruch gegen die Verwer-<br />

199


tung der gewonnenen Daten erhoben, der durch Beschluss der Strafkammer vom gleichen Tag zurückgewiesen wurde.<br />

Die Standort- <strong>und</strong> Verbindungsdaten hat das Landgericht dann am 14. Juli 2010 in die Hauptverhandlung eingeführt.<br />

Die Revision macht Folgendes geltend: Die Erhebung der zum Tatnachweis herangezogenen Daten <strong>und</strong> deren<br />

Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden erfülle zwar die Voraussetzungen, die das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

mit einstweiligen Anordnungen vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08) <strong>und</strong> - diese erneuernd <strong>und</strong> erweiternd - vom 1.<br />

September 2008, 28. Oktober 2008, 22. April 2009 <strong>und</strong> 15. Oktober 2009 aufgestellt habe. Aufgr<strong>und</strong> des Urteils des<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010,<br />

833) stehe der Verwertung der Daten aber ein „gr<strong>und</strong>gesetzliches Beweisverwertungsverbot“ insoweit entgegen, als<br />

die §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO für nichtig erklärt worden waren. Die erhobenen Daten hätten von den Behörden<br />

nach dem Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts unverzüglich gelöscht <strong>und</strong> von der Strafkammer nicht als Beweismittel<br />

in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfen.<br />

II. Die Verfahrensrüge ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.<br />

1. Die Rüge ist in der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben. Zwar teilt der Revisionsführer nicht<br />

die der Erhebung der Daten <strong>und</strong> deren Übermittlung zugr<strong>und</strong>e liegenden Beschlüsse mit (vgl. dazu BGH, Beschluss<br />

vom 4. November 2010 - 4 StR 404/10). Diese können jedoch keine den hier geltend gemachten Mangel begründenden<br />

Tatsachen enthalten, deren Vortrag § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO fordert. Die Revision wendet sich ausschließlich<br />

gegen die Verwertung von Verkehrsdaten aus Telekommunikationsvorgängen bezogen auf den Zeitraum nach dem<br />

Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts, deren Erhebung <strong>und</strong> Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden sie nicht<br />

beanstandet. Diese Angriffsrichtung bestimmt aber den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07, NStZ 2008, 229, 230; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR<br />

371/06, NStZ 2007, 161, 162; Cirener/Sander JR 2006, 300). Der Prüfung des Senats unterliegt daher nicht die<br />

Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung auf der Gr<strong>und</strong>lage der dieser zugr<strong>und</strong>e liegenden Beschlüsse, so dass es auch<br />

eines Vortrags hierzu nicht bedurfte. Da der Angeklagte - wie die Revision auch vorgetragen hat - gegen die Verwertung<br />

der Telekommunikationsdaten Widerspruch eingelegt hat, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob ein Angeklagter<br />

bei einer Änderung der Rechtslage nach Beweiserhebung ein sich seiner Ansicht nach daraus ergebendes Beweisverwertungsverbot<br />

durch Widerspruch geltend machen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 1 StR<br />

316/05, NStZ 2006, 402) oder ob das Tatgericht in einem solchen Fall - ausnahmsweise - auch ohne Widerspruch<br />

gehalten ist, die in die Hauptverhandlung einzuführenden Beweismittel auf ihre Verwertbarkeit zu prüfen.<br />

2. Die Rüge ist unbegründet. Die einstweilige Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 11. März 2008 im<br />

Verfahren 1 BvR 256/08 (BGBl. I 2008, 659, wiederholt <strong>und</strong> erweitert mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 - BGBl.<br />

I 2008, 2239 -, zuletzt wiederholt mit Beschluss vom 15. Oktober 2009 - BGBl. I 2009, 3704) ist fortwirkende Legitimationsgr<strong>und</strong>lage<br />

für die vor dem 2. März 2010 abgeschlossene Beweiserhebung (a). Ein Beweisverwertungsverbot<br />

mit der Folge, dass die auf dieser Gr<strong>und</strong>lage rechtmäßig erhobenen <strong>und</strong> an die Strafverfolgungsbehörden übermittelten<br />

Telekommunikationsdaten nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme <strong>und</strong> der Urteilsfindung gemacht<br />

werden dürften, besteht nicht (b).<br />

a) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Rechtmäßigkeit der Beweismittelgewinnung nicht rückwirkend<br />

dadurch entfallen, dass durch das Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 die Nichtigkeit der §§<br />

113a <strong>und</strong> 113b TKG (in der Fassung des Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung<br />

<strong>und</strong> anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.<br />

Dezember 2007) sowie des § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO (in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des vorbenannten Gesetzes),<br />

soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden dürfen, festgestellt wurde. Die einstweilige Anordnung<br />

verliert ihre staatliche Eingriffe legitimierende Kraft nicht mit der Entscheidung in der Hauptsache. Zutreffend<br />

hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hierzu ausgeführt: „Zwar hat dieses Urteil Gesetzeskraft (BGBl. I 2010, 272); die Nichtigkeitserklärung<br />

wirkt ex tunc. Die ex tunc-Wirkung erfasst jedoch nicht die einstweilige Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 11.03.2008, die ebenfalls in Gesetzeskraft erwachsen ist (BGBl. I 2008, 659; s. auch<br />

Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge BVerfGG 29. Aufl. § 32 Rdnr. 173; Mitarbeiterkommentar-Berkemann<br />

BVerfGG 2. Aufl. § 32 Rdnrn. 359, 368 m.w.N.), so dass im Zeitraum zwischen deren Er-lass <strong>und</strong> der Hauptsacheentscheidung<br />

durchgeführte Datenerhebungen jedenfalls dann gesetzlich legitimiert sind, wenn - wie vorliegend - der<br />

Verdacht einer Katalogtat im Sinn des § 100a Abs. 2 StPO gegeben war (vgl. OLG <strong>Hamm</strong>, Beschl. v. 13. April 2010<br />

- 3 Ws 156/10 -; OLG München, Beschl. v. 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10 -; Volkmer NStZ 2010, 318 ff.; BeckOK-<br />

Hegmann StPO Stand: 15. Oktober 2010 § 100g Rdnr. 17a). Denn die inzwischen erfolgte Beendigung des Hauptsacheverfahrens<br />

<strong>und</strong> die rückwirkende Nichtigerklärung der betreffenden Gesetzesnormen lässt die während der<br />

Anordnungsdauer gegebene selbständige Legitimierungsfunktion der einstweiligen Anordnung unberührt. Diese teilt<br />

gerade nicht das Schicksal der rückwirkend für nichtig erklärten Normen, sondern schafft als 'normvertretendes<br />

200


Übergangsrecht' eine zwar befristete, aber doch endgültige Ordnung (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge a.a.O.<br />

§ 32 Rdnr. 8, 190; Volkmer a.a.O.; Berkemann a.a.O. § 32 Rdnr. 396 f. m.w.N.; OLG <strong>Hamm</strong> a.a.O.). Daher haben<br />

alle Rechtsakte, die während der Geltung der einstweiligen Anordnung auf deren Gr<strong>und</strong>lage durchgeführt wurden,<br />

ungeachtet des Inhalts der späteren Hauptsacheentscheidung fortdauernden rechtlichen Bestand“. Dem schließt sich<br />

der Senat an (vgl. ebenso BGH, Beschluss vom 4. November 2010 - 4 StR 404/10 [nicht tragend]; OLG <strong>Hamm</strong>,<br />

Beschlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10, 3 Ws 156/10 <strong>und</strong> 3 Ws 166/10; OLG München, Beschluss vom 27.<br />

Mai 2010 - 2 Ws 404/10; Marlie/Bock, ZIS 2010, 524). Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat hier von seiner sich aus §<br />

32 Abs. 1 BVerfGG ergebenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig<br />

zu regeln. Es hat die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, sich die angegriffenen<br />

Normen aber gleichwohl als verfassungswidrig erwiesen, gegen die Nachteile abgewogen, die durch eine vorläufige<br />

Nichtanwendung dieser Normen entstehen würden, <strong>und</strong> dabei festgestellt, dass einer Datenerhebung <strong>und</strong> -<br />

übermittlung unter engen Voraussetzungen der Vorrang vor der Nichterhebung einzuräumen ist (vgl. BVerfG, Beschluss<br />

vom 11. März 2008, Rn. 152 ff.; Beschluss vom 28. Oktober 2008, Rn. 100 ff.). Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

hat sich bei den einstweiligen Anordnungen nicht darauf beschränkt, die Nichtanwendung der zur Überprüfung<br />

gestellten Normen anzuordnen, sondern hat, auf der Gr<strong>und</strong>lage der Vorschrift des § 32 BVerfGG, als „Interimsnormgeber“<br />

- im B<strong>und</strong>esgesetzblatt veröffentlichte - Regelungen zur Übermittlung von auf der Gr<strong>und</strong>lage von §<br />

113a TKG gespeicherten Telekommunikations-Verkehrsdaten geschaffen. Damit enthalten die einstweiligen Anordnungen<br />

für die Zeit ihrer Geltung eine endgültige Regelung mit Gesetzeskraft, die nicht mit der Entscheidung in der<br />

Hauptsache rückwirkend entfällt. Aus der Funktion des Rechtsinstituts der einstweiligen Anordnung <strong>und</strong> dem mit ihr<br />

verfolgten Sicherungszweck ergibt sich, dass die auf der Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> während der Geltung der erlassenen einstweiligen<br />

Anordnungen vorgenommenen Rechtsakte rechtlichen Bestand haben müssen (vgl. auch BVerfG, Beschluss<br />

vom 28. August 2003 - 2 BvR 1012/01, NJW 2004, 279; BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1990 - 2 BvE<br />

6/90, 2 BvE 7/90, NJW 1990, 3005; BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1989 - 2 BvF 2/89, NJW 1989, 3147; Benda/Klein,<br />

Verfassungsprozessrecht 2. Aufl. Rn. 1229), zumindest wenn es sich - wie hier hinsichtlich der Übermittlung<br />

der gespeicherten Daten an die Strafverfolgungsbehörden - um einen vor der Entscheidung in der Hauptsache<br />

abgeschlossen Vorgang handelt. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch die Hauptsacheentscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

selbst. Es hat dort (Urteil vom 2. März 2010 - 2 BvR 256/08, Ziffer 3 des Tenors) ausdrücklich<br />

angeordnet, dass die aufgr<strong>und</strong> der einstweiligen Anordnungen von Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste<br />

im Rahmen von behördlichen Auskunftsersuchen erhobenen Daten unverzüglich zu löschen sind,<br />

soweit sie nicht bereits an die ersuchenden Behörden übermittelt worden sind. Einer solchen Regelung mit Gesetzeskraft<br />

(vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG) hätte es nicht bedurft, würde der auf der Gr<strong>und</strong>lage der einstweiligen Anordnungen<br />

durchgeführten Datenspeicherung <strong>und</strong> -übermittlung durch die Hauptsacheentscheidung ipso iure die Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

entzogen. Ein Löschungsgebot hinsichtlich bereits übermittelter Daten hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht dagegen<br />

nicht statuiert <strong>und</strong> damit zum Ausdruck gebracht, dass die Ergebnisse der bereits vollzogenen Ermittlungsmaßnahmen<br />

nicht rückwirkend beseitigt werden sollen, sondern vielmehr weiter verwendet werden dürfen. Anderes ergibt<br />

sich - wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - auch nicht aus dem Gr<strong>und</strong>satz,<br />

dass bei einer Änderung strafprozessualer Bestimmungen für das weitere Verfahren auf die neue Rechtslage<br />

abzustellen ist. Denn die Änderung erfasst das Verfahren in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten der veränderten<br />

Rechtslage befindet. Für ein – wie hier hinsichtlich der Speicherung der Daten <strong>und</strong> deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden<br />

– bereits beendetes prozessuales Geschehen gilt eine Verfahrensänderung nicht (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 19. Februar 1969 - 4 StR 357/68, NJW 1969, 887, OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. März 2007<br />

- 3 Ws 240/07 mwN, NStZ-RR 2007, 180).<br />

b) Die weitere strafprozessuale Verwendung der rechtmäßig erhobenen <strong>und</strong> übermittelten Telekommunikationsdaten<br />

ist gesetzlich erlaubt; ein selbständiges Verwertungsverbot, das dem entgegenstehen könnte, besteht nicht.<br />

aa) Zwar besteht der Schutz durch Art. 10 Abs. 1 GG nicht nur gegenüber dem ersten Zugriff, mit dem die öffentliche<br />

Gewalt von Telekommunikationsvorgängen <strong>und</strong> -inhalten Kenntnis nimmt. Vielmehr erstreckt sich seine<br />

Schutzwirkung auch auf den Gebrauch der erlangten Kenntnisse, also auch auf jede Auswertung oder sonstige Verwendung<br />

durch die öffentliche Gewalt (BVerfG, Beschluss vom 2. März 2010 - 2 BvR 256/08 u.a., Rn. 190 mwN;<br />

vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08, NJW 2009, 791). Der mit der Einführung der<br />

erhobenen Verbindungsdaten in die Hauptverhandlung <strong>und</strong> deren Verwertung bei der Urteilsfindung verb<strong>und</strong>ene<br />

Gr<strong>und</strong>rechtseingriff ist jedoch rechtlich zulässig. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob bereits die hier die Beweiserhebung<br />

rechtfertigende - normersetzende - einstweilige Anordnung zugleich die Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die spätere<br />

Verwertung ist. Hierfür spricht, dass Beweise - gleich ob be- oder entlastend - nur deshalb erhoben werden (dürfen),<br />

damit sie im weiteren Verfahren Verwendung finden können. Der Zulassung der Beweiserhebung ist somit die<br />

201


spätere Verwertung immanent. Jedenfalls rechtfertigt der (ergänzende) Rückgriff auf die Vorschrift des § 244 Abs. 2<br />

StPO die Verwertung rechtmäßig erlangter Beweismittel. Denn nach dieser Vorschrift ist das Gericht zur Erforschung<br />

der Wahrheit nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle<br />

Tatsachen <strong>und</strong> Be-weismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom<br />

17. Oktober 1983 - GSSt 1/83, NJW 1984, 247). Das Tatgericht kann dem zentralen Anliegen des Strafprozesses,<br />

nämlich der Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden<br />

kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2003 - 2 BvR 1337/03, NStZ-RR 2004, 18), gr<strong>und</strong>sätzlich nur<br />

gerecht werden, wenn es rechtmäßig erlangte Erkenntnisse seiner Entscheidung auch zugr<strong>und</strong>e legt.<br />

bb) Der Verwertung der von der Strafkammer herangezogenen Verbindungsdaten steht auch kein Verwertungsverbot<br />

entgegen. Eine - einfachrechtliche - nachträgliche Bemakelung rechtmäßig erhobener Daten kennt die Strafprozessordnung<br />

nicht (vgl. Graf in BeckOK-StPO, Stand 15. Oktober 2010, Edition 9, § 100a Rn. 119). Ein Verwertungsverbot<br />

kann daher nur verfassungsrechtlicher Natur sein. Ein solches ist aber nicht gegeben. Vielmehr belegt das<br />

Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833), dass die bis zu diesem<br />

Tag den ersuchenden Stellen übermittelten Daten als rechtmäßig gewonnene Beweismittel verwertet werden<br />

können, verfassungsrechtliche Bedenken also insoweit nicht bestehen. Indem das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht mit<br />

Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfG) anordnet, dass (nur) solche Daten unverzüglich zu löschen sind, die nicht bereits<br />

übermittelt sind, regelt es - im Umkehrschluss -, dass Einschränkungen hinsichtlich der Verwertbarkeit der bereits<br />

übermittelten Daten nicht bestehen sollen; ein Verwertungsverbot für bereits übermittelte Daten wurde gerade nicht<br />

ausgesprochen. Die Normierung eines Verwertungsverbots hinsichtlich der auf der Gr<strong>und</strong>lage der einstweiligen<br />

Anordnung rechtmäßig übermittelten Daten war vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht erkennbar auch nicht gewollt (so<br />

auch OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10). Es hält nämlich eine anlasslose Speicherung der<br />

hier in Rede stehenden Telekommunikationsdaten nicht für schlechthin unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 GG. Vielmehr<br />

hält es verfassungsrechtlich für zulässig, dass der Gesetzgeber eine Speicherungspflicht für Verkehrsdaten für<br />

einen Zeitraum von sechs Monaten normiert <strong>und</strong> unter den im Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts genannten Voraussetzungen<br />

auch Zugriffsregelungen schafft. Die Maßgaben im Urteil entsprechen - von höheren Anforderungen<br />

an die Datensicherheit <strong>und</strong> erweiterten Anforderungen an die Datensicherheit abgesehen - im Wesentlichen den<br />

Vorgaben der einstweiligen Anordnung. Auch dies zeigt, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen die strafprozessuale<br />

Verwendung der auf der Gr<strong>und</strong>lage der einstweiligen Anordnungen bereits übermittelten Daten nicht gegeben<br />

sind.<br />

cc) Ein Verwertungsverbot ergäbe sich selbst dann nicht, wenn man aufgr<strong>und</strong> der ex-tunc-Wirkung der Nichtigerklärung<br />

der §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO ein rückwirkendes Beweiserhebungsverbot annehmen wollte. Es besteht<br />

kein Rechtssatz des Inhalts, dass ein Beweiserhebungsverbot in jedem Fall ein Beweisverwertungsverbot nach sich<br />

zieht. Vielmehr wäre bei der nach gefestigter Rechtsprechung in einem solchen Fall gebotenen Abwägung zwischen<br />

den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen <strong>und</strong> dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege<br />

<strong>und</strong> effektiven Strafverfolgung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09 – Rn.<br />

43 ff., NStZ 2011, 103; BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 2 BvR 784/08, NJW 2008, 3053; BVerfG, Beschluss<br />

vom 27. April 2000 - 2 BvR 1990/96, NJW 2000, 3556; BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, NStZ<br />

2010, 44 mwN; Nack in KK-StPO, 6. Aufl. 2008, vor § 94 Rn. 10) auch in den Blick zu nehmen, dass jedes Beweisverbot<br />

die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer<br />

Handlungen einschränkt <strong>und</strong> so die Findung einer materiell richtigen <strong>und</strong> gerechten Entscheidung beeinträchtigt;<br />

ein Beweisverwertungsverbot stellt von Verfassungs wegen mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar<br />

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 2 BvR 2438/08, NJW 2010, 287 mwN; BVerfG, Beschluss vom 2.<br />

Juli 2009 - 2 BvR 2225/08, wistra 2009, 425). Zwar begründet eine anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten<br />

<strong>und</strong> folglich auch deren Verwertung einen schwerwiegenden Gr<strong>und</strong>rechtseingriff (BVerfG, NJW 2010, 833<br />

ff., Rn. 212). Beweiserhebung <strong>und</strong> -verwertung greifen hier indes nicht in den absolut geschützten Kernbereich privater<br />

Lebensgestaltung ein. Der Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis kann durch die damit verfolgten<br />

Zwecke (Effektivierung der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr <strong>und</strong> der Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste)<br />

gerechtfertigt sein. Art. 10 Abs. 1 GG verbietet nicht jede vorsorgliche Erhebung <strong>und</strong> Speicherung von Daten<br />

überhaupt, sondern schützt vor einer unverhältnismäßigen Gestaltung solcher Datensammlungen <strong>und</strong> hierbei<br />

insbesondere vor einer entgrenzenden Zwecksetzung (BVerfG aaO Rn. 206 f.). Hier erfolgte die Datenerhebung <strong>und</strong><br />

-verwertung in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren <strong>und</strong> war auf den Verdacht einer Straftat nach § 244a <strong>StGB</strong><br />

gestützt, die als schwer zu qualifizieren ist. Auch beschränkte sich der Eingriff auf Standortdaten eines benutzten<br />

Mobiltelefons <strong>und</strong> den Umstand, dass gewisse Telefonate geführt wurden, obwohl sogar eine Telekommunikationsüberwachung<br />

mit Aufzeichnung der Gesprächsinhalte auf der Gr<strong>und</strong>lage von § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. j StPO<br />

202


zulässig gewesen wäre. Schließlich wäre bei einer Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen, dass eine Tataufklärung<br />

<strong>und</strong> ein Tatnachweis ohne die bereits erhobenen Daten - deren Erhebung zum Zeitpunkt ihrer Speicherung <strong>und</strong><br />

Übermittlung von einer einstweiligen Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts gedeckt war - nicht oder zumindest<br />

nur wesentlich erschwert möglich gewesen wären.<br />

StPO § 100g, TKG §§ 113a, 113b Vorratsdaten trotz BVerfG verwertbar<br />

BGH, Urt. v. 13.01.2011 - 3 StR 332/10 - NJW 2011, 1827<br />

LS: Das Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08 u.a.) hat der Erhebung<br />

von Telekommunikationsdaten <strong>und</strong> deren Übermittlung zum Zweck der Strafverfolgung während<br />

der Geltungsdauer <strong>und</strong> nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 nicht<br />

nachträglich die Rechtsgr<strong>und</strong>lage entzogen. Die Verwendung solcher Daten im Strafverfahren<br />

durch ihre Einführung in die Hauptverhandlung <strong>und</strong> Verwertung im Rahmen der Urteilsfindung<br />

bleibt auch nach dem 2. März 2010 rechtmäßig.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Januar 2011 für Recht erkannt:<br />

1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts<br />

Hannover vom 23. April 2010 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.<br />

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.<br />

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten verurteilt. Dessen hiergegen gerichtete Revision rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts <strong>und</strong><br />

beanstandet das Verfahren. Sie bleibt ohne Erfolg. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, das Landgericht<br />

habe Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten zu Unrecht zu seinen Lasten verwertet; im Übrigen ist das<br />

Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Der Rüge liegt zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 2. November 2009 nach 19.00 Uhr in die Wohnung des<br />

kurzzeitig abwesenden Zeugen E. in S., wo er mit dessen Einverständnis bis zum Vortage gewohnt hatte. Er wollte<br />

die Wohnung durch Brandlegung zerstören. Um fahrlässiges Handeln des Zeugen vorzutäuschen, schaltete er in der<br />

Küche eine Herdplatte an, auf die er einen nicht mehr feststellbaren Gegenstand legte. Sodann setzte er in der<br />

Schlafecke des Wohnraums neben dem Bett Materialien unbekannter Beschaffenheit in Brand. Das Feuer griff, wie<br />

vom Angeklagten beabsichtigt, auf das Bett über; Hitzeschäden <strong>und</strong> Rauchgasablagerungen machten die gesamte<br />

Wohnung unbenutzbar. Um 19.39 Uhr verständigte eine Nachbarin die Feuerwehr. Während der Löscharbeiten erschien<br />

der Angeklagte <strong>und</strong> erklärte einem anwesenden Polizeibeamten, er sei gekommen, um Medikamente zu holen,<br />

die er bei seinem Auszug zurückgelassen habe.<br />

2. Der Angeklagte, der nach seinem Auszug aus der Wohnung des Zeugen ein Hotelzimmer in Hannover bezogen<br />

hatte, hat sich dahin eingelassen, er sei erstmals nach Beginn der Löscharbeiten am Gebäude eingetroffen. Um die<br />

von ihm benötigten Medikamente zu holen, habe er die Bahn um 18.55 Uhr ab Hannover genommen, könne also<br />

nicht schon zur Zeit der Brandentstehung in S. gewesen sein. Diese Einlassung hat das Landgericht für widerlegt<br />

gehalten. Dabei hat es sich unter anderem darauf gestützt, dass das Mobiltelefon des Angeklagten bereits ab 19.00<br />

Uhr mehrfach an einem zwischen der Wohnung des Zeugen <strong>und</strong> dem Bahnhof S. stehenden Funkmast eingeloggt<br />

war, <strong>und</strong> zwar um 19.00 Uhr <strong>und</strong> 19.02 Uhr in einem Abstrahlbereich in Richtung Bahnhof <strong>und</strong> um 19.36 Uhr <strong>und</strong><br />

19.37 Uhr in einem Abstrahlbereich, der die Wohnung des Zeugen erfasst.<br />

3. Die Erhebung der beim Diensteanbieter (§ 3 Nr. 6 Buchst. a TKG) gespeicherten Verkehrsdaten des Mobiltelefonanschlusses<br />

hatte das Landgericht durch Beschluss vom 15. Februar 2010 mit der Begründung angeordnet, der Angeklagte<br />

sei einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. s StPO verdächtig. Ohne die Datenerhebung, welcher<br />

der Angeklagte zugestimmt habe, werde die Aufklärung seines Aufenthalts zur Tatzeit wesentlich erschwert. Aus<br />

den mitgeteilten Daten fertigte die ermittelnde Polizeidienststelle eine Tabelle, die in der Hauptverhandlung am 26.<br />

Februar 2010 in Augenschein genommen <strong>und</strong>, soweit hier von Bedeutung, verlesen wurde. Im Fortsetzungstermin<br />

203


am 4. März 2010 ordnete der Vorsitzende die Vernehmung der für die Datenauswertung zuständigen Beamten an.<br />

Unter Hinweis auf das am 2. März 2010 ergangene Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zu §§ 113a TKG, 100g<br />

StPO (1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833) widersprach die Verteidigerin nunmehr der Verwertung der erhobenen<br />

Daten. Durch nachfolgenden Gerichtsbeschluss bestätigte das Landgericht die Anordnung des Vorsitzenden <strong>und</strong><br />

führte zur Begründung aus, die Datenerhebung sei von der einstweiligen Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

(Beschluss vom 11. März 2008 - 1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1; im Folgenden bis zur Entscheidung in der Hauptsache<br />

[Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833] verlängert) gedeckt gewesen. Gegenstand des<br />

Verfahrens sei eine schwere Straftat, so dass das Strafverfolgungsinteresse Vorrang vor dem Schutz des Gr<strong>und</strong>rechts<br />

des Angeklagten aus Art. 10 GG habe.<br />

II. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Landgericht die Verkehrsdaten des Mobiltelefonanschlusses<br />

zu Recht verwertet. Die Gewinnung der Beweise weist keinen Rechtsfehler auf (1.); die auf dieser rechtmäßigen<br />

Gr<strong>und</strong>lage beruhende Beweisverwendung durch Einführung der Daten in die Hauptverhandlung <strong>und</strong> deren<br />

Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung ist ebenfalls nicht zu beanstanden (2.).<br />

1. Die am 15. Februar 2010 angeordnete Erhebung der Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten <strong>und</strong> damit<br />

einhergehend deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden durch den Diensteanbieter war rechtmäßig (§<br />

100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO; § 113a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c, Abs. 5 TKG).<br />

a) Allerdings hat sich der Senat nach Einsicht in die vom Anbieter auf Anordnung des Landgerichts erteilte Auskunft<br />

im Wege des Freibeweises davon überzeugt, dass dieser - entsprechend der begleitenden Mitteilung - jedenfalls die<br />

Standortdaten lediglich noch aufgr<strong>und</strong> seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 113a TKG vorgehalten <strong>und</strong> für eigene<br />

Zwecke nicht mehr benötigt hat; hierfür spricht auch bereits der Zeitablauf (vgl. KMR/Bär, StPO, Vor § 100a Rn.<br />

24, 26a [Stand: August 2010]). Ebenso ergibt die Überprüfung der mitgeteilten Datensätze, dass diese, anders als<br />

vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift angenommen, nur im Zusammenhang mit Kommunikationsvorgängen<br />

gespeichert waren (§ 113a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c, Abs. 5 TKG).<br />

b) Zutreffend ist das Landgericht indes davon ausgegangen, dass die besonderen Voraussetzungen, an die das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

in seiner einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1) die<br />

Übermittlung von allein nach § 113a TKG gespeicherten Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) geknüpft hatte, vorliegend<br />

erfüllt waren. Gegenstand des Verfahrens ist eine Katalogtat im Sinne von § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. s StPO. Nach<br />

den Tatumständen wiegt sie auch im Einzelfall schwer (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Nicht zu beanstanden ist auch die<br />

vom Landgericht im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August<br />

2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 366 f.) gewonnene Einschätzung, dass die Erforschung des Sachverhalts auf<br />

andere Weise wesentlich erschwert gewesen wäre (§ 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO).<br />

c) Das Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 hat der Erhebung solcher Daten <strong>und</strong> deren Übermittlung<br />

zum Zwecke der Strafverfolgung während der Geltungsdauer <strong>und</strong> nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung<br />

vom 11. März 2008 nicht nachträglich die Rechtsgr<strong>und</strong>lage entzogen. Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat in seiner<br />

Hauptsacheentscheidung vom 2. März 2010 zwar die §§ 113a, 113b TKG insgesamt <strong>und</strong> § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO<br />

insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für nichtig erklärt, als danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG<br />

erhoben werden dürfen. Dadurch wird jedoch die Rechtmäßigkeit des von der einstweiligen Anordnung gedeckten,<br />

in der Datenerhebung <strong>und</strong> -übermittlung liegenden <strong>und</strong> insoweit abgeschlossenen Gr<strong>und</strong>rechtseingriffs nicht berührt<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2010 - 4 StR 404/10, Rn. 18 [nicht tragend]; OLG <strong>Hamm</strong>, Beschlüsse vom<br />

13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10; KMR/Bär, § 100g<br />

Rn. 40a StPO [Stand: August 2010]; Marlie/Bock, ZIS 2010, 524, 527 f.; Volkmer, NStZ 2010, 318, 319 f.; aA,<br />

allerdings ohne nähere Begründung, Blankenburg, MMR 2010, 587, 590; Gercke, StV 2010, 281, 283). Einer einstweiligen<br />

Anordnung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts, die gesetzliche Regelungen vorläufig aussetzt, außer Kraft setzt<br />

oder modifiziert, kommt aus der Natur der Entscheidung Gesetzeskraft zu (Maunz/Schmidt-<br />

Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, BVerfGG, § 32 Rn. 173, 190 [Stand: Juli 2002]); sie wird dementsprechend im<br />

B<strong>und</strong>esgesetzblatt veröffentlicht (vgl. hier BGBl. I 2008, 659, 2239; 2009, 3704). Ungeachtet dessen, dass eine nachfolgende<br />

Feststellung der Nichtigkeit der Norm (§ 78 BVerfGG) auf den Zeitpunkt deren Inkrafttretens zurückwirkt<br />

(vgl. Löwisch, JZ 1961, 731 f.), schafft eine solche einstweilige Anordnung gesetzesvertretendes Übergangsrecht<br />

<strong>und</strong> regelt die Rechtslage für die Zeit ihrer Geltung endgültig (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, aaO<br />

§ 32 Rn. 8 f.). Rechtsakte auf der Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> während der Geltung einer vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht erlassenen<br />

einstweiligen Anordnung behalten deshalb unabhängig vom Inhalt der späteren Hauptsacheentscheidung gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ihren rechtlichen Bestand (aaO Rn. 175). Dies findet auch Bestätigung in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts,<br />

wonach Wahlen, die auf der Gr<strong>und</strong>lage einer die Vorschriften des Wahlrechts modifizierenden<br />

einstweiligen Anordnung stattfinden, auch für den Fall einer abweichenden Hauptsacheentscheidung als gültig erach-<br />

204


tet werden (BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1990 - 2 BvE 6/90 u.a., BVerfGE 82, 353, 370; Urteil vom 12.<br />

Oktober 1989 - 2 BvF 2/89, BVerfGE 81, 53, 56).<br />

2. Die Verwertung der rechtmäßig gewonnenen Beweise durch die Strafkammer erweist sich mit Blick sowohl auf<br />

das verfassungs- als auch das ein-fachrechtliche Regelungsgefüge ebenfalls als rechtsfehlerfrei (im Ergebnis ebenso<br />

OLG <strong>Hamm</strong>, Beschlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 - 2<br />

Ws 404/10; KMR/Bär, StPO, § 100g Rn. 40a [Stand: August 2010]; Marlie/Bock, ZIS 2010, 524, 527 f.; Volkmer,<br />

NStZ 2010, 318, 320). Die Einführung der übermittelten Daten in die Hauptverhandlung sowie deren Verwertung im<br />

Rahmen der Urteilsfindung waren insbesondere nicht deshalb unzulässig, weil nach neuerem verfassungsrechtlichen<br />

Verständnis jede weitere Verwendung erhobener Daten als eigenständiger Gr<strong>und</strong>rechtseingriff zu werten <strong>und</strong> die<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Erhebung <strong>und</strong> Übermittlung der Daten zum Zeitpunkt der Beweisverwertung vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

durch seine Hauptsacheentscheidung vom 2. März 2010 für nichtig erklärt worden ist. Im Einzelnen:<br />

a) Selbst bei rechtswidriger Beweisgewinnung ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Gr<strong>und</strong>satz dahin<br />

fremd, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich<br />

zieht. Vielmehr ist in diesen Fällen über die Verwertung der Beweise je nach den Umständen des Einzelfalles unter<br />

Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte <strong>und</strong> der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei ist in den<br />

Blick zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts -<br />

den Gr<strong>und</strong>satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen <strong>und</strong> dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle<br />

Tatsachen <strong>und</strong> Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind - einschränkt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> stellt ein<br />

Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten<br />

wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 -<br />

3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 87 mwN).<br />

b) Diese Gr<strong>und</strong>sätze beanspruchen erst recht <strong>und</strong> in verstärktem Maße Geltung, wenn - wie hier - die Gewinnung der<br />

Beweise rechtmäßig war. Auch in diesem Fall scheidet deren Verwertung im Strafverfahren ausnahmsweise allenfalls<br />

dann aus, wenn eine ausdrückliche Vorschrift dies gebietet oder im Einzelfall übergeordnete wichtige Gründe<br />

entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.<br />

aa) Eine ausdrückliche gesetzliche Norm in Form eines selbstständigen Beweisverbots (vgl. Meyer-Goßner, StPO,<br />

53. Aufl., Einl. Rn. 50), welche die Beweisverwertung hier verbietet, ist nicht ersichtlich.<br />

bb) Sonstige übergeordnete Gründe stehen einer Verwertung ebenfalls nicht entgegen.<br />

(1) Werden Telekommunikationsdaten eines Beschuldigten für ein gegen ihn geführtes Strafverfahren herangezogen<br />

<strong>und</strong> genutzt, so erschöpft sich der Eingriff in sein Gr<strong>und</strong>recht aus Art. 10 Abs. 1 GG allerdings nicht schon in der<br />

Erhebung der Daten beim Diensteanbieter <strong>und</strong> in deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden. Vielmehr<br />

sind auch sämtliche nachfolgenden Verwendungen <strong>und</strong> Verwertungen der durch die Datenerhebung gewonnenen<br />

Informationen nach neuerer verfassungsrechtlicher Dogmatik nicht mehr nur als Fortsetzung des Ersteingriffs, sondern<br />

als neue Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe zu bewerten, die jeweils einer eigenen gesetzlichen Ermächtigung bedürfen <strong>und</strong><br />

an diesem Gr<strong>und</strong>recht zu messen sind (Maunz/Dürig/Durner, GG, Art. 10 Rn. 61, 87 [Stand: Januar 2010]; BVerfG,<br />

Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833, 835 f.). Dies gilt auch für deren Einführung in die<br />

Hauptverhandlung nach den strafprozessualen Regeln über die Beweisaufnahme sowie deren Verwertung bei der<br />

Urteilsfindung (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08, BGHSt 53, 64, 68).<br />

(aa) Es kann dahinstehen, ob die fortdauernde Wirkung der die Beweiserhebung rechtfertigenden einstweiligen Anordnung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts auch die Beweisverwertung legitimiert (vgl. OLG <strong>Hamm</strong>, Beschlüsse vom<br />

13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; ähnlich KMR/Bär, StPO, § 100g Rn. 40a [Stand: August 2010]). Dies könnte<br />

zweifelhaft sein, weil die §§ 113a, 113b TKG, § 100g Abs. 1 StPO allein die Erhebung <strong>und</strong> die Speicherung der<br />

Daten beim Diensteanbieter <strong>und</strong> deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden regeln. Es ist deshalb fraglich,<br />

ob sie nach Wortlaut <strong>und</strong> Zweck als Gr<strong>und</strong>lage weiterer selbstständiger Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe in Betracht kommen<br />

können. Wie bei jedem im Ermittlungsverfahren unter rechtmäßigem Eingriff in ein Gr<strong>und</strong>-recht gewonnenen Beweismittel<br />

ist Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Einführung der Verkehrsdaten in die Hauptverhandlung - <strong>und</strong> damit für die<br />

erneute Beeinträchtigung des Gr<strong>und</strong>rechts aus Art. 10 Abs. 1 GG - jedenfalls die in § 244 Abs. 2 StPO statuierte<br />

Pflicht des Gerichts, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auf alle im Verfahren<br />

gewonnenen Be-weismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Die rechtliche Legitimation<br />

für die Verwertung der in die Hauptverhandlung eingeführten Daten zur Urteilsfindung - dem nochmaligen<br />

Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG - liefert dagegen § 261 StPO, der dem Tatrichter gebietet, sich seine Überzeugung aus<br />

dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu bilden, mithin insbesondere die dort erhobenen Beweise zu würdigen (vgl.<br />

205


BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937, 2938; BGH, Urteil vom 10. Oktober 1979<br />

- 3 StR 281/79, BGHSt 29, 109, 110; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 11 mwN).<br />

(bb) § 244 Abs. 2 <strong>und</strong> § 261 StPO legen Anlass, Verwendungszweck <strong>und</strong> Grenzen des weiteren Gr<strong>und</strong>rechtseingriffs<br />

hinreichend bereichsspezifisch, präzise <strong>und</strong> normenklar fest (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR<br />

1430/88, BVerfGE 85, 386, 403 f.; Maunz/Dürig/Durner, GG, Art. 10 Rn. 138 [Stand: Januar 2010]). Nicht etwa ist<br />

es hierzu erforderlich, alle denkbaren Beweismittel, die im Ermittlungs-, Zwischen- oder Hauptverfahren außerhalb<br />

der Hauptverhandlung durch Strafverfolgungsbehörden <strong>und</strong> Gerichte unter Beeinträchtigung eines Gr<strong>und</strong>rechts<br />

rechtmäßig gewonnen wurden, in die Vorschriften über die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung <strong>und</strong> die Verwertung<br />

der hierbei gewonnenen Beweisergebnisse für das Urteil (nochmals) enumerativ aufzuzählen, um die weitere<br />

Verwendung der Beweismittel gesetzlich zu legitimieren. Derartiges würde vielmehr zu einer Gesetzesverästelung<br />

<strong>und</strong> -aufblähung führen, ohne dass hierdurch dem betroffenen Gr<strong>und</strong>rechtsträger tatsächlich ein Mehr an Gr<strong>und</strong>rechtsschutz<br />

<strong>und</strong> Rechtssicherheit gewährleistet wäre.<br />

(2) Im Übrigen ist ein Beweisverwertungsverbot zwar bereits von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden,<br />

bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die gr<strong>und</strong>rechtlichen Sicherungen planmäßig<br />

oder systematisch außer acht gelassen worden sind <strong>und</strong> deshalb nach der bisherigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

in Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist<br />

(BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, wistra 2011, 61, 64). Jedes Beweisverwertungsverbot<br />

schränkt allerdings die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des<br />

Verdachts strafbarer Handlungen ein <strong>und</strong> beeinträchtigt so die Findung einer materiell richtigen <strong>und</strong> gerechten Entscheidung;<br />

auch von Verfassungs wegen stellt es mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar (BVerfG, Beschlüsse<br />

vom 15. Oktober 2009 - 2 BvR 2438/08, NJW 2010, 287; vom 20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09, NJW 2010,<br />

2937, 2938). Eine derartige Ausnahme liegt hier nicht vor. Bei der insoweit gebotenen Abwägung der Strafverfolgungsinteressen<br />

mit den betroffenen Individualinteressen fällt ins Gewicht, dass der mit der weiteren Verwertung der<br />

Daten verb<strong>und</strong>ene Eingriff in das Gr<strong>und</strong>recht des Angeklagten aus Art. 10 Abs. 1 GG nicht besonders schwer wiegt;<br />

insbesondere wird der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht tangiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die §§<br />

113a, 113b TKG zwar in der vom Gesetzgeber gewählten Fassung für nichtig erklärt worden sind, eine sechsmonatige<br />

anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für eine Verwendung im Rahmen der Strafverfolgung,<br />

wie sie diese Vorschriften vorsahen, mit Art. 10 GG jedoch nicht schlechthin unvereinbar ist (BVerfG, Urteil<br />

vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833, 837). Im Übrigen beschränkt sich der Eingriff auf die Feststellung<br />

des Aufenthalts des Angeklagten; die Inhalte seiner Telekommunikation sind davon nicht betroffen, sondern<br />

allenfalls deren Umstände. Die inhaltlichen Voraussetzungen, an die das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht eine Verwendung<br />

von Vorratsdaten für Zwecke der Strafverfolgung knüpft, sind vorliegend gewahrt. Gegen den Angeklagten<br />

besteht ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat, deren Qualifizierung als schwer in der<br />

Strafnorm - insbesondere durch deren Strafrahmen - einen objektivierten Ausdruck findet (vgl. BVerfG aaO 841).<br />

Wie bereits dargelegt, wiegt die dem Angeklagten vorgeworfene Straftat auch im Einzelfall schwer (vgl. aaO); deren<br />

weitere Aufklärung wäre ohne die Verwertung der Daten wesentlich erschwert. Die Effektivierung der Strafverfolgung<br />

ist ein legitimer Zweck, der einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis gr<strong>und</strong>sätzlich rechtfertigen<br />

kann. Denn auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung "um jeden Preis" gerichtet ist,<br />

schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein,<br />

nämlich den Gr<strong>und</strong>satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen <strong>und</strong> dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen<br />

auf alle Tatsachen <strong>und</strong> Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.<br />

Januar 2009 - 2 BvR 2044/07, NJW 2009, 1469, 1474; vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, wistra 2011, 61,<br />

64).<br />

(3) Der Senat sieht sich in seiner Auffassung dadurch bestätigt, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in seinem Urteil<br />

vom 2. März 2010 lediglich die Löschung von den Diensteanbietern noch nicht übermittelter Vorratsdaten angeordnet,<br />

sich indes zur Frage der Verwertbarkeit nach Maßgabe seiner einstweiligen Anordnung erhobener sowie bereits<br />

an die Strafverfolgungsbehörden übermittelter Daten nicht verhalten <strong>und</strong> damit deren weitere Verwertung im Strafverfahren<br />

nicht ausgeschlossen hat. Der genannten Entscheidung kann deshalb nicht die Intention des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

entnommen werden, dass die im Ermittlungsverfahren rechtmäßig gewonnenen Daten im weiteren<br />

Strafverfahren einschließlich der Urteilsfindung nicht mehr verwertet werden dürfen; auf diese Weise würde im<br />

Übrigen der Regelungsgehalt der in ihrer Wirkung fortbestehenden einstweiligen Anordnung letztlich konterkariert<br />

<strong>und</strong> der Verwertung rechtmäßig gewonnener Beweise in systemwidriger Weise nachträglich der Boden entzogen.<br />

(4) Die Unzulässigkeit der Einführung der Daten in die Hauptverhandlung <strong>und</strong> ihrer Verwertung im Rahmen der<br />

Beweiswürdigung nach dem Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. März 2010 folgt auch nicht aus dem<br />

206


Gr<strong>und</strong>satz, wonach bei einer Änderung des Strafverfahrensrechts anhängige Verfahren nach der neuen Rechtslage<br />

fortzuführen sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08, BGHSt 53, 64, 67; Meyer-Goßner,<br />

StPO, 53. Aufl., § 354a Rn. 4 je mwN). Selbst wenn man diesen Gr<strong>und</strong>satz entsprechend auf die hier vorliegende<br />

Konstellation überträgt, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht eine strafprozessuale Frage im Wege einer einstweiligen<br />

Anordnung vorübergehend regelt <strong>und</strong> der Inhalt der Entscheidung in der Hauptsache zu derjenigen der einstweiligen<br />

Anordnung in Widerspruch steht, führt dies nicht zur Unverwertbarkeit der erhobenen Daten. Denn wie bereits dargelegt<br />

befassen sich hier sowohl die einstweilige Anordnung als auch das Hauptsacheurteil vom 2. März 2010 allein<br />

mit den Vorschriften der §§ 113a, 113b TKG, § 100g StPO zur Speicherung der Daten beim Diensteanbieter sowie<br />

deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden <strong>und</strong> damit mit einem zur Zeit der Hauptverhandlung <strong>und</strong> Urteilsfindung<br />

beendeten prozessualen Geschehen. Sie betreffen dagegen nicht die für die Verwertung der Beweise im<br />

weiteren Strafverfahren relevanten § 244 Abs. 2, § 261 StPO. Diese Bestimmungen sind vielmehr durch das genannte<br />

Urteil unberührt geblieben <strong>und</strong> waren deshalb vom Landgericht in der Hauptverhandlung <strong>und</strong> bei der Urteilsfindung<br />

ohne Einschränkung zu beachten.<br />

3. Nach alldem bedarf es keiner näheren Erörterung, ob das vom Angeklagten zunächst zu der ursprünglichen Datenabfrage<br />

erklärte Einverständnis auch unabhängig von obigen Erwägungen die Beweiserhebung über die Verkehrsdaten<br />

in der Hauptverhandlung <strong>und</strong> deren Verwertung bei der Urteilsfindung rechtfertigte oder ob der Angeklagte dieses<br />

Einverständnis nicht zumindest nach der Verkündung des verfassungsgerichtlichen Urteils vom 2. März 2010<br />

wirksam zurückziehen konnte. Keiner Betrachtung bedarf auch die Frage, ob es von rechtlicher Bedeutung ist, dass<br />

die Verkehrsdaten als solche schon vor dem 2. März 2010 im Wege des Urk<strong>und</strong>enbeweises verlesen worden waren,<br />

während nach diesem Tag allein noch deren Auswertung durch die Vernehmung der zuständigen polizeilichen Ermittlungsbeamten<br />

in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.<br />

StPO § 111 Berücksichtigung von Gegenansprüchen für die Tat – keine Rückgewinnungshilfe<br />

BGH, Beschl. v. 09.11.2010 – 4 StR 447/10 - NStZ 2011, 229<br />

§ 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> hindert eine Verfallsentscheidung nur dann, wenn der Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer<br />

"aus der Tat" einen Vermögensvorteil erlangt hat <strong>und</strong> Gegenansprüche eines Verletzten bestehen;<br />

das "für die Tat" Erlangte unterliegt dem Verfall hingegen ohne Rücksicht auf Ansprüche<br />

Verletzter.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts - zu 2. auf dessen Antrag -<br />

<strong>und</strong> des Beschwerdeführers am 9. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27. Mai 2010 hinsichtlich<br />

der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO aufgehoben; die Feststellung entfällt.<br />

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßig begangenen Betruges in sechs vollendeten<br />

<strong>und</strong> 16 versuchten Fällen sowie wegen Beihilfe zum gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt; außerdem hat es festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls<br />

von Wertersatz in Höhe von 8.000 Euro Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der<br />

Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel<br />

hat den aus der Beschlussformel er-sichtlichen geringfügigen <strong>Teil</strong>erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des<br />

§ 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Überprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- <strong>und</strong> zum Strafausspruch<br />

keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

2. Dagegen hält die vom Landgericht nicht näher begründete Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO, deren Voraussetzungen<br />

auf die Sachrüge zu prüfen sind, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Nach den hierzu vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte für 13 Gutachten,<br />

die er zur Durchführung der Betrugstaten zum Nachteil von Kraftfahrzeugversicherungen erstellt hat, jeweils<br />

250 € sowie für die Anwerbung eines weiteren Tatbeteiligten 500 €, insgesamt also 3.750 €, erhalten (UA 16); die<br />

207


Zahlungen erfolgten unabhängig davon, ob die in Anspruch genommenen Versicherungen für die vorgetäuschten<br />

Unfallschäden aufkamen.<br />

b) Diese Feststellungen tragen die Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO nicht. Voraussetzung für die Anwendung<br />

dieser Vorschrift ist, dass das Gericht nur deshalb nicht auf Verfall, Verfall von Wertersatz oder erweiterten Verfall<br />

erkannt hat, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> entgegenstehen. § 73 Abs. 1 Satz<br />

2 <strong>StGB</strong> hindert eine Verfallsentscheidung aber nur dann, wenn der Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer "aus der Tat" einen Vermögensvorteil<br />

erlangt hat <strong>und</strong> Gegenansprüche eines Verletzten bestehen; das "für die Tat" Erlangte unterliegt dem<br />

Verfall hingegen ohne Rücksicht auf Ansprüche Verletzter (vgl. LK-Schmidt, 12. Aufl., § 73 Rn. 40; SSW-<br />

<strong>StGB</strong>/Burghart <strong>StGB</strong> § 73 Rn. 37). "Aus der Tat" sind diejenigen Vermögenswerte erlangt, die dem Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer<br />

unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen<br />

sind, insbesondere also die Beute. Um Vorteile "für die Tat" handelt es sich demgegenüber, wenn die Vermögenswerte<br />

als Gegenleistung für sein rechtswidriges Tun gewährt werden, etwa wenn ein Lohn für die Tatbegehung gezahlt<br />

wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2002 - 1 StR 169/02, BGHR <strong>StGB</strong> § 73 Erlangtes 4 m.w.N.). Im vorliegenden<br />

Fall fand eine Beuteteilung zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> den übrigen Bandenmitgliedern nicht statt,<br />

vielmehr wurde der Angeklagte "für seine Tatbeiträge" unabhängig vom Eintritt des Taterfolges bezahlt. Die Ausnahmeregelung<br />

des § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> findet somit keine Anwendung. Damit hat auch die Anordnung nach §<br />

111i Abs. 2 StPO keinen Bestand. Der Senat hebt das Urteil daher insoweit auf <strong>und</strong> lässt die Anordnung entfallen, da<br />

eine Zurückverweisung zur Nachholung einer Verfallsanordnung nach §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 73a Satz 1 <strong>StGB</strong> im<br />

Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu BGH, Beschluss<br />

vom 10. November 2009 - 4 StR 443/09 Rn. 10).<br />

3. Der nur geringfügige <strong>Teil</strong>erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten gemäß § 473 Abs. 4 StPO<br />

teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten <strong>und</strong> Auslagen freizustellen.<br />

StPO § 111i ; <strong>StGB</strong> § 73c Auffangrechtserwerb <strong>und</strong> Verfalls-Härteregelung bei Gesamtschuld<br />

BGH, Urt. v. 28.10.2010 – 4 StR 215/10 - NJW 2011, 624= StV 2011, 133<br />

LS:<br />

1. Bei einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO ist im Urteilstenor (nur) der Vermögensgegenstand<br />

bzw. Geldbetrag zu benennen, den der Staat unter den Voraussetzungen des § 111i Abs. 5<br />

StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt.<br />

2. Bei der Bestimmung des Vermögensgegenstandes bzw. Zahlungsanspruchs, der dem Auffangrechtserwerb<br />

des Staates unterliegt, ist bei mehreren Tätern <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmern von deren gesamtschuldnerischer<br />

Haftung auszugehen, wenn <strong>und</strong> soweit sie zumindest Mitverfügungsmacht an<br />

dem aus der Tat erzielten Vermögenswert hatten.<br />

3. Die Anwendung der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> kann zur Folge haben, dass gegen<br />

mehrere Täter <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmer unterschiedlich hohe Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO<br />

getroffen werden müssen.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten T. <strong>und</strong> Y. wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 2. November 2009<br />

aufgehoben, soweit dort hinsichtlich dieser Angeklagten sowie des Angeklagten M. festgestellt ist, "dass der Anordnung<br />

des Verfalls bzw. des Verfalls des Wertersatzes des aus der Tat erlangten Betrages von 26.000,00 Euro Ansprüche<br />

der Verletzten entgegenstehen".<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel der Angeklagten T. <strong>und</strong> Y., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten T. <strong>und</strong> Y. werden verworfen.<br />

4. Die Revision des Angeklagten I. wird verworfen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten T. <strong>und</strong> Y. sowie den nicht Revision führenden Mitangeklagten M. des schweren<br />

Raubes <strong>und</strong> die Angeklagten I. sowie Ye. der Beihilfe zum schweren Raub schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten<br />

T. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten, den Angeklagten Y. zu einer Freiheitsstrafe<br />

208


von vier Jahren <strong>und</strong> acht Monaten <strong>und</strong> den Angeklagten I. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> acht Monaten<br />

- bei Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung - verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass "der Anordnung des<br />

Verfalls bzw. des Verfalls des Wertersatzes des aus der Tat erlangten Betrages von 26.000,00 Euro Ansprüche der<br />

Verletzten entgegenstehen". Gegen ihre Verurteilungen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der<br />

Angeklagten T., Y. <strong>und</strong> I. ; der Angeklagte I. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel der Angeklagten<br />

T. <strong>und</strong> Y. haben hinsichtlich des Ausspruchs gemäß § 111i Abs. 2 StPO Erfolg; insofern ist die Aufhebung des Urteils<br />

auf den Mitangeklagten M. zu erstrecken. Im Übrigen sind diese Revisionen unbegründet. Das Rechtsmittel des<br />

Angeklagten I. hat insgesamt keinen Erfolg.<br />

I.<br />

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen planten die Angeklagten T., Y. <strong>und</strong> M., im "Café " in Hagen,<br />

in dem - wie sie wussten - dem illegalen Glücksspiel nachgegangen wurde, einen Überfall zu begehen. Die<br />

Angeklagten I. <strong>und</strong> Ye. beteiligten sich an der Planung, indem sie ihre Orts- <strong>und</strong> Personenkenntnisse einbrachten.<br />

Hierfür sollten sie - wie auch die den Überfall unmittelbar ausführenden Angeklagten T., Y. <strong>und</strong> M. - einen Anteil an<br />

der Beute erhalten. Entsprechend dem gemeinsamen Plan betraten die Angeklagten T., Y. <strong>und</strong> M. am 24. Januar<br />

2009 nach 3.45 Uhr das Café. Der Angeklagte Y., der eine Schusswaffe oder einen einer Schusswaffe täuschend<br />

ähnlich sehenden Gegenstand in der Hand hielt, rief "Überfall" <strong>und</strong> forderte die vier anwesenden Personen auf, sich<br />

auf den Boden zu legen. Anschließend durchsuchten die Angeklagten T. <strong>und</strong> M. die am Boden Liegenden <strong>und</strong> nahmen<br />

einem Gast 22.000 €, einem anderen 3.500 € <strong>und</strong> dem Betreiber des Cafés 500 € ab. Sodann verließen sie das<br />

Café, trafen sich mit dem Angeklagten Ye. <strong>und</strong> fuhren gemeinsam nach Köln <strong>und</strong> Duisburg. Ob <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

wie die Angeklagten das erbeutete Geld im Einzelnen untereinander aufgeteilt haben, vermochte die Strafkammer<br />

nicht festzustellen. Sie geht jedoch davon aus, dass der Angeklagte T. aus der Beute mindestens einen Betrag von<br />

5.500 Euro erhalten hat.<br />

2. Die Strafkammer hat gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz wegen der<br />

Ansprüche der Verletzten abgesehen. Hierzu hat sie in den Urteilsgründen ausgeführt (UA 48): Nach Würdigung der<br />

Kammer wäre ohne die Ansprüche der Geschädigten ein Verfall von Wertersatz nach §§ 73 Abs. 1 S. 1, 73a S. 1<br />

<strong>StGB</strong> in Betracht gekommen, <strong>und</strong> zwar nicht nur gegenüber den Angeklagten T. <strong>und</strong> M. hinsichtlich der Beträge, die<br />

sie jeweils eigenhändig den verschiedenen Geschädigten abnahmen <strong>und</strong> über die sie somit - jedenfalls vorübergehend<br />

- die faktische Verfügungsgewalt ausübten. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass nach einer wertenden<br />

Gesamtbetrachtung zumindest die den Überfall ausführenden drei Angeklagten Mitverfügungsgewalt an der erbeuteten<br />

Summe hatten: Sie waren während der Wegnahme gemeinschaftlich vor Ort, führten die Tat im unmittelbaren<br />

Zusammenwirken gemeinsam aus <strong>und</strong> wollten die erbeutete Summe sodann aufteilen.<br />

3. Auf die lediglich mit nicht ausgeführten Rügen begründeten Revisionen der Angeklagten I., T. <strong>und</strong> Y. hin beantragte<br />

der Generalb<strong>und</strong>esanwalt Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen. Er hat Bedenken gegen die vom<br />

Landgericht nach § 111i Abs. 2 StPO getroffene Entscheidung <strong>und</strong> meint unter anderem, dass es sachgerecht sei,<br />

Mittäter nicht als Gesamtschuldner, sondern nur in Höhe des von ihnen jeweils selbst erlangten Betrags den er mit<br />

5.500 € angibt - haften zu lassen. Zudem enthalte das Urteil keine konkreten Feststellungen zur Mitverfügungsgewalt<br />

aller Mittäter an der (Ge-samt-)Beute; auch sei § 73c <strong>StGB</strong> nicht erörtert.<br />

II. Die Rechtsmittel der Angeklagten T. <strong>und</strong> Y. sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich<br />

gegen die Schuld- <strong>und</strong> Strafaussprüche richten. Hinsichtlich der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO haben sie<br />

dagegen Erfolg. Diese Feststellung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer § 73c<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> nicht bedacht hat. Die aus diesem Gr<strong>und</strong> gebotene Aufhebung des Urteils zugunsten der Angeklagten<br />

T. <strong>und</strong> Y. ist gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten M. zu erstrecken. Will der Tatrichter eine Feststellung gemäß<br />

§ 111i Abs. 2 Satz 1 StPO treffen, so hat er nicht nur das Erlangte (§ 111i Abs. 2 Satz 2 StPO) bzw. den Geldbetrag,<br />

der dem Wert des Erlangten entspricht (§ 111i Abs. 2 Satz 3 StPO), zu ermitteln, sondern - im Falle einer schon<br />

im Urteilszeitpunkt feststehenden Abweichung - auch den Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag zu benennen, den<br />

der Staat unter den Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt. Diesen<br />

dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegenden Vermögenswert muss der Tatrichter im Urteilstenor bezeichnen.<br />

Bei der Bestimmung des Vermögensgegenstandes bzw. Zahlungsanspruchs, der dem Staat unter den Voraussetzungen<br />

des § 111i Abs. 5 StPO zufällt, ist bei mehreren Tätern <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmern von deren gesamtschuldnerischer<br />

Haftung auszugehen, wenn <strong>und</strong> soweit sie zumindest Mitverfügungsmacht an dem aus der Tat erzielten Vermögenswert<br />

hatten. Zudem ist § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> zu beachten. Diese Vorschrift ist auch in den Fällen der gesamtschuldnerischen<br />

Haftung mehrerer Täter <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmer anwendbar; sie kann zur Folge haben, dass gegen sie -<br />

auch in verschiedenen Urteilen - in Bezug auf den dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegenden Vermögenswert<br />

unterschiedlich hohe Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO getroffen werden, für die sie - entsprechend<br />

209


"ihrer" Feststellung - als Gesamt- <strong>und</strong> teilweise auch als Alleinschuldner in Anspruch genommen oder betroffen<br />

werden.<br />

1. Der Tatrichter hat, sofern er eine Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 Satz 1 StPO trifft, das aus der Tat Erlangte<br />

bzw. den Geldbetrag, der dem Wert des Erlangten entspricht, zu ermitteln <strong>und</strong> im Urteil zu bezeichnen. Diese Verpflichtung<br />

folgt unmittelbar aus § 111i Abs. 2 Sätze 2, 3 StPO. Dabei ist - wie sich schon aus den übereinstimmend<br />

verwendeten Formulierungen ergibt - das "Erlangte" bzw. der "Geldbetrag, der dem Wert des Erlangten entspricht",<br />

in demselben Sinn zu verstehen wie in § 73 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 73a Satz 1 <strong>StGB</strong>. Auch die Regelung in § 111i Abs.<br />

2 Satz 4 StPO, mit der bestimmt wird, welche Abzüge vom Erlangten bzw. dem entsprechenden Geldbetrag vorgenommen<br />

werden dürfen, belegt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass das Erlangte ungeschmälert <strong>und</strong><br />

in voller Höhe - mithin wie nach §§ 73, 73a <strong>StGB</strong> ermittelt - anzugeben ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/700 S. 16). Die<br />

Bezeichnung des in diesem Sinn Erlangten bzw. des entsprechenden Geldbetrages im Urteilstenor ist indes nur in<br />

den Fällen unerlässlich, in denen dieser Vermögenswert unverändert dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegen<br />

kann, sich Abweichungen also lediglich aus § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO ergeben können.<br />

2. Der Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5<br />

StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt, kann jedoch schon im Zeitpunkt des Urteils vom Erlangten<br />

oder dem Geldbetrag, der dem Wert des Erlangten entspricht, abweichen. In einem solchen Fall muss (allein) dieser<br />

Vermögensgegenstand oder Geldbetrag im Tenor des Urteils bezeichnet werden.<br />

a) Eine solche Abweichung kann sich schon aus § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO ergeben, nach dem beispielsweise eine<br />

(teilweise) Befriedigung des Verletzten vom Erlangten bzw. dessen Wert "in Abzug zu bringen" ist <strong>und</strong> allein der<br />

dann noch verbleibende Vermögenswert dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegt. Daneben kann eine Minderung<br />

des Erlangten bzw. des entsprechenden Geldbetrags aber auch auf der Anwendung der Härtevorschrift des §<br />

73c <strong>StGB</strong> beruhen. Es entspricht der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, dass § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> im Rahmen<br />

der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August<br />

2010 - 2 StR 254/10; vom 18. Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242; vom 7. September 2010 -<br />

4 StR 393/10). Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus (BT-Drucks. 16/700 S. 16: "Die fakultative Ausgestaltung<br />

[des § 111i Abs. 2 StPO] trägt zudem der Beachtung der Härtefallregelung des § 73c <strong>StGB</strong> Rechnung"). Die Anwendbarkeit<br />

von § 73c <strong>StGB</strong> in Zusammenhang mit der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO steht aber auch in<br />

Einklang mit dem Wortlaut dieser Vorschrift. Denn nach § 111i Abs. 2 Satz 1 StPO ist die Feststellung, dass Ansprüche<br />

eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> dem Verfall entgegenstehen, auf diejenigen Fälle<br />

beschränkt, in denen "lediglich" aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht auf den Verfall erkannt wird. Steht indes schon oder auch<br />

die Anwendung der Härtefallregelung des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> dem Verfall entgegen, so beruht dessen (teilweise)<br />

Nicht-Anordnung nicht "lediglich" auf den entgegenstehenden Ansprüchen Verletzter. Die Erwägung des Gesetzgebers,<br />

dass das Gericht nicht "nur teilweise Feststellungen nach Absatz 2 treffen, also etwa nach seinem Ermessen<br />

Abschläge der Höhe nach vornehmen kann, weil dies die Interessen Verletzter in unangemessener Weise beeinträchtigen<br />

würde" (BT-Drucks. 16/700 S. 16), ist deshalb - wie auch der unmittelbar voranstehende Hinweis auf § 73c<br />

<strong>StGB</strong> zeigt - ersichtlich darauf bezogen, dass das Gericht von dem Vermögenswert, der "lediglich" wegen Ansprüchen<br />

Verletzter nicht dem Verfall unterliegt, keine (weiteren) Abschläge nach seinem Ermessen vornehmen darf.<br />

Zudem ist - zumal berechtigte Interessen des Verletzten hiervon nicht berührt werden - eine sachliche Rechtfertigung<br />

dafür nicht erkennbar, den oder die vom Verfall betroffenen Angeklagten im Hinblick auf die Anwendbarkeit von §<br />

73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> danach unterschiedlich zu behandeln, ob der Verfall <strong>und</strong> seine Wirkungen unmittelbar mit Rechtskraft<br />

des Urteils eintreten oder sich der (Auffang-)Rechtserwerb des Staates erst nach Ablauf von drei Jahren vollzieht.<br />

b) Sofern der Vermögenswert, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar<br />

oder als Zahlungsanspruch erwirbt, schon nach dem Ergebnis der tatrichterlichen Hauptverhandlung vom Erlangten<br />

bzw. dem Geldbetrag, der dem Wert des Erlangten entspricht, abweicht, muss (allein) er im Urteilstenor bezeichnet<br />

werden. Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2010 (2 StR 524/09,<br />

NJW 2010, 1685, 1686) dargelegt, dass die materiell-rechtliche Gr<strong>und</strong>lage für den eventuellen späteren Auffangrechtserwerb<br />

aus dem Urteilstenor erkennbar sein soll. Dies erfordert die Angabe des von dem Auffangrechtserwerb<br />

gegebenenfalls betroffenen Vermögenswerts. Dementsprechend ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, "dass<br />

das Gericht im Rahmen der [nach § 111i Abs. 2 StPO] zu treffenden Feststellung die einzelnen 'Verfallsgegenstände'<br />

bezeichnen muss … [bzw.] den Betrag anzugeben [hat], der dem 'Wertersatzverfall' entspricht" (BT-Drucks. 16/700<br />

S. 16); hiermit "gibt es den Rahmen des möglichen späteren Auffangrechtserwerbs vor" (BT-Drucks. aaO S. 15).<br />

3. Bei der Feststellung des dem Auffangrechtserwerb des Staates gemäß § 111i Abs. 5 StPO unterliegenden Vermögenswerts<br />

ist bei mehreren Tätern <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmern, auch wenn die Feststellungen in verschiedenen Urteilen<br />

210


getroffen werden, von deren gesamtschuldnerischer Haftung auszugehen, wenn <strong>und</strong> soweit sie zumindest Mitverfügungsmacht<br />

an dem aus der Tat erzielten Vermögenswert hatten. Mit einer solchen Haftung mehrerer als Gesamtschuldner<br />

verb<strong>und</strong>ene Härten können aber - für jeden Mittäter oder <strong>Teil</strong>nehmer gesondert - durch die Anwendung<br />

von § 73c <strong>StGB</strong> ausgeglichen werden.<br />

a) Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist ein Vermögenswert aus der Tat erlangt im Sinne des § 73<br />

Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong>, wenn er dem Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in<br />

irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen ist (BGH, Urteile vom 30. Mai 2008 - 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227,<br />

246; vom 29. Juni 2010 - 1 StR 245/09), er an ihm also unmittelbar aus der Tat (tatsächliche, aber nicht notwendig<br />

rechtliche) Verfügungsmacht gewonnen <strong>und</strong> dadurch einen Vermögenszuwachs erzielt hat (vgl. BGH, Urteil vom<br />

16. Mai 2006 - 1 StR 46/06, BGHSt 51, 65, 68; Beschluss vom 21. Oktober 2008 - 4 StR 437/08, NStZ 2010, 85;<br />

Urteil vom 4. Februar 2009 - 2 StR 504/08, JZ 2009, 1124 m. Anm. Rönnau m.w.N.). Bei mehreren Tätern <strong>und</strong>/oder<br />

<strong>Teil</strong>nehmern genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den<br />

Vermögensgegenstand erlangt haben (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2008 - 5<br />

StR 365/07, NStZ 2008, 565, 566; vom 27. Mai 2008 - 3 StR 50/08, NStZ 2008, 623; vom 30. Mai 2008 - 2 StR<br />

174/08, NStZ-RR 2008, 287; Urteile vom 30. Mai 2008 - 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 256; vom 26. März 2009 - 3<br />

StR 579/08, NStZ 2010, 86, 87; Beschlüsse vom 12. Mai 2009 - 4 StR 102/09, NStZ-RR 2009, 320; vom 9. Februar<br />

2010 - 3 StR 17/10, StraFo 2010, 257). Unerheblich ist dagegen, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welchem Umfang der<br />

Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat, ob<br />

also der aus der Tat zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse gemindert wurde (vgl. BGH, Urteile<br />

vom 16. Mai 2006 - 1 StR 46/06, BGHSt 51, 65, 68, 72; vom 30. Mai 2008 - 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 252;<br />

vom 4. Februar 2009 - 2 StR 504/08, JZ 2009, 1124, 1125 m. Anm. Rönnau). An dieser - von der herrschenden Lehre<br />

geteilten (vgl. LK-Schmidt, <strong>StGB</strong>, 12. Aufl., § 73 Rn. 29, 32; MünchKomm <strong>StGB</strong>/Jaecks, § 73 Rn. 32; SSW-<br />

<strong>StGB</strong>/Burghart, § 73 Rn. 15; Eser in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl., § 73 Rn. 15) - Rechtsprechung hält der<br />

Senat fest (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 14. Juni 2004 - 2 BvR 1136/03, wistra 2004, 378, 382; vom 3. Mai<br />

2005 - 2 BvR 1378/04, BVerfGK 5, 217, 221; vom 29. Mai 2006 - 2 BvR 820/06, BVerfGK 8, 143, 147).<br />

b) Bereits auf dieser Gr<strong>und</strong>lage ist bei der Anordnung von Verfall oder Verfall von Wertersatz bei mehreren Tätern<br />

<strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmern, die an demselben Vermögenswert unmittelbar aus der Tat (Mit-)Verfügungsmacht gewonnen<br />

haben, von einer gesamtschuldnerischen Haftung auszugehen, um zu er-möglichen, dass den Tätern oder <strong>Teil</strong>nehmern<br />

das aus der Tat Erlangte entzogen wird, aber zugleich zu verhindern, dass dies mehrfach erfolgt. Eine solche<br />

gesamtschuldnerische Haftung entspricht der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 1. Juni<br />

1995 - 1 StR 181/95; Urteil vom 4. Juni 1996 - 1 StR 235/96; Beschlüsse vom 13. November 1996 - 3 StR 482/96,<br />

NStZ-RR 1997, 262; vom 10. September 2002 - 1 StR 281/02, NStZ 2003, 198, 199; Urteil vom 29. April 2004 - 4<br />

StR 586/03, NStZ 2005, 454, 455; Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 344/05; Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR<br />

46/06, BGHSt 51, 65, 71; Beschlüsse vom 27. Mai 2008 - 3 StR 50/08, NStZ 2008, 623; vom 21. Oktober 2008 - 4<br />

StR 437/08, NStZ 2010, 85; Urteil vom 26. März 2009 - 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86, 87; Beschlüsse vom 12. Mai<br />

2009 - 4 StR 102/09, NStZ-RR 2009, 320; vom 2. Juli 2009 - 3 StR 192/09; zu § 73 Abs. 3 <strong>StGB</strong> auch Urteil vom<br />

30. Mai 2008 - 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 253). Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Gerichte<br />

beim Verfall von Wertersatz gegen mehrere an der Tat Beteiligte "auch ohne ausdrückliche Vorschrift die gesamtschuldnerische<br />

Haftung der Beteiligten aussprechen werden" (BT-Drucks. IV/650 S. 245). Verfassungsrechtliche<br />

Bedenken bestehen hiergegen nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2004 - 2 BvR 1136/03, wistra 2004, 378,<br />

382). Die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt <strong>und</strong> <strong>Teil</strong>en des Schrifttums (etwa LK-Schmidt aaO § 73 Rdn. 72; Rönnau JZ<br />

2009, 1125, 1127; Spillecke NStZ 2010, 569 jeweils m.w.N.) gegen eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer<br />

Täter <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmer erhobenen Einwände teilt der Senat nicht. Jedoch lässt er dahingestellt, ob - wie in einigen<br />

Entscheidungen ausgeführt - eine gesamtschuldnerische Haftung zudem über eine Zurechnung nach den Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der Mittäterschaft in Betracht kommt, wenn sich die Beteiligten (lediglich) darüber einig waren, dass sie Mitverfügungsmacht<br />

haben sollten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. September 2002 - 1 StR 281/02, NStZ 2003, 198,<br />

199; vom 13. Dezember 2006 - 4 StR 421/06, NStZ-RR 2007, 121; vom 21. Oktober 2008 - 4 StR 437/08, NStZ<br />

2010, 85; vom 27. April 2010 - 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568 m. Anm. Spillecke). Nach dem Willen des Gesetzgebers<br />

dienen die Vorschriften der §§ 73 ff. <strong>StGB</strong> der Abschöpfung deliktisch erzielter Vermögensvorteile; dem Täter<br />

soll nicht das belassen werden, was er aus der Tat unrechtmäßig erlangt hat, da dies als Anreiz für die Begehung<br />

weiterer entgelt- <strong>und</strong> gewinneinbringender Straftaten wirken kann (vgl. BT-Drucks. 16/700 S. 1; BVerfG, Beschluss<br />

vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 16 m.w.N.). Das Ziel einer effektiven Gewinnabschöpfung<br />

(vgl. Sotiriadis, Die Entwicklung der Gesetzgebung über Gewinnabschöpfung <strong>und</strong> Geldwäsche, 2010, dort z.B. S.<br />

464, 468, 472 f.) würde indes ohne eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Täter <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmer für die<br />

211


von ihnen aus der Tat zumindest im Sinne einer Mitverfügungsmacht erlangten Vermögenswerte verfehlt werden.<br />

Denn Mittäter könnten "die Verfallerklärung gegen jeden von ihnen [schon] dadurch vereiteln, dass sie Angaben<br />

darüber verweigern, in welchem Verhältnis sie die Bestechungsgelder untereinander aufgeteilt haben", wenn der<br />

Tatrichter verpflichtet wäre, den Verfall oder den Verfall von Wertersatz auf den Beuteanteil zu beschränken, den<br />

der jeweilige Mittäter letztlich erwiesenermaßen erhalten hat (so bereits BGH, Urteil vom 30. April 1957 - 1 StR<br />

287/56, BGHSt 10, 237, 245; vgl. auch da Rosa NJW 2009, 1702, 1703). Dem steht nicht entgegen, dass hierbei dem<br />

(Mit-)Täter mehr entzogen werden könnte, als er - nachdem er zunächst in größerem Umfang (Mit-<br />

)Verfügungsmacht hatte - letztlich als seinen Anteil an der Tatbeute "erlangt" hat. Nach der Rechtsprechung ist der<br />

Verfall keine Strafe (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 14 f., 16, 19; vom<br />

14. Juni 2004 - 2 BvR 1136/03, wistra 2004, 378, 381; ferner BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR 46/06, BGHSt<br />

51, 65, 67), sondern weist dem Täter oder <strong>Teil</strong>nehmer - in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise - "wirtschaftliche<br />

Verlustrisiken" zu (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 21). Diese werden<br />

indes dadurch verringert, dass ihm die Durchführung eines Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 BGB mit den<br />

weiteren Mittätern oder <strong>Teil</strong>nehmern offensteht. Zur Erreichung des Präventionszwecks der §§ 73 ff. <strong>StGB</strong> ist es<br />

gerechtfertigt, diesen Innenausgleich den Tatbeteiligten zu überlassen <strong>und</strong> hinzunehmen, dass zuvor einzelnen von<br />

ihnen mehr entzogen wird, als sie letztlich erlangt haben (SSW-<strong>StGB</strong>/Burghart, § 73 Rn. 41; da Rosa NJW 2009,<br />

1702, 1705 f.). Mit der gesamtschuldnerischen Haftung von Mittätern <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmern ist zudem gewährleistet,<br />

dass der Staat den Gesamtanspruch nur einmal erhält. Dem muss im Rahmen der Anwendung der §§ 111b ff. StPO<br />

Rechnung getragen werden (vgl. dazu etwa da Rosa NJW 2009, 1702, 1703 ff.; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung<br />

im Straf- <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenverfahren, 2010, S. 44). Gerade der Zusammenhang zwischen §§ 73<br />

ff. <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> §§ 111b ff. StPO legt die gesamtschuldnerische Haftung nahe. Denn - 16 -<br />

die Vorschriften der §§ 111b ff. StPO bezwecken auch den Schutz des Opfers (BT-Drucks. 16/700 S. 1; Sotiriadis<br />

aaO S. 466), dessen Zugriffsmöglichkeiten nach diesen Vorschriften indes regelmäßig (zumindest auch) die ihm<br />

gegenüber bestehende gesamtschuldnerische Haftung der Täter <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmer (§§ 830, 840 Abs. 1 BGB) zur<br />

Gr<strong>und</strong>lage haben. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber bei der hier in Frage stehenden Anordnung nach § 111i<br />

Abs. 2 StPO verhindern wollte, dass - etwa dem Vorschlag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts im vorliegenden Fall folgend,<br />

die Mittäter jeweils nur in Höhe von 5.500 € zu belasten - der Tatrichter "nach seinem Ermessen Abschläge der Höhe<br />

nach … [vornimmt], weil dies die Interessen Verletzter in unangemessener Weise beeinträchtigen würde" (BT-<br />

Drucks. 16/700 S. 16). Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> steht der Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung die nach<br />

Einführung des Bruttoprinzips ohnehin zweifelhafte (vgl. Sotiriadis aaO S. 166 ff.) Anknüpfung an die "Sichtweise<br />

des zivilrechtlichen Bereicherungsrechts" (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110,<br />

1, 20 ff.) nicht entgegen, bei dem eine gesamtschuldnerische Haftung jedenfalls im Anwendungsbereich des § 812<br />

BGB gr<strong>und</strong>sätzlich nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298,<br />

309 m.w.N.).<br />

c) Jedoch können auch bei Haftung mehrerer als Gesamtschuldner etwaige Härten durch die Anwendung von § 73c<br />

<strong>StGB</strong> ausgeglichen werden. § 73c <strong>StGB</strong> ist - wie oben ausgeführt - im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden<br />

Feststellung, welcher Vermögenswert dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegt, anwendbar. Dies kann<br />

- abhängig insbesondere von den jeweiligen persönlichen Verhältnissen der Tatbeteiligten (vgl. BGH, Beschluss vom<br />

18. Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242) zur Folge haben, dass bei mehreren Tätern <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmern<br />

unter-schiedlich hohe Vermögenswerte gemäß § 111i Abs. 2 StPO festzustellen sind. Zudem entspricht es<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, dass "Mittelabflüsse" - etwa durch eine Beuteteilung - im Rahmen der<br />

Prüfung der Härte-vorschrift des § 73c <strong>StGB</strong> von Bedeutung sein können (BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR<br />

46/06, BGHSt 51, 65, 68, 72; Beschluss vom 10. Januar 2008 - 5 StR 365/07, NStZ 2008, 565, 566), dass also die<br />

Weitergabe des zunächst Erlangten bei § 73c <strong>StGB</strong> Berücksichtigung finden kann, wenn kein - ausreichendes - Vermögen<br />

mehr vorhanden ist oder eine Verfallsanordnung eine unbillige Härte wäre (BGH, Urteil vom 12. August<br />

2003 - 1 StR 127/03). Nichts anderes gilt im Fall einer Haftung mehrerer Täter <strong>und</strong>/oder <strong>Teil</strong>nehmer als Gesamtschuldner.<br />

4. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage begegnet es zwar an sich keinen Bedenken, dass das Landgericht im Rahmen der Entscheidung<br />

nach § 111i Abs. 2 StPO das von den Angeklagten T., Y. <strong>und</strong> M. aus der Tat Erlangte mit insgesamt 26.000 €<br />

festgestellt hat. Insofern hat der Senat - anders als der Generalb<strong>und</strong>esanwalt - insbesondere keine Bedenken gegen<br />

die Annahme, diese die Tat unmittelbar ausführenden Angeklagten hätten noch am Tatort an der gesamten Beute<br />

(Mit-)Verfügungsmacht erlangt. Der Senat entnimmt jedoch den Ausführungen der Strafkammer, dass sie mit dieser<br />

Feststellung nicht (nur) das von diesen Angeklagten Erlangte, sondern den Betrag bezeichnen wollte, der bei Vorliegen<br />

der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegt. Die hierbei schon<br />

212


angesichts der festgestellten persönlichen Verhältnisse dieser Angeklagten gebotene Prüfung des § 73c <strong>StGB</strong> hat das<br />

Landgericht indes unterlassen <strong>und</strong> "allein" wegen der Ansprüche der Verletzten auf die Anordnung des Verfalls<br />

verzichtet (UA 48). Der Senat hebt deshalb diese Entscheidung insgesamt auf. Einer Aufhebung der ihr zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Feststellungen bedarf es dagegen nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen wurden; Ergänzungen - etwa zur<br />

weiteren Entwicklung der persönlichen Verhältnisse der Angeklagten - sind hierzu zulässig. Nach § 357 Satz 1 StPO<br />

ist die Aufhebung des Urteils auf den nicht Revision führenden Mitangeklagten M. zu erstrecken, denn auch bei ihm<br />

beruht die Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO auf dem oben aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangel. Dem<br />

steht nicht entgegen, dass die Frage, ob wegen einer unbilligen Härte (§ 73c Abs. 1 Satz 1 <strong>StGB</strong>) oder aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Ermessensentscheidung (§ 73c Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong>) von der Anordnung des Verfalls abzusehen ist, auf individuellen<br />

Erwägungen beruht, deren Beantwortung ganz wesentlich von den persönlichen Verhältnissen des jeweils Betroffenen<br />

abhängt (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2008 - 5 StR 365/07, NStZ 2008, 565, 567). Denn der Rechtsfehler<br />

liegt vorliegend schon darin, dass die Strafkammer ersichtlich von der (gr<strong>und</strong>sätzlichen) Unanwendbarkeit des § 73c<br />

<strong>StGB</strong> im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Feststellung ausgegangen ist (vgl. auch BGH, Beschluss<br />

vom 27. April 2010 - 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568, 569 m. Anm. Spillecke).<br />

5. Für das weitere Verfahren <strong>und</strong> im Hinblick auf die Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in der Antragsschrift<br />

vom 1. Juni 2010 (dort S. 7, 8) weist der Senat auf Folgendes hin: Bei einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO<br />

gegen nur einen <strong>Teil</strong> der Angeklagten oder gegen mehrere Angeklagte in unterschiedlicher Höhe ist es geboten, im<br />

Urteilstenor die von der Feststellung betroffenen Angeklagten <strong>und</strong> - ihnen zugeordnet - den oder die Vermögenswerte<br />

zu bezeichnen, die gemäß § 111i Abs. 5 StPO dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegen können. Dies<br />

kann - bei unterschiedlich hohen Beträgen - etwa wie folgt formuliert werden: "Es wird festgestellt, dass gegen den<br />

Angeklagten … wegen eines Geldbetrages in Höhe von …, gegen den Angeklagten … wegen eines Geldbetrages in<br />

Höhe von … <strong>und</strong> gegen den Angeklagten … wegen eines Geldbetrages in Höhe von … lediglich deshalb nicht auf<br />

Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen." Eine nähere Bezeichnung des oder der Verletzten<br />

<strong>und</strong> der ihnen zustehenden Ansprüche ist im Urteilstenor dagegen nicht geboten (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., §<br />

111i Rn. 9 m.w.N.). Auch die Kennzeichnung der Haftung des oder der Angeklagten als Gesamtschuldner muss<br />

nicht in den Urteilstenor aufgenommen werden, um den Urteilstenor von allem freizuhalten, was nicht un-mittelbar<br />

der Erfüllung seiner Aufgaben dient (Meyer-Goßner aaO § 260 Rn. 20 m.w.N.). Insofern genügt vielmehr - auch bei<br />

gesamtschuldnerischer Haftung mit in anderen Verfahren oder noch nicht abgeurteilten Mittätern oder <strong>Teil</strong>nehmern -<br />

, dass sich diese (soweit möglich) aus den Urteilsgründen ergibt. Denn in den Fällen der gesamtschuldnerischen<br />

Haftung kann erst das nach § 111i Abs. 6 StPO zur Entscheidung berufene Gericht einen Vermögenszuwachs auf<br />

Seiten des Staates verhindern, der das von den Tätern <strong>und</strong> <strong>Teil</strong>nehmer Erlangte übersteigt, <strong>und</strong> beurteilen, ob <strong>und</strong><br />

gegebenenfalls welche (möglicherweise erst später bekannt gewordenen) Gesamtschuldner in welcher Höhe haften<br />

<strong>und</strong> ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welchem Umfang der Verletzte - etwa durch Leistungen eines anderen Gesamtschuldners<br />

- im Sinne des § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO befriedigt wurde. Ausführungen zu durchgeführten <strong>und</strong>/oder aufrecht<br />

erhaltenen Arrest- <strong>und</strong> Vollstreckungsmaßnahmen sind dagegen auch in den Urteilsgründen regelmäßig entbehrlich<br />

(vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - 3 StR 17/10, StraFo 2010, 257; vom 17. Februar 2010 - 2 StR 524/09,<br />

NJW 2010, 1685, 1686).<br />

III. Die Revision des Angeklagten I. ist insgesamt unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Er ist - wie auch der<br />

Mitangeklagte Ye. - von der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO nicht betroffen, da sich diese ausweislich der<br />

Gründe des angefochtenen Urteils allein auf die Mittäter, nicht aber die Gehilfen des Raubes bezieht.<br />

StPO § 126 Besetzung der Strafkammer bei Haftentscheidungen während der HV<br />

BGH, Beschl. v. 11.01.2011 – 1 StR 648/10 - NStZ 2011, 356<br />

Über einen Antrag auf Aufhebung eines Haftbefehls ist durch die drei Berufsrichter außerhalb der<br />

mündlichen Verhandlung zu entscheiden.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts München I vom 8. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des<br />

Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349<br />

Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat im<br />

Hinblick auf das Revisionsvorbringen vom 14. Dezember 2010: Es kann dahinstehen, ob das angefochtene Urteil<br />

213


überhaupt darauf beruhen kann, dass über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls<br />

die zuständige Kammer in einer nicht zutreffenden Besetzung entschieden hätte, weil insoweit weder Schuld-<br />

noch Strafausspruch betroffen sein können. Jedoch liegt insoweit keine fehlerhafte Beschlussfassung vor; denn die<br />

Kammer hat über den Aufhebungsantrag in der zutreffenden Besetzung durch die drei Berufsrichter außerhalb der<br />

mündlichen Verhandlung entschieden (vgl. hierzu KK-StPO/Schultheis, 6. Aufl., § 126 Rn. 10; ebenso Graf/Krauß,<br />

StPO, § 126 StPO Rn. 7 mwN). Der teilweise vertretenen Gegenauffassung, wonach es vom Zeitpunkt der jeweiligen<br />

Beschlussfassung abhängen soll, ob die Kammer in der Hauptverhandlungsbesetzung mit den Schöffen oder außerhalb<br />

der Hauptverhandlung in der Besetzung nur mit drei Berufsrichtern entscheiden soll (OLG Naumburg NStZ-RR<br />

2001, 347), kann nicht gefolgt werden, weil es ansonsten von Zufälligkeiten abhängen würde, welche Besetzung<br />

über einen entsprechenden Antrag zu entscheiden hätte. Darüber hinaus würde dann auch die Gefahr unterschiedlicher<br />

Mehrheitsverhältnisse für die Entscheidung ein- <strong>und</strong> derselben Haftfrage bestehen. Die hierdurch herbeigeführte<br />

Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Antragstellung würde auch dem Gebot des gesetzlichen Richters zuwiderlaufen.<br />

Auch der Ansicht, dass während einer laufenden Hauptverhandlung, selbst wenn diese nicht nur kurzfristig unterbrochen<br />

ist, immer die Strafkammer in der Hauptverhandlungsbesetzung zu entscheiden hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO,<br />

53. Aufl., § 126 Rn. 8), kann nicht gefolgt werden, weil gerade bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung<br />

die beteiligten Schöffen vielmals nicht erreichbar sind <strong>und</strong> im Gegensatz zu den Berufsrichtern nicht vertreten werden<br />

können, so dass in solchen Fällen die Gefahr erheblicher Verzögerungen gerade bei beschleunigt zu treffenden<br />

Haftentscheidungen bestünde. Daher ist über Haftfragen auch während einer laufenden Hauptverhandlung eines<br />

Amts- oder Landgerichts immer in der Besetzung der Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden.<br />

Dem steht nicht die Entscheidung BGH, Beschluss vom 30. April 1997 - 2 StB 4/97, BGHSt 43, 91 entgegen, weil<br />

diese nur die Entscheidungen der erstinstanzlich verhandelnden Strafsenate eines Oberlandesgerichts betrifft, welche<br />

auch in der Hauptverhandlung nur in der Besetzung mit Berufsrichtern entscheiden. Das weitere Revisionsvorbringen<br />

ist offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

StPO § 136a; KonsG § 7 Gespräche mit Konsularbeamte sind keine Vernehmungen<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 - 3 StR 573/09 - NJW 2011, 1523 = StV 2011, 334<br />

LS:<br />

1. Das Gespräch, das ein Konsularbeamter mit einem in ausländischer Haft befindlichen deutschen<br />

Beschuldigten in Erfüllung seiner Hilfspflicht nach § 7 KonsG führt, ist keine Vernehmung im Sinne<br />

von § 136a StPO.<br />

2. Wird ein Beschuldigter in ausländischer Haft bei Vernehmungen geschlagen, so führt dies nicht<br />

zur Unverwertbarkeit seiner Äußerungen im Rahmen eines Gesprächs, das er während der Haft<br />

mit einem deutschen Konsular-beamten führt, wenn hierbei die Misshandlungen keinen Einfluss<br />

auf den Inhalt seiner Angaben mehr haben.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag <strong>und</strong> mit Zustimmung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach<br />

Anhörung des Beschwerdeführers am 14. September 2010 gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2<br />

<strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird<br />

a) die Strafverfolgung auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt,<br />

b) das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Juli 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung<br />

wegen der "vorsätzlichen nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren Zuwiderhandlung gegen ein EG-<br />

Embargo" in acht tateinheitlichen Fällen entfällt.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen "mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung<br />

im Ausland in Tateinheit mit acht Fällen der vorsätzlichen nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren Zuwiderhandlung<br />

gegen ein EG-Embargo" zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die<br />

214


Revision des Angeklagten mit mehreren verfahrensrechtlichen Beanstandungen <strong>und</strong> der allgemeinen Sachbeschwerde.<br />

Mit Zustimmung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts hat der Senat gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO die<br />

Verfolgung auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung beschränkt <strong>und</strong><br />

die Vorwürfe tateinheitlich begangener Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz von der Strafverfolgung ausgenommen.<br />

Dies führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs. Im verbleibenden<br />

Umfang hat die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Der Schuldspruch nach § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> hält rechtlicher Nachprüfung stand. Näherer<br />

Erörterung bedarf nur die im Zusammenhang mit der Verwertung der Aussage des Zeugen M. erhobene Verfahrensbeanstandung.<br />

Ihr liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts beteiligte<br />

sich der in Pakistan geborene <strong>und</strong> 1992 in Deutschland eingebürgerte Angeklagte ab spätestens Sommer 2004<br />

bis zum Februar 2008 als Mitglied in der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Qaida. Er beschaffte in<br />

Deutschland Ausrüstungsgegenstände sowie größere Geldbeträge <strong>und</strong> verbrachte diese bei insgesamt acht Reisen in<br />

das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet, wo er sie an andere Mitglieder der Organisation weitergab. Darüber hinaus<br />

bemühte er sich - teils erfolgreich - um die Rekrutierung von Kämpfern, warb um Unterstützer für Al Qaida,<br />

nahm an Ausbildungen der Vereinigung teil <strong>und</strong> stellte sich auch selbst als Kämpfer zur Verfügung. Am 18. Juni<br />

2007 wurde er in Lahore vom pakistanischen Geheimdienst ISI festgenommen <strong>und</strong> an diesem sowie am Folgetag<br />

mehrfach vernommen. Er machte dabei auch Angaben zu seiner Tätigkeit in der Al Qaida. Bei diesen Verhören<br />

wurde der Angeklagte auf nicht näher feststellbare Weise - wahrscheinlich mit einem Schlaginstrument, das aus<br />

einem etwa 1 cm dicken, oval zugeschnittenen Gummistück aus einem Reifen mit Holzgriff bestand - geschlagen, als<br />

er danach befragt wurde, ob er in Pakistan oder in Deutschland Anschläge plane. Während das Oberlandesgericht<br />

insoweit von einer Misshandlung des Angeklagten durch die pakistanischen Behörden ausgeht, hat es hinsichtlich<br />

weiterer Verhöre in der Folgezeit nur nicht ausschließen können, dass der Angeklagte dabei erneut geschlagen worden<br />

ist. Mitarbeiter des ISI unterrichteten den Verbindungsbeamten des B<strong>und</strong>eskriminalamts in Islamabad am 19.<br />

Juni 2007 von den Angaben des Angeklagten <strong>und</strong> boten an, diesen über den ISI befragen zu lassen. Hiervon machte<br />

der Verbindungsbeamte keinen Gebrauch. Er teilte dem ISI auch keine Erkenntnisse über den Angeklagten mit,<br />

sondern unterrichtete die Deutsche Botschaft von dessen Verhaftung. Am 18. Juli 2007 konnte der Zeuge M., Leiter<br />

der Rechts- <strong>und</strong> Konsularabteilung der Deutschen Botschaft in Islamabad, den Angeklagten besuchen. Alleiniger<br />

Gr<strong>und</strong> für das Gespräch war die konsularische Betreuung des Gefangenen. Dem Zeugen war zuvor vom ISI mitgeteilt<br />

worden, dass dem Anklagten Kontakte zu Al Qaida angelastet würden <strong>und</strong> er sich beim Bombenbau am Arm<br />

verletzt habe. Weder der Verbindungsbeamte des B<strong>und</strong>eskriminalamts noch andere Mitarbeiter deutscher Ermittlungs-<br />

oder Sicherheitsbehörden oder Mitarbeiter des ISI waren an ihn mit dem Anliegen herangetreten, den Angeklagten<br />

über seine Betätigung für Al Qaida zu befragen oder auch nur das Gespräch in diese Richtung zu lenken. Das<br />

Treffen fand in einer Villa statt. Es wurde in entspannter Atmosphäre in deutscher Sprache <strong>und</strong> teilweise unter vier<br />

Augen geführt. Der Zeuge wollte abklären, ob der Angeklagte die Vermittlung eines Rechtsanwalts durch die deutsche<br />

Auslandsvertretung wünsche. Er fragte deshalb, seiner üblichen Vorgehensweise in solchen Fällen entsprechend,<br />

ob der Angeklagte wisse, was ihm vorgeworfen werde <strong>und</strong> ob die Vorwürfe stimmten. Dies bejahte der Angeklagte<br />

<strong>und</strong> erzählte nunmehr von sich aus von seiner langjährigen Tätigkeit für Al Qaida <strong>und</strong> von seiner Verletzung<br />

beim Versuch, in einem Trainingslager der Organisation einen Sprengkörper herzustellen. Er berichtete auch<br />

davon, in der Haft mehrmals gefragt worden zu sein, ob er Anschläge geplant habe; dies seien die einzigen Gelegenheiten<br />

gewesen, bei denen er geschlagen worden sei. Ansonsten sei er relativ vernünftig behandelt <strong>und</strong> nicht geschlagen<br />

worden. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen. Seinen Erklärungen,<br />

die er nach einzelnen Beweiserhebungen abgegeben hat, hat das Oberlandesgericht entnommen, dass er den<br />

Tatvorwurf bestreite. Es hat Aussagen, die der Angeklagte bei seinen Vernehmungen durch den ISI getätigt hatte,<br />

nicht verwertet. Seine der Verurteilung zugr<strong>und</strong>eliegende Überzeugung beruht indes unter anderem auf den Bek<strong>und</strong>ungen<br />

des Zeugen M. über die Angaben, die der Angeklagte ihm gegenüber bei dem Gespräch am 18. Juli 2007<br />

über seine Tätigkeit für Al Qaida gemacht hatte. Diese Angaben sind - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers<br />

- verwertbar.<br />

a) Das Verbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO steht einer Verwertung der Aussage des Zeugen M. nicht entgegen.<br />

aa) Die Anhörung des Angeklagten durch den Zeugen M. war keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO. Der<br />

Zeuge M. ist erkennbar in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben <strong>und</strong><br />

Befugnisse (Konsulargesetz - KonsG) tätig geworden. Danach sind die Konsularbeamten u.a. dazu berufen, Deutschen<br />

nach pflichtgemäßem Ermessen Rat <strong>und</strong> Beistand zu gewähren (§ 1 KonsG; vgl. auch Art. 5 Buchst. e Wiener<br />

Übereinkommen über Konsularische Beziehungen - WÜK). Sie sollen in ihrem Konsularbezirk deutsche Untersu-<br />

215


chungs- <strong>und</strong> Strafgefangene auf deren Verlangen betreuen <strong>und</strong> ihnen insbesondere Rechtsschutz vermitteln (§ 7<br />

KonsG; vgl. auch Art. 36 Abs. 1 Buchst. c WÜK). Bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Inhaftierten soll der<br />

Konsularbeamte auch den Gr<strong>und</strong> der Inhaftierung zu klären versuchen (vgl. Hoffmann, Konsularrecht, Band I,<br />

Stand: 1. April 1995, § 7 KonsG, Rn. 7.3.2). Damit er einen geeigneten Anwalt empfehlen kann, ist es erforderlich,<br />

dass er sich mit dem Inhaftierten auch über die ihm zur Last gelegten Straftaten unterhält (Wagner/Raasch/Pröpstl,<br />

WÜK, Kommentar für die Praxis, 2007, S. 261). Sowohl das Konsulargesetz als auch das Wiener Übereinkommen<br />

unterscheiden zwischen der Beistandsleistung, die der Konsularbeamte gegenüber einem deutschen Staatsbürger in<br />

seinem Zuständigkeitsbereich erbringt, <strong>und</strong> den Vernehmungen <strong>und</strong> Anhörungen, die er auf Ersuchen der Gerichte<br />

<strong>und</strong> Behörden des Entsendestaates durchführt (§ 15 KonsG; Art. 5 Buchst. j WÜK). Nur bei letzteren hat er die für<br />

die jeweilige Vernehmung geltenden deutschen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinngemäß anzuwenden (§ 15<br />

Abs. 3 KonsG). Die Befragung hat aus Anlass der Beistandsleistung für den Inhaftierten stattgef<strong>und</strong>en. Sie war keine<br />

amtliche Befragung eines Beschuldigten in Bezug auf die "Beschuldigung" (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) oder den<br />

"Gegenstand der Untersuchung" (§ 69 Abs. 1 Satz 2, § 72 StPO) im Rahmen eines Strafverfahrens (vgl. Löwe/Rosenberg/Gleß,<br />

StPO, 26. Aufl., § 136a Rn. 15).<br />

bb) Selbst wenn § 136a StPO auf das Gespräch zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> dem Zeugen M. zumindest entsprechend<br />

Anwendung zu finden hätte, würde sich hieraus kein Verwertungsverbot für die Erklärungen des Angeklagten<br />

ergeben. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts haben die Misshandlungen des Angeklagten bei seinen<br />

Vernehmungen durch den ISI keinen Einfluss auf seine Angaben gegenüber dem Zeugen M. gehabt. Der Senat kann<br />

erneut offen lassen, ob er an diese - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen geb<strong>und</strong>en (vgl. insoweit schon<br />

BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448, Rn. 73) oder insoweit zu eigener<br />

Prüfung im Freibeweisverfahren berufen ist (im letzteren Sinn BGH, Urteil vom 28. Juni 1961 - 2 StR 154/61,<br />

BGHSt 16, 164). Denn er kommt auch bei eigener Überprüfung anhand der vom Oberlandesgericht mitgeteilten, von<br />

der Revision als solche nicht in Zweifel gezogenen objektiven Umständen der Befragung zu demselben Ergebnis.<br />

Gegen eine Fortwirkung spricht die vom Zeugen M. geschilderte Gesprächssituation. Er konnte sich in einer entspannten<br />

Atmosphäre durchgängig auf deutsch mit dem Angeklagten unterhalten. Ein - möglicherweise der deutschen<br />

Sprache mächtiger - Mitarbeiter des ISI verließ nach einiger Zeit den Raum. Der Angeklagte schilderte dem<br />

Zeugen, vereinzelt Schläge erhalten zu haben. Diese deutschem <strong>und</strong> internationalem Recht zuwiderlaufende Verfahrensweise<br />

würde er nicht geschildert haben, wenn er noch unter dem Eindruck von Schlägen gestanden <strong>und</strong> eine<br />

Überwachung des Gespräches befürchtet hätte.<br />

cc) Bei dieser Sachlage kommt ein Verwertungsverbot nicht in Betracht; denn es besteht kein Anlass, den Anwendungsbereich<br />

von § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO weiter auszudehnen <strong>und</strong> eine Fernwirkung der vom Angeklagten erlittenen<br />

Misshandlungen in der Form anzunehmen, alles, was er während seiner Inhaftierung durch den ISI auch Dritten<br />

gegenüber geäußert hat, mit einem Verwertungsverbot zu belegen. Dies gilt auch in Ansehung der Verpflichtungen,<br />

die der B<strong>und</strong>esrepublik aus Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter <strong>und</strong> andere grausame, unmenschliche<br />

oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Antifolterkonvention) erwachsen. Danach trägt jeder Vertragsstaat<br />

dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem<br />

Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage<br />

gemacht wurde (Art. 15 UN-Antifolterkonvention). Weder ist der Wortlaut im Sinne einer Fernwirkung auszulegen,<br />

noch ist eine entsprechende Praxis der Vertragsstaaten erkennbar, so dass insoweit eine Fernwirkung des Verwertungsverbotes<br />

der unter Einsatz unzulässiger Vernehmungsmethoden erlangten Aussage nicht als elementares<br />

rechtsstaatliches Gebot des deutschen Strafverfahrensrechts angesehen werden kann (BVerfG [Kammer] Beschluss<br />

vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96, StV 1997, 361). Gleiches gilt bei Berücksichtigung der Verpflichtung aus Art. 3<br />

EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen<br />

werden darf (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juni 2010 - Nr. 22978/05, NJW 2010, 3145, Rn. 87 ff., 92).<br />

b) Der Senat muss nicht entscheiden, ob einer Verwertung der Aussage des Zeugen M. der Gr<strong>und</strong>satz des fairen<br />

Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) unter folgendem Gesichtspunkt entgegenstehen könnte: Der Konsularbeamte<br />

ist zu Belehrungen entsprechend der StPO nur verpflichtet, wenn er auf Ersuchen deutscher Gerichte <strong>und</strong> Behörden<br />

Vernehmungen oder Anhörungen durchführt (§ 15 Abs. 1, 3, 5 KonsG). In den Fällen konsularischer Betreuung<br />

besteht eine solche gesetzliche Verpflichtung nicht. Die im Rahmen dieser Aufgabe notwendigen Erk<strong>und</strong>igungen<br />

des Konsularbeamten nach dem Tatvorwurf sind indes durchaus geeignet, den Gefangenen dazu zu veranlassen,<br />

zu dem Tatvorwurf auch inhaltlich, das heißt entweder diesen bestreitend oder in Form eines Geständnisses Stellung<br />

zu nehmen. Die spezielle Situation des im Ausland Inhaftierten, der von einem Repräsentanten seines Heimatlandes<br />

besucht wird <strong>und</strong> Hilfe erwartet, mag insbesondere Anlass für eine offene Selbstbelastung geben. Dies gilt generell<br />

<strong>und</strong> ist unabhängig davon, welchen Vernehmungsmethoden <strong>und</strong> Haftbedingungen der Gefangene bis dahin ausge-<br />

216


setzt war. Es könnte deshalb Anlass bestehen, der besonderen Situation eines Inhaftierten dadurch Rechnung zu<br />

tragen, dass ihn der Konsularbeamte auch in den Fällen fürsorglicher Kontaktaufnahme darüber unterrichten muss,<br />

dass der Inhalt des nun folgenden Gesprächs regelmäßig innerhalb der Behörde <strong>und</strong> gegebenenfalls auch bei den<br />

Strafverfolgungsbehörden des Heimatlandes bekannt wird. Eine Rüge mit dieser Stoßrichtung hat der Angeklagte<br />

indes nicht erhoben. Die Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt H. rügt ein "Beweisverwertungsverbot wegen<br />

Fortwirkung der Folter" <strong>und</strong> trägt vor, entgegen den Feststellungen des Oberlandesgerichts hätten die Misshandlungen<br />

bis zu dem Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen M. fortgewirkt. Sie hält § 136a StPO für verletzt. Die<br />

Frage, ob unabhängig von den Haft- <strong>und</strong> Vernehmungsbedingungen ein Hinweis des Konsularbeamten auf die mit<br />

einer Selbstbelastung bei dem Gespräch verb<strong>und</strong>enen Gefahren notwendig gewesen wäre, wird von der Revision<br />

nicht angesprochen. Selbst der von Rechtsanwalt H. in der Hauptverhandlung erklärte Widerspruch gegen eine Vernehmung<br />

des Zeugen M. , "da bei der Vernehmung des Zeugen" (gemeint ist erkennbar: bei der Vernehmung des<br />

Angeklagten durch den Zeugen) "kein Hinweis auf ein bestehendes Aussageverweigerungsrecht erteilt wurde"<br />

knüpft an das behauptete "Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a StPO" an. Gleiches gilt für die Revisionsbegründung<br />

von Rechtsanwalt N.. Auch sie stellt die Verletzung von § 136a StPO in den Vordergr<strong>und</strong>. Sie hält die Norm<br />

mangels einer Vernehmung des Angeklagten durch den Zeugen M. zwar nicht für direkt anwendbar, knüpft aber die<br />

Unverwertbarkeit, soweit sie aus dem Gr<strong>und</strong>recht auf Achtung der Menschenwürde sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />

abgeleitet wird, an die erfolgten Misshandlungen.<br />

2. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Das Oberlandesgericht hat die Strafe aus dem Rahmen des § 129b in Verbindung<br />

mit § 129a Abs. 1 <strong>StGB</strong> (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre) entnommen <strong>und</strong> strafschärfend unter<br />

anderem die besondere Gefährlichkeit der Vereinigung Al Qaida, die mehrjährige Dauer der mitgliedschaftlichen<br />

Beteiligung <strong>und</strong> die Intensität der Beteiligungsakte gewertet, bei denen der Angeklagte insgesamt ca. 80.000 € sowie<br />

eine große Anzahl teilweise hochwertiger Ausrüstungsgegenstände an andere Mitglieder der Vereinigung weitergegeben<br />

hatte. Den Schuldgehalt der Weitergabe von Spendengeldern, durch die das Geld für Zwecke <strong>und</strong> die Tätigkeit<br />

von Al Qaida nutzbar wurde, hat das Oberlandesgericht vollständig in den mitgliedschaftlichen Betätigungsakten<br />

<strong>und</strong> demnach in der mitgliedschaftlichen Beteiligung in der terroristischen Vereinigung erfasst. Es hat deshalb den<br />

Unrechtsgehalt der Zuwiderhandlungen gegen ein EG-Embargo als reine Formalverstöße gewertet <strong>und</strong> diese bei der<br />

Strafzumessung nicht gesondert zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Der Senat schließt deshalb aus, dass sich<br />

die nunmehr vorgenommene Verfolgungsbeschränkung auf den Strafausspruch ausgewirkt hätte, wenn sie bereits im<br />

Verfahren vor dem Oberlandesgericht vorgenommen worden wäre.<br />

3. Der allein in der Änderung des Schuldspruchs bestehende Erfolg des Rechtsmittels ist nicht derartig bedeutend,<br />

dass es unbillig wäre, den Angeklagten mit den vollen Kosten seines Rechtsmittels zu belasten, § 473 Abs. 4 StPO.<br />

StPO § 154, 154a, 274 Hinweis auf Verwertung ausgeschiedener <strong>Teil</strong>e bei Beweiswürdigung <strong>und</strong><br />

Strafzumessung<br />

BGH, Beschl. v. 29.06.2010 – 1 StR 157/10 - wistra 2010, 409<br />

Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher Hinweis auf die beabsichtigte Verwertung von<br />

gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder Strafzumessung<br />

ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 29. Oktober 2009 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen Diebstahls in 19 Fällen <strong>und</strong> versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.<br />

Seine auf die zu einer Tat näher ausgeführte Sachrüge <strong>und</strong> auf zwei den Strafausspruch betreffende Verfahrensrügen<br />

gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. In einem Fall haben der Angeklagte <strong>und</strong> ein Mittäter aus einem fremden Pkw arbeitsteilig mehrere Geräte ausgebaut<br />

<strong>und</strong> unter sich aufgeteilt. Der Angeklagte hat demgegenüber angegeben, er habe zwar in Kenntnis aller Umstände<br />

den Mittäter zum Tatort gefahren, dessen Tatbegehung abgesichert <strong>und</strong> einen <strong>Teil</strong> der Beute bekommen, aber<br />

nichts selbst ausgebaut. Es kann offen bleiben, ob diese im Urteil <strong>und</strong> von der Revision eingehend behandelte Differenz<br />

für den Strafausspruch oder sogar für den Schuldspruch bedeutsam sein könnte, da die Beweiswürdigung entgegen<br />

der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei ist. Die Feststellungen beruhen auf den Angaben des Mittäters,<br />

217


dessen Angaben sich auch in einem anderen vom Angeklagten nicht eingeräumten Fall im Blick auf die Aussagen<br />

eines weiteren Mittäters als zutreffend erwiesen haben. Soweit ergänzend ausgeführt ist, der Angeklagte sei nicht der<br />

„Typ“, der abseits des Tatorts wartet, ist mit dieser umgangssprachlich formulierten Erwägung offensichtlich auf die<br />

zu den übrigen Taten gewonnenen Erkenntnisse verwiesen. Auch sonst ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.<br />

2. Gleiches gilt für den Strafausspruch. Zum Revisionsvorbringen bemerkt der Senat: Hinsichtlich der dem Angeklagten<br />

in mehreren Fällen tateinheitlich zum Diebstahl zur Last gelegten Sachbeschädigung wurde in der Hauptverhandlung<br />

gemäß § 154a StPO verfahren. Die vom Angeklagten verschuldeten Schäden sind trotzdem ausdrücklich<br />

strafschärfend berücksichtigt. In diesem Zusammenhang macht die Revision mehrere Mängel geltend:<br />

a) Der Angeklagte sei nicht auf die mögliche strafschärfende Bewertung der Sachschäden hingewiesen worden.<br />

b) In zwei Fällen seien die Schäden näher festgestellt <strong>und</strong> quantifiziert worden. Sachbeschädigung habe dem Angeklagten<br />

aber nicht nur in diesen, sondern auch in weiteren Fällen zur Last gelegen; da die Schäden strafschärfend<br />

berücksichtigt seien, sei zu besorgen, dass dies sämtliche gemäß § 154a StPO behandelten Schäden betreffe, auch<br />

soweit sie in den Urteilsgründen nicht überprüfbar dargelegt seien.<br />

3. Dieses Vorbringen bleibt erfolglos.<br />

a) Der Vortrag zu dem unterbliebenen Hinweis ist widersprüchlich (1); der Hinweis wurde erteilt (2).<br />

(1) Bei den Ausführungen zur unzulänglichen Darlegung der Schäden in den Urteilsgründen heißt es, dieser Mangel<br />

sei „unabhängig davon, ob b z w . d a s s (Hervorhebung hier vorgenommen) die Kammer hinsichtlich der ausgeschiedenen<br />

Tatteile einen solchen Hinweis gegeben hat“. Es<br />

ist als sowohl vorgetragen, dass der Hinweis nicht erteilt wurde, als auch, dass er doch erteilt wurde. In tatsächlicher<br />

Hinsicht widersprüchliches Vorbringen innerhalb der Revisionsbegründung - sei es auch in unterschiedlichen Zusammenhängen<br />

- kann aber schon im Ansatz nicht Gr<strong>und</strong>lage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein (BGH NStZ<br />

2008, 353; b. Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1). Die auf den angeblich unterbliebenen Hinweis gestützte Rüge geht<br />

daher fehl, ohne dass es auf weiteres noch ankäme.<br />

(2) Die Rüge bliebe aber auch sonst erfolglos. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich zu dem Hinweis<br />

nichts, im Urteil heißt es, der Vorsitzende habe den Hinweis erteilt. Die Revision ist im Kern darauf gestützt, ein<br />

solcher Hinweis sei als wesentliche Verfahrensförmlichkeit gemäß § 274 StPO nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll<br />

beweisbar (so ohne nähere Begründung auch OLG München NJW 2010, 1826, 1827; OLG <strong>Hamm</strong> NStZ-RR<br />

2003, 368; Beulke in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 154 Rdn. 59), nicht aber durch die Urteilsgründe (BGH<br />

NJW 1976, 977, 978; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 274 Rdn. 3 m.w.N.). Der Senat teilt diese Auffassung nicht.<br />

Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher (vgl. BGH NStZ 2004, 277, 278 m.w.N.) Hinweis auf die beabsichtigte<br />

Verwertung von gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder<br />

Strafzumessung ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Er betrifft die Tatsachengr<strong>und</strong>lage des Urteils. Bei<br />

einem anderweit erforderlichen Hinweis auf wesentliche Änderungen in tatsächlicher Hinsicht (§ 265 StPO) handelt<br />

es sich regelmäßig nicht um eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit (vgl. zusammenfassend Stuckenberg in KMR §<br />

265 StPO Rdn. 57, 61 ff. m.w.N.). Für den hier in Rede stehenden, ebenfalls Tatsachen betreffenden Hinweis kann<br />

nichts anderes gelten (vgl. Rieß NStZ 1987, 134, 135 ; Schimansky MDR 1986, 283; im<br />

Ergebnis ebenso Pelchen JR 1986, 166, 167). Auch wenn die Aufnahme eines solchen Hinweises in das - zur Dokumentation<br />

von Verfahrensgeschehen eher als das Urteil geeignete - Hauptverhandlungsprotokoll dennoch zweckmäßig<br />

ist (vgl. Schimansky aaO 284), ist dieses also nicht das einzig zulässige Beweismittel. Angesichts der Urteilsgründe<br />

ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht zweifelhaft, dass der Hinweis hier erteilt<br />

wurde.<br />

b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass im Urteil weder dem Gr<strong>und</strong>e noch der Höhe nach festgestellte Schäden strafschärfend<br />

berücksichtigt wurden. Allein daraus, dass dem Angeklagten nicht nur in den Fällen, in denen Schäden<br />

festgestellt sind, ebenfalls gemäß § 154a Abs. 2 StPO behandelte Schäden zur Last lagen, folgt dies nicht. Erhärtet<br />

wird dies dadurch, dass die ausdrücklich am jeweiligen Beutewert orientierten Einzelstrafen trotz einer gegenüber<br />

sonstigen Taten nicht wertvolleren Beute in den Fällen etwas höher sind, in denen zusätzlich noch Schäden ausdrücklich<br />

festgestellt <strong>und</strong> strafschärfend bewertet sind.<br />

218


StPO § 200 Abs. 1 Anforderungen an Anklagesatz bei Serientaten<br />

BGH, Urt. v. 02.03.2011 – 2 StR 524/10 - BeckRS 2011, 07179 1<br />

LS: Zu den Anforderungen an die Fassung des Anklagesatzes bei einer Vielzahl gleichartiger Einzelakte,<br />

die zu gleichartiger Tateinheit <strong>und</strong> damit auch prozessual zu einer Tat verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung vom 2. Februar 2011 in der Sitzung<br />

vom 2. März 2011 für Recht erkannt: Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts<br />

Frankfurt am Main vom 5. Juli 2010 aufgehoben, soweit es die Fälle 1) – 8) der Anklageschrift vom 21. Juli 2008<br />

betrifft. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten<br />

des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der Begründung eingestellt,<br />

die Anklageschrift genüge nicht den an sie gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderungen. Die<br />

hiergegen gerichtete, auf die Rüge formellen Rechts gestützte Revision hat hinsichtlich der Fälle 1) – 8) der Anklage<br />

Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.<br />

1. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 21. Juli 2008 legt dem Angeklagten Betrug in zehn<br />

Fällen in der Zeit vom 1. Juli 2000 bis 30. April 2003 zur Last. Der wegen Betruges vorbestrafte Angeklagte habe als<br />

faktischer Geschäftsführer verschiedener Firmen von ihm selbst verfasste "Informationsbriefe" mit einem Umfang<br />

zwischen 12 <strong>und</strong> 26 Seiten über einen Fax-Abruf vertrieben, bei dem der Besteller durch Anwahl einer bestimmten<br />

Nummer den Versand des Briefes auf sein eigenes Faxgerät bewirkte. Zuvor habe der Angeklagte seine Informationsbriefe<br />

über massenhaft verschickte Werbefaxe <strong>und</strong> über das Internet beworben. Die Abwicklung sei über bei<br />

einem Telefondienstleister angemietete Rufnummern erfolgt. Da der Angeklagte jeweils den teuersten Tarif gewählt<br />

habe, sei den Bestellern des Fax-Briefes eine Gebühr von 3,63 DM bzw. 1,86 Euro pro Minute berechnet worden,<br />

von der dem Angeklagten nach den Vereinbarungen mit dem Telefondienstleister ca. 60 bis 67 % zugestanden habe.<br />

Im Interesse eines maximalen Gewinns habe der Angeklagte auf verschiedene Weise - etwa durch die typografische<br />

bzw. grafische Gestaltung der Faxbriefe <strong>und</strong> die Wahl der langsamsten Übertragungsrate - dafür gesorgt, dass die<br />

Übertragungsdauer auf ein Vielfaches der üblichen Zeit verlängert worden sei. Der Angeklagte habe zwar in seinen<br />

Werbefaxen auf den Minutenpreis von 3,63 DM <strong>und</strong> später 1,86 Euro hingewiesen. Die durch die verlängerte Übertragungsdauer<br />

entstandenen unerwartet hohen Kosten seien für die Besteller jedoch nicht zu erkennen gewesen. So<br />

dauerte etwa der Abruf eines 24seitigen Faxbriefes ca. 72 Minuten <strong>und</strong> kostete den Besteller ca. 276 DM bzw. 138 €.<br />

Der Angeklagte habe die Abnehmer in seinen zu Werbezwecken verschickten Faxen aber vor allem über den Inhalt<br />

<strong>und</strong> den praktischen Nutzen der angebotenen Fax-Abrufe getäuscht. Die Informationsbriefe zu Themen wie z.B.<br />

"Banken ohne Schufa", "Traumjob Fotomodell", "Verlieben online", "Heimverdienst", "Ges<strong>und</strong>e Ernährung", "Sexlinks<br />

ohne Ende" <strong>und</strong> "Fabrikverkauf - Umgehen Sie den Einzelhandel" hätten Banalitäten enthalten, die für die<br />

meisten bzw. nahezu alle Abnehmer ohne Wert gewesen seien. Die Einnahmen des Angeklagten hätten sich im Tatzeitraum<br />

auf insgesamt 2.555.833 Euro belaufen.<br />

2. Das Landgericht hat die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO damit begründet, dass die Anklageschrift<br />

die einzelnen Taten nicht hinreichend konkretisiere. Es sei schon nicht erkennbar, an welchen Orten, zu welchen<br />

Zeiten <strong>und</strong> mit welchem Inhalt die Werbefaxe, in denen der Angeklagte über den Inhalt <strong>und</strong> den Nutzen der<br />

Informationsbriefe getäuscht <strong>und</strong> bei denen er gebotene Angaben unterlassen haben soll, versandt worden seien.<br />

Außerdem bezeichne die Anklageschrift bis auf wenige beispielhaft genannte Personen die geschädigten K<strong>und</strong>en<br />

nicht namentlich, <strong>und</strong> es sei nicht erkennbar, welche konkreten Werbemaßnahmen bzw. Manipulationen an der<br />

Übertragungszeit jeweils mit welchen Auswirkungen auf Vorstellungsbild <strong>und</strong> Motivlage einzelner Geschädigter in<br />

strafrechtlichem Zusammenhang stünden. Der Umgrenzung der Einzelakte im Verhältnis zu anderen Einzelakten<br />

komme vorliegend auch keine nur untergeordnete Bedeutung zu, da bezogen auf einen betrügerischen Geschäftsbetrieb<br />

ein einheitliches "uneigentliches" Organisationsdelikt nicht angenommen werden könne.<br />

1<br />

Beschluss wurde durch den Senat unter demselben Aktenzeichen wieder aufgehoben durch Beschl v. 13.04.2011 -<br />

2 StR 524/10 (hier zu § 356a)<br />

219


3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich der Fälle 1) bis 8) der Anklageschrift begründet. In diesen -<br />

nicht verjährten (vgl. den auf die Revision des Angeklagten ergangenen Senatsbeschluss vom heutigen Tage - 2 StR<br />

524/10) - Fällen hat die Anklage Bestand, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes<br />

enthält <strong>und</strong> damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügt.<br />

a) Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung<br />

einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen. Mängel der Informationsfunktion<br />

berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (BGHSt 44, 153, 156; LR-Stuckenberg 26. Aufl. § 200 StPO Rn. 80). Die<br />

Umgrenzungsfunktion der Anklage dient dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Gericht aufgr<strong>und</strong><br />

seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Sie erfordert neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben,<br />

welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen<br />

Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGHSt 40, 44 f.; LR-<br />

Stuckenberg 26. Aufl. § 200 StPO Rn. 18 mwN). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen<br />

gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs<br />

<strong>und</strong> Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen. Die Umstände, welche die gesetzlichen<br />

Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören dagegen - wie sich auch aus dem Wortlaut von § 200 Abs. 1 Satz<br />

1 StPO ergibt - nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem beschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist,<br />

kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles festgelegt werden. Bei einer Vielzahl<br />

gleichartig begangener Betrugsdelikte müssen zu deren Konkretisierung gr<strong>und</strong>sätzlich auch die Geschädigten der<br />

einzelnen Fälle benannt <strong>und</strong> diese so dargestellt werden, dass sie von etwaigen weiteren Fällen durch nähere Einzelheiten<br />

oder Begleitumstände unterscheidbar sind (vgl. BGH StV 2007, 171 f.; KK-Schneider 6. Aufl. § 200 StPO<br />

Rn. 11 mwN). Dies gilt jedoch nur, wenn die Serienstraftaten je für sich prozessual als selbständige Taten zu werten<br />

sind, etwa weil sie auch materiell-rechtlich in Realkonkurrenz stehen (vgl. BGH NJW 2008, 2131, 2132; NStZ 2008,<br />

352). Wird dagegen eine Vielzahl gleichartiger Einzelakte durch dieselbe Handlung des Beschuldigten zu gleichartiger<br />

Tateinheit <strong>und</strong> damit auch prozessual zu einer Tat verb<strong>und</strong>en, genügt die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion,<br />

wenn die Identität dieser Tat klar gestellt ist. Einer individualisierenden Beschreibung ihrer Einzelakte bedarf es bei<br />

einer solchen Fallgestaltung nicht, um den Prozessgegenstand unverwechselbar zu bestimmen. Darüber hinausgehende<br />

Angaben, die den Tatvorwurf näher beschreiben, können zwar erforderlich sein, um der Informationsfunktion<br />

der Anklageschrift zu genügen (dazu unten 5.); ihr Fehlen lässt jedoch deren Bestand unberührt.<br />

b) Nach diesen Maßstäben erfüllt die Anklage in den Fällen 1) bis 8) ihre Funktion, den Verfahrensgegenstand zu<br />

umgrenzen. Die allgemeine Schilderung des "Geschäftsmodells" des Angeklagten, die Bündelung einer Vielzahl von<br />

Einzelakten <strong>und</strong> Geschädigten zu einzelnen prozessualen Taten sowie die Festlegung des Zeitraums, in dem die<br />

Faxbriefe jeweils versandt wurden, reichen aus, um die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten so zu bestimmen,<br />

dass die Identität des jeweils gemeinten geschichtlichen Vorgangs hinreichend klargestellt wird <strong>und</strong> die einzelne<br />

Tat sich von anderen strafbaren Handlungen des Angeklagten unterscheiden lässt. Insbesondere ist es nicht zu<br />

beanstanden, dass die Anklage das umfangreiche Gesamtgeschehen mit Tausenden von Geschädigten zu wenigen<br />

prozessualen Taten zusammengefasst hat, die sich an den jeweils unterschiedlichen Inhalten der vom Angeklagten<br />

verfassten Faxbriefe orientieren. Insofern geht die Anklage vertretbar davon aus, dass die jeweils auf einem Tatentschluss<br />

des Angeklagten beruhende Einrichtung der Faxseiten zu einem bestimmten Thema materiell-rechtlich als<br />

eine (Täuschungs-)Handlung zu werten ist, die sukzessive eine Vielzahl gleichartiger Erfolge ausgelöst hat. Durch<br />

diese Form der Handlungseinheit werden die Einzelakte, die im Gebrauch der Abrufe durch die Geschädigten bestehen,<br />

auch prozessual zu jeweils einer Tat verb<strong>und</strong>en. Deshalb ist es entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

un-schädlich, dass die Anklage nur wenige Geschädigte ausdrücklich benennt. Der Umgrenzungsfunktion der<br />

Anklage ist in den Fällen 1) bis 8) bereits dadurch genügt, dass der zur Aburteilung gestellte Lebenssachverhalt<br />

durch die Einrichtung des jeweiligen Faxabrufs <strong>und</strong> die Angabe der Dauer seines Betriebes inhaltlich <strong>und</strong> zeitlich<br />

unverwechselbar gekennzeichnet ist. Zweifel über Fragen der Verjährung oder den Umfang des Strafklageverbrauchs<br />

können insoweit nicht aufkommen. Demgegenüber sind die Bezeichnung der Geschädigten sowie Ausführungen zu<br />

den Vorstellungen, die diese sich beim Abruf der vom Angeklagten angebotenen Inhalte gemacht haben, für die<br />

Individualisierung des zur Aburteilung gestellten Sachverhaltes nicht erforderlich, sondern konkretisieren lediglich<br />

die gesetzlichen Merkmale des Betrugs hinsichtlich der gleichartigen <strong>Teil</strong>akte der jeweiligen prozessualen Taten.<br />

Insofern ist die Unterrichtung des Angeklagten über die Einzelheiten des Schuldvorwurfs <strong>und</strong> damit die Informationsfunktion<br />

der Anklage betroffen (dazu unten 5.). Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich<br />

damit von Seriendelikten mit einer Vielzahl von auf jeweils neuen Tatentschlüssen beruhenden Handlungen, die<br />

prozessual als selbständige <strong>und</strong> in der Anklageschrift - ggf. auch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen - des-<br />

220


halb unverwechselbar zu kennzeichnende Taten zu werten sind (vgl. BGH NJW 2008, 2131, 2132; NStZ 2008, 352;<br />

Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10).<br />

4. In den Fällen 9) <strong>und</strong> 10) erfüllt die Anklage vom 21. Juli 2008 dagegen ihre Umgrenzungsfunktion nicht. Im Fall<br />

9) bleibt mit Rücksicht auf den bloßen Hinweis "ab Anfang April 2002" bereits unklar, wie lange der betreffende<br />

Faxabruf eingerichtet war <strong>und</strong> genutzt wurde. Diese Lücke kann auch nicht durch Rückgriff auf das wesentliche<br />

Ergebnis der Ermittlungen geschlossen werden. Die genaue Festlegung des Tatzeitraumes ist jedoch unabdingbar,<br />

um das dem Gericht zur Aburteilung gestellte Geschehen, Fragen der Verfolgungsverjährung sowie die Reichweite<br />

der Rechtskraft unverwechselbar zu bestimmen. Im Fall 10) ist für den Faxabruf "Gratisurlaub! Für alle Altersgruppen"<br />

keinerlei Tatzeit angegeben. Insoweit gilt das zu Fall 9) Ausgeführte. Im Übrigen besteht der Anklagesatz im<br />

Fall 10) aus Angaben zu erzielten Erlösen aus der Versendung von Informationsbriefen zu unterschiedlichsten Themen,<br />

die zum überwiegenden <strong>Teil</strong> bereits Gegenstand der angeklagten Taten 1) – 8) sind. Insoweit wird nicht deutlich,<br />

welcher hiervon unterschiedene geschichtliche Vorgang zur Aburteilung gestellt werden soll. Es mag unter<br />

Berücksichtigung der sonstigen Struktur der Anklage naheliegend erscheinen, jeweils eigenständige prozessuale<br />

Taten anzunehmen, wenn nach einer zeitlichen Zäsur von dem Angeklagten Faxabrufe zu bestimmten Themen neu<br />

aufgelegt wurden. In der Fassung der Anklageschrift kommt dies aber nicht zum Ausdruck.<br />

5. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf folgendes hin: Die Anklage genügt in den Fällen 1) bis 8) den nach<br />

§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderungen an ihre Informationsfunktion nicht. Wenngleich dies - wie<br />

dargelegt - keine Auswirkungen auf ihren Bestand hat, muss der Angeklagte jedoch so über die Einzelheiten des<br />

Tatvorwurfs unterrichtet werden, dass er in die Lage versetzt wird, sein Prozessverhalten hierauf einzustellen<br />

(BGHSt 40, 44, 47 f.; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10). Die Anklageschrift muss deshalb auch bei<br />

massenhaft begangenen Seriendelikten die mehrgliedrigen Voraussetzungen des Tatbestandes des § 263 <strong>StGB</strong>, erforderlichenfalls<br />

hinsichtlich jedes - möglicherweise zu gleichartiger Tateinheit zusammenzufassenden - schädigenden<br />

Einzelaktes konkret bezeichnen (Senat NStZ 2010, 103, 104). Aus einem - nicht notwendigerweise in der<br />

Hauptverhandlung zu verlesenden (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10) - <strong>Teil</strong> der Anklageschrift<br />

müssen sich die individuellen Merkmale der Einzeltaten ergeben; es muss daher ausgeführt werden, durch welche<br />

Tatsachen oder Vorstellungen der gesetzliche Straftatbestand jeweils erfüllt ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO). Mit<br />

Rücksicht auf die Informationsfunktion der Anklageschrift darf dabei insbesondere nicht aus dem Blick verloren<br />

werden, dass der Betrug ein gegen das Vermögen einzelner privater oder juristischer Personen gerichteter Straftatbestand<br />

ist (Senat NStZ 2010, 103, 104). Dem wird die Anklage in den Fällen 1) bis 8) nicht gerecht. Die mehreren<br />

tausend Personen, die sich des Faxabrufes des Angeklagten bedient haben, werden nicht als nach § 263 <strong>StGB</strong> geschädigte<br />

Einzelne, sondern als - weitestgehend anonym bleibende - Gruppe behandelt. Die Anklageschrift nennt nur<br />

einige wenige Geschädigte namentlich (je eine Person zu den Fällen 1, 5 <strong>und</strong> 6, zwei Personen zu Fall 2, je fünf<br />

Personen zu den Fällen 3 <strong>und</strong> 4 <strong>und</strong> sechs Personen zu Fall 8). Zum Fall 7 wird kein einziger Geschädigter mitgeteilt.<br />

Eine Individualisierung der Tatopfer <strong>und</strong> ihre Zuordnung zu einzelnen <strong>Teil</strong>akten kann danach nicht vorgenommen<br />

werden. Diese Angaben wären aber erforderlich, um dem Angeklagten die Möglichkeit zu geben, sein Prozessverhalten<br />

auf den Anklagevorwurf in seiner Gesamtheit einzustellen. Außerdem wird bei keinem der angegebenen<br />

Geschädigten klar, wann er auf das Angebot des Angeklagten eingegangen ist, welche Vorstellungen er sich dabei<br />

gemacht hat <strong>und</strong> welcher konkrete Schaden ihm entstanden ist. Trotz des Seriencharakters der angeklagten Betrugsstraftaten<br />

darf der Vorstellungshorizont der durch die Einzelakte Geschädigten nicht offen bleiben. Der Anklage ist<br />

zu entnehmen, dass die jeweiligen Abnehmer umfangreiche Informationsbriefe erhielten, deren Inhalte sich jedenfalls<br />

auf den zuvor beworbenen Themenkreis bezogen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> versteht sich die Annahme der Anklage,<br />

der Angeklagte habe "vor allem ... über den Inhalt <strong>und</strong> den praktischen Nutzen der angebotenen Faxseiten"<br />

getäuscht, zumindest nicht für jeden Abnehmer von selbst. Dies zeigt sich auch an einschränkenden Formulierungen<br />

in der Anklage wie zu Fall 3, wonach die Informationen "für nahezu alle", <strong>und</strong> zu Fall 8, wonach sie "für die meisten"<br />

Abnehmer wertlos gewesen seien. Für welche Abnehmer dies gelten soll, lässt sich an Hand der Anklageschrift<br />

nicht nachvollziehen. Dies gilt gleichermaßen für den Vorwurf, der Angeklagte habe die Übertragungszeiten bewusst<br />

verzögert. Da die Anklageschrift ausführt, dass es auch Faxabrufe mit normaler Übertragungszeit gab, ist auch insoweit<br />

eine konkrete Zuordnung möglicherweise tatbestandlich relevanter Verhaltensweisen des Angeklagten zu bestimmten<br />

Einzelakten <strong>und</strong> durch diese geschädigten Personen nicht möglich. Schließlich lässt sich der Anklage auch<br />

der Schadensumfang, von dem die Staatsanwaltschaft ausgeht, nicht hinreichend deutlich entnehmen. Der angenommene<br />

Gesamtschaden in Millionenhöhe, der sich aus einer Gleichsetzung mit den gesamten Einnahmen des<br />

Angeklagten im Tatzeitraum ergeben soll, kann nicht mit dem Hinweis auf einzelne namentlich genannte Geschädigte<br />

belegt werden, die "um die Übertragungskosten geschädigt" sind, zumal diese bei keinem Geschädigten konkret<br />

beziffert werden <strong>und</strong> die Übertragungszeit nicht bei allen Abnehmern verlängert war. Der neue Tatrichter wird den<br />

221


dargelegten Unzulänglichkeiten der Informationsfunktion der Anklageschrift durch Hinweise nach § 265 Abs. 1<br />

StPO, ggf. nach entsprechenden Nachermittlungen der Staatsanwaltschaft, Rechnung zu tragen haben.<br />

StPO § 200 Für die Hauptverhandlung genügt bei Vielzahl von Taten die „Quintessenz“ des Anklagesatzes<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 - 1 StR 429/09 - BeckRS 2011, 07914<br />

1. Werden in Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten die Einzeltaten in der Anklage<br />

derart dargestellt, dass sie in tabellarischer Form die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte,<br />

die Tatopfer <strong>und</strong> - bei Vermögensdelikten - die jeweiligen Einzelschäden umfassen <strong>und</strong> dadurch die<br />

Einzeltaten näher individualisieren, müssen diese in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden.<br />

Wird anstelle der ohnehin nicht erforderlichen Verlesung dieses <strong>Teil</strong>es des Anklagesatzes insoweit<br />

ein Selbstleseverfahren durchgeführt, erweist sich dies regelmäßig nicht als Rechtsfehler, auf dem<br />

das Urteil beruht.<br />

2. Die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

nach § 132 GVG kann als solche regelmäßig eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

nicht begründen.<br />

3. Das Ausmaß der seit den Taten vergangenen Zeit <strong>und</strong> die aus der Verfahrensdauer resultierende<br />

Belastung für den Angeklagten stellen gr<strong>und</strong>sätzlich bestimmende Strafzumessungsgründe dar.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 31. März 2009 im Strafausspruch<br />

aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung in 31 Fällen <strong>und</strong> wegen<br />

versuchten Betruges in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung in 62 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren<br />

<strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützte<br />

Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg. Im Übrigen ist es<br />

unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Angeklagte rügt die Verletzung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, da der Anklagesatz der Anklageschrift der<br />

Staatsanwaltschaft Traunstein vom 13. November 2008 nur teilweise verlesen worden sei. Dem liegt folgender<br />

Sachverhalt zu Gr<strong>und</strong>e: In der unverändert zugelassenen Anklage wurden dem Angeklagten 93 Fälle des gewerbsmäßig<br />

<strong>und</strong> als Mitglied einer Bande begangenen Betruges bzw. versuchten Betruges jeweils in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung<br />

zur Last gelegt. Der Angeklagte soll gemeinschaftlich handelnd mit den Mitangeklagten A. <strong>und</strong> B.<br />

sowie weiteren, unbekannt gebliebenen Mittätern verschiedene Personen dadurch betrügerisch geschädigt haben<br />

bzw. versucht haben betrügerisch zu schädigen, dass er <strong>und</strong> seine Mittäter sich unbefugt Kontodaten verschafften<br />

<strong>und</strong> mit diesen gefälschte Überweisungsträger <strong>und</strong> Zahlungsaufträge erstellten. Diese wurden sodann bei den jeweiligen<br />

Banken eingereicht, damit die Banken die in den Überweisungen angeführten Beträge auf Konten des Angeklagten<br />

<strong>und</strong> seiner Mittäter überweisen. Die Anklage gliedert sich in zwei Tatkomplexe. Hinsichtlich des ersten<br />

Tatkomplexes wird zunächst die allgemeine Vorgehensweise des Angeklagten <strong>und</strong> seiner Mittäter geschildert. Insoweit<br />

wird dem Angeklagten V. zur Last gelegt, dass ihm <strong>und</strong> nicht bekannten Mittätern innerhalb der Bandenstruktur<br />

„insbesondere die Organisation <strong>und</strong> Koordination der Fälschungen sowie der Abhebung der Überweisungsbeträge“<br />

oblag. Daran schließt sich die Bezifferung der Gesamtzahl der in diesem Tatkomplex angeklagten Taten <strong>und</strong> der<br />

durch sie verursachte Gesamtschaden bzw. der angestrebte Vermögensvorteil bei den Betrugstaten, die im Versuchsstadium<br />

stecken geblieben sind, an. Hinsichtlich sämtlicher anderer Einzelheiten der insgesamt 76 Taten dieses Tatkomplexes<br />

wird auf eine 16 Seiten umfassende Tabelle verwiesen, die sich im Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen<br />

der Anklageschrift befindet. Hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes findet sich im konkreten Anklagesatz auf<br />

den Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift unmittelbar nach der Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten <strong>und</strong><br />

seiner Mittäter, die im Wesentlichen der bereits im Tatkomplex 1 erfolgten Schilderung entspricht, die Tabelle mit<br />

222


den die Einzeltaten konkretisierenden Tatdaten. Daran schließt sich der abstrakte Anklagesatz an; sodann folgt das<br />

Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen. In der Hauptverhandlung wurde vor Verlesung des Anklagesatzes hinsichtlich<br />

der Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift, die die Tabelle der Einzeldaten der Taten des zweiten Tatkomplexes<br />

beinhalteten, das Selbstleseverfahren in entsprechender Anwendung von § 249 Abs. 2 StPO angeordnet. Es wurde<br />

festgestellt, dass die Richter, die Schöffen, der Staatsanwalt, die drei Angeklagten <strong>und</strong> die Verteidiger Ausfertigungen<br />

der Anklageschrift zur Verfügung haben, um diese selbst lesen zu können; der Angeklagte V. hatte eine französische<br />

Übersetzung der Anklage erhalten. Daran anschließend verlas der Staatsanwalt den ersten <strong>Teil</strong> des Anklagesatzes,<br />

der die Schilderung der allgemeinen Vorgehensweise des Angeklagten <strong>und</strong> seiner Mittäter in Tatkomplex 1<br />

<strong>und</strong> 2 umfasste. Sodann wurde die Selbstleseverfügung des Vorsitzenden ausgeführt, hierfür die Hauptverhandlung<br />

aber nicht unterbrochen, um den Angeklagten <strong>und</strong> den Verteidigern zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit zu geben,<br />

die Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift zu lesen. Es wurde festgestellt, dass die Mitglieder des Gerichts die Seiten 5<br />

bis 10 der Anklageschrift gelesen haben <strong>und</strong> die übrigen Beteiligten Gelegenheit hatten, vom Wortlaut „der Urk<strong>und</strong>en“<br />

Kenntnis zu nehmen. Daran anschließend verlas der Staatsanwalt den restlichen Anklagesatz. Nach Feststellung<br />

der Anklagezulassung, der Bekanntgabe eines Verteidigerschriftsatzes, der Mitteilung, dass ein Dolmetscher zum<br />

Fortsetzungstermin erscheinen würde, <strong>und</strong> der Belehrung der Angeklagten wurde die Hauptverhandlung für fünfzig<br />

Minuten unterbrochen. Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung erklärte der Verteidiger des Mitangeklagten A.,<br />

dass der Vorwurf in der Anklageschrift in vollem Umfang eingeräumt werde. Auf Frage erklärte der Mitangeklagte<br />

A., dass dies auch seiner Einlassung entspreche. Der Verteidiger des Angeklagten V. erklärte zur Sache, dass sein<br />

Mandant die Vorwürfe in der Anklage einräumen würde. Er lege aber Wert auf die Feststellung, dass er keine<br />

„Chefposition“ inne gehabt habe. In diesem Sinne äußerte sich sodann der Angeklagte V. selbst zur Sache.<br />

2. Die Frage, ob der Anklagesatz den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 StPO genügt, wenn<br />

einem Angeklagten eine große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus<br />

operandi folgen, <strong>und</strong> im Anklagesatz, der allein in der Hauptverhandlung verlesen wird, neben der Schilderung der<br />

gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten,<br />

der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden <strong>und</strong> die Einzelheiten der Taten ergänzend in einem<br />

anderen, nicht zu verlesenden <strong>Teil</strong> der Anklageschrift detailliert beschrieben sind, hat der Senat gemäß § 132 Abs. 2<br />

<strong>und</strong> 4 GVG in einem anderweitigen Verfahren - nach Anfrage bei den übrigen Strafsenaten (§ 132 Abs. 3 GVG) -<br />

dem Großen Senat für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zur Entscheidung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 24.<br />

Februar 2010 - 1 StR 260/09, NJW 2010, 1386). Dieser hat mit Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10 - wie<br />

folgt entschieden: „In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine<br />

gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes i.S.d. § 243<br />

Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung,<br />

welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Taten, der<br />

Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden<br />

tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht. “ Demnach<br />

muss der konkrete Anklagesatz in den einschlägigen Verfahren einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung,<br />

welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die<br />

Bestimmung des Tatzeitraums sowie bei Vermögensdelikten die Bezifferung des Gesamtschadens umfassen. Andererseits<br />

ist - nach wie vor - auch die Auflistung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten<br />

oder - namentlich in Fällen der Bewertungseinheit oder der un-eigentlichen Organisationsdelikte - die Auflistung<br />

der Einzelakte der Taten <strong>Teil</strong> des konkreten Anklagesatzes. Eine Ausgliederung der letztgenannten Auflistungen<br />

der Tatdetails in das Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder an eine andere Stelle der Anklage ist demnach<br />

mit § 200 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vereinbar. Auf die Gr<strong>und</strong>lage der Entscheidung des Großen<br />

Senats für Strafsachen brauchen diese detaillierten Auflistungen, die regelmäßig in tabellarischer Form die konkreten<br />

Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer <strong>und</strong> - bei Vermögensdelikten - die jeweiligen Einzelschäden umfassen <strong>und</strong><br />

dadurch die Einzeltaten näher individualisieren, jedoch nicht in der Hauptverhandlung verlesen zu werden. Zu verlesen<br />

ist lediglich die - regelmäßig in Fließtext abgefasste - allgemeine Schilderung der gleichartigen Tatausführung, in<br />

der - quasi als „Quintessenz“ vor die Klammer gezogen - die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands dargelegt<br />

werden, die für alle Einzeltaten einheitlich gegeben sind.<br />

3. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> erweist sich die Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO als unbegründet.<br />

a) Dem Angeklagten lag eine Vielzahl von Taten zur Last, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet<br />

waren. Insoweit waren die Voraussetzungen gegeben, die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen<br />

eine Beschränkung des in der Hauptverhandlung zu verlesenden Anklagesatzes auf die Schilderung der gleichartigen<br />

Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Taten,<br />

223


den Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten den Gesamtschaden, er-möglichten. Der in der Hauptverhandlung<br />

verlesene Anklagesatz genügte diesen Anforderungen. Die Mitglieder des Tatgerichts - namentlich die Schöffen -<br />

wurden darüber hinaus durch die Aushändigung der Anklageschrift, in der die Einzeltaten aufgelistet waren, informiert.<br />

b) Der Umstand, dass hinsichtlich des Tatkomplexes 1 die näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der<br />

Einzeltaten in Tabellen enthalten waren, die nicht <strong>Teil</strong> des Anklagesatzes i.S.v. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. §<br />

200 Abs. 1 StPO, sondern <strong>Teil</strong> des Wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen waren, stellt keinen Rechtsfehler dar,<br />

auf dem das Urteil beruht.<br />

aa) Die unvollständige Fassung des Anklagesatzes stellt keinen Rechtsfehler dar, der dazu führen würde, dass die<br />

Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht gewährleistet wäre. Auch wenn der Anklagesatz lückenhaft ist, erfüllt die<br />

Anklage die Umgrenzungsfunktion doch hinreichend, wenn der Angeklagte die einzelnen Tatvorwürfe dem Wesentlichen<br />

Ergebnis der Ermittlungen entnehmen kann (BGH, Urteil vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05, NStZ 2006,<br />

649). Dies ist hier der Fall. Anderes behauptet auch die Revision nicht.<br />

bb) Aufgr<strong>und</strong> der oben genannten Gründe waren diese näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der<br />

Einzeltaten oder der Einzelakte nicht in der Hauptverhandlung zu verlesen. Die Informationsfunktion, die der Verlesung<br />

des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung zukommt, wird daher durch die rechtsfehlerhafte Fassung des<br />

Anklagesatzes bereits nicht berührt.<br />

cc) Darüber hinaus entfaltet die Anklage ihre Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten <strong>und</strong> seinem Verteidiger<br />

im Wesentlichen dadurch, dass sie vollumfänglich dem Angeschuldigten <strong>und</strong> seinem Verteidiger alsbald nach<br />

Eingang durch den Vorsitzenden des Gerichts mitzuteilen ist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. BGH [GS], Beschluss<br />

vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10 Rn. 25). Auch insoweit wirkt sich die vorliegende Fassung des Anklagesatzes nicht<br />

zum Nachteil des Angeklagten aus. Wenngleich die Einzeltaten nicht Gegenstand des Anklagesatzes waren, sondern<br />

in Tabellen aufgeführt wurden, die sich an anderer Stelle in der Anklage befanden, wurde der Angeklagte durch die<br />

Anklageschrift, die ihm in französischer Übersetzung mitgeteilt wurde <strong>und</strong> ihm in dieser Form in der Hauptverhandlung<br />

vorlag, in ihrer Gesamtheit über die Einzelheiten des Anklagevorwurfs so ausreichend unterrichtet, dass hinreichende<br />

Gelegenheit bestand, das Prozessverhalten hierauf einzustellen (vgl. auch BVerfG NStZ 2004, 214).<br />

c) Hinsichtlich des 2. Tatkomplexes genügt der konkrete Anklagesatz den Anforderungen an die Fassung des Anklagesatzes.<br />

Er enthält einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen<br />

Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die Bestimmung des Tatzeitraums <strong>und</strong> die Bezifferung<br />

des Gesamtschadens sowie andererseits die näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten,<br />

die in einer Tabelle zusammengefasst wurden. Ein Rechtsfehler besteht insoweit nicht. Da auch in diesem<br />

Tatkomplex dem Angeklagten eine Vielzahl von Taten zur Last lagen, die durch eine gleichartige Begehungsweise<br />

gekennzeichnet sind, waren auch insoweit - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei Abfassung des Anklagesatzes<br />

- die Voraussetzungen für eine Beschränkung des in der Hauptverhandlung zu verlesenden Anklagesatzes<br />

objektiv gegeben; die Tabellen auf den Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift mussten daher nicht verlesen werden.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist der Umstand, dass die Tabellen auf den Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift in entsprechender<br />

Anwendung des § 249 Abs. 2 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt wurden oder aber eingeführt werden<br />

sollten, unschädlich. Zwar sind die Regelungen über das Selbstleseverfahren auf die Verlesung des Anklagesatzes<br />

nicht übertragbar (BGH [GS], Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10, Rn. 17). Wird aber anstelle der nach den<br />

vorgenannten Gr<strong>und</strong>sätzen ohnehin nicht erforderlichen Verlesung dieses <strong>Teil</strong>es des Anklagesatzes insoweit - wie<br />

hier - ein Selbstleseverfahren durchgeführt, erweist sich dies regelmäßig nicht als Rechtsfehler, auf dem das Urteil<br />

beruht. Umstände, die vorliegend ein anderes Ergebnis begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.<br />

Namentlich ist eine Beschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten des verteidigten Angeklagten durch die<br />

bei den beiden Tatkomplexen unterschiedlich praktizierte Vorgehensweise nicht erkennbar.<br />

4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch die Bemessung der Einzelstrafen<br />

<strong>und</strong> der Gesamtfreiheitsstrafe durch das Landgericht weist keinen Rechtsfehler auf. Gleichwohl können die verhängten<br />

Einzelstrafen keinen Bestand haben, da der seit Erlass des landgerichtlichen Urteils verstrichene Zeitraum eine<br />

neue Strafzumessung bedingt.<br />

a) Seit Verkündung des landgerichtlichen Urteils sind zwischenzeitlich knapp zwei Jahre vergangen. Gut vier Monate<br />

<strong>und</strong> zwei Wochen entfielen dabei auf die Absetzung <strong>und</strong> Zustellung des Urteils sowie auf die Abfassung der Revisionsbegründungen,<br />

die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die Antragsschriften des Generalb<strong>und</strong>esanwalts.<br />

Nach Eingang der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts am 13. August 2009 <strong>und</strong> der diesbezüglichen Gegenerklärung<br />

des Angeklagten vom 17. August 2009 wurde die Entscheidung über die Revision des Angeklagten mit<br />

Blick auf das oben genannte Anfrage- <strong>und</strong> Vorlageverfahren zurückgestellt, das mit dem Anfragebeschluss des Se-<br />

224


nats nach § 132 Abs. 3 GVG vom 2. September 2009 (1 StR 260/09; NStZ 2009, 703) eingeleitet worden war. Die<br />

dortige Rechtsfrage war auch für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren von Bedeutung, weshalb die Zurückstellung<br />

der Entscheidung geboten war. Die Durchführung des Anfrage- <strong>und</strong> Vorlageverfahrens nach § 132 GVG<br />

nahm gut ein Jahr <strong>und</strong> vier Monate in Anspruch. Seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen mit Beschluss<br />

vom 12. Januar 2011 sind weitere zwei Monate vergangen, innerhalb derer der Beschluss des Großen Senats<br />

dem Angeklagten zur Kenntnis gebracht <strong>und</strong> ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde.<br />

b) Bei dieser Sachlage ist keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben, die in Anwendung der Gr<strong>und</strong>sätze<br />

der Vollstreckungslösung durch Bestimmung eines als vollstreckt geltenden <strong>Teil</strong>s der Gesamtfreiheitsstrafe zu<br />

kompensieren wäre (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).<br />

aa) Die außerhalb des Anfrage- <strong>und</strong> Vorlageverfahrens verstrichenen Zeiträume resultieren im Wesentlichen aus<br />

gesetzlich vorgesehenen Fristen <strong>und</strong> den Verfahrensabläufen eines Revisionsverfahrens. Sie erweisen sich insoweit<br />

nicht als beanstandungswürdig (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 1 StR 445/03, NStZ 2004, 504,<br />

505).<br />

bb) Daneben kann die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

nach § 132 GVG als solche regelmäßig eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht begründen.<br />

Wegen der großen Bedeutung der dem Großen Senat für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vorgelegten Rechtsfragen<br />

<strong>und</strong> ihrer Schwierigkeit erfordert das vorausgehende Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG ebenso wie das<br />

Vorlageverfahren selbst eine eingehende <strong>und</strong> zeitintensive Befassung zunächst sämtlicher Strafsenate des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

<strong>und</strong> sodann des Großen Senats für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 15.<br />

Dezember 2005 - 3 StR 61/02, NStZ-RR 2007 [bei Becker], 293).<br />

c) Gleichwohl können die - an sich rechtsfehlerfrei bemessenen - Einzelstrafen keinen Bestand haben. Der Umstand,<br />

dass nach Erlass des tatrichterlichen Urteils ein nicht unerheblicher Zeitraum verstrichen ist, muss vorliegend zu<br />

Gunsten des Angeklagten strafmildernd Berücksichtigung finden, da er dies nicht zu vertreten hat (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 26. Januar 2006 - 3 StR 415/02, NStZ-RR 2006, 187, 188). Das Ausmaß der seit den Taten vergangenen Zeit<br />

<strong>und</strong> die aus der Verfahrensdauer resultierende Belastung für den Angeklagten stellen gr<strong>und</strong>sätzlich bestimmende<br />

Strafzumessungsgründe dar. Diese Umstände konnte das Landgericht bei der Bemessung der Strafen nicht berücksichtigen,<br />

da sie erst nach Erlass des tatrichterlichen Urteils entstanden sind. Sie sind nunmehr festzustellen <strong>und</strong> in<br />

wertender Betrachtung bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens bereits bei der<br />

Bemessung der Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt<br />

1/07, BGHSt 52, 124 Rn. 55).<br />

d) Die Feststellung dieser Umstände <strong>und</strong> deren Bewertung obliegt dem neuen Tatgericht. Eine in entsprechender<br />

Anwendung des § 354 Abs. 1a StPO erfolgende Herabsetzung der Einzelstrafen durch den Senat scheidet vorliegend<br />

aus. Der Senat kann nicht ausschließen, dass in der Zeit nach Erlass des tatgerichtlichen Urteils neue Umstände, die<br />

im vorgenannten Sinne für die Bemessung der Strafe bedeutsam sein könnten, eingetreten sind. Insoweit bedarf es<br />

eines zutreffend ermittelten, vollständigen <strong>und</strong> aktuellen Strafzumessungssachverhalts (vgl. BVerfG NJW 2007,<br />

2977, 2980 f.). Mit Blick auf das insoweit zu beachtende Verfahren (vgl. BVerfG aaO) würde eine Herabsetzung der<br />

Einzelstrafen durch den Senat im Vergleich zur Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung der Sache keine wesentliche<br />

Beschleunigung darstellen.<br />

5. Die Aufhebung der Einzelstrafen führt zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe. Einer Aufhebung der insoweit<br />

rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es nicht. Diese sind unter Berücksichtigung der nunmehr neu zu<br />

treffenden Feststellungen durch das neue Tatgericht, das in Anbetracht der bereits bisher verstrichenen Zeit eine<br />

möglichst zeitnahe Entscheidung herbeiführen sollte, nochmals zu werten.<br />

StPO § 206 a; <strong>StGB</strong> § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 Verbrauch der Strafklage<br />

BGH, Beschl. v. 20.09.2010 – 4 StR 408/10 - NJW 2011, 792<br />

LS: Zum Umfang des Verbrauchs der Strafklage in Fällen der wiederholten Verwirklichung des<br />

Tatbestandes der Geldfälschung.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 20. September 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

225


1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22. April 2010 im Schuldspruch<br />

dahin geändert, dass der Angeklagte der Anstiftung zur Geldfälschung schuldig ist.<br />

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten<br />

verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützte Revision führt<br />

auf die Sachrüge zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des §<br />

349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Nach den Feststellungen überließ der Angeklagte dem Zeugen S., dem er bereits im Herbst 2004 „einen falschen<br />

10,-- €-Schein als Muster“ übergeben hatte, „um Weihnachten 2004 herum" mindestens 3.900 falsche 10 Euro-<br />

Scheine. Er teilte dem Zeugen hierbei mit, dass es sich um Falschgeld handeln würde; zugleich vereinbarte er mit S.,<br />

dass das Falschgeld als Sicherheit für einen von ihm - dem Angeklagten - geschuldeten Geldbetrag dienen sollte.<br />

"Um die Jahreswende 2005/2006 herum" erklärte der Angeklagte dem Zeugen, dass er seine Schulden nicht begleichen<br />

könne; er forderte den Zeugen zum Weiterverkauf des Falschgeldes auf. Dementsprechend verkaufte S. das<br />

Falschgeld im Rahmen von drei Absatzgeschäften.<br />

II. Die erhobene Rüge der Verletzung formellen Rechts ist bereits unzulässig (vgl. insbesondere BGHSt 40, 3, 5;<br />

BGH, Beschluss vom 8. Mai 2003 - 5 StR 120/03, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 40).<br />

III.<br />

1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei mit Blick auf die Aushändigung des Falschgeldes an S. "um<br />

Weihnachten des Jahres 2004 herum" wegen Geldfälschung gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> zu bestrafen (UA 19),<br />

ist rechtsfehlerhaft. Zwar kann die Tatbestandsvariante des Inverkehrbringens auch durch die Hingabe von Falschgeld<br />

als Sicherheit erfüllt werden (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder <strong>StGB</strong> 28. Aufl. § 146 Rn. 21). Das<br />

Landgericht hat aber nicht bedacht, dass der Angeklagte durch Strafbefehl vom 16. März 2005, rechtskräftig seit dem<br />

20. April 2005, wegen Inverkehrbringens von Falschgeld zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Dem liegt zu<br />

Gr<strong>und</strong>e, dass der Angeklagte am 21. März 2004 eine Rechnung mit drei unechten 10-Euro-Scheinen bezahlt hatte.<br />

Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hatte der Angeklagte "spätestens im Herbst 2004 … eine größere<br />

Summe Falschgeld in Form von nachgemachten 10,-- €-Scheinen im Nennwert von mindestens 39.000 Euro in seinen<br />

Besitz gebracht“ (UA 5). Es handelte sich hierbei um dieselbe Fälschungsklasse, der auch die drei unechten, am<br />

21. März 2004 benutzten Banknoten zugehörten (UA 17, 21). Die Strafkammer geht selbst davon aus, dass es "ohne<br />

weiteres plausibel (ist), dass der Angeklagte, nachdem er zuvor bei dem Versuch ertappt worden ist, das in seinem<br />

Besitz befindliche Falschgeld selbst in Verkehr zu bringen, weitere Absatzgeschäfte als zu risikoreich beurteilt hat<br />

<strong>und</strong> sich dazu entschlossen hat, das Falschgeld zunächst als Sicherheit <strong>und</strong> später zur Tilgung seiner bei dem Zeugen<br />

S. bestehenden <strong>und</strong> von diesem mit Nachdruck eingeforderten Schulden weiterzugeben" (UA 17).<br />

2. Danach steht einer Aburteilung der Weitergabe des Falschgeldes um Weihnachten des Jahres 2004 herum die<br />

Rechtskraft des Strafbefehls vom 16. März 2005 entgegen (§ 410 Abs. 3 StPO). Es ist nach den Ausführungen des<br />

angefochtenen Urteils zumindest nicht auszuschließen, dass das mit dem Strafbefehl abgeurteilte Inverkehrbringen<br />

von Falschgeld dieselbe Falschgeldmenge betraf, aus der auch die zu Weihnachten 2004 dem Zeugen S. übergebenen<br />

Falsifikate stammten; insoweit ist vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom<br />

30. Juli 2009 - 3 StR 273/09, NStZ 2010, 160).<br />

3. Dies führt hier allerdings nicht zu einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO, sondern nur zu einer<br />

Änderung des Schuldspruchs. Denn der Angeklagte hat den Zeugen S. "um die Jahreswende 2005/2006 herum"<br />

aufgefordert, das Falschgeld weiter zu verkaufen. Zwar hat er sich hierdurch nicht einer "erneuten" mittäterschaftlichen<br />

Verwirklichung des § 146 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong> schuldig gemacht. Denn Mittäter nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong><br />

kann nur sein, wer bereits Mittäter des Delikts nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 <strong>StGB</strong> war (Ruß in LK 12. Aufl. § 146<br />

Rn. 29); eine solche Mittäterschaft liegt beim Angeklagten <strong>und</strong> dem Zeugen S. nicht vor. Jedoch hat der Angeklagte<br />

diesen Zeugen durch die vorgenannte Aufforderung dazu bestimmt, das falsche Geld, das der Zeuge sich unter den<br />

Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>StGB</strong> verschafft hatte, als echt in Verkehr zu bringen. Hierunter fällt auch<br />

der Absatz durch einen Eingeweihten (vgl. BGHSt 35, 21, 23; 42, 162, 168). Die der Rechtskraft des Strafbefehls<br />

zeitlich nachfolgende Anstiftungshandlung wird vom Verbrauch der Strafklage nicht umfasst (vgl. Ruß aaO § 146<br />

Rn. 3). Der Angeklagte hat sich daher gemäß § 26 <strong>StGB</strong> der Anstiftung zum Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 3<br />

<strong>StGB</strong> schuldig gemacht. Der Vorwurf der Anstiftung ist von der zugelassenen Anklage umfasst. Die Aufforderung<br />

des Zeugen zum Weiterverkauf des ihm zuvor als Sicherheit überlassenen Falschgeldes ist im konkreten Anklagesatz<br />

beschrieben. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab; dem steht § 265 StPO nicht entgegen, weil ausge-<br />

226


schlossen werden kann, dass der in der Hauptverhandlung schweigende Angeklagte sich gegen den geänderten Vorwurf<br />

erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Dazu bietet auch die im angefochtenen Urteil wiedergegebene<br />

Aussage des Angeklagten als Zeuge in dem vor dem Landgericht Heidelberg geführten Verfahren gegen S.<br />

keinerlei Anhalt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer den Angeklagten milder bestraft hätte, hätte sie erkannt,<br />

dass er sich nicht als Täter, sondern als Anstifter schuldig gemacht hat; nach § 26 <strong>StGB</strong> wird der Anstifter<br />

gleich einem Täter bestraft. Aus den Strafzumessungserwägungen der Strafkammer ergeben sich keine Anhaltspunkte,<br />

dass es sich im konkreten Fall anders verhalten könnte; das gilt auch unter Berücksichtigung des im Urteil vorgenommenen<br />

Härteausgleichs (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1990 – 3 StR 59/ 89, BGHR <strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Satz 1<br />

Härteausgleich 3; Fischer <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 55 Rn. 21a).<br />

StPO § 213 HV-Terminsabstimmung mit den Beteiligten<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 1 StR 123/10 - NStZ-RR 2010, 312<br />

Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts bestimmt (§ 213<br />

StPO). Gleichwohl ist es gerade in Großverfahren regelmäßig angezeigt, mit den Verfahrensbeteiligten<br />

(insbesondere mit den Wahlverteidigern des Vertrauens, aber etwa auch mit dem Sachbearbeiter<br />

der Staatsanwaltschaft) die Hauptverhandlungstermine abzustimmen, dies jedenfalls zu versuchen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 14. Juli 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das<br />

Urteil des Landgerichts Koblenz vom 23. Juli 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2<br />

StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Der Beschwerdeführer<br />

rügt, die Festsetzung der Hauptverhandlungstage („Mittwochsterminierung“) habe zu einer unzulässigen<br />

Einschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) bzw. zu einer Verletzung des Rechts des Angeklagten,<br />

sich auch in der Hauptverhandlung des Beistands eines oder auch mehrerer (§ 137 Abs. 1 Satz 2 StPO) <strong>Rechtsanwälte</strong><br />

seines Vertrauens zu bedienen, geführt. Der Strafkammervorsitzende hat die vom 7. Februar 2008 bis zum 23. Juli<br />

2009 währende Hauptverhandlung bis auf wenige Ausnahmen auf Mittwoch terminiert. Insbesondere mittwochs war<br />

aber der 2. Wahlverteidiger des Angeklagten, Prof. Dr. A., wegen seiner Tätigkeit als Hochschullehrer weitgehend<br />

verhindert, jedenfalls während des Semesters. Von der Terminierung erfuhr Prof. Dr. A., der sich bereits während<br />

des Ermittlungsverfahrens legitimiert hatte, zufällig. Denn wegen eines EDV-Versehens beim Landgericht war er<br />

zunächst nicht zur Hauptverhandlung geladen <strong>und</strong> auch nicht zu einem vom Vorsitzenden angebotenen Vorbesprechungstermin<br />

am 10. Januar 2008 eingeladen worden. Ebenso hatte schon die Staatsanwaltschaft vergessen, Prof. Dr.<br />

A. in der Anklageschrift als Verteidiger zu benennen, weshalb ihm die Anklage zunächst auch nicht zugestellt worden<br />

war. Die ausführlich begründeten Bitten des Verteidigers, auf andere Wochentage auszuweichen, wurden abgelehnt,<br />

im Kern mit folgender Begründung: „Angesichts der Vielzahl der Verfahrensbeteiligten sowie der Terminslage<br />

der Kammer“ könne dem Antrag leider nicht entsprochen werden. Die regulären Sitzungstage (Dienstag <strong>und</strong><br />

Donnerstag) der Strafkammer müssten „für die Terminierung von erstinstanzlichen Verfahren zur Verfügung stehen,<br />

da nur an diesen Tagen mit der Hauptverhandlung begonnen werden kann“, sowie zur Verhandlung vorrangiger<br />

Haftsachen freigehalten werden. Die Freitage seien durch Anhörungen der Strafvollstreckungskammer, die identisch<br />

besetzt sei, belegt. Und montags fänden die Beratungen <strong>und</strong> Beschlussfassungen der Strafkammer statt. Die Terminierung<br />

führte dazu, dass Prof. Dr. A. häufig an der <strong>Teil</strong>nahme an der Hauptverhandlung gehindert war. Der Angeklagte<br />

war aber in der Regel durch seinen 1. Wahlverteidiger, Rechtsanwalt Dr. E., vertreten, wie auch durch Steuerberaterin<br />

T.. An den Mittwochen 28. Januar 2009 <strong>und</strong> 25. Februar 2009 waren allerdings sowohl Rechtsanwalt Dr. E.<br />

als auch Prof. Dr. A. verhindert, was den Vorsitzenden nicht davon abhielt, auch auf diese Tage Termin zu bestimmen<br />

<strong>und</strong> nicht beispielsweise ausnahmsweise montags. Rechtsanwalt Dr. E. erteilte einem Kollegen dann Untervollmacht<br />

zur Verteidigung des Angeklagten. Allerdings sah die Strafkammer davon ab, an diesem Tag Zeugen zu<br />

vernehmen. Beschwerden gegen die Ablehnung von Anträgen auf Verlegung der Hauptverhandlungstermine wurden<br />

vom Oberlandesgericht mit Beschlüssen vom 7. Februar 2008 <strong>und</strong> 16. Februar 2009 als unzulässig verworfen, da von<br />

einer - evident - rechtswidrigen Terminsbestimmung nicht die Rede sein könne. Den mit der 2. Beschwerde gestellten<br />

Antrag des Angeklagten, das Verfahren bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts auszusetzen, hat die Strafkammer<br />

mit Beschluss vom 28. Januar 2009 zurückgewiesen. Die Terminplanung in diesem Fall gibt Anlass zu<br />

227


folgenden Hinweisen: Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts bestimmt (§ 213<br />

StPO). Gleichwohl ist es gerade in Großverfahren regelmäßig angezeigt, mit den Verfahrensbeteiligten (insbesondere<br />

mit den Wahlverteidigern des Vertrauens, aber etwa auch mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft) die<br />

Hauptverhandlungstermine abzustimmen, dies jedenfalls zu versuchen (vgl. BGH, Beschl. vom 18. Dezember 1997 -<br />

1 StR 483/97 - [BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene]; Beschl. vom 29. August 2006 - 1 StR<br />

285/06 [BGHR StPO § 213 Ermessen 1]; Beschl. vom 9. November 2006 - 1 StR 474/06 - Rdn.16; vom 20. März<br />

2008 - 1 StR 488/07 - Rdn. 36 [BGHR StPO § 213 Terminierung 1]). Findet der Versuch einer Terminsabsprache<br />

nicht statt, muss sich der Vorsitzende bei substantiierten Verlegungsanträgen eines Verteidigers, der das Vertrauen<br />

des Angeklagten genießt, jedenfalls ernsthaft bemühen, dessen nachvollziehbarem Begehren im Rahmen der zeitlichen<br />

Möglichkeiten der Strafkammer - <strong>und</strong> anderer Verfahrensbeteiligter - Rechnung zu tragen. Dies gilt im besonderen<br />

Maße, wenn der Verteidiger - wie hier - durch der Justiz zuzurechnende Versehen mehrfach übergangen worden<br />

war. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> vermag die Argumentation der Strafkammer bzw. des Vorsitzenden für die „Mittwochsterminierung“<br />

für sich betrachtet nur wenig zu überzeugen. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass es<br />

kaum nachvollziehbar ist, warum nicht Beratungen zuweilen mittwochs stattfinden können <strong>und</strong> am Montag eine<br />

Verhandlung. Bei einer Wirtschaftsstrafkammer beginnen auch wohl kaum in jeder Woche neue Hauptverhandlungen,<br />

für die ordentliche Sitzungstage benötigt werden. Im Übrigen kann ein ordentlicher Sitzungstag, wenn dieser<br />

Tag zufällig bereits durch einen Fortsetzungstermin belegt ist, verlegt werden oder es kann u.U. auch ein außerordentlicher<br />

Sitzungstag (mit Ersatzschöffen) anberaumt werden. Trotzdem war die wenig flexible Haltung der Strafkammer,<br />

bzw. des Vorsitzenden, hier wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falls letztlich nicht ausschlaggebend<br />

dafür, dass Prof. Dr. A. dem Angeklagten nur einschränkt in der Hauptverhandlung beistehen konnte. Nach<br />

dem Revisionsvorbringen war Prof. Dr. A. während der Zeitspanne, in der die Hauptverhandlung vor dem Landgericht<br />

in dieser Sache durchgeführt wurde, in so hohem Maß durch seine wissenschaftliche Tätigkeit als Forschungsgruppenleiter<br />

des Ma. -Instituts in F. - das er auch noch in weiteren Gremien zu vertreten hatte -, durch seine Professur<br />

in M. sowie die dadurch notwendigen Reisetätigkeiten geb<strong>und</strong>en, dass sich die Terminierung letztlich nahezu<br />

ausschließlich an seinen - begrenzten - zeitlichen Möglichkeiten hätte orientieren müssen. Dem musste das Landgericht<br />

in so einem umfangreichen Verfahren wie hier mit einigen Verfahrensbeteiligten (zunächst wurde gegen drei<br />

Angeklagte verhandelt) nicht entsprechen. Da Prof. Dr. A. - verständlicherweise - seiner umfangreichen wissenschaftlichen<br />

(Haupt-)tätigkeit den Vorrang einräumte, war er letztlich an einer umfassenden Verteidigung des Angeklagten<br />

in dieser Hauptverhandlung, aus Gründen, die in der Person des Verteidigers selbst liegen, von vorneherein<br />

gehindert.<br />

StPO § 229 Mitteilung, dass Zeuge (der Verteidigung) geladen wird, ist Sachverhandlung<br />

BGH, Urt. v. 19.08.2010 – 3 StR 98/10 - NStZ 2011, 229<br />

Die Mitteilung des Vorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag (der Verteidigung) benannten<br />

Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sollen, erfüllt die Kriterien für eine wirksame<br />

Fortsetzung der Hauptverhandlung im Sinne der Unterbrechungsvorschriften.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. September 2009 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung <strong>und</strong> gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung<br />

einer Vorstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet<br />

sich der Angeklagte mit seiner auf Rügen der Verletzung formellen <strong>und</strong> sachlichen Rechts gestützten Revision. Das<br />

Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Zu<br />

der Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe gegen § 229 Abs. 1 <strong>und</strong> 4 StPO verstoßen, da der Sitzungstag<br />

vom 25. August 2009 keine Fortsetzung der Hauptverhandlung im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO<br />

gewesen sei, bemerkt der Senat ergänzend: Es kann dahinstehen, ob die an diesem Tag erfolgte Neubestellung der<br />

Nebenklagevertreterin ("Umbeiordnung") eine Verhandlung zur Sache im Sinne der Unterbrechungsvorschriften<br />

darstellt. Jedenfalls die Mitteilung des Vorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag (der Verteidigung) benannten<br />

Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sollen, erfüllt die Kriterien für eine wirksame Fortsetzung der<br />

Hauptverhandlung in diesem Sinne; denn sie diente der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, dass dem<br />

228


Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 1994 - 3 StR 439/92,<br />

bei Kusch NStZ 1995, 18, 19 Nr. 8). Hieran hält der Senat fest.<br />

StPO § 243 Abs. 3 Satz 1 Verlesung des Anklagesatzes bei Vielzahl gleichförmiger Taten<br />

BGH, Beschl. v. 12.01.2011 – GSSt 1/10 - NStZ 2011, 297= NJW 2011, 1687 = BGHSt 56, 109<br />

LS: In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine<br />

gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes<br />

i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird,<br />

als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands<br />

erfüllt, beschrieben <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten<br />

der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen<br />

Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht.<br />

Der Große Senat für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 12. Januar 2011 beschlossen: In Strafverfahren<br />

wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet<br />

sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan,<br />

wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des<br />

jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten<br />

der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen<br />

Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht.<br />

Gründe:<br />

I. Die Vorlage des 1. Strafsenats betrifft den Umfang der Anforderungen an die Tatschilderung in dem zu verlesenden<br />

Anklagesatz (§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) bei einer Serie gleichartiger Vermögensdelikte.<br />

Er hält es für ausreichend, dort neben der Schilderung der die Merkmale des jeweiligen Tatbestandes<br />

erfüllenden gleichartigen Tatausführung nur die Gesamtzahl der Taten, den Tatzeitraum sowie den Gesamtschaden<br />

zu bezeichnen. Die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer <strong>und</strong> die jeweiligen Einzelschäden seien in<br />

einem anderen, nicht zu verlesenden <strong>Teil</strong> der Anklage detailliert zu beschreiben.<br />

1. Folgendes liegt zu Gr<strong>und</strong>e: In dem beim 1. Strafsenat anhängigen Verfahren wurden in der unverändert zugelassenen<br />

Anklage den Angeklagten (gegen weitere Angeklagte ist das Urteil zwischenzeitlich rechtskräftig) insgesamt<br />

etwa 1.400 Einzeltaten bzw. <strong>Teil</strong>akte von Einzeltaten im Zusammenhang mit der betrügerischen Akquisition von<br />

Werbeanzeigen zur Last gelegt. Der Anklagesatz schildert nur den Aufbau einer im Wesentlichen von einem der<br />

Angeklagten (K.) gesteuerten Firmenstruktur sowie die generelle Begehungsweise der Taten. Aufgeteilt nach den<br />

verschiedenen Angeklagten enthält der Anklagesatz Ausführungen zur „generellen Vorgehensweise bei den Betrugstaten“,<br />

zur Gesamtzahl der ihnen jeweils vorgeworfenen Taten <strong>und</strong> der ihnen jeweils zuzurechnenden Gesamtschäden.<br />

Außerdem ist der jeweilige (überwiegend mehrjährige) Zeitrahmen genannt, in dem die Taten begangen seien.<br />

Hinsichtlich sämtlicher anderer Einzelheiten ist unter der Überschrift „Einzeltaten <strong>und</strong> Schaden“ auf (insgesamt<br />

neun) so genannte „Anlagen zum wesentlichen Ermittlungsergebnis“ verwiesen, die diese Angaben in Tabellenform<br />

enthalten, wobei die einzelnen Anlagen teilweise aufeinander Bezug nehmen. In einer Anlage fehlen insgesamt vier<br />

Seiten mit konkretisierenden Angaben zu 52 Einzeltaten.<br />

2. In der Hauptverhandlung wurde der Anklagesatz verlesen, eine beabsichtigte Einführung der Anlagen im Selbstleseverfahren<br />

(§ 249 Abs. 2 StPO) wurde nur teilweise durchgeführt. Es ist nicht festgestellt, dass die Richter von<br />

insgesamt sieben Anlagen Kenntnis genommen hätten (§ 249 Abs. 3 Satz 2 StPO), hinsichtlich derer am ersten<br />

Hauptverhandlungstag das Selbstleseverfahren angeordnet worden war.<br />

3. Der Angeklagte K. wurde wegen Betrugs in zwei Fällen, der Angeklagte M. wegen Betrugs in 369 Fällen verurteilt.<br />

Ausweislich der Urteilsgründe, die über insgesamt mehr als 100 Seiten Tabellen enthalten, die den als <strong>Teil</strong> der<br />

Anklage vorgelegten Tabellen im Wesentlichen entsprechen, haben sie die objektiven Tatumstände ganz überwiegend<br />

eingeräumt. Mit ihren identischen Verfahrensrügen machen sie geltend, dass durch den allein verlesenen Anklagesatz<br />

(§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO) die Verfahrensbeteiligten <strong>und</strong> die Öffentlichkeit mangels Konkretisierung nicht<br />

hinlänglich über den Verfahrensgegenstand informiert worden seien. Dieser Mangel sei hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten,<br />

etwa der Schöffen, auch nicht durch ein ordnungsgemäßes Selbstleseverfahren kompensiert worden.<br />

229


4. Der 1. Strafsenat möchte die in den fehlenden Seiten einer Anlage konkretisierten Taten, weil die Anklage insofern<br />

die Umgrenzungsfunktion nicht erfüllt <strong>und</strong> ein Verfahrenshindernis besteht, aus dem Verfahren ausscheiden. Im<br />

Übrigen sieht er – was auch die Revision nicht bezweifelt – die Umgrenzungsfunktion gewahrt <strong>und</strong> beabsichtigt, die<br />

Rechtsmittel zu verwerfen. Hieran sieht er sich durch das Urteil des 2. Strafsenats vom 28. April 2006 (2 StR 174/05,<br />

NStZ 2006, 649) gehindert. Danach genügt es bei einer Tatserie (konkret: 58 Betrügereien) nicht, die individualisierenden<br />

Merkmale der Einzeltaten nur im nicht zu verlesenden wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen aufzuführen.<br />

Auf Anfrage des 1. Strafsenats vom 2. September 2009 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG (1 StR 260/09, NStZ 2009,<br />

703) hat der 2. Strafsenat im Ergebnis an seiner Auffassung festgehalten (Beschluss vom 25. November 2009 – 2<br />

ARs 455/09, wistra 2010, 66). Die anderen Strafsenate halten das Anliegen des 1. Strafsenats für sachgerecht. Während<br />

jedoch der 4. Strafsenat (Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 4 ARs 17/09) <strong>und</strong> der 5. Strafsenat (Beschluss<br />

vom 28. Oktober 2009 – 5 ARs 53/09) der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats zustimmen <strong>und</strong> etwaige entgegenstehende<br />

Rechtsprechung aufgeben, hat der 3. Strafsenat (Beschluss vom 17. November 2009 – 3 ARs 16/09) mitgeteilt,<br />

seine Rechtsprechung stehe zwar nicht entgegen, er habe jedoch Bedenken, ob die vom 1. Strafsenat für ausreichend<br />

erachtete Verfahrensweise mit dem geltenden Recht vereinbar sei.<br />

5. Mit Beschluss vom 24. Februar 2010 hat der 1. Strafsenat gem. § 132 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 GVG folgende, im Blick auf<br />

vom 2. Strafsenat geäußerte Bedenken gegenüber der Anfrage vom 2. September 2009 konkretisierend modifizierte<br />

Anfrage an den Großen Senat für Strafsachen gerichtet (NJW 2010, 1386 ff.): Genügt, wenn einem Angeklagten eine<br />

große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen, der Anklagesatz<br />

den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 StPO, wenn in die-sem, der allein in der<br />

Hauptverhandlung zu verlesen ist, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des<br />

jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet<br />

werden <strong>und</strong> die Einzelheiten der Taten, d. h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer <strong>und</strong> die jeweiligen<br />

Einzelschäden, ergänzend in einem anderen, nicht zu verlesenden <strong>Teil</strong> der Anklageschrift detailliert beschrieben<br />

sind?<br />

6. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat beantragt, im Sinne der Anfrage des 1. Strafsenats zu entscheiden.<br />

II. Die Vorlage ist zulässig, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 GVG gegeben sind.<br />

III. In der Sache hat der Große Senat für Strafsachen entschieden wie aus der Beschlussformel ersichtlich.<br />

1. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO in der aktuell geltenden Fassung schreibt vor, dass in der Hauptverhandlung vor der<br />

Mitteilung über Erörterungen der Möglichkeit einer Verständigung (§ 243 Abs. 4 StPO), der Belehrung des Angeklagten<br />

über sein Schweigerecht (§ 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) <strong>und</strong> dessen Vernehmung zur Sache (§ 243 Abs. 5 Satz 2<br />

StPO) der Staatsanwalt den Anklagesatz zu verlesen hat. Diese Regelung verweist auf die Legaldefinition des § 200<br />

Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach Anklagesatz der <strong>Teil</strong> der Anklageschrift ist, in welcher der Angeschuldigte, die ihm zur<br />

Last gelegte Tat, Zeit <strong>und</strong> Ort ihrer Begehung sowie die gesetzlichen Merkmale der Straftat <strong>und</strong> die anzuwendenden<br />

Strafvorschriften zu bezeichnen sind.<br />

2. Nach forensischer Erfahrung besteht vor allem in Verfahren, in denen massenweise <strong>und</strong> gleichförmig begangene<br />

Delikte angeklagt sind, das praktische Bedürfnis, die Hauptverhandlung von der zeitaufwändigen Verlesung von<br />

Details der einzelnen Taten zu entlasten (so auch BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – 3 ARs 16/09 < in dieser<br />

Sache >, Rn. 5 unter Hinweis auf Wilhelm NStZ 2007, 358; vgl. auch die Fallschilderung von Müller NJW 2009,<br />

3745, 3746 sowie Leipold/Beukelmann NJW-Spezial 2010, 249). Dies hängt im vorrangig – aber nicht ausschließlich<br />

– betroffenen Bereich der Wirtschaftkriminalität mit der zunehmenden Verfolgungsdichte <strong>und</strong> mit neuen Kriminalitätsformen<br />

zusammen. Auch wenn der Staatsanwalt, der stets gehalten ist, die Anklageschrift klar, übersichtlich<br />

<strong>und</strong> verständlich abzufassen (vgl. Nr. 110 Abs. 1 RiStBV), die Aufnahme von Einzelheiten in den zu verlesenden<br />

Anklagesatz auf das Nötigste zu beschränken hat, hat die genannte Entwicklung dazu geführt, dass in einer zunehmenden<br />

Zahl von Einzelfällen zur Konkretisierung der Ge-schädigten, des Tatortes, der Tatobjekte oder des jeweils<br />

konkreten Einzel-schadens umfangreiche Details in den Anklagesatz aufzunehmen sind. Die nach dem bisherigen<br />

Verständnis von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO auch in solchen Fällen stets erforderliche<br />

Verlesung der Darstellung sämtlicher angeklagter Einzelfälle oder <strong>Teil</strong>akte kann dann viele St<strong>und</strong>en oder sogar mehrere<br />

Tage lang dauern. Hierdurch werden die Res-sourcen der Justiz sowie aller anderen Verfahrensbeteiligten erheblich<br />

belastet, ohne dass dem ein erkennbarer Informationsgewinn gegenüber steht.<br />

3. Dem oben genannten praktischen Problem kann nicht in allen Fällen durch Beschränkung des Verfahrensstoffs<br />

begegnet werden. Ebenso wenig können die Regelungen über das Selbstleseverfahren auf den Anklagesatz übertragen<br />

werden. Auch eine einschränkende Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht.<br />

a) Verfahrensbeschränkungen nach §§ 154, 154a StPO sind nicht generell geeignet, diesem praktischen Problem<br />

entgegenzuwirken. Eine Beschränkung des Verfahrensstoffs gem. §§ 154, 154a StPO bei umfangreichen Tatserien<br />

230


würde nur dann zu einer Beschränkung des zu verlesenden Anklagesatzes führen, wenn sie bereits von der Staatsanwaltschaft<br />

vorgenommen würde (§ 154 Abs. 1 StPO, § 154a Abs. 1 StPO); eine Einstellung durch das Gericht ist erst<br />

nach Anklageerhebung möglich (§ 154 Abs. 2 StPO, § 154a Abs. 2 StPO) <strong>und</strong> erfolgt nach aller Erfahrung regelmäßig<br />

erst nach Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung. Auch würde eine Verfahrensbeschränkung<br />

erheblichen Umfangs, selbst wenn sie schon vor Anklageerhebung erfolgte, dem Unrechtsgehalt namentlich solcher<br />

Tatserien nicht gerecht, bei welchen die einzelnen Schäden gering sind, der Gesamtschaden hingegen hoch ist.<br />

b) Die Regelungen über das Selbstleseverfahren sind auf die Verlesung des Anklagesatzes nicht übertragbar. Die<br />

Anklage ist Gr<strong>und</strong>lage der Hauptverhandlung; die Anklageschrift selbst kann daher nicht Gegenstand der Beweiserhebung<br />

in der Hauptverhandlung sein. Im Übrigen ist die Einführung des Inhalts der Anklageschrift in die Hauptverhandlung<br />

in § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO abschließend geregelt; die Verlesung des Anklagesatzes ist nicht <strong>Teil</strong> der<br />

Beweisaufnahme, sondern muss dieser vorausgehen.<br />

c) Ebenso wenig lässt sich die aufgezeigte Problematik durch eine Herabsetzung der Anforderungen an den Anklagesatz<br />

im Wege einer einschränkenden Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO lösen. Nach Ansicht des Großen Senats<br />

für Strafsachen ist eine einengende Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO in Bezug auf die Individualisierung<br />

der Taten im Ergebnis ausgeschlossen. Sie könnte zwar, ohne dass dem der erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegenstünde,<br />

an die frühere Rechtsprechung zur notwendigen Konkretisierung der so genannten fortgesetzten Tat<br />

anknüpfen. Hier hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof bei ausreichender Konkretisierung des Gesamt-Lebenssachverhalts eine<br />

Darstellung der Einzelakte in der Anklage für nicht erforderlich gehalten (vgl. etwa Urteil vom 27. Mai 1975 – 5 StR<br />

184/75; Urteil vom 2. Mai 1985 – 4 StR 142/85). Der Tatbegriff des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO entspricht indes demjenigen<br />

des § 264 Abs. 1 StPO. Er umfasst daher alle individualisierenden Merkmale der vorgeworfenen Tat, die<br />

erforderlich sind, um diese zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage von anderen Lebenssachverhalten<br />

abzugrenzen. Diese individualisierenden Merkmale können daher auch in den hier in Rede stehenden Fällen aus der<br />

Umschreibung der angeklagten Taten <strong>und</strong> damit aus dem Anklagesatz nicht ausgeklammert werden. Ansonsten bestünde<br />

die Gefahr einer Veränderung des Tatbegriffs, deren Auswirkungen schwer zu übersehen wären. Gerade die<br />

aufgr<strong>und</strong> unzureichender Konkretisierung des Tatumfangs auftretenden Probleme etwa bei den Fragen der Verjährung<br />

oder des Strafklageverbrauchs waren Gründe, welche den Großen Senat für Strafsachen zur Aufgabe der<br />

Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung bewogen haben (vgl. BGH [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 – GSSt 2/93,<br />

GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 148 ff.). Für eine Herabsetzung der Anforderungen an die Individualisierung lässt sich<br />

auch die Rechtsprechung nicht fruchtbar machen, die Einschränkungen bei der Konkretisierung von Einzeltaten<br />

zulässt, wenn anders die Verfolgung <strong>und</strong> Aburteilung strafwürdiger Taten nicht möglich wäre. Dies ist als Ausnahme<br />

auf Fälle beschränkt worden, in denen typischerweise bei einer Serie gleichartiger Handlungen einzelne Taten etwa<br />

wegen Zeitablaufs oder wegen Besonderheiten in der Beweislage nicht mehr genau voneinander unterschieden werden<br />

können (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 152/98, NStZ 1999, 42; Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR<br />

682/93, BGHSt 40, 44, 48). Diese Voraussetzungen liegen aber in den vom Vorlagebeschluss genannten Fällen serienmäßiger,<br />

in allen Einzelheiten feststellbarer Wirtschaftsstraftaten nicht vor. In Fällen zwingender Rechtsfolgeentscheidungen<br />

etwa gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong>, die gerade im Bereich des Vermögensstrafrechts häufig sind, könnte<br />

überdies auf eine Individualisierung von Einzelschäden schon aus materiell-rechtlichen Gründen nicht verzichtet<br />

werden.<br />

4. Daraus, dass danach der Anklagesatz die Einzeltaten auch in Fällen der in Rede stehenden Art so beschreiben<br />

muss, dass sie sich von anderen nach der Begehungsweise gleichartigen Taten der Tatserie abgrenzen lassen, folgt<br />

indes nicht, dass die zur Individualisierung erforderlichen Details notwendigerweise auch bei der Verlesung der<br />

Anklage zu Beginn der Hauptverhandlung wiedergegeben werden müssten. Allerdings kann der Begriff des Anklagesatzes<br />

in § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht in anderem Sinne verstanden werden als in § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, der<br />

ihn gesetzlich definiert. Die Möglichkeit einer Beschränkung ergibt sich aber aus dem Begriff des „Verlesens“ im<br />

Sinne des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO. Dieser ist dahin zu interpretieren, dass es bei Anklagen wegen einer Vielzahl<br />

gleichförmiger Taten oder gleichförmiger Tateinzelakten genügt, wenn der Anklagesatz nur insoweit wörtlich vorgelesen<br />

wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt,<br />

beschrieben <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden dargestellt<br />

sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden Umstände der Einzeltaten oder Tateinzelakte bedarf es<br />

in diesen Fällen nicht, da die Hauptverhandlung durch sie ohne erkennbaren verfahrensrechtlichen Gewinn belastet<br />

würde.<br />

a) Diese Auslegung ist nach Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift im Wege teleologischer Reduktion des Begriffs der<br />

Verlesung geboten. Gemessen an der Funktion, die der Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung zukommt,<br />

ist es ausreichend, den Anklagesatz in der Hauptverhandlung den Verfahrensbeteiligten <strong>und</strong> der Öffentlich-<br />

231


keit so zu präsentieren, dass die zur Aburteilung stehenden Lebenssachverhalte in ihrem wesentlichen tatsächlichen<br />

Kern verständlich werden <strong>und</strong> somit der Gang der Hauptverhandlung nachvollzogen werden kann. Hierfür ist die<br />

Mitteilung aller Einzeltaten zumindest dann nicht geeignet <strong>und</strong> erforderlich, wenn deren Details schon aufgr<strong>und</strong> der<br />

Menge an Information intellektuell nicht aufgenommen <strong>und</strong> im Gedächtnis gespeichert werden können.<br />

aa) Die dem Anklagesatz zukommende Umgrenzungsfunktion ist durch eine solche Auslegung nicht betroffen, denn<br />

diese Funktion der Anklage bleibt vom Umfang des in der Hauptverhandlung zu verlesenden Anklagesatzes unberührt.<br />

Die vom Großen Senat für Strafsachen in der Entscheidung zur fortgesetzten Tat hervorgehobene Pflicht des<br />

Staatsanwalts, in der Anklageschrift die Anklagevorwürfe nicht nur pauschalierend <strong>und</strong> ungenau darzustellen, sondern<br />

sämtliche Vorwürfe exakt zu beschreiben <strong>und</strong> zu konkretisieren (vgl. BGH [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994<br />

– GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 150, 161) ändert sich durch eine Einschränkung des zu verlesenden <strong>Teil</strong>s<br />

der Anklage nicht.<br />

bb) Auch die vom Großen Senat für Strafsachen in der vorgenannten Entscheidung angesprochene Gefahr, dass die<br />

„Verteidigung des Angeschuldigten durch vage, unbestimmte Vorwürfe“ beeinträchtigt werde (vgl. BGH [GSSt],<br />

Beschluss vom 3. Mai 1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt aaO 150, 161), steht der einschränkenden Auslegung<br />

des Verlesungsbegriffs nicht entgegen. Ihrer Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten (<strong>und</strong> seinem Verteidiger)<br />

genügt die Anklageschrift, wenn sie über die Einzelheiten des Anklagevorwurfs unterrichtet, so dass Gelegenheit<br />

besteht, das Prozessverhalten hierauf einzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93,<br />

BGHSt 40, 44, 47 f.). Diese Funktion entfaltet die Anklageschrift im Wesentlichen dadurch, dass sie vollumfänglich<br />

(also nicht nur ihr zu verlesender <strong>Teil</strong>) dem Angeschuldigten <strong>und</strong> seinem Verteidiger alsbald nach Eingang durch<br />

den Vorsitzenden des Gerichts mitzuteilen ist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO). Damit werden der Angeschuldigte <strong>und</strong><br />

sein Verteidiger so früh wie möglich umfassend <strong>und</strong> zuverlässig unterrichtet, um eine sachgerechte Verteidigung<br />

gegenüber dem Gericht bereits vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu ermöglichen. Durch<br />

die Verlesung des gesamten Anklagesatzes in der Hauptverhandlung unter Einschluss aller die Einzelheiten einer<br />

Tatserie konkretisierenden Umstände werden die Möglichkeiten einer sachgerechten Verteidigung nicht erweitert.<br />

Die Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung soll zwar dem Angeklagten nochmals die gegen ihn erhobenen<br />

Vorwürfe verdeutlichen. Hierfür genügt jedoch eine Verlesung, die sich auf den Kern, nicht aber auch auf<br />

alle Details der Vorwürfe bezieht. Eine daraus resultierende Beschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten ist nicht<br />

erkennbar.<br />

cc) Die eingeschränkte Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung behindert auch die Schöffen bei der<br />

Wahrnehmung ihres Amtes nicht. Sie sollen durch die Verlesung mit dem Verhandlungsgegenstand <strong>und</strong> den Grenzen,<br />

innerhalb derer sich die Urteilsfindung zu bewegen hat, so bekannt gemacht werden, dass sie dieses Amt ausüben<br />

können. Auch deshalb ist die Anklage verständlich <strong>und</strong> erfassbar zu gestalten (vgl. auch Nr. 110 Abs. 1 RiStBV,<br />

im Ansatz ebenso Britz in FS Müller, 2008, S. 107, 111 f., der zutreffend von der „Hörverständlichkeit“ des zu verlesenden<br />

Anklagesatzes spricht). Verständlichkeit <strong>und</strong> Erfassbarkeit des Inhaltes sind bei Tabellenwerken oder sonstigen<br />

Details über zahlreiche - gelegentlich h<strong>und</strong>erte - Seiten, die über viele St<strong>und</strong>en oder Tage verlesen werden müssten,<br />

aber gerade nicht gegeben (vgl. bereits BGH, Urteil vom 2. Dezember 1986 – 1 StR 433/86, StV 1988, 282). Die<br />

Schöffen werden durch eine konzentrierte <strong>und</strong> gruppierte Darstellung der wesentlichen Sachverhalte weitaus besser<br />

informiert als durch die langatmige Verlesung eines etwa nur chronologisch geordneten Sachverhalts mit einer unüberschaubaren<br />

<strong>und</strong> daher nicht einprägbaren Menge von Einzeldetails. Nach aller forensischer Erfahrung ist eine<br />

solche Verlesung nicht nur für die gedankliche Erfassung des Anklagevorwurfs nutzlos; sie führt darüber hinaus<br />

sogar zu einer Ermüdung, die die Aufmerksamkeit für das einer solchen Verlesung nachfolgende Verfahrensgeschehen<br />

beeinträchtigen kann. Außerdem bewirkt eine Begrenzung der Verlesung des Anklagesatzes auch deshalb keinen<br />

bedeutsamen Erkenntnisverlust, weil sämtliche für das Urteil wesentlichen Einzelheiten Gegenstand der Beweisaufnahme<br />

sein müssen. Allein hierauf beruht die für die Urteilsfindung erforderliche Information. Das Verständnis der<br />

Hauptverhandlung <strong>und</strong> die Möglichkeit, sich hieran – etwa durch Fragen – zu beteiligen, werden aber durch eine nur<br />

eingeschränkte Verlesung nicht beeinträchtigt. Der Urteilsfindung werden ohnehin Informationen nicht deshalb zu<br />

Gr<strong>und</strong>e gelegt, weil sie im verlesenen Anklagesatz enthalten waren. Entscheidend ist allein der Inbegriff der Hauptverhandlung<br />

(§ 261 StPO). Die Begrenzung des Umfangs des zu verlesenden Anklagesatzes führt jedoch nicht zu<br />

einer Einschränkung des notwendigen Umfangs der Hauptverhandlung, insbesondere nicht zu Einschränkungen des<br />

Umfangs der Beweisaufnahme. Unabhängig von der Information durch die Beweisaufnahme kann Schöffen die<br />

Ausübung ihres Amtes dadurch erleichtert werden, dass ihnen der gesamte Anklagesatz ausgehändigt wird. Die Aushändigung<br />

des Anklagesatzes an die Schöffen widerspricht nicht den Gr<strong>und</strong>sätzen eines fairen Verfahrens (EGMR<br />

NJW 2009, 2871, 2873) <strong>und</strong> ist auch sonst nicht zu beanstanden (BGH, Urteil vom 26. März 1997 – 3 StR 421/96,<br />

BGHSt 43, 36, 38 ff.; BGH, Beschluss vom 25. November 2009 – 2 ARs 455/09 Rn. 11, wistra<br />

232


2010, 66; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 5 ARs 53/09 < in die-ser Sache > Rn. 5; BGH, Beschluss vom 2.<br />

November 2010 – 1 StR 544/09, Rn. 55; vgl. auch Krehl, NStZ 2008, 525, 526 ;<br />

Häger in GedSchr. für Karlheinz Meyer, 1990, S. 171, 172 ff.; Schneider in KK 6. Aufl. § 243 Rn. 21; Meyer-<br />

Goßner StPO 53. Aufl. § 243 Rn. 13).<br />

dd) Auch die gebotene Information der Öffentlichkeit durch die Verlesung des Anklagesatzes wird durch die aufgezeigte<br />

Begrenzung des Umfangs der Verlesung im Ergebnis nicht eingeschränkt. Die Verlesung des Anklagesatzes<br />

soll der Öffentlichkeit eine effektive Kontrolle des Verfahrensgangs ermöglichen (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 6.<br />

Oktober 1976 – 3 StR 291/76, BGHSt 27, 13, 15), ihr Informationsinteresse erfüllen (Wickern in LR 26. Aufl. GVG<br />

Vor § 169 Rn. 4) <strong>und</strong> auch spezial- <strong>und</strong> generalpräventiven Zwecken dienen (vgl. Diemer in KK 6. Aufl. GVG § 169<br />

Rn. 2). Zur Erreichung dieser Zwecke ist aber eine langwierige <strong>und</strong> gegebenenfalls ermüdende Verlesung detaillierter<br />

Tabellen oder sonstiger Einzelheiten nicht erforderlich; sie ist vielmehr geradezu abträglich. Jedenfalls wird keiner<br />

dieser Zwecke durch eine solche Verlesung gefördert. Soweit einzelne Mitglieder der zur <strong>Teil</strong>nahme am Strafprozess<br />

berechtigten Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an der Information über die näheren individualisierenden<br />

tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte haben können, wird dem ohnehin nicht durch die<br />

Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung, sondern durch den Anspruch auf Akteneinsicht gemäß §<br />

406e StPO, §§ 475 ff. StPO Rechnung getragen.<br />

b) Der Wortlaut des Gesetzes steht dieser maßgeblich an Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung<br />

nicht entgegen.<br />

aa) Das Gesetz verwendet für die Bekanntgabe eines geschriebenen Textes durch lautes Lesen sowohl den Begriff<br />

„Vorlesen“ als auch den Begriff „Verlesen“. Der Begriff „Vorlesen“ wird in der Regel dann gebraucht, wenn die<br />

Bekanntgabe gegenüber einer bestimmten Person wegen bei ihr vorhandener Einschränkungen in dieser Weise erfolgen<br />

soll (vgl. auch Duden – Das große Wörterbuch der deutsche Sprache – 3. Aufl. 1999, Band 10, S. 4373), z.B. bei<br />

Inhaftierung (§ 35 Abs. 3 StPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 422/10 Rn. 7 bei Analphabetismus),<br />

oder wenn das Vorlesen eines Protokolls zur Genehmigung an die Stelle der ebenfalls möglichen Vorlage<br />

des Protokolls tritt (§ 168a Abs. 3 Satz 1 StPO). Dies macht ohne Weiteres deutlich, dass eine Urk<strong>und</strong>e regelmäßig<br />

uneingeschränkt in ihrem vollen Wortlaut „vorzulesen“ ist.<br />

bb) Unter Verlesen versteht man dagegen, dass „etwas Amtliches, was der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht<br />

werden soll, durch Lesen bekannt“ gemacht wird (vgl. Duden – Das große Wörterbuch der deutsche Sprache – 3.<br />

Aufl. 1999, Band 9, S. 4246). Diesem Begriff wohnt die Möglichkeit einer funktionalen Beschränkung inne; entscheidend<br />

ist, dass verlesen wird, was nicht zur individuellen, sondern zur allgemeinen Kenntnis zu bringen ist.<br />

Dementsprechend gebietet § 249 Abs. 1 StPO, wonach Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sonstige Schriftstücke zu verlesen sind, nicht<br />

notwendig, dass die Urk<strong>und</strong>en oder die Schriftstücke ausnahmslos in vollem Wortlaut zu verlesen sind (BGH, Urteil<br />

vom 8. März 1960 – 5 StR 17/60, GA 1960, 277). Vielmehr sind nur die für die Entscheidung bedeutsamen <strong>Teil</strong>e zu<br />

verlesen (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1957 – 3 StR 37/57, BGHSt 11, 29, 31). Anerkannt ist auch, dass es ausreicht,<br />

eine repräsentative Auswahl der Urk<strong>und</strong>en zu verlesen, wenn eine Vielzahl gleichartiger Urk<strong>und</strong>en zu verlesen<br />

wäre (Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 249 Rn. 15; Mosbacher in LR, 26. Aufl. StPO, § 249 Rn. 39 mwN).<br />

c) Es ist auch nicht ersichtlich, dass einer solchen Auslegung der Wille des Gesetzgebers entgegenstünde. § 243 Abs.<br />

3 Satz 1 StPO <strong>und</strong> § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO in ihrer heutigen Fassung gehen zurück auf das Gesetz zur Änderung<br />

der Strafprozessordnung <strong>und</strong> des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067). § 243<br />

Abs. 3 Satz 1 StPO ersetzt die zuvor erforderliche Verlesung des Eröffnungsbeschlusses durch die Verlesung des<br />

„Anklagesatzes“. Dieser Begriff wurde in dem ebenfalls neu gefassten § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO definiert (Legaldefinition).<br />

Es gibt keine objektiven, in der Gesetzesvorschrift zum Ausdruck gebrachten (vgl. insoweit BVerfGE 11,<br />

126, 130 f.) Anhaltspunkte dafür, dass es der Gesetzgeber von 1964 für erforderlich erachtete, bei Tatserien alle<br />

Details der Einzeltaten in den – dann in der Hauptverhandlung zu verlesenden – Anklagesatz aufzunehmen. Die<br />

Gesetzesmaterialien verhalten sich hierzu nicht (vgl. BR-Drucks. 180/60 S. 37).<br />

233


StPO § 244 Abs. 2 Beweisantrag Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit Aufklärungspflicht zu „Wer<br />

einmal lügt ...“<br />

BGH, Beschl.v . 09.11.2010 – 3 StR 290/10 - BeckRS 2010, 30734<br />

Sollte es für die Überzeugungsbildung des Gerichts zu der Glaubhaftigkeit der Angaben eines<br />

früheren Mitangeklagten darauf ankommen, ob dieser in einem anderen Verfahren einen Dritten<br />

wahrheitswidrig belastet hatte, so hat es die Pflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), den Wahrheitsgehalt dieser<br />

früheren Beschuldigung aufzuklären.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 9. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 21. Januar 2010 wird verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren<br />

<strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Die auf zahlreiche Verfahrensbeanstandungen <strong>und</strong> mehrere Rügen der Verletzung<br />

materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedürfen nur die nachfolgenden<br />

Punkte: Die Beanstandung, der Beweisantrag vom 11. Dezember 2009 auf Beiziehung der Ermittlungsakten<br />

der Staatsanwaltschaft Hannover mit dem Aktenzeichen 1382 Js sei zu Unrecht abgelehnt worden, greift nicht<br />

durch. Zwar fehlt dem Beschluss, mit dem die in dem Antrag näher genannten Tatsachen als aus tatsächlichen Gründen<br />

bedeutungslos bezeichnet worden sind, die für diese Fälle notwendige, auf einer antizipierende Beweiswürdigung<br />

aufbauende Begründung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. November 2007 - 3 StR 430/07, NStZ 2008,<br />

299; Beschluss vom 6. März 2008 - 3 StR 9/08, NStZ-RR 2008, 205; Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09,<br />

StV 2010, 588). Indes beruht das Urteil hierauf nicht, denn das Landgericht hat die notwendige Begründung in dem<br />

Beschluss gegeben, mit dem es im weiteren Verlauf desselben Verhandlungstags einen anderen, dieselben Tatsachen<br />

betreffenden Antrag auf Vernehmung des Zeugen D. ebenfalls wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt hat. Im Ergebnis<br />

ohne Erfolg bleibt auch die Beanstandung des Beschlusses, mit dem das Landgericht den Beweisantrag vom 15.<br />

Dezember 2009 auf Beiziehung der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Hannover zum Aktenzeichen 2132 Js<br />

teilweise abgelehnt hat. Soweit zum Beweis, dass Herr N. von dem früheren Mitangeklagten S. - auf dessen Bek<strong>und</strong>ungen<br />

die Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeklagten beruht - der Hehlerei beschuldigt <strong>und</strong> trotzdem vom<br />

Amtsgericht Wennigsen freigesprochen wurde, die Urteilsurk<strong>und</strong>e benannt worden ist, hat das Landgericht dem<br />

Beweisantrag stattgegeben <strong>und</strong> das freisprechende Urteil verlesen. Im Übrigen hat es den Beweisantrag mit folgender<br />

Erwägung abgelehnt: "Dem weiteren Akteninhalt kommt aus tatsächlichen Gründen keine verfahrensrelevante<br />

Behauptung zu, da die Kammer sich nicht in der Lage sieht, in einem anderen Verfahren getätigte Angaben inzident<br />

zu überprüfen <strong>und</strong> zu verifizieren." Damit ist die Ablehnung des Antrags zwar rechtsfehlerhaft begründet; denn sollte<br />

es für die Überzeugungsbildung des Landgerichts zu der Glaubhaftigkeit der Angaben des früheren Mitangeklagten<br />

S. darauf angekommen sein, ob dieser in einem anderen Verfahren einen Dritten wahrheitswidrig belastet hatte, so<br />

hätte dieses nicht nur naheliegend die tatsächliche Möglichkeit, sondern auch die Pflicht gehabt (§ 244 Abs. 2 StPO),<br />

den Wahrheitsgehalt dieser früheren Beschuldigung aufzuklären. Der Senat kann indes das Beruhen des Urteils auf<br />

diesem Rechtsfehler ausschließen. Als alleiniger weiterer Bestandteil der gesamten Ermittlungsakte, der hinreichend<br />

konkretisiert ist, um dem Beweisbegehren den Charakter eines Beweisantrags zu verleihen (vgl. hierzu LR-Becker,<br />

26. Aufl., § 244 Rn. 106), ist das Protokoll der polizeilichen Vernehmung des früheren Mitangeklagten S. vom 19.<br />

Juni 2008 bezeichnet. Dessen Inhalt konnte aber von vornherein keinen Beweis für die innere Tatsache erbringen,<br />

dass S. Dritte verschiedener Straftaten "bezichtigt", erkennbar gemeint: wahrheitswidrig beschuldigt, habe, um sich<br />

selbst in seiner eigenen Strafsache Vorteile zu verschaffen. Eine weitergehende Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.<br />

234


StPO § 244 Abs. 3 Beweisantrag Konnexität<br />

BGH, Beschl. v. 03.11.2010 – 1 StR 497/10 - NJW 2011, 1239 = StV 2011, 207<br />

Bedarf es der Darlegung der Konnexität, so hat der Antragsteller die Tatsachen, die diese begründen<br />

sollen, bestimmt zu behaupten.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 3. November 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 27. Mai 2010 wird als unbegründet verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung<br />

zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat aus den vom<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift vom 2. September 2010 dargelegten Gründen keinen Erfolg (§ 349<br />

Abs. 2 StPO). Der ergänzenden Erörterung bedarf allein die neben der ausgeführten Sachrüge erhobene Verfahrensrüge,<br />

das Landgericht habe § 244 Abs. 3 StPO verletzt.<br />

1. Dieses hat aufgr<strong>und</strong> der eintägigen Hauptverhandlung festgestellt, der inhaftierte Angeklagte habe den Mitinsassen<br />

S. durch mehrere Schläge gegen die Brust <strong>und</strong> durch die Drohung, ihm anderenfalls mit einer Billardkugel auf<br />

den Kopf zu schlagen, dazu gebracht, ihm einen <strong>Teil</strong> der von diesem gekauften Lebensmittel auszuhändigen, ohne<br />

dass der Angeklagte hierauf einen Anspruch gehabt hätte. Seine diesbezügliche Überzeugung hat es insbesondere auf<br />

die Angaben des als Zeugen gehörten S. sowie auf den Inhalt eines von diesem an seine Eltern gerichteten, im Rahmen<br />

der Postkontrolle sichergestellten Briefes gestützt, in dem er die Tat schildert.<br />

2. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugr<strong>und</strong>e: Im Rahmen seines Plädoyers stellte der Verteidiger „für<br />

den Fall, dass das Gericht den Angeklagten wegen … schwerer räuberischer Erpressung verurteilen möchte“, den<br />

Antrag, S. s Mutter als Zeugin zu hören zum Beweis der Tatsache, dass dieser ihr gegenüber „nach Abfassen des<br />

Briefes geschildert hat, dass er dem Angeklagten die Sachen freiwillig gegeben hat als Gegenleistung für Tabak <strong>und</strong><br />

von anderen ´abgezockt` wurde“. In der Antragsbegründung heißt es, es sei „davon auszugehen, dass der Zeuge“ S.<br />

„von seiner Mutter bei dem nächsten Besuch nach dem Brief auf die Vorgänge angesprochen wurde <strong>und</strong> diese wie“ -<br />

nach den Feststellungen des Landgerichts zunächst durch den Angeklagten eingeschüchtert - „in der Hauptverhandlung<br />

geschildert“, d.h. sinngemäß angegeben hat, er hätte dem Angeklagten die Lebensmittel auch ohne Auseinandersetzung,<br />

also freiwillig gegeben. Die dem Verteidiger seitens der Strafkammer daraufhin gestellte Frage, ob ihm<br />

„nähere Informationen vorliegen, dass ein derartiges Gespräch zwischen dem Geschädigten <strong>und</strong> seiner Mutter stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat“, wurde von diesem verneint. Diesbezüglich wurde - von der Revision nicht vorgetragen - im Hauptverhandlungsprotokoll<br />

folgendes protokolliert: „Auf Frage erklärte der Verteidiger, er wisse nicht, ob <strong>und</strong> was der<br />

Zeuge S. mit seiner Mutter gesprochen habe. Sein Hilfsbeweisantrag beruhe insoweit allein auf einer Vermutung“.<br />

Das Landgericht hat in seinem Urteil ausgeführt, „die Beweistatsache“ sei „demnach aufs Geratewohl behauptet, so<br />

dass nur ein Beweisermittlungsantrag vorliegt, dem nachzukommen die Aufklärungspflicht nicht geboten hat“.<br />

3. Der Verfahrensrüge bleibt der Erfolg versagt.<br />

a) Der Senat hat bereits erhebliche Bedenken, ob die Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.<br />

Denn nach dieser Bestimmung sind die Verfahrenstatsachen so vollständig <strong>und</strong> aus sich heraus verständlich anzugeben,<br />

dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, darüber - unter der<br />

Voraussetzung der Erweisbarkeit - endgültig zu entscheiden (BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, NStZ<br />

1999, 396, 399 mwN). Hierzu hätte vorliegend die - wie dargelegt unterbliebene - Mitteilung gehört, dass das zwischen<br />

der Strafkammer <strong>und</strong> dem Verteidiger geführte Gespräch über dessen mögliche Erkenntnisse hinsichtlich der<br />

behaupteten Angaben des Zeugen S. seiner Mutter gegenüber einen - wie sich dem Hauptverhandlungsprotokoll<br />

entnehmen lässt - weitergehenden Inhalt gehabt hat, als ihn die Revision vorgetragen hat. Dieser lässt sich auch den<br />

ergänzend heranzuziehenden Urteilsgründen nicht vollständig entnehmen. Die Frage der Zulässigkeit kann jedoch<br />

offen bleiben, da die Verfahrensrüge jedenfalls unbegründet ist.<br />

b) Denn die Verfahrensweise des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand, weil es den Antrag im Ergebnis<br />

zutreffend nicht als Beweisantrag angesehen hat. Der Senat lässt allerdings offen, ob das Landgericht den Antrag zu<br />

Recht als „aufs Geratewohl“ gestellt bewertet hat (aa). Denn jedenfalls handelte es sich deshalb lediglich um einen<br />

Beweisermittlungsantrag, weil die für einen Beweisantrag notwendige Konnexität zwischen Beweistatsache <strong>und</strong><br />

Beweismittel nicht hinreichend bestimmt behauptet worden ist (bb).<br />

235


aa) Allerdings muss einem Beweisbegehren nach bisheriger Rechtsprechung nicht (oder nur nach Maßgabe der Aufklärungspflicht)<br />

nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt <strong>und</strong><br />

ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit aufs Geratewohl, d.h. „ins Blaue hinein“ aufgestellt wird, so dass es<br />

sich in Wahrheit nur um einen nicht ernst gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Ob es sich um<br />

einen solchen handelt, ist aus der Sicht eines "verständigen" Antragstellers auf der Gr<strong>und</strong>lage der von ihm selbst<br />

nicht in Frage gestellten Tatsachen zu beurteilen (zusammenfassend BGH, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 StR<br />

549/07, NStZ 2008, 474 mwN; s. auch BGH, Urteil vom 12. Juni 1997 - 5 StR 58/97, NJW 1997, 2762, 2764; BGH,<br />

Beschluss vom 5. März 2003 - 2 StR 405/02, NStZ 2003, 497). Was den insofern geltenden Maßstab angeht, soll<br />

einerseits von einer "ins Blaue hinein" aufgestellten Beweisbehauptung nicht schon dann gesprochen werden können,<br />

wenn die unter Beweis gestellte Tatsache objektiv ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint oder andere<br />

Möglichkeiten näher gelegen hätten (BGH, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474). Andererseits<br />

soll bei Sachverhalten, in denen keine sachlichen Anhaltspunkte dafür bestehen, eine sich aufdrängende<br />

Tatsache in Frage zu stellen, auf eine strenge Einhaltung der Anforderungen an einen Beweisantrag zum Zweck der<br />

Abgrenzung von sog. Pseudobehauptungen oder von „ins Blaue hinein“ bzw. aufs Geratewohl angestellten Vermutungen<br />

nicht verzichtet werden können (BGH, Urteil vom 14. April 1999 - 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684).<br />

Hieran gemessen hat der Senat Zweifel, ob den von der Revision (erstmals mit ihrer Begründungsschrift) vorgebrachten,<br />

nach ihrer Auffassung für die aufgestellte Vermutung „ausreichenden Anhaltspunkte“ ein hinreichendes<br />

Gewicht zukommt, nämlich der Mitinhaftierte S. sei zum Zeitpunkt des Verfassens des Briefes 19 Jahre alt gewesen,<br />

aus diesem ergebe sich ein gutes Verhältnis zu der als Zeugin benannten Mutter, diese wohne ca. 180 Straßenkilometer<br />

von der Justizvollzugsanstalt entfernt <strong>und</strong> es sei schließlich die Regel, dass Gefangene von ihren Eltern besucht<br />

würden. Er braucht dies aber - wie ausgeführt - nicht zu entscheiden. Ebenso braucht er sich nicht zu der vom 3.<br />

Strafsenat aufgeworfenen Frage zu äußern, ob überhaupt an der Rechtsprechung festzuhalten sei, dass einem Antrag,<br />

mit dem zum Nachweis einer bestimmten Beweistatsache ein konkretes Beweismittel bezeichnet wird, dennoch die<br />

Eigenschaft eines Beweisantrags fehlt, wenn es sich bei der Beweistatsache um eine ohne jede tatsächliche <strong>und</strong> argumentative<br />

Gr<strong>und</strong>lage aufs Geratewohl aufgestellte Behauptung handelt (BGH, Beschluss vom 19. September 2007<br />

- 3 StR 354/07, StV 2008, 9; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 218/10).<br />

bb) Ein Beweisantrag i.S.d. § 244 StPO setzt als erstes Erfordernis die konkrete <strong>und</strong> bestimmte Behauptung einer<br />

Tatsache voraus. Zweitens ist ein bestimmtes Beweismittel zu benennen, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt<br />

werden soll. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, kann je nach der Fallgestaltung eine dritte hinzutreten, die<br />

sog. Konnexität zwischen Beweismittel <strong>und</strong> Beweisbehauptung. Darunter ist im Falle des Zeugenbeweises zu verstehen,<br />

dass der Antrag erkennen lassen muss, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bek<strong>und</strong>en<br />

können soll (BGH, Beschluss vom 17. November 2009 - 4 StR 375/09), etwa weil er am Tatort war, in der Nachbarschaft<br />

wohnt, eine Akte gelesen hat usw. (BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329<br />

f. mwN). Dieser Zusammenhang zwischen Beweistatsache <strong>und</strong> Beweismittel wird sich in vielen Fällen von selbst<br />

verstehen. Es sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen - vergleichbar gerade den in der Rechtsprechung<br />

unter den Begriffen der aufs Geratewohl aufgestellten, aus der Luft gegriffenen Behauptung abgehandelten Fällen -<br />

zwar konkrete <strong>und</strong> bestimmte Behauptungen aufgestellt werden, denen eigene Wahrnehmungen eines Zeugen zugr<strong>und</strong>eliegen<br />

sollen, der Antrag jedoch nicht erkennen lässt, weshalb der Zeuge seine Wahrnehmung hat machen<br />

können. Verhält es sich so, bedarf es der näheren Darlegung des erforderlichen Zusammenhangs, der Konnexität<br />

zwischen Beweistatsache <strong>und</strong> Beweismittel (BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321,<br />

330). Ebenso wie die Beweistatsache - auch wenn sie ggf. vom Antragsteller lediglich als möglicherweise geschehen<br />

erachtet werden darf (BGH, Beschluss vom 10. November 1992 - 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143; BGH, Beschluss<br />

vom 5. Februar 2002 - 3 StR 482/01, NStZ 2002, 383; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 201/05, NStZ<br />

2006, 585, 586; BGH, Beschluss vom 4. April 2006 - 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405) - <strong>und</strong> das Beweismittel bestimmt<br />

bezeichnet werden müssen, hat der Antragsteller auch die Tatsachen bestimmt zu behaupten, aus denen sich<br />

die Konnexität ergibt. Denn es muss dem Tatgericht plausibel gemacht werden, dass der benannte Zeuge in der Lage<br />

gewesen ist, die Beweistatsache wahrzunehmen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284,<br />

287). In der Antragsbegründung ist daher insoweit ein nachvollziehbarer Gr<strong>und</strong> anzugeben (BGH, Urteil vom 15.<br />

Dezember 2005 - 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586), zumal dann, wenn - wie hier - keine Anhaltspunkte dafür<br />

erkennbar sind, weshalb der Zeuge S. gegenüber seiner Mutter das Gegenteil dessen gesagt haben soll, was er zuvor<br />

in seinem ebenfalls an diese gerichteten Brief bek<strong>und</strong>et hatte (zur vergleichbaren Konstellation bei einer Aufklärungsrüge<br />

BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 - 1 StR 168/06, NStZ 2007, 165). Diesem Erfordernis wird der vorliegend<br />

gestellte Antrag nicht gerecht. Denn er bezeichnet - worauf schon der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift<br />

zutreffend hingewiesen hat - die Wahrnehmungssituation nicht bestimmt genug. Vielmehr lässt bereits der<br />

236


Antrag in seiner Gesamtheit erkennen, dass ihm lediglich die Vermutung zugr<strong>und</strong>e liegt, es habe ein - im Übrigen<br />

vor allem zeitlich nicht näher spezifiziertes - Gespräch mit dem behaupteten Inhalt gegeben. Der infolge dessen<br />

seitens des Gerichts mit dem Antragsteller aus Gründen der Fairness (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR<br />

38/08, BGHSt 52, 284, 288) <strong>und</strong> verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2009 -<br />

2 BvR 2580/08, NStZ 2010, 155) gesuchte Dialog hat dann dementsprechend eindeutig bestätigt, der „Hilfsbeweisantrag<br />

beruhe … allein auf einer Vermutung“.<br />

c) Angesichts der gesamten Sach- <strong>und</strong> Beweislage brauchte sich das Landgericht auch nicht zu der in Rede stehenden<br />

weiteren Aufklärung gemäß § 244 Abs. 2 StPO gedrängt zu sehen.<br />

StPO § 244 Abs. 3 Beweisantrag Zurückweisung wegen Unerheblichkeit<br />

BGH, Urt. v. 07.04.2011 – 3 StR 497/10 - BeckRS 2011, 09183<br />

Zwar ist es dem Tatgericht gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwehrt, Indiz- oder Hilfstatsachen als für die Entscheidung<br />

bedeutungslos zu betrachten, wenn es aus diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der<br />

Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Jedoch … ist mit konkreten Erwägungen zu begründen,<br />

warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen<br />

ziehen will.<br />

1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 16. Juli 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels<br />

<strong>und</strong> die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten<br />

seines Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> neun Monaten verurteilt.<br />

I. Der Nebenkläger beanstandet mit seiner hiergegen gerichteten Revision die Verletzung formellen sowie materiellen<br />

Rechts <strong>und</strong> erstrebt die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts, zumindest wegen gefährlicher<br />

Körperverletzung in zwei Fällen. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Nach den Feststellungen<br />

versetzte der Angeklagte in seiner Wohnung nach einem zunächst verbal ausgetragenen Streit dem Nebenkläger zwei<br />

Schläge mit einem Zimmermannshammer gegen den Kopf. Anschließend verließ er die Wohnung bis kurz vor deren<br />

Tür, kehrte jedoch um <strong>und</strong> schlug im Laufe des sich fortsetzenden Kampfgeschehens auf den Nebenkläger mit einer<br />

Haschischpfeife <strong>und</strong> einer Schwarzlichtröhre so heftig ein, dass beide Gegenstände zersplitterten <strong>und</strong> das Gehäuse<br />

der Röhre verbogen wurde. Der Nebenkläger hat bek<strong>und</strong>et, er habe auf dem Sofa des Angeklagten geschlafen, als<br />

dieser mit dem <strong>Hamm</strong>er auf ihn eingeschlagen habe. Durch die Schläge sei er erwacht <strong>und</strong> in Richtung der Wohnungstür<br />

geflüchtet. Dort habe der Angeklagte ihm weitere Schläge versetzt. Das Landgericht hat diese Angaben für<br />

widerlegt erachtet <strong>und</strong> seine Überzeugung auf die mit weiteren Beweisergebnissen in Einklang stehende Einlassung<br />

des Angeklagten gestützt. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> beanstandet der Nebenkläger zu Recht, das Landgericht habe<br />

einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).<br />

1. Der Nebenkläger hat die Vernehmung des ihn behandelnden Arztes Dr. S. zum Beweis dafür beantragt, er habe<br />

diesem bereits am Tattag berichtet, er habe geschlafen; als er aufgewacht sei, habe ein Fre<strong>und</strong> vor ihm gestanden <strong>und</strong><br />

mit einem <strong>Hamm</strong>er auf ihn eingeschlagen. Die Strafkammer hat diesen Antrag durch Beschluss mit der Begründung<br />

abgelehnt, die unter Beweis gestellte Tatsache sei für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung.<br />

Es könne dahinstehen, ob der Nebenkläger gegenüber dem behandelnden Arzt die behauptete Äußerung gemacht<br />

habe. Dies bedeute nicht zwingend, dass das Geschehen sich so abgespielt habe; denn "aufgr<strong>und</strong> des Ergebnisses der<br />

bisherigen Beweisaufnahme geht die Kammer, wie auch in der Erklärung nach § 257b StPO dargestellt, nicht davon<br />

aus, dass der Angeklagte den Zeugen A. im Schlaf mit den <strong>Hamm</strong>erschlägen überrascht hat." Die in Bezug genommene<br />

Erklärung nach § 257b StPO lautet - soweit hier von Relevanz - wie folgt: "Es wird nicht davon ausgegangen,<br />

dass der Angeklagte den Zeugen A. mit <strong>Hamm</strong>erschlägen im Schlaf überrascht hat."<br />

2. Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Beweisantrags nicht.<br />

237


a) Zwar ist es dem Tatgericht gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwehrt, Indiz- oder Hilfstatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos<br />

zu betrachten, wenn es aus diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht<br />

ziehen will. Jedoch hat der Beschluss, mit dem das Tatgericht die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit<br />

der Beweistatsache ablehnt, zum einen den Antragsteller sowie die weiteren Prozessbeteiligten so weit über die Auffassung<br />

des Gerichts zu unterrichten, dass diese sich auf die neue Verfahrenslage einstellen <strong>und</strong> gegebenenfalls noch<br />

in der Hauptverhandlung das Gericht von der Erheblichkeit der Beweistatsache überzeugen oder aber neue Anträge<br />

mit demselben Beweisziel stellen können; zum anderen muss er dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob<br />

der Beweisantrag rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden ist <strong>und</strong> ob die Feststellungen <strong>und</strong> Erwägungen des Ablehnungsbeschlusses<br />

mit denjenigen des Urteils übereinstimmen. Deshalb ist u.a. mit konkreten Erwägungen zu begründen,<br />

warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen<br />

will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen gr<strong>und</strong>sätzlich denjenigen, denen das Tatgericht genügen<br />

müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt <strong>und</strong> sodann in den schriftlichen<br />

Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss blieb (st. Rspr.; vgl. etwa<br />

BGH, Urteile vom 26. Januar 2000 - 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268; vom 3. Dezember 2004 - 2 StR 156/04,<br />

BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 26).<br />

b) Diese Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch für Beschlüsse, mit denen Beweisanträge des Nebenklägers zurückgewiesen werden.<br />

Zwar hat der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 28. April 2010 (5 StR 487/09, NStZ 2010, 714) - nicht<br />

tragend - angemerkt, ungeachtet des auch dem Nebenkläger nach § 397 Abs. 1 Satz 3 StPO zugebilligten Beweisantragsrechts<br />

erscheine eine weniger restriktive Anwendung der gesetzlich vorgesehenen Ablehnungsgründe auf Beweisanträge<br />

des Nebenklägers als beim Angeklagten vertretbar. Dem kann der Senat jedoch nicht folgen. Gegen die<br />

vom 5. Strafsenat erwogene Auffassung sprechen bereits der eindeutige Wortlaut <strong>und</strong> die Systematik der Strafprozessordnung.<br />

§ 397 Abs. 1 Satz 3 StPO bestimmt, dass dem Nebenkläger das Beweisantragsrecht zusteht, <strong>und</strong> verweist<br />

auf § 244 Abs. 3 bis 6 StPO. Dieser Regelung sind Einschränkungen nicht zu entnehmen; der Gesetzgeber hat -<br />

im Gegensatz etwa zu der Normierung der Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers in § 400 Abs. 1 StPO - darauf<br />

verzichtet, Reichweite <strong>und</strong> Grenzen der dem Nebenkläger eingeräumten Befugnis zur Stellung von Beweisanträgen<br />

gesondert auszugestalten (vgl. Bock, HRRS 2011, 119, 120). Auch den Materialien zum Opferschutzgesetz vom 18.<br />

Dezember 1986 (BGBl. I S. 2496), mit dem das Beweisantragsrecht in § 397 Abs. 1 StPO ausdrücklich aufgenommen<br />

wurde, kann ein entsprechender Wille nicht entnommen werden; vielmehr ist der Gesetzgeber bewusst dem<br />

B<strong>und</strong>esrat nicht gefolgt, der sich gegen das Beweisantragsrecht des Nebenklägers gewandt hatte (BT-Drucks.<br />

10/5305, S. 29, 33; vgl. hierzu auch LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 397 Rn. 8 mwN). Zuletzt hat der Gesetzgeber mit<br />

dem 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2280) u.a. den § 397 StPO redaktionell umgestaltet.<br />

Dabei hat er allerdings das Beweisantragsrecht von Nebenklägern nicht etwa eingeschränkt, sondern deren Verfahrensrechte<br />

insgesamt noch weiter gestärkt (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 1 f.). Schließlich führt die Berücksichtung<br />

von Sinn <strong>und</strong> Zweck des Regelungsgefüges nicht zu einem anderen Ergebnis. Dem 5. Strafsenat ist zwar dahin zuzustimmen,<br />

dass das Beweisantragsrecht für den Angeklagten mit Blick auf seine Stellung im Strafverfahren von wesentlicher<br />

Bedeutung ist. Dies gilt indes in ähnlicher Weise für den Nebenkläger, dessen Interesse an der Wahrheitsfindung<br />

nicht von vornherein geringer zu bewerten ist. Eine gegen den Wortlaut <strong>und</strong> den gesetzgeberischen Willen<br />

restriktive Auslegung des § 397 Abs. 1 Satz 3 StPO, die dazu führen könnte, die wirksame Wahrnehmung der berechtigten<br />

Interessen durch den Nebenkläger zu beeinträchtigen, ist deshalb nicht veranlasst.<br />

c) Nach dem aufgezeigten Maßstab genügen die Ausführungen des Landgerichts in dem genannten Beschluss nicht.<br />

Dieser enthält ausschließlich einen pauschalen Hinweis auf das "Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme", der auch<br />

durch die in Bezug genommene Erklärung nach § 257b StPO nicht näher konkretisiert wird. Damit ließ er zum einen<br />

den Antragsteller über die konkrete Einschätzung der Strafkammer über die Beweislage <strong>und</strong> die insoweit bestehende<br />

Verfahrenssituation im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das<br />

Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen <strong>und</strong> ohne Rechtsfehler<br />

von der Vernehmung des Zeugen Dr. S. in der Hauptverhandlung abgesehen hat.<br />

3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Weder vermag der Senat zu prüfen,<br />

ob das Landgericht im Rahmen seiner antizipierenden Würdigung der unter Beweis gestellten Behauptung rechtsfehlerfrei<br />

keine Bedeutung zugemessen hat, noch kann ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller sein Prozessverhalten<br />

auf eine den Anforderungen entsprechende Begründung des Ablehnungsbeschlusses in einer für den Schuldspruch<br />

erheblichen Weise hätte einrichten können.<br />

II. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2<br />

StPO.<br />

238


StPO § 244 Abs. 3 Keine Wahrunterstellung eingeschränkter Schuldfähigkeit<br />

BGH, Urt. v. 02.09.2010 – 3 StR 273/10 - NStZ 2011, 106<br />

1. Die erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ist keine bestimmte<br />

Beweistatsache, die zum tauglichen Gegenstand eines Beweisantrags gemacht werden kann.<br />

2. Eine Wahrunterstellung kommt nur in Betracht, wenn damit keine Verletzung der Aufklärungspflicht<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Sie hat zu unterbleiben, wenn konkrete Anhaltspunkte es als möglich erscheinen<br />

lassen, dass die zugunsten des Angeklagten wirkende Beweisbehauptung widerlegt werden<br />

kann.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. September 2010 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 1. Februar 2010,<br />

soweit es die Angeklagten W. <strong>und</strong> Ö. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Angeklagten <strong>und</strong> dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine<br />

andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben<br />

die Kosten ihrer Rechtsmittel <strong>und</strong> die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung<br />

zu Freiheitsstrafen von drei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten (W.) bzw. drei Jahren <strong>und</strong> zwei Monaten (Ö.)<br />

verurteilt, Adhäsionsentscheidungen getroffen <strong>und</strong> das Tatwerkzeug eingezogen. Hiergegen richten sich die Revisionen<br />

der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft erhebt die Sachrüge <strong>und</strong> wendet sich mit<br />

Einzelausführungen dagegen, dass das Landgericht zum Schuldspruch nur unzureichende Feststellungen getroffen,<br />

die Tat als minder schweren Fall gewürdigt <strong>und</strong> die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit beim Angeklagten<br />

Ö. nicht begründet hat. Die Revision des Angeklagten W. nimmt die Anwendung der §§ 63, 64 <strong>StGB</strong> vom<br />

Angriff aus, erhebt die allgemeine Sachrüge <strong>und</strong> wendet sich mit einer Verfahrensbeanstandung sowie mit Einzelausführungen<br />

zur Sachrüge gegen die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit. Der Angeklagte Ö. hat sein<br />

Rechtsmittel auf den Strafausspruch beschränkt <strong>und</strong> rügt die Strafzumessung. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

führt zur Aufhebung des Urteils; die Rechtsmittel der Angeklagten bleiben ohne Erfolg.<br />

I. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Das Rechtsmittel führt zur Urteilsaufhebung, weil das Landgericht seiner Kognitionspflicht nicht in dem gebotenen<br />

Umfang nachgekommen ist. Es hat - ebenso wie die Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung - die Tat nicht<br />

auch unter dem Gesichtspunkt des erpresserischen Menschenraubs geprüft, obwohl die Feststellungen dazu drängten.<br />

Danach suchten die Angeklagten am Tatabend in sog. Chatrooms im Internet, in denen sie sich unter einem Frauennamen<br />

angemeldet hatten, nach einem Mann, um diesen zu einer vermeintlichen Verabredung an einen günstigen Ort<br />

zu locken <strong>und</strong> dort sodann mittels Gewalt an dessen Geld zu gelangen. Als Lockvogel diente ihnen die mit dem Angeklagten<br />

W. befre<strong>und</strong>ete Nichtrevidentin S.. Es gelang ihnen, den Nebenkläger zu einem nächtlichen Treffen am<br />

Busbahnhof Viersen zu veranlassen, wo die Nichtrevidentin auf ihn wartete <strong>und</strong> ihn in den nahe gelegenen Stadtpark<br />

führte. Plangemäß wurde er dort von den Angeklagten überfallen. Der Angeklagte Ö. brachte ihn durch einen Faustschlag<br />

zu Boden. Sodann traten <strong>und</strong> schlugen beide auf ihn ein. Der Angeklagte W. hielt ihm eine Machete an den<br />

Hals. Unter der wiederholten Drohung, ihm Körperteile abzuschneiden, forderten beide Angeklagte die Herausgabe<br />

von Geldbörse, Armbanduhr <strong>und</strong> Mobiltelefon. Der Nebenkläger übergab den Geldbeutel <strong>und</strong> die Uhr. Das Telefon<br />

hatte er bei dem Sturz verloren. Als sich im Portemonnaie nur ein paar Münzen anfanden, zwangen die Angeklagten<br />

den Nebenkläger, in sein Fahrzeug einzusteigen, <strong>und</strong> fuhren mit ihm zur Sparkasse, wo er 200 € am Geldautomaten<br />

abheben <strong>und</strong> an sie übergeben musste. Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend ausgeführt hat, legen diese Feststellungen<br />

nahe, dass die Angeklagten mittels Gewalt <strong>und</strong> Drohung mit Leibes- <strong>und</strong> Lebensgefahr die physische Herrschaft<br />

über ihr Opfer erlangt hatten <strong>und</strong> eine so von ihnen geschaffene stabile Bemächtigungslage (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 22. November 1994 - GSSt 1/94, BGHSt 40, 350; Beschluss vom 3. August 1995 - 4 StR 435/95,<br />

BGHR <strong>StGB</strong> § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 4; Urteil vom 8. März 2006 - 5 StR 473/05, NStZ 2006, 448; Urteil<br />

vom 31. August 2006 - 3 StR 246/06, BGHR <strong>StGB</strong> § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 9) für die Fortsetzung ihres erpresserischen<br />

Verhaltens ausnutzten, indem sie den Nebenkläger zwangen, mit ihnen in seinem Auto zur Sparkasse<br />

zu fahren, Geld abzuheben <strong>und</strong> ihnen zu übergeben.<br />

239


2. Damit kommt es auf die weiteren Beanstandungen der Staatsanwaltschaft nicht mehr an. Der Senat sieht aber<br />

Anlass zu folgenden Hinweisen:<br />

a) Die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat macht die Kennzeichnung der<br />

jeweils gegebenen Qualifikation notwendig. Daher ist im Falle der Verurteilung nach §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1<br />

<strong>StGB</strong> auf "besonders schwere räuberische Erpressung" zu erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR<br />

229/08 - Rn. 5 - , insoweit in NStZ-RR 2008, 342 nicht abgedruckt; Beschluss vom 28. Januar 2003 - 3 StR 373/02,<br />

BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4; KK-Schoreit, 6. Aufl., § 260 Rn. 30).<br />

b) Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten Ö. hätte rechtlicher Überprüfung nicht<br />

standgehalten. Das Landgericht "geht zu Gunsten des Angeklagten" (UA S. 10) von eingeschränkter Schuldfähigkeit<br />

aus. Dies lässt besorgen, es habe den Zweifelssatz rechtsfehlerhaft auf die rechtliche Bewertung als solche <strong>und</strong> nicht<br />

allein auf deren tatsächliche Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Anknüpfungspunkte angewandt (vgl. BGH, Urteil vom 26. August<br />

1999 - 4 StR 329/99, NStZ 2000, 24 mwN). Hierfür spricht auch, dass die im Urteil mitgeteilten Tatsachen nicht die<br />

Voraussetzungen erfüllen, unter denen nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs eine relevante<br />

Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit aufgr<strong>und</strong> von Betäubungsmittelkonsum in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 8. April 1997 - 1 StR 65/97, NStZ-RR 1997, 227). Die Feststellungen zu dem Marihuana- <strong>und</strong> Amphetaminkonsum<br />

des Angeklagten legen weder einen akuten Drogenrausch noch als äußerst unangenehm empf<strong>und</strong>ene Entzugserscheinungen<br />

bzw. die Angst vor ihnen oder schwerste Persönlichkeitsveränderungen aufgr<strong>und</strong> lang-jährigen<br />

Betäubungsmittelkonsums nahe. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Behandlung eines Hilfsbeweisantrags des<br />

Angeklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, mit dem "festgestellt werden" sollte, "dass der Angeklagte<br />

zur Tatzeit aufgr<strong>und</strong> seiner Betäubungsmittelabhängigkeit <strong>und</strong> des hieraus erwachsenen Beschaffungsdrucks<br />

in seiner Fähigkeit zu einem einsichtsgemäßen Verhalten erheblich eingeschränkt war." Das Landgericht hat "diese<br />

Tatsache" als wahr unterstellt. Insoweit gilt: Die erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit<br />

ist bereits keine bestimmte Beweistatsache, die zum tauglichen Gegenstand eines Beweisantrags gemacht werden<br />

kann (vgl. LR-Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 98 mwN). Eine Wahrunterstellung kommt zudem nur in Betracht,<br />

wenn damit keine Verletzung der Aufklärungspflicht verb<strong>und</strong>en ist. Sie hat zu unterbleiben, wenn konkrete Anhaltspunkte<br />

es als möglich erscheinen lassen, dass die zugunsten des Angeklagten wirkende Beweisbehauptung widerlegt<br />

werden kann (vgl. LR-Becker, aaO Rn. 291).<br />

c) Rechtlichen Bedenken wäre auch die Annahme eines minder schweren Falles ausgesetzt gewesen. Das Landgericht<br />

hat im Rahmen dieser Prüfung nur für die Angeklagten sprechende Umstände aufgeführt. Die erheblichen, aus<br />

der Tatbegehung <strong>und</strong> dem Vorleben der Angeklagten folgenden, gegen die Annahme eines minder schweren Falles<br />

sprechenden Gesichtspunkte hat es erst im Rahmen der konkreten Strafzumessung erörtert. Dies lässt hier besorgen,<br />

dass es diese Umstände bei der erforderlichen Gesamtwürdigung ausgeblendet hat.<br />

II. Revision des Angeklagten W.<br />

1. Die Aufklärungsrüge versagt. Es bestehen bereits Bedenken an der Zulässigkeit der Rüge, da der Beschwerdeführer<br />

das mit der vermissten Beweiserhebung - einer sachverständigen Begutachtung der Schuldfähigkeit des Angeklagten<br />

- erwartete Beweisergebnis nicht bestimmt behauptet. Jedenfalls musste sich das Landgericht, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

in seinem Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO näher ausgeführt hat, angesichts der Angaben des Angeklagten<br />

zu seiner Alkoholisierung nicht zur Hinzuziehung eines Sachverständigen gedrängt sehen.<br />

2. Die Überprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

3. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis: Sofern sich in der neuen Hauptverhandlung eine hangbedingte<br />

Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 64 <strong>StGB</strong> feststellen ließe, stünde die Beschränkung der Revision des<br />

Angeklagten, der die Maßregeln nach §§ 63, 64 <strong>StGB</strong> vom Revisionsangriff ausgenommen hat, einer Anordnung der<br />

Maßregel nicht entgegen, weil das Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden ist.<br />

III. Revision des Angeklagten Ö. Die Überprüfung des Strafausspruchs aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge <strong>und</strong> der Einzelbeanstandung<br />

der Revision hat - wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seinem Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO zutreffend ausgeführt<br />

hat - keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

240


StPO § 244 Abs. 6 Entscheidung über Beweisantrag<br />

BGH, Beschl. v. 17.11.2010 – 1 StR 145/10 - NStZ 2011, 168<br />

Angeklagter <strong>und</strong> Verteidigung haben keinen Anspruch auf sofortige oder alsbaldige Entscheidung<br />

über einen Beweisantrag. Es entspricht vielmehr dem Gr<strong>und</strong>satz der Prozessökonomie, über einen<br />

Beweisantrag erst dann zu entscheiden, wenn hierzu eine aus Sicht des Gerichts hinreichend zuverlässige<br />

Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage besteht, die durch einen möglichen oder gar nahe liegenden weiteren<br />

Verfahrensverlauf nicht alsbald wieder in Frage gestellt werden würde.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 17. November 2010 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 8. Juli 2009 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu<br />

den zutreffenden Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, die durch das weitere Revisionsvorbringen nicht entkräftet<br />

werden, bemerkt der Senat:<br />

1. Entgegen dem Revisionsvorbringen des Angeklagten W. ist die Ablehnung von dessen Beweisantrag Nr. 18, mit<br />

dem die zeugenschaftliche Einvernahme des Mitangeklagten G. beantragt wurde, rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer<br />

hat den Antrag zu Recht gemäß § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig abgelehnt. Ein Mitangeklagter kann nicht<br />

Zeuge sein, insoweit besteht ein Beweiserhebungsverbot (Fischer in KK-StPO, 6. Aufl. § 244 Rn. 109; Meyer-<br />

Goßner, StPO, 53. Aufl. § 244 Rn. 49). Zwar waren zum Zeitpunkt der Antragstellung die gemeinsam begonnenen<br />

Verfahren abgetrennt gewesen, nicht indes (anders als in dem der Entscheidung BGH, Urteil vom 29. März 1984 - 4<br />

StR 781/83, NStZ 1984, 464, zugr<strong>und</strong>e liegenden Fall) zum insoweit einzig maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung<br />

über diesen Antrag, zu dem die Verfahren wieder verb<strong>und</strong>en waren <strong>und</strong> damit (erneut) eine prozessuale Gemeinsamkeit<br />

bestand. Die Strafkammer war auch nicht gehalten, unverzüglich nach Antragstellung eine Entscheidung<br />

zu treffen, sondern konnte diese - im Rahmen der dem Vorsitzenden gemäß § 238 StPO obliegenden Verfahrensleitung<br />

- längstens bis zu dem in § 258 Abs. 1 StPO bezeichneten Schluss der Beweisaufnahme zurückstellen<br />

(vgl. Becker in LR-StPO, 26. Aufl. § 244 Rn. 133; Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 44 jew. mwN; vgl. auch<br />

<strong>Hamm</strong>/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 2. Aufl. Rn. 198 ff.). Angeklagter <strong>und</strong> Verteidigung haben keinen Anspruch<br />

auf sofortige oder alsbaldige Entscheidung. Es entspricht vielmehr dem Gr<strong>und</strong>satz der Prozessökonomie, über<br />

einen Beweisantrag erst dann zu entscheiden, wenn hierzu eine aus Sicht des Gerichts hinreichend zuverlässige Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage<br />

besteht, die durch einen möglichen oder gar nahe liegenden weiteren Verfahrensverlauf nicht<br />

alsbald wieder in Frage gestellt werden würde. Umstände, die ausnahmsweise - etwa unter dem Gesichtspunkt der<br />

Verfahrensfairness - eine zeitnahe Verbescheidung des Beweisantrags hätten erfordern können (vgl. Dahs StraFo<br />

1998, 254; Hanack JZ 1970, 561), sind weder vorgetragen noch ersichtlich.<br />

2. Ohne Beschwer für den Angeklagten G. hat die Strafkammer aufgr<strong>und</strong> einer von ihr festgestellten Verfahrensverzögerung<br />

ausgesprochen, dass von der (revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden) Gesamtfreiheitsstrafe von sechs<br />

Jahren ein Jahr als vollstreckt gelte. Soweit der Angeklagte G. insoweit rügt, das Landgericht habe die Verzögerung<br />

nicht ausreichend berücksichtigt, da es eine solche von zwei Jahren <strong>und</strong> vier Monaten bis zur Anklageerhebung <strong>und</strong><br />

weiteren sechs Monaten bis zu deren Eröffnung hätte feststellen müssen, bleibt dies ohne Erfolg. Unbeschadet der<br />

Frage, ob der Senat dies hier auf die insoweit einzig erhobene Sachrüge hin prüfen kann (vgl. hierzu BGH, Beschluss<br />

vom 17. Dezember 2003 - 1 StR 445/03; Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 376/03), erweist sich die Rüge<br />

jedenfalls als unbegründet. Wollte man - entgegen den Darlegungen zum Verfahrensgang in der staatsanwaltschaftlichen<br />

Gegenerklärung - die von der Revision behauptete Verfahrensverzögerung unterstellen, wäre diese hier durch<br />

die vom Landgericht vorgenommene Kompensation immer noch hinlänglich ausgeglichen, zumal deutlich gravierendere<br />

individuelle Belastungen des Angeklagten infolge der behaupteten weiteren Verfahrensverzögerung weder<br />

von der Revision aufgezeigt werden noch ersichtlich sind. Bei der Bemessung der Höhe einer Kompensation ist auch<br />

in den Blick zu nehmen, dass eine überzogene strafmildernde Berücksichtigung des Zeitfaktors als Folge justizieller<br />

Mängel generell den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung zuwiderliefe; dies gilt namentlich im Bereich<br />

- hier gegebener - schwerer Wirtschaftskriminalität (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2006 - 5 StR 189/06, wistra<br />

2006, 428).<br />

3. Die Rüge des Angeklagten G. , die Strafkammer hätte wegen einer aufgr<strong>und</strong> langer Verfahrensdauer nicht mehr<br />

einbeziehungsfähigen, weil zwischenzeitlich erlassenen Verurteilung einen Härteausgleich vornehmen müssen, ist<br />

241


verfehlt. Dadurch, dass die frühere Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wurde <strong>und</strong> keine nachträgliche<br />

Gesamtstrafe mit einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe mehr gebildet werden konnte, ist dem Angeklagten ein<br />

Vorteil, kein Nachteil entstanden (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 377/06; BGH, Urteil vom 18.<br />

August 2004 - 2 StR 249/04, NStZ-RR 2004, 330 mwN).<br />

StPO § 247 Abs. 2, § 338 Nr. 5 Verhandlung über Entlassung des Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten<br />

BGH, Urt. v. 09.02.2011 - 5 StR 387/10 - BeckRS 2011, 04935<br />

Die Entlassungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist dann nicht als wesentlich anzusehen,<br />

wenn er die Vernehmung über eine Bild-Ton-Übertragung zeitgleich mitverfolgt hat <strong>und</strong> auf<br />

ausdrückliche Befragung durch den Vorsitzenden von seinem Fragerecht keinen Gebrauch machen<br />

wollte.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Februar 2011 für Recht erkannt: Die Revision<br />

des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 12. Mai 2010 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem<br />

Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die auf Verfahrensrügen<br />

<strong>und</strong> die Sachrüge gestützt ist. Dem Rechtsmittel bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

der Erfolg versagt. Der Erörterung bedarf nur Folgendes: Die Beanstandung, die Verhandlung über die Entlassung<br />

des zu diesem Zeitpunkt 14-jährigen Zeugen K. (Sohn der Lebensgefährtin des Angeklagten) sei zu Unrecht in<br />

Abwesenheit des Angeklagten erfolgt, weswegen der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 5 StPO erfüllt sei, greift<br />

nicht durch. Die Rüge scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.<br />

1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugr<strong>und</strong>e: Das Landgericht hat den Zeugen am zweiten Hauptverhandlungstag<br />

vernommen <strong>und</strong> für die Dauer der Vernehmung die Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 Satz 2 StPO angeordnet.<br />

Der Angeklagte wurde in einen Raum gebracht, in dem er den Fortgang der Verhandlung über eine Bild-Ton-<br />

Übertragung mitverfolgen konnte. Das Zimmer war mit einer Gegensprechanlage ausgestattet, über die eine Verständigung<br />

mit den im Sitzungssaal befindlichen Verfahrensbeteiligten möglich war. Ausweislich der Niederschrift<br />

über die Hauptverhandlung wurde der Zeuge nach seiner Vernehmung „im allseitigen Einverständnis“ um 12.48 Uhr<br />

entlassen; von 12.49 bis 12.51 Uhr wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Das Protokoll hält dann fest: „Nunmehr<br />

war der Angeklagte wieder im Gerichtssaal erschienen.“ (PB S. 14) Nach einer weiteren Unterbrechung der<br />

Hauptverhandlung wurde die Schwester des Zeugen vernommen, wobei der Angeklagte unter denselben Maßgaben<br />

wie zuvor aus dem Sitzungssaal entfernt worden war. In der Niederschrift ist zum Verlauf dieser Einvernahme unter<br />

anderem eine nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung des Verteidigers zu einem<br />

Hinweis des Angeklagten vermerkt, dass er die Aussage der Zeugin zwar gehört, aber ihr Bild nicht vollständig gesehen<br />

habe; daraufhin habe ein Wachtmeister das Gerät so eingestellt, dass das Bild für den Angeklagten wieder voll<br />

einsehbar gewesen sei (PB S. 15 f.).<br />

2. Im Hinblick auf die sich hieraus ergebende Unklarheit der Hauptverhandlungsniederschrift zu der Frage, ob in das<br />

„allseitige“ Einverständnis mit der Entlassung des Zeugen K. nur die im Sitzungssaal anwesenden Verfahrensbeteiligten<br />

oder auch der Angeklagte einbezogen waren, hat der Senat eine dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden<br />

eingeholt. Der Vorsitzende hat sich dahin geäußert, dass er wie auch ein Justizwachtmeister den Angeklagten über<br />

die Funktionsweise der Gegensprechanlage belehrt habe. Vor der Entlassung des Zeugen habe er den Angeklagten<br />

ausdrücklich gefragt, ob er noch Fragen stellen wolle, was nicht der Fall gewesen sei. Die Beisitzerin, die Protokollführerin<br />

<strong>und</strong> der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sind der Stellungnahme des Vorsitzenden beigetreten. Das<br />

Gleiche gilt für die beiden anwesenden Justizwachtmeister. Demgegenüber stellt der Verteidiger sowohl die Belehrung<br />

als auch die abschließende Befragung des Angeklagten in Abrede.<br />

3. Nach dem durch den Vorsitzenden dargestellten <strong>und</strong> von weiteren Amtspersonen bestätigten Ablauf des Geschehens<br />

würde der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 5 StPO auch im Lichte des Beschlusses des Großen Senats für<br />

Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 (NJW 2010, 2450; zum Abdruck in BGHSt<br />

bestimmt) nicht durchgreifen. Denn die Entlassungsverhandlung wäre unter den danach gegebenen Umständen kein<br />

242


wesentlicher <strong>Teil</strong> der Hauptverhandlung. Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Wesentlichkeit<br />

eines Verfahrensteils nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang deren<br />

sachliche Bedeutung betroffen sein kann; die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten ist danach<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich als wesentlich anzusehen, weil der von der Entlassungsverhandlung ausgeschlossene Angeklagte<br />

unmittelbar nach der Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens<br />

zu beeinflussen vermögen (vgl. BGH – GS – aaO S. 2452 mwN). Diese Gedanken treffen jedoch ersichtlich nicht zu,<br />

wenn der die Vernehmung über eine Bild-Ton-Übertragung zeitgleich mitverfolgende Angeklagte nach ausdrücklicher<br />

Befragung des Vorsitzenden von seinem Fragerecht keinen Gebrauch machen will. Es wäre bloße Förmelei,<br />

wenn ihm – gegebenenfalls nach vorheriger Entfernung des Opferzeugen aus dem Gerichtssaal – in Anwesenheit ein<br />

weiteres Mal Fragen anheimgegeben werden müssten (vgl. zur Ersetzung der Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz<br />

4 StPO durch Bild-Ton-Übertragung auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51,<br />

180; ferner zum Frageverzicht in solchen Fällen BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10).<br />

4. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob der Inhalt der dienstlichen Äußerungen durch den weiteren Vortrag<br />

der Verteidigung im Revisionsverfahren durchgreifend erschüttert wird. Denn der Protokollvermerk zur einvernehmlichen<br />

Entlassung in Verbindung mit der durchgeführten Bild-Ton-Übertragung legten jedenfalls nahe, dass der Vorsitzende<br />

dem Angeklagten die Möglichkeit der Intervention gegen die Entlassung des Zeugen gegeben hat, ohne dass<br />

dieser sie wahrnahm, <strong>und</strong> ihn so in das allseitige Einvernehmen mit der Entlassung eingeb<strong>und</strong>en hat. Bei einer besonderen<br />

Fallgestaltung wie der hier gegebenen hätte deshalb bereits in der Revisonsbegründungsschrift zu den näheren<br />

Umständen namentlich der Videoübertragung im Einzelnen vorgetragen werden müssen. Allein auf Gr<strong>und</strong> der<br />

gegebenen Revisionsbegründung kann der Senat hingegen nicht nachprüfen, ob Verfahrensrecht verletzt ist. Die<br />

Verfahrensrüge ist daher nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dies lässt unberührt, dass eine Wiederzulassung<br />

des Angeklagten vor der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen angezeigt gewesen wäre. Eine<br />

hinreichend detaillierte Protokollierung der Geschehnisse wäre zudem wünschenswert gewesen.<br />

StPO § 247, § 338 Nr. 5 Erhebung eines Sachbeweises (Augenschein) in Abwesenheit des Angeklagten<br />

BGH, Beschl. v. 05.10.2010 – 1 StR 264/10 - NStZ 2011, 51<br />

Die Erhebung eines Sachbeweises kann, auch wenn er eng mit der Vernehmung verb<strong>und</strong>en ist, nicht<br />

als <strong>Teil</strong> der Vernehmung i.S.d. § 247 StPO angesehen werden, sondern ist ein Vorgang mit einer<br />

selbständigen verfahrensrechtlichen Bedeutung.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 5. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des<br />

Landgerichts Regensburg vom 3. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 20 Fällen, davon in 13<br />

Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, in fünf Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellem<br />

Missbrauch von Kindern <strong>und</strong> in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung<br />

formellen <strong>und</strong> sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge, mit der die Einvernahme eines Augenscheins<br />

in Abwesenheit des Angeklagten beanstandet wird (§ 338 Nr. 5 StPO), Erfolg.<br />

1. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Das Landgericht hat am ersten <strong>und</strong> am fünften Hauptverhandlungstag<br />

die Geschädigte, die 1992 geborene Zeugin R. (Stieftochter des Angeklagten), vernommen <strong>und</strong> jeweils für<br />

die Dauer der Vernehmung die Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 StPO angeordnet. Gelegentlich der Vernehmung<br />

der Geschädigten am fünften Hauptverhandlungstag hat die Verteidigung eine Fotografie vorgelegt, welche<br />

die Gegebenheiten einer von der Geschädigten in ihrer Vernehmung genannten Örtlichkeit zeigt. Das Protokoll verhält<br />

sich dazu wie folgt: „Der Verteidiger des Angeklagten übergab ein Lichtbild über die Örtlichkeiten des Badezimmers.<br />

Das Lichtbild wurde von der Kammer, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Sachverständigen, dem<br />

Verteidiger <strong>und</strong> der Zeugin in Augenschein genommen. Die Zeugin äußert sich hierzu.“ Nachdem der Angeklagte<br />

243


wieder in den Sitzungssaal gerufen wurde, wurde er vom Vorsitzenden über den Inhalt der Aussage der Zeugin R.<br />

informiert, auch zu deren Angaben zum vorgenannten Lichtbild. Eine (nochmalige) förmliche Augenscheinnahme<br />

fand nicht statt.<br />

2. Dieser Verfahrensgang begründet den absoluten Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 5 StPO. Die hier durchgeführte<br />

Augenscheinsnahme (a) ist vom restriktiv auszulegenden Begriff der Vernehmung i.S.d. § 247 StPO nicht umfasst<br />

(b), so dass entgegen § 230 Abs. 1 StPO ein <strong>Teil</strong> der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt<br />

wurde. Der daraus resultierende Verfahrensverstoß wurde hier auch nicht geheilt (c).<br />

a) Das Lichtbild wurde förmlich in Augenschein genommen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das<br />

gegenständliche Lichtbild lediglich - was als <strong>Teil</strong> der Vernehmung zulässig gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 23. Oktober 2002 - 1 StR 234/02) - als Vernehmungsbehelf herangezogen wurde. Das Vorhalten von Urk<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlauf einer Zeugenvernehmung<br />

hätten keiner Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2000 - 1 StR<br />

488/00, NStZ 2001, 262). Hier wird durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung jedoch bewiesen (§ 274<br />

StPO), dass eine förmliche Beweisaufnahme stattgef<strong>und</strong>en hat. Umstände, die die Beweiskraft des Protokolls in<br />

Zweifel ziehen könnten, liegen nicht vor. Zwar ist der Inhalt eines Hauptverhandlungsprotokolls insoweit auslegungsfähig<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2004 - 2 StR 492/03, NStZ-RR 2004, 237). Die hier gewählte Formulierung<br />

enthält (anders als in dem der Entscheidung vom 4. Mai 2004 - 1 StR 391/03 - zugr<strong>und</strong>e liegenden Fall) indes<br />

keine Unklarheiten <strong>und</strong> lässt Zweifel daran nicht aufkommen, dass ein förmlicher Augenschein durchgeführt wurde.<br />

Außerdem wird die Durchführung einer förmlichen Beweisaufnahme durch die dienstliche Stellungnahme des Sitzungsvertreters<br />

der Staatsanwaltschaft bestätigt („Lichtbild wurde … in Augenschein genommen“) <strong>und</strong> auch in den<br />

vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahmen der Berufsrichter nicht in Abrede gestellt („der Zeugin dieses<br />

Foto vorgehalten bzw. mit ihr in Augenschein genommen“).<br />

b) Welche Verfahrensvorgänge vom Begriff der Vernehmung i.S.d. § 247 Satz 1 <strong>und</strong> 2 StPO erfasst werden, wird<br />

vom Gesetz nicht näher bestimmt. Dieser Begriff ist im Regelungszusammenhang der §§ 247 <strong>und</strong> 248 StPO aufgr<strong>und</strong><br />

der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die als Anspruch auf rechtliches<br />

Gehör <strong>und</strong> angemessene Verteidigung in Art. 103 Abs. 1 GG sowie durch Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK garantiert<br />

wird, restriktiv auszulegen (BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 21. April 2010 - GSSt 1/09, Rn.<br />

14 mwN, wistra 2010, 352 = NJW 2010, 2450). Die Erhebung eines Sachbeweises kann demnach, auch wenn er eng<br />

mit der Vernehmung verb<strong>und</strong>en ist, nicht als <strong>Teil</strong> der Vernehmung i.S.d. § 247 StPO angesehen werden, sondern ist<br />

ein Vorgang mit einer selbstständigen verfahrensrechtlichen Bedeutung. Die Augenscheinsnahme in Abwesenheit<br />

des Angeklagten war daher vom Beschluss über seine Ausschließung nicht gedeckt. Somit fand ein <strong>Teil</strong> der Hauptverhandlung<br />

in Abwesenheit des Angeklagten statt, dessen Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (§§ 230, 247 StPO).<br />

Dies begründet den absoluten Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 5 StPO.<br />

c) Der Verfahrensfehler wurde nicht geheilt. Dies hätte nur durch eine - hier nicht erfolgte - Wiederholung der Augenscheinseinnahme<br />

während der weiteren Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten erfolgen können.<br />

Zwar muss die förmliche Augenscheinseinnahme nicht dergestalt wiederholt werden, dass das Gericht <strong>und</strong> die Verfahrensbeteiligten<br />

das Augenscheinsobjekt nochmals besichtigen. Vielmehr hätte die Besichtigung des Augenscheinsobjekts<br />

durch den Angeklagten während seiner Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO ausgereicht, wenn<br />

die weiterhin anwesenden Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einer neuerlichen Augenscheinsnahme hatten<br />

(BGH, Urteil vom 11. November 2009 - 5 StR 530/08 mwN, NStZ 2010, 162). Indes lässt sich aus dem zu dieser<br />

wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 StPO) schweigenden Protokoll zur Hauptverhandlung nicht feststellen, dass der<br />

Augenschein - wenigstens - in dieser Weise nachgeholt worden wäre. Soweit den dienstlichen Stellungnahmen zu<br />

entnehmen ist, das Lichtbild sei „thematisiert“ oder (soweit erinnerlich durch Hochheben) vorgezeigt worden, vermag<br />

dies die - negative - Beweiskraft des Protokolls nicht zu entkräften.<br />

3. Das Vorliegen eines absoluten Revisionsgr<strong>und</strong>s (§ 338 Nr. 5 StPO) führt zur Aufhebung des Urteils, ohne dass es<br />

darauf ankommt, ob das Urteil tatsächlich auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Ein Fall, in dem es denkgesetzlich<br />

ausgeschlossen wäre, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 -<br />

4 StR 131/06), liegt nicht vor. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob derartiges hier hätte angenommen werden<br />

können, wenn das in Augenschein genommene Lichtbild vom Angeklagten selbst stammte oder von diesem sogar<br />

selbst gefertigt wurde, es also keinem Zweifel unterliegen kann, dass er die dem Augenscheinsobjekt zu entnehmenden<br />

Tatsachen mindestens so gut kennt, als wäre ihm das Foto zur Augenscheinsnahme vorgelegt worden. Denn dies<br />

kann weder aus dem Protokoll noch aus den ergänzend eingeholten dienstlichen Stellungnahmen mit der dazu erforderlichen<br />

Bestimmtheit festgestellt werden.<br />

244


StPO § 249 Abs. 2 Satz 3, § 274 Abs. 1 Satz 1 Beweiskraft des Protokolls im Selbstleseverfahren<br />

BGH, Beschl. v. 20.07.2010 – 3 StR 76/10 - NJW 2010, 3382<br />

LS: Zum Umfang der Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführer<br />

am 20. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 5. November 2009 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten M. K. wegen Betruges in drei Fällen unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt <strong>und</strong> eine Adhäsionsentscheidung getroffen; den Angeklagten<br />

J. K. hat es wegen Betruges in vier Fällen <strong>und</strong> wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg, da die Nachprüfung<br />

des Schuld- <strong>und</strong> Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.<br />

Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe<br />

dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen zugr<strong>und</strong>e gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung<br />

des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien. Ihr liegt<br />

folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Im Verlauf der Hauptverhandlung hat der Strafkammervorsitzende bezüglich mehrerer<br />

Urk<strong>und</strong>en das Selbstleseverfahren angeordnet. Betreffend ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat er am<br />

darauf folgenden Hauptverhandlungstermin zu Protokoll die Feststellung getroffen, dass das Selbstleseverfahren<br />

beendet ist, die Mitglieder der Kammer "von dem Urteil" Kenntnis genommen haben <strong>und</strong> die übrigen Prozessbeteiligten<br />

hierzu Gelegenheit hatten. Betreffend eine Reihe von Urk<strong>und</strong>en zu Geldbewegungen sowie zu Haftabwesenheitszeiten<br />

des Angeklagten M. K. hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass die Kammer "von den Urk<strong>und</strong>en",<br />

für die in der letzten Hauptverhandlung das Selbstleseverfahren angeordnet worden ist, Kenntnis genommen<br />

hat <strong>und</strong> die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hierzu hatten. Hinsichtlich mehrerer amtsgerichtlicher Urteile hat<br />

er zu Protokoll festgestellt, dass das Selbstleseverfahren beendet ist <strong>und</strong> die Kammer "von den Urteilen" Kenntnis<br />

genommen hat <strong>und</strong> die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hatten, hiervon Kenntnis zu nehmen. Die Revision<br />

beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter <strong>und</strong> Schöffen "vom Wortlaut" der Urk<strong>und</strong>en Kenntnis<br />

genommen hätten. Kenntnis von einer Urk<strong>und</strong>e sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das<br />

Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei. Die Rüge bleibt<br />

ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen<br />

Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen: Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf<br />

von der Verlesung einer Urk<strong>und</strong>e oder eines anderen Schriftstücks - neben anderen Voraussetzungen - dann abgesehen<br />

werden, wenn die Richter <strong>und</strong> Schöffen vom Wortlaut der Urk<strong>und</strong>e oder des Schriftstücks Kenntnis genommen<br />

haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift<br />

aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO)<br />

werden, dass die Richter <strong>und</strong> Schöffen tatsächlich von Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus,<br />

dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurk<strong>und</strong>et werden können, die sich während<br />

der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben<br />

(vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende <strong>und</strong> der Urk<strong>und</strong>sbeamte<br />

der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung<br />

bestätigen. Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urk<strong>und</strong>enbeweises - die Kenntnisnahme vom Urk<strong>und</strong>eninhalt<br />

durch die Richter <strong>und</strong> Schöffen - aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urk<strong>und</strong>sbeamten<br />

der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass die Richter <strong>und</strong> Schöffen tatsächlich<br />

vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So<br />

ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter <strong>und</strong> die Schöffen<br />

präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob<br />

diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen <strong>und</strong> mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die<br />

erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende<br />

muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter <strong>und</strong> der Schöffen verlassen, dass sie das<br />

Schriftstück vollständig gelesen haben, <strong>und</strong> kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen<br />

verbindlich bestätigen. Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbu-<br />

245


ßen der Qualität des Urk<strong>und</strong>enbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten <strong>und</strong> den Verfahrensbeteiligten<br />

zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urk<strong>und</strong>enbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr<br />

dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung - insbesondere bei der aufeinander<br />

folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen. Hieraus<br />

ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme<br />

vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Richter <strong>und</strong> Schöffen im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen<br />

werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein<br />

die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KK-<br />

Diemer, 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />

beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen<br />

werden. Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere<br />

Funktion zu. Da der Urk<strong>und</strong>sbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird,<br />

bedarf es der Kenntlichmachung <strong>und</strong> des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform<br />

gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung<br />

des Gerichts zugr<strong>und</strong>e gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO<br />

beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet.<br />

Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenk<strong>und</strong>iger, insbes. gerichtsk<strong>und</strong>iger, außerhalb der<br />

Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung gr<strong>und</strong>sätzlich nur werden, wenn sie<br />

durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen<br />

Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 mwN). Durch die hier<br />

vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als Feststellung der Kenntnisnahme<br />

vom Wortlaut der Schriftstücke durch Richter <strong>und</strong> Schöffen auszulegen sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24.<br />

Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR<br />

169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht<br />

worden <strong>und</strong> damit verwertbar. Keiner Entscheidung bedarf, wie wegen der fehlenden Beweiskraft des Protokollvermerks<br />

nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für seine inhaltliche Richtigkeit eine Rüge zu behandeln wäre, entgegen der<br />

protokollierten Feststellung hätten die Richter oder Schöffen tatsächlich gar nicht vom Wortlaut der fraglichen<br />

Schriftstücke Kenntnis genommen; denn eine solche Rüge ist hier nicht erhoben.<br />

StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren Protokollierung<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 – 3 StR 131/10 - NStZ-RR 2011, 20<br />

Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen<br />

Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 8. September 2009<br />

a) aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen K. b), d), f), h), j), l) <strong>und</strong> n), V. b) <strong>und</strong> d) sowie M. b) <strong>und</strong> c)<br />

verurteilt worden ist,<br />

b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte schuldig ist<br />

- des Betruges in 26 Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit Ausstellen<br />

unrichtiger Ges<strong>und</strong>heitszeugnisse,<br />

- des Betruges in 63 Fällen, davon in zehn Fällen in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen,<br />

- des versuchten Betruges in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Ges<strong>und</strong>heitszeugnisse in acht Fällen <strong>und</strong><br />

- des versuchten Betruges in sechs Fällen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Ges<strong>und</strong>heitszeugnisse<br />

in 26 Fällen, wegen Betruges in 74 Fällen, wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Ges<strong>und</strong>heitszeugnisse<br />

in acht Fällen <strong>und</strong> wegen versuchten Betruges in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

drei Jahren <strong>und</strong> vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es ihm die berufliche Tätigkeit auf den Gebieten der Frauenheilk<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> der Geburtshilfe sowie der plastischen Chirurgie für die Dauer von drei Jahren untersagt. Die hierge-<br />

246


gen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts beanstandet,<br />

hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat 11 Fälle, in denen Patientinnen eine vom Angeklagten jeweils in betrügerischer Absicht gestellte<br />

Arztrechnung über in Wahrheit nicht erbrachte Leistungen bei zwei verschiedenen Abrechnungsstellen - der<br />

Beihilfestelle <strong>und</strong> der privaten Krankenversicherung - zur jeweils anteiligen Begleichung einreichten, als jeweils<br />

zwei zueinander in Tatmehrheit stehende Fälle des Betruges, davon in einem Fall in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger<br />

Ges<strong>und</strong>heitszeugnisse, bewertet. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bei mehreren Tatbeteiligten<br />

ist die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit für jeden Beteiligten nach der Art seines Tatbeitrages selbstständig<br />

zu ermitteln. Bei Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft sind selbstständige Betrugstaten der unmittelbar gegenüber<br />

den Geschädigten Handelnden beim Mittäter oder Hintermann, dessen Handlung sich in nur einer Tätigkeit<br />

erschöpft, als eine einheitliche Tat anzusehen (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840,<br />

2841; Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, NStZ 2008, 352 f.; Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., Vor § 52 Rn. 34<br />

mwN). Das Einreichen der falschen Rechnung durch die Patientinnen bei zwei unterschiedlichen Kostenträgern stellt<br />

sich damit für den Angeklagten, der jeweils nur eine unrichtige Rechnung ausstellte, als eine einheitliche Tat dar.<br />

Dies führt zur Aufhebung des Urteils wegen Betruges in 11 Fällen <strong>und</strong> zum Wegfall der in diesen Fällen verhängten<br />

Einzelstrafen von zwei mal einem Jahr <strong>und</strong> zwei Monaten in den Fällen V. b) <strong>und</strong> M. c) sowie von neun mal einem<br />

Jahr in den Fällen K. b), d), f), h), j), l) <strong>und</strong> n), V. d) <strong>und</strong> M. b). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.<br />

Trotz des Wegfalls von 11 Einzelstrafen hat die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> vier Monaten Bestand.<br />

Der Senat kann im Hinblick auf die verbleibenden 103 Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von zwei mal einem Jahr<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten, 10 mal einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten, 47 mal einem Jahr <strong>und</strong> zwei Monaten, 30 mal einem Jahr,<br />

acht mal 10 Monaten <strong>und</strong> sechs mal acht Monaten ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtstrafe<br />

erkannt hätte, wenn es die weggefallenen Einzelstrafen nicht in die Gesamtstrafenbildung mit einbezogen<br />

hätte.<br />

2. Im verbleibenden Umfang der Verurteilung hat die Überprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung<br />

keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO). Nicht durchgreifend ist insbesondere<br />

die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht<br />

Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien (s.a. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10 - zu einer<br />

inhaltsgleichen Rüge). Ihr liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Im Zuge der Beweisaufnahme zu 13 Fällen betreffend<br />

insgesamt acht Patientinnen hat der Strafkammervorsitzende hinsichtlich jeweils mehrerer Urk<strong>und</strong>en protokolliert,<br />

dass diese verlesen wurden, dass die Verlesung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren erfolgte<br />

<strong>und</strong> dass der Angeklagte, der Verteidiger sowie die Vertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Kenntnisnahme<br />

erhielten. Im weiteren Verlauf hat er - jeweils nach Unterbrechung der Hauptverhandlung - zu Protokoll die<br />

Feststellung getroffen, die Schöffen <strong>und</strong> die Berufsrichter hätten von den jeweiligen schriftlichen Unterlagen<br />

"Kenntnis genommen". Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter <strong>und</strong> Schöffen<br />

"vom Wortlaut" der Urk<strong>und</strong>en Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urk<strong>und</strong>e sei mit der Kenntnis von<br />

deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis<br />

genommen worden sei. Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3<br />

StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen:<br />

Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urk<strong>und</strong>e oder eines anderen Schriftstücks - neben<br />

anderen Voraussetzungen - dann abgesehen werden, wenn die Richter <strong>und</strong> Schöffen vom Wortlaut der Urk<strong>und</strong>e<br />

oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249<br />

Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann<br />

indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter <strong>und</strong> Schöffen tatsächlich vom Wortlaut<br />

Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus, dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig<br />

beurk<strong>und</strong>et werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf.<br />

einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn<br />

nur diese können der Vorsitzende <strong>und</strong> der Urk<strong>und</strong>sbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll<br />

(§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen. Das Selbstleseverfahren hat den Kern des<br />

Urk<strong>und</strong>enbeweises - die Kenntnisnahme vom Urk<strong>und</strong>eninhalt durch die Richter <strong>und</strong> Schöffen - aber gerade aus der<br />

Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich<br />

zu bestätigen, dass diese tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes<br />

gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch<br />

247


die beisitzenden Richter <strong>und</strong> Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt<br />

es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen <strong>und</strong> mit<br />

der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll<br />

gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter<br />

<strong>und</strong> Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, <strong>und</strong> kann Entsprechendes nur für seine<br />

eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen. Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der<br />

Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urk<strong>und</strong>enbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den<br />

Gerichten <strong>und</strong> den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urk<strong>und</strong>sbeweis nach<br />

§ 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung -<br />

insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden<br />

Aufmerksamkeit folgen. Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO<br />

die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Schöffen <strong>und</strong> Berufsrichter im Wege des<br />

Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung<br />

dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende<br />

Feststellung getroffen hat (KK-Diemer, 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne<br />

des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des<br />

Selbstleseverfahrens gezogen werden. Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2<br />

Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urk<strong>und</strong>sbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der<br />

Hauptverhandlung erhoben wird, bedarf es der Kenntlichmachung <strong>und</strong> des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten,<br />

dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des §<br />

261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugr<strong>und</strong>e gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung<br />

nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge<br />

nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenk<strong>und</strong>iger, insbesondere<br />

gerichtsk<strong>und</strong>iger, außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner,<br />

aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer-Goßner, aaO, §<br />

273 Rn. 7 mwN). Durch die hier vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als<br />

Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Schriftstücke durch die Schöffen <strong>und</strong> Berufsrichter auszulegen<br />

sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9;<br />

BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form<br />

zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden <strong>und</strong> damit verwertbar.<br />

StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren revisibel nur nach Beschussantrag<br />

BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 422/10 - NStZ 2011, 300<br />

1. Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens<br />

kann mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden, wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt<br />

wurde.<br />

2. Erweist sich die Berechnung der verkürzten Steuern auf Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen<br />

als einfacher Rechenschritt, kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend<br />

sein.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer einer nominell von seiner früheren Ehefrau geführten Firma, die im<br />

Zusammenhang mit dem Handel mit gebrauchten Baumaschinen <strong>und</strong> Lastkraftwagen in ein näher beschriebenes,<br />

über Jahre b<strong>und</strong>esweit praktiziertes Steuerhinterziehungssystem einbezogen war. Insgesamt wurde allein Umsatzsteuer<br />

- ebenfalls hinterzogene Einkommen- <strong>und</strong> Gewerbesteuer sind nicht mehr Verfahrensgegenstand - in Höhe<br />

von mehr als 1,5 Millionen € sowohl durch die Verschleierung von Umsätzen als auch durch unberechtigten Vorsteuerabzug<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage fingierter Rechnungen hinterzogen. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage wurde der Angeklagte<br />

248


wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision erhebt eine Verfahrensrüge<br />

in Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) <strong>und</strong> die näher ausgeführte Sachrüge.<br />

Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Zur Verfahrensrüge: Auf Anordnung des Vorsitzenden wurde ein Selbstleseverfahren durchgeführt, das sich auf<br />

eine zwei Seiten umfassende Tabelle bezog, die von der Überschrift: „Vorsteuerbeträge aus Rechnungseingängen der<br />

Firmen G. GmbH + T. GmbH / 2000 bis 2004“ abgesehen, weitgehend aus Zahlen besteht. Hieran knüpft die Revision<br />

an: Der aus Syrien stammende Angeklagte verfügt ausweislich der Urteilsgründe „über keine Schulbildung, kann<br />

nicht Lesen <strong>und</strong> Schreiben“. Ergänzend heißt es an anderer Stelle der Urteilsgründe, nach Angaben der früheren<br />

Ehefrau könne er „nur ein paar Worte <strong>und</strong> im übrigen nur Zahlen lesen“. Ergänzend trägt die Revision näher vor,<br />

dass <strong>und</strong> warum die (mit dem die Revision begründenden Verteidiger nicht identische) Verteidigerin im damaligen<br />

Hauptverhandlungstermin der Auffassung war, nähere Erläuterungen gegenüber dem Angeklagten zu diesem Selbstleseverfahren<br />

seien nicht erforderlich. Insgesamt, so die Revision, komme „ein Selbstleseverfahren mit einem leseunk<strong>und</strong>igen<br />

Angeklagten … nicht in Betracht“. Nachdem der Generalb<strong>und</strong>esanwalt die Zulässigkeit der Rüge bezweifelt<br />

hat, weil ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO<br />

nicht erhoben worden sei, hat die Revision erwidert (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), nicht die Anordnung des Selbstleseverfahrens<br />

sei fehlerhaft gewesen, sondern dessen Durchführung.<br />

a) Der Vorsitzende bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Selbstleseverfahren durchzuführen ist (Mosbacher<br />

in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Dabei sind auch - hier, wie die Revision zutreffend vorträgt,<br />

schon im Ermittlungsverfahren aktenk<strong>und</strong>ig gewordene - Anhaltspunkte für Analphabetismus in die Erwägungen<br />

einzubeziehen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 85). Einen Rechtssatz, dass in derartigen - nach forensischer Erfahrung<br />

nicht häufigen - Fällen ein Selbstleseverfahren keinesfalls zulässig sei, gibt es nicht. Wird ein solches - hier zwei<br />

Aktenseiten betreffendes - Verfahren für zweckmäßig gehalten, so ist die Situation damit vergleichbar, dass der<br />

Angeklagte Urk<strong>und</strong>en zwar lesen, aber mangels Sprachkenntnissen nicht verstehen kann. Auch dann ist ein Selbstleseverfahren<br />

möglich, jedoch muss das Gericht ermöglichen, dass ihm der Inhalt der Urk<strong>und</strong>e zur Kenntnis gebracht<br />

wird (vgl. Mosbacher aaO Rn. 80). Jedoch kann, von den hier nicht in Rede stehenden Richtern abgesehen, jeder<br />

Verfahrensbeteiligte, also auch der Angeklagte, auch darauf verzichten, vom Inhalt der Urk<strong>und</strong>en Kenntnis zu nehmen<br />

(vgl. Mosbacher aaO Rn. 82). Verzichtet er nicht, kann der Inhalt gegebenenfalls durch einen hierzu bereiten<br />

Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden, sonst auf andere Weise. Es ist dem Strafprozessrecht auch sonst nicht<br />

fremd, dass erforderlichenfalls Urk<strong>und</strong>en vorgelesen werden (vgl. § 35 Abs. 3 StPO; zur Notwendigkeit des Vorlesens<br />

auch unter anderen als den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen vgl. Graalmann-Scheerer aaO §<br />

35 Rn. 27).<br />

b) Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann mit<br />

Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden, wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Hinsichtlich<br />

der Anordnung ist eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen,<br />

bei der das Ermessen des Spruchkörpers an die Stelle des Ermessens des Vorsitzenden tritt (Mosbacher aaO Rn. 76).<br />

Geht es nicht um die Anordnung, sondern die ebenfalls zunächst vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung<br />

des Selbstleseverfahrens (Mosbacher aaO Rn. 81), ist eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen,<br />

wobei dann nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu<br />

überprüfen ist (Mosbacher aaO Rn. 103). Hier ist weder das eine noch das andere geschehen. Daher ist für eine Verfahrensrüge<br />

im Zusammenhang mit dem Selbstleseverfahren kein Raum (Mosbacher aaO Rn. 110; Kindhäuser NStZ<br />

1987, 529, 531< § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO>; Mosbacher aaO Rn. 114 ). Soweit keine Entscheidung<br />

gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen: Der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

hat offen gelassen, ob eine Rüge auch dann daran scheitert, dass keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO<br />

herbeigeführt wurde, wenn die behauptete Rechtsverletzung durch den Vorsitzenden nicht mehr mit der Einhaltung<br />

„der unumstößlichen, eindeutigen Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung“ vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 16.<br />

November 2006 - 3 StR 139/06, JR 2007, 381, 384). Der Senat braucht dieser Frage hier ebenfalls nicht näher nachzugehen,<br />

da es hier um die Wahrung eines Rechts geht, auf das der Angeklagte, wie dargelegt, nach seinem Belieben<br />

verzichten kann, ohne dass mit einem solchen Verzicht Prozessrecht verletzt wäre. Wird die Verletzung eines derartigen<br />

Rechts gerügt, bleibt es bei dem Gr<strong>und</strong>satz, dass eine solche Rüge nur Erfolg haben kann, wenn eine Entscheidung<br />

gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde.<br />

2. Mit der Sachrüge macht die Revision geltend, es bleibe unklar, auf welcher Feststellungsgr<strong>und</strong>lage die mitgeteilten<br />

Umsatzsteuerverkürzungen der Höhe nach berechnet seien. Insoweit ist der Revision zuzugestehen, dass die<br />

Urteilsgründe nicht ausdrücklich ergeben, wie hoch die Umsätze waren, die den vom Angeklagten begangenen Um-<br />

249


satzsteuerhinterziehungen zu Gr<strong>und</strong>e lagen. Dies gefährdet hier allerdings den Bestand des Urteils nicht. Es ist zu<br />

differenzieren:<br />

a) Soweit unberechtigter Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) auf der Gr<strong>und</strong>lage von Scheinrechnungen erfolgte, reichte es<br />

für die Sachdarstellung in den Urteilsgründen aus, dass dessen Höhe beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14.<br />

Dezember 2010 - 1 StR 420/10). Aus dem Umstand, dass vorliegend den Scheinrechnungen keine tatsächlich erbrachten<br />

Leistungen zu Gr<strong>und</strong>e lagen, folgt, dass der gesamte aus diesen Scheinrechnungen geltende gemachte Vorsteuerabzug<br />

zu Unrecht erfolgte. Besonderheiten des Einzelfalls, die vorliegend weitere Darlegungen erforderlich<br />

gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.<br />

b) Soweit Umsatzsteuer dadurch verkürzt wurde, dass in den Umsatzsteuervoranmeldungen <strong>und</strong> Umsatzsteuerjahreserklärungen<br />

des Unternehmens steuerbare Umsätze verschwiegen wurden, wären demgegenüber - nicht mit erkennbarem<br />

Mehraufwand verb<strong>und</strong>ene - Feststellungen zur Höhe der verschwiegenen Umsätze sachgerecht gewesen, um<br />

den Senat auch ohne aufwändige eigene Bemühungen die von ihm auf ihre rechtliche Tragfähigkeit zu überprüfenden<br />

tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen des Urteils erkennen zu lassen. Unter den gegebenen Umständen gefährdet dieser<br />

Mangel hier den Bestand des Urteils jedoch nicht: Die Überzeugung von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten<br />

Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen kann das Tatgericht auch anhand eines Geständnisses des Angeklagten, das das Tatgericht<br />

überprüft hat, oder anhand von verlässlichen Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung, die diese in der<br />

Hauptverhandlung als Zeuge berichten, gewinnen. Angaben von Beamten der Finanzverwaltung zu tatsächlichen<br />

Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Gr<strong>und</strong>lage der Überzeugung des Tatgerichts sein<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546 Rn. 18 f.). Erweist sich - wie hier - die Berechnung<br />

der verkürzten Steuern auf Gr<strong>und</strong>lage der so getroffenen Feststellungen als einfacher Rechenschritt (die<br />

festgestellte Hinterziehungssumme stellt nach dem zur Tatzeit geltenden Umsatzsteuersatz 16 % des zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Umsatzes dar), kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend sein. Anhaltspunkte dafür,<br />

dass der Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer (vgl. UA S. 16) bei der gegebenen Sachlage<br />

Rechtsanwendungsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen sind, bestehen nicht, zumal der verteidigte<br />

Angeklagte die Richtigkeit des Zahlenwerks auch selbst anerkannt hat.<br />

3. Auch im Übrigen hat die auf Gr<strong>und</strong> der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum<br />

Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

StPO § 251 Abs. 4 Satz 1 Warum Beschluss?<br />

BGH, Beschl. vom 10.06.2010 – 2 StR 78/10 - NJW 2010, 3383 = StV 2010, 617 = StraFo 2010, 342 m. Anm. Neuhaus<br />

344.<br />

LS: Das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO soll angesichts der potentiellen Bedeutung<br />

der Verlesung für die Zuverlässigkeit der Beweisgewinnung <strong>und</strong> Rekonstruktion des Tatgeschehens<br />

auch gewährleisten, dass das Gericht durch eine gemeinsame Meinungsbildung sowie in seiner Gesamtheit<br />

die Verantwortung dafür trägt, ob ausnahmsweise die Einschränkung der Unmittelbarkeit<br />

durch den Verzicht auf den Zeugen hinnehmbar ist oder die Aufklärungspflicht die Vernehmung<br />

der Beweisperson gebietet.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. Juni 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision<br />

des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Fulda vom 20. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine<br />

andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit der hiergegen gerichteten<br />

Revision rügt der Angeklagte die Verletzung prozessualen <strong>und</strong> sachli-chen Rechts. Die Revision hat mit<br />

einer Verfahrensrüge Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte war im Juni 2008 als Angestellter eines Pflegedienstes u.a. mit der ambulanten Pflege des nach<br />

einem Unfall vom Hals ab quer-schnittsgelähmten Geschädigten betraut. In der Nacht vom 11. Juni auf den 12. Juni<br />

2008 war er zwischen 22.00 Uhr <strong>und</strong> 5.45 Uhr alleine für die Betreuung des Geschädigten verantwortlich.<br />

250


Dieser wachte am Morgen des 12. Juni 2008 gegen 4.00 Uhr auf <strong>und</strong> konnte nicht mehr einschlafen. Er verwickelte<br />

den Angeklagten in ein Gespräch <strong>und</strong> fragte ihn ständig nach Tag <strong>und</strong> Zeit. Hierdurch war der Angeklagte schließlich<br />

derart genervt, dass er sich dazu entschloss, den Angeklagten ruhig zu stellen. Zu diesem Zwecke verabreichte<br />

der Angeklagte dem Geschädigten am 12. Juni 2008 in dessen Zimmer zwischen 4.30 Uhr <strong>und</strong> 5.40 Uhr heimlich<br />

entweder oral mittels eines Bechers vermischt mit einem Getränk oder mittels des Zugangs über die PEG-Sonde ca.<br />

138-240 mg des Wirkstoffs Diazepam, der sich in flüssiger Form in dem Arzneimittel „Valiquid 0,3“ befand, das der<br />

An-geklagte in dem im Patientenzimmer befindlichen Arzneimittelschrank vorgef<strong>und</strong>en hatte. Der Angeklagte wusste,<br />

dass es sich hierbei um eine Dosierung handelte, welche die ärztlicherseits für überraschend auftretende Muskelkrämpfe<br />

verordnete Menge von 10 mg Diazepam erheblich überschritt. Um die Entnahme des Medikaments zu verschleiern,<br />

füllte der Angeklagte das Fläschchen mit einer Flüssigkeit - vermutlich Wasser - wieder auf <strong>und</strong> stellte es<br />

in den Arzneimittelschrank zurück. Entgegen dem Plan des Angeklagten begann das Medikament erst kurz nach 6.00<br />

Uhr zu wirken, als der Angeklagte den Nachtdienst bereits beendet <strong>und</strong> das Anwesen verlassen hatte. Der Geschädigte<br />

schlief gegen 6.10 Uhr ein <strong>und</strong> war während der nächsten St<strong>und</strong>en nicht an-sprechbar. Erst zwischen 16.30 Uhr<br />

<strong>und</strong> 17.30 Uhr am späten Nachmittag gelang es, ihn kurzzeitig durch Rütteln aufzuwecken, ehe er wieder einschlief.<br />

In den darauf folgenden Tagen war er noch phasenweise schläfrig <strong>und</strong> benommen <strong>und</strong> hatte Schwierigkeiten mit<br />

dem Sprechen. Erst ab dem 15. Juni 2008 befand er sich wieder in seinem sonst gewöhnlichen Ges<strong>und</strong>heitszustand.<br />

2. Die Revision rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 251 Abs. 4 Nr. 1 StPO. Das Landgericht hat im Hauptverhandlungstermin<br />

vom 20. Oktober 2009 auf Anordnung des Vorsitzenden zwei Vermerke des Zeugen H. „im allseitigen<br />

Einvernehmen“ verlesen, ohne hierüber einen Gerichtsbeschluss herbei-zuführen. Die Verlesung der Vermerke im<br />

Urk<strong>und</strong>sbeweis kam hier jedoch alleine im Wege eines Gerichtsbeschlusses nach der Vorschrift des § 251 Abs. 4<br />

Satz 1 i.V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO in Betracht, da sie formlose Befragungen des Geschädigten <strong>und</strong> damit „Vernehmungen“<br />

zum Gegenstand hatten, welche nicht im erweiterten Urk<strong>und</strong>sbeweis nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO<br />

verlesen werden dürfen. Das Fehlen des Gerichtsbeschlusses begründet die Revision (vgl. NStZ 1993, 144; 88, 283).<br />

Entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts kann der Senat nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem<br />

festgestellten Rechtsfehler beruht. Zwar ist es zutreffend, dass das Beruhen nach der Rechtsprechung entfallen kann,<br />

wenn den Verfahrensbeteiligten der Gr<strong>und</strong> der Verlesung bewusst war <strong>und</strong> die persönliche Vernehmung des Zeugen<br />

zur weiteren Aufklärung nicht hätte beitragen können (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 52; 2001, 261). Ein solcher Ausschluss<br />

des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Verletzung des Gesetzes <strong>und</strong> dem Urteil kann jedoch mit<br />

Rücksicht auf Sinn <strong>und</strong> Zweck des Beschlusserfordernisses nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Die in §<br />

251 Abs. 4 Satz 1 StPO verlangte Entscheidung durch den gesamten Spruchkörper dient nicht nur der Unterrichtung<br />

der Verfahrensbeteiligten über den Gr<strong>und</strong> der Verlesung. Sie beruht vor allem auch darauf, dass die Ersetzung der<br />

Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer Niederschrift den Gr<strong>und</strong>satz der Unmittelbarkeit einschränkt,<br />

der zur Qualitätssicherung der Beweisaufnahme eine direkte <strong>und</strong> unvermittelte Wahrnehmung der Gerichtspersonen<br />

in der Hauptverhandlung gewährleisten soll. Das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO soll angesichts<br />

der potentiellen Bedeutung der Verlesung für die Zuverlässigkeit der Beweisgewinnung <strong>und</strong> Rekonstruktion des<br />

Tatgeschehens auch gewährleisten, dass das Gericht durch eine gemeinsame Meinungsbildung sowie in seiner Gesamtheit<br />

die Verantwortung dafür trägt, ob ausnahmsweise die Einschränkung der Unmittelbarkeit durch den Verzicht<br />

auf den Zeugen hinnehmbar ist oder die Aufklärungspflicht die Vernehmung der Beweisperson gebietet. Der<br />

Senat kann hier nicht ausschließen, dass die persönliche Vernehmung des Zeugen H. eine weitergehende Aufklärung<br />

des Falles ermöglicht hätte als die erfolgte Verlesung der Vermerke. Insoweit ist es ohne Belang, dass auf die Vernehmung<br />

des Zeugen H. sowie auf die Verlesung der Vermerke in der Hauptverhandlung im allseitigen Einverständnis<br />

verzichtet wurde. Das Einverständnis von Staatsanwalt, Verteidiger <strong>und</strong> Angeklagtem nach § 251 Abs. 1 Nr. 1<br />

StPO ist lediglich Voraussetzung für die Entscheidung gemäß § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO, ersetzt aber nicht die nach<br />

dieser Vorschrift einzuhaltenden formellen Voraussetzungen, deren es ansonsten nicht bedürfte. Dem entspricht es,<br />

dass die Einhaltung der Förmlichkeiten in § 251 Abs. 4 StPO, insbesondere die förmliche Selbstkontrolle des Gerichts<br />

durch Entscheidung des gesamten Spruchkörpers, nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten steht (vgl.<br />

BGH NStZ-RR 2007, 52; NStZ 88, 283). Maßgebend ist vielmehr, dass sich die Verlesung der Vermerke ausweislich<br />

der Urteilsgründe auf die Entscheidung des Landgerichts tatsächlich ausgewirkt haben kann. Die Verlesung hat<br />

der Kammer - zusammen mit anderen Indizien - die Überzeugung verschafft, dass dem Geschädigten das Medikament<br />

"Valiquid" ohne sein Wissen verabreicht wurde. Außerdem hat sie aufgr<strong>und</strong> der Vermerke "von einer Vernehmung<br />

des körperlich schwer behinderten Zeugen in der Hauptverhandlung abgesehen" (UA 20). Bereits daraus folgt,<br />

dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Rechtsfehler <strong>und</strong> Urteil nicht rein theoretisch ist oder ausgeschlossen<br />

werden kann. Denn die Beschreibung der Aussagetüchtigkeit des Geschädigten beruhte ersichtlich auf einer Bewertung<br />

des die Anhörung durchführenden Polizeibeamten. Unter diesen Umständen hätte die persönliche Vernehmung<br />

251


des Polizeibeamten in der Hauptverhandlung ein Hinterfragen seiner Einschätzung erlaubt. Auf die ergänzenden<br />

Ausführungen der Revision zur Beruhensfrage, die auf eine missverständliche Deutung der beiden Vermerke durch<br />

das Gericht hindeuten könnten, kommt es daher nicht an.<br />

3. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass die Ausführungen des Landgerichts zur Motivation<br />

des Angeklagten in der Tatsitua-tion nicht bedenkenfrei sind. Da die Kammer von einer „Spontantat“ überzeugt<br />

ist, sieht sie „auch das Argument der Verteidigung entkräftet, dass der Angeklagte zur Tatzeit lediglich noch 2 St<strong>und</strong>en<br />

seines Nachtdienstes zu absolvieren <strong>und</strong> danach acht Tage Freischicht hatte“ (UA 23). Aus den Feststellungen<br />

ergibt sich jedoch als Zeitpunkt der Verabreichung des Medikamentes die Zeit „zwi-schen 4.30 Uhr <strong>und</strong> 5.40 Uhr“<br />

(UA 10) bei einer Ablösung des Angeklagten durch den Frühdienst „zwischen 5.45 Uhr <strong>und</strong> 5.50 Uhr“ (UA 9). Legt<br />

man dem entsprechend den spätest möglichen Zeitpunkt der Beibringung während der Nachtschicht um 5.40 Uhr<br />

zugr<strong>und</strong>e, hätte der Angeklagte lediglich fünf Minuten Ruhe „gewonnen“. Dies widerspricht der Annahme in der<br />

Beweiswürdigung, der Angeklagte habe nach der Verabreichung des Valiquid noch zwei St<strong>und</strong>en Nachtdienst gehabt.<br />

Darüber hinaus hätte sich das Landgericht auch unter dem Aspekt dieses engen Zeitfensters im Rahmen seiner<br />

Beweiswürdigung mit der Frage befassen müssen, welche Motive den als pflichtbewussten Krankenpfleger geschilderten<br />

Angeklagten zu der Tat bewogen haben.<br />

StPO § 257c Abs. 5 Unterlassene Belehrung<br />

BGH, Beschl. v. 19.08.2010 - 3 StR 226/10 – StV 2011, 76 = wistra 2011, 73<br />

Zu den Rechtsfolgen einer Unterlassung der Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 19. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 10. September 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine<br />

Sachbeschwerde <strong>und</strong> zwei Verfahrensbeanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.<br />

Näherer Erörterung bedürfen nur die im Zusammenhang mit der Verständigung erhobenen Verfahrensrügen.<br />

1. Die Beanstandung, das Landgericht habe § 257c Abs. 5 StPO verletzt, gefährdet vorliegend den Bestand des Urteils<br />

nicht.<br />

a) Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten bandenmäßiges<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zahlreichen Fällen zur Last gelegt. Die Strafkammer<br />

hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung eine Reihe von Anklagevorwürfen nach § 154<br />

Abs. 2 StPO behandelt. Sodann hat sie, nachdem die Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Angeklagte ihre Bereitschaft zu<br />

einer Verständigung signalisiert hatten, den möglichen Inhalt einer Verständigung dahingehend bekanntgegeben,<br />

dass für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten hinsichtlich des verbliebenen Verfahrensstoffs eine Freiheitsstrafe<br />

von nicht mehr als zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verhängt werden würde. Dem haben Staatsanwaltschaft<br />

<strong>und</strong> Angeklagter zugestimmt. Sodann hat der Angeklagte eine die Anklagevorwürfe einräumende Einlassung abgegeben.<br />

Nach Erörterung der persönlichen Verhältnisse <strong>und</strong> der Vorstrafen ist die Beweisaufnahme geschlossen worden.<br />

Nach übereinstimmenden Anträgen hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO ist nicht erteilt worden.<br />

b) Im Ausgangspunkt zutreffend rügt die Revision, dass der Vorsitzende der Strafkammer seine Pflicht aus § 257c<br />

Abs. 5 StPO verletzt hat. Danach ist der Angeklagte über die Voraussetzungen, unter denen sich das Gericht nach §<br />

257c Abs. 4 StPO von einer Verständigung lösen kann, <strong>und</strong> über die Folgen einer solchen Abweichung des Gerichts<br />

von der Verständigung zu belehren. Diese Belehrung dient dem Schutz des Angeklagten, dem vor Augen gehalten<br />

werden soll, dass <strong>und</strong> unter welchen Voraussetzungen <strong>und</strong> mit welchen Folgen das Gericht von der Strafrahmenzusage<br />

abweichen kann. Der Angeklagte soll damit in die Lage versetzt werden, eine "autonome Einschätzung" des mit<br />

seiner Mitwirkung an der Verständigung verb<strong>und</strong>enen Risikos vorzunehmen (Niemöller in N/Sch/W, VerstG, § 257c<br />

Rn. 153 unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/12310 S. 15). Diese Belehrung muss zusammen mit der Bekanntgabe des<br />

gerichtlichen Verständigungsvorschlags (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO) erteilt werden, da nur so der Angeklagte in die<br />

252


Lage versetzt wird, in Kenntnis der Tragweite weiterer Äußerungen eine Stellungnahme zu dem gerichtlichen Vorschlag<br />

abzugeben (§ 257c Abs. 3 Satz 3 StPO) sowie ggf. diesem zuzustimmen <strong>und</strong> damit - bei Zustimmung auch<br />

der Staatsanwaltschaft - die Verständigung zustandezubringen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO).<br />

c) Der Senat schließt aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler,<br />

wenn es möglich erscheint oder nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An<br />

dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder<br />

rein theoretisch ist (Löwe/Rosenberg/Hanack, StPO, 25. Aufl., § 337 Rn. 255). Die Entscheidung über das Beruhen<br />

hängt - insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrens-recht - stark von den Umständen des Einzelfalls ab (Löwe/Rosenberg/Hanack,<br />

StPO, 25. Aufl., § 337 Rn. 257). Deren Betrachtung in vorliegender Sache zeigt, dass das<br />

Urteil nicht anders ausgefallen wäre, wenn der Vorsitzende den Angeklagten gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt<br />

hätte.<br />

aa) Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht führt nicht zu einem - von der Revision hier auch nicht geltend gemachten<br />

- Verwertungsverbot hinsichtlich des nach dem Zustandekommen der Verständigung abgegebenen Geständnisses.<br />

Dies folgt bereits daraus, dass das Gesetz diese Wirkung allein an das Scheitern der Verständigung knüpft (§<br />

257c Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Satz 1 <strong>und</strong> 2 StPO), nicht dagegen auch an das Unterbleiben der Belehrung. Dementsprechend<br />

bleibt das Gericht trotz des Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO an die Verständigung geb<strong>und</strong>en. Deshalb<br />

kann diesem Verfahrensfehler auch nicht eine so weitgehende Folge beigemessen werden.<br />

bb) Es kommt deshalb darauf an, ob das Geständnis, auf dem die Überzeugungsbildung des Gerichts bei Urteilen<br />

nach Verständigung in aller Regel maßgeblich aufbauen wird, dadurch beeinflusst ist, dass der Vorsitzende die gebotene<br />

Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO unterlassen hat, ob also der Angeklagte das Geständnis nicht oder mit anderem<br />

Inhalt abgegeben hätte, wenn er vom Vorsitzenden über die Möglichkeit des Gerichts, sich unter bestimmten<br />

Voraussetzungen von der Verständigung zu lösen, <strong>und</strong> über die sich daraus ergebenden Folgen aufgeklärt worden<br />

wäre. Dies erscheint dem Senat in Ansehung des Inhalts der gebotenen Belehrung einerseits <strong>und</strong> der konkreten Prozesssituation<br />

andererseits hier ausgeschlossen.<br />

(1) Die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO muss sich auf folgende Umstände erstrecken: Zum einen entfällt die<br />

Bindung des Gerichts an eine Verständigung dann, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht der<br />

Erwartung entspricht, die der Prognose des Gerichts bei seinem Verständigungsvorschlag zugr<strong>und</strong>e gelegt worden ist<br />

(§ 257c Abs. 4 Satz 2 StPO). Basis des gerichtlichen Vorschlags war vorliegend ein Geständnis des Angeklagten.<br />

Dass der Angeklagte nicht mit einer Strafe aus dem zugesicherten Strafrahmen rechnen kann, wenn er den Tatvorwurf<br />

nicht gesteht, ist als Konsequenz so selbstverständlich, dass eine fehlende Belehrung darüber das Aussageverhalten<br />

des Angeklagten regelmäßig nicht zu beeinflussen vermag. Gleiches gilt für den Wegfall der Bindung<br />

dadurch, dass das Gericht aufgr<strong>und</strong> sich neu ergebender Tatsachen zu der Überzeugung gelangt, der in Aussicht<br />

gestellte Strafrahmen sei nicht mehr tat- oder schuldangemessen (§ 257c Abs. 4 Satz 1 2. Alt. StPO). Dass neu hervortretende<br />

Umstände zu einer neuen Bewertung der Schuld- <strong>und</strong> Straffrage führen können, liegt auch für den Angeklagten<br />

auf der Hand, so dass insoweit der Belehrung ebenfalls nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommt <strong>und</strong><br />

deshalb auch unter diesem Aspekt regelmäßig nicht davon auszugehen ist, dass die unterlassene Belehrung das Aussageverhalten<br />

des Angeklagten beeinflusst hat, zumal der Angeklagte im All-gemeinen Kenntnis von den später neu<br />

zutage getretenen Umständen haben wird. Zuletzt kann sich das Gericht auch von der Zusage lösen, wenn seine<br />

Überzeugung, der in Aussicht gestellte Strafrahmen sei nicht mehr tat- oder schuldangemessen, darauf beruht, dass<br />

im Zeitpunkt der Verständigung rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind (§ 257c<br />

Abs. 4 Satz 1 1. Alt. StPO). Hierbei handelt es sich, worauf die Revision zutref-fend hinweist, um die den Angeklagten<br />

am meisten belastende Variante für eine Lösung des Gerichts von der Verständigung, da hierfür Umstände ausreichen<br />

können, die ihren Ursprung ausschließlich im Einfluss- <strong>und</strong> Verantwortungsbereich des Gerichts haben. Das<br />

Gericht ist selbst dann nicht an eine Verständigung geb<strong>und</strong>en, wenn es einen Strafrahmen vorgeschlagen hat, den es<br />

bei vorangehender ausreichender Durchdringung der Sach- <strong>und</strong> Rechtslage nicht zur Gr<strong>und</strong>lage einer Verständigung<br />

gemacht hätte. Das Wissen um dieses Risiko kann deshalb den Angeklagten am ehesten daran hindern, auf einen<br />

gerichtlichen Verständigungsvorschlag einzugehen <strong>und</strong> eine geständige Einlassung abzugeben. Indes muss dabei<br />

zugleich in Betracht gezogen werden, dass der Angeklagte im Rahmen der Belehrung auch darüber aufzuklären ist,<br />

dass sein Geständnis bei Lösung des Gerichts von der Verständigung einem Verwertungsverbot unterliegt (§ 257c<br />

Abs. 4 Satz 3 StPO). Damit ist jede Tatsachenangabe unverwertbar, die der Angeklagte nach dem Zustandekommen<br />

der Verständigung gemacht hat <strong>und</strong> die geeignet ist, einem Schuldspruch im Sinne der Anklage, sei es allein, sei es<br />

im Verb<strong>und</strong> mit anderen Tatsachen, als Gr<strong>und</strong>lage zu dienen (Niemöller in N/Sch/W, VerstG, § 257c Rn. 148). Dieses<br />

Verwertungsverbot kompensiert die teilweise weiten Möglichkeiten des Gerichts, sich von einer Verständigung<br />

zu lösen. Im Rahmen der Beruhensprüfung ist deshalb zu berücksichtigen, dass eine korrekte Belehrung nach § 257c<br />

253


Abs. 5 StPO dem Angeklagten nicht nur die Risiken vor Augen geführt, sondern ihn auch über das ihn schützende<br />

Verwertungsverbot unterrichtet hätte.<br />

(2) Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> gewinnt der Senat die Überzeugung, dass der Angeklagte hier auch dann sein Geständnis<br />

abgegeben hätte, wenn er die vorgeschriebene Belehrung erhalten hätte. Maßgeblich hierfür sind auch folgende<br />

besondere Umstände: Der Angeklagte hatte sich zuvor nicht zu den Tat-vorwürfen eingelassen; seine Aussagebereitschaft<br />

war erst durch die Verständigung geweckt worden. Andererseits waren die Mitangeklagten inzwischen aufgr<strong>und</strong><br />

von Verständigungen zu Geständnissen bereit, die zu einer Verurteilung des Angeklagten auch ohne sein Geständnis<br />

hätten führen können. Das Risiko, auf diese Weise verurteilt zu werden, ohne zuvor die Zusage einer - wie<br />

hier - am Tatvorwurf gemessen sehr moderaten Strafobergrenze zu erhalten, war daher erheblich.<br />

2. Die Rüge, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO in den Urteilsgründen nicht angegeben,<br />

dass dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen war, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Der von der Revision<br />

gerügte Rechtsfehler liegt vor. Nach § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO ist, wenn dem Urteil eine Verständigung (§ 257c<br />

StPO) vorausgegangen ist, dies in den Urteilsgründen anzugeben. Die Angabe des Inhalts der Verständigung ist<br />

dabei nicht erforderlich. Insoweit findet die notwendige Dokumentation in der Sitzungsniederschrift statt (BGH,<br />

Beschluss vom 13. Januar 2010 - 3 StR 528/09, StV 2010, 227). Diese Verpflichtung zur Offenlegung der Verfahrensabsprache<br />

im Urteil ist <strong>Teil</strong> der Bemühungen um Transparenz des Verständigungsverfahrens (vgl. Begr. RE BT-<br />

Drucks. 16/12310 S. 15). Der Leser des Urteils, u.a. das Rechtsmittelgericht, das mit einem Folgeverfahren straf-<br />

oder zivilrechtlicher Art befasste Gericht oder die für die Strafvollstreckung zuständigen Stellen, sollen von diesem<br />

für das Zustandekommen des Urteils wesentlichen Umstand unterrichtet sein (vgl. Niemöller in N/Sch/W, VerstG, §<br />

267 Rn. 9). Das Landgericht hat diese Unterrichtungspflicht verletzt. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil<br />

auf dem Rechtsfehler beruht. Ob die schriftlichen Urteilsgründe den gebotenen Hinweis auf eine Verständigung<br />

enthalten, hängt von der richterlichen Sorgfalt bei deren Absetzung ab. Diese folgt der Urteilsberatung <strong>und</strong> -<br />

verkündung nach. Schon deshalb liegt ein Beruhen des Urteils auf diesem Fehler fern. Ausgeschlossen ist es indes<br />

nicht, wie schon ein Vergleich mit anderen Verfahrensvorschriften zur Erörterung bestimmter Umstände in den Urteilsgründen<br />

zeigt: Werden - jeweils entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag - die Voraussetzungen für<br />

die Einordnung einer Tat als minder schwerer Fall verneint, die Voraussetzungen für die Einordnung einer Tat als<br />

besonders schwerer Fall jenseits von Regelbeispielen bejaht, die Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe angenommen<br />

oder eine Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, dann muss dies in den Urteilsgründen erörtert<br />

werden (§ 267 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 StPO). Gleiches gilt u.a. für die Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung<br />

<strong>und</strong> Sicherung entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO). Ein Verstoß gegen<br />

diese Verfahrensvorschriften kann die Revision begründen, obwohl auch hier in erster Linie eine Nachlässigkeit bei<br />

der Urteilsabfassung <strong>und</strong> nicht bei der Urteilsfindung zutage tritt. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge wird das<br />

Urteil aufgehoben, wenn sich nicht ausnahmsweise die diesbezügliche Erörterung erübrigt (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 13. März 2008 - 4 StR 534/07, StV 2008, 345 (LS); BGH, Beschluss vom 19. März 1993 - 2 StR 67/93). Vergleichbare<br />

Überlegungen führen hier zum Ausschluss des Beruhens. Das Landgericht hat sich nach dem Vortrag der<br />

Revision an den Inhalt der Verständigung gehalten. Das Zustandekommen <strong>und</strong> der Inhalt der Verständigung sind im<br />

Protokoll der Hauptverhandlung dokumentiert. Es steht also nicht zu besorgen, dass die Strafkammer diese bei der<br />

Urteilsberatung außer Acht gelassen hätte. Weitergehende Wirkungen können dem Verstoß gegen die Dokumentationspflicht<br />

nach § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht beigemessen werden. Dies käme der Schaffung eines neuen absoluten<br />

Revisionsgr<strong>und</strong>es gleich.<br />

StPO § 257c Aufkündigung von Absprachen durch neue Besetzung<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 205/10 - NStZ 2011, 107<br />

Kein Verstoß gegen "Fair Trial"-Gr<strong>und</strong>satz, wenn sich das Gericht wegen geänderter Besetzung an<br />

frühere informelle Absprache nicht geb<strong>und</strong>en fühlt <strong>und</strong> dies auch erklärt.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 4. August 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2009 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

254


Die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung hat im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben. Näherer Ausführung bedarf nur Folgendes:<br />

1. Mit einer Verfahrensrüge macht der Angeklagte geltend, das Landgericht habe ihn entgegen einer Zusage zu einer<br />

Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.<br />

a) Dem liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e:<br />

Im Zwischenverfahren kam es zu einem Gespräch der Vorsitzenden der Strafkammer mit dem Verteidiger. Dabei<br />

stellte die Vorsitzende eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> Strafaussetzung zur Bewährung für den Fall<br />

eines glaubhaften umfassenden Geständnisses in Aussicht. Dies besprach sie telefonisch auch mit der Sachbearbeiterin<br />

der Staatsanwaltschaft, die der informellen Absprache zustimmte. Im Hinblick auf die Vereinbarung wurde von<br />

der Ladung zahlreicher Zeugen abgesehen <strong>und</strong> die Hauptverhandlung auf nur zwei Tage terminiert. An der Hauptverhandlung<br />

vom 12. November <strong>und</strong> 18. November 2009 konnte die Vorsitzende der Strafkammer wegen Erkrankung<br />

nicht teilnehmen; sie wurde von ihrem Stellvertreter, Richter am Landgericht K., geleitet; als Beisitzer trat als<br />

drittes Mitglied der Kammer Richter am Landgericht Dr. B. ein. In einem Telefongespräch zwischen dem Verteidiger<br />

<strong>und</strong> Richter am Landgericht K. am 11. November 2009 wies dieser darauf hin, die erkennende Kammer wolle im<br />

Hinblick auf die Beweislage von einer formellen Vereinbarung im Sinne von § 257c StPO absehen. In der Hauptverhandlung<br />

ließ der Vorsitzende protokollieren: "Zwischen dem Verteidiger <strong>und</strong> der Vorsitzenden der Kammer (…)<br />

haben Erörterungen darüber stattgef<strong>und</strong>en, ob der im Ermittlungsverfahren umfassend geständige Angeklagte unter<br />

Umständen mit einer Bewährungsstrafe rechnen könne. Frau F. hat Richter am Landgericht K. dazu gesagt, dass aus<br />

ihrer Sicht für den Fall eines umfassenden wahrheitsgemäßen Geständnisses eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe<br />

möglich erscheint, wenn daneben eine Geldstrafe oder Geldauflage verhängt wird. Die Kammer in der<br />

Besetzung der Hauptverhandlung hat die Frage, ob sie den Verfahrensbeteiligten gemäß § 257c StPO auf dieser<br />

Basis einen Verständigungsvorschlag unterbreiten soll, beraten <strong>und</strong> ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie davon absehen<br />

möchte." Nach der (teilweise bestreitenden) Einlassung des Angeklagten am ersten Hauptverhandlungstag<br />

wies der Vorsitzende ihn darauf hin, er möge sich seine Einlassung im Hinblick auf die "erwünschte Bewährungsstrafe"<br />

(so die dienstlichen Erklärungen der Richter K. <strong>und</strong> Dr. B.) - nach dem Vortrag der Revision: Im Hinblick auf<br />

die "beabsichtigte Bewährungsstrafe" - noch einmal überlegen. Am zweiten Verhandlungstag ließ sich der Angeklagte<br />

umfassend geständig ein. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft regte für den Fall der Verhängung<br />

einer Freiheitsstrafe zur Bewährung eine Geldauflage an eine gemeinnützige Einrichtung an. Der Vorsitzende ließ<br />

die Feststellung protokollieren, eine Verständigung habe nicht stattgef<strong>und</strong>en. Vermutlich am Ende der Beweisaufnahme<br />

(nach Vortrag der Revision: Beim Hinausgehen zur Beratung) fragte der Vorsitzende den Angeklagten, in<br />

welcher Höhe er monatliche Zahlungen auf eine Geldauflage erbringen könnte. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft<br />

beantragte abschließend eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung.<br />

Der Verteidiger schloss sich diesem Antrag an. Das Gericht verkündete nach Beratung die Verurteilung zur<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten. Ob, wie es die Revision vorgetragen hat, der Vorsitzende<br />

im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung darauf hinwies, eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe sei<br />

im Hinblick auf die Meinung des Beisitzers Dr. B. nicht in Betracht gekommen, ist streitig geblieben. Die Berufsrichter<br />

der Kammer haben dies in ihren vom Senat eingeholten dienstlichen Erklärungen bestritten.<br />

b) Die Revision macht einen Verstoß gegen § 257c StPO, hilfsweise einen Verstoß gegen den Gr<strong>und</strong>satz des fairen<br />

Verfahrens geltend. Der Vorsitzende habe sich während der gesamten Hauptverhandlung so verhalten, als fühle er<br />

sich an die mit der erkrankten Kammervorsitzenden getroffene informelle Absprache geb<strong>und</strong>en. Hierauf habe der<br />

Anklagte vertrauen dürfen. Die Vorsitzende der Strafkammer hat in einer dienstlichen Erklärung das Vorbringen der<br />

Verteidigung bestätigt. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hat dienstlich erklärt, sie sei von der Sachbearbeiterin<br />

über die informelle Absprache informiert worden. Der Vorsitzende habe in der Hauptverhandlung "nicht<br />

hinreichend deutlich (gemacht), dass für die Kammer eine bewährungsfähige Strafe auch für den Fall eines Geständnisses<br />

nicht in Betracht kommt". Er habe den Angeklagten "am Ende des ersten Hauptverhandlungstags darauf hingewiesen,<br />

dass seine Einlassung nicht, wie angekündigt, ein umfassendes Geständnis sei (…). Am zweiten Verhandlungstag<br />

ließ sich der Angeklagte daraufhin umfassend geständig ein (…). Da sich der Angeklagte, wie von Frau F.<br />

(…) gefordert, umfassend geständig eingelassen hatte, (…) fühlte ich mich an den von ihr unterbreiteten Vorschlag<br />

geb<strong>und</strong>en. Aufgr<strong>und</strong> der Verhandlungsführung (…) ging ich davon aus, dass auch die Kammer das von der Vorsitzenden<br />

im Zwischenverfahren in Aussicht gestellte Strafmaß für sachgerecht erachtet." Die beiden Berufsrichter des<br />

erkennenden Gerichts haben sich - mit den oben unter a) genannten Abweichungen - im Wesentlichen übereinstimmend<br />

mit dem Vorbringen der Revision geäußert. Der Vorsitzende hat aber darauf hingewiesen, er habe schon im<br />

Telefongespräch vom 11. November 2009 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass er sich an die Vereinbarung<br />

nicht geb<strong>und</strong>en fühle.<br />

255


2. Die Rüge ist unbegründet.<br />

a) Ein Verstoß gegen § 257c StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine Verständigung nach dieser Vorschrift<br />

nicht stattgef<strong>und</strong>en hat. Eine Umgehung der formellen gesetzlichen Anforderungen des § 257c StPO durch informelle<br />

Absprachen, deren Vorliegen hier möglich, aber im Hinblick auf § 202a StPO nicht bewiesen ist, würde jedenfalls<br />

nicht zum Eintritt der Bindungswirkung gemäß § 257c Abs. 3 S. 4, Abs. 4 StPO führen. Eine formelle Verständigung<br />

ist hier nach übereinstimmendem, vom Protokoll bestätigtem Vorbringen ausdrücklich gerade nicht zustande gekommen.<br />

b) Auch ein Verstoß gegen den Gr<strong>und</strong>satz des fairen Verfahrens liegt hier nicht vor. Ein solcher wäre gegeben, wenn<br />

sich das erkennende Gericht in einer Weise unklar oder irreführend verhalten hätte, welche den Angeklagten über<br />

Bedeutung <strong>und</strong> Folgen seines eigenen Prozessverhaltens im unklaren ließ oder zu letztlich nachteiligem Verhalten<br />

veranlasste. Das würde jedenfalls voraussetzen, dass der Vorwurf der Revision bewiesen wäre, das Gericht habe sich<br />

stets so verhalten, als fühle es sich an eine mit der erkrankten Kammervorsitzenden geschlossene informelle Vereinbarung<br />

geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> als könne auch der Angeklagte hierauf vertrauen. Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensbeteiligter,<br />

der nach eigener Kenntnis an einer gesetzwidrigen informellen Absprache - gegen eine wissentlich unzutreffende<br />

ausdrückliche Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a S. 2 <strong>und</strong> 3 StPO - teilgenommen hat, das Urteil ohne weiteres<br />

dennoch mit der Verfahrensrüge dieses Verstoßes anfechten kann. Es kommt vorliegend hierauf nicht an, weil<br />

der vom Revisionsführer behauptete Vertrauenstatbestand nicht bewiesen ist. Nach dem festgestellten Verfahrenssachverhalt<br />

bestand für das erkennende Gericht, das sich - ohne Zweifel zulässigerweise - an frühere Absprachen<br />

oder Angebote der nicht mitwirkenden Kammervorsitzenden nicht als geb<strong>und</strong>en ansehen wollte, keine andere als die<br />

gewählte Möglichkeit, dies gegenüber den Verfahrensbeteiligten zum Ausdruck zu bringen. Der Vorsitzende teilte<br />

dem Verteidiger bereits am Vortag der Hauptverhandlung mit, eine Absprache werde es nicht geben. Dies dokumentierte<br />

er auch ausführlich <strong>und</strong> wahrheitsgemäß im Protokoll der Hauptverhandlung. Am Ende der Verhandlung stellte<br />

er nochmals ausdrücklich fest, eine Verständigung habe nicht stattgef<strong>und</strong>en. Es ist nicht ersichtlich, was das Landgericht<br />

darüber hinaus noch hätte tun sollen, um klarzustellen, das der Angeklagte auf eine von der gar nicht beteiligten<br />

Vorsitzenden Richterin F. gegebene Zusage gerade nicht vertrauen konnte. Auch die Revision trägt nicht vor, welche<br />

zusätzlichen vertrauenszerstörenden Maßnahmen sie vermisst. Soweit sich dies darauf stützen sollte, dass sie eine<br />

endgültige Bindung schon aufgr<strong>und</strong> der Absprachen im Zwischenverfahren annimmt <strong>und</strong> jede Distanzierung des<br />

erkennenden Gerichts hiervon für unzulässig oder unzureichend hält, wie die Revisionsbegründung nahe legt, wäre<br />

dies nicht zutreffend. Es ist auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Angeklagte bereits durch die<br />

Erklärungen der Kammervorsitzenden im Zwischenverfahren zu einem für ihn nachteiligen Prozessverhalten veranlasst<br />

worden wäre, bevor er von der Distanzierung durch das erkennende Gericht erfuhr. Im Ergebnis ist daher hier<br />

der geltend gemachte, dem Gericht zuzurechnende Vertrauenstatbestand nicht geschaffen worden. Dem steht nicht<br />

entgegen, dass sich die Erörterung in der Hauptverhandlung auch auf die Frage einer möglichen Strafaussetzung zur<br />

Bewährung bezog <strong>und</strong> dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft sich - unzutreffend - "geb<strong>und</strong>en" fühlte.<br />

3. Auch im Übrigen ergibt die Überprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler<br />

zum Nachteil des Angeklagten.<br />

StPO § 257c Deal ohne StA kein Revisionsgr<strong>und</strong><br />

BGH, Urt. v. 10.11.2010 – 5 StR 424/10 - BeckRS 2010, 30800<br />

Dass das Urteil einem Verständigungsvorschlag des Gerichts entspricht, dem die Staatsanwaltschaft<br />

nicht zugestimmt hat, begründet für sich keinen Rechtsfehler.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. November 2010 für Recht erkannt: Die Revision<br />

der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. April 2010 wird verworfen. Die Staatskasse<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu<br />

tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in 22 Fällen (Einzelfreiheitsstrafen<br />

von jeweils acht Monaten) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.<br />

Die auf den Strafausspruch beschränkte, mit der Sachrüge geführte, vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt nicht vertretene<br />

Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 – 1 StR 204/00; Nr. 147 RiStBV) bleibt<br />

256


erfolglos. Mit Strafrahmenwahl (§ 260a Abs. 2 <strong>StGB</strong>), Einzelstraf- <strong>und</strong> Gesamtstrafbemessung sowie Strafaussetzung<br />

hat das Tatgericht den vom Revisionsgericht hinzunehmenden Rahmen des Vertretbaren nicht unterschritten.<br />

Die Sanktionierung des Angeklagten ist nach Art <strong>und</strong> Gesamtumfang der Taten <strong>und</strong> angesichts des Gesamttatzeitraums<br />

sehr, indes bei dem Prozessverhalten des Angeklagten <strong>und</strong> seiner sozialen Einbindung nicht unvertretbar milde.<br />

Dass das Urteil einem Verständigungsvorschlag der Strafkammer entsprach, dem die Staatsanwaltschaft nicht<br />

zugestimmt hatte, begründet für sich keinen Rechtsfehler (vgl. nur Föhrig, Kleines Strafrichter-Brevier 2008 S. 37<br />

f.).<br />

StPO § 257c Deal zulasten Dritter?<br />

BGH, Beschl. v. 05.10.2010 – 3 StR 287/10 - StV 2011, 72<br />

Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften zur Verständigung im Strafverfahren vom<br />

29. Juli 2009 gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten<br />

auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene<br />

Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit<br />

Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine<br />

verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex<br />

betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe<br />

bestreitenden Mitangeklagten geführt werden.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 5. Oktober 2010 ein-stimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des<br />

Landgerichts Hannover vom 5. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2<br />

StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Zu der Befangenheitsrüge nach § 338 Nr. 3 StPO bemerkt der Senat ergänzend:<br />

1. Hintergr<strong>und</strong> der gegen alle Mitglieder der Strafkammer gerichteten Befangenheitsanträge vom 18. <strong>und</strong> 21. August<br />

sowie vom 22. Dezember 2009 ist der Umstand, dass die Strafkammer im Anschluss an den Hauptverhandlungstermin<br />

vom 17. August 2009 in Abwesenheit der Verteidiger des Beschwerdeführers unter Beteiligung der Sitzungsvertreterin<br />

der Staatsanwaltschaft mit den beiden Verteidigern des Mitangeklagten A. ein Gespräch über die Möglichkeit<br />

einer verfahrensbeendenden Absprache für den Fall einer qualifiziert geständigen Einlassung des Mitangeklagten<br />

geführt hat, ohne die übrigen Verfahrensbeteiligten bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in öffentlicher<br />

Hauptverhandlung nachträglich über den Gesprächsinhalt zu unterrichten.<br />

a) Die Rüge ist, soweit sie die Befangenheitsanträge vom 18. <strong>und</strong> 21. August 2009 für sich genommen betrifft, aus<br />

den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts unbegründet. Das zunächst berechtigte Misstrauen des<br />

Beschwerdeführers, bei dem unter Ausschluss seiner Verteidiger geführten Gespräch seien ihm zum Nachteil gereichende<br />

Umstände erörtert worden, ist jedenfalls durch die ihm bekannt gemachten dienstlichen Äußerungen der<br />

abgelehnten Richter ausgeräumt worden (BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 301/07, NStZ 2008,<br />

229; vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, NStZ 2009, 159, 160 <strong>und</strong> vom 4. März 2009 - 1 StR 27/09, NStZ<br />

2009, 701). Danach wurde bei dem beanstandeten Gespräch eine Verständigung mit dem Mitangeklagten nicht erzielt,<br />

sondern es wurden für den Fall eines qualifizierten Geständnisses lediglich mögliche Strafvorstellungen erörtert,<br />

die bereits Gegenstand eines schon am 28. Juli 2009 - ebenfalls erfolglos - außerhalb der Hauptverhandlung<br />

geführten Verständigungsgesprächs waren, bei dem auch die Verteidiger des Beschwerdeführers anwesend waren.<br />

Die dem Ablehnungsgesuch vom 21. August 2009 zugr<strong>und</strong>e liegende Behauptung, die Strafkammer habe bei dem<br />

Gespräch am 17. August 2009 dem Mitangeklagten weitergehende Zugeständnisse in Aussicht gestellt, falls er im<br />

Rahmen seiner Einlassung den Beschwerdeführer belaste, hat sich nach dem Inhalt der übereinstimmenden dienstlichen<br />

Äußerungen der abgelehnten Richter <strong>und</strong> der Staatsanwältin nicht bestätigt. Hinzu kommt, dass die Vorsitzende<br />

noch vor Anbringung des zweiten Ablehnungsgesuchs am 21. August 2009 in der Hauptverhandlung die Verfahrensbeteiligten<br />

<strong>und</strong> die Öffentlichkeit über Inhalt, Verlauf <strong>und</strong> Ergebnisse beider außerhalb der Hauptverhandlung<br />

geführten Verständigungsgespräche unterrichtet hat.<br />

257


) Soweit in dem weiteren Ablehnungsgesuch vom 22. Dezember 2009 die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder<br />

der Strafkammer darüber hinaus - unter Bezug auf ein Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten vom 18.<br />

August 2009 <strong>und</strong> die darin enthaltene Darstellung des Gesprächs vom 17. August 2009 - auch darauf gestützt wird,<br />

die abgelehnten Richter hätten die Verfahrensbeteiligten über den Inhalt des beanstandeten Gesprächs falsch bzw.<br />

unvollständig informiert, dringt die Rüge im Ergebnis ebenfalls nicht durch. Der Revision ist allerdings zuzugeben,<br />

dass sich die dienstlichen Erklärungen der Richter (<strong>und</strong> der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft) nicht zu der<br />

Behauptung des Beschwerdeführers verhalten, die Staatsanwältin habe bei dem beanstandeten Gespräch als Reaktion<br />

auf den Strafvorschlag der Verteidiger des Mitangeklagten (zwei Jahre elf Monate Freiheitsstrafe) abweichend von<br />

ihrer am 28. Juli 2009 geäußerten Strafvorstellung (drei Jahre elf Monate Freiheitsstrafe) erklärt, "für sie [sei] auf<br />

jeden Fall keine Strafe unter drei Jahren akzeptabel". Träfe diese Behauptung zu, stünde sie im Widerspruch zu der<br />

dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden vom 18. August 2009, wonach auch am Vortag mit den Verteidigern des<br />

Mitangeklagten nur die bereits am 28. Juli 2009 gegenüber allen Verfahrensbeteiligten geäußerten Strafvorstellungen<br />

der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Strafkammer (für den Mitangeklagten drei Jahre elf Monate Freiheitsstrafe) besprochen<br />

worden seien. Aber selbst wenn die dienstliche Äußerung der Vorsitzenden in diesem Punkt unzutreffend oder<br />

zumindest unvollständig wäre, wäre dies aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht geeignet gewesen, Misstrauen<br />

gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter bzw. die Vorsitzende der Strafkammer zu rechtfertigen.<br />

Denn die abgelehnten Richter <strong>und</strong> die Staatsanwältin haben in ihren dienstlichen Stellungnahmen übereinstimmend<br />

dargelegt, dass jedenfalls seitens der Strafkammer in dem Gespräch vom 17. August 2009 keine Bereitschaft erklärt<br />

worden ist, von den ursprünglich geäußerten Strafvorstellungen abzuweichen <strong>und</strong> sich etwaigen niedrigeren Strafvorschlägen<br />

der Staatsanwältin anzuschließen. Auch aus dem Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten vom<br />

18. August 2009 ergibt sich lediglich, dass er die Bitte an die Strafkammer herangetragen habe "zu prüfen, ob eine<br />

Freiheitsstrafe von glatt drei Jahren seitens des Gerichts akzeptiert würde", nicht aber, dass sich die Mitglieder der<br />

Strafkammer zu diesem Strafvorschlag auch verhalten haben. Dass diese - wie in dem genannten Schreiben anklingt<br />

- bereits in eine Beratung darüber eingetreten seien, ob eine Strafe von drei Jahren nun doch "akzeptabel" sei, ist<br />

unter Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen nicht erwiesen.<br />

2. Der Senat sieht sich veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen: Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften<br />

des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli<br />

2009 (BGBI I S. 2353) gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten<br />

auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu<br />

wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit<br />

in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten<br />

unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden<br />

oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es<br />

nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit<br />

der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts<br />

seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen <strong>und</strong> ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen<br />

Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer<br />

Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten<br />

oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung<br />

im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteiligten außerhalb der<br />

Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgef<strong>und</strong>en, muss der Vorsitzende auch bei einem<br />

ergebnislosen Verlauf <strong>und</strong> unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache<br />

gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend <strong>und</strong> unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte<br />

aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem<br />

Anschein der Heimlichkeit <strong>und</strong> der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt <strong>und</strong> dem Recht auf<br />

ein faires, rechts-staatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 - 3<br />

StR 121/89, BGHSt 37, 99, 104; Schlothauer in N/Sch/W, VerstG, 2010, § 243 Abs. 4 Rn. 12 f.).<br />

258


StPO § 257c Dealgespräche<br />

BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10 - BeckRS 2010, 31023<br />

1. Zwar muss an den Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO nicht immer das Gericht in der vollen<br />

Besetzung gemäß § 76 Abs. 1 StPO teilnehmen. Das Gericht kann sich auch über eines seiner Mitglieder,<br />

in der Regel durch den Vorsitzenden, äußern (so ist auch § 257c Abs. 3 StPO zu verstehen).<br />

Dann muss aber gewährleistet sein <strong>und</strong> muss auch nach außen deutlich werden, dass den Äußerungen<br />

des Vorsitzenden eine entsprechende Beratung, ein ausdrücklicher Auftrag des Gerichts zugr<strong>und</strong>e<br />

liegt.<br />

2. Einem für den Fall eines Geständnisses vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung in den Raum<br />

gestellten Strafrahmen kommt für die Strafzumessung nach langer streitiger Hauptverhandlung in<br />

der Regel keine Bedeutung mehr zu.<br />

3. Die Frage nach dem Vorliegen einer unzulässig weit geöffneten „Sanktionsschere“ bezieht sich<br />

hinsichtlich beider Alternativen (mit <strong>und</strong> ohne Geständnis) auf den Zeitpunkt der Verständigungsgespräche.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 20. Oktober 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 12. März 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu den Ausführungen<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in seiner Antragsschrift vom 12. August 2010 bemerkt der Senat:<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte nicht zum menschlichen Verzehr bestimmte<br />

Fleischprodukte (insgesamt 699.386,50 kg) der Kategorie 3 gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 des Europäischen<br />

Parlaments <strong>und</strong> des Rates vom 3. Oktober 2002 (ABl. L 273 vom 10. Oktober 2002, S. 1), Kapitel II Artikel 6<br />

Abs. 1, <strong>und</strong> verkaufte davon in der Zeit vom 7. September bis zum 23. November 2004 in 15 Fällen insgesamt<br />

313.885 kg unter Verschleierung von deren Herkunft als Lebensmittel. Bei seinen K<strong>und</strong>en verursachte er damit einen<br />

Gesamtschaden in Höhe von 235.827,29 €. In drei Fällen wurde der Schaden durch Gutschriften <strong>und</strong> Umbuchungen -<br />

insgesamt in Höhe von 31.950,97 € wieder gut gemacht. Aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung, die am 10. November<br />

2009 begann <strong>und</strong> nach elf Verhandlungstagen am 12. März 2010 endete, wurde der Angeklagte wegen Betruges in<br />

15 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dem lagen Einzelstrafen von zehn Monaten bis zu<br />

einem Jahr <strong>und</strong> acht Monaten Freiheitsstrafe zugr<strong>und</strong>e. Nicht festgestellt hat die Strafkammer, dass die vom Angeklagten<br />

ausgelieferten Fleischprodukte tatsächlich genussuntauglich waren. Eine Verurteilung wegen der angeklagten<br />

- gegebenenfalls tateinheitlichen - Verstöße gegen das Fleischhygienegesetz <strong>und</strong> das Lebensmittel- <strong>und</strong> Bedarfsgegenständegesetz<br />

erfolgte deshalb nicht (Inzidentfreispruch).<br />

II. Die Rüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ist unbegründet.<br />

1. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass es die Strafkammer entgegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (nF) unterlassen<br />

habe, in der Hauptverhandlung mitzuteilen, dass im Zwischenverfahren Verständigungsgespräche stattgef<strong>und</strong>en<br />

haben.<br />

2. Nach dem Revisionsvorbringen, das durch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die dienstliche Äußerung<br />

des Sitzungsstaatsanwalts bestätigt <strong>und</strong> ergänzt wird, bot (oder kündigte) die Vorsitzende der Strafkammer nach<br />

Anklageerhebung (mit Anklageschrift vom 30. August 2007) im Mai 2009 während eines Telefongesprächs <strong>und</strong><br />

erneut im Oktober oder Anfang November 2009, als der Verteidiger beim Gericht Akteneinsicht nahm, diesem gegenüber<br />

für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung<br />

zur Bewährung ausgesetzt wird, als Strafobergrenze an. Der sachbearbeitende Staatsanwalt hatte der Vorsitzenden<br />

zuvor seine Zustimmung hierzu signalisiert (dies sei nicht ausgeschlossen). Der Angeklagte, der von seinem Verteidiger<br />

über die Anfragen der Strafkammervorsitzenden unterrichtet wurde, lehnte die Ablegung eines Geständnisses<br />

ab. Eine zu erwartende Strafhöhe für den Fall einer Verhandlung ohne Geständnis nannte die Strafkammervorsitzende<br />

nicht. Das Angebot einer Verständigung seitens der Strafkammervorsitzenden wurde in der Hauptverhandlung<br />

nicht erwähnt. Im Protokoll ist lediglich am Ende - zutreffend - vermerkt, dass eine Verständigung nicht stattfand.<br />

3. Es kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorliegt, da das Urteil darauf jedenfalls nicht<br />

beruht.<br />

259


a) Gemäß § 202a StPO kann das Gericht im Zwischenverfahren den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten<br />

erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist<br />

aktenk<strong>und</strong>ig zu machen. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt dies entsprechend (§ 212 StPO [während des<br />

Ermittlungsverfahrens gilt für den Staatsanwalt § 160b StPO]). War Gegenstand dieser Erörterungen die Möglichkeit<br />

einer Verständigung (§ 257c StPO), so hat der Vorsitzende des Gerichts dies <strong>und</strong> den wesentlichen Inhalt der Erörterungen<br />

gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO in der Hauptverhandlung nach Verlesung der Anklage <strong>und</strong> vor der Belehrung<br />

des Angeklagten mitzuteilen. Sofern eine derartige Mitteilung erfolgt, ist dies im Protokoll zu vermerken (§ 273<br />

Abs. 1a Satz 2 1. Alt. StPO). Diese Bestimmungen wurden durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung vom<br />

29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) mit Wirkung vom 4. August 2009 in die Strafprozessordnung eingefügt. Es liegt<br />

nahe, dass die seit dem 4. August 2009 bestehende Mitteilungspflicht bei danach beginnenden Hauptverhandlungen<br />

auch hinsichtlich solcher Erörterungen gilt, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes stattfanden. Im vorliegenden Fall<br />

kann dies dahinstehen, da die Strafkammervorsitzende nach dem - unwidersprochenen - Revisionsvorbringen im<br />

Oktober oder Anfang November 2009 nochmals aktiv wurde. Mitzuteilen sind gemäß §§ 202a, 212 StPO Erörterungen<br />

des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten. Beim Landgericht ist die große Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung<br />

mit drei Berufsrichtern besetzt (§ 76 Abs. 1 GVG). Sondierende Äußerungen allein des bzw. der Vorsitzenden<br />

können deshalb nicht ohne weiteres als Erklärungen der Strafkammer verstanden werden. Das Gesetz differenziert<br />

zwischen den Aufgaben des Gerichts (§§ 202a, 212 StPO) <strong>und</strong> des Vorsitzenden (§ 243 Abs. 4 StPO). Zwar<br />

muss an den Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO nicht immer das Gericht in der vollen Besetzung gemäß § 76<br />

Abs. 1 StPO teilnehmen. Das Gericht kann sich auch über eines seiner Mitglieder, in der Regel durch den Vorsitzenden,<br />

äußern (so ist auch § 257c Abs. 3 StPO zu verstehen). Dann muss aber gewährleistet sein <strong>und</strong> muss auch nach<br />

außen deutlich werden, dass den Äußerungen des Vorsitzenden eine entsprechende Beratung, ein ausdrücklicher<br />

Auftrag des Gerichts zugr<strong>und</strong>e liegt. Dies versteht sich auch im vorliegenden Fall nicht von selbst. Vom Gericht<br />

geführte oder ausdrücklich autorisierte Erörterungen sind dann auch aktenk<strong>und</strong>ig zu machen (§ 202a Satz 2 StPO)<br />

<strong>und</strong> in der Hauptverhandlung nach Verlesung des Anklagesatzes mitzuteilen (243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Dies ist dann<br />

auch in der Sitzungsniederschrift zu vermerken (§ 273 Abs. 1a Satz 2 1. Alt. StPO).<br />

b) Im vorliegenden Fall kann es dahinstehen, ob die Vorsitzende der Strafkammer vom Gericht (§ 76 Abs. 1 GVG)<br />

zu Verständigungsvorschlägen ermächtigt war. Denn auf der fehlenden Mitteilung in der Hauptverhandlung über die<br />

Gespräche der Vorsitzenden im Vorfeld beruht das angefochtene Urteil nicht, wie eingangs bereits mitgeteilt.<br />

aa) Darauf kommt es entgegen dem Revisionsvorbringen auch an. Ein absoluter Revisionsgr<strong>und</strong> (§ 338 StPO) ist<br />

nicht gegeben. Einem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO kommt auch keine entsprechende Wirkung zu. Zwar<br />

trägt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zutreffend vor, die Bestimmung des §<br />

243 Abs. 4 Satz 1 StPO diene der Herstellung von Transparenz. Dies führt aber nicht zu der unwiderlegbaren Vermutung,<br />

wonach bei einer Verletzung der Norm eine Beeinflussung des Urteilsspruchs dadurch nie ausgeschlossen<br />

werden kann.<br />

bb) Zu seiner Auffassung, dass das Urteil auf der fehlenden Mitteilung in der Hauptverhandlung auch beruht, verweist<br />

der Beschwerdeführer auf zwei Punkte:<br />

(1) Bei einer Mitteilung seitens der Strafkammervorsitzenden in der Hauptverhandlung über ihre Anfragen zur Möglichkeit<br />

einer Verständigung hätte sich der Angeklagte vielleicht doch noch eines anderen besonnen <strong>und</strong> ein Geständnis<br />

abgelegt. Dies schließt der Senat aus. Eine derartige Annahme ist jedenfalls im vorliegenden Fall mehr als<br />

fernliegend. Der immer anwaltlich beratene Angeklagte hatte geständige Einlassungen mit Bestimmtheit abgelehnt.<br />

Die gr<strong>und</strong>sätzliche Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung war ihm bekannt. Die Strafkammer<br />

sah hierzu - offensichtlich zu Recht - keine Möglichkeit mehr, sonst hätte sie in der Hauptverhandlung den in § 257c<br />

Abs. 3 StPO gewiesenen Weg beschritten.<br />

(2) Die Nennung einer Strafobergrenze bzw. eines Strafrahmens (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) im Falle der Ablegung<br />

eines Geständnisses - habe, auch wenn die Verständigung scheitert, am Ende eines dann streitig durchgeführten<br />

Verfahrens im Falle einer Verurteilung zwingend Einfluss auf die Bestimmung der Strafhöhe. Diese Orientierungsfunktion<br />

der Nennung einer Strafobergrenze sei hier nicht zum Tragen gekommen, da die übrigen Mitglieder der<br />

erkennenden Strafkammer über die Anfrage der Vorsitzenden nicht informiert gewesen seien.<br />

(a) Die behauptete fehlende Unterrichtung der übrigen Angehörigen des Gerichts seitens der Vorsitzenden über ihren<br />

Vorstoß unter Nennung einer Strafobergrenze ist schon nicht erwiesen. Aus der dienstlichen Äußerung des sachbearbeitenden<br />

Staatsanwalts kann geschlossen werden, dass der beisitzende Berufsrichter die Überlegungen seiner Vorsitzenden<br />

kannte. Auch bei den Schöffen liegt es eher nahe, dass diese in den Beratungen davon erfuhren. Dass vor<br />

den Schöffen etwas verheimlicht werden sollte, also ein bewusster Verstoß - sein Vorliegen unterstellt - gegen § 243<br />

Abs. 4 Satz 1 StPO, zur Vermeidung von Transparenz innerhalb des erkennenden Gerichts liegt hier fern. Das Gesetz<br />

260


zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 trat ohne Vorlaufzeit am Tag nach seiner Verkündung<br />

im B<strong>und</strong>esgesetzblatt am 4. August 2009 in Kraft. Etwa drei Monate später begann die Hauptverhandlung<br />

in dieser Sache. Die in § 257c StPO enthaltenen Kernbestimmungen zum Verständigungsverfahren standen schon<br />

lange im Fokus fachlicher - 8 -<br />

Erörterungen. Demgegenüber sind die in den §§ 160b, 202a, 212, 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO enthaltenen<br />

am 3. August 2009 im B<strong>und</strong>esgesetzblatt veröffentlichten Begleitbestimmungen erst allmählich ins Bewusstsein<br />

auch der juristischen Praxis gedrungen. Den Umfang der Information der Schöffen sowie des Beisitzers freibeweislich<br />

weiter abzuklären, steht das Beratungsgeheimnis entgegen.<br />

(b) Im Übrigen kommt einem für den Fall eines Geständnisses vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung in den<br />

Raum gestellten Strafrahmen (zur Frage der Notwendigkeit der Nennung einer Strafunter- <strong>und</strong> einer Strafobergrenze<br />

vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2010 - 1 StR 347/10, Rn. 7 ff, <strong>und</strong> vom 11. Oktober 2010 - 1 StR 359/10, Rn.<br />

6) für die Strafzumessung nach langer streitiger Hauptverhandlung in der Regel keine Bedeutung mehr zu. Dies gilt<br />

ebenso für eine in diesem Zusammenhang genannte zu erwartende Strafe für den Fall einer Verurteilung ohne ein<br />

Geständnis. Zwingend sind Äußerungen des Gerichts zu Letzterem allerdings nicht <strong>und</strong> sie sind meist auch nicht<br />

zweckmäßig. Wird allerdings bei Verständigungsgesprächen die bei einem "streitigen Verfahren" zu erwartenden<br />

Sanktion genannt, dann darf die Differenz zu der für den Fall eines Geständnisses zugesagten Strafobergrenze nicht<br />

zu groß sein ("Sanktionsschere"). Die ohne Absprache in Aussicht gestellte Sanktion darf nicht das vertretbare Maß<br />

überschreiten, so dass der Angeklagte inakzeptablem Druck ausgesetzt wird. Entsprechend darf das Ergebnis des<br />

Strafnachlasses im Hinblick auf ein Geständnis nicht unterhalb der Grenze dessen liegen, was noch als schuldangemessene<br />

Sanktion hingenommen werden kann (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - BGHSt GSSt 1/04, BGHSt 50,<br />

40, 50). Die Frage nach dem Vorliegen einer unzulässig weit geöffneten „Sanktionsschere“ bezieht sich hinsichtlich<br />

beider Alternativen (mit <strong>und</strong> ohne Geständnis) auf den Zeitpunkt der Verständigungsgespräche. Der Unterschied in<br />

der - antizipierten - Strafzumessungsbewertung im Falle eines streitigen Verfahrens im Vergleich zum einvernehmlichen<br />

Verfahren liegt dann zwar allein in der Ablegung eines Geständnisses <strong>und</strong> dessen Folgen, wie Verkürzung der<br />

Hauptverhandlung oder Schonung der Opfer der Straftat. Das Gewicht eines Geständnisses kann allerdings in verschiedenen<br />

Verfahren gleichwohl sehr unter-schiedlich sein. Deshalb verbietet sich eine mathematische Betrachtung,<br />

etwa der angemessene Strafrabatt dürfe in der Regel nicht mehr als 20 % bis 30 % betragen (so aber Meyer-Goßner,<br />

StPO, 53. Aufl., § 257c Rn.19). Maßgeblich sind immer die Verhältnisse des Einzelfalls. Der zum Zeitpunkt von<br />

Verständigungsbemühungen vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung vom Gericht in Aussicht gestellte Strafrahmen<br />

sowie eine in diesem Zusammenhang für den Fall eines Verfahrens ohne Verständigung genannte Strafhöhe<br />

orientiert sich an den Informationen über den Angeklagten <strong>und</strong> die ihm zur Last gelegten Taten aus den Akten. Im<br />

Falle einer erfolgreichen Verständigung mit einem - überprüften - Geständnis <strong>und</strong> einer dann regelmäßig nicht allzu<br />

langen Hauptverhandlung wird sich an dieser Bewertung meist nichts Gr<strong>und</strong>sätzliches ändern. Der zugesicherte<br />

Strafrahmen wird dann durch das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht in Frage gestellt (sonst gilt § 257c Abs. 4<br />

StPO). Ähnliches wird bei einem kurzen streitigen Verfahren anzunehmen sein. Kommt es demgegenüber mangels<br />

einer Verständigung zu einer langen Hauptverhandlung mit einer umfangreichen Beweiserhebung, so kann sich der<br />

aus den Akten gewonnene Eindruck von Tat <strong>und</strong> Täter im Einzelfall entscheidend verändern, zum Vor- oder zum<br />

Nachteil des Angeklagten. Dem früher für den Fall eines Geständnisses genannten Strafrahmen (§ 257c Abs. 3 StPO)<br />

kann dann keine Orientierung zukommen, ebenso wenig einer anfangs für den Fall einer streitigen Hauptverhandlung<br />

prognostizierten Strafe. Eines besonderen Hinweises darauf bedarf es nicht. Dass der Inbegriff der Hauptverhandlung<br />

maßgeblich ist (§ 261 StPO) versteht sich von selbst. Feste, gar mathematisch bestimmte Regeln über die Ausrichtung<br />

der Strafhöhe nach der Durchführung eines „streitigen“ Verfahrens an der für den Falle eines Geständnisses vor<br />

oder zu Beginn der Hauptverhandlung genannten Obergrenze verbieten sich deshalb entgegen dem Revisionsvorbringen<br />

auch insoweit (a.A. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn.19, wonach eine Strafe ohne Geständnis in<br />

der Regel maximal ein zusätzliches Drittel über der im Rahmen der Verständigungsgespräche genannten Strafobergrenze<br />

liegen dürfe).<br />

4. Die im vorliegenden Fall ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe erscheint aufgr<strong>und</strong> des festgestellten Tatbildes als<br />

durchaus maßvoll. Dass sie bei einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nach Verlesung des Anklagesatzes<br />

noch geringer ausgefallen wäre, ist nach allem auszuschließen.<br />

III. Dass die getäuschten Abnehmer der Fleischprodukte der Kategorie 3 diese vor Aufdeckung der Tat noch gutgläubig<br />

als Lebensmittel weiterverkaufen konnten, entlastet den Angeklagten entgegen den Darlegungen in der Revisionsbegründung<br />

(zur Sachrüge) nicht, ebenso wenig wie es einen Autodieb entlastet, wenn die Versicherung des<br />

Bestohlenen diesem den Schaden ersetzt. Beides führt nur zu einer nachträglichen Schadensverlagerung (vgl.<br />

SSW/Satzger, <strong>StGB</strong>, § 263 Rn. 152 f).<br />

261


StPO § 257c Kein Fair-trial-Verstoß bei Nichteinhaltung unzulässiger Zusagen<br />

BGH, Beschl. v. 06.10.2010 - 2 StR 354/10 - StV 2011, 74<br />

Durch "Angebote" <strong>und</strong> Absprachen, welche sich auf Zusagen beziehen, die nach § 257c Abs. 2<br />

schon ihrer Art nach gar nicht Gegenstand von Absprachen sein dürfen, wie eine "Halbstrafen-<br />

Aussetzung" gemäß § 57 Abs. 2 <strong>StGB</strong> oder deren Befürwortung oder Beantragung, kann kein<br />

durch ein fair-trial-Gebot geschützter Vertrauenstatbestand entstehen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführer<br />

am 6. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Gießen vom 19. Januar 2010 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des<br />

Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.<br />

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Aus einer<br />

informellen Vereinbarung über mögliche Rechtsfolgen ist - entgegen den insoweit erhobenen Verfahrensrügen -<br />

weder eine Bindung gemäß § 257c StPO noch ein durch das fair-trial-Gebot geschützter Vertrauenstatbestand entstanden.<br />

1. Nach übereinstimmenden Darstellungen der Urteilsgründe <strong>und</strong> der Revisionsführer bot die Strafkammer zu Beginn<br />

der Hauptverhandlung als Gegenleistung für Geständnisse der Angeklagten milde Strafobergrenzen an. Diesem<br />

Angebot "traten die Angeklagten nicht näher" (UA S. 32). Nach mehreren Verhandlungstagen wurde vom Gericht<br />

ein neues Angebot unterbreitet: Danach sollten bei Geständnissen die schon früher angebotenen Strafobergrenzen<br />

gelten; zusätzlich sollte wegen "rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung" eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell<br />

in Höhe von sechs Monaten erfolgen; überdies sollte von der Staatsanwaltschaft "in diesem Fall<br />

wie üblich eine Halbstrafenmaßnahme befürwortet" werden (UA S. 32). Die Angeklagten "traten allerdings auch<br />

diesem Angebot nicht näher" (UA S. 33). Nach Durchführung der Beweisaufnahme legten die Angeklagten später<br />

Geständnisse ab. Das Tatgericht stellte fest, dass eine Verständigung nicht zustande gekommen sei; teilte aber mit,<br />

man könne "dem Gericht vertrauen". Die vom Landgericht festgesetzten Gesamtstrafen liegen (mäßig) über den<br />

angebotenen Obergrenzen; eine rechtsstaatswidrige Verzögerung ist nicht festgestellt.<br />

2. Eine Verletzung von § 257c StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine Verständigung nach dieser Vorschrift<br />

ausdrücklich nicht zustande gekommen ist.<br />

Auch ein Vertrauenstatbestand ist nicht geschaffen worden. Nach Sachlage war das "Angebot", eine rechtsstaatswidrige<br />

Verfahrensverzögerung feststellen <strong>und</strong> durch Vollstreckungserklärung in Höhe von sechs Monaten "kompensieren"<br />

zu wollen, erkennbar fern liegend <strong>und</strong> von § 257c Abs. 2 StPO nicht gedeckt; es lag auf der Hand, dass eine Art.<br />

6 Abs. 1 MRK widersprechende Menschenrechtsverletzung nicht vorlag (59 Bandentaten mit unterschiedlicher Beteiligung<br />

bis August 2008: Anklage Dezember 2008; Eröffnungsbeschluss März 2009; Hauptverhandlung mit vier<br />

Angeklagten <strong>und</strong> acht Verteidigern ab 4. August 2009; Urteil nach 16 Hauptverhandlungstagen am 12. Januar 2010).<br />

Es ist schon zweifelhaft, ob durch die Beteiligung an einer solchen, § 257c StPO widersprechenden Absprache überhaupt<br />

ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden könnte. Das gilt erst recht für "Angebote" <strong>und</strong> Absprachen, welche<br />

sich auf Zusagen beziehen, die nach § 257c Abs. 2 schon ihrer Art nach gar nicht Gegenstand von Absprachen<br />

sein dürfen, hier also eine "Halbstrafen-Aussetzung" gemäß § 57 Abs. 2 <strong>StGB</strong> oder deren Befürwortung oder Beantragung.<br />

Hierauf kam es vorliegend im Ergebnis allerdings nicht an, weil schon die Bedingung des (rechtswidrigen)<br />

"Angebots" des Landgerichts offenk<strong>und</strong>ig nicht eingetreten war: Die Angeklagten "traten dem Angebot nicht näher";<br />

daher ist es fern liegend, dass sich aus diesem gleichwohl Ansprüche auf bestimmte Rechtsfolgen ableiten lassen<br />

sollten. Soweit zwischen Tatgericht <strong>und</strong> Verfahrensbeteiligten darüber gesprochen wurde, ob <strong>und</strong> warum man dem<br />

Gericht "vertrauen" solle, waren Gegenstand dieses Hinweises schon nach dem Revisionsvorbringen nicht etwa die<br />

früheren "Angebote", sondern ein allgemeines Vertrauen in Fairness <strong>und</strong> Unvoreingenommenheit des Gerichts, die<br />

selbstverständliche Pflichten sind <strong>und</strong> daher weder einer "Zusage" bedürfen noch Ansprüche auf Einhaltung rechtswidriger<br />

Absprachen begründen. Im Übrigen erscheint der Hinweis angezeigt, dass die Vorlage (gegebenenfalls<br />

mehrfach) "nachgebesserter Angebote" von Seiten des Gerichts zur Erlangung von verfahrensabkürzenden Geständnissen<br />

regelmäßig nicht tunlich ist. Erfolgen solche Angebote, wie hier, in der Weise, dass ein immer günstigerer<br />

Verfahrensausgang angeboten wird, je länger Beschuldigte früheren Angeboten "nicht näher treten", so führt dies<br />

sowohl in der Darstellung gegenüber den Verfahrensbeteiligten als auch in der öffentlichen Wahrnehmung leicht zu<br />

262


einem Eindruck eines "Aushandelns" des staatlichen Strafausspruchs, das mit der Würde des Gerichts kaum vereinbar<br />

ist.<br />

StPO § 257c Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe<br />

BGH, Beschl. v. 08.10.2010 - 1 StR 347/10 - wistra 2011, 75<br />

1. Angesichts des Wortlauts der Vorschrift ("Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe"; der in Aussicht<br />

gestellte Strafrahmen (§ 257c Abs. 4 Satz 1)) <strong>und</strong> der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/13095 S. 3<br />

(Beschlussempfehlung <strong>und</strong> Bericht des Rechtsausschusses): "wobei das Gericht eine (...) tat- <strong>und</strong><br />

schuldangemessene Strafober- <strong>und</strong> Strafuntergrenze anzugeben hat") sprechen gewichtige Gründe<br />

dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Gericht nach fallbezogener Verengung des gesetzlichen<br />

Strafrahmens stets einen konkreten Rahmen für die schuldangemessene Strafe, bestehend<br />

aus einer Strafober- <strong>und</strong> einer Strafuntergrenze, anzugeben hat.<br />

2. Fehlt es an der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht, kann dies in der Regel nur von<br />

der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Revision zum Nachteil des Angeklagten beanstandet werden.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 8. Oktober 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 25. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hat den nach vorausgegangener Verständigung geständigen Angeklagten K. wegen unerlaubter<br />

Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen<br />

wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen <strong>und</strong> der hinsichtlich des Strafausspruchs näher ausgeführten<br />

Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedürfen lediglich die erhobenen<br />

Verfahrensrügen.<br />

2. Mit den Verfahrenrügen macht die Revision Verstöße gegen das bei einer Verständigung zu beachtende Verfahren<br />

gemäß § 257c Abs. 3 StPO <strong>und</strong> die Belehrungspflicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO geltend.<br />

a) Den Rügen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugr<strong>und</strong>e: Die Hauptverhandlung wurde kurz nach deren Beginn<br />

durch eine Anordnung des Vorsitzenden unterbrochen. In der sich anschließenden Verhandlungspause fand zwischen<br />

dem Gericht, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> den Verteidigern des Angeklagten sowie des nicht revidierenden<br />

Mitangeklagten ein Gespräch zur Vorbereitung einer Verständigung statt. Das Ergebnis dieses Gesprächs hat<br />

der Vorsitzende nach dem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung wie folgt zu Protokoll gegeben: "Die Angeklagten<br />

räumen den angeklagten Sachverhalt in objektiver <strong>und</strong> subjektiver Hinsicht vollumfänglich ein. Die Staatsanwaltschaft<br />

wird die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln<br />

bezogen auf 4,1 Gramm Opium am 29. April 2009 in Richtung des (Anm.: nicht revidierenden)<br />

Angeklagten V. beantragen. Im Übrigen wird die Frage der Einziehung des verfahrensgegenständlichen Lkw gemäß<br />

§ 430 StPO ausgeschieden. Für diesen Fall schlägt die Kammer hinsichtlich des Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe<br />

von nicht mehr als sechs Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten vor <strong>und</strong> hinsichtlich des Angeklagten V. eine solche von fünf<br />

Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten." Ohne über die Voraussetzungen <strong>und</strong> Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in<br />

Aussicht gestellten Ergebnis gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden zu sein, stimmte der Angeklagte - wie auch<br />

der Vertreter der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der nicht revidierende Mitangeklagte - dem Vorschlag des Gerichts zu.<br />

Anschließend legte er ein Geständnis ab.<br />

b) Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das Landgericht habe entgegen der gesetzlichen Regelung in § 257c Abs. 3<br />

Satz 2 StPO lediglich eine Strafobergrenze, aber keine Strafuntergrenze angegeben.<br />

aa) Nach dieser Vorschrift kann das Gericht - im Rahmen seiner Pflicht zur Bekanntgabe des Inhalts einer möglichen<br />

Verständigung (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO) - unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen<br />

Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung<br />

einer bestimmten Strafe (sog. Punktstrafe; vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06, BGHSt<br />

51, 84, 86) bleibt damit nach der gesetzlichen Neuregelung des Verständigungsverfahrens nach wie vor unzulässig<br />

263


(BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10). Ob allerdings nach dieser Regelung das Gericht bei der Bekanntgabe<br />

des möglichen Verfahrensergebnisses zwingend auch einen Strafrahmen anzugeben hat oder ob - im Hinblick<br />

auf die Ausgestaltung als "Kann-Vorschrift" - die isolierte Angabe einer Strafober- oder Strafuntergrenze ausreicht,<br />

wird unterschiedlich beurteilt (letzteres bejahend: Niemöller in N/Sch/W, VerstG, § 257c Rn. 46; SK-<br />

StPO/Velten, § 257c Rn. 21; Bittmann, wistra 2009, 415; verneinend Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 20;<br />

vgl. auch Senat, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Angesichts des Wortlauts der<br />

Vorschrift ("Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe"; "der in Aussicht gestellte Strafrahmen [§ 257c Abs. 4 Satz 1]") <strong>und</strong><br />

der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/13095 S. 3 [Beschlussempfehlung <strong>und</strong> Bericht des Rechtsausschusses]:<br />

"wobei das Gericht eine […] tat- <strong>und</strong> schuldangemessene Strafober- <strong>und</strong> Strafuntergrenze anzugeben hat") sprechen<br />

gewichtige Gründe dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Gericht nach fallbezogener Verengung des<br />

gesetzlichen Strafrahmens stets einen konkreten Rahmen für die schuldangemessene Strafe, bestehend aus einer<br />

Strafober- <strong>und</strong> einer Strafuntergrenze, anzugeben hat.<br />

bb) Der Senat kann diese Frage indessen offen lassen, da der Angeklagte nicht beschwert ist. Der Gesetzgeber ist mit<br />

der Regelung in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO einer Forderung der Generalstaatsanwälte nachgekommen, die in der<br />

Festlegung einer unteren Strafgrenze ein legitimes Anliegen der Staatsanwaltschaft gesehen haben, ihre Vorstellung<br />

von einem gerechten Schuldausgleich nicht nur nach oben, sondern auch nach unten abgesichert zu sehen (NJW<br />

Sonderdruck "Der Deal im Strafverfahren" 2006, 9, 10). Die Benennung einer Strafuntergrenze trägt daher vordringlich<br />

den Interessen der Staatsanwaltschaft Rechnung (vgl. AnwK-StPO/Püschel, 2. Aufl., § 257c Rn. 22 mwN; hinsichtlich<br />

einer daneben bestehenden Informationsfunktion für den Angeklagten vgl. BT-Drucks. 16/11736 S. 12),<br />

deren Zustimmung für das Zustandekommen einer Verständigung im Unterschied zu der Rechtslage vor dem Inkrafttreten<br />

des § 257c StPO nunmehr unerlässlich ist. Fehlt es an der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht,<br />

kann dies in der Regel nur von der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Revision zum Nachteil des Angeklagten<br />

beanstandet werden. Im vorliegenden Fall ist keine Ausnahme gegeben, wonach der Angeklagte erfolgreich eine<br />

Beschwer geltend machen kann. Denn es sind hier weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch vorgetragen, dass er<br />

im Fall der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht der Verständigung nicht zugestimmt hätte. Auch sein<br />

Geständnis kann daher von der fehlenden Benennung einer Strafuntergrenze nicht berührt sein.<br />

c) Auch die Verfahrensrüge, mit der von der Revision ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5<br />

<strong>StGB</strong> geltend gemacht wird, ist unbegründet. Der Senat schließt aus, dass das Urteil auf der unterbliebenen Belehrung<br />

beruhen könnte. Das Landgericht hat die zugesagte Strafobergrenze eingehalten. Zudem sind auch hier keine<br />

Gründe erkennbar, die den Angeklagten, der schon im Ermittlungsverfahren voll umfänglich geständig war <strong>und</strong><br />

umfassende Aufklärungshilfe leistete, hätte veranlassen können, nach erfolgter Belehrung die schließlich getroffene<br />

<strong>und</strong> für ihn günstige Verständigung abzulehnen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10; BGH,<br />

Beschluss vom 8. Oktober 2010 - 1 StR 443/10). Solche Gründe werden auch von der Revision nicht vorgetragen.<br />

StPO § 257c Verbot der Vereinbarung von Punktstrafe<br />

BGH, Beschl. vom 28.09.2010 – 3 StR 359/10 - StV 2011, 78 = NStZ 2011, 231<br />

Bei einer Verständigung zwischen dem Gericht <strong>und</strong> den Verfahrensbeteiligten darf gemäß § 257c<br />

Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StPO für den Fall eines Geständnisses lediglich ein Strafrahmen mit<br />

einer Ober- <strong>und</strong> Untergrenze vereinbart werden. Die Verständigung auf eine bestimmte Strafe ist<br />

unzulässig.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

am 28. September 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird<br />

das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu<br />

neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte<br />

mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

264


1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte bei dem gesondert Verfolgten N. als Lastkraftwagenfahrer angestellt.<br />

Spätestens im September 2004 vereinbarte er mit N. <strong>und</strong> dem gesondert Verfolgten Nä. , dass er in Zukunft gegen<br />

zusätzliche Bezahlung zum gewinnbringenden Handel bestimmtes Haschisch in großen Mengen transportieren werde.<br />

Anschließend brachte er in zwei Fällen im Zusammenwirken mit N. <strong>und</strong> Nä. nach Erteilung entsprechender Aufträge<br />

durch die gesondert Verfolgten A. <strong>und</strong> K. mit einem Lastkraftwagen aus einer Lagerhalle des N. in V. /Spanien<br />

300 kg Haschisch nach Paris (Fall 1.) <strong>und</strong> 1,8 Tonnen Haschisch nach Amsterdam (Fall 2.), das jeweils einen Wirkstoffgehalt<br />

von mindestens 3 % THC hatte. Die Urteilsgründe enthalten folgenden Hinweis: "Dem Urteil ist eine<br />

Verständigung gemäß § 257c StPO vorausgegangen. Diese hatte den Inhalt, dass die Kammer im Fall eines glaubhaften<br />

Geständnisses gemäß den Vorwürfen der Anklageschrift - mit Ausnahme des Vorwurfs der bandenmäßigen<br />

Begehung - auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren erkennen werde." Bei der Strafzumessung hat das Landgericht<br />

nach Abwägung mehrerer zu Gunsten <strong>und</strong> zu Lasten des Angeklagten sprechender Umstände jeweils einen<br />

minder schweren Fall des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verneint <strong>und</strong><br />

aus Freiheitsstrafen von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten (Fall 1.) <strong>und</strong> vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten (Fall 2.) die<br />

vereinbarte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt.<br />

2. Gegen den Schuldspruch bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Nach den getroffenen Feststellungen<br />

erschöpften sich die Tatbeiträge des Angeklagten in bloßen Kurierfahrten <strong>und</strong> im Fall 2. zusätzlich darin, dass er in<br />

der Lagerhalle das Haschisch in Holzkisten packte. Solche für den Betäubungsmittelhandel untergeordnete Tätigkeiten,<br />

die sich insbesondere auf den bloßen Transport des Rauschgifts beschränken, sind nach der neueren Rechtsprechung<br />

als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu werten (BGH,<br />

Urteil vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219, 223 f.; BGH, Beschluss vom 30. März 2007 - 2 StR<br />

81/07, NStZ-RR 2007, 246 ff.). In Tateinheit hierzu macht sich der Kurier, der - wie hier - das Rauschgift über eine<br />

längere Strecke transportiert, regelmäßig wegen (mit-)täterschaftlichen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StGB</strong> strafbar (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1997 - 2 StR 393/97, BGHR<br />

BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 4; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2007 - 2 StR 369/07, NStZ-RR 2008, 54 f.; Weber,<br />

BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 1185, 1195 f., 1225).<br />

3. Eine Änderung des Schuldspruchs durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil die Urteilsgründe widersprüchlich<br />

sind <strong>und</strong> deshalb keine zwei-felsfrei rechtliche Würdigung ermöglichen. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen<br />

ist der Angeklagte schuldig des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe<br />

zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande (§ 29a Abs.<br />

1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, §§ 27, 52 <strong>StGB</strong>). Die Voraussetzungen eines bandenmäßigen Handelns sind festgestellt.<br />

Danach haben sich die gesondert Verfolgten N. <strong>und</strong> Nä. mit dem Angeklagten verb<strong>und</strong>en, um künftig für<br />

eine gewisse Dauer an im Einzelnen noch ungewissen Betäubungsmittelgeschäften mitzuwirken, an denen sie sich<br />

entsprechend der getroffenen Abrede auch tatsächlich beteiligten (BGH, Beschluss vom 22. März 2001 - GSSt 1/00,<br />

BGHSt 46, 321). Mitglied einer Bande kann auch eine Person sein, der nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen,<br />

die sich als Gehilfentätigkeit darstellen (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 - 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214).<br />

Eine Bande kann sich sogar nur aus einem Haupttäter <strong>und</strong> zwei Gehilfen zusammensetzen (BGH, Beschluss vom 19.<br />

April 2006 - 4 StR 395/05, NStZ 2007, 33 f.). Nach der Beweiswürdigung beruhen die Feststellungen zur bandenmäßigen<br />

Begehungsweise auf der glaubhaften geständigen Einlassung des Angeklagten. Demgegenüber folgt aus<br />

dem Hinweis auf die Verständigung <strong>und</strong> dem Schuldspruch jedoch, dass sich das Geständnis nicht auf die bandenmäßige<br />

Begehung beziehen sollte. Dieser Hinweis lässt zudem besorgen, dass Gegenstand der Verständigung unter<br />

Verstoß gegen § 257c Abs. 3 Satz 3 StPO der Schuldspruch war. Die fehlerhafte rechtliche Würdigung <strong>und</strong> der dargestellte<br />

Widerspruch in den Urteilsgründen führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen.<br />

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Bei einer Verständigung zwischen dem Gericht<br />

<strong>und</strong> den Verfahrensbeteiligten darf gemäß § 257c Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StPO für den Fall eines Geständnisses<br />

lediglich ein Strafrahmen mit einer Ober- <strong>und</strong> Untergrenze vereinbart werden. Die Verständigung auf eine bestimmte<br />

Strafe ist unzulässig (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 11). Da das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von fünf Jahren vereinbart <strong>und</strong> ausgesprochen hat, lassen die an sich rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen<br />

besorgen, dass diese nicht ernst gemeint sind, sondern lediglich formal die bereits feststehende Strafe begründen<br />

sollen (vgl. Meyer-Goßner aaO). Das neue Tatgericht wird zu prüfen haben, ob die vom Angeklagten in Spanien<br />

erlittene verfahrensfremde Untersuchungshaft in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 im Falle der<br />

Verurteilung auf eine zu verhängende Strafe anzurechnen ist (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 51 Rn. 6a mwN).<br />

265


StPO § 257c, § 265 – Hinweispflichten durch Verständigung nicht aufgehoben<br />

BGH, Urteil v. 11.05.2011 - 2 StR 590/10 - BeckRS 2011, 18390<br />

LS: Die mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009<br />

(BGBl. I S. 2353) eingeführte Vorschrift des § 257c StPO <strong>und</strong> die sich aus ei-ner danach getroffenen<br />

Verständigung ergebenden Bindungen des Gerichts haben nicht die Kraft, die Hinweispflichten des<br />

§ 265 StPO zu relativeren oder gar zu verdrängen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 2010, soweit<br />

es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit er wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen verurteilt wurde;<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen <strong>und</strong> wegen unerlaubten<br />

Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> drei<br />

Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützte Revision<br />

des Angeklagten hat aufgr<strong>und</strong> einer Verfahrensrüge den aus dem Urteilstenor ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg; im Übrigen ist<br />

sie unbegründet.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts bat der in den Niederlanden wohnhafte <strong>und</strong> vom Streckmittel- <strong>und</strong> Drogenhandel<br />

lebende, nicht revidierende Mitangeklagte A. den Angeklagten, einen Kurier für die Durchführung von<br />

Streckmittel- bzw. Drogentransporten aus den Niederlanden nach Deutschland zu finden. Um den Jahreswechsel<br />

2008/2009 fragte der Angeklagte diesbezüglich bei dem gesondert verfolgten Speditionsfahrer H. an. Dieser erklärte<br />

sich einverstanden, solche Transporte im Rahmen der von ihm regelmäßig durchgeführten Fahrten von V.<br />

/Niederlande nach R. vorzunehmen.<br />

1. Bereits wenige Tage später transportierte H. auf Anweisung des Angeklagten, der seinerseits von A. beauftragt<br />

worden war, 25 Kilogramm eines als "Streckmittel" für Betäubungsmittel vorgesehenen Phenacetingemischs mit<br />

einem Phenacetinanteil von mindestens 30% von V. /Niederlande nach R. . Der Angeklagte holte es dort ab <strong>und</strong> gab<br />

es an unbekannt gebliebene Abnehmer weiter (Fall II.2 der Urteilsgründe). Für die Fahrt erhielt H. von A. 500 Euro,<br />

wovon er 200 Euro als Vermittlungsprovision an den Angeklagten weitergab. Im März bzw. April 2009 führte H.<br />

zwei weitere Fahrten im Auftrag des Angeklagten durch, bei denen er jeweils wiederum 25 Kilogramm eines Phenacetingemischs<br />

von den Niederlanden nach Deutschland einführte. In einem Fall (Fall II.5 der Urteilsgründe) übergab<br />

H. das Phenacetin auf entsprechende telefonische Vorgabe des Angeklagten in D. einer unbekannt gebliebenen<br />

Person. Im anderen Fall (Fall II.6 der Urteilsgründe) wies der Angeklagte den Kurier H. an, das Phenacetin nach O.<br />

zu bringen, wo es A. entgegen nahm. Von seinem Kurierlohn gab H. einen Anteil von 700 Euro an den Angeklagten<br />

weiter. Jedenfalls in diesem Fall hatte der Angeklagte erneut im Auftrag des Mitangeklagten A. gehandelt.<br />

2. Bei vier weiteren Fahrten verbrachte H. auf jeweilige Anweisung des Angeklagten, der wiederum im Auftrag A. s<br />

tätig geworden war, Kokain aus den Niederlanden in die B<strong>und</strong>esrepublik. Bei zwei Fahrten Ende Januar <strong>und</strong> Ende<br />

Februar 2009 (Fälle II.3 <strong>und</strong> II.4 der Urteilsgründe) nahm H. in V. / Niederlande jeweils mindestens 500 Gramm<br />

Kokain mit einem Wirkstoffanteil von 150 Gramm Kokainhydrochlorid entgegen. Nach telefonischer Rücksprache<br />

mit dem Angeklagten fuhr H. das Kokain jeweils nach K. , wo er es einem unbekannt gebliebenen Abnehmer aushändigte.<br />

In beiden Fällen zahlte H. von seinem Kurierlohn an den Angeklagten einen Betrag von 700 Euro als Vermittlungsprovision.<br />

Bei zwei weiteren Fahrten am 28. <strong>und</strong> 29. Mai 2009 (Fälle II.9 <strong>und</strong> II.10 der Urteilsgründe)<br />

transportierte H. r<strong>und</strong> 1.500 Gramm (Wirkstoffanteil 450 Gramm Kokainhydrochlorid) bzw. 2.125,6 Gramm (Wirkstoffanteil<br />

636,0 Gramm Kokainhydrochlorid) Kokain von V. /Niederlande in das B<strong>und</strong>esgebiet. Während ein vom<br />

Angeklagten vermittelter Kurier die Päckchen aus der Fahrt vom 28. Mai 2009 bei H. abholte, konnte das am 29.<br />

Mai 2009 eingeführte Kokain sichergestellt werden, als H. dieses auf Anweisung des Angeklagten zu einem Abnehmer<br />

nach F. transportierte.<br />

266


II. Soweit der Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtMG verurteilt wurde, dringt die Rüge einer Verletzung des<br />

§ 265 Abs. 1 StPO durch.<br />

1. Dem Angeklagten war in der insoweit unverändert zugelassenen Anklage bezüglich der Kokaintransporte (Fälle<br />

II.3, II.4, II.9 <strong>und</strong> II.10 der Urteilsgründe) vorgeworfen worden, jeweils als Gehilfe des Mitangeklagten A. gehandelt<br />

zu haben. Auf Gr<strong>und</strong>lage seiner geständigen Einlassung, der eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen<br />

war, hat ihn das Landgericht demgegenüber jeweils als Mittäter A. s verurteilt.<br />

2. Die Revision rügt zu Recht, dass der Angeklagte entgegen der Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO auf diesen Wechsel<br />

in der Beteiligungsform nicht hingewiesen <strong>und</strong> ihm insoweit nicht Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden<br />

war (vgl. BGH NJW 1985, 2488; Engelhard in KK 6. Aufl. § 265 Rn. 10; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 265 Rn.<br />

12; ebenso bei Wechsel von Täterschaft zur <strong>Teil</strong>nahme: BGH MDR 1977, 63 sowie bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983,<br />

358 Nr. 34).<br />

a) Ein entsprechender gerichtlicher Hinweis wurde weder im Eröffnungsbeschluss noch in der Hauptverhandlung<br />

erteilt. Das Gericht hat dem Angeklagten eine entsprechende Kenntnis auch nicht in sonstiger Weise durch den Gang<br />

der Verhandlung vermittelt; eine Revisionsgegenerklärung oder dienstliche Äußerungen, aus denen sich Gegenteiliges<br />

ergeben könnte, sind nicht vorgelegt worden (vgl. BGHSt 28, 196, 199; BGHR StPO § 265 Abs. 4, Hinweispflicht<br />

4; BGH NJW 2011, 1301, 1303).<br />

b) Ein Hinweis war auch nicht entbehrlich, weil dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen<br />

war <strong>und</strong> das Gericht die Strafe dem Verständigungsstrafrahmen entnommen hat. Die mit dem Gesetz zur Regelung<br />

der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) eingeführte Vorschrift des § 257c StPO<br />

<strong>und</strong> die sich aus einer danach getroffenen Verständigung ergebenden Bindungen des Gerichts haben nicht die Kraft,<br />

die Hinweispflichten des § 265 StPO zu relativeren oder gar zu verdrängen. Der Gr<strong>und</strong>satz des rechtlichen Gehörs<br />

gilt vielmehr uneingeschränkt auch für den Angeklagten, der einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zugestimmt<br />

hat. Anders als bei der Hinweispflicht des § 257c Abs. 4 S. 4 StPO, die nur dann eingreift, wenn sich das<br />

Gericht von einer getroffenen Verständigung lösen will, weil "rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen<br />

worden sind oder sich neu ergeben haben" <strong>und</strong> das Gericht deswegen den zugesagten Strafrahmen nicht mehr<br />

als angemessen erachtet (vgl. § 257c Abs. 4 S. 1 StPO), ist das Gericht der sich aus § 265 StPO ergebenden Pflichten<br />

auch dann nicht enthoben, wenn es sich auch unter geänderten Bedingungen von seiner Strafrahmenzusage nicht<br />

lösen will.<br />

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht. Ein Urteil beruht auf<br />

einem Rechtsfehler, wenn es möglich erscheint oder jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass es ohne ihn anders<br />

ausgefallen wäre. An einem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat,<br />

ausgeschlossen oder nur theoretischer Natur ist (BGHSt 14, 265, 268; 22, 278, 280; Kuckein in KK 6. Aufl. § 337<br />

Rn. 33; Meyer-Goßner aaO § 337 Rn. 37 jew. mwN). Die Bewertung des Beruhens hängt, gerade bei Verfahrensverstößen,<br />

stark von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH StV 2011, 76, 77; Meyer-Goßner aaO § 337 Rn. 38).<br />

Danach ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei prozessordnungsgemäßen Verfahren mit Erfolg anders<br />

als geschehen gegen den Vorwurf, die festgestellten Taten mittäterschaftlich begangen zu haben, hätte verteidigen<br />

können (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 1, Hinweispflicht 5). Das Beruhen kann entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

nicht bereits im Hinblick auf das Geständnis des Angeklagten ausgeschlossen werden. Zwar hat er nach<br />

den Urteilsgründen die Taten <strong>und</strong> die von ihm entfalteten Tatbeiträge umfassend <strong>und</strong> in Übereinstimmung mit den<br />

Angaben sowohl des Mitangeklagten A. als auch des gesondert verfolgten Zeugen H. geschildert (UA S. 22 <strong>und</strong> 24).<br />

Gleichwohl bestand die Möglichkeit, dass er diese Angaben, wäre ihm ihre Bedeutung für die Bewertung der Beteiligungsform<br />

mittels Erteilung des rechtlich gebotenen Hinweises verdeutlicht worden, ergänzt <strong>und</strong> insbesondere<br />

hinsichtlich seines Verhältnisses zu dem Mitangeklagten A. präzisiert hätte. Auch kann nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass sich der Angeklagte in rechtlicher Sicht anders als geschehen verteidigt hätte. Angesichts des dem Tatrichter bei<br />

der Abgrenzung von Täterschaft <strong>und</strong> <strong>Teil</strong>nahme in Grenzfällen eröffneten Beurteilungsspielraums (BGH NJW 1997,<br />

3385, 3387; Urteil vom 10. November 2004 - 5 StR 403/04 = NStZ-RR 2005, 71 (Leitsatz); NStZ 2006, 44, 45;<br />

Fischer, <strong>StGB</strong> 58. Aufl. vor § 25 Rn. 4, § 25 Rn. 12 mwN) wäre auch auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen<br />

eine andere Gewichtung der für <strong>und</strong> gegen die Annahme täterschaftlicher Begehung sprechenden Gesichtspunkte<br />

nicht rechtfehlerhaft gewesen.<br />

III. Die Verurteilung wegen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in drei Fällen hält demgegenüber<br />

rechtlicher Prüfung stand.<br />

1. Die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen sind nicht begründet.<br />

a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO bleibt aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift vom<br />

10. Januar 2011 dargelegten Gründen ohne Erfolg. Die Urteilsfeststellungen zur Bedenklichkeit des Stoffes Phenace-<br />

267


tin stehen nicht in Widerspruch zu dem Inhalt der hierzu verlesenen Urk<strong>und</strong>en; eine Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.<br />

b) Letztlich hat es sich auch nicht ausgewirkt, dass das Landgericht dem Angeklagten das Schreiben des Regierungspräsidiums<br />

Darmstadt vom 27. Mai 2010, das der Strafkammer spätestens zum Hauptverhandlungstermin vom 01.<br />

Juni 2010 vorgelegen hatte, nicht bekannt gemacht hat. Dem Tatgericht, das während, aber außerhalb der Hauptverhandlung<br />

verfahrensbezogene Ermittlungen anstellt, erwächst zwar aus dem Gebot der Verfahrensfairness (Art. 6<br />

MRK, § 147 StPO) gr<strong>und</strong>sätzlich die Pflicht, dem Angeklagten <strong>und</strong> der Verteidigung durch eine entsprechende Unterrichtung<br />

Gelegenheit zu geben, sich Kenntnis von den Ergebnissen dieser Ermittlungen zu verschaffen (BGHSt<br />

36, 305, 308; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren, Hinweispflicht 5). Auf einem möglichen Verfahrensverstoß<br />

kann das Urteil indes nicht beruhen. Weder der in dem Schreiben enthaltene Hinweis auf den 1986 erfolgten Widerruf<br />

der Zulassung von phenacetinhaltigen Schmerzmitteln noch die letztlich offen gelassenen Überlegungen des<br />

Verfassers dazu, ob die ges<strong>und</strong>heits-schädlichen Wirkungen von Cocain oder Phenacetin in einem entsprechenden<br />

Gemisch überwiegen, hätten Zweifel daran begründen können, dass es sich bei dem zum "Strecken" von Drogen<br />

bestimmten Phenacetin um ein bedenkliches Arzneimittel im Sinne von §§ 2, 5 AMG handelt <strong>und</strong> insoweit erfolgversprechende<br />

Verteidigungsmöglichkeiten eröffnen können. Da das B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsamt im Jahr 1986 den Verkehr<br />

mit allen phenacetinhaltigen Arzneimitteln wegen schädlicher Wirkungen von Phenacetin untersagt hat (vgl.<br />

Körner BtMG 6. Aufl. Anhang D I AMG Rn. 19) <strong>und</strong> auch die vom Landgericht in Bezug genommene veröffentliche<br />

Liste der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker Phenacetin als einen für Arzneimittelrezepturen<br />

bedenklichen Gr<strong>und</strong>stoff ausweist (Pharm.Ztg 2010, 201 f. mit Verweis auf Pharm.Ztg 1997, 1882), war der Wirkstoff<br />

Phenacetin aufgr<strong>und</strong> seiner Zweckbestimmung als pharmakologisch wirksamer Bestandteil einer Drogenzubereitung<br />

(vgl. Körner aaO; BGH NStZ 2008, 530; vgl. auch BGH Beschluss vom 12. April 2011 - 5 StR 463/10) als<br />

bedenkliches Arzneimittel im Sinne der §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 2 AMG zu werten.<br />

2. Die Sachrüge ist aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt dargelegten Gründen ebenfalls nicht begründet.<br />

IV. Wegen Wegfalls der Einzelstrafen in den Fällen II.3, 4, 9 <strong>und</strong> 10 der Urteilsgründe hat auch die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

keinen Bestand.<br />

StPO § 257c, § 267 Geschlossene Sachdarstellung auch im abgesprochenen Urteil<br />

BGH, Beschl. v. 09.03.2011 – 2 StR 428/10 - BeckRS 2011, 07178<br />

Zu den auch im Falle einer Urteilsabsprache unerlässlichen Mindestvoraussetzungen des tatrichterlichen<br />

Urteils gehört, dass es eine geschlossene <strong>und</strong> für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung<br />

des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des<br />

Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils<br />

erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über<br />

die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugr<strong>und</strong>e legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen <strong>Teil</strong>en<br />

unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen<br />

Aufhebung führt.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 14. Juni 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung in 26 Fällen unter Einbeziehung<br />

von Strafen aus einer früheren gesamtstrafenfähigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte zur Tatzeit als Leiter der Filiale eines Handy-<br />

Ladens der S. GmbH mit dem Abschluss von Mobiltelefonieverträgen befasst. Üblicherweise kopierten bei Abschluss<br />

solcher Verträge die Mitarbeiter des Handy-Ladens das Legitimationspapier <strong>und</strong> die Bankkarte der K<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> nahmen die Kopien zu dem jeweiligen Vertrag. Die Vertragsunterlagen wurden zum Monatsende an die Unternehmenszentrale<br />

geschickt <strong>und</strong> von dort an die Netzbetreiber weitergeleitet. Die K<strong>und</strong>en erhielten pro SIM-<br />

Kartenvertrag ein oder mehrere Handys, die von dem Mobilfunk-Provider subventioniert waren. Spätestens Anfang<br />

268


Januar 2008 kam der Angeklagte mit einem Bekannten überein, mit "Kopien" gefälschter Personalausweise <strong>und</strong><br />

Bankkarten im Namen fiktiver Personen Verträge abzuschließen, um an subventionierte Handys zu gelangen. Hierzu<br />

scannte der Bekannte des Angeklagten einen Originalpersonalausweis in einen Computer ein <strong>und</strong> stellte mittels eines<br />

Bearbeitungsprogramms "Kopien tatsächlich nicht existenter Personalausweise" unter Verwendung von Scheinpersonalien<br />

her, indem er die Seriennummern, die Personaldaten <strong>und</strong> die Lichtbilder veränderte. Ferner fertigte er<br />

Bankkarten-Kopien von Konten, die unter Scheinpersonalien eröffnet worden waren oder K<strong>und</strong>en gehörten, welche<br />

in dem Handy-Laden zuvor unter Angabe ihrer Bankdaten Mobilfunkverträge abgeschlossen hatten. Unter Verwendung<br />

der gefälschten Dokumente schlossen der Angeklagte <strong>und</strong> sein Bekannter in der Folgezeit auf den Namen der<br />

jeweiligen fiktiven Personen einen oder mehrere "Verträge" ab. Der Angeklagte reichte diese "Scheinverträge" dann<br />

wie üblich über die Zentrale bei dem jeweiligen Provider ein. Für seinen Beitrag erhielt der Angeklagte jeweils eines<br />

der mit "Vertragsschluss" überlassenen neuen Handys.<br />

2. Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die<br />

an die Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verfahrensabsprache<br />

ergangen ist. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen,<br />

die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur<br />

Aufklärung <strong>und</strong> Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen<br />

Gesetzesverletzung erforderlich ist (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336). Zu<br />

den unerlässlichen Mindestvoraussetzungen des Urteils gehört, dass es eine geschlossene <strong>und</strong> für das Revisionsgericht<br />

nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung<br />

des Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisions-rechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich.<br />

Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen<br />

Beurteilung zugr<strong>und</strong>e legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen <strong>Teil</strong>en un-vollständig oder widersprüchlich, so<br />

ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz<br />

1 Sachdarstellung 3; BGH, NStZ 2008, 109). So verhält es sich hier.<br />

a) Die Feststellungen der Strafkammer erschöpfen sich in einer knapp gehaltenen, teilweise aus dem Anklagesatz<br />

übernommenen Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten <strong>und</strong> seines Komplizen, an die sich eine Zusammenfassung<br />

der Einzeltaten in einer mehrspaltigen Tabelle anschließt. Dort wird in der Spalte "Tattag" das jeweilige<br />

Datum angegeben, unter dem die "Scheinverträge" geschrieben worden sind, <strong>und</strong> in der Spalte "Fiktive Person" wird<br />

der Name des vorgetäuschten K<strong>und</strong>en aufgeführt. In zwei weiteren Spalten werden unter der Überschrift "Vertragspartner"<br />

die SIM-Kartennummern der jeweiligen Netzbetreiber <strong>und</strong> unter der Überschrift "Handys" die in den Einzelfällen<br />

erhaltenen Mobiltelefone mit Typenbezeichnung aufgelistet. Zwar ist es dem Tatrichter gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />

verwehrt, bei einer Vielzahl von Straftaten, die den selben Tatbestand erfüllen, davon abzusehen, die konkreten<br />

Sachverhalte der Einzeltaten ausführlich mitzuteilen, <strong>und</strong> diese stattdessen in einer Liste zusammenzufassen, in der<br />

die jeweiligen Taten individualisiert werden. Dies gilt, wenn die Taten in allen wesentlichen tatsächlichen Umständen,<br />

die den Tatbestand erfüllen, gleich gelagert sind. Auch dann müssen die Urteilsgründe aber so abgefasst werden,<br />

dass sie erkennen lassen, welche der festgestellten Tatsachen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen<br />

sind <strong>und</strong> sie ausfüllen können (vgl. für den Fall einer Vielzahl von gleichgelagerten Betrugstaten BGH, NJW 1992,<br />

1709; NStZ 2008, 352; NStZ-RR 2010, 54).<br />

b) Hier lässt sich der Sachverhaltsdarstellung der Strafkammer zur betrügerischen Vorgehensweise des Angeklagten<br />

jedoch schon nichts Näheres dazu entnehmen, wie es zu einem Abschluss der "Scheinverträge" gekommen sein soll<br />

<strong>und</strong> wer aus dem Adressatenkreis der Täuschung über die mit fiktiven Personaldaten ausgefüllten K<strong>und</strong>enaufträge<br />

von dem Angeklagten zu welcher irrtumsbedingten Vermögensverfügung veranlasst worden ist. Ausführungen zu<br />

vertraglichen Regelungen zwischen dem die Handy-Läden betreibenden Unternehmen <strong>und</strong> den Mobilfunknetz-<br />

Providern fehlen vollständig. Dementsprechend bleibt unklar, wie der Angeklagte die Mobiltelefone <strong>und</strong> die SIM-<br />

Karten erlangt hat. Es lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, aus welchem Vermögen die Mobiltelefone<br />

herrührten <strong>und</strong> welchen Wert diese hatten. Danach lässt sich auch nicht nachvollziehen, wer in den Einzelfällen in<br />

welcher Höhe geschädigt worden ist.<br />

3. Hinzu kommt, dass die Feststellungen den Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Urk<strong>und</strong>enfälschungen<br />

nicht tragen.<br />

a) Durch die Ausdrucke von Bilddateien eines Personalausweises unter manipulativer Änderung von Personaldaten<br />

<strong>und</strong> Lichtbild sind weder unechte oder verfälschte Urk<strong>und</strong>en hergestellt worden, noch hat der Angeklagte solche<br />

Urk<strong>und</strong>en gebraucht, indem er die Ausdrucke verwendete, um vorzutäuschen, dass von den fiktiven K<strong>und</strong>en Personaldokumente<br />

vorgelegen hätten. Urk<strong>und</strong>en im Sinne des § 267 Abs. 1 <strong>StGB</strong> sind verkörperte Erklärungen, die ihrem<br />

gedanklichen Inhalt nach geeignet <strong>und</strong> bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, <strong>und</strong> die<br />

269


ihren Aussteller erkennen lassen. Einer bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels<br />

Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urk<strong>und</strong>encharakter beizumessen (st.<br />

Rspr., vgl. BGHSt 20, 17, 18 f.; 24, 140, 141 f. mwN; BGH wistra 1993, 225; 341; 2010, 226). Zwar kann im Wege<br />

computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente gr<strong>und</strong>sätzlich eine (unechte) Urk<strong>und</strong>e<br />

hergestellt werden. Dafür muss die Reproduktion jedoch einer Originalurk<strong>und</strong>e so ähnlich sein, dass die Möglichkeit<br />

einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. mwN BGH, wistra 2010, 184, 185; Fischer,<br />

<strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 267 Rn. 22). Daran fehlt es hier. Die Ausdrucke der Computerdatei des gescannten Personalausweises<br />

wiesen nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen Originalausweis prägen. Sie sollten nach<br />

ihrem Dokumentationszweck wie Kopien verwendet werden <strong>und</strong> spiegelten erkennbar lediglich ein Abbild eines<br />

Personalausweises wider. Da der von den Ausdrucken der Computerdatei jeweils abgebildete Personalausweis tatsächlich<br />

nicht existierte <strong>und</strong> diesbezüglich somit zu keinem Zeitpunkt eine falsche Urk<strong>und</strong>e vorgelegen hat, erfüllt<br />

die Verwendung dieser Ausdrucke auch nicht den Tatbestand der Urk<strong>und</strong>enfälschung in Form des Gebrauchens einer<br />

unechten Urk<strong>und</strong>e (vgl. Fischer, aaO § 267 Rn. 37), wie es das Landgericht in seinen sich auf die Angabe des Endergebnisses<br />

beschränkenden Ausführungen zur rechtlichen Würdigung angenommen hat (UA S. 11).<br />

b) Eine hier in Betracht zu ziehende Urk<strong>und</strong>enfälschung durch eine Anfertigung der mit fingierten Namen unterzeichneten<br />

"Scheinverträge" bzw. K<strong>und</strong>enaufträge <strong>und</strong> deren Weiterleitung hat die Strafkammer demgegenüber nicht<br />

erwogen.<br />

StPO § 257c, § 273 Abs. 1a S. 3, § 302 Abs. 1 S. 2 Fehlen des Negativattests über Deal im Protokoll<br />

BGH, Beschl. v. 29.09.2010 - 2 StR 371/10 - NJW 2011, 321= StV 2011, 340<br />

LS:<br />

a) Ein Protokoll, in dem weder vermerkt ist, dass eine Verständigung stattgef<strong>und</strong>en, noch dass eine<br />

solche nicht stattgef<strong>und</strong>en hat, ist widersprüchlich bzw. lückenhaft <strong>und</strong> verliert insoweit seine Beweiskraft.<br />

b) Beruft sich ein Angeklagter auf die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts<br />

wegen einer vorausgegangenen Verständigung <strong>und</strong> schweigt das Protokoll dazu, so muss der Beschwerdeführer,<br />

um dem Revisionsgericht eine Überprüfung im Freibeweisverfahren zu ermöglichen,<br />

im einzelnen darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form <strong>und</strong> mit welchem<br />

Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Februar 2010 wird als unzulässig<br />

verworfen.<br />

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hat den geständigen Angeklagten am 10. Februar 2010 wegen unerlaubten Handeltreibens mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt,<br />

von der drei Monate als vollstreckt gelten. Darüber hinaus hat es einen Geldbetrag in Höhe von 63.500 € für verfallen<br />

erklärt. Im Anschluss an die Urteilsverkündung haben der Angeklagte, sein Verteidiger <strong>und</strong> der Vertreter der<br />

Staatsanwaltschaft ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel verzichtet. Gleichwohl hat der<br />

Angeklagte mit Schriftsatz eines neuen Verteidigers am 16. Februar 2010 fristgerecht Revi-sion eingelegt <strong>und</strong> zu<br />

deren Zulässigkeit ausgeführt, der am 10. Februar 2010 erklärte Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2<br />

StPO unwirksam, weil dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen sei; dies werde er - was später aber nicht<br />

geschehen ist - noch im einzelnen erläutern.<br />

2. Die innerhalb der Wochenfrist eingelegte Revision ist unzulässig, weil der Angeklagte wirksam auf Rechtsmittel<br />

verzichtet hat. Zwar ist ein Verzicht nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO ausgeschlossen, wenn dem Urteil eine Verständigung<br />

vorausgegangen ist. Eine solche ist hier jedoch nicht erwiesen:<br />

a) Weder in der Urteilsurk<strong>und</strong>e (dazu BGH NStZ-RR 2010, 151) noch im Hauptverhandlungsprotokoll findet sich<br />

gemäß den §§ 267 Abs. 3 Satz 5, 273 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a Satz 1 <strong>und</strong> 2 StPO die Feststellung, dass eine Verständigung<br />

im Laufe des Verfahrens stattgef<strong>und</strong>en habe. Andererseits fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll auch das sogenannte<br />

Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung nicht stattgef<strong>und</strong>en habe. Entgegen<br />

270


dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts ist durch das völlige Schweigen des Protokolls das Fehlen einer Verständigung<br />

daher nicht bewiesen. Der nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO zwingend vorgeschriebene Vermerk, dass eine Verständigung<br />

nicht stattgef<strong>und</strong>en habe, gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO<br />

(BGH NStZ-RR 2010, 213; a.M. Meyer-Goßner, StPO 53 Aufl. § 273 Rn. 12c). Ausweislich der Gesetzesmaterialien<br />

dient das sogenannte Negativattest dazu, mit höchst möglicher Gewissheit <strong>und</strong> auch in der Revision überprüfbar die<br />

Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu dokumentieren <strong>und</strong> auszuschließen, dass "stillschweigend" ohne Beachtung<br />

der gesetzlichen Förmlichkeiten solche Verhaltensweisen stattgef<strong>und</strong>en haben (Gesetzentwurf der B<strong>und</strong>esregierung,<br />

BT-Drucks. 16/12310 S. 15; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU <strong>und</strong> SPD, BT-Drucks. 16/11736 S.<br />

13; vgl. auch Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2630). Diesem gesetzgeberischen Anliegen würde es widersprechen, §<br />

273 Abs. 1a Satz 3 StPO entgegen seinem klaren Wortlaut als überflüssige systemwidrige Ordnungsvorschrift ohne<br />

jeglichen Anwendungsbereich zu begreifen (so aber Meyer-Goßner aaO; dagegen Brand/Petermann NJW 2010, 268,<br />

269). Enthält nach alledem das Protokoll weder den nach § 273 Abs. 1, Satz 2, Abs. 1a Satz 1 <strong>und</strong> 2 StPO zwingend<br />

vorgeschriebenen Vermerk, dass eine Verständigung gegebenenfalls tatsächlich stattgef<strong>und</strong>en habe, noch den ebenso<br />

zwingend vorgeschriebenen Vermerk nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung gegebenenfalls nicht<br />

stattgef<strong>und</strong>en habe, ist das Protokoll in diesem Punkt widersprüchlich bzw. lückenhaft <strong>und</strong> verliert insoweit seine<br />

Beweiskraft (so auch Peglau in Beck OK StPO, § 273 Rn. 21). Das Revisionsgericht kann dann im Wege des Freibeweisverfahrens<br />

zum Beispiel durch die Einholung dienstlicher Erklärungen der Prozessbeteiligten klären, ob dem<br />

Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, die zur Unwirksamkeit des nachfolgend erklärten Rechtsmittelverzichts<br />

führen würde (vgl. Niemöller in Nie-möller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren<br />

2010 § 273 Rn. 30).<br />

b) Wenn ein Angeklagter sich - wie hier - bei Schweigen des Protokolls <strong>und</strong> der Urteilsurk<strong>und</strong>e zu einer Verständigung<br />

auf die Unwirksamkeit des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO beruft, ist<br />

er gehalten konkret darzulegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form <strong>und</strong> mit welchem Inhalt die von<br />

ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist. Nur dann kann das Revisionsgericht beurteilen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

im Freibeweisverfahren durch die Einholung dienstlicher Erklärungen überprüfen, ob eine dem Regelungsgehalt<br />

des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unterfallende Verständigung erfolgt war. Allein die pauschale - <strong>und</strong> entgegen<br />

der Ankündigung der Revision auch nicht näher konkretisierte - Behauptung einer Verständigung gibt dem Senat<br />

hingegen keine Veranlassung, weitere Aufklärung im Freibeweisverfahren zu betreiben.<br />

StPO § 257c, 261 Kein Verwertungsverbot nach verbotenem Deal über Schuldspruch<br />

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 – 1 StR 52/11 – NJW 2011, 1526 = StV 2011, 337= wistra 2011, 235<br />

LS: Allein die unzulässige Verständigung über den Schuldspruch führt nicht zu einem Verbot, das<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Verständigung abgegebene Geständnis des Angeklagten zu verwerten.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 1. März 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das<br />

Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. November 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Der Senat merkt an: Der<br />

Angeklagte wurde u.a. wegen fünf Fällen des Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 <strong>StGB</strong>) verurteilt, die<br />

er mit weiteren Personen begangen hat. Schweren Bandendiebstahl (§ 244a <strong>StGB</strong>) hat die Strafkammer nicht erörtert.<br />

In den Urteilsgründen wird gemäß § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO angegeben, dass dem Urteil eine Verständigung (§<br />

257c StPO) vorausgegangen ist. Dem Urteil (insbesondere UA S. 25) ist weiter zu entnehmen, dass die Verständigung<br />

sich auch darauf erstreckte, dass die Taten abweichend von der Anklageschrift nicht bandenmäßig begangen<br />

worden seien (im Hauptverhandlungsprotokoll heißt es u.a.: "Bei dem Geständnis des Angeklagten P. brauchen keine<br />

Merkmale enthalten sein, die für ein bandenmäßiges Vorgehen sprechen"). Der Senat sieht daher Anlass darauf<br />

hinzuweisen, dass der Schuldspruch nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf (§ 257c Abs. 2 Satz 3 StPO)<br />

<strong>und</strong> dass auch die Staatsanwaltschaft darauf hinzuwirken hat, dass das Gesetz beachtet wird (vgl. RiStBV Nr. 127<br />

Abs. 1 Satz 1). Schwerer Bandendiebstahl ist eine Qualifikation <strong>und</strong> betrifft daher den Schuldspruch. Eine Verständigung<br />

darüber, dass keine bandenmäßige Begehung vorliegt, ist in diesem Fall, in dem es nicht nur um eine strafzumessungsrelevante<br />

Feststellung geht, unzulässig (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3<br />

StR 359/10 Rn. 8). Gleichwohl ist die Beweiswürdigung im vorliegenden Fall rechtlich im Ergebnis nicht zu bean-<br />

271


standen. Der Beschwerdeführer hat keine Verfahrensrüge erhoben. Er hat weder eine Verletzung des § 257c Abs. 2<br />

Satz 3 StPO beanstandet, noch ein Verwertungsverbot gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO geltend gemacht. Auch<br />

wenn in den Urteilsgründen, ohne dass dies erforderlich wäre (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2010 - 1<br />

StR 359/10 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10 Rn. 16) Einzelheiten der Verständigung<br />

mitgeteilt werden, bedarf es zur Beanstandung der Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 257c StPO der Erhebung<br />

einer formgerechten (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Januar<br />

2010 - 3 StR 528/09). Der Umstand, dass das Revisionsgericht im Rahmen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei zugleich<br />

erhobener umfassender Sachrüge den Urteilsinhalt ergänzend berücksichtigen kann (vgl. u.a. BGH, Urteil<br />

vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99; BGHSt 45, 203, 204 f.), befreit nicht von der Anbringung einer Verfahrensrüge.<br />

Da eine solche nicht erhoben ist, ist die Beweiswürdigung schon deshalb nicht auf eine Verletzung des<br />

Verwertungsverbots des Geständnisses zu überprüfen. Hinzu kommt, dass ohnehin kein Verwertungsverbot gemäß §<br />

257c Abs. 4 Satz 3 StPO vorliegt. Bei einer, wenn auch fehlerhaften, Verständigung, besteht ein Verwertungsverbot<br />

nach dem Gesetz nur "in diesen Fällen", d.h. in den in § 257c Abs. 4 Sätze 1 <strong>und</strong> 2 StPO aufgeführten Fällen. Gemeint<br />

sind Konstellationen, in denen sich das Gericht von der Verständigung lösen will. Wenn die "Vertragsgr<strong>und</strong>lage"<br />

für das Geständnis entfallen ist, erfordert das Gebot der Verfahrensfairness, dass auch dieses keinen Bestand<br />

mehr hat. Bindung des Gerichts <strong>und</strong> Geständnis des Angeklagten stehen in einer Wechselbeziehung, die das Gericht<br />

nicht folgenlos einseitig auflösen kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Rn. 28 zu § 257c StPO). Im vorliegenden<br />

Fall hat sich das Gericht aber nicht einseitig von der Verständigung gelöst, sondern diese in vollem Umfang<br />

eingehalten, weshalb der Revisionsführer auch keine derartige Rüge erhoben hat. Ein Verwertungsverbot - diese<br />

Wirkung knüpft das Gesetz allein an das Scheitern der Verständigung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2010 -<br />

3 StR 226/10 Rn. 7) - besteht daher nicht. Auch im Übrigen weist die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler auf.<br />

Das vom Verteidiger vor dem Tatgericht vorgetragene "schlanke" Geständnis, wozu der Angeklagte erklärte, "dass<br />

er die Erklärung seines Verteidigers als seine eigene Einlassung verstanden wissen wolle" (UA S. 25), ist jedenfalls<br />

insoweit rechtsfehlerfrei als glaubhaft angesehen worden, als der Angeklagte die Begehung der Taten zugegeben hat.<br />

Das Landgericht hat eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt <strong>und</strong> sich von der Richtigkeit des Geständnisses<br />

insoweit überzeugt <strong>und</strong> dies ohne Rechtsfehler begründet. Dass der Angeklagte nicht wegen schweren Bandendiebstahls<br />

verurteilt wurde, beschwert ihn genauso wenig wie die in Anbetracht der Gesamtumstände milde Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren. Das Landgericht erwähnt zu dieser Gesamtfreiheitsstrafe in den Urteilsgründen u.a.<br />

(UA S. 39), dass "im Rahmen der Verständigung Einigkeit darüber bestand, dass für den Fall, dass der Angeklagte<br />

geständig ist, eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren zu verhängen wäre" (im Hauptverhandlungsprotokoll<br />

heißt es: "gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe zu verhängen sein wird, die drei Jahre nicht übersteigt"). Eine<br />

Mindeststrafe wird nicht genannt. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass bei Mitteilung eines möglichen Verfahrensergebnisses<br />

(§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) stets ein Strafrahmen, also Strafober- <strong>und</strong> Strafuntergrenze anzugeben<br />

ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2010 - 1 StR 359/10 Rn. 6 mwN). Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie sich<br />

hier ein (etwaiger <strong>und</strong> auch nicht gerügter) Verfahrensfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben könnte.<br />

Insbesondere hat der Senat nicht die Besorgnis, wegen der nicht genannten Strafuntergrenze könne sich die Strafkammer<br />

auf eine nicht zulässige "Punktstrafe" festgelegt haben (vgl. Senatsbeschluss aaO). Die Strafkammer hat im<br />

Übrigen sowohl die Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe ausführlich <strong>und</strong> rechtsfehlerfrei begründet. Bedenken,<br />

die Strafzumessungserwägungen seien nicht ernst gemeint, sondern sollten lediglich die bereits feststehende Strafe<br />

begründen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 359/10 Rn. 10), hat der Senat nicht. Über<br />

die Einzelstrafen wurde sich nicht verständigt <strong>und</strong> bezüglich der Gesamtstrafe ist nach der Formulierung "nicht mehr<br />

als" nicht davon auszugehen, dass sich die Strafkammer auf eine nicht zulässige "Punktstrafe" (vgl. hierzu auch<br />

BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10) festgelegt hat.<br />

272


StPO § 257c, 302 Revision der StA nach Verfahrensabsprache<br />

BGH, Urt. v. 10.06.2010 – 4 StR 73/10 - NStZ-RR 2010, 383<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs unterliegt die Befugnis der Verfahrensbeteiligten,<br />

nach einer vorausgegangenen Verständigung das Rechtsmittel der Revision einzulegen, keinen Einschränkungen.<br />

Dies gilt nicht nur für die Rechtsmittelbefugnis des Angeklagten, sondern uneingeschränkt<br />

auch für diejenige anderer Verfahrensbeteiligter.<br />

1. Die Revisionen des Angeklagten <strong>und</strong> der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 22.<br />

Juni 2009 werden verworfen.<br />

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft<br />

<strong>und</strong> die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung in zwei Fällen sowie wegen Geldwäsche in<br />

Tateinheit mit Hehlerei in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt, deren<br />

Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft<br />

rügt die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte beanstandet das Verfahren <strong>und</strong> erhebt die nicht<br />

näher ausgeführte Sachrüge. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

A. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Mittäter des Angeklagten, der gesondert verfolgte F.,<br />

gelangte im Frühjahr 2005 in den Besitz von etwa 2400 Kontobelegen der Landesbank AG (im Folgenden: L.), die<br />

ein inzwischen rechtskräftig verurteilter ehemaliger Mitarbeiter der Bank entwendet hatte. Die Belege betrafen die<br />

Anlage von Vermögenswerten nahezu ausschließlich in Deutschland wohnhafter K<strong>und</strong>en der L., die die daraus erzielten<br />

Einkünfte, im Wesentlichen Zinserträge <strong>und</strong> Anlagegewinne, nicht ordnungsgemäß in Deutschland versteuerten<br />

<strong>und</strong> dies auch in Zukunft nicht zu tun beabsichtigten. Zur gewinnbringenden Verwertung der Kontobelege fasste<br />

F. den Plan, dort aufgeführte K<strong>und</strong>en der L. anzusprechen <strong>und</strong> von diesen zur Vermeidung einer Veröffentlichung<br />

der auf den Belegen enthaltenen Informationen <strong>und</strong> einer damit verb<strong>und</strong>enen strafrechtlichen Verfolgung Geldbeträge<br />

in Höhe von jeweils zehn Prozent der Anlagesumme zu fordern. Auf Anweisung des F. , der im Hintergr<strong>und</strong> bleiben<br />

wollte, nahm der Angeklagte im Mai <strong>und</strong> im Juni 2005 Kontakt zu vier K<strong>und</strong>en der L. auf, um den Plan in die<br />

Tat umzusetzen. Dabei erhoffte sich der Angeklagte als Belohnung für seine Mitwirkung an den Taten jeweils zehn<br />

Prozent der von den angesprochenen K<strong>und</strong>en gezahlten Geldbeträge, wobei er mit einem Betrag in Höhe von<br />

400.000 Euro rechnete. Der Zeuge P. erklärte sich nach mehreren Telefonaten bzw. Treffen mit dem Angeklagten<br />

am 7. Juni 2005 dazu bereit, einen Betrag in Höhe von 300.000 Euro zu zahlen. P. hatte jedoch zuvor die L. von der<br />

Kontaktaufnahme <strong>und</strong> der Geldforderung in Kenntnis gesetzt. Eine Geldübergabe fand nicht statt, weil der Angeklagte<br />

auf Anweisung des F. die Verbindung mit der Begründung abbrach, der Zeuge arbeite mit der L. zusammen.<br />

Anfang Juni 2005 nahm der Angeklagte Kontakt zu dem Zeugen K. auf, der jedoch (wahrheitswidrig) erklärte, kein<br />

Konto bei der L. zu unterhalten. Der Angeklagte <strong>und</strong> F. gingen daraufhin davon aus, der Zeuge K. sei nicht erpressbar<br />

<strong>und</strong> die weitere Ausführung ihres Vorhabens sei nicht mehr möglich. Ebenfalls im Juni 2005 wurde der Zeuge R.<br />

vom Angeklagten aufgefordert, zur Vermeidung der Weitergabe von Kontobelegen an das Finanzamt einen Geldbetrag<br />

in Höhe von zehn Prozent der Anlagesumme zu zahlen. Nachdem F. in der Zwischenzeit – ohne dass der Angeklagte<br />

davon zu-nächst etwas erfuhr – aber auch direkt mit der L. in Kontakt getreten war, ihr die Rückgabe der<br />

Kontounterlagen gegen Zahlung eines hohen Geldbetrages angeboten <strong>und</strong> ferner zugesagt hatte, die K<strong>und</strong>en der L.<br />

nicht weiter zu behelligen, wurde der Angeklagte angewiesen, auch den Kontakt zum Zeugen R. abzubrechen. Noch<br />

einige Tage zuvor hatte der Angeklagte den Zeugen D., ebenfalls K<strong>und</strong>e der L., angerufen <strong>und</strong> diesem später in dessen<br />

Büro sein Anliegen vorgetragen. Er erzielte jedoch mit seiner Drohung keinen Erfolg; der Zeuge D. kündigte an,<br />

die Polizei einzuschalten. Im Weiteren verhandelte F. ohne Mitwirkung des Angeklagten mit den Entscheidungsträgern<br />

der L. . Diese waren schließlich bereit, zur Vermeidung der von F. angekündigten Weitergabe der Kontounterlagen<br />

an die Finanzbehörden eine Summe von insgesamt 13 Millionen Euro zu zahlen. In der Folgezeit wurden an F.<br />

am 31. August 2005 7,5 Millionen Schweizer Franken <strong>und</strong> am 29. August 2007 weitere vier Millionen Euro, jeweils<br />

gegen Rückgabe von <strong>Teil</strong>en der Kontounterlagen, von der L. übergeben. Die letzte Rate in Höhe von 4 Millionen<br />

Euro, die für Ende August 2009 abgesprochen war, zahlte die L. nicht mehr, da F. Ende 2007 festgenommen wurde.<br />

F. gab an den Angeklagten aus den von der L. geleisteten Beträgen als Belohnung für seine Mitwirkung im Spätsommer<br />

2005 150.000 Schweizer Franken <strong>und</strong> Ende August 2007 100.000 Euro weiter.<br />

273


B. I. Zur Revision des Angeklagten: Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

1. Die auf die Verletzung von § 338 Nr. 4 StPO gestützte Verfahrensrüge ist unbegründet, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

in der Begründung seines Terminsantrags vom 1. März 2010 zutreffend ausgeführt hat.<br />

2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgr<strong>und</strong> der nicht näher ausgeführten Sachrüge hat zum Schuldspruch<br />

keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung<br />

stand. Es begegnet insbesondere keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht bei<br />

den beiden versuchten Erpressungstaten den – nach §§ 49 Abs. 1, 23 Abs. 2 <strong>StGB</strong> gemilderten – Strafrahmen des §<br />

253 Abs. 4 <strong>StGB</strong> zugr<strong>und</strong>e gelegt hat. Zwar kann das Vorliegen eines vertypten Milderungsgr<strong>und</strong>es Anlass geben,<br />

trotz Vorliegens eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall zu verneinen (BGH, Beschluss vom 8. Oktober<br />

2008 – 4 StR 387/08, NStZ-RR 2009, 9; vgl. auch Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl., § 46 Rn. 92 m.w.N.). Das Landgericht<br />

hat jedoch bei der Prüfung der Voraussetzungen des Regelbeispiels eine Gesamtwürdigung auch unter dem Gesichtspunkt<br />

vorgenommen, ob Strafzumessungsgesichtspunkte gegeben sind, die die Regelwirkung entkräften könnten.<br />

Danach schließt der Senat aus, dass die Strafkammer hierbei aus dem Blick verloren haben könnte, dass es in<br />

den Fällen zum Nachteil der Zeugen K. <strong>und</strong> D. beim Versuch geblieben war.<br />

II. Zur Revision der Staatsanwaltschaft:<br />

1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen entgegen der Auffassung der Verteidigung nicht. Das<br />

Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist weder rechtsmissbräuchlich erhoben noch verstößt dessen Einlegung unter<br />

einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt gegen das Gebot eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs unterliegt die Befugnis der Verfahrensbeteiligten, nach einer vorausgegangenen<br />

Verständigung das Rechtsmittel der Revision einzulegen, keinen Einschränkungen (BGH, Urteil vom 28. August<br />

1997 - 4 StR 240/97, BGHSt 43, 195; BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40). Dies gilt<br />

nicht nur für die Rechtsmittelbefugnis des Angeklagten, sondern uneingeschränkt auch für diejenige anderer Verfahrensbeteiligter<br />

(Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., Vor § 213 Rn. 23). Das nach Erlass des angefochtenen Urteils in<br />

Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) hat<br />

an dieser Rechtslage nichts geändert.<br />

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.<br />

a) Der Freispruch des Angeklagten in den Fällen II. 1 <strong>und</strong> 3 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand.<br />

Die diesbezüglich von der Beschwerdeführerin erhobenen Bedenken gegen die Annahme eines jeweils freiwilligen<br />

Rücktritts vom Versuch der Erpressung greifen im Ergebnis nicht durch. Insoweit nimmt der Senat zur Begründung<br />

auf die Ausführungen in seinem am heutigen Tage ergangenen Urteil im Verfahren 4 StR 474/09 gegen den gesondert<br />

verfolgten F. u.a. Bezug.<br />

b) Ohne Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft auch dagegen, dass das Landgericht, soweit der Angeklagte wegen<br />

Geldwäsche in Tateinheit mit Hehlerei in zwei Fällen (II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt wurde, die Voraussetzungen<br />

der gewerbsmäßigen Begehungsweise nicht erörtert hat. Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seinem Terminsantrag<br />

im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, lassen sich den Feststellungen im angefochtenen Urteil keine ausreichenden<br />

Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Handeln des Angeklagten auf die Schaffung einer fortlaufenden<br />

Einnahmequelle ausgerichtet war.<br />

StPO § 257c; <strong>StGB</strong> § 46 Strafobergrenze unangemessen nach Angabe einer Untergrenze?<br />

BGH, Beschl. v. 27.07.2010 – 1 StR 345/10 - NJW 2011, 1159<br />

LS: Gibt das Gericht gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO eine Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe an,<br />

ist es nicht gehindert, die angegebene Obergrenze als Strafe zu verhängen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 27. Juli 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das<br />

Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§<br />

349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren<br />

entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Senat merkt an: Zutreffend hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

darauf hingewiesen, dass bei einer Verständigung gemäß § 257c StPO das Gericht nicht gehindert ist, die gemäß<br />

§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO angegebene Obergrenze der Strafe als Strafe zu verhängen. Gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2<br />

StPO kann das Gericht unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungser-<br />

274


wägungen auch eine Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung einer bestimmten Strafe ("Punktstrafe";<br />

vgl. hierzu BGHSt 51, 84, 86) bleibt nach wie vor unzulässig. Das Gericht kann im Einverständnis mit den<br />

Verfahrensbeteiligten nur einen Strafrahmen, nicht aber eine bestimmte Strafe vereinbaren. Hierbei darf der Angeklagte<br />

aber nicht mit einer weit geöffneten "Sanktionsschere" unter Druck gesetzt werden. Die Angabe eines Strafrahmens<br />

entspricht dem Gr<strong>und</strong>satz, dass das Gericht bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe einen Beurteilungsspielraum<br />

hat, der nur eingeschränkt vom Revisionsgericht überprüft werden kann. Die Angabe eines Strafrahmens<br />

durch das Gericht führt aber nicht dazu, dass es nur die Strafuntergrenze als Strafe festsetzen darf. Einen<br />

derartigen Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht geschaffen (a.A. Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl., § 257c Rdn.<br />

20 ff.; derselbe ZRP 2009, 107, 109). Die Entscheidung über die konkrete Strafe bleibt der abschließenden Beratung<br />

durch das Gericht vorbehalten. Der Angeklagte kann nur darauf vertrauen, dass die Strafe innerhalb des angegebenen<br />

Strafrahmens liegt. Er muss daher auch damit rechnen, dass die Strafe die Strafrahmenobergrenze erreicht.<br />

StPO § 260 Abs. 3; <strong>StGB</strong> §§ 78 ff. Darlegung im Urteil bei Einstellung wegen Verjährung<br />

BGH, Urt. v. 19.10.2010 - 1 StR 266/10 - NJW 2011, 547= wistra 2011, 76<br />

LS: In einem Einstellungsurteil wegen Verjährung sind die tatsächlichen <strong>und</strong> rechtlichen Voraussetzungen<br />

des Verfahrenshindernisses in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise festzustellen<br />

<strong>und</strong> zu begründen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober 2010 für Recht erkannt: Auf die Revision<br />

der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 23. Februar 2010 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es hat weiter angeordnet, dass von der erkannten<br />

Gesamtfreiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten. Hinsichtlich zweier weiterer Taten hat es das Verfahren<br />

(wegen Verjährung) eingestellt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die<br />

Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gerügt wird. Die Staatsanwaltschaft beanstandet insbesondere, dass das<br />

Landgericht, das zwar Bandenmitgliedschaft des Angeklagten angenommen hat, die gewerbsmäßige Begehungsweise<br />

des Betruges aber verneint <strong>und</strong> deshalb die Qualifikation des § 263 Abs. 5 <strong>StGB</strong> nicht bejaht hat. Dies hatte zur<br />

Folge, dass das Landgericht in zwei Fällen vom Eintritt der Verjährung ausgegangen ist <strong>und</strong> in den anderen Fällen<br />

nur einen Schuldspruch gemäß dem Gr<strong>und</strong>tatbestand (§ 263 Abs. 1 <strong>StGB</strong>) zugr<strong>und</strong>e gelegt hat. Das Rechtsmittel, das<br />

vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg, so dass es eines Eingehens<br />

auf die Verfahrensrüge, der ebenfalls Gewicht zukommt, nicht bedarf. Das Landgericht hat festgestellt, dass der<br />

Angeklagte Mitglied einer Bande war, die sich zusammengeschlossen hatte, "um künftig auf Dauer in einer Vielzahl<br />

von Fällen unter Beteiligung weiterer Personen ... vorsätzlich Kfz-Unfälle herbeizuführen <strong>und</strong> diese fingierten Unfallschäden<br />

an den Fahrzeugen in betrügerischer Weise gegenüber den jeweiligen Versicherungsgesellschaften abzurechnen,<br />

indem sie diesen gegenüber wahrheitswidrig angaben, dass die Schäden bei Verkehrsunfällen verursacht<br />

worden waren" (UA S. 6). Chef der Bande war der Inhaber des Autohauses S., bei dem der Angeklagte als "Geringverdiener"<br />

angestellt war. Das Landgericht hat zehn Fälle dargestellt, bei denen der Angeklagte als Bandenmitglied<br />

bei den Taten mitwirkte. Es hat jedoch eine gewerbsmäßige Begehungsweise durch ihn insbesondere deshalb verneint,<br />

weil der Verbleib der Versicherungsleistungen teilweise ungeklärt sei, der Angeklagte in einzelnen Fällen<br />

keine direkte Auszahlung erhalten habe, er von den Gutschriften auf seinem Firmenkonto (oder dem Konto seiner<br />

Fre<strong>und</strong>in) keine Kenntnis gehabt habe, sein Lohn <strong>und</strong> seine unregelmäßigen Prämienleistungen nicht aus den Versicherungsleistungen<br />

beglichen worden seien <strong>und</strong> die kostenlose Nutzung von Fahrzeugen nicht auf die Beteiligung<br />

am Versi-cherungsbetrug zurückzuführen sei. Von den unwiderlegbaren Angaben des glaubhaft geständigen Angeklagten<br />

sei insoweit auszugehen. Hinsichtlich der beiden wegen Verjährung eingestellten Fälle teilt das Landgericht<br />

lediglich mit, dass diese am 5. Oktober 1998 bzw. am 20. Januar 2000 begangen wurden <strong>und</strong>, dass die obigen Ausführungen<br />

zur fehlenden Gewerbsmäßigkeit entsprechend gelten würden.<br />

275


1. Die Einstellung in den Fällen 1. <strong>und</strong> 2. der Anklage hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat<br />

hier rechtsfehlerhaft keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen,<br />

ob die Taten nicht nur bandenmäßig, sondern auch gewerbsmäßig begangen wurden, so dass sie entgegen der<br />

Ansicht des Gerichts nicht verjährt wären, da für § 263 Abs. 5 <strong>StGB</strong> anders als für § 263 Abs. 1 <strong>StGB</strong> eine zehnjährige<br />

Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 <strong>StGB</strong>) gilt. In einem Einstellungsurteil (§ 260 Abs. 3 StPO) wegen Verjährung<br />

sind die tatsächlichen <strong>und</strong> rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses in einer revisionsrechtlich<br />

überprüfbaren Weise festzustellen <strong>und</strong> zu begründen. Der Tatrichter ist verpflichtet, die Verfahrensvoraussetzungen<br />

zu prüfen <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich so darzulegen, dass sie vom Revisionsgericht nachgeprüft werden können. Soweit zu<br />

dieser Überprüfung eine dem Tatrichter obliegende Feststellung von Tatsachen erforderlich ist, hat er diese rechtsfehlerfrei<br />

zu treffen <strong>und</strong> (gegebenenfalls) zu würdigen. Dieser Begründungszwang ergibt sich sowohl aus § 34 StPO<br />

wie aus der Natur der Sache (vgl. RGSt 69, 157, 159; Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl., Rn. 29 zu § 267 StPO; Löwe-<br />

Rosenberg-Gollwitzer StPO, 25. Aufl., Rn. 158 zu § 267; Julius in HK-StPO, Rn. 32 zu § 267; KMR-Paulus StPO,<br />

Rn. 106 zu § 267; auch OLG <strong>Hamm</strong> MDR 1986, 778, mwN; OLG Köln NJW 1963, 1265). Würde man die pauschale,<br />

in tatsächlicher Hinsicht nicht näher belegte Angabe des Tatrichters, dass ein bestimmtes Verfahrenshindernis<br />

bestehe oder eine Verfahrensvoraussetzung fehle, für ausreichend erachten, so wäre der betreffende Verfahrensbeteiligte<br />

in Unkenntnis des vom Gericht als gegeben unterstellten, aber nicht mitgeteilten Sachverhalts in vielen Fällen<br />

gar nicht in der Lage, die Entscheidung sach- <strong>und</strong> formgerecht anzufechten. Ein derartiger sachlich-rechtlicher Mangel<br />

nötigt zur Aufhebung des Urteils <strong>und</strong> der ihm zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen (vgl. OLG <strong>Hamm</strong> aaO). In den<br />

Urteilsgründen muss daher gr<strong>und</strong>sätzlich, von der zugelassenen Anklage ausgehend, in revisionsrechtlich nachprüfbarer<br />

Weise dargelegt werden, aus welchen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist, d.h. die<br />

tatsächlichen <strong>und</strong> rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses sind festzustellen <strong>und</strong> anzugeben (vgl.<br />

u.a. Meyer-Goßner/Appl Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl., Rn. 644; KK-Engelhardt StPO 6. Aufl., Rn. 45 zu §<br />

267 StPO; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer aaO, Rn. 158 zu § 267; KMR-Paulus aaO Rn. 106 zu § 267; E. Schmidt<br />

StPO, Rn. 38 zu § 267; auch BGH, Urteil vom 6. März 2002 - 2 StR 530/01, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung<br />

13). Der Umfang der Darlegung richtet sich nach den be-sonderen Gegebenheiten des Einzelfalles,<br />

insbesondere nach der Eigenart des Verfahrenshindernisses. Die angeführten Gr<strong>und</strong>sätze gelten jedenfalls <strong>und</strong><br />

vor allem dann, wenn - wie hier - das Verfahrenshindernis von der strafrechtlichen Würdigung der Sache abhängt<br />

<strong>und</strong> eine abschließende Beurteilung darüber, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, nur getroffen werden kann, wenn<br />

eine diesbezügliche Beweisaufnahme durchgeführt <strong>und</strong> entsprechende Feststellungen ge-troffen wurden. Gerade bei<br />

der Prüfung der Voraussetzungen der Verjährung sind die tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Verfahrenshindernisses,<br />

das zur Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO führen müsste, hinreichend festzustellen<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 5. August 1997 - 5 StR 210/97, NStZ-RR 1997, 374, 375 mwN). Hier benötigt ein Einstellungsurteil<br />

eine vom Tatrichter festzustellende Sachverhaltsgr<strong>und</strong>lage. Erst auf dieser Gr<strong>und</strong>lage lässt sich die<br />

Verjährungsfrage beurteilen. Daher sind in solchen Fällen eine umfassende Beweisaufnahme <strong>und</strong> detaillierte Feststellungen<br />

zum Tatgeschehen erforderlich, bevor die Verjährungsfrage beurteilt werden kann (vgl. u.a. BGH, Beschluss<br />

vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 433/95, BGHSt 41, 305). An diesen Anforderungen ändert daher auch der<br />

Umstand nichts, dass das Revisionsgericht befugt ist, das Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen selbständig zu<br />

prüfen (vgl. u.a. OLG <strong>Hamm</strong> MDR 1986, 778 mwN; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer aaO, Rn. 158 zu § 267). Es hat<br />

dieses Verfahrenshindernis vielmehr nach revisionsrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen zu überprüfen (vgl. auch Senatsurteil<br />

vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09 - Rn. 12 mwN). Der Senat könnte die für die Beurteilung des Eintritts der Verjährung<br />

maßgebliche Frage, ob der Angeklagte "gewerbsmäßig" gehandelt hat, nicht im Freibeweisverfahren klären;<br />

dies obliegt vielmehr dem Tatrichter im Strengbeweisverfahren. Diesen Anforderungen an ein Einstellungsurteil<br />

(Prozessurteil) wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Für beide eingestellten Fälle wird schon nicht mitgeteilt,<br />

ob ein eigenes Fahrzeug des Angeklagten bei der Fingierung der Unfälle beteiligt war, was ein finanzielles Eigeninteresse<br />

des Angeklagten belegen kann, noch wird festgestellt, an wen die Versicherungsleistungen ausbezahlt wurden<br />

<strong>und</strong> ob der Angeklagte hieran in irgendeiner Form partizipiert hat. Die Einstellung in diesen beiden Fällen hat danach<br />

keinen Bestand. Der Senat kann nicht ausschließen, dass es in einer neuen Hauptverhandlung insoweit zu einer<br />

Verurteilung nach § 263 Abs. 5 <strong>StGB</strong> kommt. In die-sem Zusammenhang weist der Senat auch daraufhin, dass der<br />

Tatrichter nicht gehalten ist, Behauptungen eines Angeklagten als unwiderlegbar hinzunehmen, wenn Anhaltspunkte<br />

für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen. Es erscheint nicht nahe liegend, dass der Angeklagte eine Vielzahl dieser<br />

Delikte - auch unter Verwendung eigener Fahrzeuge - begangen hat, ohne nennenswerten eigenen finanziellen Vorteil<br />

hieraus zu ziehen, was eine gewerbsmäßige Begehungsweise belegen könnte. Es ist weiter nicht nachvollziehbar,<br />

warum (was auch mit der Verfahrensrüge geltend gemacht wird) der Chef der Bande, S., über den die gesamten<br />

Abwicklungen liefen, nicht als Zeuge vernommen wurde, obwohl er nahe liegend zur finanziellen Beteiligung des<br />

276


Angeklagten Angaben machen kann. Die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) drängte danach, ihn als Zeugen<br />

anzuhören, unabhängig davon, ob die Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung auf seine Vernehmung verzichtet<br />

haben sollten (vgl. auch BGH, Urteil vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09 - Rn. 11, NStZ-RR 2010, 236, 237).<br />

2. Die Aufhebung der eingestellten Fälle erfasst hier auch die übrigen Fälle, in denen Gewerbsmäßigkeit ebenfalls<br />

verneint wurde. Denn durch die rechtsfehlerhafte Einstellung zweier Fälle kann die Beweiswürdigung in den übrigen<br />

Fällen tangiert sein. Es ist nicht auszuschließen, dass der Tatrichter bei Feststellung, dass in den eingestellten Fällen<br />

Gewerbsmäßigkeit zu bejahen ist, auch bei den übrigen Taten hiervon ausgegangen wäre. Dies könnte z.B. dann der<br />

Fall sein, wenn das Überleben des Autohauses, das vom Angeklagten angestrebt wurde, nur durch diese Taten ermöglicht<br />

wurde <strong>und</strong> der Angeklagte sich dadurch seinen Nebenverdienst erhalten wollte oder, wenn die kostenlose<br />

Nutzung der Fahrzeuge durch den Angeklagten ohne seine Beteiligung an den Taten nicht gewährleistet war oder das<br />

K<strong>und</strong>enkonto ihm doch bekannt war <strong>und</strong> für ihn einen finanziellen Vorteil darstellt oder wenn die im Urteil nicht<br />

genauer bezifferten Prämienzahlungen sehr wohl eine dauernde Einnahmequelle waren. Der Senat hält es für möglich,<br />

dass insgesamt noch Feststellungen getroffen werden können, die in allen Fällen eine gewerbsmäßige Begehungsweise<br />

belegen. Danach war das Urteil insgesamt aufzuheben.<br />

StPO § 261 Beweiswert DNA-Untersuchungsmethoden<br />

BGH, Beschl. v. 03.11.2010 – 1 StR 520/10 - NJW 2011, 627 = BGHSt 56, 72<br />

LS: Zum Beweiswert einer kombinierten Analyse von Kern-DNA <strong>und</strong> mitochondrialer DNA.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 1. April 2010 wird als unbegründet<br />

verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte war vom Landgericht Landshut vom Vorwurf einer im Jahr 1990 begangenen Vergewaltigung einer<br />

ihm unbekannten 75 Jahre alten Frau <strong>und</strong> des anschließend zu deren Nachteil versuchten Verdeckungsmordes zunächst<br />

freigesprochen worden, weil sich die Kammer von seiner Täterschaft nicht hatte überzeugen können. Dieses<br />

Urteil hatte der Senat auf die staatsanwaltschaftliche Revision aufgehoben <strong>und</strong> die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong><br />

Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 26. Mai 2009 - 1 StR 597/08, BGHSt 54, 15).<br />

Dieses hat den Angeklagten nunmehr wegen der ihm zur Last gelegten Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13<br />

Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten<br />

bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 6. Oktober 2010 dargelegten Gründen ohne Erfolg<br />

(§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend hierzu bemerkt der Senat: Die von der Revision im Wesentlichen angegriffene<br />

Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere hat das insofern durch mehrere Sachverständige beratene Landgericht<br />

die Ergebnisse der durchgeführten DNA-Untersuchungen zutreffend bewertet. Diese bezogen sich auf zwei<br />

an der Unterhose bzw. an den Strümpfen des Opfers sichergestellte Fremdschamhaare. Nach der Analyse stammte<br />

die aus der Wurzel eines Haares gewonnene Kern-DNA, d.h. die im Kern der menschlichen Zelle vorhandene<br />

Erbsubstanz, 1.000 Mal wahrscheinlicher vom Angeklagten als von einer anderen Person. Da das zweite Haar keine<br />

Wurzel mehr aufwies, konnte insofern nur die außerhalb des Kerns in den Mitochondrien enthaltende DNA (sog.<br />

mitochondriale DNA [mtDNA]; vgl. BGH aaO) untersucht werden. Insoweit ergab sich, dass diese - sowie ebenso<br />

die aus dem anderen Haar gewonnene - mtDNA 4.591 Mal wahrscheinlicher vom Angeklagten stammte als von<br />

einer anderen nicht über die mütterliche Linie mit ihm verwandten Person mit zufällig derselben Sequenz. Zur Bestimmung<br />

dieser Wahrscheinlichkeit durfte entgegen der Ansicht der Revision auf die nach wissenschaftlichen Maßstäben<br />

geführte Innsbrucker Datenbank EMPOP zurückgegriffen werden. Denn in diese finden für die forensische<br />

Verwendung nur randomisierte Einzelproben Eingang, d.h. solche, die bereits auf der Basis von Populationsstudien<br />

erhoben worden sind, so dass die Datenbank einen repräsentativen Querschnitt der in Europa vorkommenden mtD-<br />

NA-Sequenzen enthält. Insofern ebenfalls sachverständig beraten durfte das Landgericht zudem zu der Einschätzung<br />

gelangen, dass die genannten Untersuchungsergebnisse der beiden unterschiedlichen Arten von Erbsubstanzen (UA<br />

S. 77) im Sinne der Produktregel dergestalt voneinander unabhängig sind (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. August<br />

1992 - 5 StR 239/92, BGHSt 38, 320, 323; Beschluss vom 5. Februar 1992 - 5 StR 677/91, NStZ 1992, 601, 602),<br />

dass sie als Faktoren miteinander kombiniert werden können. Es konnte daher im Rahmen seiner Beweiswürdigung<br />

als gewichtiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten ansehen, dass die sichergestellten Schamhaare im Ergebnis<br />

277


4.591.000 Mal wahrscheinlicher von diesem stammen als von einer anderen, nicht über die mütterliche Linie mit ihm<br />

verwandten Person.<br />

StPO § 261 Glaubwürdigkeit, Borderline-Störung bei Zeugin<br />

BGH, Urt. v. 12.08.2010 – 2 StR 185/10 - BeckRS 2010, 21492<br />

Für die Beurteilung, ob <strong>und</strong> in welcher Ausprägung eine Borderline-Störung bei einem Zeugen vorliegt<br />

<strong>und</strong> wie sie sich auf Aussageentstehung <strong>und</strong> -qualität ausgewirkt haben könnte, wird, wenn<br />

erhebliche Anhaltspunkte für Auffälligkeiten vorliegen, in der Regel die eigene Sachk<strong>und</strong>e des Gerichts<br />

nicht ausreichen.<br />

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom<br />

26. November 2009 mit Ausnahme des Freispruches im Fall 9 der Anklage mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem<br />

Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Vom<br />

Vorwurf weiterer acht Sexualstraftaten zu Lasten Minderjähriger hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision<br />

der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge gegen die Freisprüche in den Fällen 1 bis 5, 7 <strong>und</strong> 8 der<br />

Anklage; den Freispruch im Fall 9 der Anklage hat sie vom Revisionsangriff ausgenommen. Der Angeklagte wendet<br />

sich mit seiner auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung im Fall 6 der<br />

Anklage. Beide Revisionen haben Erfolg <strong>und</strong> führen zur Aufhebung des Urteils im Umfang der Anfechtung.<br />

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der 1950 geborene Angeklagte an einem Tag etwa zwei<br />

bis drei Monate vor dem 6. April 2007 in der Familienwohnung in das Zimmer seiner am 11. Juli 1994 geborenen<br />

Stieftochter - der Nebenklägerin -, die in ihrem Bett lag. Der Angeklagte war nur mit einem T-Shirt bekleidet. Er zog<br />

die Bettdecke weg, schob das Nachthemd der Geschädigten hoch, spreizte deren Beine <strong>und</strong> rieb sein erigiertes Glied<br />

an ihrer Scheide, bis er zum Samenerguss auf die Scheide kam. Dann führte er einen Finger in die Scheide der Geschädigten<br />

ein <strong>und</strong> bewegte ihn hin <strong>und</strong> her; sodann entfernte er sich <strong>und</strong> begab sich ins Bad. Die Geschädigte ließ<br />

die Handlungen des Angeklagten ohne Gegenwehr über sich ergehen. Die Geschädigte berichtete von dem Vorfall<br />

zunächst niemandem; sie erzählte allerdings seit 2006 verschiedenen Mitschülern allgemein, der Angeklagte werde<br />

ihr gegenüber sexuell übergriffig. Im Oktober 2008 erstattete sie auf Drängen ihrer Fre<strong>und</strong>in K. Strafanzeige.<br />

b) Die zugelassene Anklage warf dem Angeklagten darüber hinaus vor, zwischen Sommer 2005 <strong>und</strong> Oktober 2008 in<br />

sieben weiteren Fällen sexuelle Übergriffe gegen die Nebenklägerin <strong>und</strong> in einem weiteren Fall gegen deren Fre<strong>und</strong>in<br />

K. begangen zu haben. Danach sollte der Angeklagte in drei Fällen vor der Nebenklägerin onaniert <strong>und</strong> diese<br />

dabei an Brust <strong>und</strong> Scheide gestreichelt haben (Fälle 1 bis 3 der Anklage), in zwei Fällen gewaltsam den Oralverkehr<br />

erzwungen haben (Fälle 4 <strong>und</strong> 5 der Anklage), in einem Fall Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin vollzogen<br />

haben (Fall 8 der Anklage) <strong>und</strong> in einem weiteren Fall sich gegenüber der damals 13 Jahre alten Fre<strong>und</strong>in der Nebenklägerin,<br />

die bei dieser übernachtete, in unbekleidetem Zustand präsentiert <strong>und</strong> dabei onaniert haben (Fall 7 der<br />

Anklage). Schließlich sollte der Angeklagte am 20. Oktober 2008 die Nebenklägerin entkleidet haben, mit einem<br />

Finger in ihre Scheide eingedrungen sein <strong>und</strong> sie veranlasst haben, ihn mit der Hand zu befriedigen (Fall 9 der Anklage).<br />

Von diesen Tatvorwürfen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.<br />

2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge im Umfang der Anfechtung<br />

Erfolg, so dass es auf die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt. Die Beweiswürdigung<br />

des Landgerichts hält, wie auch der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend ausgeführt hat, aus sachlich-rechtlichen<br />

Gründen der rechtlichen Überprüfung nicht stand; sie enthält Rechtsfehler sowohl zugunsten als auch zulasten des<br />

Angeklagten.<br />

a) Das Landgericht hat die Verurteilung im Fall 6 der Anklage wesentlich - wenngleich nicht allein - auf die Aussage<br />

der Nebenklägerin gestützt. Die in deren Person liegenden <strong>und</strong> in dem problematischen Verhältnis der Geschädigten<br />

sowohl zum Angeklagten als auch zu ihrer Mutter begründeten Besonderheiten hat das Landgericht zwar gesehen<br />

<strong>und</strong> im Rahmen der Beweiswürdigung zu Fall 6 der Anklage erörtert. Es ist zu der Ansicht gelangt, die Nebenklägerin<br />

sei auch unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten allgemein glaubwürdig. Andererseits ist es in den Fällen 1<br />

278


is 5 <strong>und</strong> 7 bis 9 zu Freisprüchen gelangt, weil es diese Tatvorwürfe als nicht erweislich angesehen hat. Dies beruhte<br />

im Wesentlichen nicht darauf, dass im Gr<strong>und</strong>satz glaubhafte Tatschilderungen sich etwa hinsichtlich Ort, Zeit oder<br />

Frequenz der Taten nicht mehr hinreichend konkretisieren ließen. Vielmehr legen die Urteilsgründe dar, die Aussagen<br />

der Nebenklägerin in den Fällen 1 bis 5, 8 <strong>und</strong> 9 seien detailarm <strong>und</strong> "blutleer" gewesen; es fehle an einer Einbettung<br />

der angeblichen Taten in das jeweilige Lebensgeschehen; teilweise zeigten die Aussagen bei der Polizei <strong>und</strong><br />

in der Hauptverhandlung eine erhebliche Inkonstanz (UA S. 84 ff.). Nach Ansicht des Landgerichts beruhte die<br />

Nichterweislichkeit der Tatvorwürfe in diesen Fällen somit auf Mängeln der Aussagequalität, weil den Bek<strong>und</strong>ungen<br />

der Nebenklägerin erhebliche qualitative Merkmale der Erlebnisbezogenheit fehlten. Unter diesen Umständen hätte<br />

der Tatrichter nicht offen lassen dürfen, auf welchen Ursachen diese Mängel der Aussage beruhen konnten; er hätte<br />

diese vor allem in Beziehung zu der Aussage der Zeugin in dem abgeurteilten Fall 6 der Urteilsgründe setzen <strong>und</strong> bei<br />

der Beweiswürdigung ausdrücklich <strong>und</strong> erkennbar berücksichtigen müssen. Zutreffend haben die Revision des Angeklagten<br />

sowie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt darauf hingewiesen, dass es an solchen Erwägungen in den Urteilsgründen<br />

fehlt; vielmehr stehen die Beweiswürdigungen zu dem als erwiesen angesehenen Fall 6 <strong>und</strong> zu den übrigen, als<br />

nicht erwiesen angesehenen Fällen beziehungslos nebeneinander. Das ist rechtsfehlerhaft. Der Rechtsfehler kann<br />

sich hier sowohl zu Gunsten des Angeklagten (in den Fällen 1 bis 5 <strong>und</strong> 8 der Anklage) als auch zu seinen Lasten<br />

(im Fall 6 der Anklage) ausgewirkt haben, so dass sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die des Angeklagten<br />

jeweils mit der Sachrüge durchgreifen.<br />

b) Entsprechend gilt das Vorgenannte auch für die Beweiswürdigung im Fall 7 der Anklage hinsichtlich der Tat zu<br />

Lasten der Zeugin K.. Das Landgericht hat diese als "allgemein glaubwürdig" bezeichnet <strong>und</strong> die Verurteilung im<br />

Fall 6 der Anklage auch auf die Aussage dieser Zeugin über Mitteilungen der Nebenklägerin P. gestützt. Andererseits<br />

führen die Urteilsgründe aus, die Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung zu der angeblich an ihr selbst<br />

begangenen Tat habe nicht zu einer zweifelsfreien Feststellung dieser Tat geführt. Die Zeugin habe sich abweichend<br />

von ihrer polizeilichen Aussage geäußert <strong>und</strong> auf Vorhalte bek<strong>und</strong>et, sie habe "nicht genau hingeguckt" (UA S. 89<br />

f.). Auch insoweit fehlt es an jeder abwägenden Erörterung des Landgerichts, welche die "allgemeine Glaubwürdigkeit"<br />

der Zeugin sowie die Annahme der Glaubhaftigkeit ihrer Bek<strong>und</strong>ungen im Zusammenhang mit der Tat 6 in<br />

Beziehung setzt mit der vom Landgericht festgestellten Unklarheit <strong>und</strong> Unglaubhaftigkeit ihrer Aussage zum Fall 7<br />

der Anklage. Die Beweiswürdigung ist daher insgesamt nicht tragfähig; das Beruhen des Urteils auf den genannten<br />

Rechtsfehlern kann in keiner Richtung ausgeschlossen werden.<br />

3. Der neue Tatrichter wird den von der Revision des Angeklagten hervorgehobenen psychischen Auffälligkeiten in<br />

der Person der Nebenklägerin P. gegebenenfalls erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Namentlich solche<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten, die nach den gängigen Diagnose-Instrumentarien auf das Vorliegen<br />

einer so genannten Borderline-Persönlichkeitsstörung hinweisen können, könnten Anlass sein, die psychischen Aussagegr<strong>und</strong>lagen<br />

der Nebenklägerin mit Hilfe eines geeigneten, in der Regel psychiatrischen Sachverständigen näher<br />

zu untersuchen. Für die Beurteilung, ob <strong>und</strong> in welcher Ausprägung eine solche Störung vorliegt <strong>und</strong> wie sie sich auf<br />

Aussageentstehung <strong>und</strong> -qualität ausgewirkt haben könnte, wird, wenn erhebliche Anhaltspunkte für Auffälligkeiten<br />

vorliegen (hier etwa: Häufige Selbstverletzungen mittels Schneiden zur "Entlastung" bei Problemen), in der Regel<br />

die eigene Sachk<strong>und</strong>e des Gerichts nicht ausreichen.<br />

StPO § 261 Keine Schlüsse aus später Einlassung<br />

BGH, Beschl. v. 06.07.2010 – 3 StR 219/10 - NStZ 2010, 692<br />

Es ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht aus dem Umstand, dass der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung<br />

erst eingelassen hat, nachdem wesentliche <strong>Teil</strong>e der Beweisaufnahme bereits durchgeführt<br />

worden waren, nachteilige Schlüsse zieht.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 6. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 4. März 2010 mit den zugehörigen<br />

Fest-stellungen aufgehoben im Ausspruch über<br />

a) die Einzelstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung sowie<br />

b) die Gesamtstrafe.<br />

279


Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels <strong>und</strong> die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendi-gen Auslagen, an eine andere Strafkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls in drei Fällen <strong>und</strong> wegen<br />

Hehlerei zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision,<br />

mit der er das Verfahren beanstandet <strong>und</strong> die Verletzung sachlichen Rechts rügt.<br />

1. Die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler<br />

zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zwar hat das Landgericht auch aus dem Umstand, dass<br />

er sich in der Hauptverhandlung erst eingelassen <strong>und</strong> eine Notwehrsituation behauptet hat, nachdem wesentliche<br />

<strong>Teil</strong>e der Beweisaufnahme bereits durchgeführt worden waren, rechtsfehlerhaft (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl.<br />

§ 261 Rdn. 16) für den Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen (UA S. 24 f.). Der Senat kann jedoch im Hinblick<br />

auf die übrigen <strong>Teil</strong>e der ausführlichen Beweiswürdigung ausschließen, dass der Schuldspruch wegen gefährlicher<br />

Körperverletzung auf diesem Rechtsfehler beruht.<br />

2. Die für die gefährliche Körperverletzung verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten kann jedoch<br />

nicht bestehen bleiben. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Gesamtstrafenausspruch. Das Landgericht<br />

hat bei der Ablehnung eines minderschweren Falles <strong>und</strong> bei der konkreten Strafzumessung strafschärfend gewertet,<br />

der Angeklagte habe durch die wahrheitswidrige Behauptung, er sei vom Geschädigten gr<strong>und</strong>los mit einem<br />

Messer angegriffen worden <strong>und</strong> dessen Verletzungen seien bei seinen Abwehrbemühungen entstanden, diesen in<br />

unzulässiger Weise in Misskredit gebracht <strong>und</strong> damit die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten.<br />

Dies ist rechtsfehlerhaft, weil unter den gegebenen Umständen in einem solchen Verteidigungsverhalten weder eine<br />

über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers noch eine rechtsfeindliche Gesinnung<br />

gesehen werden kann (BGH StV 1999, 536 f.).<br />

StPO § 261 Lügendetektor<br />

BGH, Beschl. v. 30.11.2007 – 1 StR 509/10 - BeckRS 2011, 00546<br />

Gegen einen auch nur geringfügigen indiziellen Beweiswert des Ergebnisses einer mittels eines Polygraphen<br />

vorgenommenen Untersuchung bestehen die im Urteil des Senats vom 17. Dezember 1998<br />

(1 StR 156/98, BGHSt 44, 308,323 ff.) dargelegten gr<strong>und</strong>sätzlichen Einwände betreffend den hier<br />

allein in Rede stehenden sog. Kontrollfragentest uneingeschränkt weiter.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 30. November 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte ist vom Landgericht wegen - gemeinschaftlich mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten P. begangenen<br />

- Mordes zu lebens-langer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung<br />

sachlichen <strong>und</strong> förmlichen Rechts gestützte Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Näher ist dies nur zu<br />

den geltend gemachten Verstößen gegen § 265 StPO (1.), § 244 StPO (2.) <strong>und</strong> § 338 Nr. 8 StPO (3.) auszuführen.<br />

1. Während dem Angeklagten mit der Anklageschrift vorgeworfen worden war, sein Opfer heimtückisch <strong>und</strong> habgierig<br />

getötet zu haben, hat das Landgericht ihn wegen einer heimtückisch <strong>und</strong> aus niedrigen Beweggründen begangenen<br />

Tat verurteilt. In der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende den Angeklagten darauf hingewiesen, dass u.a.<br />

auch „sonstige niedrige Beweggründe“ als Mordmerkmal in Betracht kommen. Die Revision meint, dieser Hinweis<br />

sei unzulänglich gewesen, weil der die rechtliche Bewertung tragende Sachverhalt hätte genau bezeichnet werden<br />

müssen. Diese Rüge geht fehl. Denn die ihr zugr<strong>und</strong>e liegende Annahme, ein Hinweis gemäß § 265 StPO müsse aus<br />

Rechtsgründen stets auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, ist unzutreffend. Freilich ist dies nach forensischer<br />

Erfahrung vielfach der Fall, jedoch ist ein Hinweis nach § 265 StPO auch dann geboten, wenn sich der Sachverhalt<br />

selbst nicht geändert hat, er aber nach Auffassung des Gerichts dennoch rechtlich anders als noch in der zugelassenen<br />

Anklage zu bewerten ist (vgl. KK/Engelhardt, StPO, 6. Aufl. § 265 Rn. 17). Ein Verfahrensverstoß ist daher<br />

allein mit der Behauptung, geänderte tatsächliche Gr<strong>und</strong>lagen eines Hinweises gemäß § 265 StPO seien nicht mitge-<br />

280


teilt worden, nicht schlüssig dargetan. Im Übrigen könnte eine auf die Behauptung unzulänglicher tatsächlicher Erläuterung<br />

eines Hinweises gemäß § 265 StPO gestützte Rüge schon im Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil<br />

<strong>und</strong> zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden. Derartige Differenzen<br />

vermag der Senat nicht zu erkennen; sie sind von der Revision auch nicht einmal abstrakt behauptet, erst recht nicht<br />

konkret ausgeführt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09 mwN).<br />

2. In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigung den Antrag gestellt, dem Angeklagten „auf Staatskosten die Zulassung<br />

zur freiwilligen Durchführung einer wissenschaftlichen polygraphischen Untersuchung … zu genehmigen“.<br />

Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, das bezeichnete Beweismittel sei i.S.d. §<br />

244 Abs. 3 Satz 2 4. Var. StPO ungeeignet.<br />

a) Allerdings handelt es sich entgegen der Ansicht der Revision bereits nicht um einen Beweisantrag, dessen Ablehnung<br />

den Maßstäben des § 244 StPO hätte entsprechen müssen. Denn mit ihm wurde (noch) nicht die Vernehmung<br />

eines Sachverständigen zu einer bestimmten Beweistatsache verlangt, sondern lediglich die - eventuell nur - vorgeschaltete<br />

Untersuchung des Angeklagten unter Einsatz eines Polygraphen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1999 -<br />

3 StR 272/99, NStZ 1999, 578).<br />

b) Das Landgericht hätte jedoch auch einen auf die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens<br />

zielenden Antrag mit der von ihm genannten Begründung ablehnen dürfen. Denn gegen einen auch nur geringfügigen<br />

indiziellen Beweiswert des Ergebnisses einer mittels eines Polygraphen vorgenommenen Untersuchung bestehen<br />

die im Urteil des Senats vom 17. Dezember 1998 (1 StR 156/98, BGHSt 44, 308, 323 ff.) dargelegten gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Einwände betreffend den hier allein in Rede stehenden sog. Kontrollfragentest uneingeschränkt weiter. Es wäre<br />

deshalb sogar ohne Belang, wenn die Ansicht der Revision richtig wäre, dass inzwischen „eine hinreichend breite<br />

Datenbasis“ einen Zusammenhang von mittels des Polygraphen gemessenen Körperreaktionen mit einem bestimmten<br />

Verhalten belegen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Hierfür genügt die von der Revision angeführte Simulationsstudie<br />

mit lediglich 65 Versuchspersonen (vgl. H. Offe/S. Offe, MschrKrim 2004, 86) - bereits ungeachtet methodischer<br />

Einwände - nicht. Auch einem maßgeblichen Beitrag amerikanischer Wissenschaftler, die nach eigenem<br />

Bek<strong>und</strong>en einen Großteil ihrer bis zu 40jährigen Laufbahn der Forschung <strong>und</strong> Entwicklung poly-graphischer Techniken<br />

gewidmet haben, lassen sich neuere Studien - noch dazu, wie die Revision vorträgt, „an realen Verdächtigen“ -<br />

nicht entnehmen (vgl. Honts/Raskin/Kircher in Faigman/Saks/Sanders/Cheng, Modern Scientific Evi-dence, The<br />

Law and Science of Expert Testimony, Volume 5 [2009], S. 297 ff.).<br />

3. Die Hauptverhandlung wurde nach dem letzten Wort der Angeklagten am 15. März 2010 (Montag) unterbrochen;<br />

die Urteilsverkündung war für den 22. März 2010 vorgesehen. Am 18. März 2010 (Donnerstag) ging ein an den<br />

Vorsitzenden adressiertes Fax der Verteidigerin mit folgendem Wortlaut ein: „In oben bezeichneter Angelegenheit<br />

übersende ich … noch einen Hilfsbeweisantrag …, den ich am Montag … versehentlich vergessen hatte“. Dieser auf<br />

die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hinsichtlich des Mitangeklagten gerichtete Antrag war beigefügt<br />

<strong>und</strong> mit Ausführungen zu dessen psychischem Zustand bei der Tat <strong>und</strong> zu dessen nicht konstantem Aussageverhalten<br />

näher begründet. Ohne Reaktion hierauf wurde am 22. März 2010 das Urteil verkündet. Hinsichtlich des deshalb<br />

geltend gemachten Verstoßes gegen das faire Verfahren (§ 338 Nr. 8 StPO) kann offen bleiben, ob die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

für die Bescheidung eines noch vor der Hauptverhandlung angebrachten Beweisantrages (vgl. BGH, Beschluss vom<br />

17. Januar 2001 - 1 StR 557/00, NStZ-RR bei Becker 2002, 68) auf die hier vorliegende Konstellation übertragbar<br />

sind (vgl. jew. mwN BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 1 StR 160/81, NStZ 1981, 311; KK/Schoreit, StPO, 6.<br />

Aufl. § 258 Rn. 27). Denn jedenfalls beruht das Urteil nicht auf dem Übergehen eines Hilfsbeweisantrages, wenn die<br />

Urteilsgründe insgesamt erkennen lassen, warum dem Beweisbegehren der Sache nach ohne Rechtsfehler keine<br />

Folge geleistet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 1992 - 3 StR 430/92, NStZ bei Kusch 1993, 229).<br />

So verhält es sich hier: Das Landgericht hat ausführlich dargelegt, dass die Aussage P. s glaubhaft sei, „da sie durch<br />

die weiteren Ergebnisse der Beweisaufnahme durchgängig bestätigt worden ist“. Dies hat es mit Aussagen weiterer<br />

Zeugen <strong>und</strong> objektiven Spuren eingehend belegt. In seine Gesamtwürdigung hat es auch ausdrücklich einbezogen,<br />

dass die Angaben P. s in einigen - freilich nicht das Kerngeschehen betreffenden - Punkten nicht konstant waren.<br />

Unter diesen Umständen ist eine ohnehin nur ausnahmsweise anzunehmende Notwendigkeit zur Einholung des bezeichneten<br />

Gutachtens nicht erkennbar.<br />

4. Im Übrigen verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 6.<br />

Oktober 2010.<br />

281


StPO § 261 Widerlegung von Entlastungsvorbringen kein Belastungsindiz<br />

BGH, Beschl. v. 16.12.2010 – 4 StR 508/10 – StV 2011, 269 = NStZ-RR 2011, 118<br />

Die Widerlegung bewusst wahrheitswidrigen Entlastungsvorbringens liefert in der Regel kein zuverlässiges<br />

Indiz für die Täterschaft des Angeklagten.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24. Juni 2010 wird<br />

a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.1.d) der Urteilsgründe (Tat<br />

vom 1. Februar 2010) wegen versuchten Diebstahls verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten<br />

des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten,<br />

b) der Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des Diebstahls in drei Fällen schuldig ist,<br />

c) das Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die verbleibenden<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in drei Fällen <strong>und</strong> wegen versuchten Diebstahls zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt <strong>und</strong> seine Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das<br />

Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im<br />

Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Senat stellt das Verfahren auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus verfahrensökonomischen<br />

Gründen ein, soweit der Angeklagte im Fall II.1.d) der Urteilsgründe (Tat vom 1. Februar 2010) wegen<br />

versuchten Diebstahls verurteilt worden ist. Insofern begegnet die Beweiswürdigung rechtlichen Bedenken, da<br />

die Strafkammer dort zum Nachteil des Angeklagten verwertet hat, dass er "ohne ersichtlichen Gr<strong>und</strong> die Unwahrheit<br />

gesagt" habe, als er behauptete, am Tatabend in seinem Zimmer gewesen zu sein, <strong>und</strong> er - nachdem ihm die<br />

Unrichtigkeit dieser Behauptung vorgehalten worden war - "jede weitere Aussage zur Sache abgelehnt" habe, was<br />

den Schluss zulasse, "dass der Angeklagte zuvor begangenes strafrechtlich relevantes Verhalten zu vertuschen versucht<br />

hat" (UA 23). Die Widerlegung bewusst wahrheitswidrigen Entlastungsvorbringens liefert jedoch in der Regel<br />

kein zuverlässiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten. Soll eine Lüge als Belastungsindiz dienen, setzt dies<br />

vielmehr voraus, dass mit rechtsfehlerfreier Begründung dargetan wird, warum im zu entscheidenden Fall eine andere<br />

Erklärung nicht in Betracht kommt oder - wiewohl denkbar - nach den Umständen so fernliegt, dass sie ausscheidet<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1995 - 2 StR 137/95, BGHSt 41, 153, 155 f.). Entsprechendes gilt, soweit die<br />

Strafkammer das Schweigen des Beschuldigten zu seinem Nachteil berücksichtigt hat. Selbst wenn vorliegend ein<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich einer Würdigung zugängliches teilweises Schweigen gegeben wäre, dürften daraus für den Angeklagten<br />

nachteilige Schlüsse nur dann gezogen werden, wenn nach den Umständen Angaben zu diesem Punkt zu erwarten<br />

gewesen wären, andere mögliche Ursachen des Verschweigens ausgeschlossen werden können <strong>und</strong> die gemachten<br />

Angaben nicht ersichtlich lediglich fragmentarischer Natur sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 - 3 StR<br />

370/01, NJW 2002, 2260). Die Einstellung führt zum Wegfall der wegen dieser Tat verhängten Einzelfreiheitsstrafe<br />

von neun Monaten.<br />

2. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge. Die Anordnung der Unterbringung<br />

des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird von der teilweisen Einstellung des Verfahrens<br />

dagegen nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ohne den durch die Verfahrenseinstellung in<br />

Wegfall geratenen versuchten Diebstahl von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten abgesehen hätte,<br />

zumal es zu deren Begründung - jedenfalls vorrangig - lediglich die Einbruchdiebstähle herangezogen hat, die zu<br />

einem "Sachschaden in Gestalt der Beute" <strong>und</strong> "häufig auch einem weiteren Sachschaden in Gestalt der Beschädigung<br />

des Bauwerks" geführt haben (UA 32 f.), es also nicht auf den lediglich versuchten Diebstahl abgestellt hat.<br />

282


StPO § 265 Abs. 1, 4; <strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2; Verdeckungsmord, Hinweis bei anderer Bezugstat<br />

BGH, Beschl. vom 12.01.2011 – 1 StR 582/10 - NJW 2011, 1301= NStZ 2011, 304 = BGHSt 56, 121<br />

LS: Der Austausch der Bezugstat bei Verdeckungsmord erfordert einen gerichtlichen Hinweis.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 12. Januar 2011 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4<br />

StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine<br />

andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet<br />

sich seine Revision, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit einer<br />

Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war Hausmeister in einer Wohnanlage, in<br />

der auch das spätere Opfer, Frau K., wohnte. Er kümmerte sich um die 87-jährige Dame. Am 28. Oktober 2008 kam<br />

es in der Wohnung des Opfers zu einer streitigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte Frau K. mit<br />

einem stumpfen Gegenstand zweimal von hinten auf den Kopf schlug oder sie mit dem Kopf gegen einen Gegenstand<br />

stieß. Aus Angst vor weiteren Konsequenzen entschloss er sich, das vorangegangene Geschehen zu verdecken,<br />

indem er sie tötete <strong>und</strong> dies als Unfall durch einen Sturz in die Badewanne erscheinen ließ. Er verbrachte Frau K. in<br />

die Badewanne, ließ Wasser einlaufen <strong>und</strong> drückte ihren Kopf so lange unter Wasser, bis sie ertrunken war. Das<br />

Landgericht hat das Mordmerkmal "zur Verdeckung einer [anderen] Straftat" bejaht, weil es dem Angeklagten darauf<br />

angekommen sei, die vorangegangene Körperverletzung, bei der er Frau K. zwei Hämatome am Kopf beigebracht<br />

hatte, durch ein vorgetäuschtes Unfallgeschehen zu verdecken. Er habe damit vermeiden wollen, dass Frau K.<br />

wegen der vorangegangenen Körperverletzung Anzeige erstatten <strong>und</strong> er strafrechtlich verfolgt würde. Das Vorliegen<br />

des Mordmerkmals Heimtücke wurde verneint. Das Mordmerkmal Habgier wurde nicht erörtert.<br />

II. Der Beschwerdeführer rügt, das Gericht habe die Verurteilung auf eine - gegenüber der Anklage - jedenfalls in<br />

tatsächlicher Hinsicht veränderte Gr<strong>und</strong>lage gestützt, ohne dass ihm zuvor ein entsprechender Hinweis erteilt worden<br />

sei (vgl. § 265 StPO). Die Rüge dringt durch.<br />

1. Der Verurteilung wegen Verdeckungsmord liegt nach den Feststellungen ein Tatbild zugr<strong>und</strong>e, das von demjenigen<br />

der Anklage wesentlich abweicht, wenn auch die Nämlichkeit der Tat (§ 264 StPO) gewahrt ist. Die - trotz der<br />

Formulierung "wegen Totschlags" im Eröffnungsbeschluss (vgl. Strafakten EA 2 I Bl. 436) - unverändert zugelassene<br />

Anklage hatte dem Angeklagten folgendes zur Last gelegt: Der Angeklagte, der Vollmacht für die Konten der<br />

Frau K. hatte, habe über 50.000 € von einem Konto des Opfers abgehoben <strong>und</strong> zu einem überwiegenden <strong>Teil</strong> vereinnahmt.<br />

Darüber hinaus habe er Schmuck <strong>und</strong> zwei Pelzmäntel erhalten oder an sich genommen. Am 23. Oktober<br />

2008 habe er aus einer Geldkassette des Opfers einen Betrag von 8.000 € entnommen <strong>und</strong> zur Begleichung eigener<br />

Schulden verwendet. Am 28. Oktober 2008 habe Frau K. den Fehlbetrag festgestellt <strong>und</strong> den Angeklagten deswegen<br />

beschuldigt. Es habe sich ein Streit entwickelt, in dessen Verlauf sich der Angeklagte entschlossen habe, Frau K. zu<br />

töten, um die erhaltenen Gegenstände behalten zu können <strong>und</strong> um die unberechtigte Einnahme von Bargeld zu vertuschen.<br />

Zu diesem Zweck habe er seinem Opfer, das sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs versah <strong>und</strong> sich deswegen<br />

eines solchen auch nicht erwehren konnte, in Ausnutzung dieser Situation mit einem stumpfen Gegenstand<br />

zweimal von hinten auf den Kopf geschlagen. Frau K. habe diesen Angriff zwar überlebt, aber erhebliche Kopfverletzungen<br />

erlitten. Der Angeklagte habe dann überlegt, ob er Frau K. retten <strong>und</strong> ein Sturzgeschehen vortäuschen<br />

sollte, habe sich dann aber dafür entschieden, in Fortführung seines ursprünglichen Plans Frau K. zu töten. Er habe<br />

sie ins Badezimmer verbracht, in die Badewanne gelegt, Wasser in die Badewanne eingelassen <strong>und</strong> sie so lange unter<br />

die Wasseroberfläche gedrückt, bis sie schließlich ertrunken sei. Der Schuldvorwurf der Anklage lautet, der Angeklagte<br />

habe eine fremde bewegliche Sache, die ihm anvertraut war, sich oder einem Dritten rechtswidrig zugeeignet<br />

<strong>und</strong> durch eine weitere Handlung aus Habgier, heimtückisch einen anderen Menschen getötet, um eine [andere]<br />

Straftat zu verdecken; strafbar als veruntreuende Unterschlagung in Tatmehrheit mit Mord (mit den drei angeführten<br />

Mordmerkmalen). Auf Seite 75 der Anklageschrift wird (unter VI. Rechtliches 2; vgl. EA 2 I Bl. 416) ausgeführt: Es<br />

liegt ferner der Tatbestand "des Verdeckens einer Straftat" vor. Dem Angeklagten kam es darauf an, zu verhindern,<br />

dass er wegen der von ihm vorangegangenen Unterschlagung von 8.000 € strafrechtlich belangt wird. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> tarnte der Angeschuldigte sein Tötungsdelikt als Unfall, damit keine Nachforschungen nach dem Verbleib des<br />

Vermögens von Frau K. angestellt werden. Das angefochtene Urteil dagegen gründet den Schuldvorwurf darauf, dass<br />

283


der Angeklagte eine vorausgegangene Körperverletzung verdecken wollte. Das Landgericht hat damit die "andere<br />

Straftat" (Bezugstat) in § 211 Abs. 2 <strong>StGB</strong> bei der Verdeckungsabsicht ausgetauscht. Dies hätte eines Hinweises<br />

nach § 265 StPO bedurft. Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der angeklagten Tat (§ 264<br />

StPO) auf einen gegenüber der Anklage im Tatsächlichen wesentlich veränderten Sachverhalt stützt, muss dem Angeklagten,<br />

um ihn vor einer Überraschungsentscheidung zu schützen, zuvor gr<strong>und</strong>sätzlich einen entsprechenden<br />

Hinweis erteilen, das ist in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs anerkannt (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 12.<br />

Februar 1991 - 4 StR 506/90, StV 1991, 502 mwN; zur Entwicklung dieser Rechtsprechung vor 1988 vgl. Niemöller,<br />

Die Hinweispflicht des Tatrichters, 1988, S. 23 ff., 26 ff. mwN). Diese Hinweispflicht dient dem schutzwürdigen<br />

Verteidigungsinteresse des Angeklagten. Sie gilt auch <strong>und</strong> gerade für wesentliche Veränderungen des dem gesetzlichen<br />

Straftatbestand zugeordneten Tatverhaltens (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 3. Juli 1991 - 2 StR 132/91 mwN). Die<br />

Abweichung in der Beschreibung des Tatverhaltens, das zur Ausfüllung des gesetzlichen Straftatbestandes gedient<br />

hat, war bei der vorliegenden Fallgestaltung wesentlich. Das Verhalten des Angeklagten, in dem die "andere Straftat"<br />

i.S.d. § 211 Abs. 2 <strong>StGB</strong> gesehen wurde, unterschied sich schon zeitlich erheblich von demjenigen, das die Anklage<br />

für tatbestandsmäßig hielt, <strong>und</strong> inhaltlich wurde ein Vermögensdelikt durch ein Körperverletzungsdelikt ersetzt.<br />

Während frühere Rechtsprechung vereinzelt die Hinweispflicht nach § 265 StPO noch restriktiv annahm (vgl. z.B.<br />

BGH, Urteil vom 28. April 1955 - 3 StR 13/55; auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1976 - 1 StR 764/75), wurde bald<br />

erkannt, dass der gebotene Schutz des Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen eine umfassende Hinweispflicht<br />

erfordert. Soweit der 5. Strafsenat (Beschluss vom 13. Dezember 1977 - 5 StR 728/77) einen Verstoß gegen §<br />

265 Abs. 1 StPO verneint hat, wenn die Verurteilung bei gleich bleibendem Strafgesetz nur auf zum <strong>Teil</strong> andere<br />

Tatsachen gegründet wird, hat er einen Verfahrensfehler nur deshalb verneint, "da der Angeklagte durch den Gang<br />

der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage unterrichtet worden ist". Der erkennende Senat hat bereits<br />

in seiner Entscheidung vom 17. Juli 1962 - 1 StR 266/62 bei einem Hinweis auf das Mordmerkmal zur Verdeckung<br />

einer anderen Straftat die Klarstellung gefordert, "welche andere Straftat der Angeklagte nach der Meinung des Gerichts<br />

hätte verdecken können". Zutreffend hat der 5. Strafsenat schon in seinem Urteil vom 24. Mai 1955 (5 StR<br />

143/55) im Fall der Verurteilung wegen Vollrausches einen Hinweis nach § 265 StPO selbst dann gefordert, wenn<br />

die Rauschtat als ledigliche Bedingung der Strafbarkeit rechtlich anders beurteilt werden soll. Dies legt nahe, dass<br />

ein Hinweis erst recht geboten ist, wenn die Rauschtat vollständig ausgetauscht wird. Der 3. Strafsenat hat zu Recht<br />

bei einer Verurteilung wegen Vereitelns der Zwangsvollstreckung einen Verstoß gegen § 265 (Abs. 4) StPO darin<br />

gesehen, dass der Angeklagte nicht darauf hingewiesen wurde, dass eine andere Forderung bei § 288 <strong>StGB</strong> zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt wurde; der Austausch einer Forderung, deren Durchsetzung der Angeklagte vereitelt haben soll, erfordert<br />

einen gerichtlichen Hinweis (BGH, Beschluss vom 2. Februar 1990 - 3 StR 480/89, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht<br />

8 <strong>und</strong> StV 1990, 249, 250). Gerade wenn es ständiger Rechtsprechung entspricht, dass ein richterlicher<br />

Hinweis nach § 265 StPO gewissen Mindestanforderungen entsprechen muss, wozu auch die Angabe gehört, durch<br />

welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale als erfüllt ansieht (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom<br />

10. Januar 2007 - 2 StR 555/06; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2006 - 4 StR 335/06 Rn. 10; BGH, Beschluss<br />

vom 21. April 2004 - 2 StR 363/03 mwN; BGH, Urteil vom 24. November 1992 - 1 StR 368/92 mwN), liegt es nahe,<br />

überhaupt einen entsprechenden Hinweis zu verlangen, wenn - wie hier - das Tatverhalten, das zur Ausfüllung des<br />

gesetzlichen Straftatbestandes dient, wesentlich von dem Anklagevorwurf abweicht. Denn Zweck des § 265 StPO ist<br />

es, dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem neuen Vorwurf zu verteidigen, <strong>und</strong> ihn vor Überraschungen<br />

zu schützen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94). Der Austausch der Bezugstat bei<br />

Verdeckungsmord erfordert daher einen gerichtlichen Hinweis.<br />

2. Dieser Hinweis ist dem Angeklagten - wie er mit Recht rügt - nicht gegeben worden. Dabei kann hier dahingestellt<br />

bleiben, ob es statt eines besonderen Hinweises genügt, dass dem Angeklagten durch den Gang der Hauptverhandlung<br />

die Kenntnis vermittelt wird, welches Verhalten das Gericht als tat-bestandsmäßig werten <strong>und</strong> zur Gr<strong>und</strong>lage<br />

des Schuldvorwurfs machen will. Denn im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass dem Angeklagten diese<br />

Kenntnis vom Gericht auch nicht durch den Gang der Verhandlung vermittelt worden ist. Unerheblich ist insoweit,<br />

dass der Staatsanwalt in seinem Schlussvortrag der Verdeckungsabsicht als neue Bezugstat eine Körperverletzung<br />

zugeordnet hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 10. August 2005 - 2 StR 206/05). Maßgeblich ist nämlich, dass eine<br />

andere Betrachtung nach Auffassung des Gerichts in Betracht kommt (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1963 - 1<br />

StR 553/62, BGHSt 19, 141 ff.; BGH, Urteil vom 15. November 1978 - 2 StR 456/78, BGHSt 28, 196, 198; BGH,<br />

Urteil vom 8. März 1988 - 1 StR 14/88, StV 1988, 329; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 4 StR 335/06 Rn. 11<br />

mwN). Allerdings war vor dem Plädoyer in der Hauptverhandlung folgender Gerichtsbeschluss ergangen: Das Verfahren<br />

wird gemäß § 154 II StPO auf Antrag des Staatsanwalts insoweit eingestellt, als gegen den Angeklagten der<br />

Vorwurf "veruntreuter" Unterschlagung erhoben worden ist, weil eine deshalb zu verhängende Strafe im Falle des<br />

284


Schuldspruchs wegen des weiteren Anklagegegenstandes nicht ins "Gericht" fiele. Diesem Beschluss lässt sich schon<br />

nicht entnehmen, dass das Landgericht den Vorwurf der Verdeckungsabsicht wegen eines Vermögensdeliktes gänzlich<br />

fallen lassen wollte. Es hat damit zwar die - in Tatmehrheit stehende - mitangeklagte veruntreuende Unterschlagung<br />

der 8.000 € vorläufig eingestellt, auf die sich - wie die rechtlichen Ausführungen auf S. 75 der Anklageschrift<br />

belegen - die Verdeckungsabsicht beziehen sollte, es hat sich aber nicht dazu verhalten, ob die nach der Anklageschrift<br />

einbehaltenen weiteren Gelder, Schmuckstücke oder Pelzmäntel als Bezugstat für den Verdeckungsmord in<br />

Betracht kamen. Der Revisionsführer hat in seiner sehr sorgfältig begründeten Revision dargelegt, dass er sich hiergegen<br />

auch nach dem Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO zur Wehr gesetzt hat. Vor allem jedoch wurde durch<br />

diesen Beschluss nicht ersichtlich, dass das Gericht als neue Bezugstat die Körperverletzung zugr<strong>und</strong>e legen wollte.<br />

In der Anklageschrift wurden zwar die beiden Schläge angeführt, aber nicht in dem Sinne, dass sie mit Körperverletzungsvorsatz<br />

geführt wurden, sondern vielmehr bereits in Tötungsabsicht. Danach lag als "andere Straftat" eine Körperverletzung<br />

nicht nahe. Der Annahme eines Verdeckungsmordes steht zwar nicht entgegen, wenn sich bereits die<br />

zu verdeckende Vortat gegen Leib <strong>und</strong> Leben des Opfers richtet <strong>und</strong> unmittelbar in die Tötung zur Verdeckung des<br />

vorausgegangenen Geschehens übergeht. Um eine andere - zu verdeckende - Straftat i.S.d. § 211 Abs. 2 <strong>StGB</strong> handelt<br />

es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Dies ist dann<br />

der Fall, wenn während einer einheitlichen Tötungshandlung die Verdeckungsabsicht nur noch als weiteres Motiv für<br />

die Tötung hinzutritt (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 - 5 StR 432/00, NStZ 2002, 253, 254; BGH, Beschluss<br />

vom 10. Mai 2000 - 1 StR 617/99, NStZ 2000, 498, 499). Der Angeklagte musste nach den getroffenen Feststellungen<br />

nicht damit rechnen, das Landgericht würde als "andere Straftat" die beiden Schläge heranziehen. Das<br />

Landgericht ist in seiner rechtlichen Würdigung (UA S. 61) im Übrigen selbst davon ausgegangen, die vorsätzliche<br />

Körperverletzung sei gegenüber dem Mord "subsidiär", was eher nicht auf eine "andere Straftat" hinweist. Da weder<br />

die Revisionsgegenerklärung noch dienstliche Äußerungen das Gegenteil bek<strong>und</strong>en (vgl. auch BGH, Urteil vom 15.<br />

November 1978 - 2 StR 456/78, BGHSt 28, 196, 199), ist davon auszugehen, dass das Gericht den erforderlichen<br />

Hinweis nicht - auch nicht durch den Gang der Hauptverhandlung - erteilt hat.<br />

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Die Revision begründet überzeugend,<br />

dass der Angeklagte, wenn er vom Gericht den entsprechenden Hinweis erhalten hätte, sich anders <strong>und</strong> wirksamer<br />

als geschehen hätte verteidigen können. Es kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte,<br />

der in der Hauptverhandlung lediglich angegeben hat, Frau K. nicht umgebracht <strong>und</strong> keinerlei Gelder oder<br />

Gegenstände unterschlagen zu haben (UA S. 13), seine Verteidigungsstrategie dahin geändert hätte, sich nunmehr<br />

umfänglich in der Sache einzulassen, sei es um weiterhin einen Freispruch zu erreichen, sei es auch z.B. um einen<br />

Schuldspruch "nur" wegen Totschlags statt wegen Mordes zu erstreben, indem er - wie oben ausgeführt - Umstände<br />

vorgetragen hätte, die eine zu verdeckende "andere Straftat" entfallen lassen. Der Hinweis richtet sich im Übrigen<br />

auch an den Verteidiger (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1992 - 1 StR 368/92 mwN); dieser hat hier im Einzelnen<br />

dargelegt, was er bei einem ordnungsgemäßen Hinweis noch vorgebracht hätte.<br />

StPO § 265 Abs. 3 Unterbrechung der Hauptverhandlung statt Aussetzung<br />

BGH, Beschl. v. 14.10.2010 - 5 StR 299/10 - BeckRS 2010, 27051<br />

Bei einem Übergang von § 29a BtMG auf die Qualifikation des § 30a BtMG in einem von mehr als<br />

zehn angeklagten Fällen dürfte eine angemessene Unterbrechung der Hauptverhandlung in sachgerechter<br />

erweiterter Auslegung der Verfahrensvorschrift als ausreichend anzusehen sein.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 14. Oktober 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 11. Januar 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO in den Gesamtstrafaussprüchen<br />

<strong>und</strong> im Ausspruch über den <strong>Teil</strong>vorwegvollzug der Freiheitsstrafe vor der Maßregel aufgehoben. Die weitergehende<br />

Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache<br />

zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten – unter rechtskräftiger <strong>Teil</strong>freisprechung – wegen bewaffneten Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge in acht Fällen <strong>und</strong> unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zwei Gesamtfreiheitsstrafen<br />

285


(zwei Jahre – unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem Berufungsurteil des Landgerichts Dresden vom 11.<br />

April 2006 – sowie fünf Jahre) verhängt. Das Landgericht hat ferner zwei Monate der ersten Gesamtfreiheitsstrafe<br />

wegen rechts-staatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt <strong>und</strong> die Unterbringung des Angeklagten in<br />

einer Entziehungsanstalt angeordnet, wobei insgesamt ein Jahr <strong>und</strong> sechs Monate aus den Gesamtfreiheitsstrafen<br />

vorab zu vollstrecken seien. Die Revision des Angeklagten hat lediglich zur (mehrfachen) Gesamtstrafbildung Erfolg.<br />

Im Übrigen ist das Rechtmittel unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Zu den Verfahrensrügen bemerkt der Senat ergänzend, insoweit abweichend von der Begründung im Verwerfungsantrag<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts: Die auf Verletzung des § 265 Abs. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge scheitert<br />

an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer hat eine voll-ständige Mitteilung der zwei Monate vor dem<br />

rechtlichen Hinweis erfolgten Verfahrensvorgänge aus der Hauptverhandlung unterlassen (Protokollband Bl. 89), aus<br />

denen die Strafkammer bei der Ablehnung des Aussetzungsantrags die genügende Vorbereitung der Verteidigung<br />

abgeleitet hat. In der Sache würde der Senat aus § 265 Abs. 3 StPO hier keinen unbedingten Anspruch auf Aussetzung<br />

der Hauptverhandlung herleiten, die im Übrigen nahe liegend mit Abtrennung des Verfahrens in dem allein<br />

betroffenen Einzelfall zu verbinden gewesen wäre. Anders als in dem weitaus gewichtigeren Fall des 2. Strafsenats<br />

in BGHSt 48, 183 dürfte bei dem hier in Frage stehenden Übergang von § 29a BtMG auf die Qualifikation des § 30a<br />

BtMG in einem von mehr als zehn angeklagten Fällen eine angemessene Unterbrechung der Hauptverhandlung in<br />

sachgerechter erweiterter Auslegung der Verfahrens-vorschrift als ausreichend anzusehen sein (vgl. Meyer-Goßner,<br />

StPO, 53. Aufl. § 265 Rdn. 37).<br />

2. Sachlichrechtlich sind Schuldsprüche, Einzelstrafaussprüche, Strafabschlag <strong>und</strong> Maßregelausspruch rechtsfehlerfrei.<br />

Indes hat die Strafkammer § 55 <strong>StGB</strong> rechtsfehlerhaft angewendet. Nicht das genannte Berufungsurteil bildete<br />

eine Zäsur, sondern das nach Begehung der darin abgeurteilten Taten ergangene Urteil des Amtsgerichts Kamenz<br />

vom 25. Mai 2004, hinsichtlich dessen Geldstrafe die Berufungsstrafkammer aber nach § 53 Abs. 2 Satz 2 <strong>StGB</strong> von<br />

einer Gesamtstrafbildung abgesehen hatte (UA S. 10; vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 57. Aufl. § 55 Rdn. 9a mit Rspr.-Nachw.).<br />

An dieser Zäsurwirkung ändern zwischenzeitliche Geldstrafenvollstreckungen mangels Erledigung der Freiheitsstrafe<br />

nichts, weil die untereinander gesamtstraffähigen Sanktionen als Einheit zu betrachten sind (BGH, Beschluss vom<br />

15. September 2010 – 5 StR 325/10). Da später vor Beendigung der gesamten Tatserie gegen den Angeklagten verhängte<br />

Geldstrafen nach den Feststellungen erledigt sind (UA S. 12 f.), hätte aus allen Einzelstrafen eine einzige<br />

Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden müssen. Es liegt zwar eher fern, dass diese milder ausfallen könnte als die<br />

nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nun maßgebliche Obergrenze von sechs Jahren <strong>und</strong> sieben Monaten (Summe der<br />

beiden bislang verhängten Gesamtfreiheitsstrafen abzüglich der Strafe aus dem Berufungsurteil, hinsichtlich dessen<br />

rechtsfehlerhaft eine Einbeziehung erfolgt ist <strong>und</strong> nunmehr ein Widerruf der Strafaussetzung droht, vgl. UA S. 11).<br />

Der Senat kann dies indes, entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, nicht im Sinne fehlender Beschwer<br />

sicher ausschließen. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem bloßen Subsumtionsfehler nicht. Die Anrechnung<br />

von zwei Monaten wegen überlanger Verfahrensdauer bleibt aufrecht erhalten, nunmehr bezogen auf die<br />

neu zu bildende einheitliche Gesamtfreiheitsstrafe. Ein Vorwegvollzug vor der Maßregel nach § 64 <strong>StGB</strong>, der hinsichtlich<br />

der bisherigen Gesamtstrafen zutreffend angeordnet war (UA S. 105), wäre gemessen an der Höhe der neuen<br />

Gesamtfreiheitsstrafe neu zu bestimmen, wird sich indes aufgr<strong>und</strong> der zwischenzeitlich weiter vollzogenen Untersuchungshaft<br />

wohl erübrigen (vgl. Fischer aaO § 67 Rdn. 9a).<br />

StPO § 265, <strong>StGB</strong> § 211 Hinweispflicht bei Änderung des Mordmerkmals<br />

BGH, Beschl. v. 23.03.2011 – 2 StR 584/10- BeckRS 2011, 10277<br />

Das Schwurgericht muss regelmäßig darauf hinweisen, wenn es abweichend vom Anklagevorwurf<br />

wegen eines anderen Mordmerkmals verurteilen will. Mit Rücksicht auf den Regelungszweck des §<br />

265 Abs. 1 StPO ist dies jedenfalls dann anzunehmen, wenn die in Betracht kommenden Begehungsformen<br />

sich in ihren objektiven <strong>und</strong> subjektiven Voraussetzungen so stark voneinander unterscheiden,<br />

dass eine umfassende Verteidigung des Angeklagten nur durch eine förmliche Unterrichtung<br />

gesichert werden kann.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO am 23. März 2011 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 13. April 2010 aufgehoben<br />

286


a) im Schuld- <strong>und</strong> Strafausspruch im Fall 2 der Urteilsgründe (Tötung des N. ) mit den Feststellungen zu den Voraussetzungen<br />

der Mordmerkmale;<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes <strong>und</strong> wegen Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als<br />

Gesamtstrafe verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützte Revision hat im Fall 2<br />

mit einer Verfahrensrüge den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne<br />

von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Am Tattag begab sich der Angeklagte zur Wohnung der später getöteten<br />

Ni., mit der er seit einiger Zeit eine sexuelle Beziehung hatte. In einem Rucksack führte er eine geladene Pistole<br />

mit sich. In der Wohnung traf er auf das weitere Tatopfer N., mit dem Ni. ebenfalls ein Verhältnis hatte <strong>und</strong> zusammenlebte.<br />

Der Angeklagte forderte von Ni. eine Entscheidung zwischen ihm <strong>und</strong> N., die sie jedoch nicht traf. Im<br />

Laufe der Diskussion verließ N. die Wohnung. Zum weiteren Geschehen konnte lediglich festgestellt werden, dass<br />

Ni. gegen 18.30 Uhr mit ihrem Pkw, dessen Dach <strong>und</strong> Fenster geschlossen waren, die Tiefgarage verlassen wollte.<br />

Als sie an dem nach draußen führenden Rolltor stand, wurde sie von dem Angeklagten von der geöffneten Beifahrertür<br />

aus mit vier bis fünf Schüssen getötet. Ungefähr um 18.45 Uhr erschien N. in der Tiefgarage <strong>und</strong> trat auf der<br />

Fahrerseite an das Fahrzeug heran. Der Angeklagte gab mit direktem Tötungsvorsatz zwei bis drei Schüsse auf ihn<br />

ab. Dabei stand er rechts unmittelbar neben dem Fahrzeug ungefähr auf Höhe der Beifahrertür <strong>und</strong> schoss über das<br />

Dach des Pkw hinweg. N. wurde von zwei der Schüsse getroffen; einer durchschlug den linken Ellenbogen, ein weiterer<br />

traf ihn in den Oberbauch. Er wandte sich in Richtung Treppenhaus, um zu fliehen. Der Angeklagte holte ihn<br />

ein <strong>und</strong> versetzte ihm mit dem Griff der Pistole von hinten einen Schlag auf den Kopf. N. ging zu Boden <strong>und</strong> blieb<br />

auf dem Bauch liegen. Der Angeklagte gab nunmehr aus einer Entfernung von 40-60 cm mit direktem Tötungsvorsatz<br />

drei Schüsse in den Rücken von N. ab, an denen dieser verstarb. Das Landgericht hat die erste Tat zum Nachteil<br />

von Ni. ohne Rechtsfehler als Totschlag gewertet <strong>und</strong> hierfür eine Freiheitsstrafe von neun Jahren für tat- <strong>und</strong><br />

schuldangemessen gehalten. Hinsichtlich der Tötung des N. (Fall 2) ist die Kammer davon ausgegangen, dass sich<br />

der Angeklagte wegen Mordes schuldig gemacht hat. Die bei der Tatausführung für ihn bestimmenden Gefühle der<br />

Wut auf N., der nach seiner Ansicht für die Entwicklung der Beziehung zu Ni. mitursächlich gewesen sei, seien<br />

niedrige Beweggründe. Heimtücke sei nicht gegeben, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Tatopfer N.<br />

nicht arglos gewesen sei, als er an das Fahrzeug herantrat. Dass Verdeckungsabsicht neben der Wut als Tatmotiv für<br />

den Angeklagten handlungsleitend gewesen sei, sei nicht sicher feststellbar gewesen.<br />

2. Die Revision des Angeklagten hat im Fall 2 mit einer Verfahrensrüge - Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO - Erfolg.<br />

a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugr<strong>und</strong>e: Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage<br />

vom 10. November 2009 legte dem Angeklagten im Fall 2 zur Last, N. heimtückisch <strong>und</strong> zur Verdeckung einer<br />

Straftat getötet zu haben. Am 9. Verhandlungstag (19. März 2010) erteilte das Landgericht folgenden rechtlichen<br />

Hinweis: "In der Strafsache gegen K. werden der Angeklagte <strong>und</strong> seine Verteidiger darauf hingewiesen, dass statt<br />

des angeklagten zweifachen Mordes auch eine Bestrafung wegen zweifachen Totschlags, § 212 <strong>StGB</strong>, wie auch im<br />

zweiten Fall eine Bestrafung wegen einer heimtückischen Tötung zur Verdeckung einer Straftat <strong>und</strong> aus niedrigen<br />

Beweggründen in Betracht kommt." Weitere Hinweise oder Erläuterungen erfolgten in der Hauptverhandlung nicht.<br />

Am 22. März 2010 fragte einer der Verteidiger des Angeklagten telefonisch bei der Berichterstatterin <strong>und</strong> stellvertretenden<br />

Vorsitzenden an, welchen niedrigen Beweggr<strong>und</strong> die Kammer in Betracht ziehe. Er erhielt sinngemäß die<br />

Antwort, dass an einen Beweggr<strong>und</strong> im Zusammenhang mit der Geschichte der Dreiecksbeziehung im Vorfeld gedacht<br />

werden könne. Auf weiteres konkretes Nachfragen entgegnete die Richterin, dass sie nicht mehr sagen könne,<br />

sie habe sich ohnehin schon "zu weit aus dem Fenster gelehnt".<br />

b) Diese Verfahrensweise ist mit § 265 Abs. 1 StPO nicht zu vereinbaren. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das<br />

Landgericht angenommen, dass es eines förmlichen rechtlichen Hinweises auf das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe<br />

bedurfte. Ein solcher Hinweis muss nicht nur erteilt werden, wenn ein anderes Strafgesetz als das im<br />

Eröffnungsbeschluss genannte angewandt, sondern auch dann, wenn der Angeklagte wegen einer andersartigen Begehungsform<br />

desselben Strafgesetzes verurteilt werden soll (BGHSt 23, 95, 96). Das Schwurgericht muss deshalb<br />

regelmäßig darauf hinweisen, wenn es abweichend vom Anklagevorwurf wegen eines anderen Mordmerkmals verurteilen<br />

will (vgl. BGHSt 23, 95; 25, 287; Urteil vom 14. April 1953 - 1 StR 152/53). Mit Rücksicht auf den Rege-<br />

287


lungszweck des § 265 Abs. 1 StPO ist dies jedenfalls dann anzunehmen, wenn die in Betracht kommenden Begehungsformen<br />

sich in ihren objektiven <strong>und</strong> subjektiven Voraussetzungen so stark voneinander unterscheiden, dass<br />

eine umfassende Verteidigung des Angeklagten nur durch eine förmliche Unterrichtung gesichert werden kann. Das<br />

ist der Fall, wenn das Schwurgericht den Angeklagten wie hier abweichend vom Anklagevorwurf nicht aus dem<br />

Gesichtspunkt der Heimtücke, sondern dem der niedrigen Beweggründe wegen Mordes verurteilen will; dasselbe gilt<br />

beim Übergang vom Vorwurf des Tötens in Verdeckungsabsicht zum Vorwurf des Tötens aus Wut als niedrigem<br />

Beweggr<strong>und</strong> (BGHSt 25, 287, 289 f.). Die Revision macht zu Recht geltend, dass der rechtliche Hinweis nicht den<br />

gesetzlichen Anforderungen entsprach. Der Hinweis muss - allein oder in Verbindung mit der zugelassenen Anklage<br />

- dem Angeklagten hinreichend erkennbar machen, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale<br />

als erfüllt ansieht (BGH NStZ 1993, 200 mwN). Das gilt auch für das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe<br />

(Senat BGH NStZ 2005, 111). Nur so kann er seine Funktion erfüllen, den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen<br />

zu schützen <strong>und</strong> ihm die Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem neuen Vorwurf zu verteidigen.<br />

Der bloße, zudem als solcher wegen der kumulativen Aufzählung der in Betracht kommenden Mordmerkmalen<br />

schon nicht unmissverständliche Hinweis war hier nicht geeignet, den Angeklagten ausreichend darüber zu informieren,<br />

welche Umstände nach Auffassung des Gerichts Gr<strong>und</strong>lage der neuen rechtlichen Bewertung sein konnten.<br />

Erläuternde Angaben waren auch nicht entbehrlich. Weder der Anklage noch der in der Revisionsschrift wiedergegebenen<br />

<strong>und</strong> als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommenen Erklärung des Angeklagten lassen sich<br />

Tatsachen entnehmen, aus denen auf das Vorliegen niedriger Beweggründe, insbesondere auf die vom Landgericht<br />

im Urteil angenommene "Wut", geschlossen werden konnte. Die von der stellvertretenden Vorsitzenden am Telefon<br />

abgegebene Erklärung war - abgesehen davon, dass sie in formeller Hinsicht nicht die Anforderungen an einen Hinweis<br />

nach § 265 Abs. 1 StPO erfüllte - ersichtlich ebenfalls nicht geeignet, den Verteidiger über die tatsächliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage des abweichenden rechtlichen Gesichtspunktes zu informieren <strong>und</strong> den Angeklagten vor einer Überraschungsentscheidung<br />

zu bewahren. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem unzureichenden<br />

Hinweis beruht. Insoweit hat die Verteidigung in der Revisionsschrift im Einzelnen dargelegt, was sie bei einem<br />

ordnungsgemäßen Hinweis gegen den - im Übrigen auch nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht<br />

nahe liegenden Vorwurf niedriger Beweggründe - noch vorgebracht hätte.<br />

3. Der Rechtsfehler erfasst lediglich die Feststellungen zu den Voraussetzungen der Mordmerkmale im Fall 2 sowie<br />

den Ausspruch über die Gesamtstrafe. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen<br />

können aufrechterhalten bleiben; ergänzende Feststellungen sind möglich, so weit sie dazu nicht im Widerspruch<br />

stehen.<br />

4. Im Übrigen weist der Senat auf Folgendes hin: Der neue Tatrichter wird sich - ohne dass dem das Verschlechterungsverbot<br />

entgegensteht (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) - erneut mit dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht zu<br />

befassen haben. Die Ausführungen hierzu im angefochtenen Urteil sind nicht frei von Widersprüchen. Das Landgericht<br />

legt seiner rechtlichen Bewertung zugr<strong>und</strong>e, dass bei der Tötung von N. eine Absicht des Angeklagten, die<br />

vorangegangene Tötung von Ni. zu verdecken, nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen sei (UA 28).<br />

Hiermit lassen sich jedoch die Erwägungen bei der Beweiswürdigung nicht ohne Weiteres in Einklang bringen. Dort<br />

heißt es u.a., dass sich Gründe, warum dem Angeklagten zur Zeit der Begehung der Tat nicht bewusst gewesen sein<br />

solle, dass er mit der Tötung von N. einen Zeugen tötete, ohne den die Ermittlung seiner Person als Täter wesentlich<br />

erschwert werden würde, "nicht ergeben" hätten (UA 110). Darüber hinaus zählt das Urteil Umstände auf, "die darauf<br />

hindeuten, dass die Verdeckung seiner Täterschaft eine der Haupttriebfedern für die Begehung der Tat gewesen<br />

sein kann" (UA 110-113). Gesichtspunkte, die gegen eine Verdeckungsabsicht sprechen könnten, werden dagegen<br />

nicht erörtert.<br />

StPO § 267 Abs. 1, 261 Anforderungen an Beweiswürdigung<br />

BGH, Urt. vom 23.06.2010 – 2 StR 35/10 - StraFo 2010, 386<br />

Eine Beweiswürdigung kann ihrer Natur nach nicht erschöpfend sein.<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 3. April 2009 wird verworfen.<br />

2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

288


Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf einer gemeinschaft-lich begangenen versuchten räuberischen<br />

Erpressung, den Angeklagten E. zudem vom Vorwurf einer Brandstiftung oder einer versuchten Brandstiftung aus<br />

tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete, vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretene Revision der<br />

Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.<br />

1. Der Angeklagte E. ist der ehemalige „Präsident“, der Angeklagte M. der ehemalige „Vizepräsident“ des (ehemaligen)<br />

„Chapters Thüringen“ des Motorradclubs „MC Bandidos“.<br />

a) Die Anklage der Staatsanwaltschaft legte ihnen Folgendes zur Last: Der Angeklagte E. habe am 25. November<br />

2006 den Geschädigten T., der in W. ein Tätowierstudio betrieb, im Clubhaus des „MC Bandidos“ in O. in Anwesenheit<br />

des Angeklagten M. aufgefordert, sein Studio an ihn, E., zu verkaufen oder für ihn zu arbeiten. Hierbei habe<br />

er darauf hingewiesen, T. könne besser schlafen, wenn er die Mitglieder des MC Bandidos hinter sich habe <strong>und</strong> keine<br />

Angst haben müsse, „dass einmal eine Bombe hochgehe“. Es sei eine Bedenkzeit für den Zeugen T. von zwei Wochen<br />

vereinbart worden. Am 16. Dezember 2006 habe der Angeklagte M. als Beifahrer eines Pkw den Zeugen T. <strong>und</strong><br />

dessen Ehefrau aus dem Fenster auf der Beifahrerseite des Fahrzeugs heraus angesprochen <strong>und</strong> gefragt, ob die Zeugen<br />

die Mitglieder des „MC Bandidos“ vergessen hätten. Als T. dies verneint habe, habe der Angeklagte M. geantwortet:<br />

„Wir Euch auch nicht.“ Am 8. Januar 2007 habe der Angeklagte E. einen von den Zeugen T. benutzten Pkw,<br />

der vor dem Tattoo-Studio abgestellt war, selbst in Brand gesetzt oder von einem unbekannten Dritten in Brand setzen<br />

lassen, um weiter zur Durchsetzung seiner Forderung auf den Geschädigten einzuwirken.<br />

b) Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Am 25. November 2006 sprach der Angeklagte E. in einem Supermarkt<br />

den Zeugen T., den er bis dahin nicht kannte, jedoch wegen des Werbeaufdrucks auf seinem Pkw als Betreiber<br />

des Tattoo-Studios identifiziert hatte, an <strong>und</strong> fragte ihn, „wie es laufe“; auf die Antwort, „es gehe“, erwiderte er:<br />

„Mal sehen, wie lange noch.“ Der Angeklagte M. stand hierbei in der Nähe; ebenso die Ehefrau des Zeugen T.. T.,<br />

der sich wegen früherer Probleme mit einem anderen, mit dem „MC Bandidos“ verfeindeten Rockerclub („MC<br />

Stahlpakt“) Sorgen machte, veranlasste daraufhin einen Bekannten, Kontakt mit dem „MC Bandidos“ aufzunehmen;<br />

er wurde noch am selben Abend in das Clubhaus einbestellt. Dort fand ein Gespräch statt, an dem neben den beiden<br />

Angeklagten <strong>und</strong> weiteren Clubmitgliedern nur der Zeuge T. teilnahm. Im Verlauf des Gesprächs fragte der Angeklagte<br />

E. den Zeugen, ob er sein Studio verkaufen <strong>und</strong> wie viel er dafür haben wolle. Er wies darauf hin, mit dem<br />

„MC Bandidos“ im Rücken brauche der Zeuge vor niemandem mehr Angst zu haben. T. lehnte einen Verkauf des<br />

Studios nicht ab, bat sich aber Bedenkzeit aus, da er die Sache mit seiner Frau besprechen müsse. Weitere Einzelheiten<br />

des Gesprächs vermochte das Landgericht nicht festzustellen, insbesondere nicht, ob es zur drohenden oder bedrohlich<br />

wirkenden Erwähnung einer „Bombe“ kam. In der Nacht zum 16. Dezember 2007 wurde der Zeuge T. vor<br />

einem Kino aus dem Pkw eines Mitglieds des „MC Bandidos“, des Zeugen H., in der oben a) geschilderten Weise<br />

angesprochen. Ob es sich bei der Person, die sich vom Beifahrersitz aus an T. wandte, um den Angeklagten M. oder<br />

um den Zeugen H. handelte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Am frühen Morgen des 8. Januar 2007<br />

schließlich wurde der Pkw der Mutter der Zeugin T., der von dem Ehepaar T. genutzt wurde <strong>und</strong> auf der Straße vor<br />

dem Gebäude abgestellt war, in dem der Zeuge T. sein Tattoo-Studio <strong>und</strong> seine Ehefrau ein Nagelstudio betrieben,<br />

mittels Brandbeschleuniger in Brand gesetzt. Dass hieran der Angeklagte E. beteiligt war oder dass die Tat in Zusammenhang<br />

mit den zuvor geschilderten Vorfällen stand, konnte das Landgericht nicht feststellen.<br />

2. Die auf die Sachrüge gestützte, gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft<br />

ist unbegründet.<br />

a) Die allgemeinen Anforderungen an die Begründung eines freisprechenden Urteils sind erfüllt (vgl. dazu auch;<br />

Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 267 Rdn. 33 ff.; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl.<br />

2008, Rdn. 621 ff.; jeweils m. w. Nachw.). Das Landgericht hat, nachdem es den Angeklagten von der Anklage zur<br />

Last gelegten Tatvorwurf skizziert hat, in einem ersten Schritt die in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen<br />

zusammenhängend dargestellt. Soweit die Revision einzelne Feststellungen vermisst, stützt sich dies auf urteilsfremdes<br />

Vorbringen, welches auf die Sachrüge nicht berücksichtigt werden kann; eine entsprechende Verfahrensrüge<br />

ist nicht erhoben.<br />

b) In der nachfolgenden Beweiswürdigung hat das Landgericht die Einlassungen der Angeklagten sowie den wesentlichen<br />

Inhalt der Aussagen insbesondere der Zeugen <strong>und</strong> T., auch in unterschiedlichen, teilweise abweichenden Varianten<br />

<strong>und</strong> in ihrer Entstehungsgeschichte, umfangreich wiedergegeben <strong>und</strong> im einzelnen ausführlich gewürdigt. Die<br />

Einwendung der Revision, diese Würdigung sei im Ergebnis unzutreffend, erschöpft sich letztlich in dem Versuch,<br />

eine eigene Würdigung an die Stelle der vom Tatrichter vorgenommenen zu setzen; einen durchgreifenden Rechtsfehler<br />

zeigt sie nicht auf. Unzutreffend ist namentlich die Annahme der Revision, die Würdigung des Landgerichts,<br />

Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen T. zum Inhalt des Gesprächs am 25. November 2006 sowie<br />

289


der beiden Zeugen T. zu ihren Beobachtungen am 16. Dezember 2006 hätte nicht ausgeräumt werden können, stütze<br />

sich fehlerhaft auf nur wenige, oberflächliche <strong>und</strong> unzureichende Erwägungen (RB S. 1 f.). Vielmehr hat sich das<br />

Landgericht in einer 17 Seiten umfassenden ausführlichen Erörterung mit einer Vielzahl von gegen <strong>und</strong> für die Angeklagten<br />

sprechenden Indizien auseinandergesetzt; auch die belastenden <strong>und</strong> entlastenden Zeugenaussagen hat es<br />

einer jeweils abwägenden, auf weitere Indizien gestützten Analyse <strong>und</strong> Bewertung unterzogen. Die Annahme der<br />

Revision, das Landgericht habe übersehen, dass es sich bei Zeugen, deren Aussagen die Angeklagten entlastet haben,<br />

ebenfalls um Mitglieder des betreffenden Rockerclubs handelte <strong>und</strong> dass deshalb mit der nahe liegenden Möglichkeit<br />

von Gefälligkeitsaussagen gerechnet werden musste, ist fern liegend. Das Landgericht hat dies zum einen ausdrücklich<br />

bedacht (UA S. 20); zum anderen hat es sich umfangreich mit den Verbindungen aller Beteiligten zu unterschiedlichen<br />

Clubs, früheren Geschäften sowie möglichen Interessen <strong>und</strong> Motiven auseinandergesetzt. Für die Annahme,<br />

der Tatrichter habe dies bei der abschließenden Beweiswürdigung nicht bedacht, fehlt jeder Anhaltspunkt.<br />

Entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts erscheint auch die Annahme fern liegend, das Landgericht habe<br />

möglicherweise nicht bedacht, dass die Angeklagten vielfach, auch wegen Gewaltdelikten, vorbestraft sind <strong>und</strong><br />

ihnen daher die Begehung von Taten wie den hier vorgeworfenen ersichtlich nicht persönlichkeitsfremd ist. Welche<br />

weiteren, ins Einzelne gehenden kritischen Würdigungen der Glaubhaftigkeit der dem „MC Bandidos“ angehörenden<br />

Zeugen das Landgericht hätte anstellen sollen, zeigt die Revision nicht auf. Dass der Tatrichter insoweit einen falschen<br />

Maßstab angewendet hat, weil er die (allein) belastende Aussage des Zeugen T. zum Gesprächsinhalt am 25.<br />

November 2007 besonders kritisch gewürdigt hat, ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Revision aus den Urteilsgründen<br />

nicht. Das Landgericht hat die Möglichkeit von Falsch- <strong>und</strong> Gefälligkeitsaussagen - auf beiden Seiten -<br />

offensichtlich gesehen. Es hat diese <strong>und</strong> mögliche weitere Aussagemotivationen geprüft <strong>und</strong> ist, ohne erkennbaren<br />

Rechtsfehler, zu dem Ergebnis gelangt, der von den Angeklagten geschilderte Ablauf des Gesprächs sei jedenfalls<br />

möglich <strong>und</strong> inhaltlich <strong>und</strong> motivatorisch auch nicht unplausibel. Dass es im Hinblick auf Unklarheiten im Verhalten<br />

des Zeugen T. (etwa, dass dieser seiner Ehefrau zunächst nichts von einer möglichen Verkaufsforderung berichtete)<br />

zu dem Ergebnis gelangt ist, eine er-presserische Drohung durch die Angeklagten sei nicht hinreichend sicher bewiesen,<br />

ist vertretbar. Die Rüge erschöpft sich auch insoweit in einer abweichenden eigenen Würdigung.<br />

c) Die Revision zeigt, entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, auch nicht auf, dass der Tatrichter an die zur<br />

Verurteilung erforderliche Gewissheit zu hohe Anforderungen gestellt <strong>und</strong> daher den an die Beweiswürdigung anzulegenden<br />

rechtlichen Maßstab verkannt habe. Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass selbst bei<br />

Erweislichkeit der von der Anklage angenommenen Tatsachen der Schluss auf eine Begehung der den Angeklagten<br />

zur Last gelegten Tatsachen nicht selbstverständlich gewesen wäre. So lag etwa die Annahme, der Angeklagte M.<br />

habe sich durch die Anwesenheit bei dem Gespräch am 25. November 2006 sowie durch den (nach Ansicht des<br />

Landgerichts nicht erwiesenen) Hinweis am 16. Dezember, man habe den Zeugen T. (der sich eine Bedenkzeit bis<br />

etwa 10. Dezember erbeten hatte) „nicht vergessen“, einer täterschaftlich versuchten räuberischen Erpressung schuldig<br />

gemacht, keineswegs nahe. Das gilt erst recht für die Annahme, das Inbrandsetzen des von den Zeugen T. genutzten<br />

Pkw sei von dem Angeklagten E. ausgeführt oder angestiftet worden. Objektive Anhaltspunkte für diese<br />

Annahme gab es ersichtlich nicht; die Aussage des Zeugen T. , es sei am 25. Dezember 2006 drohend von einer<br />

„Bombe“ die Rede gewesen, haben die Angeklagten sowie die weiteren anwesenden Personen bestritten. Das Landgericht<br />

hat dies mit rechtsfehlerfreier Begründung als jedenfalls nicht unplausibel angesehen. Es hat auch nicht ausschließen<br />

können, dass der Zeuge T. ursprünglich sogar eine Unterstützung durch den „MC Bandidos“ gegen eine<br />

mögliche Bedrohung durch einen anderen Rockerclub gesucht habe (UA S. 27).<br />

d) Schließlich fehlt es auch nicht an einer zusammenfassenden Bewertung der Beweisergebnisse <strong>und</strong> Indizien unter<br />

dem Gesichtspunkt einer Gesamtwürdigung. Dem Generalb<strong>und</strong>esanwalt ist zuzugeben, dass eine Vielzahl weiterer<br />

Einzelheiten <strong>und</strong> Beweisanzeichen denkbar ist, welche das Landgericht zusätzlich, weitergehend oder noch detaillierter<br />

hätte erörtern können. Freilich kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach nicht erschöpfend in dem Sinn<br />

sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte <strong>und</strong> Würdigungsvarianten ausdrücklich abgehandelt werden;<br />

eine solche exzessive Erörterung würde die Möglichkeiten <strong>und</strong> Ressourcen der Gerichte übersteigen, ohne doch<br />

jemals zu absoluter Vollständigkeit gelangen zu können. Sie ist daher nicht zu verlangen. Ausreichend ist auch<br />

beim freisprechenden Urteil die Angabe der wesentlichen Gründe; die Urteilsgründe müssen deutlich machen, dass<br />

der Tatrichter nahe liegende wesentliche Beweistatsachen nicht übersehen oder unzutreffend gewertet hat. Aus einzelnen<br />

denkbaren oder tatsächlichen Lücken der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, der<br />

Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsgründen auf der Hand liegende Wer-tungsgesichtspunkte nicht bedacht.<br />

Das Landgericht ist hier in Anbetracht der zahlreichen verbliebenen Unklarheiten, auch in Motivationslage <strong>und</strong> Aussageverhalten<br />

der Zeugen T., zu dem zusammenfassenden Ergebnis gelangt, zwar lasse sich eine Begehung der Ta-<br />

290


ten durch die Angeklagten keinesfalls ausschließen, es sei aber auch nicht mit einer zur Verurteilung hinreichenden<br />

Sicherheit bewiesen (UA S. 29). Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.<br />

StPO § 267 Bewesiwürdigung im Urteil zu Spurengutachten<br />

BGH, Beschl. v. 15.09.2010 - 5 StR 345/10 - NStZ 2011, 171<br />

Ein Vergleichsgutachten betreffend Werkzeugspuren ist kein weithin standardisiertes Verfahren<br />

wie das daktyloskopische Gutachten, die Blutalkoholanalyse oder die Bestimmung von Blutgruppen;<br />

insofern sind weitergehende Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung durch<br />

das Gericht zu stellen.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 24. März 2010 gemäß § 349 Abs.<br />

4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben<br />

a) soweit der Angeklagte J. wegen Diebstahls in 42 Fällen <strong>und</strong> der Angeklagte R. wegen Diebstahls in vier Fällen<br />

verurteilt worden sind; ausgenommen bleiben die Feststellungen zu Art <strong>und</strong> Umfang der jeweiligen Diebesbeute <strong>und</strong><br />

der verursachten Sachschäden, die aufrechterhalten bleiben;<br />

b) ferner in den Gesamtstrafaussprüchen <strong>und</strong> in der Entscheidung über die Einziehung der Werkzeuge.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Diebstahls in 42 Fällen (II.1 bis 32, 34 bis 43), wegen versuchten<br />

Diebstahls (II.33) sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen<br />

(II.45 <strong>und</strong> 46) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren <strong>und</strong> den Angeklagten R. wegen Diebstahls in vier Fällen<br />

(II.1, 21, 34 <strong>und</strong> 44) sowie wegen versuchten Diebstahls (II.33) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

verurteilt. Es hat ferner sichergestelltes Heroin <strong>und</strong> vier Werkzeuge eingezogen. Die Revisionen der Angeklagten<br />

erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs.<br />

2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat sich im Wesentlichen aufgr<strong>und</strong> von übereinstimmenden Werkzeugspuren an abgekippten<br />

Schließzylindern mit dem Profil von im Besitz der Angeklagten befindlichen Werkzeugen davon überzeugt, dass der<br />

Angeklagte J. zwischen dem 5. August 2006 <strong>und</strong> dem 26. September 2008 in Kiel 42 Einbruchsdiebstähle in Geschäfts-<br />

<strong>und</strong> Büroräume, davon drei (II.1, 21 <strong>und</strong> 34 der Urteilsgründe) gemeinsam mit dem Angeklagten R. begangen<br />

hat. Am 12. Mai 2008 blieb ein gemeinsamer Einbruch in ein Bekleidungsgeschäft ohne Erfolg. Das Landgericht<br />

hat die von einer Videoüberwachungskamera gefilmten Angeklagten wegen versuchten Diebstahls jeweils zu einer<br />

Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt (II.33 der Urteilsgründe). Der Angeklagte R. befand sich am 9. Dezember<br />

2008 im Besitz einer in der Zeit vom 23. Juni bis 26. Juni 2008 aus einem Tresor entwendeten Digitalkamera.<br />

Das Landgericht hat ihn deshalb wegen eines weiteren Einbruchsdiebstahls schuldig gesprochen (II.44 der Urteilsgründe).<br />

In der Wohnung des Angeklagten J. wurde bei Durchsuchungen am 9. Dezember 2008 <strong>und</strong> 22. Januar 2009<br />

Heroin mit einer Wirkstoffmenge von über 3 g bzw. über 8 g sichergestellt. Das Landgericht hat diesen Angeklagten<br />

deshalb wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen jeweils zu Freiheitsstrafen<br />

von sechs Monaten verurteilt (II.45 <strong>und</strong> 46 der Urteilsgründe).<br />

2. Diese Verurteilungen des Angeklagten J. wegen Betäubungsmitteldelikten <strong>und</strong> die beider Angeklagter wegen<br />

versuchten Diebstahls beruhen auf einer rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachengr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> haben Bestand.<br />

3. Dies gilt indes nicht für die Verurteilung der durchweg schweigenden Angeklagten wegen der Diebstähle unter<br />

Verwendung von Werkzeugen. Die Urteilsgründe genügen insoweit nicht den sachlich-rechtlichen Anforderungen an<br />

die Darlegung von Gutachten in den schriftlichen Urteilsgründen.<br />

a) Das Landgericht hat „die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten auf der Gr<strong>und</strong>lage der Ausführungen<br />

des Sachverständigen M. vom Landeskriminalamt gewonnen, der die am jeweiligen Tatort an den Schlössern gesicherten<br />

Werkzeugspuren mit den bei den Angeklagten aufgef<strong>und</strong>enen Werkzeugen bezüglich der von ihnen verursachten<br />

Spurenbilder verglichen <strong>und</strong> im Ergebnis als tatverursachend identifiziert hat“ (UA S. 26 f.). Der Sachverständige<br />

habe bek<strong>und</strong>et, dass man nach entsprechender Betrachtung <strong>und</strong> Auswertung der in eine Datenbank eingestellten<br />

Fotografien von Werkzeugspuren an zur Untersuchung eingesandten Schließzylindern identische Tatspuren<br />

291


festgestellt habe. „Zunächst habe man drei unterschiedliche Werkzeugspuren feststellen können <strong>und</strong> sei folglich von<br />

drei Tatserien ausgegangen. Irgendwann sei festgestellt worden, dass sich auf einer Tatspur gleichzeitig der Abdruck<br />

mehrerer verschiedener Werkzeuge gef<strong>und</strong>en habe, die sich wiederum jeweils in verschiedenen Tatserien wiedergef<strong>und</strong>en<br />

hätten, so dass ursprünglich unterschiedlich geführte Serien schließlich zu einer Serie hätten zusammengeführt<br />

werden können. Im Ergebnis sei bei dem abschließenden Vergleich nach Auffinden der Werkzeuge bei den<br />

Angeklagten die von den Werkzeugen hergestellte Vergleichsspur nicht mehr mit jeder einzelnen Tatspur verglichen<br />

worden, sondern lediglich mit einigen ausgewählten aus der jeweiligen Tatserie. Im Falle einer Identität der Spuren<br />

habe man logisch folgern können, dass dieses Werkzeug dann auch alle anderen Tatspuren aus derselben Serie verursacht<br />

haben müsse“ (UA S. 29 f.). Der Sachverständige habe anhand von sechs fotografisch dargestellten Spurenvergleichen<br />

– die vier sichergestellten Werkzeuge betreffend – die Methodik des visuellen Spurenvergleichs, die letztlich<br />

eine Bewertungs- <strong>und</strong> Überzeugungsfrage beim erfahrenen Betrachter sei (UA S. 28), deutlich <strong>und</strong> nachvollziehbar<br />

gemacht (UA S. 31).<br />

b) Die vom Landgericht vorgenommene, im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte<br />

Darstellung seiner Überzeugungsbildung kann zwar ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes<br />

<strong>und</strong> weithin standardisiertes Verfahren wie das daktyloskopische Gutachten (BGHR StPO § 261 Sachverständiger<br />

4), die Blutalkoholanalyse (BGHSt 28, 235, 237 f.) oder die Bestimmung von Blutgruppen (BGHSt 12, 311,<br />

314), handelt (gr<strong>und</strong>legend BGHSt 39, 291, 297 ff.). Ein solches standardisiertes Verfahren ist aber ein Vergleichsgutachten<br />

betreffend Werkzeugspuren nicht, deshalb sind weitergehende Anforderungen an die Darlegung der Überzeugugsbildung<br />

zu stellen, die vorliegend nicht erfüllt sind.<br />

c) Ein fotografischer Spurenvergleich, der teilweise in den Urteilsgründen vorgenommen wird, ist ohne weiteres<br />

geeignet, die Spurenübereinstimmung zu belegen <strong>und</strong> die Überzeugung von der Verwendung des bestimmten Werkzeugs<br />

bei einem bestimmten Einbruch zu begründen. Diese Methode ist „in der Regel (für) R., Staatsanwälte <strong>und</strong><br />

Verteidiger überschaubar <strong>und</strong> überzeugend“ (Katterwe NStZ 1992, 18, 21; vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO 6.<br />

Aufl. Rdn. 1917a). Das Landgericht hat aber noch nicht einmal die in Bezug genommenen Spurenvergleichsbilder<br />

bestimmten Verurteilungsfällen zugeordnet.<br />

d) Zwar ist es nach dem Gr<strong>und</strong>satz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) nicht ausgeschlossen, die Übereinstimmung<br />

von Tatortspur <strong>und</strong> Werkzeugprofil allein auf den für das Gericht nachvollziehbaren <strong>und</strong> überzeugenden<br />

Wertungsakt des Sachverständigen zu gründen (vgl. Schoreit in KK-StPO, 6. Aufl. § 261 Rdn. 32 m.w.N.). Dies<br />

setzt indes voraus, dass die einer Verurteilung zugr<strong>und</strong>e liegende Wertung auch in jedem Fall vom Sachverständigen<br />

vorgenommen wurde <strong>und</strong> nachvollziehbar ist. Dies wird durch das angefochtene Urteil nicht hinreichend belegt.<br />

aa) Für die Übereinstimmung von Tatortspur <strong>und</strong> Werkzeugprofil ausschlaggebend war zunächst die Feststellung der<br />

Übereinstimmung der Spuren an den Schließzylindern als Gr<strong>und</strong>lage für die Bildung von Tatserien. Nach den Darlegungen<br />

UA S. 29 bleibt schon unklar, wie der Sachverständige diese Übereinstimmung festgestellt hat. Die Formulierung<br />

„man“ habe nach Betrachtung <strong>und</strong> Auswertung drei Tatserien wahrgenommen, lässt offen, ob nicht Dritte<br />

diese Bewertung vorgenommen haben.<br />

bb) Die Zusammenführung der angenommenen drei Tatserien ist ebenfalls nicht ausreichend dargelegt. Es bleibt<br />

offen, in welchem konkreten Einzelfall, auf welchen Spurenträgern <strong>und</strong> in welchem Zusammenhang die drei Spuren<br />

gef<strong>und</strong>en wurden. In lediglich einem Fall (II.6 der Urteilsgründe) sind zwei dem Angeklagten J. zugeordnete Werkzeuge<br />

<strong>und</strong> in drei Fällen (II.1, 21 <strong>und</strong> 24 der Urteilsgründe) ebenfalls zwei Werkzeug benutzt worden, von denen<br />

jeweils eines einem Angeklagten zugeordnet worden ist. Es bleibt darüber hinaus unklar, unter welchen Vergleichsaspekten<br />

das vierte Werkzeug in die Serie aufgenommen worden ist. Bei dieser Sachlage ist es ausgeschlossen, dass<br />

– wie es das Landgericht getan hat – eine Übereinstimmung von Tatortspur <strong>und</strong> Werkzeugprofil in den Verurteilungsfällen<br />

lediglich nach – auch nicht näher erläuterten – Stichproben unter Verzicht auf Einzelvergleiche festgestellt<br />

werden konnte.<br />

cc) Soweit das Landgericht dargelegt hat, dass der Sachverständige auch Überlagerungen von Werkzeugspuren <strong>und</strong><br />

lediglich entstandene <strong>Teil</strong>abdrucke zu werten gehabt habe (UA S. 28 f.), fehlt es an jeder Erläuterung, wie bei diesen<br />

schwieriger zu beurteilenden Anknüpfungstatsachen die Wertung einer Spurenübereinstimmung nachvollziehbar<br />

dargelegt worden ist (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4; Schoreit aaO).<br />

4. Auch die Verurteilung des Angeklagten R. im Fall II.44 der Urteilsgründe hat keinen Bestand; die Entwendungshandlung<br />

wird auch mangels Werkzeugspur nicht belegt. Zudem begegnet die Würdigung des Zeitpunkts der Aussage<br />

des Vaters (vgl. BGH StV 2009, 679 m.w.N.) <strong>und</strong> des Schweigens des Angeklagten (vgl. BGHSt 45, 363, 364<br />

m.w.N.) Bedenken.<br />

5. Die Sache bedarf demnach weitgehend neuer Aufklärung <strong>und</strong> Bewertung. Dies betrifft freilich nicht die bisher<br />

getroffenen Feststellungen zu Art <strong>und</strong> Umfang der jeweiligen Diebesbeute <strong>und</strong> der Sachschäden. Diese konnten<br />

292


aufrechterhalten bleiben. Die Aufhebung der Schuldsprüche entzieht den Gesamtfreiheitsstrafen <strong>und</strong> der Einziehungsentscheidung<br />

bezüglich der Werkzeuge die Gr<strong>und</strong>lage. Das neu berufene Tatgericht wird bei der Gesamtstrafenbildung<br />

zu prüfen haben, ob die gegen den Angeklagten J. am 12. Dezember 2007 <strong>und</strong> gegen den Angeklagten<br />

R. am 6. März 2008 verhängten Geldstrafen bereits vollstreckt waren <strong>und</strong> deshalb keine Zäsur begründen konnten.<br />

Gesamtstrafen, die im Vergleich zur Einsatzstrafe stark erhöht werden, bedürfen einer eingehenden Begründung<br />

(vgl. Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 54 Rdn. 11 m.w.N.). Zur besseren Verständlichkeit wird es sich empfehlen, im Urteil<br />

nicht – wie bisher geschehen – zwischen Ordnungsnummern des Urteils <strong>und</strong> der Anklage zu wechseln.<br />

StPO § 274 Keine Rügeverkümmerung ohne Protokollberichtigung<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 2 StR 158/10 - StV 2010, 675<br />

Zur Gültigkeit des Protokolls bei unterbliebener Protokollberichtigung.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat ... gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

M. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. November 2009, soweit es ihn betrifft, mit<br />

den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Heroin) in drei<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Mit der hiergegen gerichteten<br />

Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge<br />

Erfolg.<br />

1. Die Revision rügt die fehlende Verlesung der Anklage (§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO) <strong>und</strong> beruft sich insoweit auf das<br />

Hauptverhandlungsprotokoll, das eine Verlesung nicht ausweist. Die Begründung der Revision ist am 1. Februar<br />

2010 beim Landgericht eingegangen <strong>und</strong> war zunächst inhaltlich unbeachtet geblieben. Am 19. Februar 2010 hat die<br />

Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die vorgenannte Rüge die Akten dem Landgericht zurückgesandt. Daraufhin<br />

haben am 23. Februar 2010 die Berufsrichter, die Protokollführerin <strong>und</strong> der Dolmetscher sowie - nach Rücksendung<br />

der Akten - am 24. Februar 2010 der Vertreter der Staatsanwaltschaft in dienstlichen Erklärungen versichert, die<br />

Anklage sei verlesen worden.<br />

2. Die Revision beruft sich zu Recht auf eine Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO. Da dem Hauptverhandlungsprotokoll<br />

eine Verlesung der Anklage nicht zu entnehmen ist, ergibt sich im Hinblick auf die Beweiskraft des Protokolls<br />

(§ 274 StPO), dass eine Verlesung der Anklage nicht stattgef<strong>und</strong>en hat. Das Protokoll ist auch weder lückenhaft<br />

noch widersprüchlich, sondern insoweit eindeutig.<br />

a) Nach § 274 Satz 1 StPO kann die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten<br />

nur durch das Protokoll bewiesen werden. Als Gegenbeweis lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu (§<br />

274 Satz 2 StPO). Darüber hinaus kann zwar nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

durch eine nachträgliche Berichtigung des Protokolls auch einer bereits ordnungsgemäß erhobenen<br />

Verfahrensrüge zum Nachteil des Revisionsführers die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen werden (BGHSt 51, 298;<br />

BVerfG NJW 2009, 1469). Eine solche nachträgliche Protokollberichtigung hat vorliegend jedoch nicht stattgef<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> kann unter den hier vorliegenden Umständen auch nicht nachgeholt werden.<br />

b) Die Entscheidung des Großen Senats hat zu einer substantiellen Änderung des Strafverfahrenrechts dahingehend<br />

geführt, dass Protokollmängel in erster Linie im Protokollberichtigungsverfahren zu beseitigen sind (BGH, NJW<br />

2010, 2068, 2069). Gr<strong>und</strong>lage einer jeden Protokollberichtigung ist die sichere Erinnerung der Urk<strong>und</strong>spersonen.<br />

Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht mehr berichtigt werden (BGHSt 51, 298, 314, 316). Für das Verfahren gilt,<br />

dass vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung die Urk<strong>und</strong>spersonen zunächst den Beschwerdeführer zu hören<br />

haben. Widerspricht er der beabsichtigen Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte<br />

zu befragen. Halten die Urk<strong>und</strong>spersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre<br />

Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen der Überprüfung<br />

durch das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten<br />

Fassung (BGHSt 51, 298, 315 f.; vgl. BGH, NStZ 2008, 580, 581). Das gilt im Ergebnis auch, wenn das<br />

vom Großen Senat vorgegebene Verfahren der Protokollberichtigung nicht eingehalten oder nicht durchgeführt wird.<br />

293


c) Der Senat sieht keine Veranlassung die Akten zum Zwecke der Einleitung eines Protokollberichtigungsverfahrens<br />

zurückzusenden (vgl. insoweit BGH, wistra 2009, 484). Die Akten waren dem Vorsitzenden der Kammer bereits<br />

durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Rüge der nicht verlesenen Anklage zurückgesandt<br />

worden, ohne dass ein Berichtigungsverfahren eingeleitet wurde. Beide Urk<strong>und</strong>spersonen haben in Kenntnis dieser<br />

Rüge lediglich dienstliche Erklärungen abgegeben. Eine nochmalige Rücksendung ist vor diesem Hintergr<strong>und</strong> nicht<br />

geboten <strong>und</strong> käme überdies dem Fall einer Wiederholung eines nicht ordnungsgemäßen Verfahrens unter Verletzung<br />

des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren gleich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 271 Rn. 26a).<br />

Neben einer ordnungsgemäßen Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche Aufklärung des tatgerichtlichen<br />

Verfahrensablaufs allein unter Berücksichtigung abgegebener dienstlicher Erklärungen <strong>und</strong> damit unter geringeren<br />

Anforderungen als in dem die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren nach erhobener Verfahrensrüge<br />

<strong>und</strong> zum Nachteil des Angeklagten nicht in Betracht (BGHSt 51, 316 f.; vgl. BGH, NStZ 2005, 281,<br />

282; StV 2004, 297; NStZ 2000, 47; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 11 <strong>und</strong> 13 jeweils mwN). Ob hiervon in<br />

Fällen krasser Widersprüchlichkeit Ausnahmen zu machen sind (vgl. BGH, NJW 2010, 2068, 2069), kann offen<br />

bleiben. Eine solche liegt hier nicht vor.<br />

3. Der Senat kann ein Beruhen des angefochtenen Urteils auf diesem Verfahrensverstoß nicht ausschließen.<br />

StPO § 275 Abs. 1 Verantwortung für Fristeinhaltung<br />

BGH, Beschl. v. 09.12.2011 – 5 StR 485/10 - NStZ-RR 2011, 118<br />

Nicht nur der Berichterstatter, sondern alle berufsrichterlichen Mitglieder des Spruchkörpers sind<br />

für eine Einhaltung der Frist nach § 275 Abs. 1 StPO verantwortlich.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 9. Dezember 2010 beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen vorsätzlichen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen in Tateinheit<br />

mit vorsätzlicher Gewässerverunreinigung sowie wegen vorsätzlichen unerlaubten Betreibens einer Abfallentsorgungsanlage<br />

<strong>und</strong> den Angeklagten S. in einem weiteren Fall wegen vorsätzlichen unerlaubten Umgangs mit<br />

gefährlichen Abfällen schuldig gesprochen. Den Angeklagten S. hat es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten, den Angeklagten R. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revisionen<br />

haben jeweils mit der Beanstandung, die Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO sei nicht gewahrt, Erfolg.<br />

Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt: „Die verspätete Absetzung des Urteils<br />

beruht maßgeblich auf einem Irrtum über die Dauer der Hauptverhandlung; dies kann eine Überschreitung der Frist<br />

nicht rechtfertigen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 204-205; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 207). Die bei dem<br />

Vorsitzenden <strong>und</strong> dem Berichterstatter aufgetretenen ges<strong>und</strong>heitlichen Probleme rechtfertigen keine andere Beurteilung.<br />

Insoweit gilt Folgendes: Aus dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Neuruppin vom 17. August<br />

2010 geht hervor, dass der Vorsitzende Richter in der Zeit vom 28. Juni bis zum 2. Juli 2010 <strong>und</strong> der Berichterstatter<br />

in der Zeit vom 18. Juni bis 21. Juni 2010 dienstunfähig erkrankt waren. Angesichts der den dienstlichen Äußerungen<br />

zu entnehmenden ges<strong>und</strong>heitlichen Probleme des Berichterstatters <strong>und</strong> der ‚Vereinbarung’ zwischen Vorsitzenden<br />

<strong>und</strong> Berichterstatter, der Vorsitzende werde ‚einen Großteil der Arbeit bei der Abfassung des Urteils in vorliegender<br />

Sache selbst übernehmen’, bestand für den Kammervorsitzenden besonderer Anlass, darauf zu achten, dass<br />

die rechtzeitige Abfassung der Urteilsgründe gesichert war. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Vorsitzende einen<br />

Unfall an der Hand erlitt, musste er dafür sorgen, dass die rechtzeitige Abfassung der Urteilsgründe gesichert ist (vgl.<br />

Senat in BGHR StPO § 338 Nr. 7 Fristüberschreitung 1; BGH StV 1982, 105; NStZ 1982, 80). Dabei ist zu beachten,<br />

dass nicht nur der Berichterstatter, sondern alle berufsrichterlichen Mitglieder des Spruchkörpers für eine Einhaltung<br />

der Frist nach § 275 Abs. 1 StPO verantwortlich sind. Das Urteil muss deshalb, notfalls durch den zweiten<br />

beisitzenden Richter, abgefasst <strong>und</strong> fertig gestellt werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn nach den Geschäftsverhältnissen<br />

des Spruchkörpers <strong>und</strong> der Belastung seiner Mitglieder diesen das nicht möglich <strong>und</strong> zumutbar<br />

ist (vgl. BGHSt 26, 247, 249). Anhaltspunkte dafür sind den vorliegenden dienstlichen Äußerungen nicht zu entnehmen.<br />

Im Übrigen hätten auch andere Dienstgeschäfte des Berichterstatters, etwa auch die <strong>Teil</strong>nahme an einer Haupt-<br />

294


verhandlung, zur rechtzeitigen Abfassung des Urteils zurücktreten müssen (vgl. BGH NStZ 1982, 519). Die Frist war<br />

verstrichen als das Urteil am Dienstag, den 20. Juli 2010 bei der Geschäftsstelle einging. Das Überschreiten der in §<br />

275 Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong> 4 StPO bezeichneten Fristen begründet einen absoluten Revisionsgr<strong>und</strong> (§ 338 Nr. 7 StPO).<br />

Dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler nicht beruhen kann, ist demgegenüber ohne Bedeutung.“ Dieser Rechtsfehler<br />

nötigt zur Aufhebung des – sehr sorgfältig begründeten – Urteils.<br />

StPO § 275 Urteilsunterzeichnung durch versetzten Richter<br />

BGH, Beschl. v. 27.10.2010 – 2 StR 331/10 - NStZ 2011, 358<br />

Zur Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO: Zwar kann die Versetzung an ein anderes<br />

Gericht im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen. Auch kann die Überlastung<br />

mit anderen Dienstgeschäften gr<strong>und</strong>sätzlich einen Verhinderungsgr<strong>und</strong> darstellen. Voraussetzung<br />

ist aber stets, dass sich der Vorsitzende ernsthaft darum bemüht hat, dem in § 275 Abs. 2 Satz 1<br />

StPO formulierten Gebot, dass das Urteil von allen mitwirkenden Berufsrichtern zu unterschreiben<br />

ist, Geltung zu verschaffen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> der Beschwerdeführer<br />

am 27. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten P. <strong>und</strong> K. wird<br />

das Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. Februar 2010 - soweit es diese Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über<br />

die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hatte diese beiden Angeklagten in einem ersten Urteil wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in<br />

132 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (K.) bzw. einer Bewährungsstrafe<br />

von einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten (P.) verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils nur in den Strafaussprüchen<br />

durch Beschluss des Senats vom 29. Juli 2009 - 2 StR 91/09 - hat das Landgericht Kassel aufgr<strong>und</strong> einer am zweiten<br />

Verhandlungstag erfolgten Verständigung gegen den Angeklagten K. nunmehr eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten sowie gegen den Angeklagten P. eine Bewährungsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> zwei Monaten verhängt.<br />

Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Zu Recht rügen<br />

die Beschwerdeführer den absoluten Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 7 StPO, weil die gesetzliche Frist von fünf Wochen,<br />

in der das vollständige Urteil zu den Akten gebracht werden muss, nicht eingehalten worden ist (§ 275 Abs. 1<br />

Satz 2 StPO).<br />

I. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: An der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten vor der 1. großen<br />

Strafkammer des Landgerichts Kassel nahmen als berufsrichterliche Mitglieder der Vorsitzende Richter am<br />

Landgericht D. , der Richter am Landgericht B. als Berichterstatter <strong>und</strong> der Richter S. teil. Das - am 17. Februar<br />

2010 verkündete - schriftliche Urteil ist zwar bereits am 11. März 2010 <strong>und</strong> damit vor Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist<br />

am 24. März 2010 bei der Geschäftsstelle eingegangen. Es war jedoch nicht vollständig, weil es nur von zwei<br />

Berufsrichtern, dem Vorsitzenden <strong>und</strong> dem Berichterstatter, unterzeichnet worden ist. Die Unterschrift des weiteren<br />

Beisitzers hat der Vorsitzende durch den Vermerk ersetzt: "Richter S. ist nicht mehr am Landgericht tätig <strong>und</strong> deshalb<br />

an der Unterschriftsleistung gehindert". Damit war - wie die Revision zutreffend rügt - die Verhinderung des<br />

dritten Richters nicht hinreichend dargetan. Aus dem Vermerk ergibt sich nämlich nicht, ob der Richter S. aus rechtlichen<br />

Gründen - etwa wegen Ausscheidens aus dem Justizdienst - oder aber aus tatsächlichen Gründen - etwa wegen<br />

einer Versetzung - an der Unterschriftsleistung gehindert war. In Ansehung dessen hat der Vorsitzende auf die dies<br />

rügenden Revisionsbegründungen eine dienstliche Stellungnahme abgegeben, in der er ausgeführt hat, der zweite<br />

Beisitzer S. sei seit dem 1. März 2010 an das Amtsgericht Bad Arolsen versetzt gewesen. Nach Fertigstellung des<br />

Urteilsentwurfs durch den Berichterstatter am 5. März 2010 <strong>und</strong> nach Durchsicht des Urteils durch ihn selbst am 10.<br />

März 2010 habe er jeweils bei S. angerufen. Dieser habe ihm mitgeteilt, infolge Arbeitsüberlastung beim Amtsgericht<br />

<strong>und</strong> wegen eines noch abzusetzenden umfangreichen Schwurgerichtsurteils bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist<br />

nicht zur Lektüre des Urteils <strong>und</strong> zur Unterschrift in der Lage zu sein. Weil ihm ein weiteres Zuwarten bis<br />

zum Ende der Absetzungsfrist sinnlos erschienen sei <strong>und</strong> weil es sich zudem hinsichtlich eines nicht revidierenden<br />

Mittäters um eine Haftsache gehandelt habe, habe er einen entsprechenden Verhinderungsvermerk betreffend den<br />

Richter S. angebracht.<br />

295


II. Ausweislich dieser dienstlichen Erklärung hielt der Vorsitzende den Richter S. aus tatsächlichen Gründen für an<br />

der Unterschriftsleistung gehindert. Dies war hier auch in Anbetracht des einem Vorsitzenden insoweit zustehenden<br />

gewissen Beurteilungsspielraums (vgl. dazu Gollwitzer in Löwe/ Rosenberg, 25. Aufl. § 275 Rn. 49 mwN) rechtsfehlerhaft:<br />

Zwar kann die Versetzung an ein anderes Gericht - wie hier die Versetzung an das Amtsgericht Bad Arolsen<br />

- im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung<br />

1 <strong>und</strong> 3; BGH NStZ-RR 1999, 46; 2003, 288 [B] sowie Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 275 Rn. 23). Auch<br />

kann die Überlastung mit anderen Dienstgeschäften gr<strong>und</strong>sätzlich einen Verhinderungsgr<strong>und</strong> darstellen (Meyer-<br />

Goßner aaO Rn. 22 mwN). Voraussetzung ist aber stets, dass sich der Vorsitzende ernsthaft darum bemüht hat, dem<br />

in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO formulierten Gebot, dass das Urteil von allen mitwirkenden Berufsrichtern zu unterschreiben<br />

ist, Geltung zu verschaffen. Bei der Unterzeichnung eines Strafurteils handelt es sich nämlich um ein<br />

dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft, weshalb der Vorsitzende verpflichtet ist, rechtzeitig organisatorische<br />

Vorsorge für die Erfüllung dieser Pflicht zu treffen (BGH NStZ 2006, 586). Hier kommt hinzu, dass der Schuldspruch<br />

nach Bestätigung durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof bereits feststand. Die Urteilsgründe umfassten zwar 113 Seiten,<br />

wovon allerdings 3 ½ Seiten auf das Rubrum entfielen <strong>und</strong> 87 Seiten lediglich ein Abdruck der rechtskräftigen<br />

Feststellungen des ersten Durchgangs waren. Weitere 11 Seiten entfallen auf wörtliche Wiedergaben der Feststellungen<br />

zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten, die bereits im ersten Urteil enthalten waren. Die neue Beweiswürdigung<br />

umfasst 3 ½ Seiten, die Strafzumessung für die drei nicht rechtskräftig Verurteilten insgesamt 5<br />

Seiten. Die substantiell neuen <strong>Teil</strong>e der Urteilsgründe umfassten somit insgesamt weniger als 10 Seiten. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> hätte der Vorsitzende in dem Zeitraum zwischen Urteilsverkündung am 17. Februar 2010 bis zur Umsetzung<br />

des Proberichters am 1. März 2010 Absprachen mit diesem zur Sicherstellung der Unterschriftsleistung<br />

treffen müssen, was auch dem Beschleunigungsgebot in idealer Weise Rechnung getragen hätte. Jedenfalls aber hätte<br />

er nach Fertigstellung des Urteilsentwurfs durch den Berichterstatter die von dem Proberichter behauptete überlastungsbedingte<br />

Verhinderung nicht ohne weiteres hinnehmen dürfen, sondern die behauptete dienstliche Belastung<br />

oder Tätigkeit des Proberichters im Hinblick darauf bewerten <strong>und</strong> gewichten müssen, dass es sich bei der Mitwirkung<br />

an der Fertigstellung des Urteils um ein unaufschiebbares Dienstgeschäft handelte. So ist es schlechterdings<br />

unvorstellbar, dass der an das Amtsgericht versetzte Richter in dem gesamten Zeitraum gegenüber seiner Pflicht zur<br />

Mitwirkung an der Urteilsabfassung vorrangige Dienstgeschäfte wahrzunehmen hatte. Im Ergebnis dieser Überprüfung<br />

hätte der Vorsitzende gegenüber dem umgesetzten Richter der Lektüre <strong>und</strong> Unterzeichnung des Urteilsentwurfs<br />

innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Zeit bis zum 24. März 2010 höheres Gewicht geben müssen; gegebenenfalls<br />

hätte er dem Richter einen Urteilsentwurf auch bereits am 5. März 2010 per Fax oder E-Mail zuleiten können,<br />

damit diesem ein noch größerer Bearbeitungszeitraum zur Verfügung gestanden hätte. Wenn eine Überprüfung<br />

nach diesem Maßstab tatsächlich eine permanente Überbelastung des Proberichters mit dringlicheren Dienstgeschäften<br />

ergeben hätte, hätte der Vorsitzende über die Justizverwaltung auf eine Entlastung des Proberichters hinwirken<br />

können, die diesem eine Mitwirkung an der Urteilsabfassung ermöglicht hätte. Aus dem Vermerk des Vorsitzenden<br />

ergibt sich, dass er den Maßstab für die Beurteilung der Verhinderung, der sich an der Bedeutung der Mitwirkung<br />

der beteiligten Berufsrichter an der Fassung der Urteilsgründe orientiert, verkannt hat. Die Aufhebung des Urteils<br />

wegen des Verfahrensmangels erstreckt sich nicht auf den Mitangeklagten C., der die Rüge nicht erhoben hat (vgl.<br />

BGHSt 17, 176, 179).<br />

StPO § 302 Revision unzulässig nach RM-Verzicht<br />

BGH, Beschl. v. 11.08.2010 – 2 StR 269/10 - BeckRS 2010, 21493<br />

Keine Wiedereinsetzung nach Rechtsmittelverzicht<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 11. August 2010 gemäß § 349 Abs. 1 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Mainz vom 5. Januar 2010 wird als unzulässig verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen Betruges in 29 Fällen, davon in sechs Fällen nur als Versuch<br />

<strong>und</strong> in 14 Fällen in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung, ferner wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in<br />

sechs Fällen <strong>und</strong> wegen Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der<br />

296


Einzelstrafen aus einem früheren Urteil zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten sowie<br />

einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> eine lebenslange Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis gegen ihn<br />

verhängt. Mit Schreiben vom 12. Januar 2010 hat der Angeklagte nach "Rücksprache" mit einem Rechtsanwalt auf<br />

Rechtsmittel verzichtet. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2010 hat auch seine damalige Verteidigerin den Rechtsmittelverzicht<br />

erklärt. Sie haben darum gebeten, dass der Angeklagte sich selbst zum Strafantritt stellen kann, um es ihm<br />

zu erleichtern, einen <strong>Teil</strong> der Haft im offenen Strafvollzug verbringen zu können. Mit Schreiben vom 18. Januar<br />

2010 hat der Angeklagte den Rechtsmittelverzicht widerrufen <strong>und</strong> erklärt, er habe seiner Verteidigerin telefonisch<br />

mitgeteilt, er sei mit einer Verzichtserklärung durch sie nicht einverstanden. Er habe zur Zeit der Verzichtserklärungen<br />

unter schweren Depressionen gelitten. Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2010 hat ein neuer Verteidiger Revision<br />

eingelegt <strong>und</strong> die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des<br />

Rechtsmittels beantragt. Zur Begründung trägt er vor, der Angeklagte habe der früheren Verteidigerin mitgeteilt,<br />

dass er Revision einlegen wolle. Mit der Erklärung des Rechtsmittelverzichts durch sie habe der Angeklagte nicht<br />

rechnen müssen.<br />

2. Das Rechtsmittel ist unzulässig, weil der Angeklagte vor der Einlegung wirksam darauf verzichtet hat (§ 302 Abs.<br />

1 Satz 1 StPO). Daher ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur<br />

Einlegung des Rechtsmittels gegenstandslos. Der Angeklagte hat selbst <strong>und</strong> durch seine Verteidigerin auf die Einlegung<br />

der Revision verzichtet. Ein Fall des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO, in dem ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen<br />

wäre, liegt nicht vor. Es trifft auch nicht zu, dass der Angeklagte seine Verteidigerin darauf hingewiesen habe, er sei<br />

mit einer Verzichtserklärung durch sie nicht einverstanden; denn er hat mit einem weiteren Schreiben vom 12. Januar<br />

2010 seine Verteidigerin davon unterrichtet, dass er "mit dem Urteil einverstanden" sei, sich auch "in der Hoffnung"<br />

auf eine "Therapiechance" selbst "zum Strafantritt stellen" wolle <strong>und</strong> sie in seinem Interesse handeln solle. Danach<br />

besteht kein Zweifel daran, dass der Angeklagte zunächst auf die Rechtsmitteleinlegung verzichten wollte <strong>und</strong> seine<br />

Verteidigerin zu einer entsprechenden Erklärung gegenüber dem Gericht ermächtigt hat. Gründe für die Annahme,<br />

dass der Angeklagte dabei nicht verhandlungsfähig gewesen sei, bestehen nicht. Eine emotionale Aufgewühltheit<br />

stellt die Wirksamkeit der Prozesserklärung nicht in Frage (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 302 Rn. 8a). Gleiches<br />

gilt jedenfalls hier für eine depressive Verstimmung im Rahmen der dem Angeklagten nachträglich attestierten<br />

bipolaren affektiven Störung. Die jeweils dem Gericht <strong>und</strong> der Verteidigerin vom Angeklagten selbst mitgeteilte<br />

Begründung für seinen Verzichtswillen lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass er nicht in der Lage war, die Bedeutung<br />

des Rechtsmittelverzichts zu erkennen <strong>und</strong> verantwortlich darüber zu entscheiden. Der wirksam erklärte<br />

Rechtsmittelverzicht ist unwiderruflich <strong>und</strong> unanfechtbar; ein Ausnahmefall (vgl. BGHSt 46, 257, 258) liegt nicht<br />

vor. Das später eingelegte Rechtsmittel ist daher als unzulässig zu verwerfen.<br />

StPO § 302 <strong>Teil</strong>anfechtung nur wegen unterbliebener Kompensation<br />

BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 2 StR 563/10 - BeckRS 2011, 02144<br />

Eine unterbliebene Kompensation kann isoliert mit der Revision angefochten werden, wenn die<br />

rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils <strong>und</strong> Zurückverweisung<br />

durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof eingetreten ist, ohne dass das Rechtsmittel sich zugleich<br />

gegen den Schuldspruch oder gegen den Rechtsfolgenausspruch richten muss.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 7. Juni 2010 wird als unzulässig<br />

verworfen.<br />

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Aachen hatte den Angeklagten am 10. Dezember 2008 wegen schweren sexuellen Missbrauchs<br />

einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt <strong>und</strong> seine Unterbringung in<br />

einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf seine Revision hatte der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 26. August<br />

2009 (2 StR 302/09) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben <strong>und</strong> die Sache im Umfang<br />

der Aufhebung zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Das Landgericht hat nunmehr von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen.<br />

Mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet der Angeklagte<br />

297


nunmehr, dass das Landgericht es rechtsfehlerhaft abgelehnt habe, wegen einer nach Aufhebung durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen <strong>Teil</strong> der bereits rechtskräftigen Strafe<br />

für vollstreckt zu erklären. Die Nichtanordnung der Unterbringung hat der Angeklagte von seinem Revisionsangriff<br />

ausdrücklich ausgenommen. Die Revision war auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts im Ergebnis als unzulässig zu<br />

verwerfen.<br />

1. Das Rechtsmittel ist allerdings entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts nicht bereits deshalb unzulässig,<br />

weil es sich weder gegen den Schuldspruch noch gegen den Rechtsfolgenausspruch im eigentlichen Sinne richtet.<br />

Zulässiges Ziel der Revision kann es vielmehr auch sein, wenn der Beschwerdeführer - wie hier - allein die Kompensation<br />

einer nach Aufhebung der erstinstanzlichen Verurteilung <strong>und</strong> Zurückverweisung durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung begehrt. Dies folgt aus Sinn <strong>und</strong> Zweck sowie systematischer<br />

Stellung der so genannten Vollstreckungslösung, welche die frühere Strafabschlagslösung abgelöst hat (BGHSt<br />

52, 124). Bei der Vollstreckungslösung wird der Ausgleich für einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot aus<br />

dem Vorgang der Strafzumessung herausgelöst, bleibt aber <strong>Teil</strong> des Rechtsfolgenausspruchs im weiteren Sinne (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 22. November 2010 - 5 StR 489/10). Sie konstituiert die notwendige Kompensation für rechtsstaatswidrige<br />

Verzögerungen des zugr<strong>und</strong>e liegenden Verfahrens als eigenständigen, allein an den Maßstäben des<br />

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK orientierten Prüfungsvorgang, der Unrecht, Schuld- <strong>und</strong> Strafhöhe unberührt lässt. Ein<br />

erklärtes Ziel der Vollstreckungslösung ist es, auf diese Weise in allen Fällen konventionswidriger Verfahrensverzögerungen<br />

einen Ausgleich zu ermöglichen (BGH aaO 129 Tz 15). Daraus ergibt sich, das eine unterbliebene Kompensation<br />

isoliert mit der Revision angefochten werden kann, wenn die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils <strong>und</strong> Zurückverweisung durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof eingetreten ist,<br />

ohne dass das Rechtsmittel sich zugleich gegen den Schuldspruch oder gegen den Rechtsfolgenausspruch richten<br />

muss.<br />

2. Das Rechtsmittel ist jedoch aus den anderen in der Zuschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts genannten Gründen unzulässig.<br />

Die für die Geltendmachung einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes gr<strong>und</strong>sätzlich erforderliche Verfahrensrüge<br />

(vgl. BGH StV 2009, 118; NJW 2007, 2647) ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer die die Verzögerung<br />

begründenden Tatsachen nur unvollständig mitteilt. Sie wäre entsprechend den zutreffenden Ausführungen des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts auch unbegründet, weil unter Würdigung des Verfahrensgangs nach Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung<br />

eine rechtsstaatswidrige, kompensationspflichtige Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht vorliegt.<br />

Soweit die Revision im Übrigen allgemein auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, ist sie<br />

unzulässig, weil sie kein auf den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch im engeren Sinn bezogenes Ziel mehr verfolgt.<br />

StPO § 333 Revision, begrenzte Prüfungspflicht auch für Verjährung<br />

BGH, Beschl. v. 29.09.2010 - 5 StR 146/10 (alt: 5 StR 93/08)<br />

Allein das Wiederaufnahmeverfahren ist geeignet, im Revisionsverfahren nicht mehr zu beachtende<br />

neue Tatsachen zu berücksichtigen, nach denen sich die prozessuale Tat als verjährt darstellen<br />

könnte.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 15. Oktober 2009 wird nach § 349<br />

Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Lediglich<br />

ergänzend bemerkt der Senat: Die von der Revision für die Fälle IV.1 <strong>und</strong> 3 der Urteilsgründe erstrebte <strong>Teil</strong>einstellung<br />

des Verfahrens (§ 206a StPO) wegen Eintritt der absoluten Verjährung vor der Eröffnungsentscheidung (§<br />

78c Abs. 3 Satz 2, § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 <strong>StGB</strong>) kommt nicht in Betracht. Aufgr<strong>und</strong> der Revisionsentscheidung<br />

des Senats vom 21. Mai 2008 sind der Schuldspruch <strong>und</strong> die Einzelstrafen rechtskräftig geworden. Der Wegfall der<br />

Einzelstrafe im Fall IV.2 wegen Eintritts der absoluten Verjährung führte dazu, dass das Landgericht im zweiten<br />

Urteil lediglich noch eine neue Gesamtstrafe zu bilden hatte; auszugehen war dabei von den Einzelstrafen, die im<br />

ersten Urteil für sämtliche übrigen Fälle festgesetzt worden waren. Nach der vorgenannten Senatsentscheidung steht<br />

mit bindender Wirkung für das weitere Verfahren – einschließlich des anhängigen Revisionsverfahrens – fest (§ 358<br />

Abs. 1 StPO), dass das Verfahrenshindernis der absoluten Verfolgungsverjährung für sämtliche durch den Senat<br />

nicht nach § 206a StPO eingestellten Fälle nicht entstanden war. Allein das Wiederaufnahmeverfahren ist geeignet,<br />

im Revisionsverfahren nicht mehr zu beachtende neue Tatsachen zu berücksichtigen, nach denen sich die prozessuale<br />

Tat als verjährt darstellen könnte (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 359 Rdn. 22).<br />

298


StPO § 337 Beruhen verneint trotz zweier Verfahrensfehler<br />

BGH, Beschl. v. 03.03.2011 - 3 StR 34/11 - BeckRS 2011, 06571<br />

1. Hat der Tatrichter Zweifel an der Glaubhaftigkeit einzelner <strong>Teil</strong>e einer Zeugenaussage, so muss<br />

er dem Revisionsgericht die Überprüfung ermöglichen, ob seine Annahme, dies lasse deren Beweiswert<br />

im Übrigen unberührt <strong>und</strong> stelle deren Tauglichkeit nicht insgesamt in Frage, auf rechtsfehlerfreien<br />

Erwägungen beruht.<br />

2. Allein das Vorliegen eines Ausschlussgr<strong>und</strong>es nach § 168c Abs. 3 StPO macht die Benachrichtigung<br />

des Beschuldigten vom Termin zur richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen<br />

nicht entbehrlich, denn sie dient der Wahrung seiner Rechte auch über ein Ermöglichen<br />

des Erscheines hinaus.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 3. März 2011 einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des<br />

Landgerichts Oldenburg vom 23. September 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils<br />

auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die der Nebenklägerin im<br />

Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

bemerkt der Senat: Soweit das Landgericht seine Überzeugung, der Angeklagte habe sich vor dem Haftrichter<br />

wahrheitsgemäß eingelassen, auch mit dem Inhalt der Aussage der Geschädigten bei ihrer Vernehmung durch<br />

den Zeugen Richter am Amtsgericht S. begründet, ist das Urteil nicht frei von Rechtsfehlern.<br />

1. Die Beweiswürdigung begegnet bereits sachlich-rechtlichen Bedenken. Sachverständig beraten hat das Landgericht<br />

die Geschädigte für glaubwürdig <strong>und</strong> ihre vom Zeugen wiedergegebene Aussage für glaubhaft erachtet.<br />

Gleichwohl hat es sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte mit der Geschädigten - wie von ihr<br />

geschildert - auch in den Fällen II. 2. <strong>und</strong> 3. der Urteilsgründe den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog (UA S. 17).<br />

Weshalb es den Angaben der Geschädigten in diesen Fällen nur teilweise, im Falle II. 1. dagegen insgesamt gefolgt<br />

ist, legt es nicht dar. Diesen Widerspruch aufzulösen hätte es sich indes veranlasst sehen müssen. Hat der Tatrichter<br />

Zweifel an der Glaubhaftigkeit einzelner <strong>Teil</strong>e einer Zeugenaussage, so muss er dem Revisionsgericht die Überprüfung<br />

ermöglichen, ob seine Annahme, dies lasse deren Beweiswert im Übrigen unberührt <strong>und</strong> stelle deren Tauglichkeit<br />

nicht insgesamt in Frage, auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht.<br />

2. Darüber hinaus rügt die Revision zu Recht, dass das Landgericht diese Aussage nach § 252 StPO nicht hätte verwerten<br />

dürfen. Die Geschädigte hat in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr.<br />

3 StPO) Gebrauch gemacht. Der Behandlung ihrer Vernehmung durch Richter am Amtsgericht S. als richterliche -<br />

<strong>und</strong> damit dessen Vernehmung zum Inhalt der Aussage - steht entgegen, dass der Beschwerdeführer von dem Termin<br />

nicht gemäß § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO benachrichtigt worden ist; Raum für eine Abwägung, ob die Umstände des<br />

Einzelfalles die Annahme eines Verwertungsverbots gebieten, verbleibt in einem solchen Falle nicht (vgl. Meyer-<br />

Goßner, StPO, 53. Aufl., § 168c Rn. 6 mwN). Allein das Vorliegen eines Ausschlussgr<strong>und</strong>es nach § 168c Abs. 3<br />

StPO macht die Benachrichtigung des Beschuldigten vom Termin zur richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder<br />

Sachverständigen nicht entbehrlich, denn sie dient der Wahrung seiner Rechte auch über ein Ermöglichen des Erscheinens<br />

hinaus (LR-Erb, StPO, 26. Aufl., § 168c Rn. 37). Ob etwas anderes dann gilt, wenn der Beschuldigte bereits<br />

ausgeschlossen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1982 - 2 StR 434/82, BGHSt 31, 140, 142),<br />

kann offen bleiben. Dass nicht nur die Anwesenheit des Beschwerdeführers bei der Vernehmung, sondern auch<br />

schon dessen Benachrichtigung vom Termin den Untersuchungserfolg gefährdet hätte (§ 168c Abs. 5 Satz 2 StPO),<br />

legt das Landgericht in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss nicht dar.<br />

3. Der Senat schließt indes aus, dass das Urteil auf diesen Rechtsfehlern beruht, denn das Landgericht stützt sich bei<br />

seiner Würdigung der Beweise in erster Linie auf das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren.<br />

Der Aussage der Geschädigten misst es demgegenüber ersichtlich keine entscheidende Bedeutung bei. Der<br />

Schriftsatz des Verteidigers vom 2. März 2011 hat dem Senat vorgelegen.<br />

299


StPO § 338 Nr. 1 Besetzungsfehler: Schöffe kann nicht deutsch<br />

BGH, Urt. v. 26.01.2011 – 2 StR 338/10- HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 433<br />

Ein Schöffe, der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, kann an einer Hauptverhandlung<br />

in Strafsachen nicht als Laienrichter teilnehmen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2011 für Recht erkannt: Auf die Revisionen<br />

der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben<br />

<strong>und</strong> die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten K. <strong>und</strong> G. wegen besonders schweren Raubs jeweils zu einer Freiheitsstrafe<br />

von vier Jahren, den Angeklagten A. wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub zu einer Freiheitsstrafe von<br />

einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts<br />

gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg, da die Strafkammer<br />

nicht vorschriftsmäßig besetzt war.<br />

1. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Vor Beginn der Hauptverhandlung teilte die Schöffin S. dem<br />

Landgericht mit, sie wolle von ihrem Schöffenamt zurücktreten, da sie „sehr schlecht deutsch“ könne. Am 8. Oktober<br />

2009 führt die Vorsitzende der Strafkammer ein Telefonat mit der Schöffin. Sie vermerkt, diese habe sehr gebrochen<br />

deutsch gesprochen <strong>und</strong> das Telefon wegen Verständigungsschwierigkeiten an eine Kollegin weitergereicht.<br />

Den Antrag der Schöffin, sie von der Schöffenliste zu streichen, wies das Landgericht durch Beschluss vom 9. Oktober<br />

2009 zurück, da ein gesetzlicher Gr<strong>und</strong> nicht gegeben sei. In der Hauptverhandlung war die Kammer mit S. als<br />

nach der Schöffenliste zuständigen Schöffin besetzt. An sämtlichen Hauptverhandlungstagen nahm eine Dolmetscherin<br />

für die russische Sprache, die für die Schöffin herangezogen worden war, an der Sitzung teil. Sie war auch bei<br />

allen Beratungen der Kammer einschließlich der Urteilsberatung anwesend. Vor Vernehmung der Angeklagten zur<br />

Sache erhoben deren Verteidiger jeweils einen Besetzungseinwand, mit dem sie beanstandeten, die mangelnden<br />

Deutschkenntnisse der Schöffin S. begründeten deren Unfähigkeit zum Führen des Schöffenamts. Durch Beschluss<br />

vom 28. Oktober 2009 hat die Kammer den Einwand zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Fall<br />

eines der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Richters sei gesetzlich nicht geregelt. Es sei daher davon<br />

auszugehen, dass dieser Richter an der Ausübung des Amts nicht gehindert sei; die Hinzuziehung eines Dolmetschers<br />

sei deshalb zulässig <strong>und</strong> geboten.<br />

2. Die Rüge hat Erfolg weil die Schöffin aufgr<strong>und</strong> ihrer unzureichenden Deutschkenntnisse an der Verhandlung nicht<br />

teilnehmen durfte, so dass die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt war, § 338 Nr. 1 StPO.<br />

a) Es ist anerkannt, das Mängel in der Person eines Richters oder Schöffen, die seine Unfähigkeit zur <strong>Teil</strong>nahme an<br />

Verhandlungen begründen, zu einer vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung i.S.v. § 338 Nr. 1 StPO führen (Meyer-<br />

Goßner StPO 53. Aufl. § 338 Rn. 10; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht 26. Aufl. § 46 Rn. 36). So ist, obwohl<br />

dies gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist, ein hör- oder sprechunfähiger Richter regelmäßig nicht fähig, an Verhandlungen<br />

teilzunehmen. Dies folgt aus dem die Hauptverhandlung beherrschenden Gr<strong>und</strong>satz der Mündlichkeit,<br />

der die Fähigkeit voraussetzt, Gesprochenes akustisch wahrzunehmen <strong>und</strong> sich in dem durch Rede <strong>und</strong> Gegenrede<br />

gekennzeichneten Gang der Hauptverhandlung mündlich zu äußern (vgl. BGHSt 4, 191, 193; Kuckein in Karlsruher<br />

Kommentar 6. Aufl. § 338 Rn. 50; Pfeiffer StPO 5. Aufl. § 338 Rn. 10). Nach ständiger Rechtssprechung kann auch<br />

ein blinder Richter nicht an einer tatrichterlichen Hauptverhandlung in Strafsachen mitwirken, da dies gegen den<br />

Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satz verstößt (BGHSt 4, 191, 193 f.; 34, 236, 238; 35, 164, 166). Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

hat die Streichung eines blinden Schöffen von der Schöffenliste unter Hinweis auf den strafprozessualen Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />

als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden angesehen (vgl. BVerfG Beschl. v. 7. November<br />

1989 – 2 BvR 467/89; BVerfG NJW 2004, 2150).<br />

b) Entsprechendes gilt für einen Schöffen, der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist.<br />

aa) Bis zum 29. Juli 2010 war die Frage der Notwendigkeit einer Sprachkompetenz von Schöffen gesetzlich nicht<br />

geregelt, so dass insoweit eine Gesetzeslücke bestand. § 31 Satz 2 GVG regelt ausdrücklich nur, dass das Schöffenamt<br />

„nur von Deutschen“ versehen werden kann. Die deutsche Staatsangehörigkeit setzt aber nicht notwendig die<br />

Beherrschung der deutschen Sprache voraus. Höchstrichterlich war die Frage, ob ein sprachunk<strong>und</strong>iger Schöffe<br />

gehindert ist, an Verhandlungen teilzunehmen, nicht entschieden; in der Literatur wurde sie kontrovers diskutiert.<br />

Von der Instanzrechtsprechung <strong>und</strong> <strong>Teil</strong>en der Literatur wurde vertreten, dass fehlende Sprachkenntnisse die Unfä-<br />

300


higkeit eines Schöffen zum Führen dieses Amts begründeten (so LG Bochum NJW 2005, 3227; LG Berlin, Beschl.<br />

v. 2. November 2005, Az. 501 Schöff 271/04; LG Bielefeld Beschl. v. 16. März 2006, Az. 3221b E H 68; Meyer-<br />

Goßner StPO 53. Aufl. § 31 Rn. 3; Eberhard Schmidt Lehrkommentar zur StPO <strong>und</strong> zum GVG § 31 Rn. 4; Degener<br />

in SK-StPO § 31 GVG Rn. 5). Die Gegenauffassung (Katholnigg Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl. § 31 GVG<br />

Rn. 3; Kissel/Mayer GVG 6. Aufl. § 31 GVG Rn. 11 sowie § 193 Rn. 20; Pfeiffer StPO 4. Aufl. § 31 GVG Rn. 3;<br />

zweifelnd Siolek in Löwe-Rosenberg StPO 25. Aufl. § 193 GVG Rn. 29; in diese Richtung auch Hannich in Karlsruher<br />

Kommentar 6. Aufl. § 31 GVG Rn. 2) berief sich auf eine Entscheidung des Reichsgerichts (RGSt 30, 399,<br />

400) aus dem Jahr 1898, die sich auf Geschworene im Sinne der damaligen Gerichtsverfassung bezog <strong>und</strong> annahm,<br />

das Gesetz lasse eine Anfechtung des Spruchs der Geschworenen nicht deshalb zu, weil einer der Geschworenen<br />

wegen Mängel der erforderlichen geistigen Fähigkeiten, Unaufmerksamkeit oder mangelhafter Kenntnis der deutschen<br />

Sprache zur pflichtgemäßen Abgabe des Spruchs nicht imstande gewesen sei.<br />

bb) Der Gesetzgeber hat das Bedürfnis gesehen, diese Rechtsfrage einer Klärung zuzuführen; er hat durch das Vierte<br />

Gesetz zur Änderung des Gerichstverfassungsgesetzes vom 24. Juli 2010 (BGBI. I S. 976) erstmals eine Regelung<br />

zur notwendigen Sprachkompetenz von Schöffen geschaffen. § 33 Nr. 5 GVG in der ab 30. Juli 2010 geltenden Fassung<br />

sieht vor, dass „Personen, die mangels ausreichender Beherrschung der deutschen Sprache für das Amt nicht<br />

geeignet sind“, zum Schöffenamt nicht berufen werden sollen (vgl. schon Gesetzentwurf des B<strong>und</strong>esrates, BT-<br />

Drucks. 15/5950). Wird gegen die Soll-Vorschrift des § 33 GVG verstoßen, ist der Schöffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2<br />

GVG von der Schöffenliste zu streichen. Zwar handelt es sich bei § 33 GVG um eine bloße Ordnungsvorschrift; aus<br />

einem Verstoß hiergegen ergibt sich nicht schon ohne Weiteres eine gesetzwidrige Besetzung (BGHSt 30, 255, 257;<br />

33, 261, 269). Der Besetzungseinwand greift vielmehr nur durch, wenn der der Ungeeignetheit i.S.v. § 33 GVG<br />

zugr<strong>und</strong>e liegende Umstand die Unfähigkeit des Schöffen begründet, der Verhandlung zu folgen. Die Neuregelung<br />

in § 33 Nr. 5 GVG <strong>und</strong> die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 17/2350) lassen aber den eindeutigen Willen des Gesetzgebers<br />

erkennen, dass nicht hinreichend sprach-k<strong>und</strong>ige Schöffen dieses Amt nicht ausüben sollen. Der Umstand,<br />

das der Gesetzgeber auf die Anordnung einer rückwirkenden Anwendung von § 33 Nr. 5 GVG auf am 30. Juli<br />

2010 bereits anhängige Verfahren verzichtet hat, beruht auf der Zielsetzung, diese Prozesse nach alter Rechtslage<br />

abschließen zu können. Sie bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber für die Zeit vor Inkrafttreten des § 33 Nr. 5 GVG<br />

die Erforderlichkeit der Sprachkompetenz von Schöffen abweichend hätte beurteilen wollen.<br />

cc) Der Senat bejaht die Erforderlichkeit einer hinreichenden Sprachkompetenz bei Schöffen auch für die Rechtslage<br />

vor der Neuregelung in § 33 Nr. 5 GVG. Der in der Strafprozessordnung verankerte Verfahrensgr<strong>und</strong>satz der Unmittelbarkeit<br />

(§§ 261, 264 StPO) verlangt, dass das Urteil auf einer umfassenden Würdigung der unmittelbar vor dem<br />

erkennenden Gericht erhobenen Beweise beruht. Hierzu ist erforderlich, dass der erkennende Tatrichter Prozessabläufe<br />

akustisch <strong>und</strong> optisch wahrnehmen <strong>und</strong> verstehen <strong>und</strong> sich unmittelbar - ohne Zuhilfenahme von Sprachmittlern<br />

- mit den übrigen Verfahrensbeteiligten in der Gerichtssprache - diese ist gemäß § 184 Satz 1 GVG deutsch -<br />

verständigen kann. Hieraus folgt, dass sämtliche Richter der deutschen Sprache mächtig sein müssen. § 186 GVG<br />

regelt folgerichtig die Verständigung des Gerichts mit hör- <strong>und</strong> sprachbehinderten Personen, nicht aber umgekehrt<br />

die Verständigung bei Vorliegen einer entsprechenden Behinderung auf Seiten eines Richters. Soweit § 185 GVG<br />

die Hinzuziehung eines Dolmetschers für den Fall bestimmt, dass „unter Beteiligung“ von Personen verhandelt wird,<br />

die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, ergibt die systematische Stellung der Vorschrift, dass diese nicht den<br />

Fall eines sprachunk<strong>und</strong>igen Richters regelt. Für das aus dem Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satz abzuleitende Erfordernis<br />

einer Kommunikation der Kollegialrichter untereinander in der Gerichtssprache sprechen auch Sinn <strong>und</strong> Zweck des §<br />

193 GVG. Dieser benennt in Abs. 1 <strong>und</strong> 2 die Personen, die an einer Beratung <strong>und</strong> Abstimmung teilnehmen dürfen,<br />

abschließend. Wie das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht ausgeführt hat, enthält § 193 GVG ein gesetzgeberisches Leitbild,<br />

wonach die richterliche Meinungsbildung in Gremien nur den zugehörigen Gremienmitgliedern zur Kenntnis zu<br />

gelangen habe; hiervon ist die Öffentlichkeit gr<strong>und</strong>sätzlich ausgeschlossen. Dies erst erlaubt eine unbeeinflusste, sich<br />

in freier Rede <strong>und</strong> Gegenrede entwickelnde Meinungsbildung (BVerfG, Beschl. v. 28. November 2007 - 2 BvR<br />

1431/07 Rn. 15). § 193 GVG dient dem Schutz des Beratungsgeheimnisses gemäß §§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG <strong>und</strong><br />

damit nach ständiger Rechtsprechung auch der Unabhängigkeit der Gerichte (vgl. BGHSt 41, 119, 121). Die Vorschrift<br />

hat daher eine hohe Bedeutung für die Umsetzung des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG <strong>und</strong> den<br />

Schutz der Strafrechtspflege; sie ist eng auszulegen. Sprachunk<strong>und</strong>igkeit eines erkennenden Richters ist daher im<br />

Ergebnis dem Fall der Unfähigkeit zum Sprechen oder Sehen gleichzusetzen. Zwar kann ein sprachunk<strong>und</strong>iger<br />

Schöffe Prozessvorgänge gr<strong>und</strong>sätzlich akustisch wahrnehmen <strong>und</strong> mit Hilfe eines Dolmetschers auch mit den Prozessbeteiligten<br />

kommunizieren. Es ist ihm allerdings nicht möglich, sich mit den übrigen Richtern unmittelbar zu<br />

verständigen. Er kann daher an einer Hauptverhandlung in Strafsachen nicht als Laienrichter teilnehmen. Dies hat<br />

301


der Gesetzgeber des Vierten Änderungsgesetzes zum GVG klargestellt. Da die Rüge des Verstoßes gegen § 338 Nr.<br />

1 StPO durchgreift, kommt es auf die gesondert erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 193 GVG nicht mehr an.<br />

StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Vortrag zum Beruhen?<br />

BGH, Beschl v. 15.03.2011 – 1 StR 33/11<br />

Sowenig ein Revisionsführer in der Regel zum Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler<br />

vortragen muss - mag auch solcher Vortrag je nach Fallgestaltung zweckmäßig sein,<br />

so wenig ist eine Rüge deshalb nicht zulässig erhoben, weil Tatsachen, die gegen ein Beruhen sprechen<br />

könnten, nicht vorgetragen sind. Der unterbliebene Vortrag hierzu ist nicht mit dem je nach<br />

den Umständen des Falles erforderlichen Vortrag zu "rügevernichtenden Umständen" oder "Negativtatsachen"<br />

zu vergleichen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat<br />

die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier<br />

Fällen (bezogen auf Heroingemische mit einem Wirkstoffgehalt von in einem Fall 27 %, in den anderen Fällen von<br />

mindestens jeweils 30 %, in einem Fall etwas höher, im Gewicht zwischen etwa 300 g <strong>und</strong> 550 g) <strong>und</strong> einem Fall des<br />

Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (bezogen auf ein Kokaingemisch von 300 g mit einem<br />

Wirkstoffgehalt von mindestens 30 %) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen<br />

<strong>und</strong> die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Für die - nach forensischer Erfahrung ohnehin ziemlich fern liegende - Behauptung, entgegen § 226 StPO sei am<br />

zweiten Verhandlungstag kein Protokollführer anwesend gewesen (§ 338 Nr. 5 StPO), gibt es keine nachvollziehbaren<br />

Anhaltspunkte. Das Hauptverhandlungsprotokoll beweist das Gegenteil. Danach wurde die unterbrochene<br />

Hauptverhandlung „in gleicher Besetzung wie Bl. 2 des Protokolls fortgesetzt“. Bl. 2 ergibt, dass am ersten Hauptverhandlungstag<br />

Justizangestellte M. als Protokollführerin mitgewirkt hat. Die Revision, die diesen Hinweis für nicht<br />

„ausreichend“ hält, verkennt offenbar, dass bei Fortsetzungsterminen die Namen der gemäß § 272 Nr. 2 StPO im<br />

Protokoll zu nennenden Verfahrensbeteiligten nicht wiederholt werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2001<br />

- 3 StR 462/00, BGHR StPO § 274 Beweiskraft 24; KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 272 Rn. 2). Ebenso wenig wie<br />

der genannte Hinweis spricht der von der Revision für auch nicht ausreichend gehaltene, nach ihrer Bewertung „unleserliche<br />

Namenszug“ am Ende des Protokolls von diesem Verhandlungstag dafür, dass ihre Behauptung der Wahrheit<br />

entspräche. Abgesehen davon, dass die allein behauptete bloße Unleserlichkeit einer Unterschrift rechtlich ohnehin<br />

bedeutungslos ist (vgl. zur Unterschrift eines Richters unter einem Urteil BGH, Beschluss vom 30. August 1988 -<br />

1 StR 377/88, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 1; zur Unterschrift eines Verteidigers unter einer Revisionsbegründung<br />

BGH, Urteil vom 7. Januar 1959 - 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317, 319), spräche eine solche Unterschrift<br />

unter einem Protokoll offensichtlich nicht dafür, dass der Eindruck erweckt werden soll, es sei eine in Wirklichkeit<br />

abwesende Person bei der Protokollierung anwesend gewesen. Darauf, dass, so der Generalb<strong>und</strong>esanwalt,<br />

die Unterschrift von Frau M. durchaus lesbar ist, kommt es daher nicht mehr an.<br />

2. Am 22. März 2010 wies die Strafkammer durch ein Vorsitzendenschreiben an die Verteidiger auf ihre Auffassung<br />

hin, dass die Angaben des Angeklagten „keine Einlassung im Sinne einer Verständigung“ seien; deshalb sei die<br />

Strafkammer „nicht an (…) Zusagen über bestimmte Freiheitsstrafen geb<strong>und</strong>en“. Im nächsten Hauptverhandlungstermin<br />

wurde der Angeklagte befragt, „ob die bisherigen Aussagen aufrechterhalten (blieben) oder nicht“. Im Falle<br />

der Bestätigung „ohne den Hintergr<strong>und</strong> einer möglichen Verständigung“ stehe § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ihrer Verwertung<br />

nicht entgegen. In der Hauptverhandlung vom 30. März 2010 wurde dieser Brief verlesen <strong>und</strong> der Angeklagte<br />

wie angekündigt befragt. Er erklärte, so auch die Revision, „dass es bei seinen bisherigen Angaben verbleibe<br />

<strong>und</strong> er diese weiterhin zum Inhalt seiner Einlassung macht“.<br />

a) Hierauf gestützt meint die Revision zunächst, eine Loslösung von einer früheren Zusage müsse in Form eines<br />

Beschlusses geschehen (so auch Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren,<br />

§ 257c StPO Rn. 113). Ob dies zwingend oder nur zweckmäßig ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., §<br />

257c StPO Rn. 29 „am besten in Form eines Beschlusses“), mag dahinstehen, da die Verlesung des Briefes der Sache<br />

302


nach die Verkündung eines Beschlusses ist. Der Umstand, dass dies schon zuvor den Verteidigern - letztlich um aus<br />

Gründen der Fürsorgepflicht eine Vorbereitung auf das für den nächsten Hauptverhandlungstag vorgesehene Geschehen<br />

zu ermöglichen - in Form eines Briefs angekündigt wurde <strong>und</strong> dieser Brief dann nicht umformuliert <strong>und</strong><br />

ausdrücklich als Beschluss bezeichnet wurde, ändert daran nichts. An der in einer derartigen Verfahrenslage entscheidenden<br />

Rechtsklarheit für die Beteiligten (Niemöller aaO) können hier keine Zweifel bestehen.<br />

b) Insbesondere ergibt sich aus diesem Beschluss (Brief) mit gebotener Klarheit, dass die Strafkammer frühere Aussagen<br />

für unverwertbar hielt <strong>und</strong> sie nur im Falle einer bestätigenden Wiederholung berücksichtigen würde, die in<br />

Kenntnis des Umstandes, dass eine Vereinbarung nicht mehr im Raum steht, erklärt worden ist. Im Blick auf diese<br />

vorangegangene eingehende <strong>und</strong> präzise Belehrung bestehen auch unter Berücksichtigung des gesamten hierauf<br />

bezogenen Revisionsvorbringens gegen die Verwertung der Aussagen vom 30. März 2010 keine rechtlichen Bedenken.<br />

Die vorangegangenen Aussagen hat die Strafkammer entsprechend ihrer Ankündigung nicht verwertet, anderes<br />

behauptet auch die Revision nicht. Daher kann auf sich beruhen, dass, so die Revision, der Angeklagte vor Abgabe<br />

dieser dann nicht verwerteten Aussagen nicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war. Es ist im Blick auf das<br />

nachfolgende Verfahrensgeschehen nicht erkennbar, wie sich ein solcher Verfahrensverstoß noch ausgewirkt haben<br />

könnte.<br />

3. Insbesondere hinsichtlich der festgestellten Bandenabrede haben Erkenntnisse aus im Lauf des Ermittlungsverfahrens<br />

angefallenen Überwachungsprotokollen Bedeutung. Über einen <strong>Teil</strong> dieser Protokolle wurde in der Hauptverhandlung<br />

Beweis erhoben, hinsichtlich eines anderen näher gekennzeichneten <strong>Teil</strong>s wurde ein Selbstleseverfahren<br />

angeordnet. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung stellte der Vorsitzende nach dessen Abschluss fest,<br />

dass die Schöffen Gelegenheit zur Kenntnisnahme der genannten Urk<strong>und</strong>en hatten. Hierauf gestützt macht die Revision<br />

geltend, die in Rede stehenden Urk<strong>und</strong>en, die, wie sie behauptet, aber nicht näher ausführt, in das Urteil eingeflossen<br />

seien, seien nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden.<br />

a) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen nicht.<br />

(1) Allerdings wurde die genannte Feststellung in der Hauptverhandlung vom 20. Juli 2010 getroffen, nicht, so aber<br />

die Revision, im Termin vom 13. Juli 2010. Dies ist unschädlich, da es auf den exakten Zeitpunkt in der Hauptverhandlung<br />

hier nicht ankommt. Da zur Glaubhaftmachung einer geltend gemachten Verfahrensrüge Beweismittel, wie<br />

etwa Aktenstellen, überhaupt nicht angegeben werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR<br />

298/06, BGH StV 2007, 569), führt auch die Angabe einer falschen Aktenstelle als Beleg für einen tatsächlich geschehenen,<br />

aus einer anderen Stelle der Akten ersichtlichen Vorgang nicht dazu, dass die entsprechende Rüge nicht<br />

zulässig erhoben wäre. Gleichwohl bemerkt der Senat, dass der entsprechende Hinweis in der Revisionsgegenerklärung<br />

der Staatsanwaltschaft sachgerecht ist, da er die Überprüfung der tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen des Revisionsvorbringens<br />

erleichtert hat.<br />

(2) Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat erwogen, ob die in Rede stehende Feststellung <strong>Teil</strong> der Durchführung des Selbstleseverfahrens<br />

sei. Dann sei, so folgert er aus dem Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2010 (1 StR 422/10), die<br />

Rüge unzulässig, da der Angeklagte nach der genannten Feststellung durch den Vorsitzenden keine Entscheidung des<br />

gesamten Spruchkörpers herbeigeführt hätte. Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass die Feststellungen, die<br />

nach Ab-schluss der Durchführung des Selbstleseverfahrens hierüber zu treffen sind, <strong>Teil</strong> der Durchführung dieses<br />

Verfahrens sind. Im Übrigen lag jener Entscheidung zu Gr<strong>und</strong>e, dass erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht<br />

wurde, aus in der Person des Angeklagten liegenden Gründen hätte kein Selbstleseverfahren an-geordnet<br />

<strong>und</strong>/oder so, wie geschehen, durchgeführt werden dürfen. Mit dem hier vorliegenden Fall, dass sich der Angeklagte<br />

gegen die für ihn nur aus dem Protokoll ersichtliche Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens durch die Richter<br />

wendet, ist jener Fall auch <strong>und</strong> gerade im Blick auf eine Notwendigkeit, schon in der Hauptverhandlung vorgesehene<br />

Möglichkeiten zu nutzen, auf die Beseitigung von dann im Revisionsverfahren geltend gemachter Fehler hinzuwirken,<br />

nicht vergleichbar.<br />

(3) Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge auch deshalb geltend gemacht, weil die<br />

Revision nicht vorträgt, dass für zahlreiche Überwachungsprotokolle nicht das Selbstleseverfahren angeordnet wurde,<br />

sondern hierüber in der Hauptverhandlung Beweis erhoben wurde. Daher könne der Senat den Einfluss der Verlesung<br />

der nicht mitgeteilten Protokolle auf die Überzeugungsbildung der Kammer nicht prüfen. Der Senat teilt diese<br />

Bedenken nicht. Aus den nicht vorgetragenen Beweiserhebungen können sich möglicherweise Gesichtspunkte dafür<br />

ergeben, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Fehler nicht beruhen kann. Sowenig ein Revisionsführer in der<br />

Regel zum Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler vortragen muss - mag auch solcher<br />

Vortrag je nach Fallgestaltung zweckmäßig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; BGH<br />

bei Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1, 3 Nr. 4 jew. mwN) -, so wenig ist eine Rüge deshalb nicht zulässig erhoben,<br />

weil Tatsachen, die gegen ein Beruhen sprechen könnten, nicht vorgetragen sind. Der unterbliebene Vortrag hierzu<br />

303


ist nicht mit dem je nach den Umständen des Falles erforderlichen Vortrag zu „rügevernichtenden Umständen“ (z.B.<br />

der Wiederholung eines <strong>Teil</strong>s der Hauptverhandlung, in dem ein früherer, der Rüge zu Gr<strong>und</strong>e liegender Verfahrensvorgang<br />

wiederholt wurde) oder „Negativtatsachen“ (wenn eine dem geltend gemachten Verfahrensfehler entgegenstehende<br />

Verfahrenslage ernsthaft in Frage kommt) zu vergleichen (vgl. Sander/Cirener aaO Nr. 3c, d; Mosbacher<br />

NStZ 2008, 263 jew. mwN).<br />

b) Der geltend gemachte Rechtsfehler liegt vor. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat in diesem Zusammenhang zutreffend<br />

folgendes ausgeführt: „Die Durchführung eines Selbstleseverfahrens kann als wesentliche Verfahrensförmlichkeit<br />

nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden (§ 274 StPO). Die Feststellung, dass die Schöffen Gelegenheit<br />

hatten, von den im Selbstleseverfahren eingeführten Urk<strong>und</strong>en Kenntnis zu nehmen (Feststellung des Vorsitzenden<br />

in der Hauptverhandlung …), belegt im Umkehrschluss, dass die Berufsrichter diese Gelegenheit nicht<br />

hatten (vgl. BGH wistra 2010, 31). Außerdem genügt, wie die Revision zutreffend bemerkt, die Gelegenheit zur<br />

Kenntnisnahme nur für weitere Verfahrensbeteiligte, für Berufsrichter <strong>und</strong> Schöffen muss [unterschiedslos] die erfolgte<br />

Kenntnisnahme festgestellt werden (§ 249 Abs. 2 Satz 1 StPO)“. Die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden,<br />

wonach „sowohl die Berufsrichter als auch die Schöffen (…) hinsichtlich der Urk<strong>und</strong>en (…) nicht nur Gelegenheit<br />

zur Kenntnisnahme hatten, sondern auch Kenntnis von den Urk<strong>und</strong>en genommen haben“, ist im Ansatz nicht geeignet,<br />

die alleinige Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) in Frage zu stellen. Anhaltspunkte für die Gr<strong>und</strong>lage eines<br />

- zu Recht nicht durchgeführten - Protokollberichtigungsverfahrens (BGH - Großer Senat für Strafsachen -, Beschluss<br />

vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298), also etwa dafür, dass die gebotenen Feststellungen in der<br />

Hauptverhandlung getroffen, aber versehentlich nicht protokolliert wurden, liegen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 8. Juli 2009 - 2 StR 54/09; BGHSt 54, 37; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09 mwN).<br />

c) Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf dem genannten Fehler beruht. In den Urteilsgründen wird in den<br />

unterschiedlichsten Zusammenhängen, insbesondere aber hinsichtlich der strukturellen Verbindung des Angeklagten<br />

mit weiteren Tätern, häufig auf die Aussagen von (etlichen) Polizeibeamten verwiesen, die jeweils im Einzelnen über<br />

ebenfalls geschilderte Einzelerkenntnisse hinaus die Gesamtergebnisse der von ihnen ausgewerteten Überwachungserkenntnisse<br />

dargelegt haben. All dies hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend im Einzelnen dargelegt. Anhaltspunkte<br />

dafür, dass die von der Revision mitgeteilten Überwachungsergebnisse spezielle konkrete Erkenntnisse enthielten,<br />

die, ohne von den insbesondere durch die Polizeibeamten eingeführten Gesamtergebnissen umfasst zu sein, in irgendeinem<br />

Zusammenhang auf die Urteilsfeststellungen Einfluss gewonnen hätten, sind nicht ersichtlich. Auch die<br />

Revision äußert sich hierzu nicht konkret. Dies ist, wie dargelegt, rechtlich nicht geboten. Das Vorbringen ist aber<br />

auch nicht geeignet, das dargelegte Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Beruhensprüfung in Frage zu stellen.<br />

4. Die Sachrüge ist unbegründet. Zum Schuldspruch ist lediglich anzumerken, dass der Angeklagte im Rahmen seiner<br />

Bemühungen, auch noch mit Kokain zu handeln, bereits konkrete Erwerbsvereinbarungen getroffen hatte. Zweifel<br />

an vollendetem Handeltreiben bestehen daher nicht. Der Wirkstoffgehalt, von dem die Strafkammer bei dem nicht<br />

sichergestellten Kokaingemisch von 300 g ausgegangen ist, erscheint sehr gering (vgl. demgegenüber Körner,<br />

BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn.116 ff. mwN). Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist nicht erkennbar. Für<br />

eine Anwendung von § 64 <strong>StGB</strong>, deren Unterlassung den Angeklagten ohnehin nicht beschwert, fehlen, wie die<br />

Strafkammer rechtsfehlerfrei darlegt, die Gr<strong>und</strong>lagen, weil der Angeklagte „bewusst einen weit überhöhten Drogenkonsum<br />

behauptet, um (…) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (...) zu erreichen“.<br />

StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts<br />

BGH, Beschl. v. 20.07.2010 – 3 StR 250/10 - NStZ-RR 2010, 384 (L)<br />

Werden weder im Beweisantrag noch im Ablehnungsbeschluss Aktenbestandteile in Bezug genommen<br />

<strong>und</strong> ergibt sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses bereits aus dessen Begründung in<br />

Verbindung mit den Urteilsgründen, so bedarf es weiterer Darlegungen zur Begründung der Rüge<br />

der Verletzung des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO nicht.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu 3. auf dessen Antrag - am 20. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Januar 2010 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben<br />

a) im Fall II. 1 der Urteilsgründe,<br />

304


) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes (Fall II. 1) <strong>und</strong> wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit<br />

mit "Verstoß gegen das Waffengesetz" (Fall II. 2) unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Urteil<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt <strong>und</strong> deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die<br />

hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts beanstandet,<br />

hat mit einer Verfahrensrüge zum Fall II. 1 <strong>und</strong> zum Gesamtstrafenausspruch Erfolg. Im Übrigen ist das<br />

Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Rüge, das Landgericht habe einen Beweisantrag in<br />

rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt, greift durch.<br />

1. Nach den Feststellungen zum Fall II. 1 ergriff der Angeklagte den späteren Geschädigten, der sich in Begleitung<br />

des Zeugen H. befand, mit der linken Hand an der Schulter, legte den Arm um ihn <strong>und</strong> zog ihn gegen dessen Willen<br />

in den nicht einsehbaren Eingangsbereich einer Spielothek. Dort nahm er ihm gewaltsam 120 € weg. Das Landgericht<br />

hat die Verurteilung des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, im Wesentlichen auf die Angaben des Tatopfers<br />

gestützt. Dessen Aussage hat es auch deshalb als glaubhaft angesehen, weil der Zeuge H. bei seiner polizeilichen<br />

Vernehmung zum Vortatgeschehen in Übereinstimmung mit dem Geschädigten angegeben habe, der Angeklagte<br />

habe das Tatopfer "von ihm weggezogen" <strong>und</strong> sei mit ihm in die Spielothek gegangen. Die polizeiliche Aussage des<br />

Zeugen H. wurde über den Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt; eine persönliche Einvernahme<br />

des Zeugen hat nicht stattgef<strong>und</strong>en.<br />

2. Der Angeklagte hat mit dem Ziel, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Geschädigten zu erschüttern, die Vernehmung<br />

des Zeugen H. zum Beweis dafür beantragt, dass das Tatopfer dem Angeklagten freiwillig in den Durchgang<br />

der Spielothek gefolgt <strong>und</strong> hierzu von dem Angeklagten nicht im Sinne einer Nötigungshandlung gezwungen worden<br />

sei. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die behauptete Tatsache sei - ersichtlich<br />

tatsächlich - für die Entscheidung ohne Bedeutung. Entscheidend sei allein das Geschehen im Eingangsbereich der<br />

Spielothek. Die Indiztatsache, dass das Tatopfer dem Angeklagten dorthin freiwillig gefolgt sei, lasse nur den möglichen,<br />

nicht aber den zwingenden Schluss zu, dass die Wegnahme des Geldes im nicht einsehbaren Eingangsbereich<br />

der Spielothek ohne Gewaltanwendung erfolgt sei. Diesen Schluss wolle die Strafkammer jedoch nicht ziehen.<br />

a) Der Antrag des Beschwerdeführers genügt den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen. Insbesondere<br />

wird eine hinreichend bestimmte Tatsache behauptet; denn bei sinngerechter Auslegung war der Antrag erkennbar<br />

dahin zu verstehen, der Zeuge H. werde bek<strong>und</strong>en, dass der Geschädigte ohne Widerstreben <strong>und</strong> ohne Zwangseinwirkung<br />

durch den Angeklagten diesem in den Eingangsbereich der Spielothek gefolgt ist.<br />

b) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist auch im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig<br />

erhoben. Die Revision teilt sowohl den Inhalt des Beweisantrags nebst Begründung als auch den gerichtlichen Ablehnungsbeschluss<br />

im Wortlaut mit. Da weder im Beweisantrag noch im Ablehnungsbeschluss Aktenbestandteile in<br />

Bezug genommen wurden <strong>und</strong> sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses bereits aus dessen Begründung in<br />

Verbindung mit den Urteilsgründen ergibt, bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts weiterer<br />

Darlegungen zur Begründung der Rüge nicht (vgl. Löwe/Rosenberg/ Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372).<br />

c) Die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die zu treffende<br />

Entscheidung ohne Bedeutung ist eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache nur dann, wenn ein Zusammenhang<br />

zwischen ihr <strong>und</strong> dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs<br />

selbst im Falle ihres Erwiesenseins nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen<br />

(Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 56 mwN). Zwar ist es dem Tatrichter gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwehrt, Indiztatsachen<br />

als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn er einen möglichen Beweisschluss, den der<br />

Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Er muss sich dann aber an seiner Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit<br />

festhalten lassen <strong>und</strong> darf sich im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen (st. Rspr.;<br />

BGH, Beschluss vom 8. Februar 2000 - 4 StR 592/99, NStZ-RR 2000, 210 mwN). Dies ist hier jedoch geschehen.<br />

Im Rahmen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Tatopfers hat das Landgericht auch aus den übereinstimmenden<br />

Angaben des Zeugen H. <strong>und</strong> des Geschädigten zu dem Vortatgeschehen auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des<br />

Opfers zur Tat II. 1 geschlossen. Damit hat es zu erkennen gegeben, dass es diesem Geschehen entgegen der im<br />

Ablehnungsbeschluss geäußerten Auffassung Bedeutung für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen<br />

beigemessen hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. Bei der im Fall II. 1 gegebe-<br />

305


nen Sachlage, bei der zum eigentlichen Raubgeschehen Aussage gegen Aussage steht, vermag der Senat ein Beruhen<br />

des Urteils auf dem Verfahrensverstoß nicht auszuschließen.<br />

3. Die Aufhebung des Urteils im Fall II. 1 zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.<br />

StPO § 345 Frist bei mehreren Angeklagten<br />

BGH, Beschl. . 02.11.2010 – 1 StR 544/09 - NStZ 2011, 294 = StraFo 2011, 92<br />

1. Die Frist des § 345 Abs. 1 StPO beginnt für jeden Angeklagten gesondert in Abhängigkeit vom<br />

Zeitpunkt der Zustellung des Urteils an ihn bzw. seine Verteidiger.<br />

2. Das Begründungserfordernis des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO umfasst - soweit zur Beurteilung des<br />

Revisionsvorbringens erforderlich - alle dem Beschwerdeführer zugänglichen Tatsachen. Hierzu<br />

gehört jedenfalls der gesamte Akteninhalt, in den Einsicht zu nehmen die Vorschrift des § 147 StPO<br />

dem Verteidiger gestattet.<br />

3. Über die Erforderlichkeit der Zuziehung von Ergänzungsrichtern <strong>und</strong> deren Anzahl entscheidet<br />

gemäß § 192 Abs. 2 GVG der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen. Hieraus leitet sich auch<br />

das Recht des Vorsitzenden ab, die Anordnung auf Zuziehung eines Ergänzungsrichters jederzeit<br />

zu widerrufen.<br />

4. Straftat im Sinne des § 22 Nr. 1 StPO kann nur eine solche sein, die Prozessgegenstand des anhängigen<br />

Verfahrens ist.<br />

5. Haben sich die unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen so ausgewirkt, dass ein zu hoher vortragsfähiger<br />

Gewerbeverlust festgestellt worden ist, so liegt hierin die Erlangung eines ungerechtfertigten<br />

Steuervorteils i.S.d. § 370 Abs. 1 AO. Denn eine Besserstellung des Steuerpflichtigen wird<br />

nicht erst durch die tatsächliche Durchführung des Verlustabzugs, sondern bereits durch die Feststellung<br />

des (vortragsfähigen) Verlusts bewirkt.<br />

6. Ein Zufluss beim Gesellschafter im Sinne von § 11 EStG kann auch dann vorliegen, wenn er<br />

selbst (noch) keine Zahlung erhalten hat. Denn für die Annahme eines Vermögenszuflusses genügt<br />

es, wenn der Vorteil dem Gesellschafter mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahe<br />

stehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht. Sofern die Zuwendung allein auf<br />

dem Näheverhältnis des Empfängers zum Gesellschafter beruht, ist die Zuwendung so zu beurteilen,<br />

als hätte der Gesellschafter selbst den Vorteil erhalten <strong>und</strong> diesen (als steuerlich unbeachtliche<br />

Einkommensverwendung) an die nahe stehende Person weitergegeben.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. <strong>und</strong> W. gegen das Urteil des Landgerichts Limburg vom 17. Dezember<br />

2008 wird das Verfahren auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO betreffend den Angeklagten<br />

B. hinsichtlich der Fälle B 1, B 2, B 3, B 18 <strong>und</strong> betreffend den Angeklagten W. hinsichtlich des Falles W 12 der<br />

Urteilsgründe eingestellt. Im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die den<br />

Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B. <strong>und</strong> W. werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen,<br />

dass<br />

a) schuldig sind<br />

aa) der Angeklagte B. der Steuerhinterziehung in drei-zehn Fällen sowie der versuchten Steuerhinterziehung,<br />

bb) der Angeklagte W. der Steuerhinterziehung in zehn Fällen sowie der versuchten Steuerhinterziehung <strong>und</strong><br />

b) der Angeklagte W. in den Fällen W 1 <strong>und</strong> W 2 der Urteilsgründe zu einer einheitlichen Freiheitsstrafe von einem<br />

Jahr verurteilt wird; die weitere Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe entfällt.<br />

3. Die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. haben die verbleibenden Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.<br />

4. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Limburg vom 17. Dezember 2008, soweit<br />

es ihn betrifft,<br />

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte F. der Steuerhinterziehung in sechs Fällen <strong>und</strong> der<br />

versuchten Steuerhinterziehung in fünf Fällen schuldig ist,<br />

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen dahin abgeändert, dass der Angeklagte F.<br />

306


aa) betreffend die Fälle F 3 <strong>und</strong> F 4 der Urteilsgründe zu einer einheitlichen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt<br />

wird; die weitere Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe entfällt;<br />

bb) in den Fällen F 7 <strong>und</strong> F 8 der Urteilsgründe jeweils zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt wird,<br />

c) im Gesamtstrafausspruch mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über<br />

die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.<br />

5. Die weitergehende Revision des Angeklagten F. wird als unbegründet verworfen.<br />

6. Über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten F. ist zugleich mit der Entscheidung über die Gesamtstrafe zu<br />

befinden.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Steuerhinterziehung in 17 Fällen <strong>und</strong> versuchter Steuerhinterziehung<br />

in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> drei Monaten, den Angeklagten W. wegen Steuerhinterziehung<br />

in zwölf Fällen <strong>und</strong> versuchter Steuerhinterziehung in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

fünf Jahren <strong>und</strong> den Angeklagten F. wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen <strong>und</strong> versuchter Steuerhinterziehung in<br />

vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die<br />

Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge <strong>und</strong> zahlreiche Verfahrensrügen gestützten Revisionen. Diese haben den aus<br />

dem Tenor ersichtlichen, geringfügigen <strong>Teil</strong>erfolg, im Übrigen sind sie unbegründet.<br />

A.<br />

I. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. waren gemeinsam im Bereich des Direktvertriebs<br />

tätig <strong>und</strong> erzielten dort erhebliche Gewinne. Sie gründeten eine Reihe von letztlich nur formalrechtlich<br />

existierenden Firmen, die sie zentral - auch über eine Holdinggesellschaft - steuerten <strong>und</strong> beherrschten. Spätestens im<br />

Jahr 1999 kamen die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. - nach Beratung durch den Angeklagten F. <strong>und</strong> unter dessen Mitwirkung<br />

- überein, dieses Firmenkonglomerat zur Steuerhinterziehung zu nutzen. Sie vereinbarten, die erzielten Gewinne<br />

durch Nichtabgabe von Steuererklärungen <strong>und</strong> vor allem durch die Geltendmachung von Scheinrechnungen systematisch<br />

der Besteuerung zu entziehen. In Ausführung dieses Plans veranlassten die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. jeweils<br />

die Auszahlung der in den Scheinrechnungen ausgewiesenen Beträge <strong>und</strong> machten diese Beträge, die sie nach Abzug<br />

einer von den Rechnungsausstellern einbehaltenen Provision jeweils „schwarz <strong>und</strong> in bar“ zurückerhielten, bei den<br />

auszahlenden Firmen in voller Höhe als Betriebsausgaben steuermindernd geltend. Ihre sich hieraus ergebenden<br />

Einnahmen verschwiegen die Angeklagten in ihren Einkommensteuererklärungen ebenso wie weitere Einnahmen.<br />

II. Das Landgericht hat die auf die Scheinrechnungen geleisteten Zahlungen jeweils als „verdeckte Gewinnausschüttung“<br />

gewertet. Auf der Ebene der Gesellschaften hat es deshalb eine gewinnmindernde Berücksichtigung verneint<br />

<strong>und</strong> auf dieser Basis die durch die unrichtigen Steuererklärungen hinterzogenen Körperschaft-, Gewerbe- <strong>und</strong> Umsatzsteuern<br />

ermittelt. Die Strafverfolgung war dabei auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen den Angeklagten<br />

schon aus ihrer formalrechtlichen Stellung heraus die Abgabe zutreffender Steuererklärungen oblag. Hinsichtlich der<br />

Einkommensteuerhinterziehung hat das Landgericht bei den Angeklagten B. <strong>und</strong> W. die aufgr<strong>und</strong> von Scheinrechnungen<br />

abgeflossenen Beträge als in voller Höhe der Einkommensteuer unterliegend angesehen <strong>und</strong> hieraus die<br />

Höhe der verkürzten Steuern bzw. erstrebten Steuerverkürzungen berechnet.<br />

B. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.<br />

I. Die Taten sind nicht verjährt. Auch in dem allein den Angeklagten B. betreffenden Fall B 8 der Urteilsgründe<br />

(Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2000) ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Im Fall der unterlassenen<br />

Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung beginnt die Verfolgungsverjährung mit Ablauf der Erklärungsfrist<br />

(st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 344/08, wistra 2009, 189 mwN). Die hier somit am<br />

31. Mai 2001 begonnene Verjährung wurde vor Verjährungseintritt durch den Durchsuchungsbeschluss vom 12.<br />

April 2006 unterbrochen. Der in einem sehr frühen Verfahrensstadium ergangene Beschluss nennt die Veranlagungszeiträume<br />

(1999 bis 2005), die Steuerarten (Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer <strong>und</strong> Einkommensteuer)<br />

<strong>und</strong> die jeweils gleichartige Tatbegehung (Kapitaltransfer zum Zwecke der Steuerhinterziehung mit oder<br />

ohne Verwendung unrichtiger Belege). Der Durchsuchungsbeschluss, der auch die von der Durchsuchung - <strong>und</strong><br />

damit vom Tatverdacht - betroffenen Firmen angab, war daher geeignet, die von der Verjährungsunterbrechung betroffenen<br />

Taten von denkbar ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen, auf die sich die Verfolgung nicht bezog,<br />

zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 2006 - 1 StR 547/05, NStZ 2007, 213, 214 f.; BGH, Urteil vom<br />

14. Juni 2000 - 3 StR 94/00, NStZ 2001, 191). Der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden erstreckte sich<br />

von Anfang an auf sämtliche später abgeurteilte Taten. Eine Beschränkung des Verfolgungswillens auf einzelne<br />

Taten, welche Auswirkungen auf die Reichweite der verjährungsunterbrechenden Wirkung des Durchsuchungsbeschlusses<br />

haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2008 - 3 StR 545/07, NStZ 2009, 205; Beschluss vom<br />

307


11. Dezember 2007 - 4 StR 279/07, NStZ 2008, 214; Urteil vom 22. August 2006 - 1 StR 547/05, NStZ 2007, 213),<br />

ist nicht gegeben.<br />

II. Der Gr<strong>und</strong>satz der Spezialität steht der strafrechtlichen Verfolgung des in Spanien festgenommenen <strong>und</strong> von dort<br />

ausgelieferten Angeklagten W. nicht entgegen.<br />

1. Die Revision des Angeklagten W. macht in diesem Zusammenhang Folgendes geltend: Der der Auslieferung<br />

zugr<strong>und</strong>e liegende Haftbefehl des Amtsgerichts Wetzlar vom 27. April 2006 sei zu unbestimmt; er sei erst nach Auslieferung<br />

des Angeklagten W. neu gefasst <strong>und</strong> konkretisiert worden. Die abgeurteilten Taten würden von der auf dem<br />

ebenso zu unbestimmten Europäischen Haftbefehl gründenden Auslieferungsbewilligung nicht erfasst. Weder der<br />

Angeklagte noch die spanischen Auslieferungsbehörden hätten auf die Einhaltung des Spezialitätsgr<strong>und</strong>satzes verzichtet.<br />

Eine nachträgliche Genehmigung zur Verfolgung der abgeurteilten Taten sei ebenfalls nicht erfolgt.<br />

2. Der Spezialitätsgr<strong>und</strong>satz ist nicht verletzt. Die abgeurteilten Taten sind von dem im Europäischen Haftbefehl<br />

bezeichneten Lebenssachverhalt umfasst. Es bedarf deshalb hier keiner Erörterung, ob aus § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG,<br />

der Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen<br />

Haftbefehl <strong>und</strong> die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190 vom 18. Juli 2002,<br />

S. 1 ff.) wortgleich umsetzt, folgt, dass sich aus einer Verletzung des Spezialitätsgr<strong>und</strong>satzes kein Verfahrenshindernis,<br />

sondern lediglich ein Vollstreckungshindernis ergibt (so EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-<br />

388/08, NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine). Der Angeklagte W. wurde wegen keiner von der Auslieferungsbewilligung<br />

nicht erfassten „anderen“ verurteilt.<br />

a) Der dem Spezialitätsgr<strong>und</strong>satz zugr<strong>und</strong>e liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt,<br />

innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 31. März 1977 - 4 ARs 8/77, BGHSt 27, 168, 172 mwN; Vogler in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler<br />

Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 11 IRG Rn. 14). Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des<br />

ersuchenden Staates nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern<br />

ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht (BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 22/03, NStZ 2003, 684; Urteil<br />

vom 11. Januar 2000 - 1 StR 505/99, NStZ-RR 2000, 333; Urteil vom 6. März 1985 - 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318;<br />

Urteil vom 28. Mai 1986 - 3 StR 177/86, NStZ 1986, 557; Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny, IRG, 4.<br />

Aufl. § 72 Rn. 20; Vogler aaO § 11 Rn.15 f.).<br />

b) Eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates<br />

regelmäßig nicht. Dementsprechend steht der - vor allem dem Schutz dieser Interessen dienende - Spezialitätsgr<strong>und</strong>satz<br />

etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten<br />

Handlung nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1995 - 1 StR 18/95, NStZ 1995, 608). Das Gleiche<br />

gilt, wenn das Strafgesetz später geändert wird (hier etwa durch Aufhebung des Verbrechenstatbestandes des § 370a<br />

AO), ebenso, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung<br />

der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen<br />

Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 1989 - 1 StR<br />

296/89, NStZ 1989, 526).<br />

c) Der Begriff der „anderen Tat“ im Sinne des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG knüpft allein an die Beschreibung der Straftat<br />

in der Auslieferungsbewilligung, diese wiederum an den Europäischen Haftbefehl an. Eine „andere Tat“ liegt nicht<br />

vor, wenn sich die Angaben im Europäischen Haftbefehl <strong>und</strong> diejenigen im späteren Urteil hinreichend entsprechen<br />

(vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08, aaO; BGH, Beschluss vom 24. September 2010<br />

- 1 StR 373/10). Dies ist hier der Fall. Der Umstand, dass der dem Auslieferungsersuchen <strong>und</strong> der Auslieferungsbewilligung<br />

zugr<strong>und</strong>e liegende Haftbefehl im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens - verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben entsprechend - eine dem jeweiligen Ermittlungsstand angepasste Konkretisierung erfahren hat, lässt hier<br />

die Identität der Tat unberührt. Die Strafverfolgung wurde dadurch nicht auf andere Taten gerichtet. Sämtliche abgeurteilten<br />

Taten sind nach Art des Delikts (Steuerhinterziehung), den betroffenen Steuerarten, den jeweiligen Veranlagungszeiträumen<br />

<strong>und</strong> der Begehungsweise identisch mit den im Europäischen Haftbefehl umrissenen <strong>Teil</strong>akten des<br />

dort beschriebenen Lebenssachverhalts.<br />

d) Auch der Umstand, dass einzelne nach deutschem Recht als selbständige Taten zu wertende <strong>Teil</strong>akte des im Auslieferungsersuchen<br />

geschilderten Gesamtgeschehens sich auf Verkürzungsbeträge beziehen, deren Höhe - isoliert<br />

betrachtet - nach spanischem Recht für eine Ahndung als Steuerhinterziehung nicht ausreichen könnte (vgl. Art. 305<br />

ff. des Spanischen Strafgesetzbuchs [Gesetz Nr. 10/1995 vom 23. November 1995 - BOE Nr. 281 vom 24. November<br />

1995, S. 33987 ff.]), begründet keinen Verstoß gegen den Spezialitätsgr<strong>und</strong>satz. Unabhängig von der Höhe der<br />

jeweiligen Steuerverkürzung handelt es sich bei den Delikten der Art nach um Steuerhinterziehungsdelikte im Sinne<br />

der Art. 305 ff. des Spanischen Strafgesetzbuches. Zwar gehören Fiskaldelikte zu den Straftaten, bei denen in Über-<br />

308


einstimmung mit dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI nicht auf das Erfordernis der gegenseitigen Strafbarkeit verzichtet<br />

wurde. Hieraus ergibt sich allerdings gemäß Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 2 des Spanischen Gesetzes Nr.<br />

3/2003 vom 14. März 2003 über den Europäischen Haftbefehl <strong>und</strong> die Übergabeverfahren (BOE Nr. 65 vom 17.<br />

März 2003, S. 10244 ff.) nur ein fakultatives Auslieferungshindernis. Von der Möglichkeit, die Auslieferung abzulehnen,<br />

hat Spanien vorliegend keinen Gebrauch gemacht. Mit der Bewilligung der Auslieferung auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

des dem Auslieferungsersuchen zugr<strong>und</strong>e liegenden Europäischen Haftbefehls <strong>und</strong> des dort geschilderten Lebenssachverhalts<br />

haben die spanischen Behörden zum Ausdruck gebracht, dass die Auslieferung für die Strafverfolgung<br />

wegen Steuerhinterziehung unabhängig von der Höhe der im Rahmen einzelner <strong>Teil</strong>akte des Geschehens hinterzogenen<br />

Steuer bewilligt wird. Dem im Europäischen Haftbefehl geschilderten Lebenssachverhalt war für alle am Verfahren<br />

Beteiligten klar zu entnehmen, dass einzelne Steuerhinterziehungshandlungen mit Steuerverkürzungen in<br />

noch nicht genau bekannter Höhe zu Gr<strong>und</strong>e liegen.<br />

C. Die von den Angeklagten erhobenen, teilweise inhaltsgleichen, teilweise sich überschneidenden Verfahrensrügen<br />

decken keine den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler auf. Sie bleiben aus den in den Antragsschriften des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts zutreffend dargelegten Gründen ohne Erfolg. Soweit sie nicht bereits unzulässig sind, sind sie<br />

jedenfalls unbegründet. Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

I. Bei der Erhebung einer Verfahrensrüge sind die den Mangel enthaltenden Tatsachen vollständig, zutreffend,<br />

schriftlich (in die Begründungsschrift eingefügte Kopien, die nicht hinreichend lesbar sind, genügen dem nicht, vgl.<br />

BGH, Urteil vom 3. Oktober 1984 - 2 StR 166/84, NJW 1985, 443) <strong>und</strong> insgesamt innerhalb der sich aus § 345 Abs.<br />

1 StPO ergebenden Revisionsbegründungsfrist anzubringen. Insbesondere dann, wenn sich der Verfahrensgang - wie<br />

hier - durch eine kaum zu überblickende Anzahl von Anträgen der Verteidigung auszeichnet, die sich auf umfangreiche<br />

Anlagen beziehen, sich teilweise wiederholen <strong>und</strong> zum <strong>Teil</strong> auf andere Anträge oder Beschlüsse Bezug nehmen,<br />

kann die Revision nicht von ihrer sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Pflicht entb<strong>und</strong>en werden, die (<strong>und</strong><br />

nur die) auf die jeweilige Angriffsrichtung bezogenen Verfahrenstatsachen so vorzutragen, dass das Revisionsgericht<br />

allein anhand der Revisionsbegründung die einzelnen Rügen darauf überprüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegen<br />

würde, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 - 5 StR 383/06,<br />

NJW 2007, 3010, 3011; BGH, Beschluss vom 7. April 2005 - 5 StR 532/04, NStZ 2005, 463; BVerfG, Beschluss<br />

vom 25. Januar 2005, NJW 2005, 1999, 2001; Kuckein in KK-StPO 6. Aufl. § 344 Rn. 38 mwN). Neuer Tatsachenvortrag<br />

nach Fristablauf im Rahmen von Gegenerklärungen (§ 349 Abs. 3 StPO) kann die Unzulässigkeit innerhalb<br />

der Revisionsbegründungsfrist nicht zulässig erhobener Verfahrensbeanstandungen nicht mehr nachträglich beseitigen<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 1 StR 530/09, wistra 2010, 312; BGH, Beschluss vom 28. Oktober<br />

2008 - 3 StR 431/08, NStZ 2009, 168; Kuckein in KK-StPO 6. Aufl. § 344 Rn. 66).<br />

1. Die für den Angeklagten W. mit Schriftsätzen vom 4. Juni 2009 erhobenen Verfahrensrügen sind schon deshalb<br />

unzulässig, weil zu diesem Zeitpunkt für diesen Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist bereits abgelaufen<br />

war. Die Frist des § 345 Abs. 1 StPO beginnt für jeden Angeklagten gesondert in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der<br />

Zustellung des Urteils an ihn bzw. seine Verteidiger (Hanack in LR-StPO, 25. Aufl. § 345 Rn. 4; Wiedner in<br />

BeckOK-StPO, § 345 Rn. 5). Wird das Urteil mehreren Empfangsberechtigten zugestellt, beginnt die Frist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem eine wirksame Zustellung an den letzten Zustellungsempfänger vollzogen<br />

wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1968 - 1 StR 77/68, BGHSt 22, 221). Dies ist hier bezüglich des Angeklagten<br />

W. für den 28. April 2009 nachgewiesen. Die Revisionsbegründungsfrist wurde für den Angeklagten W.<br />

weder dadurch erneut in Gang gesetzt, dass seinen Verteidigern das Urteil vor-sorglich (mit ausdrücklichem Hinweis<br />

auf einen allein den Angeklagten B. betreffenden, möglichen Zustellungsmangel) zu einem späteren Zeitpunkt<br />

nochmals zugestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 2006 - 4 StR 286/06, NStZ 2007, 53; Beschluss<br />

vom 17. März 2004 - 2 StR 44/04, NStZ-RR 2005, 261; Urteil vom 27. Oktober 1977 - 4 StR 326/77, NJW 1978,<br />

60), noch dadurch, dass eine erste wirksame Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Angeklagten B. möglicherweise<br />

erst für den 4. Mai 2009 belegt ist.<br />

2. Für die Rüge, ein Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO abgelehnt worden, folgt aus §<br />

344 Abs. 2 Satz 2 StPO, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dieser Verfahrensrüge (ebenso wie bei<br />

Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozessverschleppungsabsicht, vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. Juni 1986 -<br />

3 StR 10/86, NStZ 1986, 519, 520) auch sein eigenes prozessuales Verhalten wiedergeben muss, soweit es nach dem<br />

Inhalt des beanstandeten Beschlusses für die Entscheidung mitbestimmend war. Dem steht nicht entgegen, dass<br />

hiermit - wie auch sonst - verlangt wird, dass mit dem Revisionsvorbringen auch solche Umstände vorgetragen werden<br />

müssen, die der erhobenen Rüge den Boden entziehen können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2008 -<br />

1 StR 484/08, BGHSt 52, 355, 357; weitere Nachweise bei Cirener, NStZ-RR 2010, 97, 100). Diesen Anforderungen<br />

genügt der Revisionsvortrag der Angeklagten B. <strong>und</strong> W. zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 26a StPO<br />

309


nicht. Die Beschwerdeführer haben - worauf der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend hingewiesen hat - nicht mitgeteilt,<br />

dass den Befangenheitsanträgen vorausgehend fortlaufende, teilweise inhaltsgleiche <strong>und</strong> ganze Geschäftsverteilungspläne<br />

enthaltende Rügen <strong>und</strong> Anträge dazu geführt haben, dass mit der Verlesung der Anklage erst im Laufe<br />

des 7. Hauptverhandlungstages begonnen werden konnte, während die Verteidigung gleichzeitig mit einem Verstoß<br />

gegen das Beschleunigungsgebot begründete Anträge auf Aufhebung der Haftbefehle gestellt hat.<br />

3. Bei dem Vortrag der für die revisionsgerichtliche Überprüfung bedeutsamen Verfahrenstatsachen darf sich die<br />

Revision nicht auf die Mitteilung solcher Tatsachen oder Dokumente beschränken, die Gegenstand der Hauptverhandlung<br />

waren bzw. die dem Verteidiger zugestellt wurden. Das Begründungserfordernis des § 344 Abs. 2 Satz 2<br />

StPO umfasst - soweit zur Beurteilung des Revisionsvorbringens erforderlich - alle dem Beschwerdeführer zugänglichen<br />

Tatsachen. Hierzu gehört jedenfalls der gesamte Akteninhalt, in den Einsicht zu nehmen die Vorschrift des §<br />

147 StPO dem Verteidiger gestattet. Werden zur Revisionsrechtfertigung herangezogene Tatsachen entgegen § 344<br />

Abs. 2 Satz 2 StPO unzutreffend dargestellt, ist eine darauf gestützte Verfahrensrüge ebenfalls unzulässig (vgl. BGH,<br />

Urteil vom 27. Juli 2005 - 2 StR 203/05, NStZ 2006, 55, 56).<br />

a) Die Revision des Angeklagten B. rügt, § 261 StPO sei dadurch verletzt worden, dass zur Feststellung von Zahlungsflüssen<br />

bestimmte Kontoauszüge nicht verlesen worden seien. Sie teilt jedoch nicht mit, dass Kontoverdichtungen<br />

<strong>und</strong> diesen zugr<strong>und</strong>e liegende Buchungstexte (mithin „Kontounterlagen“ im Sinne der Urteilsgründe) in die<br />

Hauptverhandlung eingeführt wurden. Die Rüge ist daher unzulässig. Die Aufklärungsrüge des Angeklagten B. , mit<br />

der er die unzureichende Aufklärung gesellschaftsrechtlicher Verhältnisse geltend macht (§ 244 Abs. 2 StPO), enthält<br />

eine falsche Tatsachenbehauptung <strong>und</strong> ist schon deswegen unzulässig. Entgegen der Revisionsrechtfertigung,<br />

die sich insbesondere darauf stützt, ein Handelsregisterauszug der S. AG sei nicht in die Hauptverhandlung eingeführt<br />

worden, wurde ein solcher Handelsregisterauszug am 11. Verhandlungstag verlesen (Protokollband Bl. 59 ff.).<br />

Auf beides hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung hingewiesen.<br />

b) Die von den Angeklagten B. <strong>und</strong> W. erhobene Rüge einer „Verletzung der §§ 244 Abs. 2, 244 Abs. 3 <strong>und</strong> 244<br />

Abs. 5 StPO“, mit der sie beanstanden, das Landgericht habe die Einvernahme dreier Auslandszeugen zu dem Rechnungen<br />

der Schweizer Firma S. betreffenden Sachverhalt zu Unrecht abgelehnt, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.<br />

aa) Die Verfahrensrüge ist bereits nicht zulässig erhoben. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugr<strong>und</strong>e: Am 64.<br />

Verhandlungstag beantragte die Verteidigung unter anderem unter Bezugnahme auf eine von ihr wörtlich mitstenographierte<br />

Zeugenaussage vom 21. Verhandlungstag, Verantwortliche der Firma S. zu einem auf insgesamt acht<br />

Seiten näher beschriebenen Beweisthema zu vernehmen. Ohne auf den späten Zeitpunkt der Beweisantragstellung<br />

einzugehen (was im Rahmen einer Entscheidung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO möglich gewesen wäre, vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, NJW 2005, 300, 304), lehnte es die Strafkammer mit Beschluss<br />

vom selben Tag ab, die benannten Auslandszeugen zu vernehmen, da deren Einvernahme unter Berücksichtigung<br />

des bisherigen Beweisergebnisses keinen Erkenntnisgewinn brächte. Es könne im Rahmen einer Bewertung der zu<br />

erwartenden Aussagen nicht außer Betracht bleiben, dass Verantwortliche der Firma S. den Versuch unternommen<br />

hätten, sich durch ihren Rechtsbeistand, den Schweizer Rechtsanwalt Dr. P., verdeckt Erkenntnisse aus dem Gang<br />

der Hauptverhandlung zu verschaffen. Dr. P. sei von der Verteidigung als technischer Experte für Datensicherungsfragen<br />

vorgestellt worden, seine Berufsstellung als Rechtsanwalt <strong>und</strong> seine vertragliche Beziehung zur Firma S. , die<br />

sich aus einer Werbeaussage ergebe, sei dabei indes verheimlicht worden. Die Revision rügt, aus den von der Strafkammer<br />

herangezogenen Umständen könne nicht darauf geschlossen werden, Rechtsanwalt Dr. P. solle die Interessen<br />

der Firma S. wahren. Sie unterlässt es indes entgegen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, das in<br />

der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft genannte, in den Akten befindliche Schreiben der Staatsanwaltschaft des<br />

Kantons Zug mitzuteilen, aus dem sich explizit ergibt, dass Rechtsanwalt Dr. P. der Rechtsbeistand der Firma S. ist.<br />

bb) Auch einen sachlichrechtlichen Mangel in der Beweiswürdigung deckt die erhobene Verfahrensbeanstandung<br />

nicht auf. Der von der Strafkammer gezogene Schluss, dass Rechtsanwalt Dr. P. die Interessen der Firma S. wahrnahm,<br />

ist nicht zu beanstanden. Er ist möglich, zwingend braucht er nicht zu sein. Die Strafkammer hat auch nicht<br />

ein Verhalten der Angeklagten oder ihrer Verteidiger bewertet, sondern Schlüsse aus einem aktenk<strong>und</strong>ig gemachten<br />

Verhalten Dritter auf die Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> das Geschäftsgebaren von Zeugen gezogen. Hiergegen ist revisionsrechtlich<br />

nichts zu erinnern. Die Rolle Dr. P. s als Interessenvertreter der S. durfte daher sowohl bei der Entscheidung<br />

über den Beweisantrag als auch im Rahmen der Beweiswürdigung herangezogen werden.<br />

II. Die Verfahrensrügen, mit denen die Gerichtsbesetzung als fehlerhaft beanstandet wird (§ 338 Nr. 1, 2, 3 <strong>und</strong> 5<br />

StPO), greifen nicht durch. Sie wären jedenfalls unbegründet. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:<br />

1. Die Revisionen der Angeklagten F. <strong>und</strong> W. rügen die Besetzung der Strafkammer mit dem zunächst als Ergänzungsrichter<br />

berufenen RiLG L. (§ 338 Nr. 1 StPO).<br />

310


a) Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zu Gr<strong>und</strong>e: Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts für das Jahr<br />

2007 sah vor, dass im Falle des § 192 Abs. 2 GVG zur <strong>Teil</strong>nahme an der Hauptverhandlung als Ergänzungsrichter<br />

RiLG Dr. B. , VRiLG S. <strong>und</strong> VPräsLG R. in dieser Reihenfolge berufen sind, bei Verhinderung des an sich berufenen<br />

Richters der Nächstberufene an seine Stelle tritt <strong>und</strong> gleiches gilt, wenn ein Richter im Geschäftsjahr bereits<br />

einmal herangezogen wurde. Der Vorsitzende hatte zunächst die Zuziehung (nur) eines Ergänzungsrichters angeordnet.<br />

Nachdem RiLG Dr. B. gegen den im Zusammenhang mit der Terminierung dieses Verfahrens stehenden Widerruf<br />

seiner Urlaubsbewilligung Widerspruch eingelegt <strong>und</strong> eine beisitzende Richterin ihre Schwangerschaft angezeigt<br />

hatte, ordnete der Vorsitzende die Zuziehung eines weiteren Ergänzungsrichters an. Zu dem für den 25. Oktober<br />

2007 anberaumten Hauptverhandlungstermin meldete sich RiLG Dr. B. kurz vor Terminsbeginn tele-fonisch dienstunfähig<br />

erkrankt; der weitere Ergänzungsrichter, VRiLG S. , erschien. Nach Aufruf der Sache, Feststellung des<br />

soeben Gesagten, Anhörung der Verfahrensbeteiligten <strong>und</strong> Beratung hierzu wurde das Verfahren durch Gerichtsbeschluss<br />

ausgesetzt <strong>und</strong> neuer Termin für den 8. November 2007 bestimmt. Am selben Tag ordnete der Vorsitzende<br />

die Zuziehung von drei Ergänzungsrichtern an. Dies veranlasste das Präsidium des Landgerichts, am 29. Oktober<br />

2007 den Geschäftsverteilungsplan dahingehend zu ändern, dass zum weiteren Ergänzungsrichter RiLG L. bestimmt<br />

wurde, in der Reihenfolge nach den bereits namentlich bestimmten. Hierüber wurden die Verteidiger der Angeklagten<br />

unterrichtet. Die Besetzung des Gerichts wurde dahingehend bekannt gegeben, dass an der Hauptverhandlung<br />

nunmehr RiLG Dr. B., VPräsLG R. <strong>und</strong> RiLG L. als Ergänzungsrichter mitwirkten. Am 8. November 2007 teilte der<br />

Vorsitzende nach Aufruf der Sache mit, dass sich RiLG Dr. B. erneut kurz vor dem Termin telefonisch dienstunfähig<br />

erkrankt gemeldet habe. In der Besetzung mit zwei Ergänzungsrichtern, VPräsLG R. <strong>und</strong> RiLG L. , nahm das Gericht<br />

sodann einen maschinenschriftlich vorbereiteten Antrag der Verteidigung auf amtsärztliche Untersuchung von<br />

RiLG Dr. B. sowie die Rüge, das Gericht sei hinsichtlich der Zahl der Ergänzungsrichter unvollständig besetzt, entgegen,<br />

bevor der Vorsitzende schriftlich (zu Protokoll) die Anordnung auf Zuziehung eines dritten Ergänzungsrichters<br />

aufhob. Es folgten Befangenheitsanträge <strong>und</strong> Besetzungsrügen. Die Dienstunfähigkeit von RiLG Dr. B. wurde<br />

noch am 8. November 2007 amtsärztlich festgestellt. Am dritten Hauptverhandlungstag schied eine Beisitzerin aus,<br />

an ihre Stelle rückte VPräsLG R. , der am darauf folgenden Hauptverhandlungstag krankheitsbedingt ebenfalls ausscheiden<br />

musste. Der an seine Stelle tretende RiLG L. wirkte sodann am Verfahren bis zur Urteilsverkündung mit.<br />

Die Revision ist der Auffassung, der Geschäftsverteilungsplan enthalte schon hinsichtlich der Ergänzungsrichterregelung<br />

keine abstrakt-generelle Regelung, im Übrigen sei dessen nachtägliche Änderung unzulässig. Sie führe - wie<br />

auch die anderen aus Sicht der Revision willkürlichen Entscheidungen zur Gerichtsbesetzung (Bestimmung der Anzahl<br />

der Ergänzungsrichter, Aussetzung, unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der einzelnen Ergänzungsrichter)<br />

- zu einer nicht mehr nach allgemeinen Kriterien vorhersehbaren, sondern nur auf den Einzelfall bezogenen Zuweisung<br />

von RiLG L..<br />

b) Die Besetzungsrüge wäre jedenfalls unbegründet. Die sich aus der plötzlichen Verhinderung mehrerer Richter<br />

ergebende Situation hat die vom Landgericht getroffenen Entscheidungen über die Gerichtsbesetzung erforderlich<br />

gemacht; sie sind sachlich gerechtfertigt <strong>und</strong> rechtsfehlerfrei. Eine Besetzungsrüge gemäß § 338 Nr. 1 StPO könnte<br />

ohnehin nur dann Erfolg haben, wenn der in Rede stehenden Besetzung eine - hier nicht gegebene - willkürliche<br />

Verletzung der einschlägigen Bestimmungen zu Gr<strong>und</strong>e liegen würde (vgl. BVerfGE 23, 288, 320). Von Willkür<br />

kann aber nur die Rede sein, wenn sich die Entscheidung über die Gerichtsbesetzung so weit von dem die Bestimmungen<br />

über die Besetzung des Gerichts beherrschenden Gr<strong>und</strong>satz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie<br />

nicht mehr zu rechtfertigen ist. Schon eine nur vertretbare Beantwortung einer Zweifelsfrage zur zutreffenden Gerichtsbesetzung<br />

verstößt aber weder gegen den sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Anspruch auf Mitwirkung<br />

des gesetzlichen Richters, noch wird dadurch eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts i.S.v. § 338<br />

Nr. 1 StPO herbeigeführt (vgl. BVerfGE 29, 45, 48; BGH, Urteil vom 22. Juni 1982 - 1 StR 249/81, NStZ 1982, 476,<br />

477 mwN).<br />

aa) Über die Erforderlichkeit der Zuziehung von Ergänzungsrichtern <strong>und</strong> deren Anzahl entscheidet gemäß § 192<br />

Abs. 2 GVG der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1988, BGHSt 35,<br />

366, 368; Wickern in LR-StPO, 25. Aufl., § 192 GVG Rn. 7; Diemer in KK-StPO, 6. Aufl., § 192 GVG Rn. 4a),<br />

wobei er sich an einer ihm bekannt werdenden - nicht notwendigerweise konstanten - Wahrscheinlichkeit des Eintritts<br />

eines Ergänzungsfalls orientieren wird. Neben dem Umfang des Verfahrens <strong>und</strong> dessen zu erwartender Dauer<br />

können auch in der Person eines Beteiligten liegende Umstände eine solche Wahrscheinlichkeit begründen; diese hat<br />

der Vorsitzende in den Blick zu nehmen. Tritt ein weiterer solcher Umstand hinzu (hier z.B. die Schwangerschaft<br />

einer Richterin oder die Erkrankung des RiLG Dr. B. mit zunächst unbekannter Ursache) oder entfällt ein solcher, ist<br />

es zulässig <strong>und</strong> sachgerecht, die Anzahl der erforderlichen Ergänzungsrichter anzupassen. Hieraus leitet sich auch<br />

das Recht des Vorsitzenden ab, die Anordnung auf Zuziehung eines Ergänzungsrichters jederzeit zu widerrufen (vgl.<br />

311


Wickern in LR-StPO, 25. Aufl., § 192 GVG Rn. 9). Gemessen hieran ist auch die Entscheidung, den für den 25.<br />

Oktober 2007 angesetzten Termin nach Bekanntwerden der Krankmeldung des Ergänzungsrichters RiLG Dr. B.<br />

nicht bereits vor Aufruf der Sache abzusetzen, rechtsfehlerfrei. Sie beinhaltet die schlüssige <strong>und</strong> auch in dieser Form<br />

zulässige Abänderung der Anordnung über die Zahl der hinzuzuziehenden Ergänzungsrichter. Angesichts der Unklarheiten<br />

bezüglich der Erkrankung des RiLG Dr. B. war es auch nicht objektiv willkürlich, was allein die Annahme<br />

einer fehlerhaften Gerichtsbesetzung (§ 338 Nr. 1 StPO) stützen könnte, zu-nächst (was hier ebenfalls formlos möglich<br />

war, vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1988 - 2 StR 250/88, NJW 1989, 1681; BGH, Urteil vom 24. Juli 1990 - 5<br />

StR 221/89, NJW 1991, 51) vom Vorliegen eines Ergänzungsfalls auszugehen, dies aber - mit Blick auf den gesetzlichen<br />

Richter - wie geschehen sodann zur Erörterung zu stellen <strong>und</strong> den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme<br />

zu geben. Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot <strong>und</strong> die mit einem Verfahren mit mehreren Verteidigern<br />

verb<strong>und</strong>enen Schwierigkeiten einer Terminsfindung war dies sachgerecht. Ebenso wenig vermag die - nach<br />

Ausbleiben eines immerhin möglichen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 222b Rn. 3; Gmel in KK-StPO, 6.<br />

Aufl., § 222b Rn. 3; Ritscher in BeckOK-StPO, § 222b Rn. 7) Verzichts auf den Besetzungseinwand getroffene -<br />

Entscheidung, das Verfahren mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen auszusetzen, die Revisionsrüge, das<br />

Gericht sei im dann neu anberaumten Termin fehlerhaft besetzt gewesen, zu begründen. Es ist auch unter Berücksichtigung<br />

des Revisionsvorbringens bereits nicht ersichtlich, dass der Vorsitzende hier willkürlich gehandelt haben<br />

könnte, etwa um bewusst auf die (nachfolgende) Gerichtsbesetzung Einfluss zu nehmen. Überdies war die Entscheidung,<br />

das Verfahren auszusetzen, ebenfalls sachgerecht. In der Annahme, das Gericht sei mit VRiLG S. am 25. Oktober<br />

2007 fehlerhaft besetzt, konnte an diesem Tag keine andere Entscheidung getroffen werden, als diejenige, das<br />

Verfahren auszusetzen. Auch eine erneute Aufstockung der Zahl der Ergänzungsrichter in laufender Verhandlung<br />

(was wegen der unklaren Erkrankungslage des RiLG Dr. B. angezeigt war) wäre nach bereits erfolgtem Aufruf der<br />

Sache mit Blick auf § 226 StPO nicht mehr in Betracht gekommen (vgl. Wickern in LR-StPO, 25. Aufl., § 192 GVG<br />

Rn. 5). Die Aussetzung des am 25. Oktober 2007 begonnenen Verfahrens mit einem Neubeginn innerhalb der Unterbrechungsfrist<br />

des § 229 StPO begegnete - auch im Lichte des Anspruchs der Angeklagten auf den gesetzlichen<br />

Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) - selbst dann keinen durchgreifenden Bedenken, wenn man annähme, die Strafkammer<br />

sei mit VRiLG S. als einzigem Ergänzungsrichter am 25. Oktober 2007 objektiv richtig besetzt gewesen.<br />

Sind in einer Hauptverhandlung noch keine Erträge erzielt worden, die bei einer Unterbrechung fortwirkten, bei einer<br />

Aussetzung aber erneut gewonnen werden müssten, ist das Gericht in der Entscheidung, ob es die Hauptverhandlung<br />

unterbricht oder sie aussetzt, gr<strong>und</strong>sätzlich frei (BGH, Urteil vom 9. August 2007 - 3 StR 96/07, NStZ 2008, 113).<br />

Das Entscheidungsermessen entfiel hier auch nicht dadurch, dass ein neuer Hauptverhandlungstermin innerhalb der<br />

Frist des § 229 Abs. 2 StPO bestimmt werden konnte. Vielmehr entsprach es dem Gebot der Beschleunigung, zumal<br />

in Haftsachen, eine neue Hauptverhandlung möglichst bald anzusetzen, nachdem sich die Hauptverhandlung am 25.<br />

Oktober 2007 für die Strafkammer als nicht zweifelsfrei in dieser Form durchführbar erwiesen hatte. Für die Frage,<br />

ob eine Aussetzung zulässig ist, kann nicht allein die Dauer bis zum nächstmöglichen Termin maßgeblich sein (vgl.<br />

zu diesem Gesichtspunkt aber Becker in LR-StPO, 26. Aufl., § 228 Rn. 2). Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich<br />

mit den Regelungen in § 217 Abs. 2, § 246 Abs. 2, § 265 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 StPO, die für Situationen eine Aussetzung<br />

vorschreiben oder zulassen, in denen das Gericht unter Beachtung des Beschleunigungsgebots nicht gehindert<br />

ist, innerhalb der sich aus § 229 Abs. 2 StPO ergebenden Unterbrechungsfrist neu zu terminieren. Auch sonst wird<br />

die Annahme eines richterlichen Ermessens für die Entscheidung zwischen Unterbrechung <strong>und</strong> Aussetzung der Vielfalt<br />

denkbarer Geschehensabläufe, die eine nachträgliche Umterminierung bedingen können, besser gerecht als eine<br />

starre Zeitgrenze, ohne dass dadurch schützenswerte Interessen der Verfahrensbeteiligten beeinträchtigt wären.<br />

bb) Mit Aufruf der Sache am 25. Oktober 2007 begann die Hauptverhandlung, § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO. Dies hatte<br />

zur Folge, dass der an dieser Hauptverhandlung teilnehmende VRiLG S. - unabhängig davon, ob seine Mitwirkung<br />

fehlerhaft war oder nicht - im Geschäftsjahr 2007 im Gegensatz zu RiLG Dr. B. bereits einmal als Ergänzungsrichter<br />

herangezogen worden war <strong>und</strong> daher nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht neuerlich als Ergänzungsrichter herangezogen<br />

werden konnte.<br />

cc) Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist auch die nachträgliche Änderung des Geschäftsverteilungsplans nicht zu beanstanden.<br />

Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Limburg für das Jahr 2007 enthält eine hinreichend abstrakte<br />

Regelung zur Frage, welcher Richter im nicht vorhersehbaren Fall der Notwendigkeit eines Ergänzungsrichters heranzuziehen<br />

ist. Der Umstand, dass - anders als im Vorjahr - mehr als drei Ergänzungsrichter erforderlich sein würden,<br />

war nicht absehbar. Durch die - ermessensfehlerfreie - Anordnung der Hinzuziehung eines weiteren, nicht bereits<br />

durch die <strong>Teil</strong>nahme an der Hauptverhandlung vom 25. Oktober 2007 „verbrauchten“ Ergänzungsrichters war<br />

eine unvorhersehbare Regelungslücke im Geschäftsverteilungsplan entstanden, die das Präsidium des Landgerichts<br />

312


in entsprechender Anwendung des § 21e GVG zu schließen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 1981 - 3 StR 88/81,<br />

NStZ 1981, 489).<br />

dd) Hinsichtlich der dienstunfähig gewordenen Beisitzerin <strong>und</strong> des erkrankten VPräsLG R. lag jeweils ein Verhinderungsfall<br />

vor, bei dem ein Ergänzungsrichter für den verhinderten Richter einzutreten hatte (vgl. § 192 Abs. 2 GVG).<br />

Aber auch hinsichtlich des erstberufenen Ergänzungsrichters, RiLG Dr. B. , lag am 8. November 2007 ein Verhinderungsfall<br />

vor, da dieser Richter an diesem Tag - amtsärztlich attestiert - bereits erneut erkrankt <strong>und</strong> absehbar längerfristig<br />

unfähig war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Hiervon durfte der Vorsitzende angesichts der Besonderheiten<br />

des Falles jedenfalls ausgehen. Damit trat an die Stelle von RiLG Dr. B. der nächstberufene Ergänzungsrichter,<br />

an dessen Stelle wiederum der in der Reihe nachfolgende. Die Mitwirkung von RiLG L. an Hauptverhandlung<br />

<strong>und</strong> Urteil erweist sich nach alledem als zutreffend, keinesfalls aber als willkürlich.<br />

2. Neben dieser Besetzungsrüge haben die Revisionen aller Angeklagten eine dienstliche Stellungnahme von RiLG<br />

L. zu einem mit dem Anstaltsseelsorger des Angeklagten W. auf dessen Wunsch geführten Gespräch zum Anlass<br />

genommen, anzunehmen, RiLG L. sei gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen. Die<br />

hierauf gestützte Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 2 StPO) ist ebenfalls unbegründet. Das Wissen, das ein Richter während<br />

des Laufs eines anhängigen Verfahrens dienstlich erlangt <strong>und</strong> durch eine dienstliche Erklärung in die Hauptverhandlung<br />

einbringt, macht den Richter nicht zum Zeugen. Eine Vernehmung als Zeuge wäre ein unzulässiges Beweismittel<br />

i.S.d. § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO; es entzöge dem Angeklagten den gesetzlichen Richter (BGH, Urteil vom 23. Juni<br />

1993 - 3 StR 89/93, NJW 1993, 2758).<br />

3. Die Besetzungsrüge des Angeklagten W., der Vorsitzende sei gemäß § 22 Nr. 1 StPO von der Mitwirkung ausgeschlossen<br />

gewesen (§ 338 Nr. 2 StPO), ist bereits nicht zulässig erhoben, weil sie den Inhalt der hierzu abgegebenen<br />

dienstlichen Erklärungen nicht vorträgt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Sie wäre auch unbegründet: Der Vorsitzende hat<br />

gemäß § 183 GVG die Äußerung eines Verteidigers, es sei dem Angeklagten unzumutbar, sich mit den Richtern in<br />

einem Raum aufzuhalten, zu Protokoll genommen. Diese Äußerung wurde Gegenstand einer Strafanzeige durch den<br />

Landgerichtspräsidenten. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war der Vorsitzende damit nicht als Verletzter<br />

von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen. Straftat im Sinne des § 22 Nr. 1 StPO<br />

kann nur eine solche sein, die Prozessgegenstand des anhängigen Verfahrens ist. Andernfalls läge es in der Hand<br />

eines jeden Angeklagten, sich nach Belieben jedem Richter zu entziehen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24.<br />

April 1996 - 2 BvR 1639/94, NJW 1996, 2022).<br />

4. Die behauptete Überlassung von <strong>Teil</strong>en der Anklageschrift an die Schöffen könnte für sich allein eine Besorgnis<br />

der Befangenheit weder gegenüber den Berufsrichtern noch gegenüber den Schöffen begründen (vgl. EGMR, Urteil<br />

vom 12. Juni 2008 - 26771/03, NJW 2009, 2871; zur Zulässigkeit der Überlassung von Aktenteilen an Schöffen vgl.<br />

auch BGH, Urteil vom 26. März 1997 - 3 StR 421/96, BGHSt 43, 36). Die hierauf gestützte Besetzungsrüge (§ 338<br />

Nr. 3 StPO) des Angeklagten B. kann schon deswegen nicht erfolgreich sein.<br />

5. Die auf § 338 Nr. 3 StPO gestützten Verfahrensrügen der Angeklagten B. <strong>und</strong> W. , mit denen sie geltend machen,<br />

Befangenheitsgesuche seien zu Unrecht gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen <strong>und</strong> Art. 101 GG<br />

dadurch verletzt worden, bleiben ebenfalls ohne Erfolg.<br />

a) Den Rügen liegt u.a. Folgendes zugr<strong>und</strong>e: Die Verteidigung des Angeklagten F. hatte am 3. Verhandlungstag<br />

gegen eine Protokollführerin ein Ablehnungsgesuch angebracht, weil diese dem Vorsitzenden über Vorkommnisse in<br />

einer Sitzungspause (Übergabe von Unterlagen an einen der Angeklagten) berichtet hatte. Es wurde ebenso wie ein<br />

Antrag auf Umsetzung der Protokollführerin zurückgewiesen. Dies <strong>und</strong> die Mitteilung des Vorsitzenden, hinsichtlich<br />

einer Beisitzerin den Ergänzungsfall annehmen zu wollen, nahm die Verteidigung des Angeklagten B. zum Anlass,<br />

die Mitglieder der Strafkammer einschließlich der Schöffen abzulehnen. Die Verteidigung des Angeklagten W. lehnte<br />

ebenfalls mit einem in der Hauptverhandlung angebrachten <strong>und</strong> zwei weiteren während laufender Hauptverhandlung<br />

auf der Geschäftsstelle eingereichten - mit vorangehenden überwiegend wortgleichen - Anträgen die Mitglieder<br />

der Strafkammer einschließlich der Schöffen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die Strafkammer verwarf<br />

die Befangenheitsgesuche mit Beschluss vom 3. Dezember 2007 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig. Eine<br />

Gesamtschau des bisherigen Verfahrensgangs offenbare ein zwischen den Verteidigern abgesprochenes Verteidigungsverhalten,<br />

das darin bestehe, Anträge in möglichst umständlicher <strong>und</strong> zeitaufwändiger Weise einzubringen, die<br />

hierdurch entstehenden Verzögerungen sodann aber zur Begründung für weitere Haftaufhebungsanträge zu verwenden.<br />

Auch werde erkennbar, dass Entscheidungen des Gerichts über Verfahrensanträge umgehend zum Anlass für<br />

weitere Ablehnungsanträge unter Wiederholung bereits verschiedener Rügen genommen worden seien. Die Strafkammer<br />

weist darauf hin, die Verteidigung des Angeklagten W. habe am 1. Verhandlungstag zwei Besetzungsrügen<br />

angebracht, bei denen sie jeweils - mit dem Bemerken, dies sei prozessual zwingend - den gesamten Geschäftsverteilungsplan<br />

einschließlich der Zuständigkeitsverteilung sämtlicher Zivilkammern <strong>und</strong> aller Änderungsbeschlüsse ver-<br />

313


lesen habe. Am 2. Verhandlungstag habe die Verteidigung des Angeklagten B. begonnen, einen ihr schriftlich vorliegenden<br />

Befangenheitsantrag zu Protokoll zu diktieren, einschließlich eines dem Ablehnungsgesuch zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Beschlusses aus dem Ermittlungsverfahren mit den darin enthaltenen Zahlenkolonnen. Nach einem am<br />

Nachmittag des 2. Verhandlungstages vom Vorsitzenden gegebenen Hinweis darauf, dass ein Recht auf Protokollierung<br />

der Antragsbegründung nicht bestehe, habe der Verteidiger des Angeklagten B. erwidert, dass er diese Ansicht<br />

zur Kenntnis nehme, seinen Antrag gleichwohl weiter zu Protokoll diktieren werde. Das Landgericht nennt im Ablehnungsbeschluss<br />

weitere Anträge, unter anderem einen Befangenheitsantrag gegen die Protokollführerin, in welchem<br />

diese des Denunziantentums <strong>und</strong> der Abgabe unwahrer Erklärungen bezichtigt werde, einen Antrag auf Umsetzung<br />

der Protokollführerin, in dem diese erneut der bewussten Spitzeltätigkeit bezichtigt werde. Gegen die Kammermitglieder<br />

werde der diffamierende Vorwurf erhoben, die angebliche Bespitzelungstätigkeit der Protokollführerin<br />

entspreche einem Wunsch der Strafkammer. Die mit dem Vorwurf der Verkündung eines nicht beratenen Kammerbeschlusses<br />

vorgetragene Wertung, das gerügte Verhalten des Vorsitzenden lasse vermuten, dass dieser auch die<br />

Beurteilung der Schuldfrage nicht vom Ergebnis der Beweisaufnahme abhängig mache, diene allein einer Bloßstellung;<br />

ein Verteidiger des Angeklagten B. habe selbst bek<strong>und</strong>et, eine Tischberatung habe zu dem in Rede stehenden<br />

Beschluss stattgef<strong>und</strong>en. Die weiteren Einwände gegen die Unbefangenheit der Richter seien - zum <strong>Teil</strong> wortgleich -<br />

bereits Gegenstand früherer Anträge gewesen, die die Strafkammer bereits beschieden habe. Der darin enthaltene<br />

Hinweis, die Mitglieder des Präsidiums hätten bei wahrheitsgemäßen Angaben bekennen müssen, die Ergänzungsrichter<br />

unter bewusster Missachtung der verfassungsrechtlichen Erfordernisse bestellt zu haben, diene ebenfalls allein<br />

der Diffamierung. Auch ein weiteres Befangenheitsgesuch des Angeklagten B. verwarf die Strafkammer am 1.<br />

Juli 2008 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig. Die Verteidigung hatte gegen die an einem Beschluss zur<br />

Zurückweisung eines gegen einen Sachverständigen gerichteten Befangenheitsantrags mitwirkenden Richter ein<br />

Befangenheitsgesuch angebracht <strong>und</strong> sodann gegen die hierüber entscheidenden Richter neuerlich mit einem Ablehnungsantrag<br />

reagiert. Nachdem auf Antrag der Verteidigung mitgeteilt wurde, welche Richter hierüber entscheiden<br />

würden, wurde gegen diese ein Befangenheitsantrag gestellt, der nunmehr Gegenstand einer Revisionsrüge ist. In<br />

dem diesen Antrag zurückweisenden Beschluss führt die Strafkammer aus, die Verteidiger hätten durch das bisherige<br />

Prozessverhalten gezeigt, dass sie bestrebt seien, die Hauptverhandlung dauerhaft auf eine Auseinandersetzung um<br />

vermeintliche Voreingenommenheit zu beschränken, eine zügige Beweisaufnahme zu verhindern, hierdurch zusätzliche<br />

Arbeitskraft der Richter zu binden <strong>und</strong> die dadurch entstandenen Verzögerungen dann als Argument in einer<br />

eingereichten Haftbeschwerde zu verwenden. So erweise sich die sukzessive Kettenablehnung der für das jeweils<br />

neu abgelehnte Kammermitglied nachrückenden Richters in der Zusammenschau des - im Einzelnen dargelegten -<br />

Prozessverlaufs, dass es der Verteidigung nur um die Verhinderung einer Beweisaufnahme zum Themenkomplex<br />

„S.“ gehe.<br />

b) Die Rügen wären jedenfalls unbegründet. Der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 3 StPO liegt nicht vor. Die<br />

Grenzen, innerhalb derer abgelehnte Richter selbst über die gegen sie angebrachten Ablehnungsgesuche entscheiden<br />

können (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2005, 3410; NJW 2006, 3129; BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR<br />

1730/06), wurden nicht überschritten.<br />

aa) Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über ein gegen ihn<br />

angebrachtes Befangenheitsgesuch entscheidet. Voraussetzung für diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten<br />

Regelfall der Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache<br />

getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung<br />

des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfG, NJW 2005, 3410). Dies gilt auch für<br />

die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2008 - 5 StR 129/07, wistra 2008,<br />

267; BGH, Beschluss vom 10. April 2008 - 4 StR 443/07, NStZ 2008, 523, 524). Allerdings ist es zum Beleg der<br />

Prozessverschleppungsabsicht regelmäßig erforderlich, dass die Richter das eigene Verhalten im Rahmen des Prozessgeschehens<br />

schildern. Allein hierdurch werden sie aber nicht zu Richtern in eigener Sache (BVerfG, Beschluss<br />

vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06; BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 1 StR 289/09, wistra 2009, 446; Beschluss<br />

vom 13. Februar 2008 - 3 StR 509/07, NStZ 2008, 473).<br />

bb) Gemessen hieran ist die Verwerfung der geschilderten Ablehnungsgesuche als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1<br />

Nr. 3 StPO nicht zu beanstanden. Die abgelehnten Richter haben nicht ihr eigenes Verhalten bewertet. Vielmehr hat<br />

die Strafkammer ihre Überzeugung von der den Befangenheitsgesuchen zugr<strong>und</strong>e liegenden Verschleppungsabsicht<br />

<strong>und</strong> der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke rechtsfehlerfrei gewonnen aus den Befangenheitsgesuchen selbst<br />

(deren Inhalt, Art <strong>und</strong> Weise der Anbringung der Gesuche <strong>und</strong> Wortwahl) <strong>und</strong> der jeweiligen Verfahrenssituation.<br />

Auch der Umstand, dass die abgelehnten Richter im Rahmen der Entscheidung vom 1. Juli 2008 auf vorangehende<br />

Beschlüsse Bezug nehmen, mit denen sie bereits eine Prozessverschleppungsabsicht in anderem Zusammenhang<br />

314


festgestellt hatten, macht sie nicht zu Richtern in eigener Sache (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 1 StR<br />

289/09, wistra 2009, 446). Die Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO waren gegeben, wie bereits die von der<br />

Strafkammer in den Ablehnungsbeschlüssen geschilderten Umstände belegen. Auch die revisionsgerichtliche Prüfung<br />

nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 3 StR 446/04, wistra 2005, 464 ergibt,<br />

dass ein klarer Fall missbräuchlich angebrachter Ablehnungsgesuche vorliegt. Schon in der hier sogar mehrfachen<br />

Wiederholung gleichlautender Anträge kann eine Absicht zur Verfahrensobstruktion erkennbar werden. Der von der<br />

Strafkammer aus dem Umstand, dass für verschiedene Angeklagte gestellte Anträge sowohl vom Erscheinungsbild<br />

als auch vom Inhalt identisch waren, gezogene Schluss auf ein zwischen den Verteidigern abgestimmtes Verhalten,<br />

liegt dabei überaus nahe. Die Stellung langer Anträge zu Protokoll <strong>und</strong> die Anwürfe gegen die Mitglieder der Strafkammer,<br />

die ersichtlich zur Wahrung der Verteidigungsinteressen nicht erforderlich waren, deuten ebenfalls auf die<br />

Verfolgung verfahrensfremder Zwecke oder die Absicht zur bloßen Verschleppung des Verfahrens hin. Jedenfalls in<br />

der Gesamtschau lässt dieses Prozessverhalten keinen vernünftigen Zweifel zu, dass es der Verteidigung (auch) mit<br />

den abgelehnten Befangenheitsanträgen nicht um die Wahrnehmung legitimer Verteidigungsaufgaben - den Angeklagten<br />

vor einem materiellen Fehlurteil oder auch nur einem prozessordnungswidrigen Urteil zu schützen (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 3 StR 445/04, NStZ 2005, 341) - ging, sondern um die Verhinderung eines<br />

geordneten Verfahrensfortgangs <strong>und</strong> -abschlusses in angemessener Zeit durch die zielgerichtete <strong>und</strong> massive Beeinträchtigung<br />

von Verfahrensherrschaft <strong>und</strong> Arbeitsfähigkeit des Strafgerichts (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Juni<br />

2005 - 5 StR 129/05, NJW 2005, 2466). Das Revisionsvorbringen vermag diesen Bef<strong>und</strong> nicht zu entkräften. Soweit<br />

die Revision des Angeklagten B. vorträgt, es gehöre zu den Kernaufgaben der Verteidigung, durch Ablehnungsanträge<br />

zu versuchen, eine Haftverschonung für den Mandanten zu erzwingen, offenbart dies ein Fehlverständnis des<br />

Strafprozesses im allgemeinen <strong>und</strong> des Ablehnungsverfahrens nach §§ 24 ff. StPO im besonderen. Solches Vorbringen<br />

ist nicht geeignet, den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu widerlegen. Der Auftrag der Verteidigung liegt - bei<br />

allem anerkennenswerten Engagement für den Mandanten - nicht ausschließlich im Interesse eines Angeklagten,<br />

sondern auch in einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege (BGH, Urteil vom 3. Oktober 1979<br />

- 3 StR 264/79, BGHSt 29, 99, 106). Der Verteidiger, von dem das Gesetz besondere Sachk<strong>und</strong>e verlangt (§§ 138,<br />

139, 142 Abs. 2 StPO, § 392 AO), ist der Beistand, nicht der Vertreter des Beschuldigten, an dessen Weisungen er<br />

auch nicht geb<strong>und</strong>en ist (BGH, Urteil vom 7. November 1991 - 4 StR 252/91, NStZ 1992, 140).<br />

c) Im Übrigen würde auch ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO nicht stets den Revisionsgr<strong>und</strong><br />

des § 338 Nr. 3 StPO begründen, vielmehr führt ein solcher Verstoß nur dann zu einer Verletzung von<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn diese Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung<br />

die Bedeutung <strong>und</strong> Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411; BVerfG,<br />

Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007,<br />

161). Beides ist hier nicht der Fall.<br />

d) Die weiteren von den Revisionen beanstandeten Beschlüsse der Strafkammer, mit denen Befangenheitsgesuche<br />

gegen Berufsrichter <strong>und</strong> Schöffen sowie gegen einen Sachverständigen gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO verworfen<br />

wurden, halten gemessen an den aufgezeigten Gr<strong>und</strong>sätzen ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.<br />

III. Auch die gegen die Behandlung der zahllosen Beweisanträge durch die Strafkammer gerichteten Verfahrensrügen,<br />

wie etwa die Beanstandung, die Strafkammer habe zwei auf die Einvernahme von r<strong>und</strong> 2.000 <strong>und</strong> 5.401 Zeugen<br />

gerichtete Beweisanträge rechtsfehlerhaft als bedeutungslos abgelehnt, bleiben aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

dargelegten Gründen ohne Erfolg. Sie wären jedenfalls unbegründet. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof schon früh die Zurückweisung eines hinsichtlich des Umfangs der begehrten Beweisaufnahme<br />

ähnlichen (Hilfs-)Beweisantrags eben wegen dieses Umfangs mit folgender Begründung gebilligt hat: „Die Ablehnung<br />

des Hilfsbeweisantrags der Verteidigung, „sämtliche Inserenten“ - etwa 7.000 - als Zeugen zu verhören, verletzt<br />

die §§ 244, 245 StPO [aF] schon deshalb nicht, weil er … auf Unmögliches gerichtet ist“ (BGH, Urteil vom 4.<br />

Januar 1954 - 1 StR 476/53). In vergleichbarem Sinn hat das OVG Münster (DÖV 1981, 384 mwN) unter ausdrücklichem<br />

Hinweis darauf, dass sich auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Ablehnung von Beweisanträgen<br />

nach § 244 StPO richte, einen auf die Vernehmung von 20.000 Zeugen gerichteten Antrag zurückgewiesen: Die<br />

Durchführung der Beweisaufnahme sei unzumutbar, die Grenzen der Zumutbarkeit „eindeutig überschritten“ (vgl.<br />

auch Niemöller, Zum exzessiven Gebrauch des Beweisantragsrechts, JR 2010, 332, 338).<br />

D. Hinsichtlich des Angeklagten F. führt die sachrechtliche Nachprüfung zu der aus dem Tenor ersichtlichen Änderung<br />

des Schuldspruchs <strong>und</strong> in dessen Folge zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe (§ 349<br />

Abs. 4 StPO). Darüber hinaus hat die Rüge der Verletzung materiellen Rechts keine durchgreifenden Rechtsfehler<br />

zum Nachteil des Angeklagten F. aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

315


I. Der Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten F. ist auf die Sachrüge dahin zu ändern, dass der Angeklagte der<br />

Steuerhinterziehung in sechs Fällen <strong>und</strong> der versuchten Steuerhinterziehung in fünf Fällen schuldig ist.<br />

1. Die den Fällen F 3 <strong>und</strong> F 4 der Urteilsgründe zugr<strong>und</strong>e liegenden Taten (Versuch der Hinterziehung von Körperschaft-<br />

bzw. Gewerbesteuer der B. GmbH für das Jahr 2004), die das Landgericht als tat-mehrheitlich verwirklicht<br />

angesehen hat, stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit. Zutreffend hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner<br />

Antragsschrift hierzu ausgeführt: "Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist gr<strong>und</strong>sätzlich als selbständige<br />

Tat im Sinne von § 53 <strong>StGB</strong> zu werten. … Ausnahmsweise kann Tateinheit vorliegen, wenn die Hinterziehungen<br />

durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche<br />

Handlung gleichzeitig abgegeben werden. Entscheidend dabei ist, dass die Abgabe der Steuererklärungen im äußeren<br />

Vorgang zusammenfällt <strong>und</strong> überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

enthalten sind (vgl. BGHSt 33, 163; BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 6 <strong>und</strong> 9; BGH wistra<br />

1996, 62 m.w.N.). Dies ist für die Taten F 3 <strong>und</strong> F 4 festgestellt, weil die unrichtigen Steuererklärungen am<br />

06.03.2006 bei einem Finanzamt abgegeben wurden, sie Steuern derselben Gesellschaft für den Veranlagungszeitraum<br />

2004 betrafen <strong>und</strong> übereinstimmend unrichtige Angaben enthielten." Der Schuldspruch ist daher entsprechend<br />

abzuändern, ein <strong>Teil</strong>freispruch kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 596/08,<br />

NStZ 2009, 347; Beschluss vom 30. Januar 2003 - 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546).<br />

2. In den Fällen F 7 <strong>und</strong> F 8 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Körperschaft- bzw. Gewerbesteuer der D. Systeme<br />

GmbH für das Jahr 2004) tragen die Urteilsfeststellungen die Verurteilung wegen vollendeter Steuerhinterziehung<br />

nicht. Der Senat ändert daher den Schuldspruch in diesen Fällen jeweils auf versuchte Steuerhinterziehung ab.<br />

a) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe alle äußeren <strong>und</strong> inneren Tatsachen so vollständig angeben,<br />

dass darin die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands erkannt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12.<br />

Mai 1989 - 3 StR 55/89, BGHR, StPO, § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 4). Bei der Blankettstrafnorm des § 370<br />

AO, die erst zusammen mit den sie ausfüllenden steuerrechtlichen Vorschriften die maßgebliche Strafvorschrift<br />

bildet (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2007 - 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595), muss sich deshalb aus den Feststellungen<br />

ergeben, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung<br />

geführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1997 - 5 StR 210/97, NStZ-RR 1997, 374, 375; BGH,<br />

Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 584/00, NStZ-RR 2001, 307). Diesen Anforderungen wird das Urteil in den<br />

Fällen F 7 <strong>und</strong> F 8 nicht gerecht.<br />

b) Das Landgericht hat in den Fällen F 7 <strong>und</strong> F 8 der Urteilsgründe festgestellt, dass der Angeklagte F. betreffend<br />

den Veranlagungszeitraum 2004 für die D. Systeme GmbH, deren Geschäftsführer er war, keine Körperschaftsteuer-<br />

<strong>und</strong> Gewerbesteuererklärungen abgegeben hat. Diese Feststellungen allein tragen jedoch die Annahme einer vollendeten<br />

Körperschaft- <strong>und</strong> Gewerbesteuerhinterziehung zugunsten der D. Systeme GmbH nicht. Denn bei der Hinterziehung<br />

von Veranlagungssteuern durch Unterlassen ist - sofern, wie hier, kein Schätzungsbescheid ergangen ist - für<br />

die Vollendung der Tat i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO derjenige Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Veranlagung spätestens<br />

stattgef<strong>und</strong>en hätte, wenn die Steuererklärung eingereicht worden wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom<br />

28. Oktober 1998 - 5 StR 500/98, NStZ-RR 1999, 218). Dies ist dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die<br />

Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart <strong>und</strong> den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen<br />

hat (vgl. BGH aaO mwN; Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370 Rn. 92). Den Urteilsfeststellungen kann nicht entnommen<br />

werden, welches Finanzamt für die D. Systeme GmbH zuständig war <strong>und</strong> wann die Veranlagungsarbeiten<br />

für den jeweiligen Veranlagungszeitraum dort tatsächlich abgeschlossen waren. Legt man für den allgemeinen Abschluss<br />

der Veranlagungsarbeiten einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren zugr<strong>und</strong>e, ist davon auszugehen, dass die<br />

Veranlagungsarbeiten hier bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens in der ersten Jahreshälfte 2006 (erste Haftbefehle<br />

<strong>und</strong> Durchsuchungsbeschlüsse datieren vom 12. April 2006) noch nicht abgeschlossen waren. Dies liegt auch<br />

deshalb nahe, weil das Landgericht in den Fällen F 11 <strong>und</strong> F 12 der Urteilsgründe solches für denselben Veranlagungszeitraum<br />

<strong>und</strong> dieselben Steuerarten bei der Schwestergesellschaft D. Service GmbH festgestellt (<strong>und</strong> dementsprechend<br />

auf versuchte Steuerhinterziehung erkannt) hat.<br />

c) Der Senat schließt aus, dass betreffend die Fälle F 7 <strong>und</strong> F 8 der Urteilsgründe für die D. Systeme GmbH noch<br />

Feststellungen getroffen werden können, die einen allgemeinen Veranlagungsabschluss beim zuständigen Finanzamt<br />

vor Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung an den Angeklagten F. belegen könnten. Der Schuldspruch ist daher in<br />

diesen Fällen auf versuchte Steuerhinterziehung abzuändern. Es ist ausgeschlossen, dass sich der Angeklagte F.<br />

gegen den geänderten Tatvorwurf anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

II. Infolge der Schuldspruchänderung hält beim Angeklagten F. auch der Strafausspruch teilweise rechtlicher Nachprüfung<br />

nicht stand.<br />

316


1. Für die tateinheitlich verwirklichten Taten in den Fällen F 3 <strong>und</strong> F 4 der Urteilsgründe setzt der Senat die vom<br />

Landgericht für jede der beiden Taten verhängte Einzelstrafe von sechs Monaten als neue Einzelstrafe fest (§ 354<br />

Abs. 1 StPO analog). Es kann ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses<br />

der Taten eine mildere Strafe als diese verhängt hätte. Die weitere Einzelfreiheitsstrafe entfällt.<br />

2. In den Fällen F 7 <strong>und</strong> F 8 der Urteilsgründe kann der Strafausspruch von jeweils neun Monaten Freiheitsstrafe<br />

keinen Bestand haben, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft von einer vollendeten Tat ausgegangen ist. Dem Antrag<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts folgend setzt der Senat in diesen Fällen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1<br />

StPO jeweils die niedrigste mögliche Freiheitsstrafe von einem Monat fest. Angesichts der Höhe der erstrebten Steuerverkürzung<br />

(r<strong>und</strong> 86.000 Euro im Fall F 7, r<strong>und</strong> 78.500 Euro im Fall F 8) <strong>und</strong> im Hinblick auf die übrigen Einzelstrafen<br />

schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei zutreffender Einstufung der Tat als versuchte Steuerhinterziehung<br />

noch eine Geldstrafe verhängt hätte (§ 47 <strong>StGB</strong>).<br />

3. Angesichts des Wegfalls einer Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten <strong>und</strong> der Herabsetzung zweier Einzelfreiheitsstrafen<br />

von neun Monaten auf einen Monat kann bei dem Angeklagten F. der Gesamtstrafausspruch keinen<br />

Bestand haben. Es ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung der Änderungen<br />

bei den Einzelstrafen eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, auch wenn dies im Hinblick auf die<br />

Erwägungen des Landgerichts zur Gesamtstrafenbildung eher fern liegt. Der Senat hebt deshalb beim Angeklagten F.<br />

die Gesamtfreiheitsstrafe mit der Maßgabe (§ 354 Abs. 1b StPO) auf, dass die nachträgliche Entscheidung über die<br />

Gesamtstrafe im Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2008 -<br />

1 StR 336/08; Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 369/03). Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht.<br />

E. Die Revisionen der Angeklagten B. <strong>und</strong> W. haben mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen<br />

<strong>Teil</strong>erfolg. Hiervon bleiben die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen allerdings unberührt. Im Übrigen ergibt die<br />

sachrechtliche Nachprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten B. <strong>und</strong><br />

W. (§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 StPO). Der Erörterung bedarf Folgendes:<br />

I. Dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts folgend stellt der Senat das Verfahren betreffend den Angeklagten B.<br />

hinsichtlich der Fälle B 1, B 2, B 3, B 18 <strong>und</strong> betreffend den Angeklagten W. hinsichtlich des Falles W 12 der Urteilsgründe<br />

gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. In diesen Fällen bestehen teilweise durchgreifende Bedenken gegen die<br />

vom Landgericht vorgenommene Berechnung der Höhe der hinterzogenen Steuern. Der Senat sieht angesichts der<br />

Komplexität des Verfahrens aus Gründen der Verfahrensökonomie <strong>und</strong> zur Beschleunigung des Verfahrens davon<br />

ab, die Sache insoweit an das Landgericht zurückzuverweisen. Die in diesen Fällen noch zu erwartenden Einzelstrafen<br />

fielen gegenüber den übrigen Einzelstrafen nicht beträchtlich ins Gewicht (§ 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1<br />

StPO). Die <strong>Teil</strong>einstellung zieht die entsprechende Änderung des Schuldspruchs nach sich.<br />

II. In den allein den Angeklagten W. betreffenden Fällen W 1 <strong>und</strong> W 2 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Gewerbe-<br />

bzw. Umsatzsteuer der P. GbR für das Jahr 2001) hat das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der Taten<br />

unrichtig beurteilt. Die Straftatbestände wurden aus den bei dem Angeklagten F. zu den Fällen F 3 <strong>und</strong> F 4 (vgl. oben<br />

D.I.1.) genannten Gründen in Tateinheit, nicht - wie vom Landgericht angenommen - tatmehrheitlich verwirklicht.<br />

Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab <strong>und</strong> setzt für die tateinheitlich begangene Tat eine einheitliche -<br />

vom Landgericht bisher für die Fälle W 1 <strong>und</strong> W 2 jeweils als schuldangemessen angesehene - Strafe von einem Jahr<br />

Freiheitsstrafe fest. Er schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender Annahme von Tateinheit eine mildere<br />

Strafe als ein Jahr Freiheitsstrafe verhängt hätte (§ 354 Abs. 1 StPO), zumal das Landgericht allein für den Fall W 2 -<br />

isoliert betrachtet rechtsfehlerfrei - eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für schuldangemessen erachtet hat. Die zweite<br />

Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr entfällt. Ein <strong>Teil</strong>freispruch hinsichtlich der Verurteilung im Fall W 1 (Gewerbesteuerhinterziehung<br />

bei der P. GbR für das Jahr 2001) kommt nicht in Betracht, weil der Senat sicher ausschließen<br />

kann, dass es insoweit insgesamt an einer Tatbestandsverwirklichung fehlen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11.<br />

März 2009 - 2 StR 596/08, NStZ 2009, 347; Beschluss vom 30. Januar 2003 - 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546). Zwar<br />

ist den Urteilsgründen der Inhalt der in diesem Fall abgegeben Steuererklärung <strong>und</strong> des daraufhin ergangenen Steuerbescheides<br />

nicht zu entnehmen. Daher kann der Senat die festgesetzte mit der gesetzlich geschuldeten Steuer nicht<br />

vergleichen <strong>und</strong> den vom Landgericht angenommenen Schuldumfang nicht nachprüfen (vgl. dazu BGH, Urteil vom<br />

12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, BGHR, StPO, § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1). Es steht jedoch sicher fest, dass die<br />

Angeklagten in diesem Fall entweder Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt haben. Denn<br />

den Urteilsgründen einschließlich der Berechnungsdarstellung ist zu entnehmen, dass aufgr<strong>und</strong> unrichtiger Angaben<br />

in der Steuererklärung dem Gewerbesteuerbescheid ein zu niedriger Gewerbeertrag zugr<strong>und</strong>e gelegte wurde. Die<br />

Urteilsgründe zu Fall W 1 sind insofern widersprüchlich, als das Landgericht einerseits von einem zu hoch festgesetzten<br />

„vortragsfähigen Verlust“, andererseits von einer verkürzten Gewerbesteuer in Höhe von r<strong>und</strong> 140.000 DM<br />

317


ausgeht. Dabei handelt es sich um zwei sich gegenseitig ausschließende Sachverhaltsvarianten. In beiden Varianten,<br />

von denen eine sicher vorliegt, wäre jedoch gleichermaßen ein Taterfolg i.S.d. § 370 Abs. 1 AO eingetreten.<br />

1. Es liegt nahe, dass das Landgericht zwar von einer Steuerverkürzung ausgegangen ist, diese aber zu hoch angesetzt<br />

hat, weil es einen im Urteil aber nicht näher dargelegten „Verlustvortrag“ mit Blick auf das Kompensationsverbot<br />

(§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) außer Ansatz gelassen hat. Die Anwendung des Kompensationsverbots wäre rechtsfehlerhaft.<br />

Denn mit „anderen Gründen“ i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO sind nur solche Tatsachen gemeint, auf die sich<br />

der Täter nicht bereits im Besteuerungsverfahren berufen hat (BGH, Urteil vom 28. Januar 1987 - 3 StR 373/86,<br />

NJW 1987, 1273; Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370 Rn. 130). Steuervorteile, die dem Täter schon aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

Angaben zustanden, dürfen ihm im Steuerstrafverfahren nicht vorenthalten werden (BGH, Urteil vom 31. Januar<br />

1978 - 5 StR 458/77; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 177. Aufl., EL 153 § 370 AO Rn. 46).<br />

Eine Steuerverkürzung wäre trotz dieses Rechtsfehlers gegeben.<br />

2. Sollten sich demgegenüber die unrichtigen Angaben der Angeklagten so ausgewirkt haben, dass ein zu hoher<br />

vortragsfähiger Gewerbeverlust festgestellt worden ist, läge hierin die Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils<br />

i.S.d. § 370 Abs. 1 AO. Denn eine Besserstellung des Steuerpflichtigen wird nicht erst durch die tatsächliche<br />

Durchführung des Verlustabzugs, sondern bereits durch die Feststellung des (vortragsfähigen) Verlusts bewirkt (vgl.<br />

Patzelt, Ungerechtfertigte Steuervorteile <strong>und</strong> Verlustabzug im Steuerstrafrecht, 1990). Die Feststellung eines Verlustvortrags<br />

erfolgt durch gesonderten Gr<strong>und</strong>lagenbescheid (hier gemäß § 10a GewStG; vgl. dazu BFH, Urteil vom<br />

9. Juni 1999 - I R 92/98, BB 1999, 1803), der gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für den jeweils nächsten Steuerbescheid<br />

<strong>und</strong> Verlustfeststellungsbescheid Bindungswirkung entfaltet (vgl. zum Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 Satz<br />

1 EStG: BFH, Urteil vom 21. Januar 2004 - VIII R 2/02, BStBl. II 2004, 551). Insofern erlangt der Steuerpflichtige<br />

einen Vorteil spezifisch steuerlicher Art, der auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruht <strong>und</strong> der eine hinreichend<br />

konkrete Gefährdung des Steueranspruchs begründet, die für die Annahme eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils<br />

genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99, 106f.; FG München,<br />

Urteil vom 23. Februar 2010 - 13 K 1694/07).<br />

III. Im Übrigen hält die Verurteilung der Angeklagten B. <strong>und</strong> W. wegen Hinterziehung von Körperschaft- <strong>und</strong> Gewerbesteuern<br />

rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere weist die Wertung des Landgerichts, dass die auf die<br />

Scheinrechnungen geleisteten Zahlungen den bei der Berechnung der geschuldeten Körperschaft- <strong>und</strong> Gewerbesteuern<br />

zugr<strong>und</strong>e zu legenden Gewinn der jeweiligen Rechnungsadressaten in der jeweils festgestellten Höhe nicht mindern<br />

konnten, keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.<br />

1. Bei den in der Rechtsform der GmbH geführten Unternehmen hat das Landgericht die auf Scheinrechnungen geleisteten<br />

Zahlungen zutreffend als verdeckte Gewinnausschüttungen gewertet, die den Gewinn nicht schmälern (§ 8<br />

Abs. 3 Satz 2 KStG; zum Begriff der verdeckten Gewinnausschüttung vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2008 - 5<br />

StR 547/07, wistra 2008, 310; Urteil vom 24. Mai 2007 - 5 StR 72/07, DStRE 2008, 169, 170 mit Nachweisen aus<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esfinanzhofs). Denn die Geldabflüsse aus der jeweiligen Unternehmenssphäre hatten<br />

ihren Gr<strong>und</strong> allein in dem Verhältnis zwischen den in den Rechnungen aufgeführten Firmen <strong>und</strong> den Angeklagten B.<br />

<strong>und</strong> W. als deren Gesellschaftern. Ein ordentlicher Geschäftsleiter hätte Scheinrechnungen nicht als Aufwand in der<br />

Buchhaltung berücksichtigt <strong>und</strong> für vorgenommene Zahlungen zumindest Rückzahlungsansprüche verbucht. Soweit<br />

in sehr geringem Umfang tatsächlich Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht wurden, diente dies - wie das<br />

Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat - allein der Verschleierung der Steuerhinterziehung. Die zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Vereinbarungen sind somit als Scheingeschäfte steuerlich unbeachtlich (§ 41 Abs. 2 AO), die erbrachten<br />

Zahlungen insgesamt nicht betrieblich veranlasst (§ 4 Abs. 4 EStG). Der Umstand, dass die Strafkammer diese Lieferungen<br />

<strong>und</strong> Leistungen gleichwohl gewinnmindernd in Ansatz gebracht hat, beschwert die Angeklagten nicht.<br />

2. Soweit das Landgericht auch im Zusammenhang mit der P. GbR den Begriff „verdeckte Gewinnausschüttung“<br />

verwendet, versteht es diesen Begriff erkennbar untechnisch in dem Sinne, dass die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. beabsichtigten,<br />

mittels an die P. GbR gerichteten Scheinrechnungen deren Gewinn zu mindern. Dies ist rechtsfehlerfrei,<br />

denn auch bei der P. GbR hatten die Zahlungen nach den Feststellungen des Landgerichts keine betriebliche Veranlassung,<br />

sondern dienten allein dem Vermögenszufluss bei den Angeklagten B. <strong>und</strong> W. . Derart ausschließlich privat<br />

veranlasste Zahlungen, denen keine erkennbaren Leistungen an den Betrieb gegenüberstehen, können als Entnahme<br />

den Gewinn einer GbR nicht mindern, unabhängig davon, ob der Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4<br />

Abs. 3 EStG) oder durch Betriebsvermögensvergleich (§ 5 EStG) ermittelt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 6. Oktober<br />

1993 - VIII B 122/92, BFH/NV 1994, 173).<br />

IV. Das Urteil hat auch insoweit Bestand, als das Landgericht die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. wegen vollendeter <strong>und</strong><br />

versuchter Taten der Einkommensteuerhinterziehung verurteilt hat.<br />

318


1. Allerdings galt im Tatzeitraum bei Gewinnausschüttungen das Anrechnungsverfahren für Körperschaftsteuerguthaben<br />

(§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG aF). Das Landgericht hätte deshalb beachten müssen, dass bei Verurteilung<br />

einer Person nach verdeckter Gewinnausschüttung sowohl wegen Körperschaftsteuerhinterziehung zugunsten der<br />

ausschüttenden Kapitalgesellschaft als auch - als Empfänger der Ausschüttung - wegen Einkommensteuerhinterziehung<br />

die verkürzte Einkommensteuer im Hinblick auf die verdeckte Gewinnausschüttung (fiktiv) nach dem Anrechnungsverfahren<br />

zu berechnen war (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2006 - 5 StR 435/06, wistra 2007, 68).<br />

Der Umstand, dass das Landgericht hier bei dem Angeklagten B. im Fall B 12 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung<br />

betreffend das Jahr 1999) das Anrechnungsverfahren außer Betracht gelassen hat, beschwert den Angeklagten<br />

im Ergebnis jedoch nicht. Eine gleichzeitige Aburteilung der Verkürzung der Körperschaftsteuer für die<br />

von der M. GmbH im Jahr 1999 verdeckt ausgeschütteten Gewinne (Fall B 1 der Urteilsgründe) liegt im Hinblick auf<br />

die vom Senat insoweit vorgenommene <strong>Teil</strong>einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO nicht mehr vor.<br />

2. Auch das Vorbringen der Revision, das Landgericht habe bei der Bestimmung der von den Angeklagten B. <strong>und</strong><br />

W. verkürzten Ein-kommensteuer zu Unrecht nicht auf den Zufluss der Einnahmen bei den Angeklagten abgestellt,<br />

deckt keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.<br />

a) Soweit es sich bei den steuerpflichtigen Einkünften um Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 EStG) handelt,<br />

kommt es auch dann allein auf den tatsächlichen Gewinn zum Ablauf des Wirtschaftsjahres an, wenn die Einnahmen<br />

im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts erzielt wurden. So verhält es sich hier bezüglich der P. GbR. Die<br />

Höhe der Entnahmen der Gesellschafter ist dabei ohne Bedeutung.<br />

b) Demgegenüber führt die verdeckte Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft erst dann auf der Ebene des<br />

Gesellschafters zu Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG), wenn ein Zufluss beim Gesellschafter<br />

im Sinne von § 11 EStG gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2003 - 5 StR 277/03, wistra<br />

2004, 109 mwN). Ein Zufluss beim Gesellschafter kann dabei auch dann vorliegen, wenn er selbst (noch) keine Zahlung<br />

erhalten hat. Denn für die Annahme eines Vermögenszuflusses genügt es, wenn der Vorteil dem Gesellschafter<br />

mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahe stehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen<br />

zieht. Sofern die Zuwendung allein auf dem Näheverhältnis des Empfängers zum Gesellschafter beruht, ist die Zuwendung<br />

so zu beurteilen, als hätte der Gesellschafter selbst den Vorteil erhalten <strong>und</strong> diesen (als steuerlich unbeachtliche<br />

Einkommensverwendung) an die nahe stehende Person weitergegeben (BFH, Urteil vom 22. Februar 2005,<br />

VIII R 24/03; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 29. Aufl., § 20 Rn. 75 mwN). „Nahe stehend“ sind nicht nur Angehörige<br />

i.S.v. § 15 AO; eine Beziehung, die auf die außerbetriebliche Zuwendung schließen lässt, kann auch gesellschaftsrechtlicher,<br />

schuldrechtlicher oder rein tatsächlicher Art sein (BFH, Urteil vom 18. Dezember 1996 - I R<br />

139/94, NJW 1997, 2198; Weber-Grellet aaO mwN), wie etwa eine wechselseitige, auf jahrelange geschäftliche<br />

Zusammenarbeit zurückgehende Beziehung (vgl. BFH, Urteil vom 25. Oktober 1963 - I 325/61 S, NJW 1964, 517).<br />

„Nahe stehend“ kann daher auch ein Mitgesellschafter sein, sodass der Zufluss bei dem einen Gesellschafter dem<br />

jeweils anderen zugerechnet werden kann. Nahe stehende Person war hier auch der anderweitig Verfolgte G., der die<br />

Erstellung von Scheinrechnungen durch von ihm beherrschte Firmen veranlasst <strong>und</strong> für die Rückzahlung ausbezahlter<br />

Beträge an die Angeklagten gesorgt hatte. Die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. waren seit Jahren mit G. fre<strong>und</strong>schaftlich<br />

verb<strong>und</strong>en. Sie hatten ihn im Tatzeitraum auch bei dessen betrügerischen Machenschaften mit der Einziehung von<br />

durch Missbrauch von Einzugsermächtigungen erlangten Geldbeträgen unterstützt, dabei Gelder auf Konten der B.<br />

GmbH vereinnahmt <strong>und</strong> an G. ausgekehrt.<br />

c) Eine Besonderheit besteht in den Fällen ohne bestehendes Näheverhältnis zu den unmittelbaren Geldempfängern,<br />

in denen die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. die verdeckt ausgeschütteten Gewinne deshalb nicht in voller Höhe erhalten<br />

konnten, weil die Geldempfänger vor der Weitergabe der Beträge an die Angeklagten eine „Provision“ als Gegenleistung<br />

für die Ausstellung von Scheinrechnungen einbehielten. Den Angeklagten ist diese Provision allerdings als<br />

„sonstiger Bezug“ i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zugeflossen. Ein Zufluss ist beim Gesellschafter auch dann<br />

gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft an einen Dritten zahlt <strong>und</strong> damit eine Verpflichtung des Gesellschafters erfüllt<br />

(BFH, Urteil vom 24. Januar 1989 - VIII R 74/84, BStBl II 1989, 419, 420). Dies ist für die Befreiung des Gesellschafters<br />

von privaten Verpflichtungen im Zusammenhang mit ausschließlich privat veranlassten Handwerkskosten<br />

anerkannt (BGH, Beschluss vom 11. November 2003 - 5 StR 277/03, wistra 2004, 109). Für die Zahlung der ebenfalls<br />

ausschließlich privat veranlassten „Kosten“ für Dienste im Zusammenhang mit der Erstellung von Scheinrechnungen<br />

<strong>und</strong> Geldtransfers kann nichts anderes gelten. Damit besteht hier der den Angeklagten zugeflossene Vermögensvorteil<br />

darin, dass der jeweilige Zahlungsempfänger mit der Provisionszahlung an die Aussteller der Scheinrechnungen<br />

belastet wurde, die von den Angeklagten zu tragen war. Es kann hier offen bleiben, ob die von den<br />

Rechnungsausstellern oder anderen in den Vermögensrückfluss an die Angeklagten eingeb<strong>und</strong>enen Personen in<br />

diesen Fällen einbehaltenen „Provisionen“ bei der Berechnung der Ein-kommensteuer der Angeklagten als Wer-<br />

319


ungskosten (§ 9 EStG) hätten in Ansatz gebracht werden müssen oder ob ein solcher Abzug deshalb zu versagen<br />

wäre, weil die Aufwendungen der Angeklagten für das Erstellen der Scheinrechnungen <strong>und</strong> den Geldtransfer nicht<br />

der Einkunftserzielung, sondern ausschließlich deren Verschleierung <strong>und</strong> damit Zwecken der privaten Lebensführung<br />

dienten. Denn der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass das Landgericht diejenigen<br />

von den Gesellschaften ausgezahlten Beträge, die nicht an die Angeklagten zurückgeflossen sind, aus dem für<br />

die Strafzumessung relevanten Schuldumfang ausgenommen hat. Es ist auszuschließen, dass die Strafkammer den im<br />

Urteil mehrfach dargestellten <strong>und</strong> erörterten Provisionseinbehalt der Rechnungsaussteller bei der Strafzumessung<br />

nicht mehr im Blick hatte.<br />

d) Der Umstand, dass das Landgericht keine ausdrücklichen Feststellungen zum Zeitpunkt des Rückflusses der<br />

Geldbeträge an die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. getroffen hat, gefährdet den Bestand des Urteils nicht. Derartiger Feststellungen<br />

hätte es nur in den Fällen bedurft, in denen die Auszahlung an die Firma S. - also an eine nicht nahe stehende<br />

Person - vorgenommen worden ist. In diesen Fällen erfolgten aber nach den Urteilsfeststellungen sämtliche<br />

Zahlungen auf spätestens am 30. August des jeweiligen Jahres ausgestellte Rechnungen. Das Landgericht durfte<br />

deshalb von einem Zahlungseingang im Kalenderjahr der Rechnungsausstellung ausgehen. Für die Annahme, einzelne<br />

Zahlungen könnten erst im jeweiligen Folgejahr erfolgt sein, fehlt jeder Anhaltspunkt.<br />

3. Allerdings hat das Landgericht in dem den Angeklagten B. betreffenden Fall B 17 <strong>und</strong> gleichermaßen in dem den<br />

Angeklagten W. betreffenden Fall W 11 der Urteilsgründe (jeweils Versuch der Hinterziehung von Einkommensteuer<br />

für das Jahr 2004) die Höhe der erstrebten Verkürzung von Einkommensteuer unzutreffend berechnet.<br />

Hierdurch sind die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. jedoch nicht beschwert. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht<br />

bei fehlerfreier Verkürzungsberechnung in diesen Fällen mildere Einzelstrafen verhängt hätte (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />

a) Nach den Urteilsfeststellungen waren die Angeklagten B. <strong>und</strong> W. zu gleichen <strong>Teil</strong>en Gesellschafter der Firma T.<br />

S.L., einer Kapitalgesellschaft spanischen Rechts mit Sitz in Cala Llonga/Ibiza, deren Anteile sie im Jahr 2004 mit<br />

notariellem Vertrag veräußert hatten. Gleichwohl verschwiegen sie den hieraus erzielten Erlös gegenüber den deutschen<br />

Finanzbehörden.<br />

b) Die steuerliche Behandlung des Veräußerungserlöses durch das Landgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht<br />

stand; das Landgericht hat zu Unrecht den vollständigen Veräußerungserlös als Veräußerungsgewinn angesehen. Der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt: „Richtigerweise gehört dieser Veräußerungsgewinn eines<br />

Anteils an einer Kapitalgesellschaft … zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 17 EStG. Bei der Ermittlung<br />

des Veräußerungsgewinns findet gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG das so genannte Halbeinkünfteverfahren<br />

Anwendung, so dass vorliegend lediglich von einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in Höhe von<br />

61.500,- € auszugehen ist (Hälfte Veräußerungspreis von 62.500 abzüglich hälftige Veräußerungskosten <strong>und</strong> die<br />

Hälfte der Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 1.000,- €).“ Die Veräußerungserlöse stellen für die in<br />

Deutschland ansässigen Angeklagten B. <strong>und</strong> W. ausländische Einkünfte (§ 34d Nr. 4b EStG) dar. Nach Art. 13 Abs.<br />

3 des insoweit maßgeblichen (§ 34c Abs. 6 EStG) Abkommens zwischen der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong> dem<br />

Königreich Spanien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung <strong>und</strong> zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den<br />

Steuern vom Einkommen <strong>und</strong> vom Vermögen (DBA Spanien) vom 14. März 1968 (BStBl I 1968, 544) werden die<br />

Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Vermögens (zu dem auch Anteile an Kapitalgesellschaften zählen),<br />

wenn sie - wie hier - nicht das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte darstellen, nur in dem Vertragsstaat besteuert,<br />

in dem der Veräußerer ansässig ist. Die Veräußerung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft wird<br />

im deutschen Steuerrecht in § 17 EStG erfasst (BFH, Urteil vom 22. Februar 1989 - I R 11/85, BFHE 156, 170 =<br />

BStBl II 1989, 794 mwN). Nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG sind „Anteile“ i.S.d. § 17 EStG u.a. Aktien, Anteile an<br />

einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung <strong>und</strong> ähnliche Beteiligungen. Zu letzteren zählen insbesondere Anteile an<br />

ausländischen Kapitalgesellschaften (BFH, Urteil vom 24. Oktober 1984 - I R 228/81). Die in Rede stehende<br />

Sociedad Limitada spanischen Rechts ist typgleich mit einer deutschen GmbH, Anteile an ihr verkörpern Gesellschafterrechte,<br />

wie sie nach deutschem Recht mit GmbH-Anteilen verb<strong>und</strong>en sind (vgl. Reckhorn-Hengemühle, Die<br />

neue Spanische GmbH, 1993). Deshalb sind sie als „ähnliche Beteiligungen“ i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG zu qualifizieren<br />

(vgl. BFH, Urteil vom 19. März 1996 - VIII R 15/94, BFHE 180, 146 = BStBl II 1996, 312, 313 mwN).<br />

Gründe, die einer Anwendung des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.<br />

Durch den Ansatz des niedrigeren Gewinns vermindert sich die vom Angeklagten B. geschuldete Einkommensteuer<br />

auf 385.116 Euro (statt 412.790 Euro), beim Angeklagten W. reduziert sich der Betrag hinterzogener Einkommensteuer<br />

- bei der gebotenen Anwendung der Gr<strong>und</strong>tabelle - auf 201.027 Euro (statt 219.856 Euro).<br />

c) Zwar ist die Höhe der Steuerverkürzung bestimmender Strafzumessungsgr<strong>und</strong> (BGH, Urteil vom 2. Dezember<br />

2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 80). Der Senat kann hier aber ausschließen, dass das Landgericht mildere Einzelstrafen<br />

verhängt hätte, wenn es den Veräußerungsgewinn zutreffend berechnet hätte. Das Landgericht hat bei der<br />

320


im Übrigen rechtsfehlerfreien Strafzumessung außer auf die Professionalität <strong>und</strong> Zielstrebigkeit der Angeklagten im<br />

Wesentlichen auf die erhebliche Überschreitung der Schwelle zur Steuerverkürzung großen Ausmaßes abgestellt.<br />

Diese Umstände bestehen auch bei zutreffender Berechnung der Steuerverkürzung fort. Auch ausgehend von der<br />

vom Landgericht vorgenommenen Abstufung der Einzelstrafen in Schritten von wenigstens drei Monaten wird im<br />

Vergleich mit den übrigen Einzelstrafen deutlich, dass das Landgericht, hätte es die zutreffenden Verkürzungsbeträge<br />

erkannt, keine niedrigeren Einzelstrafen als die festgesetzten von zwei Jahren (Fall B 17) bzw. einem Jahr (Fall W<br />

11) Freiheitsstrafe verhängt hätte.<br />

V. Der Senat kann auch ausschließen, dass sich der aufgezeigte Wegfall einer Einzelstrafe beim Angeklagten W. <strong>und</strong><br />

der weitere Wegfall von Einzelgeldstrafen von jeweils 60 bzw. 90 Tagessätzen in den von der <strong>Teil</strong>einstellung gemäß<br />

§ 154 Abs. 2 StPO erfassten Fällen bei den Angeklagten B. <strong>und</strong> W. auf die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe ausgewirkt<br />

haben könnte. Er schließt aus, dass das Landgericht angesichts des Tatbildes <strong>und</strong> der Größenordnung der Steuerverkürzung<br />

niedrigere als die ohnehin bereits milden Gesamtstrafen von sechs Jahren <strong>und</strong> drei Monaten (B.) bzw.<br />

von fünf Jahren (W.) festgesetzt hätte. Die verbleibende Vielzahl von Einzelstrafen <strong>und</strong> deren Höhe rechtfertigt<br />

bereits für sich die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 1997 - 1 StR 483/97,<br />

NStZ 1998, 311). Überdies hat die Strafkammer bei der Gesamtstrafenbildung ohne Rechtsfehler maßgeblich auf<br />

Gesichtspunkte abgestellt, die das Gesamtgeschehen prägen (z.B. den Aufbau einer Unternehmensstruktur, deren<br />

Gestaltung nach dem Ziel einer dauerhaften systematischen Bereicherung durch Steuerhinterziehung ausgerichtet ist)<br />

<strong>und</strong> die nicht durch die genaue Anzahl der Einzelfälle gekennzeichnet sind.<br />

StPO § 356a, § 349 Abs. 2, 3 Bei Antrag wegen Unzulässigkeit zu verwerfen, keine Beschlussverwerfung<br />

wegen Unbegründetheit<br />

BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 2 StR 524/10 – BeckRS 2011, 08338 [s. dazu auch Beschluss vom 02.03.2011 FD-<br />

StrafR 2011, 316983 Anm Astrid Lilie]<br />

Beantragt die B<strong>und</strong>esanwaltschaft die Verwerfung der Revision als unzulässig <strong>und</strong> verwirft der<br />

Senat die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet, so wird dem Beschwerdeführer hierdurch<br />

die Möglichkeit rechtlichen Gehörs in einer Revisionshauptverhandlung gemäß § 349 Abs. 5<br />

StPO genommen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 13. April 2011 beschlossen: Auf die Gehörsrüge des Angeklagten<br />

vom 5. April 2011 wird der Senatsbeschluss vom 2. März 2011 aufgehoben. Die Sache wird in den Stand vor Erlass<br />

des genannten Beschlusses zurückversetzt.<br />

Gründe:<br />

Der Antrag ist gemäß § 356a StPO zulässig <strong>und</strong> begründet. Der Senat hat durch den Beschluss vom 2. März 2011 die<br />

Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, hierbei aber übersehen, dass der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt allein die Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig beantragt <strong>und</strong><br />

einen Verwerfungsantrag gemäß § 349 Abs. 2 StPO auch nicht hilfsweise gestellt hatte. Dem Beschwerdeführer ist<br />

hierdurch die Möglichkeit rechtlichen Gehörs in einer Revisionshauptverhandlung gemäß § 349 Abs. 5 StPO genommen<br />

worden (vgl. Kuckein in KK-StPO 6. Aufl. § 349 Rn. 42, 49, § 356a Rn. 4 f.). Auf die Gehörsrüge des<br />

Beschwerdeführers war der Beschluss vom 2. März 2011 aufzuheben <strong>und</strong> das Verfahren in den Stand vor der Gehörsverletzung<br />

zurückzuversetzen.<br />

321


StPO § 358 Abs. 2 Schlechterstellungsverbot Aufhebung des Freispruchs nach Fehler bei Maßregel<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 - 5 StR 229/10 - BeckRS 2010, 23434<br />

Bei einem Freispruch mangels Schuldfähigkeit <strong>und</strong> Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

ist das Revisionsgericht durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt<br />

hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es<br />

möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen <strong>und</strong> eine Strafe zu verhängen.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 4<br />

StPO aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung <strong>und</strong> des Widerstandes gegen<br />

Vollstreckungsbeamte freigesprochen <strong>und</strong> seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.<br />

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

a) Bei dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 53 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten besteht seit vielen<br />

Jahren ein wahnhaftes paranoides Zustandsbild, das durch Wahninhalte im Sinne eines Verfolgungs- <strong>und</strong> Bedrohungserlebens<br />

geprägt ist. Infolge seiner wahnhaften Erkrankung fühlte er sich zunehmend von Anderen verfolgt.<br />

Unter anderem trug er öfter ein Küchenmesser bei sich, wenn er seine Wohnung verließ, um sich gegen vermeintliche<br />

Angreifer verteidigen zu können. Der Angeklagte lebte mit seiner Lebensgefährtin, der 72-jährigen Zeugin K., in<br />

einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Am Abend des 28. Juni 2008 bemerkten Gäste der später geschädigten 20jährigen<br />

Zeugin M. , einer Mitbewohnerin des Mehrfamilienhauses, dass aus der gemeinsamen Wohnung des Angeklagten<br />

<strong>und</strong> seiner Lebensgefährtin große Mengen Wasser flossen. Die jungen Leute gelangten zu der Vermutung,<br />

dass „die alte Frau Hilfe brauche“; den Angeklagten hatten sie bislang nicht als Mitmieter wahrgenommen. Sie begaben<br />

sich zu der verschlossenen Tür des Laubenganges, der zu der Wohnung führt, riefen <strong>und</strong> klingelten. Tatsächlich<br />

benötigte die Lebensgefährtin des Angeklagten keine Hilfe. Vielmehr hatte sie sich darüber geärgert, dass es in<br />

dem Hausflur vermeintlich nach Urin rieche <strong>und</strong> hatte mehrere Eimer Wasser in das Treppenhaus gegossen. Da<br />

keine Reaktion der Zeugin K. erfolgte, wurden die Zeugen in ihrer Annahme bestärkt, dass ein Unglücksfall vorliege.<br />

Sie traten daraufhin die Tür des Laubengangs ein <strong>und</strong> begaben sich zur Wohnungstür, die offen stand. Nach<br />

nochmaligem Klingeln <strong>und</strong> Rufen betraten die jungen Leute, voran der Zeuge W., die Wohnung. Plötzlich stand der<br />

Angeklagte vor ihm, der die Situation verkannte <strong>und</strong> die vor der Wohnungstür stehenden Zeugen für Angreifer hielt.<br />

Der Angeklagte ergriff sein im Flur bereit liegendes Küchenmesser <strong>und</strong> stach damit mehrmals in Richtung des Zeugen<br />

W., der reflexartig nach hinten auswich. Dadurch geriet die unmittelbar hinter ihm stehende Zeugin M. ins<br />

Straucheln <strong>und</strong> fiel zu Boden. Der Angeklagte stach viermal von oben auf sie ein <strong>und</strong> fügte ihr Stichverletzungen am<br />

linken Oberschenkel <strong>und</strong> linken Oberarm sowie an der linken Schulter zu. Danach rannte er hinter den übrigen flüchtenden<br />

Zeugen in das Treppenhaus, wo er auf die bislang unbeteiligte Zeugin T. traf, die gerade das Haus verlassen<br />

wollte. Der Angeklagte erblickte die Zeugin, als sie angesichts der rasch an ihr vorbei laufenden jungen Leute verängstigt<br />

an die Wand des Treppenhauses gedrückt stand. Mit dem Messer stach er mindestens zweimal auf die Zeugin<br />

T. ein, die er zur Gruppe der vermeintlichen Angreifer zählte. Er traf sie im Bereich des Brustkorbes <strong>und</strong> des<br />

Bauches; sie erlitt eine erhebliche Nierenverletzung. Als zwei Polizeibeamte den Angeklagten kurz nach der Tat in<br />

seiner Wohnung festnehmen wollten, hielt er auch die beiden Beamten für Angreifer <strong>und</strong> widersetzte sich seiner<br />

Festnahme, indem er um sich schlug <strong>und</strong> trat.<br />

b) Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> seiner paranoiden<br />

Erkrankung bei diesen Taten in einem Zustand, in dem bei ihm „sowohl die Einsichts- wie auch die Steuerungsfähigkeit“<br />

aufgehoben war. Infolge seines Zustandes seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die<br />

verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den<br />

geschützten Bedingungen des Krankenhauses des Maßregelvollzuges erfolgen.<br />

2. Die Voraussetzungen des § 63 <strong>StGB</strong> werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt. Die Anordnung<br />

nach § 63 <strong>StGB</strong> setzt insbesondere die positive Feststellung eines länger dauernden, nicht nur vorübergehenden<br />

322


Zustandes voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 <strong>StGB</strong> sicher<br />

begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine<br />

schwerwiegende <strong>und</strong> gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den<br />

danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.<br />

a) Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat schuldunfähig<br />

war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer in rechtsfehlerhafter Weise einen Ausschluss<br />

sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit annimmt (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 21 Rdn. 5).<br />

Die Strafkammer schließt sich bei der Beurteilung der Frage der Schuldfähigkeit dem Sachverständigen an, ohne<br />

dessen wesentliche Anknüpfungs- <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>tatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des<br />

Gutachtens <strong>und</strong> zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 – 5<br />

StR 123/10 m.w.N.). Aus der Schilderung der Biografie des Angeklagten wird nicht nachvollziehbar, dass er „seit<br />

vielen Jahren“ an einem wahnhaft paranoiden Zustandsbild leidet. Der Angeklagte hat ein Philosophiestudium abgeschlossen<br />

<strong>und</strong> in der DDR als Fachbibliothekar, später als Büroangestellter gearbeitet <strong>und</strong> absolvierte erfolgreich<br />

eine Fortbildung im Bereich der Buchführung <strong>und</strong> des Rechnungswesens. Seine beruflichen Tätigkeiten beendete er<br />

2001, da er sich überqualifiziert fühlte. In dem Mehrfamilienhaus wohnte er mit seiner Lebensgefährtin „seit vielen<br />

Jahren“, ohne dass er von einigen der ebenfalls dort wohnenden Zeugen überhaupt als Mitmieter wahrgenommen<br />

worden war. Die Feststellungen zur Biografie des Angeklagten ergeben keine Hinweise auf etwaige frühere Manifestationen<br />

seiner psychischen Erkrankung oder krankheitsbedingte Verhaltensauffälligkeiten; zu der bisherigen Entwicklung<br />

der angenommenen psychischen Erkrankung des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht. Dem Zusammenhang<br />

der Feststellungen ist zu entnehmen, dass sich der Angeklagte nach der Tat über ein Jahr lang auf freiem<br />

Fuß befand, bevor er durch das Amtsgericht Lichtenberg in Berlin am 25. August 2009 gemäß § 8 PsychKG i.V.m. §<br />

70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 70h FGG untergebracht wurde. Zum Gr<strong>und</strong> seiner Unterbringung trifft das Urteil keine Feststellungen.<br />

Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Sachverständige im vorliegenden Verfahren den Angeklagten im<br />

Mai 2009 in dessen Wohnung untersucht hat, da dieser seine Wohnung aus Angst nicht verlassen wollte. Dabei hat<br />

der Sachverständige in der Wohnung „besondere Vorrichtungen“ bemerkt, die der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

Wahnvorstellungen zum Schutz vor Lausch- <strong>und</strong> Spähangriffen installiert hatte (Laufenlassen eines Zimmerspringbrunnens;<br />

Bekleben der Zimmerdecke mit Klebezetteln). Als Beleg dafür, dass sich der Angeklagte bei Begehung<br />

der Anlasstat in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand befand, reicht dies indes nicht aus.<br />

b) Darüber hinaus begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose rechtlichen Bedenken. Angesichts des erheblichen<br />

Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 <strong>StGB</strong> verb<strong>und</strong>en ist, hat das Landgericht seine Überzeugung von der<br />

zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Insoweit hat es lediglich ausgeführt, die<br />

Gesamtwürdigung des Angeklagten <strong>und</strong> seiner Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche<br />

rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten seien. Dabei werden die maßgeblichen<br />

Darlegungen des Sach-verständigen nicht mitgeteilt. Nicht bedacht wird auch, dass es zu der Tat durch eine Verkettung<br />

von Umständen gekommen ist, die der Angeklagte nicht zu vertreten hatte <strong>und</strong> die nicht nur ihn, sondern auch<br />

seine Lebensgefährtin zu der irrigen Annahme veranlassten, die jungen Leute wollten sie beide angreifen (UA S. 6).<br />

3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass<br />

allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn nach § 358 Abs.<br />

2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen <strong>und</strong> eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des<br />

Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27.<br />

Oktober 2009 – 3 StR 369/09; Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 24a). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht<br />

im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen<br />

Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 <strong>StGB</strong> die Tat ohne strafrechtliche Sanktion<br />

bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig<br />

war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen <strong>und</strong> zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-<br />

Drucks 16/1344 S. 17 f.).<br />

323


StPO § 462a Abs. 1 Satz 1 – Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer<br />

BGH, Beschl. v. 25.05.2011 - 2 ARs 164/11 2 AR 119/11<br />

LS: Die für die Invollzugsetzung der Unterbringung nach § 67h <strong>StGB</strong> zuständige Strafvollstreckungskammer<br />

bleibt i.S.v. § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Sache befasst, bis die Maßnahme<br />

beendet ist.<br />

Die Untersuchung <strong>und</strong> Entscheidung der Sache wird gemäß § 14 StPO dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer<br />

– Berlin übertragen.<br />

Gründe:<br />

1. Gegen den Verurteilten wurde mit Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Berlin vom 18. August 1989 eine<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> einem Monat festgesetzt <strong>und</strong> die Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus angeordnet. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin setzte durch Beschluss vom 25.<br />

Januar 2007 die weitere Vollstreckung der Unterbringung <strong>und</strong> der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung aus. Zugleich<br />

wurden die Bewährungszeit <strong>und</strong> die Führungsaufsicht auf fünf Jahre festgesetzt. Am 15. November 2010 erließ die<br />

Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin Sicherungshaftbefehl gegen den Verurteilten, der am 16. November<br />

2010 im Zentrum für Psychiatrie Reichenau (im Landgerichtsbezirk Konstanz) aufgenommen wurde. Mit<br />

Beschluss vom 28. Februar 2011 setzte sie die Unterbringung des Verurteilten für die Dauer von drei Monaten wieder<br />

in Vollzug, ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der Maßnahme an <strong>und</strong> hob den Sicherungshaftbefehl auf. Die<br />

Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Berlin <strong>und</strong> Konstanz streiten über die Zuständigkeit für die weitere<br />

Bewährungsüberwachung <strong>und</strong> Führungsaufsicht, insbesondere für die Entscheidung über die weitere Invollzugsetzung<br />

der Unterbringung gemäß § 67h Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong>.<br />

2. Örtlich zuständig ist die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Berlin. Gemäß § 463 Abs. 1 i.V.m. §<br />

462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Strafvollstreckungskammer der Strafanstalt örtlich zuständig, in die der Verurteilte<br />

zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Zwar wurde der Verurteilte nach<br />

erfolgter Invollzugsetzung der Unterbringung gemäß § 67h Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> am 16. November 2010 in den Maßregelvollzug<br />

des Zentrums für Psychiatrie Reichenau aufgenommen <strong>und</strong> befand sich daher im örtlichen Zuständigkeitsbereich<br />

des Landgerichts Konstanz. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin blieb jedoch zuständig,<br />

da sie zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Sache befasst war. Diese Zuständigkeit besteht fort.<br />

a) Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Verurteilten in die Psychiatrie war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts<br />

Berlin mit der Prüfung des Widerrufs der Aussetzung zur Bewährung befasst, nachdem die Staatsanwaltschaft<br />

Berlin am 12. November 2010 den Widerruf der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung beantragt hatte. In<br />

diesem Rahmen prüfte das Landgericht Berlin als den Widerruf vermeidende, mildere Maßnahme die Invollzugsetzung<br />

der Unterbringung gemäß § 67h Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> erließ am 15. November 2010 Sicherungshaftbefehl.<br />

Hierdurch war seine Zuständigkeit für die erste Invollzugsetzung der Unterbringung durch Beschluss vom 28. Februar<br />

2011 begründet.<br />

b) Das Landgericht Berlin bleibt auch für die Prüfung der Verlängerung dieser Maßnahme nach § 67h Abs. 1 Satz 2<br />

<strong>StGB</strong> zuständig, da es weiterhin i.S.v. § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Sache befasst ist. Das Befasstsein endet<br />

erst, wenn in der Sache abschließend entschieden worden ist (BGHSt 26, 165, 166; 187, 189; NStZ 1981, 404; NStZ<br />

1984, 380, 381). Die mit Beschluss vom 28. Februar 2011 erfolgte Invollzugsetzung der Unterbringung für die Dauer<br />

von drei Monaten stellt keine abschließende Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der<br />

Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung dar. Über diesen Antrag hat das Landgericht Berlin bisher - in der<br />

Sache folgerichtig - noch nicht bef<strong>und</strong>en, da diese Entscheidung von dem Erfolg der Krisenintervention gemäß § 67h<br />

Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong> abhängt. Hinzu kommt, dass - worauf der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend<br />

hinweist - die Fortdauer der Anordnung der Invollzugsetzung der Unterbringung unter dem Vorbehalt ihrer<br />

Erforderlichkeit <strong>und</strong> Verhältnismäßigkeit steht <strong>und</strong> aufzuheben ist, sobald der Zweck der Maßnahme, nämlich die<br />

Beseitigung einer akuten Zustandsverschlechterung oder eines Rückfalls des Verurteilten <strong>und</strong> damit der Gefahr eines<br />

Widerrufs nach § 67g <strong>StGB</strong>, erreicht ist (Fischer <strong>StGB</strong> 58. Aufl. § 67h Rn. 8). Dies führt zu einer fortlaufenden Prüfungspflicht<br />

der Strafvollstreckungskammer <strong>und</strong> bedingt, dass ihr Befasstsein mit der Sache bis zur Beendigung der<br />

Krisenintervention <strong>und</strong> Entscheidung über den Antrag auf Widerruf der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung<br />

andauert.<br />

324


StPO § 462a <strong>StGB</strong> § 67h Krisenintervention ist Vollstreckung<br />

BGH, Beschl. v. 15.09.2010 – 2 ARs 293/10 - NJW 2011, 163<br />

LS:<br />

a) Die Krisenintervention nach § 67h <strong>StGB</strong> ist Vollstreckung einer Maßregel im Sinne von § 463<br />

Abs. 1 i.V.m. § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO.<br />

b) § 463 Abs. 7 StPO findet im Fall der Krisenintervention nach § 67h <strong>StGB</strong> entsprechende Anwendung.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts am 15. September 2010<br />

beschlossen: Die Untersuchung <strong>und</strong> Entscheidung der Sache wird gemäß § 14 StPO dem Landgericht -<br />

Strafvollstreckungskammer- Köln übertragen.<br />

Gründe:<br />

1. Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 26. März 2006 im Sicherungsverfahren<br />

die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Maßregel wurde zugleich<br />

zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom 27. März 2006 wurde die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt.<br />

Durch weiteren Beschluss vom 24. März 2009 wurde diese Anordnung aufgehoben <strong>und</strong> zugleich bestimmt,<br />

dass es bei der gesetzlichen Höchstdauer der befristeten Führungsaufsicht von fünf Jahren bleibe. Am 12. September<br />

2009 beschloss das Landgericht Wuppertal, die zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung für die Dauer von drei<br />

Monaten in Vollzug zu setzen <strong>und</strong> die sofortige Vollstreckbarkeit der Maßnahme anzuordnen. Aufgr<strong>und</strong> dessen<br />

wurde der Verurteilte in die LVR-Klinik in Köln aufgenommen. Nach weiterer Invollzugsetzung für die Dauer von<br />

drei Monaten durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Köln vom 2. Dezember 2009 verblieb<br />

der Verurteilte schließlich bis zum 12. März 2010 im Vollzug der Unterbringung. Das Landgericht Wuppertal<br />

<strong>und</strong> das Landgericht Köln - Strafvollstreckungskammer - streiten über die Zuständigkeit für die weitere Bewährungsüberwachung<br />

<strong>und</strong> Führungsaufsicht aus dem Urteil des Landgerichts Wuppertal.<br />

2. Zuständig ist die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Köln.<br />

a) Mit der ersten Invollzugsetzung der Unterbringungsanordnung gemäß § 67h <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> der Aufnahme des Verurteilten<br />

in die LVR-Klinik in Köln liegt ungeachtet dessen, dass es nicht zu einem Widerruf der Aussetzung nach §<br />

67g <strong>StGB</strong> gekommen ist, eine (<strong>Teil</strong>-)Vollstreckung der mit Urteil vom 26. März 2006 angeordneten Unterbringung<br />

nach § 63 <strong>StGB</strong> vor. Allein diese Anordnung ist Gr<strong>und</strong>lage für die Unterbringung des Verurteilten; § 67h <strong>StGB</strong> stellt<br />

insoweit keine eigenständige Maßnahme dar, sondern erlaubt lediglich eine unselbständige Vollstreckungsmodalität<br />

der Maßregel nach § 63 <strong>StGB</strong> (vgl. LK-Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 67h Rn. 4). Mit der Aufnahme des<br />

Verurteilten wurde daher gemäß § 463 Abs. 1 i.V.m. § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer<br />

für die Bewährungsüberwachung begründet; deren Fortdauer beruht nach § 463 Abs. 1 i.V.m. § 462a<br />

Abs. 1 Satz 2 StPO darauf, dass die weitere Vollstreckung der Unterbringungsanordnung zur Bewährung ausgesetzt<br />

ist (anders für Verfahren nach dem JGG Thüringer Oberlandesgericht, NStZ 2010, 283).<br />

b) Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für die durch die befristete Invollzugsetzung der Unterbringungsanordnung<br />

lediglich unterbrochene (vgl. LK-Rissing-van Saan/Peglau, a.a.O., § 67h Rn. 18) Führungsaufsicht<br />

ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 463 Abs. 7 i.V.m. § 462a Abs. 1 Satz 2 StPO. § 463 Abs. 7<br />

StPO stellt für die Anwendung des § 462a Abs. 1 StPO die Kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht nach § 68f<br />

<strong>StGB</strong> der Aussetzung des Strafrests in bestimmten Fällen gleich. Sie behandelt damit den Eintritt von Führungsaufsicht<br />

wie einen Fall der Strafaussetzung zur Bewährung <strong>und</strong> erweitert so - nach vorangegangener Vollstreckung von<br />

Freiheitsentziehung - die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer auf die nicht freiheitsentziehende Sicherungsmaßregel<br />

der Führungsaufsicht (vgl. Senat, NJW 2010, 951; ferner KK-Appl, 6. Aufl. § 463 StPO, Rn. 7).<br />

Auch in diesen Fällen soll der allgemeinen Zielrichtung des § 462a StPO entsprechend die besondere Erfahrung <strong>und</strong><br />

Entscheidungsnähe der Strafvollstreckungskammer, die den Verurteilten im Zusammenhang mit der Vollziehung<br />

von Strafe oder Maßregel kennt, genutzt werden, um hinsichtlich aller in demselben Strafverfahren zu treffender<br />

nachträglicher Entscheidungen die Einheitlichkeit des auf die Resozialisierung des Täters gerichteten Handelns zu<br />

gewährleisten (vgl. die Begr. zu GE d. EG<strong>StGB</strong>, BT-Drs. 7/550, S. 314 i.V.m. S. 312). Dass der Fall der Krisenintervention<br />

nach § 67h <strong>StGB</strong> in § 463 Abs. 7 StPO nicht ausdrücklich als ein Anwendungsfall der Norm genannt ist,<br />

steht ihrer Anwendung nicht entgegen. Der Gesetzgeber, der § 67h <strong>StGB</strong> im Rahmen des Gesetzes zur Reform der<br />

325


Führungsaufsicht vom 13. April 2007 (BGBl. I 513) in das <strong>StGB</strong> eingefügt <strong>und</strong> dabei auch § 463 StPO geändert hat,<br />

hat er-sichtlich nicht bedacht, dass mit der befristeten Invollzugsetzung einer Maßnahme nach § 63 oder § 64 <strong>StGB</strong><br />

eine Vollstreckung dieser Maßregeln i.S.v. § 462a Abs. 1 StPO verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> sich im Anschluss daran die Frage<br />

stellt, wer nunmehr - nachdem die Bewährungsaufsicht der Strafvollstreckungskammer obliegt - für die im Rahmen<br />

der Führungsaufsicht nachträglich zu treffenden Entscheidungen zuständig sein soll. Damit steht der gesetzgeberische<br />

Wille einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift nicht im Wege. Auch im Fall der Krisenintervention<br />

nach § 67h <strong>StGB</strong> greift der ursprüngliche gesetzgeberische Zweck <strong>und</strong> lässt es geboten erscheinen, die nachträglich<br />

hinsichtlich der Bewährungs- <strong>und</strong> Führungsaufsicht zu treffenden Entscheidungen in den Händen der Strafvollstreckungskammer<br />

zu belassen, die den ehemals Untergebrachten bereits aus der Zeit der Vollstreckung der Maßnahme<br />

kennt <strong>und</strong> damit - im Verhältnis zum erkennenden Gericht - über bessere <strong>und</strong> zeitnähere Informationen zu seiner<br />

Person verfügt.<br />

ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 6; BRAO § 43a Abs. 2 Zeugnisverweigerung durch Strafverteidiger<br />

BGH, Beschl. v. 16.02.2011 – IV ZB 23/09 - NJW 2011, 1077<br />

LS: Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht des als Strafverteidiger tätig gewordenen Rechtsanwalts.<br />

Der IV. Zivilsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofes hat am 16. Februar 2011 beschlossen: Auf die Rechtsmittel des Zeugen<br />

wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 17. Juli 2009 aufgehoben <strong>und</strong> das Zwischenurteil<br />

des Amtsgerichts Calw vom 26. März 2009 geändert. Die Zeugnisverweigerung des Zeugen wird für<br />

berechtigt erklärt. Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenstreits.<br />

Beschwerdewert: 2.000 €<br />

Gründe:<br />

I. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts. Der Rechtsbeschwerdeführer war<br />

Strafverteidiger in einem gegen seinen Mandanten <strong>und</strong> dessen Ehefrau geführten Strafverfahren wegen versuchter<br />

schwerer räuberischer Erpressung. Im Rahmen der Hauptverhandlung kam es zu einer Absprache über einen Täter-<br />

Opfer-Ausgleich <strong>und</strong> den Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung zwischen Angeklagten <strong>und</strong> Geschädigtem, die<br />

die Voraussetzung für eine milde Bestrafung, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, schaffen sollte.<br />

Das Gericht machte insoweit deutlich, dass hierfür eine Zahlung von 10.000 € an den Geschädigten erforderlich sei.<br />

In einer Verhandlungspause fanden auf dem Gerichtsflur Gespräche unter den Angehörigen der Angeklagten über<br />

die Aufbringung des benötigten Betrages statt, bei denen auch die Verteidiger der Angeklagten zugegen waren. Diese<br />

endeten damit, dass der Vater <strong>und</strong> der Bruder des angeklagten Ehemannes je 5.000 € in bar zur Weiterleitung an<br />

den Geschädigten zur Verfügung stellten. Im Ausgangsverfahren nimmt der Bruder des angeklagten Ehemannes die<br />

Mutter der angeklagten Ehefrau auf Rückzahlung der von ihm geleisteten 5.000 € mit der Behauptung in Anspruch,<br />

ihr den Betrag als Darlehen gewährt zu haben. Das Geld sei zur "Auslösung" ihrer Tochter bestimmt gewesen <strong>und</strong><br />

sie habe zugesagt, ihm die 5.000 € umgehend zurückzuzahlen. Zum Beweis für diese Behauptung hat sich der Kläger<br />

unter anderem auf das Zeugnis des Rechtsbeschwerdeführers berufen. Dieser hat das Zeugnis unter Berufung auf §<br />

383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 43a Abs. 2 BRAO verweigert, nachdem sein Mandant ihn nicht von der Schweigepflicht<br />

entb<strong>und</strong>en hat. Das Amtsgericht hat durch Zwischenurteil die Weigerung des Zeugen für unberechtigt erklärt.<br />

Das Landgericht hat seine hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.<br />

II. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte <strong>und</strong> auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.<br />

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Abmachungen zwischen den Angehörigen über eine eventuelle Erstattungspflicht<br />

zählten nicht zu den Tatsachen, die der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Tätigkeit als Verteidiger erfahren<br />

habe. Sie seien so weit von der Verteidigung entfernt, dass sie dem Zufallswissen eines auf den Termin wartenden<br />

Rechtsanwalts gleichzustellen seien. Die Verschwiegenheitspflicht bestehe nur im Interesse des Mandanten <strong>und</strong><br />

werde durch diese begrenzt. Etwaige Interessen der damaligen Angeklagten, ihre Angehörigen von einer Inanspruchnahme<br />

wegen der zur Verfügung gestellten Beträge für die Schadenswiedergutmachung befreit zu sehen, seien<br />

im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung nicht schutzwürdig. Deshalb bestehe hier keine Ausnahme von der<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich geltenden Zeugnispflicht.<br />

326


2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die angefochtene Entscheidung verkennt die Reichweite der in §<br />

43a Abs. 2 BRAO <strong>und</strong> inhaltsgleich in § 2 der Berufsordnung für <strong>Rechtsanwälte</strong> geregelten Verschwiegenheitspflicht<br />

des Rechtsanwalts.<br />

a) Unter die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a Abs. 2 BRAO fällt alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung<br />

seines Berufs bekannt geworden ist, ohne dass es darauf ankommt, von wem <strong>und</strong> auf welche Weise er sein Wissen<br />

erworben hat. Die Pflicht betrifft deshalb auch Zufallswissen, das im Rahmen beruflicher Tätigkeit erlangt worden<br />

ist (allgem. M.; vgl. Henssler in Henssler/Prütting, BRAO 3. Aufl. § 43a Rn. 46, 48; Feuerich in Feuerich/Weyland,<br />

BRAO 7. Aufl. § 43a Rn. 16; Hartung in Hartung/Römermann, Berufs- <strong>und</strong> Fachanwaltsordnung § 2 BerufsO Rn.<br />

16). Abzugrenzen hiervon ist, was dem Anwalt nur anlässlich seiner beruflichen Tätigkeit zur Kenntnis kommt, ohne<br />

dass ein innerer Zusammenhang mit dem Mandat besteht, wie es z.B. bei solchem Wissen der Fall ist, das der<br />

Rechtsanwalt als wartender Zuhörer einer Gerichtsverhandlung erwirbt, die mit seinem Mandat nichts zu tun hat<br />

(Henssler aaO Rn. 50; Feuerich aaO; Hartung aaO Rn. 17). Der Rechtsbeschwerdeführer war jedoch nicht zufälliger<br />

Zuhörer der Unterredung auf dem Gerichtsflur, sondern hat ihr ersichtlich in seiner Eigenschaft als Verteidiger seines<br />

Mandanten beigewohnt. Dafür war eine aktive Beteiligung an den Gesprächen nicht erforderlich. Es liegt angesichts<br />

ihrer Bedeutung für den mit einer Freiheitsstrafe bedrohten Angeklagten, der den Gerichtssaal nicht verlassen<br />

durfte <strong>und</strong> deshalb an den Gesprächen nicht teilnehmen konnte, auf der Hand, dass die Anwesenheit des Verteidigers<br />

in seinem Interesse lag, um ihn sachgerecht unterrichten <strong>und</strong> beraten <strong>und</strong> zumindest im Bedarfsfalle eingreifen zu<br />

können, damit die Schlichtungsvereinbarung zustande kommen konnte. Ob <strong>und</strong> wie das hierfür benötigte Geld aufgebracht<br />

werden konnte, berührte die Interessen des Angeklagten in hohem Maße. Nach alledem hat sein Verteidiger<br />

das Gespräch nicht als unbeteiligter Dritter verfolgt.<br />

b) Von der somit eingreifenden Verschwiegenheitspflicht hätte der Zeuge daher nur durch seinen Mandanten befreit<br />

werden können (§ 385 Abs. 2 ZPO). Dieser ist "Herr des Geheimnisses" (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1989<br />

- III ZR 112/88, BGHZ 109, 260 unter III 2) bezüglich mandatsbezogener Tatsachen auch dann, wenn sie dem Anwalt<br />

von Dritten mitgeteilt worden sind (Henssler aaO Rn. 62). Zwar ist es streitig, ob den Anwalt bezüglich solcher<br />

Tatsachen, die er von einem Dritten erfährt <strong>und</strong> an deren Geheimhaltung dieser ein Interesse hat, auch diesem gegenüber<br />

eine Verschwiegenheitspflicht treffen kann, die er zu beachten hat (bejahend OLG Köln NJW 2000, 3656 f.;<br />

ablehnend Henssler aaO Rn. 49; Hartung aaO Rn. 22; Rüpke, NJW 2002, 2835 ff.). Dies ist jedoch unabhängig von<br />

der Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Mandanten zu sehen. Deren Umfang richtet sich nicht danach, ob <strong>und</strong><br />

welche Interessen der Dritte an einer Geheimhaltung hat.<br />

c) Wird dem Anwalt - wie hier - durch den Mandanten Befreiung von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht erteilt,<br />

so hat er diese gr<strong>und</strong>sätzlich zu beachten. Ausnahmen kommen nur aus Gründen des Gemeinwohls in Betracht, wenn<br />

es um die Bekämpfung schwerster Straftaten oder die Erfüllung von Steuergesetzen geht (vgl. Feuerich aaO Rn. 14<br />

m.w.N.). Dies kommt hier nicht in Betracht. Eine generelle Abwägung, ob schutzwürdige Interessen des Mandanten<br />

berührt sind, obliegt dem Anwalt dagegen nicht.<br />

StrRehaG § 17a Abs. 4 Satz 1<br />

BGH, Beschl. v. 10.08.2010 - 4 StR 646/09 - NJW 2011, 322<br />

LS: Die besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG ist auch dann ab dem auf die<br />

Antragstellung an die zuständige Verwaltungsbehörde folgenden Monat auszuzahlen, wenn der<br />

Antrag gestellt wird, bevor eine rechtskräftige gerichtliche Rehabilitierungsentscheidung vorliegt.<br />

hier: Vorlagebeschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 9. Dezember 2009<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts am 10. August 2010 beschlossen:<br />

Die besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG ist auch dann ab dem auf die Antragstellung<br />

an die zu-ständige Verwaltungsbehörde folgenden Monat auszuzahlen, wenn der Antrag gestellt wird, bevor<br />

eine rechtskräftige gerichtliche Rehabilitierungsentscheidung vorliegt.<br />

Gründe:<br />

I. Am 23. Juli 2007 beantragte der Betroffene bei dem Landgericht Erfurt die strafrechtliche Rehabilitierung wegen<br />

dreier Verurteilungen durch das Kreisgericht Gotha. Noch vor einer Entscheidung des Landgerichts über den Rehabilitierungsantrag<br />

stellte er am 23. November 2007 beim Landkreis Wesermarsch einen Antrag auf Gewährung der<br />

besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG. Mit Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 17. Sep-<br />

327


tember 2008 wurden die Urteile des Kreisgerichts Gotha vom 11. September 1975, vom 3. September 1976 <strong>und</strong> vom<br />

22. November 1977 gemäß § 12 StrRehaG ganz bzw. teilweise für rechtstaatswidrig erklärt <strong>und</strong> aufgehoben. Es<br />

wurde festgestellt, dass der Betroffene vom 17. Dezember 1975 bis zum 16. Juni 1976, vom 24. Juli 1976 bis zum<br />

21. Juli 1977 <strong>und</strong> vom 21. September 1978 bis zum 16. Mai 1979, also für insgesamt etwa zwei Jahre <strong>und</strong> zwei Monate,<br />

zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten hat. Durch Bescheid vom 22. Oktober 2008 gewährte das verfahrensbeteiligte<br />

Thüringer Landesverwaltungsamt dem Betroffenen die besondere Zuwendung für Haftopfer in Höhe von monatlich<br />

250 € ab dem 1. November 2008. Gegen diesen Bescheid stellte der Betroffene am 5. November 2008 Antrag<br />

auf gerichtliche Entscheidung. Er meint, die Leistungen nach § 17a StrRehaG seien gemäß § 17a Abs. 4 Satz 1<br />

StrRehaG auch dann ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat zu gewähren, wenn die Rehabilitierungsentscheidung<br />

erst zu einem späteren Zeitpunkt ergehe. Das Landgericht Erfurt gab dem Antrag des Betroffenen mit<br />

Beschluss vom 30. Juli 2009 statt <strong>und</strong> entschied, dass die besondere Zuwendung für Haftopfer bereits ab dem 1.<br />

Dezember 2007 zu gewähren sei. Gegen diesen Beschluss wendet sich das Thüringer Landesverwaltungsamt mit<br />

seiner frist- <strong>und</strong> formgerecht eingelegten Beschwerde.<br />

II. Das Thüringer Oberlandesgericht möchte die Beschwerde verwerfen, sieht sich daran aber durch die Entscheidungen<br />

des Oberlandesgerichts Naumburg vom 29. Januar 2009 - 1 Ws Reh 45/09 - (OLGSt StrRehaG § 17a Nr. 3)<br />

<strong>und</strong> des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 12. März 2009 - 2 Ws (Reha) 62/08 - gehindert. In diesen Entscheidungen<br />

haben beide Oberlandesgerichte - entscheidungstragend - die Auffassung vertreten, dass in Fällen, in<br />

denen der Antrag auf Zuwendungen nach § 17a StrRehaG gestellt wird, bevor eine Rehabilitierungsentscheidung<br />

vorliegt, die Leistungen erst für die Zeit ab dem auf die Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung folgenden<br />

Monat zu zahlen sind. Das Thüringer Oberlandesgericht hat daher mit Beschluss vom 9. Dezember 2009 die Sache<br />

gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 4, § 13 Abs. 4 StrRehaG dem B<strong>und</strong>esgerichtshof zur Beantwortung<br />

folgender Frage vorgelegt: "Ist die besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG auch dann ab dem<br />

auf die Antragstellung an die zuständige Verwaltungsbehörde folgenden Monat auszuzahlen, wenn der Antrag gestellt<br />

wird, bevor eine rechtskräftige gerichtliche Rehabilitierungsentscheidung nach § 12 StrRehaG vorliegt?" Der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt ist der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts beigetreten <strong>und</strong> hat beantragt zu<br />

beschließen: "Die besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG ist auch dann ab dem auf die Antragstellung<br />

an die zu-ständige Verwaltungsbehörde folgenden Monat auszuzahlen, wenn der Antrag gestellt wird, bevor<br />

eine rechtskräftige gerichtliche Rehabilitierungsentscheidung vorliegt."<br />

III. Zwischenzeitlich hat sich das Kammergericht mit Beschluss vom 22. Februar 2010 - 2 Ws 86/10 Reha - (ZOV<br />

2010, 140) der Meinung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts angeschlossen <strong>und</strong> entschieden, dass bei vorausgegangener<br />

Antragstellung erst ab Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen<br />

nach § 17a StrRehaG bestehe. Demgegenüber möchte das Oberlandesgericht Naumburg von seiner bisherigen<br />

Auffassung abrücken <strong>und</strong> hat mit Beschluss vom 5. Mai 2010 - 2 Ws Reh 22/10 – die Rechtsfrage im Hinblick<br />

auf die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ebenfalls dem B<strong>und</strong>esgerichtshof vorgelegt (Verfahren<br />

4 StR 254/10).<br />

IV. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 4, § 13 Abs. 4 StrRehaG sind<br />

erfüllt. Die Vorlegungsfrage betrifft die - hier entscheidungserhebliche - Auslegung der Regelung des § 17a Abs. 4<br />

Satz 1 StrRehaG zum Beginn der Zuwendungszahlung, mithin eine Rechtsfrage, die bereits durch andere Oberlandesgerichte<br />

entschieden worden ist. Das Thüringer Oberlandesgericht kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne<br />

von den Entscheidungen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts <strong>und</strong> des Kammergerichts abzuweichen.<br />

V. Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus dem Tenor ersichtlich.<br />

1. Nach § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG wird die besondere Zuwendung für Haftopfer monatlich im Voraus gezahlt,<br />

beginnend mit dem auf die Antragstellung folgenden Monat. Damit knüpft die Vorschrift für den Beginn der Zahlung<br />

an die Stellung des für die Gewährung von sozialen Ausgleichsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz<br />

erforderlichen Antrags nach § 16 Abs. 3 StrRehaG an. Eine Einschränkung dahin, dass dies nur gelten<br />

soll, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits eine rechtskräftige Rehabilitierungsentscheidung gemäß § 12<br />

StrRehaG vorliegt, ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen.<br />

2. Die Regelungen der § 3 Abs. 1 StrRehaG <strong>und</strong> § 16 Abs. 1 StrRehaG gebieten es nicht, in Fällen, in denen der<br />

Antrag auf Gewährung einer besonderen Zuwendung für Haftopfer vor dem Ergehen der Rehabilitierungsentscheidung<br />

gestellt wird, abweichend vom ausdrücklichen Wortlaut des § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG für den Beginn der<br />

Zahlung auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung abzustellen.<br />

a) Anspruch auf Zahlung einer besonderen Zuwendung für Haftopfer haben gemäß § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG<br />

Berechtigte nach § 17 Abs. 1 StrRehaG, die eine mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>sätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen<br />

Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von insgesamt mindestens sechs Monaten erlitten haben <strong>und</strong> in ihrer<br />

328


wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind. Mit dem Bezug auf die Berechtigung nach § 17 Abs. 1<br />

StrRehaG erfasst das Gesetz den über eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG verfügenden Personenkreis (vgl. §<br />

25 Abs. 2 StrRehaG) <strong>und</strong> verweist ansonsten auf die in § 3 Abs. 1 StrRehaG <strong>und</strong> § 16 StrRehaG allgemein geregelten<br />

Wirkungen einer Rehabilitierungsentscheidung (vgl. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher<br />

Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR, BT-Drucks. 16/4842,<br />

S. 6). Gemäß § 3 Abs. 1 StrRehaG begründet die Aufhebung einer Entscheidung nach § 1 StrRehaG Ansprüche nach<br />

Maßgabe dieses Gesetzes. Die Folgeansprüche werden durch § 16 Abs. 1 StrRehaG dahin konkretisiert, dass die<br />

Rehabilitierung einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für Nachteile begründet, welche dem Betroffenen<br />

durch eine Freiheitsentziehung entstanden sind. Zu den sozialen Ausgleichsleistungen gehört nach § 16 Abs. 3<br />

StrRehaG u.a. die besondere Zuwendung für Haftopfer gemäß § 17a StrRehaG.<br />

b) Die Gewährung einer besonderen Zuwendung für Haftopfer als soziale Ausgleichsleistung im Sinne des § 16 Abs.<br />

3 StrRehaG setzt eine zu Gunsten des Betroffenen ergangene Rehabilitierungsentscheidung voraus. Durch die Entscheidung<br />

nach § 12 StrRehaG wird die gegen den Betroffenen ergangene strafrechtliche Entscheidung, von deren<br />

Fortgelten das Gesetz in Anknüpfung an die in Art. 18 Abs. 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl II<br />

S. 889) für Entscheidungen der Gerichte der DDR getroffene Regelung ausgeht, insoweit aufgehoben, als sie im<br />

Sinne des § 1 Abs. 1 StrRehaG mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>sätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar<br />

ist. Die Rehabilitierungsentscheidung beseitigt die Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die infolge der rechtsstaatswidrigen<br />

Entscheidung vollzogene Freiheitsentziehung <strong>und</strong> stellt zugleich gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StrRehaG fest, in<br />

welchem Umfang der Betroffene zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten hat. Damit steht nach der Konzeption des Gesetzes<br />

für das weitere Verfahren fest, dass der Betroffene Opfer eines rechtsstaatswidrigen Freiheitsentzugs geworden<br />

ist <strong>und</strong> ihm - vorbehaltlich einer der Entschädigungsbehörde obliegenden Prüfung des Ausschlussgr<strong>und</strong>es des §<br />

16 Abs. 2 StrRehaG - soziale Ausgleichsleistungen nach § 16 Abs. 1 <strong>und</strong> 3 StrRehaG zustehen.<br />

c) Aus dem Erfordernis einer zu Gunsten des Betroffenen ergangenen Rehabilitierungsentscheidung für die Gewährung<br />

der besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG lässt sich indes nicht ableiten, dass im Falle<br />

einer Rehabilitierung eine Zahlung der besonderen Zuwendung für Zeiträume, die nach der Antragstellung aber vor<br />

Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung liegen, entgegen der ausdrücklichen Regelung des § 17a Abs. 4 Satz 1<br />

StrRehaG nicht in Betracht kommt. Materieller Gr<strong>und</strong> für die Gewährung sozialer Ausgleichsleistungen ist nicht die<br />

Rehabilitierungsentscheidung, sondern die vom Betroffenen erlittene, mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>sätzen einer freiheitlichen<br />

rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung. Wie sich schon aus dem Begriff der sozialen Ausgleichsleistungen<br />

sowie der Bestimmung des § 16 Abs. 1 StrRehaG ergibt, dienen die Leistungen nach § 16 Abs. 3<br />

StrRehaG in materieller Hinsicht dem Zweck, für die Nachteile, welche dem Betroffenen durch den erlittenen Freiheitsentzug<br />

entstanden sind, einen Ausgleich zu schaffen. Neben materiellen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Schäden sollen<br />

insbesondere auch immaterielle Nachteile ausgeglichen werden (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses<br />

zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht, BT-Drucks. 12/2820, S. 30). Mit dem durch<br />

das Erste Gesetz zur Beseitigung von SED-Unrecht (Erstes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz) vom 29. Oktober 1992<br />

(BGBl I S. 1814) geschaffene Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz verfolgte der Gesetzgeber die Intention, den<br />

durch den Entzug ihrer Freiheit am schwersten Betroffenen vorrangig Genugtuung zu geben, ihnen durch vereinfachte<br />

Verfahren schneller zu ihrem Recht zu verhelfen, sowie ihnen durch eine deutlich verbesserte Entschädigung <strong>und</strong><br />

durch Versorgungsansprüche einen gewissen Ausgleich für das erlittene Unrecht anzubieten (vgl. Gesetzentwurf der<br />

B<strong>und</strong>esregierung, BT-Drucks. 12/1608, S. 2). Das Ausmaß der Nachteile, die der Betroffene durch einen aufgr<strong>und</strong><br />

einer rechtsstaatswidrigen Entscheidung zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzug davon getragen hat, wird durch den<br />

Zeitpunkt der Rehabilitierungsentscheidung nicht beeinflusst. Die auf den zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzug<br />

bezogene Ausgleichsfunktion der Leistungen nach § 16 Abs. 3 StrRehaG, zu denen auch die besondere Zuwendung<br />

für Haftopfer gehört, schließt es aus, dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung abweichend<br />

vom Wortlaut des § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG maßgebliche Bedeutung für den Beginn der Zahlung dieser Zuwendung<br />

beizumessen.<br />

d) Der Umstand, dass die Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer eine Rehabilitierungsentscheidung<br />

zu Gunsten des Betroffenen voraussetzt, führt nicht dazu, dass ein vor Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung<br />

gestellter Antrag auf Leistung der Zuwendung nach § 17a StrRehaG unzulässig ist (OLG Naumburg, OLGSt<br />

StrRehaG § 17a Nr. 3) oder ins Leere geht (KG aaO.; Brandenburgisches OLG aaO) mit der Folge, dass es an einem<br />

wirksamen Antrag als Anknüpfungspunkt für den Beginn der Zahlung nach § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG fehlte. Für<br />

die Unwirksamkeit oder Unzulässigkeit eines vor Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung gestellten Antrags<br />

auf Gewährung der Zuwendung gemäß § 17a StrRehaG bieten die Bestimmungen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes<br />

keinen Anhalt. § 17 Abs. 4 Satz 2 StrRehaG normiert für den Antrag auf Kapitalentschädigung gemäß<br />

329


§ 17 StrRehaG lediglich eine an die Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung nach § 12 StrRehaG anknüpfende<br />

Ausschlussfrist <strong>und</strong> ist für die Beantwortung der Frage, ob ein Entschädigungsantrag vor Rehabilitierung wirksam<br />

gestellt werden kann, unergiebig. Gleiches gilt für die Zuständigkeitsbestimmung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG.<br />

Diese Regelung, nach welcher für die Gewährung von Leistungen nach den §§ 17, 17a <strong>und</strong> 19 StrRehaG sowie die<br />

Prüfung der Voraussetzungen des Ausschlussgr<strong>und</strong>es des § 16 Abs. 2 StrRehaG die Landesjustizverwaltung zuständig<br />

ist, in deren Geschäftsbereich die Rehabilitierungsentscheidung ergangen ist, lässt zwar erkennen, dass der Gesetzgeber<br />

entsprechend der Gr<strong>und</strong>konzeption des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes von einem regelmäßig<br />

der Rehabilitierungsentscheidung nachgelagerten Entschädigungsverfahren ausgegangen ist, vermag aber für sich<br />

genommen die Unzulässigkeit oder die Unwirksamkeit eines vor der Rehabilitierung gestellten Antrags auf Gewährung<br />

sozialer Ausgleichsleistungen in Gestalt der besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG nicht<br />

zu begründen. Die Vorschrift des § 17 Abs. 3 StrRehaG legt es demgegenüber nahe, dass das Gesetz jedenfalls hinsichtlich<br />

der Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG von der Möglichkeit der Stellung eines Entschädigungsantrages<br />

vor der Rehabilitierung ausgeht. Gemäß § 17 Abs. 3 StrRehaG ist der Anspruch auf Kapitalentschädigung ab<br />

Antragstellung, frühestens jedoch ab dem 18. September 1990, übertragbar <strong>und</strong> vererblich. Der festgelegte Stichtag<br />

für den frühest möglichen Eintritt der Übertragbarkeit <strong>und</strong> Vererblichkeit des Anspruchs auf Kapitalentschädigung<br />

bei Vorliegen eines entsprechenden Entschädigungsantrags entspricht dem Datum des Inkrafttretens des ersten noch<br />

von der Volkskammer der DDR beschlossenen Rehabilitierungsgesetzes vom 6. September 1990 (GBl I S. 1459),<br />

mithin einem Zeitpunkt, zu welchem eine rechtskräftige Rehabilitierungsentscheidung noch nicht ergangen sein<br />

konnte. Zudem zeigt die Regelung des § 17 Abs. 3 StrRehaG, dass der Anspruch auf Kapitalentschädigung jedenfalls<br />

dem Gr<strong>und</strong>e nach - als Voraussetzung einer Übertragbar- <strong>und</strong> Vererblichkeit - bereits vor Rechtskraft der Rehabilitierungsentscheidung<br />

entsteht (vgl. Tappert in Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG § 17 Rn. 30 ff.).<br />

3. Die Anwendung des § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG auch in Fällen, in welchen die Rehabilitierungsentscheidung<br />

gemäß § 12 StrRehaG dem Antrag auf Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer zeitlich nachfolgt,<br />

entspricht schließlich dem Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift. Mit dem Zahlungsbeginn ab dem auf die Antragstellung<br />

folgenden Monat will die Regelung des § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG verhindern, dass sich die für die Bearbeitung<br />

des Antrags erforderliche Zeitspanne leistungsmindernd auf den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung der besonderen<br />

Zuwendung für Haftopfer auswirkt. Die Absicht, den Betroffenen nicht mit den Folgen der un-einheitlichen<br />

Länge der Rehabilitierungsverfahren zu belasten, hat bereits den Gesetzgeber des Ersten SED-<br />

Unrechtsbereinigungsgesetzes dazu bewogen, für die Übertragbar- <strong>und</strong> Vererblichkeit des Anspruchs auf Kapitalentschädigung<br />

in § 17 Abs. 3 StrRehaG nicht - wie ursprünglich vorgesehen - auf den Zeitpunkt der Festsetzung oder<br />

rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, sondern auf die Antragstellung abzustellen (Beschlussempfehlung des<br />

Rechtsausschusses aaO., S. 31; vgl. BVerfG, NJW 2000, 2418). Bei einer sozialen Ausgleichsleistung, die - wie die<br />

besondere Zuwendung für Haftopfer gemäß § 17a StrRehaG - einer wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Betroffenen<br />

Rechnung tragen soll <strong>und</strong> dementsprechend als zusätzliche regelmäßige monatliche Leistung ausgestaltet ist (vgl.<br />

BT-Drucks. 16/4842, S. 5), kommt diesem Gesichtspunkt im Hinblick darauf, dass die Verfahrensdauer unmittelbar<br />

auf den Leistungsumfang <strong>und</strong> damit auf den Ausgleichszweck der Zuwendung durchschlägt, eine besondere Bedeutung<br />

zu. Entsprechend dem Gr<strong>und</strong>gedanken des § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG stellt die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts<br />

der Antragstellung auch in den Fällen, in welchen die Rehabilitierungsentscheidung erst nach dem Antrag auf<br />

Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer ergeht, sicher, dass sich die Dauer des Rehabilitierungsverfahrens,<br />

die von vielfältigen Unwägbarkeiten abhängig ist <strong>und</strong> von dem Betroffenen nicht oder nur in geringem Maße<br />

beeinflusst werden kann, nicht zum Nachteil des Betroffenen auswirkt.<br />

GVG § 76 Abs. 2 Korrektur der reduzierten Besetzung<br />

BGH, Urt. v. 31.08.2010 - 5 StR 159/10 - NStZ 2011, 54<br />

Das Gericht darf die mit Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossene Reduzierung der Strafkammerbesetzung<br />

auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung überprüfen, ob sie nach dem Stand<br />

der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt <strong>und</strong> daher<br />

abzuändern war.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. August 2010 für Recht erkannt: Die Revisionen<br />

der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 11. November 2009 werden<br />

330


verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die dem Angeklagten hierdurch<br />

entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten, einen vorläufig suspendierten Polizeibeamten, – unter Freisprechung im Übrigen<br />

– wegen unerlaubten Handeltreibens mit Waffen in 19 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit (zweifachem)<br />

unerlaubtem Waffenbesitz <strong>und</strong> mit (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen unerlaubter<br />

Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in drei Fällen <strong>und</strong> wegen Bestechlichkeit zu einem Jahr <strong>und</strong><br />

zwei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung <strong>und</strong> zu einer Gesamtgeldstrafe von 120<br />

Tagessätzen verurteilt; vier Monate der Freiheitsstrafe <strong>und</strong> 30 Tagessätze der Geldstrafe hat es wegen überlanger<br />

Verfahrensdauer als vollstreckt angerechnet. Nach dem auf eine Verständigung zurückgehenden Urteil bleibt die mit<br />

punktuellen sachlichrechtlichen Beanstandungen gegen den <strong>Teil</strong>freispruch, die Behandlung mancher Konkurrenzfragen,<br />

die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums, die Strafzumessung <strong>und</strong> die Bemessung der Vollstreckungsanrechnung<br />

gerichtete, vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ebenso erfolglos<br />

wie die mit einer Besetzungsrüge <strong>und</strong> der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten.<br />

1. Die Besetzungsrüge versagt. Mit ihr wird die nach dreieinhalb Monaten in zeitlichem Zusammenhang mit der<br />

Terminierung erfolgte Abänderung der mit Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossenen Reduzierung der Strafkammerbesetzung<br />

nach § 76 Abs. 2 GVG beanstandet. Ob die Rüge bereits – was der Senat entgegen BGHR GVG §<br />

76 Abs. 2 Verfahren 2 schon im Blick auf den Charakter der einzig zum Zwecke der Schonung von Justizressourcen<br />

nach der Wiedervereinigung geschaffenen <strong>und</strong> wiederholt verlängerten Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 GVG<br />

für naheliegend hält (vgl. BTDrucks 12/1217 S. 46 ff.; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Tz. 18, zur<br />

Veröffentlichung in BGHR GVG § 76 Abs. 2 bestimmt; sowie zur Gesetzgebungshistorie im einzelnen Rieß in Festschrift<br />

für Heinz Schöch 2010 S. 895, 897 ff.) – daran scheitern muss, dass die Verhandlung in der Regelbesetzung<br />

den Angeklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beschweren kann (vgl. auch das unveränderte Schutzquorum<br />

des § 263 Abs. 1 StPO), bedarf hier keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob die Rüge, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

meint, deshalb erfolglos bleibt, weil sich der Angeklagte vor der Strafkammer verständigt <strong>und</strong> damit<br />

seinen Besetzungseinwand schlüssig zurückgenommen oder verwirkt hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation<br />

BGH StV 2010, 470; vgl. bereits BGHR StPO § 338 Revisibilität 1). Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Nicht<br />

anders als auf einen entsprechend begründeten Besetzungseinwand (vgl. BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum<br />

2) durfte die Strafkammer die Verbindlichkeit der Besetzungsentscheidung auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung<br />

überprüfen. Dass eine Besetzungsreduktion schon bei Annahme schlichter Fehlerhaftigkeit in den Regelfall<br />

korrigiert werden kann, liegt dabei nicht fern, bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die Besetzungsentscheidung<br />

durfte jedenfalls darauf überprüft werden, ob sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich<br />

unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt <strong>und</strong> daher abzuändern war (vgl. Kissel/Mayer, GVG 6. Aufl. § 76<br />

Rdn. 6, 10; Haller/Janßen NStZ 2004, 469, 471; wohl noch weitergehend Rissing-van Saan in Festschrift für Volker<br />

Krey 2010 S. 431, 439; vgl. zu den Grenzen der Unabänderlichkeit der Besetzungsreduktion auch BGHSt 53, 169).<br />

Dass dies hier der Gr<strong>und</strong> für die Abänderungsentscheidung war, hat die Strafkammer zwar nicht – was vorzugswürdig<br />

gewesen wäre – in einer Begründung jener Entscheidung ausgeführt, indes noch rechtzeitig <strong>und</strong> mit hinreichender<br />

Deutlichkeit in dem den entsprechenden Besetzungseinwand zurückweisenden Beschluss: Darin heißt es, die<br />

Besetzung mit drei Berufsrichtern sei hier „zwingend notwendig“. Die Annahme „objektiver Willkür“ im Sinne von<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG war angesichts des Umfangs der Anklage mit 48 fast durchweg nicht alltäglichen Anklagevorwürfen,<br />

mit 44 benannten Zeugen, vier Sachverständigen <strong>und</strong> einer Vielzahl sachlicher Beweismittel, der die<br />

Anberaumung von zunächst zehn Hauptverhandlungstagen veranlasste (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010<br />

– 5 StR 555/09 Tz. 19), mindestens vertretbar, damit ihrerseits willkürfrei <strong>und</strong> folglich als Gr<strong>und</strong>lage für die abändernde<br />

Besetzungsentscheidung im Rahmen von §§ 222b, 338 Nr. 1 StPO verbindlich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53.<br />

Aufl. § 76 GVG Rdn. 8).<br />

2. Die im Wesentlichen an den gleichzeitigen Besitz von Waffen anknüpfende Beurteilung der Konkurrenzen ist<br />

jedenfalls sachlich vertretbar. Die Ablehnung mittelbarer Falschbeurk<strong>und</strong>ung, die Strafrahmenwahl <strong>und</strong> Strafzumessung<br />

sowie die Erwägungen im Zusammenhang mit einer angenommenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung<br />

sind rechtsfehlerfrei, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums ist im Blick auf die Gesamtverhältnisse<br />

des sehr weitgehend zu Waffenbesitz befugten Angeklagten als nicht durchgreifend bedenklich hinnehmbar.<br />

3. Der Gesamttatzeitraum <strong>und</strong> die Gesamtzahl der Waffendelikte rechtfertigen im Zusammenhang mit dem Blick auf<br />

die Gesamtsumme der vom Angeklagten erzielten Taterlöse bereits die Annahme gewerbsmäßigen Verhaltens. Auch<br />

sonst enthält das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.<br />

331


GVG § 76 Abs. 2 Satz 1 Kleine Besetzung fehlerhaft bei kompliziertem Rechtsbeugungsvorwurf<br />

BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 5 StR 555/09 - NJW 2010, 3045 = NStZ 2011, 52 m. Anm Metzger<br />

LS: Zur unerlässlichen Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe<br />

umfangreichen <strong>und</strong> schwierigen Strafverfahren.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 7. Juli 2010 beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird<br />

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung verurteilt.<br />

Gegen den Angeklagten M. hat es eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt,<br />

gegen den Angeklagten P. eine solche von einem Jahr <strong>und</strong> acht Monaten. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger<br />

Verfahrensverzö-gerung sind jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt worden.<br />

A. Das Landgericht hat seiner Verurteilung im Wesentlichen folgende Feststellungen zugr<strong>und</strong>e gelegt: Der Beschwerdeführer<br />

M. führte als Richter am Amtsgericht den Vorsitz in einer Schöffengerichtssache gegen B. A. vor<br />

dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt. A. wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Fällen Nachlassvermögen<br />

in Höhe von insgesamt etwa 400.000 € veruntreut zu haben. Am 30. Juni 2005 verurteilte ihn das Schöffengericht<br />

unter Vorsitz des Beschwerdeführers M. schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. M. war nach dem<br />

Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts lediglich noch für die Erledigung dieses schöffengerichtlichen<br />

Verfahrens zuständig, dessen Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 begonnen hatte. Im Übrigen (90 %) war er<br />

an das Landgericht Frankfurt/Oder abgeordnet. Der Beschwerdeführer P. ist Oberstaatsanwalt <strong>und</strong> nahm als Sitzungsvertreter<br />

der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder an der überwiegenden Anzahl der Hauptverhandlungstage teil.<br />

A. ließ sich im Strafverfahren unter anderem von Rechtsanwalt R. verteidigen. Darüber war der Beschwerdeführer<br />

M. von Beginn an sehr ungehalten, weil er R. verdächtigte, an der Vortat des A. beteiligt gewesen zu sein. Er rechnete<br />

daher damit, dass R. Konfliktverteidigung betreiben würde, „um von seiner eigenen Tatbeteiligung abzulenken<br />

sowie die Aufklärung des Sachverhalts zu verzögern <strong>und</strong> zu erschweren“ (UA S. 13). Er war deshalb bestrebt, „R.<br />

möglichst rasch der Beteiligung an den Taten des B. A. zu überführen <strong>und</strong> ihn auf diese Weise auch aus dem gegen<br />

B. A. anhängigen Strafverfahren auszuschließen“ (UA S. 13). Seine im April 2004 erfolgte Vorlage an das Brandenburgische<br />

Oberlandesgericht mit dem Ziel, R. gemäß §§ 138a, 138c StPO als Tatbeteiligten auszuschließen, war<br />

ohne Erfolg geblieben (UA S. 14). Deshalb beschloss er, „selbst gegen Rechtsanwalt R. zu ermitteln <strong>und</strong> ihn mit<br />

Zwangsmaßnahmen zu überziehen“ (UA S. 14). Dabei war ihm bekannt, dass sowohl gegen R. als auch gegen A. s<br />

Ehefrau C. von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden<br />

waren. Der auch für das Verfahren gegen B. A. zuständige Dezernent, Staatsanwalt B., erhob später, im Juni<br />

2006, gegen R. <strong>und</strong> C. A. wegen Geldwäsche Anklage. Zum Ausgang dieses Verfahrens hat die Strafkammer keine<br />

Feststellungen getroffen. In dem Schöffengerichtsverfahren wurde der Beschwerdeführer M. am 24. März 2005 (7.<br />

Hauptverhandlungstag) durch B. A. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet wurde das Ablehnungsgesuch<br />

maßgeblich mit der Berichterstattung des früheren Direktors des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt W. im<br />

Oder-Spree-Fernsehen vom Vortag. Dieser nahm als Prozessberichterstatter an einer Vielzahl der Sitzungstage teil<br />

<strong>und</strong> kommentierte über diesen Sender „tendenziös zu Lasten“ des Angeklagten A. <strong>und</strong> des Verteidigers Rechtsanwalt<br />

R. das Prozessgeschehen; dabei verfügte er aus Sicht der Verteidigung A. s über Informationen, die er nur von M.<br />

erlangt haben konnte (UA S. 29). Am 7. April 2005 (8. Hauptverhandlungstag) wurde der Beschwerdeführer M.<br />

erneut abgelehnt. Gr<strong>und</strong> dafür war seine wörtliche Äußerung (UA S. 31): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt<br />

doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen <strong>und</strong> der heißt: Der Strafprozess beginnt mit<br />

der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende!“ Mit der Wendung „HPO“ meinte M. eine sogenannte<br />

„Hüttenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt R. die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte (UA<br />

S. 31). Die Ablehnungsgesuche wurden am 11. April 2005 (UA S. 36) <strong>und</strong> 21. April 2005 (UA S. 45) jeweils durch<br />

M. s Vertreterin zurückgewiesen. Ebenfalls am achten Hauptverhandlungstag überreichte der als Zeuge vernommene<br />

Rechtsanwalt R. Ablichtungen eines Kaufvertrags über die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs an C. A.. Der Beschwerdeführer<br />

M. nahm an, dass der Kaufvertrag rückdatiert worden sei, erhob sich, „warf seine Robe nach hinten,<br />

deutete auf den Zeugen R. <strong>und</strong> rief: ‚Sie sind festgenommen!’. Er hatte bereits vor dieser Sitzung den Entschluss<br />

gefasst, den Zeugen R., B. A. <strong>und</strong> dessen Ehefrau festnehmen zu lassen, <strong>und</strong> dies mit P. besprochen, weil er sicher-<br />

332


gehen wollte, dass dieser die entsprechenden Haftbefehlsanträge stellen würde“ (UA S. 33). Entsprechend erhielt der<br />

Beschwerdeführer M. vom Beschwerdeführer P. drei vorbereitete schriftliche Anträge, mit denen dieser die Anordnung<br />

der Untersuchungshaft gegen B. A. wegen Untreue sowie gegen R. <strong>und</strong> C. A. wegen Geldwäsche <strong>und</strong> Begünsti-gung,<br />

bezüglich R. auch wegen uneidlicher Falschaussage beantragte. Sämtliche Anträge waren auf den Haftgr<strong>und</strong><br />

der Verdunkelungsgefahr sowie bei R. zusätzlich auf Fluchtgefahr gestützt. Der Beschwerdeführer M. vergab<br />

für die Haftbefehlsanträge betreffend R. <strong>und</strong> C. A. gerichtliche Aktenzeichen mit Gs-Registerzeichen, beschloss die<br />

Verbindung der Ermittlungsverfahren gegen R. <strong>und</strong> C. A. mit dem von ihm geführten Strafverfahren gegen B. A.<br />

<strong>und</strong> ordnete antragsgemäß Untersuchungshaft gegen alle drei an. R. <strong>und</strong> B. A. wur-den im Sitzungssaal, C. A. acht<br />

Minuten später an ihrer Arbeitsstelle festgenommen. Beiden Beschwerdeführern war bewusst, dass M. für eine eigenmächtige<br />

Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen <strong>und</strong> noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren<br />

ebenso wenig zuständig war wie für den Erlass von Haftbefehlen in diesen Ermittlungsverfahren. Sie wollten<br />

insbesondere „in Kenntnis des Fehlens tragender Haftgründe im Umgang mit einer vermeintlichen Konfliktverteidigung<br />

ein Exempel statuieren“ <strong>und</strong> gingen davon aus, dass „der Erlass der Haftbefehle durch einen anderen Richter,<br />

ebenso wie die Beantragung der Haftbefehle durch einen anderen Vertreter der Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich<br />

nicht zu erreichen gewesen wäre“ (UA S. 36/37). Am 14. April 2005 (9. Hauptverhandlungstag) wurden R. <strong>und</strong><br />

C. A. als Zeugen vernommen. Zwischenzeitlich war es auf Betreiben von Staatsanwalt B. zu Unterredungen mit dem<br />

Leitenden Oberstaatsanwalt gekommen, in deren Folge Staatsanwalt B. am 14. April 2005 die Entlassung von R. aus<br />

der Untersuchungshaft anordnete. Am folgenden Tag beschloss der Beschwerdeführer M. „in den Straf- <strong>und</strong> Ermittlungsverfahren“<br />

gegen B. <strong>und</strong> C. A. sowie R. , dass die Haftbefehle gegen den Angeklagten A. sowie die „Beschuldigte“<br />

C. A. aufgehoben werden, weil sich im Hinblick auf die Entlassung des „Beschuldigten“ R. der weitere Vollzug<br />

der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig darstelle (UA S. 45); am selben Tag ordnete er ihre Entlassung an<br />

<strong>und</strong> hob später auch den Haftbefehl gegen R. sowie den Verbindungsbeschluss auf.<br />

B. Die Revisionen haben bereits mit Besetzungsrüge Erfolg. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer, dass die<br />

Strafkammer unter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit nur zwei Berufsrichtern besetzt gewesen ist. Die<br />

fehlerhafte Besetzung des erkennenden Gerichts hat als absoluter Revisionsgr<strong>und</strong> die Aufhebung des Urteils zur<br />

Folge (§ 338 Nr. 1 StPO).<br />

I. Den Rügen liegt folgender prozessualer Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschwerdeführer unter dem 30. August 2007 Anklage wegen gemeinschaftlich<br />

begangener Rechtsbeugung <strong>und</strong> Freiheitsberaubung zum Landgericht Frankfurt/Oder erhoben. Den zunächst<br />

ergangenen Nichteröffnungsbeschluss hat das Brandenburgische Oberlandesgericht am 29. Juli 2008 auf sofortige<br />

Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben <strong>und</strong> das Hauptverfahren vor dem Landgericht Potsdam eröffnet. Das<br />

Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2009 nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG von der Mitwirkung eines dritten<br />

Berufsrichters ohne Angabe von Gründen abgesehen; den von den Beschwerdeführern jeweils vor ihrer Vernehmung<br />

zur Sache erhobenen Besetzungseinwand, gestützt auf eine unvertretbare reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76<br />

Abs. 2 Satz 1 GVG, hat das Landgericht (in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung) zurückgewiesen<br />

<strong>und</strong> zur Begründung mitgeteilt: „Die Kammer hält sich für ordnungsgemäß besetzt. Eine willkürliche Entscheidung<br />

über die Besetzung ist nach hiesiger Meinung nicht erkennbar.“<br />

2. Den bestreitenden Beschwerdeführern wurden durch die Anklageschrift „mehrere evidente Rechtsverstöße“, begangen<br />

zum Nachteil der Eheleute A. sowie des Rechtsanwalts R., als einheitliche Tat der Rechtsbeugung <strong>und</strong> Freiheitsberaubung<br />

zur Last gelegt. Im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung belief sich der Umfang der Leitakte bereits<br />

auf mehr als 900 Seiten. Überdies oblag der Strafkammer die Aufklärung des komplexen Ausgangsverfahrens gegen<br />

B. A., das ursprünglich zum Landgericht angeklagt, aber mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolge vor dem<br />

Schöffengericht eröffnet worden war. Unter dem Vorsitz des Beschwerdeführers M. war darüber mehr als ein halbes<br />

Jahr an 14 Hauptverhandlungstagen auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verhandelt worden. Die<br />

Hauptaktenbände umfassten etwa 1.600 Seiten, wurden ebenso wie die Hauptakten der Ermittlungsverfahren gegen<br />

R. <strong>und</strong> C. A. (Umfang etwa 800 Seiten) als Kopieakten beigezogen <strong>und</strong> in der Darstellung der Beweismittel in der<br />

Anklageschrift berücksichtigt. Nach dem – durch die Gegenerklärung unwidersprochen gebliebenen (vgl. zur Bedeutung<br />

der Revisionsgegenerklärung Drescher NStZ 2003, 296, 300) – Revisionsvortrag umfassten allein die beigezogenen<br />

Verfahrensakten – ersichtlich nebst Beiakten – insgesamt mehr als 7.000 Seiten.<br />

3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem Landgericht neben den Verteidigern<br />

zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die Strafkammer terminierte zunächst sechs Hauptverhandlungstage<br />

<strong>und</strong> lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis<br />

zur Urteilsverkündung.<br />

333


II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung in der<br />

Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG verletzt, weil der Umfang der<br />

Sach- <strong>und</strong> Rechtslage die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig machte.<br />

1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große Strafkammer bei der<br />

Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des<br />

Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung<br />

eines dritten Berufsrichters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat<br />

die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist<br />

dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die<br />

Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat (BGHSt 44, 328, 334; BGH NStZ 2004, 56; StV 2004, 250, 251;<br />

Kissel/Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl<br />

der Angeklagten, Verteidiger <strong>und</strong> erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie<br />

anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten, der Umfang der Akten sowie<br />

die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung (BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3).<br />

2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten<br />

ist, gebührt der Dreierbeset-zung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit, die<br />

sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 GVG bewährt hatte, der Vorrang (vgl. BGHSt 44,<br />

328, 334; BGH JR 2004, 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet,<br />

Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu<br />

würdigen <strong>und</strong> schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. BGH JR aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die<br />

Besetzung der Strafkammer hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre<br />

Besetzung der Strafkammer ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – <strong>und</strong> damit auch ressourcenschonende –<br />

Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs <strong>und</strong> der Rechtsfragen durch drei Richter gewährleistet<br />

ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis<br />

(BTDrucks aaO). Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspra-xis, soweit ersichtlich, den gebotenen<br />

sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt; anders<br />

ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich<br />

(vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.; 14/3831 S. 5; 16/3038 S. 32). Der Senat hielte es demgegenüber gr<strong>und</strong>sätzlich für<br />

angezeigt, den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend<br />

weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren<br />

Verhandlungsdauer von wenigstens zehn Hauptverhandlungstagen von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle BGHSt 52, 355, 362; Becker in Löwe/Rosenberg,<br />

StPO 26. Aufl. § 229 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 2). Ausnahmen<br />

mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch<br />

eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist.<br />

3. Der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG liegt<br />

jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren<br />

Überschreiten des Beurteilungsspielraums durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung<br />

reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. BGHSt 44, 328, 333 ff.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum<br />

3; BGH NStZ 2004, 56; Siolek in Lö-we/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 16; Diemer in<br />

KK 6. Aufl. § 76 GVG Rdn. 3; Kissel/Mayer aaO § 76 Rdn. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen<br />

sind hier nach den Kriterien sowohl des Um-fangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt. Nur scheinbar<br />

waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei Hauptverhandlungstagen<br />

begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen<br />

unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler<br />

im Rahmen des § 339 <strong>StGB</strong> war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter <strong>Teil</strong>e <strong>und</strong> Hintergründe<br />

des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2<br />

StPO). Nur auf diese Weise konnte die Strafkammer ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa<br />

sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren. Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der<br />

Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten<br />

aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen B. A. einschließlich der Ermittlungsakten<br />

der Verfahren gegen Rechtsanwalt R. <strong>und</strong> C. A. auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die<br />

Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von R. <strong>und</strong> C. A. an den Taten des B. A. durch<br />

die Strafkammer aufzuklären. Der so ohnehin bereits erhebliche <strong>und</strong> komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter<br />

334


geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die<br />

voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen<br />

gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über<br />

streitige, min-destens teilweise nicht alltägliche Rechts- <strong>und</strong> Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier<br />

auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 44, 328, 335 f.; BGHR GVG §<br />

76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH JR 2004, 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen<br />

Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige<br />

<strong>und</strong> kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde. Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso<br />

wie der nicht näher begründete, den Besetzungseinwand zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar.<br />

Die Strafkammer hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen (BGH JR 2004, 170,<br />

171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgr<strong>und</strong>es nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung<br />

der Sache zur Folge, über die eine große Strafkammer in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben<br />

wird.<br />

C. Auf die sonstigen erhobenen Verfahrensrügen <strong>und</strong> die – nicht etwa zu einer begünstigenden Durchentscheidung<br />

führenden – sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revisionen der Beschwerdeführer kommt es danach nicht mehr<br />

an. Der Senat sieht jedoch mit Blick auf das weitere Verfahren Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:<br />

I. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zum Verfahren gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt<br />

sind – möglicher-weise gar infolge der reduzierten Strafkammerbesetzung – derart zusam-menhanglos <strong>und</strong><br />

lückenhaft, dass sie eine sachlichrechtliche Überprüfung einiger der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Verfahrenshandlungen<br />

für den Senat weitgehend nicht ermöglichen würden. Dies gilt namentlich für eine willkürliche<br />

Annahme von Haftgründen. Darüber hinaus stellen Verfahrensrügen des Beschwerdeführers M. die Feststellungen<br />

zu ihm vorgeworfenen rechtsbeugerischen Verfahrenshandlungen teilweise in Frage. Dies gilt beispielsweise für die<br />

Feststellung der Haftgründe gegen Rechtsanwalt R., wie für die Initiative des Beschwerdeführers M. in dem gegen<br />

diesen betriebenen Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO.<br />

II. Der Senat merkt andererseits an: Im Gewicht von Verfahrensverstößen kann ein tragfähiges Indiz für eine sachwidrige<br />

Motivation im Sinne des § 339 <strong>StGB</strong> liegen. Weitere Indizien können sich aus den festzustellenden Begleitumständen<br />

ergeben.<br />

1. Die Strafkammer geht zu Recht davon aus, dass Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften<br />

begangen werden kann (vgl. BGHSt 42, 343, 344; 47, 105, 109; BGHR <strong>StGB</strong> § 339 Rechtsbeugung 6;<br />

jeweils m.w.N.). Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine „Beugung“ des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal<br />

ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege,<br />

bei denen sich der Täter bewusst <strong>und</strong> in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht <strong>und</strong><br />

Gesetz entfernt (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; BGHR <strong>StGB</strong> §<br />

339 Rechtsbeugung 7; BGH, Beschluss vom 29. Ok-tober 2009 – 4 StR 97/09 Tz. 10) <strong>und</strong> dadurch die konkrete<br />

Gefahr einer falschen Entscheidung begründet, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten<br />

sein muss (BGHSt 42, 343, 346, 351; BGHR <strong>StGB</strong> § 339 Rechtsbeugung 6).<br />

2. Für die Erfüllung des ungeschriebenen tatbestandlichen Regulativs der konkreten Gefahr einer sachfremden Entscheidung<br />

(vgl. BGHSt 32, 357, 364) kann es sprechen, wenn ein Richter eine Entscheidung zum Nachteil einer<br />

Partei unter bewusster Begehung eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers trifft. Ein derartiger schwerwiegender<br />

Verstoß kann in einer willkürli-chen Zuständigkeitsbegründung als Missachtung des rechtsstaatlich besonders bedeutsamen<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann liegen, wenn diese eine Verletzung weiterer wesentlicher<br />

gr<strong>und</strong>- oder konventionsrechtlicher Rechtspositionen des Betroffenen bewirkt.<br />

a) Der Beschwerdeführer M. war nach den bislang getroffenen Feststellungen für die Anordnung von Untersuchungshaft<br />

gegen R. <strong>und</strong> C. A. nicht zuständig. Nach der Geschäftsverteilung war M. im Jahre 2005 ausschließlich<br />

für die Erledigung des bereits rechtshängigen Schöffengerichtsverfahrens gegen B. A. zuständig.<br />

aa) Die von ihm beschlossene Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren gegen R.<br />

<strong>und</strong> C. A. mit dem beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt rechtshängigen Verfahren gegen B. A. konnte eine Zuständigkeit<br />

nicht begründen. Die allein in Betracht kommende Verfahrensverbindung nach § 4 StPO war dem Angeklagten<br />

verschlossen. Es fehlte bereits an der erforderlichen Anklage (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 4 Rdn. 4); nicht<br />

einmal ein entsprechender – freilich dafür nicht genügender – Verbindungsantrag des Beschwerdeführers P. als Sitzungsvertreter<br />

der Staatsanwaltschaft war gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre alleinige Dispositionsbefugnis<br />

über die Ermittlungsverfahren noch nicht verloren (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 4 Rdn. 3).<br />

bb) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die bisherigen Feststellungen auch keine Zuständigkeit des Beschwerdeführers<br />

M. aus § 125 Abs. 1 StPO. Als gegenüber § 162 Abs. 1 StPO speziellere Regelung ist danach vor<br />

335


Erhebung der öffentlichen Klage für den Erlass eines Haftbefehls gr<strong>und</strong>sätzlich jeder Richter bei dem Amtsgericht<br />

zuständig, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist (vgl. auch Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. §<br />

125 Rdn. 5). Im Falle verschiedener Gerichtsstände können daher auch mehrere Richter unterschiedlicher örtlich<br />

zuständiger Amtsgerichte zuständig sein, sofern deren Verhältnis nicht durch eine Zuständigkeitskonzentration nach<br />

§ 58 GVG geregelt worden ist. Indes bestimmt § 125 Abs. 1 StPO nicht, wie sich die Zuständigkeit verschiedener<br />

Richter desselben in Betracht kommenden Gerichtsstands zueinander verhält. Die Annahme der Revision, aus § 125<br />

Abs. 1 StPO folge die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters dieses Amtsgerichts, ist mit Art. 101<br />

Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar. Über den im Einzelfall nach § 125 StPO konkret zuständigen Richter haben die Bestimmungen<br />

der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte Regelungen zu treffen (vgl. BVerfGE 19, 52, 59 f.; 20, 336,<br />

344; 25, 336, 346). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der einzelne konkret zuständige Richter generell vorbestimmt<br />

ist, <strong>und</strong> verhindert, dass er ad hoc <strong>und</strong> ad personam bestimmt wird. Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan<br />

des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei<br />

namentlich benannten Richtern <strong>und</strong> weiteren Vertretern, nicht jedoch dem ausschließlich noch für das Schöffengerichtsverfahren<br />

gegen B. A. zuständigen Beschwerdeführer M. zugewiesen. Die bisherigen Urteilsfeststellungen<br />

belegen damit eine zureichende generelle Bestimmung auch des nach § 125 Abs. 1 StPO zuständigen Richters. Der<br />

Ermittlungsrichter ist funktionell für sämtliche amtsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Vorbereitung der<br />

öffentlichen Klage <strong>und</strong> damit auch für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 125 Abs. 1 StPO zuständig,<br />

sofern keine abweichende Regelung im Geschäftsverteilungsplan getroffen worden ist (vgl. Hilger in Gedächtnisschrift<br />

für Karlheinz Meyer [1990] S. 209, 213; Meyer-Goßner aaO § 162 Rdn. 13, § 125 Rdn. 2; Erb aaO § 162<br />

Rdn. 16). Eine nähere Regelung eines Zuständigkeitsbereiches für den „Haftrichter“ im Geschäftsverteilungsplan ist<br />

regelmäßig entbehrlich, wenngleich als Spezialzuweisung möglich; der Strafprozessordnung ist ebenso wie dem<br />

Gerichtsverfassungsgesetz der Begriff <strong>und</strong> damit eine eigenständige regelungsbedürftige funktionale Zuständigkeit<br />

des „Haftrichters“ fremd.<br />

cc) Von diesem Rechtsverständnis ging, soweit aus den bisherigen Feststellungen ersichtlich, auch der Beschwerdeführer<br />

M. aus. Er stützte seine Anordnung gerade nicht auf § 125 StPO; anderenfalls hätte es der offensichtlich<br />

rechtswidrigen Verbindung der Verfahren nicht bedurft.<br />

b) Bei alledem erfolgte die Verletzung des gr<strong>und</strong>rechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang<br />

mit der Anordnung einer Freiheitsentziehung <strong>und</strong> berührte damit zugleich das Gr<strong>und</strong>recht auf Freiheit der<br />

Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), die zudem durch Richtervorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) verfahrensrechtlich besonders<br />

abgesichert ist (vgl. Gusy in von Mangoldt/Klein/Starck, GG Band III 5. Aufl. Art. 104 Rdn. 13; ferner Art.<br />

5 MRK).<br />

III. Zur Revision des Beschwerdeführers P. merkt der Senat ergänzend an: Die Strafkammer legt ihm zur Last, „sich<br />

als Mittäter einer Rechtsbeugung schuldig gemacht zu haben“, indem er „aus sachfremden Erwägungen“ <strong>und</strong> „in<br />

Absprache mit dem Beschwerdeführer M. die Anträge auf Erlass der Haftbefehle“ in der Kenntnis gestellt hat, dass<br />

„keine tragenden Haftgründe gegeben waren“ (UA S. 89).<br />

1. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Beschwerdeführers P. (§ 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) begegnet vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> der getroffenen Urteilsfeststellungen rechtlichen Bedenken. Als Mittäter handelt, wer seinen eigenen<br />

Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als <strong>Teil</strong> der Handlung des anderen Beteiligten <strong>und</strong> umgekehrt<br />

dessen Tun als Ergänzung des einen Tatanteils erscheint (BGHSt 40, 299, 301; Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 25<br />

Rdn. 12 ff.). Erforderlich zur gebotenen Abgrenzung zur <strong>Teil</strong>nahme ist eine wertende tatrichterliche Gesamtschau.<br />

Daran fehlt es hier. Allein die – durch die Strafkammer wiederholt <strong>und</strong> gar apodiktisch angeführte – Tatmotivation<br />

des Beschwerdeführers P. trägt den für die Täterschaft notwendigen Willen zur Tatherrschaft noch nicht. Ob der<br />

Umfang seiner Beteiligung in Form der gestellten Haftanträge als notwendige Voraussetzung der Haftanordnungen<br />

für sich erhebliches Gewicht im Sinne einer objektiven Mitbeherrschung des Geschehens aufweist <strong>und</strong> daher ein<br />

tragfähiges Indiz für die Mittäterschaft darstellt, erscheint – ungeachtet der maßgeblichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft<br />

für die Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt R. <strong>und</strong> C. A. – jedenfalls nicht eindeutig. Sollte das<br />

neue Tatgericht keine weitergehenden Feststellungen namentlich zu einer gemeinsamen Tatplanung unter erheblicher<br />

Mitwirkung des Beschwerdeführers P. treffen können, so kann – bei entsprechendem Vorsatz – eine Beihilfe zur<br />

Rechtsbeugung in Betracht kommen.<br />

2. Die knappen <strong>und</strong> wenig differenzierten Erörterungen der Strafkammer lassen indes selbst bei mittäterschaftlicher<br />

Erfolgszurechnung besorgen, dass dem Beschwerdeführer P. ein zu weiter Schuldumfang zur Last gelegt wurde.<br />

Auch bei Mittätern ist zunächst nach dem jeweils zurechenbaren Erfolgs- <strong>und</strong> Handlungsunwert zu differenzieren<br />

(vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 479). Namentlich Ausführungen zum<br />

angenommenen Handlungsunwert sind bislang – anders als beim Beschwerdeführer M. – unterblieben. Diese waren<br />

336


aber gerade auch im Blick auf die hinter der Bestrafung des Beschwerdeführers M. nur wenig zurückbleibende verhängte<br />

Sanktion unentbehrlich.<br />

GVG § 76 Abs. 2 Über kleine Besetzung hat die große Besetzung zu entscheiden<br />

BGH, Beschl. v. 22.06.2010 – 4 StR 216/10 - StraFo 2010, 424<br />

Entscheidet das Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens <strong>und</strong> die Zulassung der Anklage<br />

nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der<br />

Schöffen, sondern in der gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung mit zwei Berufsrichtern<br />

<strong>und</strong> zwei Schöffen, so besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers am<br />

22. Juni 2010 gemäß §§ 206a, 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 4. Dezember 2009<br />

a) aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, in-soweit wird<br />

das Verfahren eingestellt; die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen insofern<br />

der Staatskasse zur Last;<br />

b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 34 Fällen <strong>und</strong> der unerlaubten Abgabe<br />

von Betäubungsmitteln schuldig ist,<br />

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, die Einziehung, den Verfall von Wertersatz <strong>und</strong> den erweiterten Verfall mit<br />

den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die weiteren Kosten<br />

des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln,<br />

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge <strong>und</strong> wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an<br />

eine Person unter 18 Jahren in fünf Fällen, dabei in vier Fällen gewerbsmäßig handelnd, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von sieben Jahren verurteilt. Zudem hat es die Einziehung von sichergestellten Betäubungsmitteln <strong>und</strong> "Betäubungsmittelutensilien"<br />

sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 3.290 € <strong>und</strong> den erweiterten Verfall von 5.605<br />

€ angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.<br />

Sie hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §<br />

349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Verfahren ist in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe einzustellen, da es insofern an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss<br />

fehlt.<br />

a) Wegen der Fälle 1 bis 36 der Urteilsgründe hatte die Staatsanwaltschaft am 28. Mai 2009 Anklage erhoben, die<br />

das Landgericht mit Beschluss vom 8. Juli 2009 unverändert zum Hauptverfahren zugelassen hat; zugleich hat es<br />

beschlossen, die Hauptverhandlung mit der Vorsitzenden <strong>und</strong> - neben den Schöffen - nur einer Beisitzerin durchzuführen.<br />

In der daraufhin begonnenen Hauptverhandlung beschloss die Strafkammer am 6. Oktober 2009, die am 23.<br />

September 2009 ferner erhobene Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen, mit der dem Angeklagten die später als<br />

Fälle 37 bis 44 abgeurteilten Taten zur Last gelegt wurden.<br />

b) Diese Verfahrensweise war fehlerhaft. Bezüglich der dem Angeklagten in der Anklage vom 23. September 2009<br />

zur Last gelegten Taten fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Denn die<br />

große Strafkammer hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens <strong>und</strong> die Zulassung der Anklage nicht in der gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der Schöffen entschieden, sondern in der<br />

gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung mit zwei Berufsrichtern <strong>und</strong> zwei Schöffen. Damit besteht ein<br />

von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 37 bis 44 der<br />

Urteilsgründe <strong>und</strong> zur Einstellung des Verfahrens führt (zum Ganzen BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR<br />

142/08, NStZ 2009, 52, <strong>und</strong> - auch zur Kostenentscheidung - Urteil vom 21. Januar 2010 - 4 StR 518/09 jeweils<br />

m.w.N.).<br />

337


2. Zu den Einziehungs- <strong>und</strong> Verfallanordnungen hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in der Antragsschrift vom 6. Mai 2010<br />

ausgeführt:<br />

"1. Die Einziehungsanordnung, die lediglich auf zwei Sicherstellungsprotokolle verweist, bezeichnet die einzuziehenden<br />

Betäubungsmittel <strong>und</strong> Betäubungsmittelutensilien nicht genau genug. Bei einer Einziehungsanordnung müssen<br />

die einzuziehenden Gegenstände so genau bezeichnet sein, dass bei allen Beteiligten <strong>und</strong> der Vollstreckungsbehörde<br />

Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; die Bezugnahme auf ein Asservatenverzeichnis genügt<br />

nicht (BGH, Beschluss vom 25. August 2009, 3 StR 291/09 m.w.N.). Bei der Einziehung von Betäubungsmitteln<br />

gehört dazu insbesondere die Angabe von Art <strong>und</strong> Menge des einzuziehenden Rauschgifts (Senat, Beschluss vom 12.<br />

Oktober 1999, 4 StR 391/99). Diesen Anforderungen wird die Einziehungsanordnung des Urteils nicht gerecht. Da<br />

sich die Anordnung auch mit Hilfe der Urteilsgründe nicht so genau konkretisieren lässt, dass sie vom Senat ergänzt<br />

werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007, 1 StR 251/07), ist sie aufzuheben.<br />

2. In der Wohnung des Angeklagten wurde Bargeld in Höhe von 8.895,- Euro sichergestellt (UA S. 6), welches nach<br />

Ansicht der Kammer aus Drogengeschäften stammt (UA S. 32). Allerdings erschließt sich nicht, wieso ein <strong>Teil</strong>betrag<br />

in Höhe von 3.290,- Euro "aus den Betäubungsmittelgeschäften" stammen soll <strong>und</strong> der andere <strong>Teil</strong>betrag in Höhe<br />

von 5.605,- Euro aus anderen nicht abgeurteilten Drogengeschäften, so dass insoweit der erweiterte Verfall nach §<br />

73d <strong>StGB</strong> i.V.m. § 33 Abs. 1 BtMG anzuordnen war. Abgesehen davon, dass bei einer Zuordnung des sichergestellten<br />

Geldes zu den abgeurteilten Geschäften die Einziehung [richtig: Verfall] nach § 73 <strong>StGB</strong> zu erfolgen hat - wieso<br />

die Kammer einen Wertersatzverfall nach § 73a <strong>StGB</strong> angenommen hat, ist nicht nachvollziehbar - erfordert der<br />

Vorrang des § 73 <strong>StGB</strong> gegenüber der subsidiären Vorschrift des § 73d <strong>StGB</strong>, dass vor einer Anwendung des § 73d<br />

unter Ausschöpfung der zulässigen Beweis-mittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73<br />

<strong>StGB</strong> erfüllt sind (Senat, Urteil vom 11. Dezember 2008, 4 StR 386/08 m. zahlr. w.N.). Dem werden die lediglich<br />

pauschalen Ausführungen der Kammer (UA S. 32) nicht gerecht, sie ermöglichen dem Revisionsgericht nicht die<br />

Prüfung, ob das Gericht die Vorschriften der §§ 73 ff. <strong>StGB</strong> richtig angewendet hat". Dem schließt sich der Senat an.<br />

Zudem kann die Anordnung des Verfalls von Wertersatz schon infolge der <strong>Teil</strong>einstellung keinen Bestand haben.<br />

3. Vorsorglich bemerkt der Senat, dass die auf § 353 Abs. 2 StPO beruhende Aufhebung der den Verfallentscheidungen<br />

zuzuordnenden Feststellungen nicht die sogenannten doppelrelevanten Tatsachen erfasst, die auch den Schuld-<br />

oder Strafausspruch tragen (z. B. die Feststellungen zu den Einkaufs- <strong>und</strong> Verkaufspreisen; vgl. näher Meyer-Goßner<br />

StPO 52. Aufl. Einl. 187; § 353 Rdn. 20); insoweit sind nur ergänzende Feststellungen zulässig, die den bindend<br />

gewordenen nicht widersprechen dürfen.<br />

IRG § 83h Abs. 1 Nr. 1 Spezialität bei Serienstraftaten<br />

BGH, Beschl. v. 24.09.2010 – 1 StR 373/10 – wistra 2011, 78<br />

LS: Zum Spezialitätsgr<strong>und</strong>satz bei Serienstraftaten.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 24. September 2010 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 25. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu der<br />

von der Revision geltend gemachten Verletzung des Gr<strong>und</strong>satzes der Spezialität (Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses<br />

des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl <strong>und</strong> die Übergabeverfahren zwischen den<br />

Mitgliedstaaten (2002/584/JI) - RB-EUHb; vgl. auch § 83h Abs. 1 Nr. 1, § 82 IRG) bemerkt der Senat: Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

in seiner Antragsschrift bereits zutreffend ausgeführt hat, ist der Gr<strong>und</strong>satz der Spezialität nicht<br />

verletzt; ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der in den Urteilsgründen unter B1. dargestellten Tat (Anklageschrift<br />

der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 21. Oktober 2009) besteht insoweit nicht. Auch diese Tat war von der portugiesischen<br />

Auslieferungsbewilligung erfasst. Sie liegt innerhalb des Tatzeitraums (Januar 2000 bis Oktober/November<br />

2008), der in dem Europäischen Haftbefehl genannt ist, welcher der Auslieferung zugr<strong>und</strong>e liegt. Ihre<br />

Begehungsweise ist mit den weiteren in diesem Haftbefehl im Einzelnen aufgeführten Taten identisch (jeweils Handeltreiben<br />

mit mehreren Kilogramm Amphetamin, jeweils gleicher Wirkstoffgehalt <strong>und</strong> Kilogrammpreis, Übergabe<br />

erfolgte überwiegend - bis auf den letzten im Haftbefehl aufgeführten Fall - durch den Angeklagten in dessen Gartengr<strong>und</strong>stück)<br />

<strong>und</strong> sie beruht - wie auch die übrigen Taten - auf derselben, vor der Durchführung der ersten Tat<br />

zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> seinem Abnehmer geschlossenen Vereinbarung zur fortgesetzten Begehung von<br />

338


Betäubungsmittelstraftaten. Dem Europäischen Haftbefehl lässt sich zudem entnehmen, dass der Angeklagte über die<br />

dort namentlich benannten Taten hinaus auch bei weiteren Gelegenheiten gleichartige Betäubungsmittelgeschäfte<br />

durchgeführt hat (vgl. die Sachverhaltsschilderung im Haftbefehl hinsichtlich der Taten Ziffern 10 - 14: "bei mehreren<br />

Gelegenheiten, mithin mindestens in fünf Fällen"). Mehr als fünf Fälle hat das Landgericht vorliegend nicht<br />

ausgeurteilt. Die im Urteil unter B1. dargestellte Tat ist somit ebenfalls von dem historischen Lebenssachverhalt<br />

umfasst, wie er dem Europäischen Haftbefehl (vgl. allgemein zur Darstellung von Serienstraftaten im Europäischen<br />

Haftbefehl BeckOK-Inhofer, Stand 1. August 2010, RB-EUHb, Anhang Rn. 6) <strong>und</strong> der portugiesischen Auslieferungsbewilligung<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegen hat. Durch ihre Einbeziehung im vorliegenden Verfahren hat sich weder die Art<br />

noch die rechtliche Würdigung der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten - jeweils Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringen Mengen gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - geändert. Bei der unter B1. dargestellten<br />

Tat handelt es sich daher nicht um eine "andere Tat" im Sinne des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG bzw. um eine "andere<br />

Handlung" im Sinne des Art. 27 Abs. 2 RB-EUHb (vgl. hierzu auch EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - C -<br />

338/08 PPU, NJW 2009, 1057, 1059). Ihrer Einbeziehung steht der Gr<strong>und</strong>satz der Spezialität nicht entgegen, zumal<br />

bei der vorliegenden Fallgestaltung eine Beeinträchtigung der Interessen des ersuchten Staates - hier Portugal - nicht<br />

zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1995 - 1 StR 18/95, nur teilweise abgedruckt in NStZ 1995,<br />

608; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 22/03, NStZ 2003, 684).<br />

339<br />

Nebenstrafrecht<br />

GG Art 103 Abs. 2 Blankettstrafrecht verweisung auf EG-Verordnungen<br />

BGH, Beschl v. 17.03.2011 - 5 StR 543/10 - BeckRS 2011, 07396<br />

Zur Problematik einer dynamischen Verweisung einer Blankettnorm auf eine EG-Verordnung.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 17. März 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. Juni 2010 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht<br />

hat den Angeklagten zu Recht wegen eines im Tatzeitraum vom 9. Januar 2008 bis 10. April 2008 begangenen (einheitlichen)<br />

Vergehens des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit einem Gr<strong>und</strong>stoff, der zur Herstellung von<br />

Betäubungsmitteln verwendet werden soll, verurteilt (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG). Der Stoff, auf den sich die Tat bezog,<br />

war Essigsäureanhydrid. Dieses ist nach Art. 2 lit. a der Verordnung des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des Rats vom<br />

11. Februar 2004 (VO (EG) Nr. 273/2004) ein solcher Gr<strong>und</strong>stoff, weil er in Anhang I Kategorie 2 zu der Verordnung<br />

ausdrücklich genannt ist. Die Verordnung ist am 18. August 2005 in Kraft getreten. Die Regelung des § 2 Nr. 1<br />

GÜG aF bestimmte diesen Stoff unter Verweis auf die vorgenannte Verordnung als Gr<strong>und</strong>stoff. Diese Bestimmung<br />

des Gr<strong>und</strong>stoffüberwachungsgesetzes trat am 1. Januar 2006 in Kraft, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die vorgenannte<br />

Verordnung bereits in Geltung stand. Die zum 19. März 2008 erfolgte Änderung des § 2 GÜG ist schon deshalb<br />

bedeutungslos, weil die Bezugnahme auf die vorgenannte EG-Verordnung lediglich in § 1 Nr. 1 GÜG verschoben<br />

wurde. Mit diesem Gr<strong>und</strong>stoff hat der Angeklagte – was das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat – Handel<br />

getrieben, indem er vielfältige Ankaufsbemühungen entfaltete. Damit hat er gegen die (seit ihrem Erlass im Jahre<br />

1994) unverändert gebliebene Verbotsnorm des § 3 GÜG verstoßen. Der Verstoß gegen diese Verbotsnorm war<br />

während des gesamten Tatzeitraums strafbewehrt. Die Strafbarkeit ergab sich bis 18. März 2008 aus § 29 Abs. 1 Nr.<br />

1 GÜG aF, ab 19. März 2008 – zu diesem Zeitpunkt dauerte das tatbestandliche <strong>und</strong> einheitlich zu bewertende Handeltreiben<br />

noch an – aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG. Eine hier bedeutsame Verschärfung des Straftatbestands war mit<br />

der Änderung nicht verb<strong>und</strong>en. Allerdings nehmen die gesetzlichen Regelungen des Gr<strong>und</strong>stoffüberwachungsgesetzes<br />

Bezug auf die dort bezeichneten EG-Verordnungen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Damit ist zwar eine insbesondere<br />

im Strafrecht problematische dynamische Verweisung angeordnet worden (Dannecker in LK, 12. Aufl., §<br />

1 Rn. 158; vgl. auch OLG Hamburg, NZV 2007, 372), weil im Rahmen des Strafrechts der Europäischen Union<br />

jedenfalls zur Tatzeit keine Kompetenz für eine Rechtsetzung zukam. Soweit die Blankettnorm ihrerseits nicht die<br />

wesentlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen enthält (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 1996 – 1 StR 745/95,<br />

BGHSt 42, 219, 221), kann dies verfassungsrechtlich bedenklich sein. Im vorliegenden Fall bedarf die Frage jedoch<br />

keiner weiteren Vertiefung. Die Essigsäureanhydrid betreffende Verbotsnorm bestand nämlich während des gesam-


ten Tatzeitraums <strong>und</strong> war nicht von inhaltlichen Änderungen betroffen. Mithin war eine eindeutige <strong>und</strong> durchgehende,<br />

aus der EG-Verordnung hergeleitete Verbotskette gegeben. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 19 Abs. 5<br />

GÜG nF nunmehr ausdrücklich klargestellt, das (für die strafrechtliche Beurteilung) auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens<br />

geltende Fassung der EG-VO 273/2004 abzustellen sei. Damit galt ab dem 19. März 2008 eine unbedenkliche<br />

statische Verweisung auf Gemeinschaftsrecht. Da die Tathandlung über den 19. März 2008 hinaus noch andauerte,<br />

ist der Schuldspruch zudem auch unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Das Landgericht hat den Angeklagten<br />

deshalb zutreffend wegen eines Vergehens nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG verurteilt.<br />

AMG § 95 Abs. 1 Nr. 5 Arzneimittelbegriff, Ephedrinhydrochlorid<br />

BGH, Beschl. v. 12.04.2011 – 5 StR 463/10 - BeckRS 2011, 11238<br />

1. Die Verwendung von Ephedrinhydrochlorid erfüllt den Arneimittelbegriff, weil hierdurch die<br />

Bschaffenheit des Körpers beeinflusst werden sollte.<br />

2. Täter im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG kann auch ein Apotheker sein.<br />

3. Die Regelung des § 47 Abs. 1 AMG erfasst jedweden Weiterverkauf durch Großhändler, der<br />

nicht durch diese Norm gestattet ist. Maßgebend ist allein, dass der Angeklagte als Lieferant von<br />

Arzneimitteln an Weiterverkäufer aufgetreten ist.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 12. April 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Juni 2010 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der<br />

Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen unerlaubten Großhandels mit verschreibungspflichtigen<br />

Arzneimitteln in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung<br />

ausgesetzt <strong>und</strong> Nebenentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt ohne<br />

Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Ausführung bedarf nur das Folgende:<br />

I. Nach den Feststellungen lieferte der Angeklagte, ein Apotheker, über die von ihm in Berlin betriebene Apotheke<br />

358 kg Ephedrinhydrochlorid an den anderweitig verfolgten B. . Die insgesamt 17 Lieferungen wurden im Zeitraum<br />

vom 5. April 2004 bis 7. April 2005 über einen Mittelsmann durchgeführt. Das Ephedrinhydrochlorid hatte der Angeklagte<br />

zuvor über den pharmazeutischen Großhandel bezogen. Es wurde nach Tschechien exportiert <strong>und</strong> diente<br />

dort in den Laboren als Basis für die Herstellung von Crystalspeed. Das in Tschechien hergestellte Crystalspeed<br />

wurde nach Ostdeutschland eingeführt <strong>und</strong> dort vertrieben, was der Angeklagte allerdings nach den Feststellungen<br />

des Landgerichts nicht wusste. Ihm wurde mitgeteilt, das Ephedrinhydrochlorid werde für den Kraftsport benötigt.<br />

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als 17 (tatmehrheitliche) Vergehen gegen das Arzneimittelgesetz<br />

gewertet (§ 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG i.V.m. § 47 Abs. 1 AMG). Das Ephedrinhydrochlorid erfülle den Arzneimittelbegriff<br />

im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG, weil es zur Anwendung an Menschen bestimmt sei. Hierfür reiche es aus, dass<br />

der Stoff als Zwischenprodukt erst nach weiterer Verarbeitung in das Endprodukt einfließe. Unerlaubter Großhandel<br />

könne auch durch einen Apotheker begangen werden. Der Angeklagte sei nicht Inhaber einer Großhandelserlaubnis<br />

gewesen <strong>und</strong> seine Tätigkeit habe den Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs überschritten. Da der Angeklagte das<br />

Ephedrinhydrochlorid nicht an den in § 47 Abs. 1 AMG bezeichneten Personenkreis abgegeben habe, sei der Tatbestand<br />

des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG erfüllt. Eine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 GÜG aF scheide aus, weil die<br />

strafbegründende Bezugnahme auf die Verordnung (EWG) Nr. 3677/19 nicht ausreichend bestimmt sei.<br />

II. Die sachlichrechtlichen Einwände des Angeklagten gegen den Schuldspruch greifen nicht durch.<br />

1. Das Landgericht hat keine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 GÜG aF (jetzt § 19 Abs. 1 Nr. 2 GÜG) angenommen.<br />

Dies mag für den hier maßgeblichen Zeitraum vor Inkrafttreten der EU-Verordnungen Nr. 273/2004 <strong>und</strong><br />

111/2005 zutreffen. Spätestens seit der Novellierung des Gr<strong>und</strong>stoffgesetzes im Jahre 2008 nimmt die Strafvorschrift<br />

in eindeutiger Form auf diese Verordnung Bezug (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. März 2011 – 5 StR 543/10).<br />

Die Nichtanwendung der § 29 GÜG aF, § 19 GÜG nF beschwert aber den Angeklagten nicht, weil sie – ebenso wie<br />

die §§ 29 ff. BtMG (vgl. § 81 AMG) – in Tateinheit mit den arzneimittelstrafrechtlichen Tatbeständen stünden.<br />

2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG bejaht.<br />

a) Der vom Angeklagten gehandelte Stoff Ephedrinhydrochlorid ist ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1<br />

<strong>und</strong> 5 AMG. Der Stoff ist ausdrücklich genannt in der Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung. Dies<br />

340


etrifft sowohl die zu den Tatzeiten geltenden wie spätere Versionen bis hin zur derzeitigen Fassung (vom 17. Februar<br />

2011). Der Stoff ist zur Anwendung am Menschen zu Heilzwecken bestimmt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG). Maßgeblich<br />

hierfür sind in erster Linie objektive Kriterien, nämlich welche Zweckbestimmung dem Stoff nach der Verkehrsanschauung<br />

zukommt (BGH, Urteil vom 25. April 2001 – 2 StR 374/00, BGHR AMG § 96 Nr. 5 Arzneimittel<br />

1). Subjektive Elemente, also die Berücksichtigung der vom Hersteller oder dem Abgebenden verfolgten Ziele, können<br />

allenfalls dann zur Einordnung herangezogen werden, wenn sich – wie bei neuartigen Arzneimitteln – noch<br />

keine Verkehrsanschauung gebildet hat. Im Übrigen dient die subjektive Zweckbestimmung lediglich einer angesichts<br />

der erheblichen Weite des Tatbestands notwendigen Begrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift (vgl.<br />

BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 248 ff.). Der vom Angeklagten vertriebene<br />

Stoff war auch nach seiner konkreten ihm zugedachten Verwendung Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5<br />

AMG. Er stellte zugleich ein Zwischenprodukt dar, bei dem die Bestimmung des Anwendungszwecks möglich war,<br />

<strong>und</strong> auch hierfür lagen die Voraussetzungen des Arzneimittelbegriffs erkennbar vor (vgl. BGH, Beschluss vom 6.<br />

November 2007 – 1 StR 302/07, NStZ 2008, 530). Dies kann bei der letztlich vorgenommenen Nutzung des Ephedrinhydrochlorids<br />

als Baustoff für das Betäubungsmittel Crystalspeed nicht zweifelhaft sein. Von einer arzneimittelrechtlichen<br />

Relevanz des Stoffes ist aber auch auszugehen, wenn die vom Abnehmer B. dem Angeklagten gegenüber<br />

bezeichnete Zweckbestimmung zugr<strong>und</strong>e gelegt wird. Die Verwendung des Stoffes für den Einsatz im Kraftsport<br />

erfüllt nämlich gleichfalls den Arzneimittelbegriff, weil hierdurch die Beschaffenheit des Körpers (§ 2 Abs. 1 Nr. 5<br />

AMG) beeinflusst werden sollte.<br />

b) Der Angeklagte hat – wie das Landgericht zutreffend ausführt – gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG unter Verstoß<br />

gegen § 47 Abs. 1 AMG unerlaubt Großhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln betrieben.<br />

aa) Täter im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG kann auch ein Apotheker sein.<br />

(1) Die Vorschrift nimmt Bezug auf § 47 Abs. 1 AMG. Dort sind allerdings nur pharmazeutische Unternehmer <strong>und</strong><br />

Großhändler genannt <strong>und</strong> die für diese vorgeschriebenen Vertriebswege bezeichnet. Was im Sinne des Arzneimittelgesetzes<br />

als Großhandel zu verstehen ist, wird in § 4 Abs. 22 AMG legal definiert. Danach ist Großhandel mit Arzneimitteln<br />

jede berufs- oder gewerbsmäßige zum Zwecke des Handeltreibens ausgeübte Tätigkeit, die in der Beschaffung,<br />

der Lagerung, der Abgabe oder Ausfuhr von Arzneimitteln besteht, mit Ausnahme der Abgabe von Arzneimitteln<br />

an andere Verbraucher als Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte oder Krankenhäuser. Diese gesetzliche Begriffsbestimmung<br />

verdeutlicht, dass Großhandel nach der Art der Tätigkeit, nicht aber im Blick auf die funktionelle Stellung<br />

der ihn ausführenden Personen näher umrissen wird. Daher können auch Apotheker, soweit sie im Sinne des § 4 Abs.<br />

22 AMG tätig sind, als Großhändler anzusehen sein. Sie unterfallen dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 22<br />

AMG.<br />

(2) Ein solches Ergebnis entspricht im Übrigen auch dem Schutzzweck des Arzneimittelgesetzes, nämlich für die<br />

Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen (§ 1 AMG). Hierzu gehört insbesondere die Festlegung von Vertriebswegen,<br />

die einen bestimmungsgemäßen Umgang mit Arzneimitteln <strong>und</strong> die Wahrung der Zielstellungen des<br />

Arzneimittelrechts gewährleisten sollen. Ein ganz wesentlicher Bestandteil ist in diesem Zusammenhang, dass die<br />

Arzneimittel auf einem geordneten Vertriebsweg weiterverteilt <strong>und</strong> letztlich durch die (besonders fachk<strong>und</strong>igen)<br />

Apotheken an den Einzelverbraucher abgegeben werden. In Umsetzung dieses Ziels bestimmt deshalb § 47 AMG die<br />

Adressaten, an die im Wege des Großhandels weiterverkauft werden darf. Da verhindert werden soll, dass Arzneimittel<br />

aus dem geordneten Verkehr herausfallen, untersagt § 47 AMG die unkontrollierte Weitergabe durch Hersteller<br />

<strong>und</strong> Großhändler. Der Schutzzweck des § 47 AMG erfordert es deshalb, auch einem Apotheker zu verbieten, sich<br />

als Großhändler zu betätigen <strong>und</strong> Arzneimittel an nicht zugelassene Händler weiter zu vertreiben.<br />

bb) Der Weiterverkauf des Ephedrinhydrochlorids verstieß gegen § 47 Abs. 1 AMG.<br />

(1) Die Regelung des § 47 Abs. 1 AMG erfasst jedweden Weiterverkauf durch Großhändler, der nicht durch diese<br />

Norm gestattet ist. Maßgebend ist allein, dass der Angeklagte als Lieferant von Arzneimitteln an Weiterverkäufer<br />

aufgetreten ist (vgl. Rehmann, AMG, 3. Aufl., § 47 Rn. 2). Die-ses Merkmal hat der Angeklagte erfüllt, indem er in<br />

erheblichem Umfang Ephedrinhydrochlorid an B. verkauft hat. Dabei ist es unerheblich, ob B. als Abnehmer des<br />

Angeklagten seinerseits selbst als Großhändler agierte; jedenfalls war er als solcher nicht zugelassen (§ 52a Abs. 1<br />

AMG).<br />

(2) Nach § 47 Abs. 1 AMG ist sowohl genehmigte als auch ungenehmigte Großhandelstätigkeit verboten, soweit sie<br />

nicht gegenüber den in dieser Vorschrift genannten Stellen erfolgt. Das Landgericht hat deshalb zutreffend die Verkaufshandlungen<br />

vor sowie nach dem Inkrafttreten der 12. AMG-Novelle als gegen § 47 Abs. 1 AMG verstoßend<br />

gewertet. Für Apotheken ist durch die am 6. August 2004 in Kraft getretene 12. AMG-Novelle in § 52a Abs. 7 AMG<br />

eine Genehmigungspflicht für Großhandelstätigkeit dann eingeführt worden, wenn sie den Bereich des üblichen<br />

Apothekenbetriebs übersteigt. Im Ergebnis bestätigt die eingefügte Regelung des § 52a Abs. 7 AMG, dass ein Apo-<br />

341


theker zugleich auch Großhändler sein kann, weil ansonsten die Genehmigungspflicht ins Leere ginge. Abgesehen<br />

davon, dass der Angeklagte nicht über eine solche Genehmigung verfügte, berührt diese Genehmigung nur eine<br />

formelle Voraussetzung. Denn auch dem Inhaber der Genehmigung ist nur gestattet, nach Maßgabe des § 47 Abs. 1<br />

AMG Großhandel zu betreiben. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus der Übergangsvorschrift des § 138 Abs. 4<br />

AMG. Danach darf derjenige (in erster Linie: der Apotheker), der bis 6. August 2004 befugt eine Großhandelstätigkeit<br />

ausgeübt hat, diese bis zur Entscheidung über seinen Genehmigungsantrag weiter ausüben. Hierdurch wird klargestellt,<br />

dass nur das Fehlen der Formalvoraussetzung einer Genehmigung überw<strong>und</strong>en wird. Die materiellen Voraussetzungen,<br />

die in den gesetzlich zugelassenen Vertriebswegen vorgegeben sind, wurden durch die Änderungen in<br />

der 12. AMG-Novelle nicht betroffen. An sie knüpft aber die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG an.<br />

cc) Der Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG ist – über die Verweisung auf § 47 Abs. 1 AMG hinaus – insoweit<br />

enger, als er nur verschreibungspflichtige Arzneimittel erfasst, während der Verstoß gegen § 47 Abs. 1 AMG<br />

bei bloß apothekenpflichtigen Arzneimitteln nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 97 Abs. 2 Nr. 12 AMG darstellt.<br />

Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist auch dieses Merkmal erfüllt, weil es sich – wie oben dargelegt – bei<br />

dem Ephedrinhydrochlorid um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel im Sinne dieser Bestimmung handelt.<br />

3. Entgegen der Auffassung der Revision ist eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AMG nicht durch die (mildere)<br />

Strafvorschrift des § 96 Nr. 14 AMG ausgeschlossen. Die Bestimmung des § 96 Nr. 14 AMG ist nicht das speziellere<br />

Gesetz. Sie verfolgt vielmehr einen anderen Schutzzweck. Unter Strafe gestellt ist nach § 96 Nr. 14 AMG die Verletzung<br />

der Pflicht, eine vorherige Genehmigung für die Großhandelstätigkeit einzuholen. Demgegenüber stellt § 95<br />

Abs. 1 Nr. 5 AMG die Verletzung des durch § 47 Abs. 1 AMG vorgegebenen Vertriebswegs unter Strafe. Beide<br />

Vorschriften können deshalb in Tateinheit zueinander stehen. Nach Inkrafttreten der 12. AMG-Novelle <strong>und</strong> der dort<br />

angeordneten Erlaubnispflicht käme deshalb allenfalls zusätzlich eine Verurteilung auch wegen einer Verletzung des<br />

§ 96 Nr. 14 AMG in Betracht. Dass eine solche unterblieben ist, beschwert den Angeklagten jedoch nicht.<br />

AO § 370 Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen<br />

BGH, Beschl. v. 19.01.2011 - 1 StR 640/10 - BeckRS 2011, 04341<br />

Bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen tritt - sofern nicht vorher ein<br />

Schätzungsbescheid ergangen ist - der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu<br />

dem die Veranlagung stattgef<strong>und</strong>en hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden<br />

wäre. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten<br />

für die betreffende Steuerart <strong>und</strong> den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen<br />

hat. Maßgeblich sind die konkreten Verhältnisse in dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen<br />

zuständigen Finanzamt.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 19. Januar 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 14. Juni 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass<br />

der Angeklagte der Steuerhinterziehung in vier Fällen schuldig ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des<br />

Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte weder Umsatz- noch Einkommensteuererklärungen abgegeben<br />

<strong>und</strong> so für die Jahre 2002 <strong>und</strong> 2003 jeweils Umsatzsteuer <strong>und</strong> Einkommensteuer hinterzogen hat. Tatvollendung sei<br />

jeweils eingetreten „zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Finanzbehörde die Steuer festgesetzt hätte“, für die Einkommensteuer<br />

<strong>und</strong> die Umsatzsteuer „dürfte dies spätestens ein Jahr nach Ablauf der Einreichungsfrist“ der Fall sein.<br />

Ausgehend hiervon hat das Landgericht den Angeklagten wegen zweier Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung sowie<br />

wegen zweier Fälle der Einkommensteuerhinterziehung unter Auflösung einer Gesamtstrafe aus einem Urteil des<br />

Amtsgerichts Wiesbaden <strong>und</strong> unter gleichzeitiger Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Es hat angeordnet, dass hiervon wegen einer vom Angeklagten<br />

nicht zu vertretenden Verfahrensverzögerung vier Monate als verbüßt gelten. Die gegen diese Verurteilung<br />

gerichtete, auf die Sachrüge <strong>und</strong> mehrere Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da<br />

die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklag-<br />

342


ten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bemerkt<br />

der Senat:<br />

1. Mit Blick auf das vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt aufgezeigte Schreibversehen im Tenor der Urteilsausfertigung fasst<br />

der Senat diesen klarstellend neu. Dabei verzichtet er zur Vereinfachung der Urteilsformel auf die Angabe der von<br />

der Steuerhinterziehung jeweils betroffenen Steuerarten. Die Art der hinterzogenen Steuer muss nicht im Tenor angegeben<br />

werden, nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO genügt die Angabe der rechtlichen Bezeichnung der Tat. Daher<br />

reicht die Bezeichnung „Steuerhinterziehung“ aus (BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, Rn. 69,<br />

wistra 2010, 484, 493; BGH, Urteil vom 6. Juni 2007 - 5 StR 127/07, wistra 2007, 388, 391).<br />

2. Die - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen tragen in allen vier Fällen eine Verurteilung wegen vollendeter<br />

Steuerhinterziehung.<br />

a) Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) ist bei Fälligkeitssteuern, die wie die Umsatzsteuer<br />

als Anmeldungssteuern ausgestaltet sind, mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunktes vollendet. Liegt die als<br />

Steuerfestsetzung geltende Steueranmeldung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht vor, ist zu diesem Zeitpunkt die Steuer<br />

i.S.v. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO verkürzt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09, Rn. 8; BGH,<br />

Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 344/08, Rn. 15, wistra 2009, 189; BGH, Beschluss vom 11. Dezember<br />

1990 - 5 StR 519/90, wistra 1991, 215; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO, Rn. 37;<br />

Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370, Rn. 105; Kohlmann, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., Stand Dezember 2010, § 370<br />

AO, Rn. 457). Deshalb trat hier Tatvollendung bereits mit Ablauf des 31. Mai 2003 (für die Umsatzsteuer 2002)<br />

bzw. mit Ablauf des 31. Mai 2004 (für die Umsatzsteuer 2003) ein. Zu diesen Zeitpunkten waren die Taten zugleich<br />

beendet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 344/08, Rn. 15 mwN, wistra 2009, 189); die<br />

- entgegen der Annahme der Revision nicht drei, sondern fünf Jahre betragende (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StPO) - Verfolgungsverjährung<br />

wurde rechtzeitig unterbrochen (u.a. durch den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Oktober 2006).<br />

b) Bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen tritt - sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid<br />

ergangen ist - der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgef<strong>und</strong>en<br />

hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2.<br />

November 2010 - 1 StR 544/09, Rn. 77; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1998 - 5 StR 500/98, NStZ-RR 1999,<br />

218). Dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende<br />

Steuerart <strong>und</strong> den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat (vgl. BGH aaO mwN; Jäger in Klein,<br />

AO, 10. Aufl., § 370, Rn. 92). Maßgeblich sind die konkreten Verhältnisse in dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen<br />

zuständigen Finanzamt (vgl. Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370, Rn. 92). Von Bedeutung sind aber auch<br />

die konkreten steuerlichen Verhältnisse des jeweiligen Angeklagten. Der Senat hat insofern erwogen, ob zu vom<br />

mindest bei einfach gelagerten Sachverhalten (<strong>und</strong> sofern - wie hier - keine Besonderheiten, die Abweichungen<br />

rechtfertigen könnten, festgestellt sind) von einer Zeitspanne der Bearbeitung fristgerecht eingereichter Steuererklärungen<br />

von längstens einem Jahr auszugehen ist. Das Tatgericht ist weder nach dem Zweifelssatz noch sonst gehalten,<br />

zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen es an zureichenden Anhaltspunkten<br />

fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - 1 StR 124/07, NStZ 2007, 530; BGH, Beschluss<br />

vom 25. April 2007 - 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324; BGH, Urteil 7. November 2006 - 1 StR 307/06, NStZ-RR 2007,<br />

86; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07, NStZ-RR 2007, 381, 382). Insofern ist es auch<br />

nicht geboten, Tatvollendung stets erst zum Zeitpunkt der Tatbeendigung anzunehmen, wenn also das zu-ständige<br />

Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen<br />

hat <strong>und</strong> demzufolge nicht mehr mit einer Veranlagung zu rechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November<br />

2001 - 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138). Dies bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn<br />

nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann ausgeschlossen werden, dass die Veranlagungsarbeiten für<br />

die Jahre 2002 <strong>und</strong> 2003 in dem für den Angeklagten zuständigen Finanzamt Wiesbaden I zum Zeitpunkt der Bekanntgabe<br />

der Ermittlungen (der zuvor erlassene Durchsuchungsbeschluss datiert vom 23. Oktober 2006) noch nicht<br />

abgeschlossen waren. Die Tatbestandsverwirklichung war zu diesem Zeitpunkt also hinsichtlich aller vier Taten<br />

bereits eingetreten.<br />

3. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung<br />

einer wirksamen Anklageschrift (§ 200 StPO) <strong>und</strong> - daran anknüpfend - einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.<br />

Die Anklageschrift enthält die nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs für die Anklageerhebung<br />

bei Steuerstraftaten notwendigen Angaben (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2007 - 1 StR 655/08, NStZ-<br />

RR 2009, 340).<br />

343


AO § 370 Abs. 1 Lohnsteuerhinterziehung durch Schwarzgeldabrede<br />

BGH, Beschl. v. 08.02.2011 – 1 StR 651/10 - BeckRS 2011, 09177<br />

LS: Treffen Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede, nach der für das gesamte dem<br />

Arbeitnehmer gezahlte Gehalt weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden<br />

sollen, bedarf es im Falle der Verurteilung des Arbeitgebers wegen Hinterziehung von Lohnsteuer<br />

weder Feststellungen zu den individuellen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen Arbeitnehmer,<br />

noch ist die Höhe der von den Arbeitnehmern hinterzogenen Einkommens-teuer im Urteil<br />

zu quantifizieren. Die Höhe der durch die Arbeitnehmer verkürzten Einkommensteuer ist bei der<br />

Verurteilung des Arbeitgebers weder für den Schuldspruch, noch für den Strafausspruch relevant.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 8. Februar 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Münster vom 12. April 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat<br />

die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 66 Fällen, wegen Beihilfe zum Vorenthalten <strong>und</strong> Veruntreuen<br />

von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwölf Fällen sowie wegen Vereitelung<br />

der Zwangsvollstreckung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verurteilt. Darüber<br />

hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte aus den Untreuetaten 205.927,39 Euro sowie die Verfallsbeteiligte<br />

A. aus der Vereitelung der Zwangsvollstreckung weitere - im Tenor des angefochtenen Urteils näher<br />

aufgeführte - Vermögenswerte erlangt hat <strong>und</strong> lediglich deshalb nicht auf Verfall von Wertersatz erkannt werden<br />

kann, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 <strong>StGB</strong>). Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte<br />

mit seiner Revision; er rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist erfolglos<br />

i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:<br />

1. In den Fällen B. I. der Urteilsgründe (Beihilfe zum Vorenthalten <strong>und</strong> Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit<br />

mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwölf Fällen) hat das Landgericht der Strafzumessung im Ergebnis den zutreffenden<br />

Strafrahmen zu Gr<strong>und</strong>e gelegt.<br />

a) Zwar führt die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung bezüglich dieser Taten zur Strafrahmenwahl aus,<br />

dass hinsichtlich der tateinheitlich begangenen Beihilfe zur Steuerhinterziehung einerseits <strong>und</strong> zum Vorenthalten <strong>und</strong><br />

Veruntreuen von Arbeitsentgelt andererseits der identische, sich sowohl aus § 370 Abs. 1 AO, als auch aus § 266a<br />

Abs. 1 <strong>StGB</strong> ergebende Strafrahmen zu Gr<strong>und</strong>e zu legen <strong>und</strong> dieser nach § 27 Abs. 2 Satz 2 <strong>StGB</strong> i.V.m. § 49 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> zu mildern sei. Insoweit hat das Landgericht ersichtlich nicht bedacht, dass hier hinsichtlich der Beihilfe zum<br />

Vorenthalten <strong>und</strong> Veruntreuen von Arbeitsentgelt neben der Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 Satz 2 <strong>StGB</strong><br />

i.V.m. § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> an sich eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 <strong>StGB</strong> i.V.m. § 49 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong> vorzunehmen war. Hiervon hätte nur dann abgesehen werden können, wenn das Landgericht die Täterschaft<br />

des Angeklagten allein schon wegen Fehlens eines besonderen persönlichen Merkmals verneint hätte (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 8. Januar 1975 - 2 StR 567/74, BGHSt 26, 53, 54; BGH, Beschluss vom 22. April 1988 - 2 StR<br />

111/88, wistra 1988, 303; BGH, Beschluss vom 1. März 2005 - 2 StR 507/04, NStZ-RR 2006, 109). Den Urteilsgründen<br />

lässt sich - auch in der Gesamtschau - nicht entnehmen, dass das Landgericht sich bei der Strafrahmenwahl<br />

von diesem Gesichtspunkt leiten ließ.<br />

b) Allerdings war hier nach § 52 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 <strong>StGB</strong> der Strafzumessung der allein nach § 27 Abs. 2 Satz 2<br />

<strong>StGB</strong> i.V.m. § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemilderte Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zu Gr<strong>und</strong>e zu legen. Denn die in § 370<br />

Abs. 1 Nr. 2 AO angesprochene Pflicht, die vorliegend für die Haupttäter als Arbeitgeber aus § 41a EStG folgte, ist<br />

kein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 <strong>StGB</strong> (BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 5 StR 491/94,<br />

BGHSt 41, 1). Weder insoweit, noch in anderem Zusammenhang hat sich damit die rechtsfehlerhafte Bestimmung<br />

des Strafrahmens für die Beihilfe zum Vorenthalten <strong>und</strong> Veruntreuen von Arbeitsentgelt zum Nachteil des Angeklagten<br />

ausgewirkt.<br />

2. Das Landgericht hat auch die Höhe der Lohnsteuer, zu deren Hinterziehung der Angeklagte durch seine Tatbeiträge<br />

Hilfe geleistet hat, zutreffend bestimmt. Mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung, die Strafkammer hätte auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der ihr bekannten Anzahl der auf den Baustellen eingesetzten Arbeiter <strong>und</strong> der von diesen erbrachten<br />

Arbeitsst<strong>und</strong>en den jeweils an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer konkret gezahlten Lohn <strong>und</strong> - davon ausgehend<br />

- die von jedem einzelnen Arbeitnehmer hinterzogene Einkommensteuer bestimmen können <strong>und</strong> den Betrag der<br />

344


Strafzumessung zu Gr<strong>und</strong>e legen müssen, deckt die Revision keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler<br />

auf. In Fällen der vorliegenden Art, in denen Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede dergestalt treffen,<br />

dass für das gesamte dem Arbeitnehmer gezahlte Gehalt weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge<br />

abgeführt werden sollen, ist im Falle der Verurteilung des Arbeitgebers wegen Hinterziehung von Lohnsteuer die<br />

Höhe der durch die Arbeitnehmer verkürzte Einkommensteuer weder für den Schuldspruch, noch für den Strafausspruch<br />

bedeutsam. Es bedarf daher keiner Feststellungen zu den individuellen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen<br />

Arbeitnehmer. Die Höhe der von den Arbeitnehmern hinterzogenen Einkommensteuer ist im Urteil nicht zu<br />

quantifizieren.<br />

a) Insoweit gilt Folgendes:<br />

aa) Die Lohnsteuer entspricht der Höhe nach der Einkommensteuer, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich<br />

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (vgl. § 38a Abs. 2 EStG). Bei der Lohnsteuer handelt es<br />

sich um eine Abzugssteuer i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, die gemäß § 38 Abs. 1 EStG durch Steuerabzug vom Lohn<br />

erhoben wird. Die nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG vorgesehene Anrechnung der vom Arbeitgeber einbehaltenen Lohnsteuer<br />

ist dabei nicht der materiell-rechtlichen Bestimmung des festzusetzenden Steueranspruchs des Staates gegenüber<br />

dem Arbeitnehmer, sondern dem verfahrensrechtlichen Bereich des Erhebungsverfahrens nach Festsetzung der<br />

vom Arbeitnehmer geschuldeten Einkommensteuer zuzuordnen (vgl. Brenner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG<br />

[Stand: Juli 2002], § 36 Rn. A 2, A 232 mwN). Dabei tilgt die nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnende Lohnsteuer<br />

die Steuerschuld, mindert aber nicht die festgesetzte Einkommensteuerschuld (Heuermann in Blümich EStG<br />

[Stand: Oktober 2010], § 46 Rn. 19). Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG wird zudem nur die erhobene Abzugssteuer, d.h.<br />

die vom Arbeitgeber einbehaltene Lohnsteuer (vgl. Brenner aaO Rn. D 80 mwN), angerechnet. Wurde die Lohnsteuer<br />

einbehalten, aber nicht an das Finanzamt abgeführt, besteht die Möglichkeit der Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr.<br />

2 EStG nur, wenn der Arbeitnehmer davon keine Kenntnis hatte (BFH, DStRE 1999, 864). Die Anrechnung nach §<br />

36 Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt zudem eine Veranlagung des Arbeitnehmers voraus, die die Einkünfte aus nichtselbständiger<br />

Arbeit, für die die Lohnsteuer einbehalten wurde, erfasst. Diese systemimmanente Trennung von Lohnsteuerabzug<br />

<strong>und</strong> Einkommensteuerveranlagung setzt sich auch im Haftungsverfahren nach § 42d EStG fort. Während des<br />

laufenden Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer des einzelnen Lohnzahlungszeitraums,<br />

selbst wenn zu vermuten ist, dass eine entsprechende Jahreslohnsteuerschuld des Arbeitnehmers<br />

nicht oder nicht in dieser Höhe bestehen wird (BFHE 74, 97 ff.). Wegen des Prinzips der Maßgeblichkeit der vom<br />

Arbeitgeber zu verwendenden Lohnsteuer-Abzugsmerkmale, das in § 39b EStG (Lohnsteuerkarte) <strong>und</strong> § 39e EStG<br />

(elektronische Lohnsteuer-Abzugsmerkmale) zum Ausdruck kommt, sind während des Abzugsjahres der Haftungsanspruch<br />

gegen den Arbeitgeber <strong>und</strong> der Steueranspruch gegen den Arbeitnehmer dem Umfang nach gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

identisch (BFHE 113, 157; vgl. auch Wagner in Blümich EStG [Stand: Oktober 2010], § 42d Rn. 31). Nach Ablauf<br />

des Kalenderjahres haftet der Arbeitgeber für die Jahreslohnsteuerschuld (§ 38a Abs. 1 Satz 1 EStG). Das ist die<br />

Lohnsteuer, die sich nach den Besteuerungsmerkmalen für den Jahresarbeitslohn ergibt (§ 38a Abs. 2 EStG). Steuermindernde<br />

Faktoren, die erst im Rahmen einer Veranlagung des Arbeitnehmers zu Tage treten, können insoweit<br />

bei einer Haftungsinanspruchnahme zugunsten des Arbeitgebers frühestens nach Abschluss des Veranlagungszeitraums<br />

berücksichtigt werden (im Einzelnen str.; vgl. Wagner aaO Rn. 32 ff.).<br />

bb) In steuerstrafrechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass der Arbeitgeber, wenn er der ihm nach § 41a EStG obliegenden<br />

Pflicht zur Anmeldung der Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß nachkommt, eine Steuerhinterziehung nach § 370<br />

Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AO begeht. An diesen jeweils eigenständigen Taten im materiell-rechtlichen Sinn kann sich<br />

der Arbeitnehmer als Täter oder Gehilfe beteiligen. Nach den Umständen des Einzelfalls kommt auch allein eine -<br />

dann in mittelbarer Täterschaft begangene - Steuerhinterziehung durch den Arbeitnehmer in Betracht (vgl. Joecks in<br />

Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 201). Je nach dem, welche Lohnsteuer-<br />

Anmeldungszeiträume nach § 41a Abs. 2 EStG betroffen sind, kann es in einem Veranlagungszeitraum zu bis zu<br />

zwölf Hinterziehungstaten kommen. Daneben tritt als weitere eigenständige Tat die Hinterziehung von Einkommensteuer<br />

durch den Arbeitnehmer, wenn eine Veranlagung des Arbeitnehmers nach dem Einkommensteuergesetz<br />

durchzuführen ist <strong>und</strong> der Arbeitnehmer insoweit unrichtige Erklärungen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO abgibt<br />

oder die Abgabe einer Steuererklärung i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO unterlässt. An dieser Tat kann sich der Arbeitgeber<br />

gegebenenfalls als Täter, regelmäßig aber als Gehilfe beteiligen.<br />

cc) Das Nebeneinander von Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber <strong>und</strong> dem Bestehen einer Einkommensteuerschuld<br />

des Arbeitnehmers führt in steuerstrafrechtlicher Hinsicht weiter dazu, dass die Hinterziehung der Lohnsteuer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich eine „auf Zeit“ angelegte Tat ist, wenn aufgr<strong>und</strong> der konkreten Umstände des Einzelfalles damit zu<br />

rechnen ist, dass nach der Vorstellung der Tatbeteiligten eine Veranlagung des Arbeitnehmers <strong>und</strong> daran anschließend<br />

eine Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG erfolgen sollte (vgl. Joecks aaO § 370 AO Rn. 201, 204). Der<br />

345


Umfang der tatbestandlich verkürzten Lohnsteuern bemisst sich gleichwohl nach deren Nominalbetrag (vgl. zu dem<br />

ähnlich gelagerten Fall der Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe un-richtiger Unsatzsteuervoranmeldungen<br />

BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 21 ff.), der bei vollumfänglich illegalen<br />

Beschäftigungsverhältnissen auf der Gr<strong>und</strong>lage des tatsächlich gezahlten Schwarzlohns nach den Steuersätzen der<br />

Lohnsteuerklasse VI (BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 - 5 StR 38/92, BGHSt 38, 285 ff.; BGH, Urteil vom 2. Dezember<br />

2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 16, 18; vgl. auch BFH/NV 2009, 1809 mwN), im Übrigen nach der<br />

jeweiligen Steuerklasse des betroffenen Arbeitnehmers zu berechnen ist. Dem Umstand, dass die lohnsteuerrechtlichen<br />

Pflichten des Arbeitgebers im Ergebnis der Durchsetzung der einkommensteuerrechtlichen Pflichten des Arbeitnehmers<br />

dienen <strong>und</strong> insoweit derselbe Steueranspruch betroffen ist, ist allein bei der Strafzumessung Rechnung<br />

zu tragen.<br />

(1) In Fällen der Hinterziehung von Lohnsteuer „auf Zeit“, die tatsächlich freilich selten gegeben sein dürften, ist bei<br />

der Strafzumessung gr<strong>und</strong>sätzlich zu beachten, dass sich die dem Fiskus auf Dauer entzogenen Steuern nach den<br />

tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitnehmer bemessen. Das Tatgericht muss sich hierüber erkennbar bewusst sein;<br />

es ist indes nicht gehalten, hierzu umfangreiche Beweiserhebungen <strong>und</strong> Darlegungen anzustellen. Ist die genaue<br />

Berechnung der endgültig geschuldeten Einkommensteuern nicht ohne weiteres möglich, kann das Tatgericht von<br />

geschätzten, niedrigeren Durchschnittssteuersätzen ausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1985 - 1 StR 284/85,<br />

NStZ 1986, 79; BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 - 5 StR 38/92, NJW 1992, 2240). Wird sowohl die Hinterziehung der<br />

Lohnsteuer durch den Arbeitgeber als auch dessen Beteiligung an der Hinterziehung von Einkommensteuer durch<br />

den Arbeitnehmer geahndet, muss das Tatgericht zudem erkennbar zum Ausdruck bringen, dass es sich dem Verhältnis<br />

von Lohn- <strong>und</strong> Einkommensteuer bewusst war; die Höhe der durch die einzelnen Hinterziehungstaten verkürzten<br />

Steuern darf namentlich nicht addiert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 - 5 StR 448/01,<br />

NStZ 2002, 485, 487). Nämliches gilt, soweit die Beteiligung des Arbeitnehmers an der Hinterziehung von Lohnsteuer<br />

einerseits <strong>und</strong> Ein-kommensteuer andererseits geahndet wird.<br />

(2) Ist die Hinterziehung der Lohnsteuer demgegenüber „auf Dauer“ angelegt, ist die Höhe der durch die Arbeitnehmer<br />

verkürzten Einkommensteuer auch für den Strafausspruch nicht relevant. Denn dann besteht für die ordnungsgemäße<br />

Besteuerung eine besondere Gefahrenlage, der durch die Ausgestaltung der Lohnsteuer als Abzugssteuer<br />

gerade entgegengewirkt werden soll. Diese Gefahrenlage soll bei der auf Dauer angelegten Lohnsteuerhinterziehung<br />

nach dem Tatplan der an ihr Beteiligten auch nicht nachträglich wieder beseitigt werden.<br />

(a) Eine solche Hinterziehung der Lohnsteuer „auf Dauer“ ist regelmäßig dann gegeben, wenn der Arbeitgeber <strong>und</strong><br />

der Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede treffen, sie sich mithin darüber einig sind, dass der Arbeitgeber für den<br />

gezahlten Barlohn weder Lohnsteuer, noch Sozialversicherungsbeiträge zahlen soll. In diesen Fällen sind die Voraussetzungen<br />

des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht gegeben. Insoweit wird weder Lohnsteuer durch den Arbeitgeber<br />

einbehalten, noch wird - was dem Arbeitnehmer bekannt ist - Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt. Der Arbeitnehmer<br />

wird die Einkünfte aus dem illegalen Beschäftigungsverhältnis auch nicht gegenüber den Finanzbehörden<br />

(sei es nach § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG, sei es nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) erklären. Eine Anrechnung der Lohnsteuer<br />

nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG scheidet demnach aus. Die gr<strong>und</strong>sätzlich für eine Hinterziehung auf Zeit sprechenden<br />

Gesichtspunkte des Lohnsteuerverfahrens, namentlich die Anrechung der einbehaltenen Lohnsteuer auf die vom<br />

Arbeitnehmer geschuldete Einkommensteuer, sind in diesen Fällen nicht gegeben (vgl. bereits BGH, Urteil vom 24.<br />

September 1986 - 3 StR 336/86, NStZ 1987, 78). Der Umstand, dass nach Bekanntwerden der Taten ein Haftungsbescheid<br />

nach § 42d EStG gegenüber dem Arbeitgeber unter Umständen auf die Höhe der vom Arbeitnehmer geschuldeten<br />

Einkommensteuer begrenzt wäre, steht dem nicht entgegen. Denn diese zwangsläufig nach Beendigung der<br />

einzelnen Hinterziehung von Lohnsteuer eintretende Reduzierung der Lohnsteuerhaftung <strong>und</strong> der im Vergleich zum<br />

Arbeitgeber unter Umständen geringere Schuldumfang der Einkommensteuerhinterziehung des Arbeitnehmers ergeben<br />

sich in Fällen der Schwarzlohnabrede regelmäßig allein aus der Entdeckung der Tat. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

stellen diese Umstände keinen bestimmenden Strafzumessungsgr<strong>und</strong> dar. Der möglicherweise geringere Umfang der<br />

vom Arbeitnehmer hinterzogenen Einkommensteuer ist daher in Fällen der Schwarzlohnabrede regelmäßig nicht zu<br />

quantifizieren, wenn allein die Hinterziehung der Lohnsteuer geahndet wird.<br />

(b) Gleiches gilt regelmäßig in Fällen sog. <strong>Teil</strong>schwarzlohnabreden, bei denen einvernehmlich nur ein <strong>Teil</strong> des<br />

Lohns beim zuständigen Finanzamt angemeldet wird, während ein weiterer <strong>Teil</strong> des tatsächlich - regelmäßig bar -<br />

ausgezahlten Lohns nicht angemeldet wird. Auch hier ist eine Hinterziehung auf Dauer beabsichtigt. Freilich ist in<br />

diesen Fällen diejenige Lohnsteuerklasse bei der Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer zu Gr<strong>und</strong>e zu legen, die<br />

sich aus der vorgelegten Lohnsteuerkarte ergibt. Das wird in den meisten Fällen nicht die Lohnsteuerklasse VI sein.<br />

(c) Als eine „auf Dauer“ angelegte Hinterziehung von Lohnsteuer wird regelmäßig auch der Fall anzusehen sein,<br />

dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer vom Bruttoarbeitsentgelt des Arbeitnehmers einbehält, diese aber ohne Wissen<br />

346


des Arbeitnehmers nicht abführt. Auch hier wird nach der Vorstellung des Arbeitgebers eine Gefahrenlage für die<br />

ordnungsgemäße Besteuerung des Einkommens des Arbeitnehmers geschaffen, die - auch durch steuerehrliches<br />

Verhalten des Arbeitnehmers - in der überwiegenden Zahl dieser Fälle nicht nachträglich wieder beseitigt wird. Da<br />

der Arbeitnehmer auch in diesen Fällen die einbehaltene, aber nicht angemeldete <strong>und</strong> nicht abgeführte Lohnsteuer<br />

nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechnen kann - was u.U. gar zu einer Erstattung von Einkommensteuer führt, obwohl<br />

der Fiskus die zu erstattende Steuer überhaupt nicht vereinnahmt hat (vgl. BFH DStRE 1999, 864) - verbleibt es bei<br />

der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG. Nur wenn der Arbeitgeber diese Haftungsschuld erfüllt, wird der<br />

bereits eingetretene Hinterziehungsschaden nachträglich beseitigt. Allein dieser Umstand ist dann - als nachträgliche<br />

Schadenswiedergutmachung - auch strafzumessungsrelevant.<br />

b) Den vorgenannten Gr<strong>und</strong>sätzen wird das landgerichtliche Urteil gerecht:<br />

aa) Bei der Ermittlung des tatbestandlichen Hinterziehungsumfangs hat das Landgericht die tatsächlich gezahlten<br />

Schwarzlöhne, deren Höhe sich aus den sichergestellten Lohnaufzeichnungen des Haupttäters ergab, zu Gr<strong>und</strong>e<br />

gelegt <strong>und</strong> davon ausgehend unter Anwendung des Eingangssteuersatzes der Steuerklasse VI die hinterzogene Lohnsteuer,<br />

die der Arbeitgeber nach § 41a EStG anzumelden hatte, berechnet. Dieses Vorgehen begegnet keinen rechtlichen<br />

Bedenken. Aufgr<strong>und</strong> der Tatsache, dass das Landgericht bei der Ermittlung der hinterzogenen Lohnsteuer den<br />

Eingangssteuersatz der Steuerklasse VI zu Gr<strong>und</strong>e gelegt hat, war die Höhe der den einzelnen Arbeitnehmern ausgezahlten<br />

Schwarzlöhne für die Bestimmung des Steuerschadens ohne Bedeutung.<br />

bb) Auch den der Strafzumessung zu Gr<strong>und</strong>e zu legenden Steuerschaden hat das Landgericht zutreffend bestimmt.<br />

(1) Da vorliegend zwischen dem Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede getroffen worden war,<br />

sollte die Lohnsteuer auf Dauer hinterzogen werden. Das Tatgericht war daher - wie oben dargelegt - nicht gehalten,<br />

bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten die Höhe der tatsächlich von den Arbeitnehmern geschuldeten<br />

Einkommensteuer zu berücksichtigen.<br />

(2) Dessen ungeachtet hat das Landgericht - ohne dass dies erforderlich gewesen wäre - die auf der genannten<br />

Gr<strong>und</strong>lage berechnete Lohnsteuerverkürzung dem dauerhaft dem Fiskus verbleibenden Steuerschaden gegenüber<br />

gestellt. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Steuerbelastung für die zu Gr<strong>und</strong>e zulegenden Monatseinkommen<br />

der einzelnen Arbeitnehmer den Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI übersteigt. Die insoweit maßgeblichen<br />

Monatseinkommen der Arbeitnehmer hat das Landgericht dabei - wie sich aus der Gesamtschau der Urteilsgründe<br />

ergibt - im Wege der Schätzung gewonnen. Die diesbezüglichen Angriffe der Revision erschöpfen sich in dem im<br />

Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, die - bei der Schätzung vorzunehmende - Beweiswürdigung des Tatgerichts<br />

durch eine eigene zu ersetzen. Rechtsfehler werden insoweit nicht aufgezeigt.<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täuschung des wissenden Finanzamts<br />

BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10 - NJW 2011, 1299<br />

LS: Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgr<strong>und</strong><br />

unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nicht deshalb, weil den zuständigen Finanzbehörden<br />

alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen bekannt waren <strong>und</strong> zudem<br />

sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt <strong>und</strong> verfügbar waren.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26. Januar 2010 wird als unbegründet<br />

verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte hat als im Einkauf tätiger Angestellter der Firma P. für diese Elektronikbauteile aus dem europäischen<br />

Ausland über eine Gruppe von Personen eingekauft, deren in Deutschland ansässige Firmen nur zum Zweck<br />

der Erlangung unberechtigter Vorsteuerabzüge zwischengeschaltet waren. In Kenntnis dieser Umstände <strong>und</strong> im Wissen,<br />

dass eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht bestand, gab der Angeklagte Eingangsrechnungen mit gesondert<br />

ausgewiesener Umsatzsteuer an die Buchhaltung der Firma P. zum Zwecke der Verbuchung <strong>und</strong> Vornahme des<br />

Vorsteuerabzugs weiter. Für Rechnungen datierend zwischen 1. August 2003 <strong>und</strong> 30. September 2004 wurden so für<br />

die P. vierzehn falsche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die erste davon ging am 16. Oktober 2003 beim<br />

zuständigen Finanzamt ein. Insgesamt wurde so Umsatzsteuer in Höhe von r<strong>und</strong> 5,18 Mio. Euro hinterzogen. Auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in vierzehn Fällen zu vier<br />

347


Jahren <strong>und</strong> neun Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen <strong>und</strong> die näher ausgeführte<br />

Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Der näheren Ausführung bedarf lediglich<br />

Folgendes:<br />

I. Die Revision rügt eine Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO wegen der Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 (nachfolgend<br />

1.). Dies bleibt im Ergebnis erfolglos. Zwar zeigt die Revision insoweit Rechtsfehler auf (nachfolgend 2.),<br />

der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht (nachfolgend 3.).<br />

1. Folgendes liegt zugr<strong>und</strong>e:<br />

a) Mit länger begründetem Beweisantrag vom 5. Januar 2010 macht die Verteidigung im Kern zweierlei geltend:<br />

(1) Ein zunächst in anderer Sache in den Räumen der Firma P. ermittelnder Steuerfahnder aus München habe entgegen<br />

seiner Zeugenaussage vor der Strafkammer nicht erst im April 2005, sondern bereits am 19. September 2003<br />

(also bevor die in Rede stehenden Vorsteueranmeldungen beim Finanzamt eingegangen waren) Kenntnis von „der<br />

steuerstrafrechtlichen Verdachtslage“ erlangt. Dies ergebe sich aus einem Vermerk über ein Telefonat dieses Steuerfahnders<br />

mit einem Steuerfahnder aus Hamburg, dessen Einvernahme nunmehr beantragt wird, sowie aus weiteren<br />

Schreiben <strong>und</strong> Vermerken, deren Verfasser ebenfalls als Zeugen gehört werden sollen. Es werde sich erweisen, dass<br />

die zuständigen Finanz- <strong>und</strong> Strafverfolgungsbehörden so frühzeitig Kenntnis „von dem verfahrensgegenständlichen<br />

Sachverhalt“ hatten, dass sie hätten verhindern können, dass größerer Schaden entsteht.<br />

(2) Der Steuerfahnder aus München habe keine Maßnahmen ergriffen, Mitarbeiter der Firma P. zu informieren, sondern<br />

habe diese im Gegenteil, obgleich er ihnen gegenüber aufgetreten sei, „im guten Glauben … gelassen <strong>und</strong> darin<br />

bestärkt“. Hierzu solle eine Mitarbeiterin der Firma P. vernommen werden, die der Steuerfahnder trotz seines Wissens<br />

im Frühjahr 2004 um Auskunft „in Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte“ gebeten habe, ohne<br />

den Hintergr<strong>und</strong> der Anfrage darzulegen.<br />

b) Hinsichtlich der ersten Beweisbehauptung - Wissen des Steuerfahnders - lehnte die Strafkammer den Beweisantrag<br />

durch Beschluss vom 11. Januar 2010 mit der Begründung ab, die Kenntnis des Steuerfahnders - selbst wenn er<br />

nicht lediglich einen Anfangsverdacht gehabt hätte - sei für das Verfahren ohne Bedeutung. Der Fahnder hätte ein<br />

Wissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Es könne sein, dass Verfahrensverzögerungen<br />

entstanden seien, dies spiele aber für die Frage, ob eine betrügerische Umsatzsteuerkette vorliege <strong>und</strong><br />

inwieweit der Angeklagte hierin involviert war, keine Rolle. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sich der von<br />

der Verteidigung gezogene Schluss auf die behauptete Kenntnis des Steuerfahnders weder aus dem ein Telefonat<br />

dokumentierenden noch aus dem weiteren Vermerk nachvollziehen lasse, dieser vielmehr „abwegig“ sei. Zu den<br />

weiteren Beweisbehauptungen - „Schweigen“ des Steuerfahnders - hörte die Strafkammer den zuvor bereits vernommenen<br />

Steuerfahnder aus München erneut <strong>und</strong> lehnte sodann den Beweisantrag durch Beschluss vom 26. Januar<br />

2010 mit der Begründung ab, der Steuerfahnder sei „zu der Tatsachenbehauptung“ gehört worden, „so dass der Beweis<br />

erhoben“ sei. In den Gründen wird ausgeführt, der Beweisantrag sei insoweit schon „unzulässig, als er keine<br />

konkrete, auf die Tat- <strong>und</strong> Schuldfrage bezogene Beweisbehauptung“ enthalte.<br />

2. Die Ablehnungsbeschlüsse sind nicht frei von Rechtsfehlern.<br />

a) Der Ablehnungsbeschluss vom 11. Januar 2010 verletzt § 244 Abs. 3 StPO, weil er eine Bedeutungslosigkeit der<br />

Beweisbehauptung nicht belegt. Eine Beweisbehauptung ist nur dann bedeutungslos, wenn sie weder den Schuld-<br />

noch den Rechtsfolgenausspruch zu beeinflussen vermag. Das Gericht muss daher - will es eine Beweisbehauptung<br />

(in deren vollen Tragweite, vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1982 - 1 StR 698/82, StV 1983, 90, 91) wegen<br />

Bedeutungslosigkeit ablehnen - beides in den Blick nehmen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist im Ablehnungsbeschluss<br />

nachvollziehbar darzulegen, soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (vgl. BGH, Beschluss vom<br />

24. August 1999 - 1 StR 672/98, NStZ 2000, 46; BGH, Urteil vom 5. Januar 1982 - 5 StR 567/81, NStZ 1982, 170,<br />

171; BGH, Beschluss vom 12. Juli 1979 - 3 StR 229/79).<br />

(1) Es ist bereits nicht erkennbar, ob die angenommene Bedeutungslosigkeit auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen<br />

beruht. Entsprechende Darlegungen sind jedoch regelmäßig geboten (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 - 3<br />

StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268; BGH, Beschluss vom 12. August 1986 - 5 StR 204/86, StV 1987, 45 f.; Meyer-<br />

Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 43a).<br />

(2) Die von der Strafkammer zur Begründung der Bedeutungslosigkeit weiter herangezogene Annahme, der benannte<br />

Steuerfahnder hätte sein Wissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg (offenbar im Gesamtkomplex)<br />

nicht zu gefährden, vermag zu belegen, dass die abgeurteilte Tat nicht verhindert worden wäre. Welche Schlüsse<br />

die Strafkammer hieraus auf die Bedeutung der explizit unter Beweis gestellten Behauptung, die Tat hätte verhindert<br />

werden können, gezogen hat, legt sie nicht dar. Solcher Darlegungen hätte es hier aber - wie regelmäßig (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 11. April 2007 - 3 StR 114/07, StraFo 2007, 331) - bedurft. Denn aus dem Umstand, dass eine<br />

Tat nicht verhindert worden wäre, drängt sich der Schluss, dass eine bestehende, aber nicht wahrgenommene Mög-<br />

348


lichkeit zur Tatverhinderung im konkreten Fall für den Schuld- oder den Strafausspruch bedeutungslos sein kann,<br />

nicht ohne weiteres auf. Die weiteren Erwägungen der Kammer, etwaige Verfahrensverzögerungen seien für die<br />

Frage nach dem Vorliegen einer betrügerischen Umsatzsteuerkette oder der Beteiligung des Angeklagten hieran<br />

bedeutungslos, lassen die Frage nach der Bedeutung von Verzögerungen für den Strafausspruch unerörtert.<br />

(3) Die Ausführungen der Strafkammer, es sei „abwegig“, aus dem das Stattfinden eines verfahrensbezogenen Telefonats<br />

dokumentierenden Vermerk auf einen bestimmten Gesprächsinhalt zu schließen, geben zur Frage der Bedeutungslosigkeit<br />

der Beweisbehauptung keine Auskunft. Sie könnten überdies besorgen lassen, die Strafkammer habe<br />

die Beweisbehauptung in Zweifel gezogen. Bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit aus<br />

tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ist jedoch die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie voll erwiesen, der<br />

Entscheidung zugr<strong>und</strong>e zu legen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 212; BGH,<br />

Beschluss vom 6. März 2008 - 3 StR 9/08, StV 2008, 288). Die Ausführungen der Strafkammer geben dem Senat<br />

ferner Anlass zu der Anmerkung, dass einem Beweisantrag zwar abverlangt werden kann, dass darin ein verbindender<br />

Zusammenhang zwischen Beweismittel <strong>und</strong> Beweisbehauptung dargelegt ist (vgl. Fischer in KK, StPO, 6. Aufl.,<br />

§ 244 Rn. 82 mwN), dies jedoch nicht die Darlegung erfordert, ein benannter Zeuge werde die Beweisbehauptung<br />

mit Sicherheit bek<strong>und</strong>en. Erforderlich - aber auch ausreichend - ist die Darlegung der Umstände, warum es dem<br />

Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache zu bek<strong>und</strong>en. Ist der Zeuge <strong>Teil</strong>nehmer eines Telefonats, dessen Verlauf,<br />

dessen Inhalt oder - wie hier - dessen Ergebnis unter Beweis gestellt werden soll, handelt es sich um einen unmittelbaren<br />

Zeugen, zu dem es regelmäßig nicht der Darlegung noch weiter ins Detail gehender Umstände bedarf,<br />

damit das Gericht den Antrag anhand der gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll prüfen kann (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f.).<br />

b) Soweit der Antrag die weiteren Beweisbehauptungen - betreffend das „Schweigen“ des Steuerfahnders - betrifft,<br />

lässt sich dem entgegen der Auffassung der Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 eine hinreichend konkrete<br />

Beweisbehauptung entnehmen (1). Über diese wurde entgegen dem Ablehnungsbeschluss nicht Beweis erhoben<br />

(2).<br />

(1) Soweit die Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 ausführt, der Antrag sei „unzulässig“, will sie damit<br />

offenbar zum Ausdruck bringen, es handle sich um einen Beweisermittlungsantrag. Auch ein solcher wäre indes<br />

nicht schon im Ansatz unzulässig oder unstatthaft, sondern statt nach § 244 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO nach Maßgabe<br />

des § 244 Abs. 2 StPO zu bescheiden (zu unzulässigen Beweisanträgen vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26.<br />

Aufl., § 244 Rn. 198; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 107 f.). Zwar vermengt der Antrag hinsichtlich des<br />

behaupteten Tätig- oder Nichttätigwerdens des Steuerfahnders Beweisziel <strong>und</strong> Beweistatsachen, bei der gebotenen<br />

interessengerechten Auslegung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 39; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., §<br />

244 Rn. 77 f.) lässt sich ihm aber die Behauptung entnehmen, der benannte Steuerfahnder habe bei einer zu vernehmenden<br />

Zeugin bereits im Frühjahr 2004 Unterlagen betreffend den nunmehr abgeurteilten Sachverhalt erbeten, <strong>und</strong><br />

hierbei nicht über eine Verdachtslage gesprochen. Dies ist eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung. Fehlte es -<br />

wie die Strafkammer ausführt - an einer hinreichend konkreten Beweisbehauptung, könnte nicht - wie die Kammer<br />

im selben Beschluss ausführt - „zu der Tatsachenbehauptung … Beweis erhoben“ sein. Die Nennung verschiedener,<br />

sich widersprechender Ablehnungsgründe könnte je nach Lage des Falles sogar besorgen lassen, dass es der Tatrichter<br />

dem Revisionsgericht überlassen wollte, sich einen passenden Ablehnungsgr<strong>und</strong> „herauszusuchen“ (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51). Eine in dieser Weise widersprüchliche Begründung<br />

wird aber insbesondere der Informationsfunktion des Ablehnungsbeschlusses nicht gerecht (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 288).<br />

(2) Der beantragte Beweis wurde nicht erhoben. Die zum Verhalten des Steuerfahnders gegenüber Mitarbeitern der<br />

Firma P. benannte Zeugin wurde nicht vernommen. Die Strafkammer konnte den Beweis auch nicht dadurch erheben,<br />

dass sie an deren Stelle den bereits zuvor gehörten Steuerfahnder erneut befragt. Im Rahmen des Beweisantragsrechts<br />

ist es Sache des Antragstellers, nicht nur das Beweisthema, sondern auch das zu benutzende Beweismittel<br />

selbst zu bestimmen. Zwar kommt ein Austausch der Beweismittel ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das herangezogene<br />

Beweismittel zweifelsfrei gleichwertig ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1982 - 2 StR 139/82,<br />

NJW 1983, 126, 127). An dieser Gleichwertigkeit fehlt es jedoch regelmäßig, wenn nur der Zeuge, dessen bisherige<br />

Aussage widerlegt werden soll, erneut vernommen wird, nicht aber die anderen zur Widerlegung benannten Zeugen.<br />

Dieser Mangel wäre im Ergebnis nur dann unschädlich, wenn der Zeuge seine bisherigen Aussagen im Sinne der<br />

Beweisbehauptung korrigiert <strong>und</strong> die Beweisbehauptung deshalb als erwiesen behandelt wird. Dass dies hier der Fall<br />

wäre, die Strafkammer also angenommen hat, der Steuerfahnder habe trotz seines Wissens geschwiegen, ist nicht<br />

ersichtlich.<br />

349


3. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Das Landgericht durfte<br />

hier nämlich aus Rechtsgründen weder das behauptete „Wissen“ des ermittelnden Steuerfahnders, noch dessen<br />

„Schweigen“ für den Schuld- oder den Strafausspruch berücksichtigen. Es ist überdies auszuschließen, dass sich der<br />

Angeklagte bei rechtsfehlerfreier Ablehnung des Beweisantrags anders als geschehen gegen den Tatvorwurf hätte<br />

verteidigen können. Insofern wurde der Angeklagte durch die rechtsfehlerhafte Verbescheidung des Antrags nicht in<br />

seiner Prozessführung beeinträchtigt oder benachteiligt.<br />

a) Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs setzt der Tatbestand der Steuerhinterziehung in der hier<br />

einschlägigen Variante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen) keine<br />

gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Dies folgt bereits aus dem vom Betrugstatbestand des<br />

§ 263 <strong>StGB</strong> abweichenden Wort-laut des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Es genügt daher, dass die unrichtigen oder unvollständigen<br />

Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung<br />

oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni<br />

2007 - 5 StR 127/07, NStZ 2007, 596, 597; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63,<br />

64; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1990 - 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266, 285; so auch BFH, BStBl II 2006, 356,<br />

357). Deshalb kommt es auch auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden von der Unrichtigkeit der gemachten Angaben<br />

nicht an. Dementsprechend würde der hier unter Beweis gestellte Verdacht des Münchner Steuerfahnders die<br />

Erfüllung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung auch dann nicht ausschließen, wenn der Beweis gelungen wäre<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64). Darüber hinaus greift § 370 Abs.<br />

1 Nr. 1 AO selbst dann ein, wenn der zuständige Veranlagungsbeamte von allen für die Veranlagung bedeutsamen<br />

Tatsachen Kenntnis hat <strong>und</strong> zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt <strong>und</strong> verfügbar sind (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64, wo die aufgezeigte Fragestellung nicht entscheidungserheblich<br />

war). Im Gegensatz zu § 370 Abs.1 Nr. 2 AO ist bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - schon nach seinem<br />

Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen (so aber Schmitz/Wulf in<br />

MüKo-<strong>StGB</strong>, § 370 AO Rn. 241) oder das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren<br />

Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., §<br />

370 AO Rn. 198 f.). Dies stünde im Widerspruch zu der Wertung des Gesetzgebers in den Regelbeispielen des § 370<br />

Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 <strong>und</strong> 3 AO, die die Mitwirkung eines Amtsträgers unabhängig von dessen Zuständigkeit als<br />

besonders strafwürdig einstufen. Anders als in der Unterlassungsvariante setzt der Täter bei Begehung durch aktives<br />

Tun mit Abgabe der dann der Veranlagung zugr<strong>und</strong>e gelegten - aber unrichtigen - Erklärung eine Ursache, die im<br />

tatbestandsmäßigen Erfolg (i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO) stets wesentlich fortwirkt. Der Erfolg wäre auch bei<br />

Kenntnis der Finanzbehörden vom zutreffenden Besteuerungssachverhalt - anders als in der Unterlassungsvariante -<br />

weder ganz noch zum <strong>Teil</strong> ohne den vom Steuerpflichtigen in Gang gesetzten Geschehensablauf eingetreten. Insofern<br />

realisiert sich gerade auch in dem Machen der falschen Angaben (neben einem möglicherweise strafrechtlich<br />

relevanten Verhalten des die zutreffenden Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen kennenden Veranlagungsbeamten) die durch §<br />

370 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtlich missbilligte Gefahr einer Steuerverkürzung (so jetzt auch Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht,<br />

42. Lfg. März 2010, § 370 Rn. 581 ff.). Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung kann auch nicht<br />

durch die mit dem Beweisantrag implizit aufgestellte Behauptung einer verzögerten Verfahrenseinleitung in Frage<br />

gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149).<br />

b) Das Verhalten der Finanzbehörden konnte vorliegend auch keinen Einfluss auf den Strafausspruch haben. Zwar<br />

kann ein Verhalten des Steuerfiskus (gleich einem Mitverschulden oder einer Mitverursachung des Verletzten)<br />

strafmildernd zu berücksichtigen sein. Es kann daher Fälle geben, in denen strafschärfend berücksichtigtes Verhalten<br />

eines Angeklagten (etwa Skrupellosigkeit, Raffinesse oder Hartnäckigkeit) ins Verhältnis zum Verhalten der zum<br />

Schutze der staatlichen Vermögensinteressen berufenen Beamten zu setzen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai<br />

1983 - 1 StR 25/83, wistra 1983, 145). Dies gilt jedoch allenfalls dann, wenn das staatlichen Stellen vorwerfbare<br />

Verhalten unmittelbar auf das Handeln des Angeklagten Einfluss genommen hat (etwa weil er bislang nicht tatgeneigt<br />

war oder ihm wenigstens die Tat erleichtert wurde) <strong>und</strong> den staatlichen Entscheidungsträgern die Tatgenese<br />

vorgeworfen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - 3 StR 474/08, NStZ-RR 2009, 167). Derartiges<br />

hätte weder durch den in Rede stehenden Beweisantrag bewiesen werden können, noch ist es sonst vorgetragen oder<br />

ersichtlich. Ein Anspruch eines Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten,<br />

um seine Taten zu verhindern, besteht nicht. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus dem Recht auf ein<br />

faires Verfahren gemäß Artikel 6 Abs. 1 EMRK (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 1 StR 506/02, NStZ-RR<br />

2003, 172 f.; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 StR 312/07, NStZ 2007, 635). Es wäre daher rechtsfehlerhaft<br />

gewesen, dies hier zugunsten des Angeklagten zu werten. Das Landgericht hat nicht nur im Beschluss, mit dem der<br />

Beweisantrag abgelehnt wurde, sondern im hier maßgeblichen Urteil Verfahrensverzögerungen angesprochen <strong>und</strong><br />

350


die bedeutsamen Daten des Verfahrens beginnend mit einer Selbstanzeige am 18. September 2003 genannt. Der<br />

Senat kann daher ausschließen, dass die Kammer dies bei der Strafzumessung nicht auch im Blick hatte. Dass darüber<br />

hinaus Besonderheiten des Einzelfalles eine Strafmilderung ermöglicht hätten, weil sie ein Einschreiten der<br />

Finanz- <strong>und</strong> Ermittlungsbehörden unabweisbar geboten oder dazu geführt hätten, dass deren Verhalten mit den<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR<br />

191/04, wistra 2005, 148, 149), ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht ersichtlich.<br />

II. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten einen Härteausgleich wegen einer einbeziehungsfähigen,<br />

aber bereits durch Bezahlung vollstreckten Geldstrafe vorgenommen (UA S. 65). Eine ausgleichspflichtige<br />

Härte kann für den Angeklagten hier – anders als bei Vollstreckung einer Geldstrafe durch Ersatzfreiheitsstrafe<br />

– nicht entstehen (vgl. Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 55 Rn. 21 f. mwN). Durch den gleichwohl vorgenommenen<br />

Härteausgleich ist der Angeklagte indes nicht beschwert.<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 15 Abs. 1 Unternehmer <strong>und</strong> Umsatzsteuer – Fakturierungsketten<br />

BGH, Beschl. v. 08.02.2011 – 1 StR 24/10 - NJW 2011, 1616<br />

LS: Jedenfalls dann, wenn derjenige, für den eine Lieferung ausgeführt wird, weiß, dass diese <strong>Teil</strong><br />

eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuer angelegten Systems ist, so ist er hinsichtlich dieser Lieferung<br />

nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig. Macht er dennoch die in einer Rechnung für<br />

diese Lieferung ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 15 UStG als Vorsteuer geltend, begeht er eine<br />

Steuerhinterziehung.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 8. Februar 2011 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. August 2009 werden als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Verfahrensgegenstand sind Steuerdelikte (Hinterziehung von Umsatzsteuer), die in den Veranlagungszeiträumen<br />

2006 <strong>und</strong> 2007 im Rahmen von „zwei groß angelegten <strong>und</strong> gut organisierten sowie auf Verschleierung ausgerichteten<br />

Steuerhinterziehungssystemen“ begangen (System „B.“, B. GmbH & Co. KG in S.; Steuerverkürzung durch unberechtigte<br />

Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 10 Mio. €) oder versucht (System „H.“, H. AG & Co.<br />

KG; vergebliche unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 4,8 Mio. €) wurden. Die in näher<br />

festgestellter Weise hieran beteiligten Angeklagten wurden, differenziert nach Art <strong>und</strong> Maß ihrer Beteiligung, wegen<br />

vollendeten <strong>und</strong>/oder versuchten Steuerhinterziehungen jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Ihre auf eine von<br />

allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge <strong>und</strong> die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2<br />

StPO).<br />

I. Mit der Verfahrensrüge wird geltend gemacht, der in der am 5. November 2008 begonnenen Hauptverhandlung<br />

häufig als alleiniger Urk<strong>und</strong>sbeamter der Geschäftsstelle (Protokollführer) eingesetzte Justizfachangestellte K. sei<br />

zuvor entgegen § 153 Abs. 5 GVG nicht mit dieser Aufgabe betraut worden; daher sei insoweit die Hauptverhandlung<br />

entgegen § 226 Abs. 1 StPO ohne Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle durchgeführt worden (§ 338 Nr. 5<br />

StPO).<br />

1. Folgendes liegt zu Gr<strong>und</strong>e: Der Justizfachangestellte K. war nach Bestehen der entsprechenden Prüfung seit 2004<br />

am Verwaltungsgericht Hamburg tätig <strong>und</strong> dort 2006 mit den Aufgaben eines Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle<br />

betraut worden. Zum 15. September 2008 wechselte er zum Landgericht Hamburg. Mit Verfügung vom 22. September<br />

2008 übertrug ihm die Personalleiterin die Aufgaben eines Angestellten in Serviceeinheiten. Mit Schreiben vom<br />

11. August 2009 (dem Tag vor der Verkündung des angefochtenen Urteils) betraute ihn der Geschäftsleiter des<br />

Landgerichts im Auftrag der Präsidentin des Landgerichts mit Wirkung vom 15. September 2008 mit den Aufgaben<br />

eines Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle beim Landgericht.<br />

2. Eine Betrauung mit der Aufgabe eines Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle muss erfolgen, bevor der Betraute<br />

diese Aufgabe wahrnimmt (OLG Hamburg, MDR 1984, 337; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 153 GVG Rn. 3), sie<br />

ist also nicht rückwirkend möglich. Wäre sie erst am 11. August 2009 erfolgt, wären zuvor bezüglich des Justizfachangestellten<br />

K. die Voraussetzungen des § 153 Abs. 5 GVG nicht erfüllt gewesen.<br />

3. Der Senat entnimmt jedoch die entsprechende Betrauung des Justizfachangestellten K. mit genügender Klarheit<br />

der genannten Verfügung der Personalleiterin vom 22. September 2008.<br />

351


a) Unter den Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 GVG hier in Verbindung mit § 8 der Allgemeinen Verfügung Nr. 22<br />

(AV 22) der Justizbehörde der Freien <strong>und</strong> Hansestadt Hamburg vom 13. Dezember 2004 (HmbJVBl 2004, 95 f.)<br />

können Angestellte mit der Aufgabe eines Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle betraut werden. Es handelt sich dabei<br />

um ein Geschäft der Justizverwaltung i.S.v. § 22 Satz 1 HmbAGGVG, das den Gerichtspräsidenten zugewiesen ist.<br />

Diese können gemäß § 22 Satz 2 HmbAGGVG zur Erledigung ihnen zugewiesener Justizverwaltungsgeschäfte die<br />

ihrer Dienstaufsicht unterstellten Justizangehörigen heranziehen. Die Personalleiterin untersteht der Dienstaufsicht<br />

der Präsidentin des Landgerichts. Sie ist, wie sich aus der ergänzenden Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft<br />

im Einzelnen ergibt, unter anderem mit der Entscheidung über den Einsatz von Angestellten im Geschäftsbereich<br />

des Landgerichts betraut. Einen Gr<strong>und</strong>satz, wonach insoweit eine Einschränkung gelte, weil die Betrauung mit<br />

der Aufgabe eines Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle durch den Präsidenten selbst erfolgen müsse, gibt es nicht<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1985 - 1 StR 18/85, StV 1985, 492; allgemein zur Möglichkeit, diese nicht an eine<br />

bestimmte Form geb<strong>und</strong>ene Betrauung zugleich mit der Zuweisung weiterer Aufgaben an den Angestellten zu verbinden,<br />

vgl. OLG Bremen StV 1984, 109; Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., § 153 Rn. 22).<br />

b) Die Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 GVG liegen hier vor. Bei Einführung dieser Bestimmung (Gesetz zur<br />

Neuregelung des Rechts des Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle vom 19. Dezember 1979, BGBl. I 2306) war die<br />

Ausbildung von Justizangestellten nicht auf eine Tätigkeit als Urk<strong>und</strong>sbeamter der Geschäftsstelle ausgerichtet (BT-<br />

Drucks. 8/2024, S. 10, 14). Daher sollte sichergestellt werden, dass nur geeignete Angestellte (BT-Drucks. aaO S.<br />

14) nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall mit dieser Aufgabe betraut wurden (vgl. Kissel/Mayer aaO). Inzwischen<br />

umfasst die Berufsausbildung zum Justizfachangestellten auch das Führen von Hauptverhandlungsprotokollen in<br />

Strafsachen (vgl. § 3 Nr. 8 <strong>und</strong> § 4 der - b<strong>und</strong>eseinheitlichen - VO über die Berufsausbildung zum/zur Justizfachangestellten<br />

vom 26. Januar 1998 i.V.m. Nr. 8b der Anlage zu § 4 JFangAusbV). Wer<br />

die Abschlussprüfung als Justizfachangestellter bestanden hat (§ 8 JFangAusbV), bietet daher gr<strong>und</strong>sätzlich die Gewähr<br />

für die gebotene Sachk<strong>und</strong>e bei der Protokollführung in Strafsachen. Dies deckt sich mit dem von der Revision<br />

vorgelegten Schreiben der Präsidentin des Landgerichts vom 19. November 2009, wonach ein Justizfachangestellter<br />

nach bestandener Prüfung als zur Protokollführung befähigt angesehen wird.<br />

c) Dementsprechend ist auch in der Stellenbeschreibung - die die objektiven Kriterien bestimmt, die man erfüllen<br />

muss, um für die Übertragung des Dienstpostens in Betracht zu kommen (allgemein zum Rechtscharakter von Stellenbeschreibungen<br />

vgl. BAG AP GG Art. 33 Nr. 59; BAG NZA 2005, 1185, 1187) - , die der Einstellung des Justizfachangestellten<br />

K. zu Gr<strong>und</strong>e lag, die Protokollführung in Strafsachen als ein wesentlicher Tätigkeitsschwerpunkt<br />

genannt; auf sie entfallen 30 % der Arbeitszeit. Dem entsprechend lautet die Funktionsbezeichnung dieser Stelle<br />

„Geschäftsstellenverwaltung mit Protokollführung in einer … Strafkammer“. Dem entspricht, dass eine Tätigkeit als<br />

Protokollführer in Strafsachen ein Tätigkeitsmerkmal ist, das dazu führt, dass die Stelle - wie hier - in die Vergütungsgruppe<br />

VIb BAT eingruppiert ist, während im übrigen vergleichbare, aber nicht mit Protokollführung in Strafsachen<br />

verb<strong>und</strong>ene Stellen regelmäßig in die Vergütungsgruppe VII BAT eingruppiert sind, also niedriger besoldet<br />

werden.<br />

d) Die ihm vorgelegten nachträglichen Erläuterungen der Justizverwaltung versteht der Senat insgesamt dahin, dass<br />

die in der Verfügung vom 22. September 2008 liegende Betrauung des Justizfachangestellten K. mit den Aufgaben<br />

eines Urk<strong>und</strong>sbeamten der Geschäftsstelle mit dem genannten Schreiben vom 11. August 2009 ausdrücklich auch<br />

schriftlich zum Ausdruck gebracht werden sollte. Der Senat bemerkt jedoch, dass ein von Beginn an klar dokumentiertes,<br />

nicht auslegungsbedürftiges Verwaltungshandeln das Verfahren entlastet hätte.<br />

II. Auch die Sachrügen bleiben erfolglos.<br />

1. Die abgeurteilten Taten (vor I) beruhten auf folgendem Hinterziehungssystem:<br />

a) Es wurden zum Schein Fakturierungsketten aufgebaut, die den Firmen B. <strong>und</strong> H. den Abzug von in Rechnungen<br />

ausgewiesener Umsatzsteuer als Vorsteuer ermöglichen sollten. Zu diesem Zweck wurden jeweils mindestens zwei<br />

Gesellschaften vorgeschaltet, deren Aufgabe im Wesentlichen darin bestand, Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer<br />

zu erstellen. Irgendeinen Spielraum hatten sie dabei nicht, die Rechnungen waren ihnen zuvor von den<br />

Angeklagten samt Lieferpapieren übersandt worden. Die Rechnungssummen waren dabei planmäßig so gewählt,<br />

dass ein „Umsatzsteuergewinn“ erwirtschaftet wurde, der verschleiert an Firmen im Ausland transferiert werden<br />

konnte.<br />

b) Im Einzelnen wurde folgende Vorgehensweise gewählt: Die jeweils erste Firma der Kette „erwarb“ die Waren<br />

aufgr<strong>und</strong> einer innergemeinschaftlichen Lieferung umsatzsteuerfrei von Unternehmern aus anderen EU-Staaten.<br />

Diese erste Firma „veräußerte“ sie dann an eine andere in Deutschland ansässige Firma. Der Nettoausgangsrechnungsbetrag<br />

wurde gegenüber dem Nettoeingangsrechnungsbetrag um gut 100 % „aufgepreist“. Die in diesen Rechnungen<br />

ausgewiesene Umsatzsteuer wurde von der ersten Gesellschaft der jeweiligen Kette weder angemeldet noch<br />

352


abgeführt. Die dann in der Kette nachfolgende Gesellschaft fakturierte die Waren mit geringem Aufpreis - direkt<br />

oder unter Einschaltung einer dritten Gesellschaft - an die Firma B. oder die Firma H. weiter. Die in den entsprechenden<br />

Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde angemeldet <strong>und</strong> abgeführt. Damit sollten sich die Umsätze<br />

der Firmen B. <strong>und</strong> H. gegenüber den Finanzbehörden als unauffällig darstellen. Diese Firmen generierten den „Umsatzsteuergewinn“,<br />

indem sie die in den an sie gerichteten Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer<br />

geltend machten. Die Waren wurden umsatzsteuerfrei an Firmen im europäischen Ausland - jedenfalls auf dem Papier<br />

- weitergeleitet.<br />

2. Obwohl die Firmen B. <strong>und</strong> H. danach keinen Anspruch auf Abzug oder Erstattung von Vorsteuer hatten, haben die<br />

Angeklagten den Abzug der in den jeweiligen Eingangsrechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer veranlasst <strong>und</strong> so<br />

durch unrichtige Erklärungen Steuern verkürzt oder dies versucht. Hier kommt allein eine Vorsteuererstattung gemäß<br />

§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in Betracht. Eine Vorsteuererstattung setzt voraus, dass in Rechnungen (§ 14 UStG)<br />

für Lieferungen eines anderen Unternehmers (§ 2 Abs. 1 UStG) an den Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend<br />

macht, gesondert Umsatzsteuer ausgewiesen ist. Die in den Fakturierungsketten den Firmen B. bzw. H. vorgeschalteten<br />

Gesellschaften waren hier jedoch in diesem Sinne keine Unternehmer, sondern nicht als Unternehmer<br />

einzustufende Strohmänner. Bei der Entscheidung darüber, ob umsatzsteuerrechtlich ein Unternehmer vorliegt, ist<br />

die Gesamtheit der Gegebenheiten des Einzelfalls den Umständen gegenüber zu stellen, unter denen gewöhnlich eine<br />

entsprechend vergleichbare wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 26. September 1996, C-<br />

230/94, Rechtssache Enkler, Rn. 28, 30; vgl. hierzu Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 2 Rn. 7). Entscheidend<br />

ist daher, ob die jeweils hier den Firmen B. oder H. vorgeschaltete Firma als <strong>Teil</strong> der Lieferkette wie ein typischer<br />

Händler gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - 5 StR 520/02, NStZ 2004, 578, 579 mwN; BFH<br />

BStBl II 1987, 752; Heidner aaO). Dies ist zu verneinen. Das „Bild des Handels“ ist durch die wiederholte Anschaffung<br />

<strong>und</strong> Veräußerung von Wirtschaftsgütern im Sinne eines marktmäßigen Umschlags von Sachwerten gekennzeichnet<br />

(vgl. auch BFH HFR 2010, 21). Im hier in Rede stehenden Zusammenhang hatten die vorgeschalteten Firmen<br />

weder ein Kapital- noch ein Abnahmerisiko zu tragen. Sie hatten vielmehr ohne eigenen Spielraum im Wesentlichen<br />

nur vorgegebene Rechnungen auszustellen. Es liegen sog. Strohmanngeschäfte vor, da die vorgeschalteten<br />

Firmen nicht im Rahmen eines Geschäftes, das wechselseitige Rechte <strong>und</strong> Pflichten begründen sollte, eigene Interessen<br />

wahrnahmen. Vielmehr waren sich die Beteiligten dieser Geschäfte darüber einig, dass die vorgeschalteten Firmen<br />

ohne sonstige eigene Rechte oder Pflichten als im Lager der Firmen B. oder H. stehende Hilfspersonen ausschließlich<br />

der Durchsetzung von deren Interesse dienten (vgl. BGH aaO; Heidner aaO Rn. 13 jew. mwN). Da nach<br />

alledem die vorgeschalteten Firmen hier nicht als Unternehmer tätig waren, waren die Firmen B. <strong>und</strong> H. gemäß § 15<br />

UStG nicht zum Vorsteuerabzug im Hinblick auf die von diesen Firmen ausgestellten Rechnungen berechtigt <strong>und</strong><br />

hatten dementsprechend auch keinen Anspruch auf Erstattung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer.<br />

Durch die gleichwohl auf dieser Gr<strong>und</strong>lage vorgenommenen Umsatzsteuervoranmeldungen haben die Angeklagten<br />

(zumindest konkludent) für die Firmen B. <strong>und</strong>/oder H. eine Vorsteuerabzugsberechtigung behauptet <strong>und</strong> durch<br />

diese unrichtigen Erklärungen (täterschaftlich) ungerechtfertigte Steuervorteile für diese beiden Firmen erlangt oder<br />

zu erlangen versucht (vgl. auch BGH aaO). Am Vorsatz besteht kein Zweifel.<br />

3. Unabhängig davon tragen die Feststellungen auch noch aus einem anderen Gr<strong>und</strong>e die Schuldsprüche. Sowohl<br />

dem Angeklagten L. (Geschäftsführer Firma B. ) als auch den Angeklagten P. <strong>und</strong> Be. (jeweils Vorstand der H. ) war<br />

nämlich bekannt, dass sich diese Firmen durch den (zumindest auf dem Papier erfolgten) Erwerb der in den Lieferketten<br />

fakturierten Waren an Umsätzen beteiligten, die in Umsatzsteuerhinterziehungen einbezogen waren. Auch<br />

deshalb waren die Firmen B. <strong>und</strong> H. - ebenso wie die in den Lieferketten vorgeschalteten Unternehmer - hier nicht<br />

als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig. Die in diesem Zusammenhang wesentlichen Tatsachen - Vorsteuerabzug<br />

(bzw. der entsprechende Versuch) durch die Firmen B. <strong>und</strong> H. , obwohl Verantwortliche dieser Firmen von der vorangegangenen<br />

Umsatzsteuerhinterziehung wussten - waren auch den übrigen Angeklagten bekannt <strong>und</strong> sie machten<br />

sie sich bei ihrer Beteiligung am Tatgeschehen zu eigen; sie sind daher auch ihnen zuzurechnen.<br />

a) Der Wertung, dass die Firmen B. <strong>und</strong> H. hinsichtlich der hier getätigten Geschäfte nicht als Unternehmer i.S.d. §<br />

15 UStG tätig waren, liegt eine Auslegung dieser Bestimmung zu Gr<strong>und</strong>e, wie sie (auch) gemeinschafts-rechtlich<br />

geboten ist. Gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der „Sechste(n) Richtlinie 77/388 EWG des Rates zur Harmonisierung<br />

der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche<br />

steuerpflichtige Bemessungsgr<strong>und</strong>lage“ (ABl. Nr. L 145 S. 1; nachfolgend Sechste Richtlinie) darf der Steuerpflichtige<br />

(Art. 4 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 der Sechsten Richtlinie; vgl. zum Begriff des Steuerpflichtigen auch EuGH, Urteil<br />

vom 6. Juli 2006, C-439/04, C-440/04, Rechtssache Kittel u.a. Rn. 41 mwN) „die geschuldete oder entrichtete<br />

Mehrwertsteuer“ (unter anderem) „für Gegenstände“ abziehen, „die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert<br />

wurden ...“. Der Anspruch auf diesen Vorteil entfällt jedoch, wenn er in betrügerischer Weise geltend gemacht<br />

353


wird, da eine betrügerische oder sonst missbräuchliche Berufung (auch) auf Gemeinschaftsrecht verboten ist. Die<br />

Sechste Richtlinie soll auch das Ziel fördern, Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen <strong>und</strong> damit vergleichbare<br />

sonstige Missbräuche zu bekämpfen. Ein derartiger betrügerischer Missbrauch liegt jedenfalls vor, wenn sich der<br />

Steuerpflichtige bewusst an einem in eine Mehrwert- bzw. Umsatzsteuerhinterziehung einbezogenen Umsatz beteiligt:<br />

dabei kommt es nicht darauf an, ob er auch schon die (frühere) Umsatzsteuerhinterziehung selbst begangen hat,<br />

sondern es genügt, wenn ihm diese bekannt ist (vgl. EuGH aaO Rn. 54 ff., 61 mwN; die Auffassung der Revision,<br />

dass diese Entscheidung „mittlerweile durch neuere Entscheidungen [des EuGH] überholt sein dürfte“, teilt der Senat<br />

nicht, vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010, C-285/09, Rechtssache R Rn. 52 ff.).<br />

b) Unter diesen Umständen können auch die Firmen B. <strong>und</strong> H. nach Auffassung des Senats nicht als Unternehmer<br />

i.S.d. § 15 UStG angesehen werden. Das Vorliegen eines Unternehmers i.S.d. § 15 Abs. 1 UStG ist in Übereinstimmung<br />

mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, bei solcher wirtschaftlicher Betätigung zu verneinen, die sich durch<br />

bewusste Beteiligung an <strong>und</strong> bewusste Ausnutzung von anderweitigen Steuerstraftaten steuerrechtliche Vorteile<br />

verschafft, wie etwa hier „Umsatzsteuergewinne“ auf der Gr<strong>und</strong>lage von Umsatzsteuerhinterziehungen, die innerhalb<br />

einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Lieferkette begangen wurden. Die sonstigen Voraussetzungen von § 370<br />

AO liegen, wie dargelegt, vor.<br />

c) Da nach alledem hier die Firmen B. <strong>und</strong> H. schon nicht i.S.d. § 15 UStG als Unternehmer tätig waren, bedarf es<br />

keiner Entscheidung, ob das Recht zum Vorsteuerabzug auch mit der Begründung zu verneinen sein könnte, dass<br />

unter den gegebenen Umständen (trotz möglicherweise durchgeführter Warenbewegung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) auch<br />

keine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen, zum Vorsteuerabzug berechtigenden Sinne vorliegt (vgl. in diesem<br />

Zusammenhang BFHE 217, 94; BFH/NV 2011, 81; vgl. auch Muhler wistra 2009, 1, 5).<br />

d) Soweit das Revisionsvorbringen in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen ist, dass gegen die der genannten<br />

Begründung - Umsatzsteuerhinterziehung auch deshalb, weil die Firmen B. <strong>und</strong> H. wegen bewusster Beteiligung an<br />

einem in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogenen Umsatz keine vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer sind<br />

- zu Gr<strong>und</strong>e liegende Aussetzung des Gesetzes unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgebotes (vgl. Art. 103 Abs.<br />

2 GG, § 1 <strong>StGB</strong>) Bedenken bestehen, teilt der Senat diese Auffassung nicht.<br />

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts <strong>und</strong> des B<strong>und</strong>esgerichtshofs bestehen an der<br />

hinreichenden Bestimmtheit von § 370 AO selbst keine Zweifel (vgl. nur BVerfGE 37, 201; BGH, Urteil vom 19.<br />

Dezember 1990 - 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 ff.). Insoweit hat der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell hinreichend<br />

bestimmt über die Strafbarkeit entschieden. Es gibt keinen Steueranspruch des Staates, der nach dem Willen des<br />

Gesetzes nicht gegen eine rechtswidrige <strong>und</strong> schuldhafte Verkürzung straf-rechtlich geschützt sein soll. Dies gilt<br />

umso mehr, als das materielle Steuerrecht selbst aufgr<strong>und</strong> seines Eingriffscharakters dem allgemeinen, aus dem<br />

Rechtsstaatsprinzip folgenden Bestimmtheitsgebot unterliegt (Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, vgl. Tipke/Lang<br />

Steuerrecht, 20. Aufl., § 4 Rn. 150 ff.).<br />

bb) Nach Auffassung des Senats bestehen auch hinsichtlich der Auslegung von § 15 UStG im vorgenannten Sinne<br />

mit Blick auf den Bestimmtheitsgr<strong>und</strong>satz keine Bedenken. Sie ist nicht nur, wie dargelegt, ohne weiteres mit dem<br />

Wortlaut des Gesetzes zu vereinbaren, sondern sie entspricht auch dem Normzusammenhang <strong>und</strong> der Zwecksetzung<br />

des Umsatzsteuerrechts. Letztlich soll der Endverbraucher die Umsatzsteuer tragen, der Unternehmer soll dagegen<br />

vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Umsatzsteuer<br />

entlastet werden. Dies gewährleistet die Neutralität der umsatzsteuerlichen Belastung aller ihrerseits der Umsatzsteuer<br />

unterliegenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, unabhängig von den Zwecken <strong>und</strong> (oder) Ergebnissen dieser<br />

Tätigkeiten (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006, C-439/04, C-440/04, Rechtssache Kittel u.a. Rn. 48 mwN). Jedenfalls<br />

für die Adressaten des Umsatzsteuergesetzes - ausschließlich Unternehmer, die auf Gr<strong>und</strong> von Ausbildung <strong>und</strong><br />

(oder) praktischer Erfahrung über das einschlägige Fachwissen verfügen - ist dieser Normzusammenhang, als zuverlässige<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die Auslegung <strong>und</strong> Anwendung der Norm, ohne weiteres erkennbar. Sie sind als regelmäßig<br />

dazu im Stande anzusehen, den Regelungsgehalt dieses Gesetzes zu verstehen <strong>und</strong> ihm konkrete Verhaltensanweisungen<br />

zu entnehmen (vgl. BVerfGE 48, 48, 56 f. mwN; BVerfG wistra 2010, 396, 404). Deswegen haben sie - über<br />

den Wortlaut der Vorschrift hinaus - auch insoweit die Möglichkeit, das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu<br />

erkennen <strong>und</strong> die staatliche Reaktion vorauszusehen. Die geschilderte Generierung von „Umsatzsteuergewinnen“<br />

verstößt gegen das dargelegte Prinzip der Umsatzsteuerneutralität. Der Staat erstattet Vorsteuer, die er zuvor nicht in<br />

Form der Umsatzsteuer erhalten hat. Die anderen Marktteilnehmer, die derartige illegale „Umsatzsteuergewinne“<br />

nicht generieren, haben dadurch Wettbewerbsnachteile. Die hiermit verb<strong>und</strong>ene Verletzung der Gerechtigkeitsprinzipien<br />

des Umsatzsteuergesetzes <strong>und</strong> die daraus resultierenden strafrechtlichen Konsequenzen sind nach Auffassung<br />

des Senats für jedermann, jedenfalls aber für die Adressaten des Umsatzsteuergesetzes, zu denen die Angeklagten<br />

zählen, erkennbar.<br />

354


4. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

zum Nachteil der Angeklagten ergeben.<br />

AO § 370 Steuerhinterziehung durch Unterlassen<br />

BGH, Beschl. v. 14.04.2011 – 1 StR 112/11 - BeckRS 2011, 10050<br />

Es ist rechtsfehlerhaft, im Falle einer durch Unterlassen begangenen Steuerhinterziehung (§ 370<br />

Abs. 1 Nr. 2 AO) hypothetisches Verhalten eines Dritten für die Bestimmung des durch das Unterlassen<br />

bewirkten Taterfolges zu berücksichtigen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 14. April 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. November 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des<br />

Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349<br />

Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) bzw. versuchter Steuerhinterziehung<br />

- er hatte in den Jahren 2002 bis 2007 weder Umsatzsteuer- noch Einkommensteuererklärungen abgegeben<br />

- wird in allen elf zur Aburteilung gelangten Fällen von den rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts<br />

getragen.<br />

a) Die vom Angeklagten im Zusammenhang mit der Veräußerung des in seinem Eigentum stehenden Gr<strong>und</strong>stücks<br />

erbrachten <strong>und</strong> in Rechnung gestellten Architektenleistungen (Vorplanung, Erschließungsplanung, Beantragen der<br />

Baugenehmigung u. dgl.; die Errichtung eines Gebäudes schuldete der Angeklagte nicht) sind als eigenständige,<br />

nicht gemäß § 4 Nr. 9a UStG von der Umsatzsteuer befreite Leistungen zu qualifizieren, selbst wenn sie beim Leistungsempfänger<br />

in die Bemessungsgr<strong>und</strong>lage für die Gr<strong>und</strong>erwerbsteuer einbezogen worden sein sollten (vgl. BFH,<br />

Urteil vom 19. März 2009 - V R 50/07, BStBl II 2010, 78; BFH, Urteil vom 24. Januar 2008 - V R 42/05, BStBl II<br />

2008, 697; BFH, Urteil vom 18. Juli 2001 - V B 30/01 - BFH/NV 2001, 1617; BFH, Urteil vom 20. Juni 1994 - V B<br />

12/94, BFH/NV 1995, 456; BFH, Urteil vom 15. Oktober 1992 - V R 17/89, BFH/NV 1994, 198; BFH, Urteil vom<br />

10. September 1992 - V R 99/88, BStBl II 1993, 316).<br />

b) Der Einwand der Revision, der Angeklagte hätte im Falle pflichtgemäßer Abgabe einer Einkommensteuererklärung<br />

die von ihm gemeinsam mit seiner Ehefrau gewählte getrennte Veranlagung widerrufen können, mit der Folge,<br />

dass der ihm strafrechtlich zur Last liegende Steuerhinterziehungserfolg geringer ist, als die Strafkammer ausgehend<br />

von getrennter Veranlagung errechnet hat, greift nicht. Denn es wäre rechtsfehlerhaft, im Falle einer durch Unterlassen<br />

begangenen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) hypothetisches Verhalten eines Dritten (hier die notwendige<br />

Mitwirkung der Ehefrau des Angeklagten an einer Änderung der Veranlagungswahl) für die Bestimmung<br />

des durch das Unterlassen bewirkten Taterfolges zu berücksichtigen. Zwar gesteht § 26 EStG jedem Ehegatten seine<br />

eigene Wahl der Veranlagungsart zu. Ehegatten können aber nur einheitlich - entweder zusammen oder getrennt -<br />

veranlagt werden (vgl. BFH, Urteil vom 21. September 2006 - VI R 80/04, BStBl II 2007, 11), so dass der Angeklagte,<br />

wollte er die bereits getroffene Wahl seiner Ehefrau anfechten, deren Mitwirkung bedurft hätte (vgl. R 26 Abs. 3<br />

S. 2 EStR). Ein Fall, in dem die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esfinanzhofs die Verweigerung des anderen Ehegatten zur<br />

Zusammenveranlagung als unbeachtlich angenommen hat (vgl. BFH, Urteil vom 3. Februar 1987 - IX R 255/84,<br />

BFH/NV 1987, 751), liegt nicht vor.<br />

c) Hinsichtlich der im Eigentum der Ehefrau des Angeklagten stehenden Gr<strong>und</strong>stücke, die für diese zu Verlusten aus<br />

Vermietung <strong>und</strong> Verpachtung führten, bestehen entgegen dem Revisionsvorbringen keine Anhaltspunkte für das<br />

Vorliegen der Voraussetzungen eines Treuhandverhältnisses i.S.d. § 39 Abs. 2 AO (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss<br />

vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, NJW 2005, 300), so dass es weiterer Erörterungen, ob ein derartiges Treuhandverhältnis<br />

hier missbräuchlich i.S.d. § 42 AO wäre, nicht bedarf.<br />

2. Soweit das Landgericht im Fall 6 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum<br />

2002) die geschuldete Einkommensteuer anhand des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben<br />

(§ 4 Abs. 3 EStG) bestimmt <strong>und</strong> dabei jeweils die um eine angenommene Umsatzsteuer verminderten<br />

Nettobeträge zugr<strong>und</strong>e gelegt hat, beschwert dies den Angeklagten nicht. Nach dem für die Gewinnermittlung insoweit<br />

maßgeblichen Zu- <strong>und</strong> Abflussprinzip (§ 11 EStG) sind jeweils die Bruttobeträge anzusetzen. Als Betriebsausgabe<br />

kann nicht schon eine geschuldete, sondern nur die im betreffenden Veranlagungszeitraum tatsächlich gezahlte<br />

Umsatzsteuer berücksichtigt werden.<br />

355


AO § 370 Versuchte Steuerhinterziehung, besonders schwerer Fall<br />

BGH, Beschl. v. 28.07.2010 – 1 StR 332/10 wistra 2010, 449<br />

Der Umstand, dass ebenso wie das Gr<strong>und</strong>delikt des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch das Regelbeispiel<br />

des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nur versucht worden ist, steht einer Anwendung des § 370 Abs. 3<br />

AO nicht entgegen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 28. Juli 2010 beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 12. März 2010 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum<br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels<br />

zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Im Fall II.2 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten rechtsfehlerfrei<br />

wegen versuchter Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung verurteilt. Auch die Strafrahmenwahl<br />

für diesen Fall, bei der das Landgericht die Strafe dem gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemilderten<br />

Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO entnommen hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.<br />

a) Dem liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Der Angeklagte ließ beim Finanzamt Köln für die D. GbR betreffend<br />

den Monat Juni 2008 eine unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung einreichen. Darin wurde zu Unrecht ein Vorsteuerbetrag<br />

in Höhe von mehr als 534.000 Euro aus gefälschten Rechnungen der Firma E., denen in Wirklichkeit keine<br />

Leistungen zugr<strong>und</strong>e lagen, geltend gemacht. Das Finanzamt, das Zweifel an der Richtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldung<br />

hatte, zahlte die geltend gemachten Vorsteuern nicht als Erstattungsbetrag aus, sondern leitete eine Umsatzsteuersonderprüfung<br />

ein.<br />

b) Auch wenn der Angeklagte hier nicht i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO „in großem Ausmaß Steuern verkürzt<br />

oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat“, weil eine Auszahlung des geltend gemachten Erstattungsbetrages<br />

vom Finanzamt verweigert worden war (vgl. § 168 Satz 2 AO), durfte das Landgericht die Strafe dennoch dem<br />

gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO entnehmen. Denn die<br />

Geltendmachung des un-berechtigten Vorsteuerbetrages von mehr als 534.000 Euro zielte auf einen nicht gerechtfertigten<br />

Steuervorteil in großem Ausmaß i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO ab (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember<br />

2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 84 ff.). Der Umstand, dass ebenso wie das Gr<strong>und</strong>delikt des § 370 Abs. 1 Nr. 1<br />

AO auch das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nur versucht worden ist, steht dem nicht entgegen (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 18. November 1985 - 3 StR 291/85, BGHSt 33, 370; glA Joecks in Franzen/ Gast/Joecks,<br />

Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 Rn. 276; Fischer, <strong>StGB</strong> 57. Aufl. § 46 Rn. 101). Für den Eintritt der Regelwirkung der<br />

Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 AO kann es bei der versuchten<br />

Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO) nur darauf ankommen, ob der Täter nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung<br />

des Regelbeispiels bereits unmittelbar angesetzt hat. Denn bei der versuchten Steuerhinterziehung ist auch für<br />

die Indizwirkung der Regelbeispiele auf die subjektive Tatseite abzustellen. Dabei sind bei der Bestimmung des für<br />

den strafbaren Deliktsversuch geltenden Strafrahmens die Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung im<br />

Ergebnis wie ein Tatbestandsmerkmal zu behandeln, weil sie einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts<strong>und</strong><br />

Schuldgehalt typisieren (BGHSt 33, 370, 374). Ist der Schuldgehalt der versuchten Tat geringer, kommt auch für<br />

den Strafrahmen des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO) die Strafrahmenverschiebung<br />

des § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> in Betracht. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus einem<br />

Vergleich mit dem Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Var. 1 <strong>StGB</strong>, für das der B<strong>und</strong>esgerichtshof annimmt,<br />

dass ein bloßer Betrugsversuch die Voraussetzungen des Regelbeispiels des „Herbeiführens eines Vermögensverlustes<br />

großen Ausmaßes“ nicht erfüllen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2006 - 2 StR 388/06, BGHR §<br />

263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Vermögensverlust 6; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - 4 StR 428/06, wistra 2007, 183;<br />

BGH, Beschluss vom 24. März 2009 - 3 StR 598/08, NStZ-RR 2009, 206, 207). Denn der dort vom Gesetzgeber<br />

verwendete Begriff des Vermögensverlustes ist nach dem Wortsinn enger zu verstehen als die in anderem Zusammenhang<br />

verwendeten Begriffe des Vermögensschadens oder -nachteils <strong>und</strong> verbietet daher eine Ausdehnung auf<br />

bloße Gefährdungsschäden (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 StR 212/03, BGHSt 48, 354, 358 f.). Dies<br />

rechtfertigt, die im bloßen Ansetzen, einen Vermögensverlust herbeizuführen, liegende Gefährdung auch bei Versuchstaten<br />

für die Regelwirkung nicht ausreichen zu lassen. Zutreffend hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt darauf hingewiesen,<br />

dass im Gegensatz hierzu § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO ausdrücklich Bezug nimmt auf den Begriff der Steuerverkürzung<br />

<strong>und</strong> damit auf die Legaldefinition in § 370 Abs. 4 Satz 1 AO. Von dieser Definition werden auch Ver-<br />

356


mögensgefährdungen bei verspäteter oder zu niedriger Festsetzung erfasst (vgl. BGHSt 53, 71, 85 Rn. 39; Joecks<br />

aaO § 370 AO Rn. 51). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung, ob ein besonders schwerer Fall der<br />

Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 3 AO gegeben ist, hat das Landgericht ausdrücklich berücksichtigt, dass es<br />

letztlich nicht zu einer Tatvollendung gekommen ist. Dabei musste es hier nicht ausdrücklich erörtern, ob das Vorliegen<br />

des vertypten Milderungsgr<strong>und</strong>es des Versuchs (§ 23 Abs. 2 <strong>StGB</strong>) ausnahmsweise zum Entfallen der Regelwirkung<br />

führen konnte. Denn die vom Landgericht erwogenen Strafzumessungsgründe legen eine solche Möglichkeit<br />

nicht nahe. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Höhe des geltend gemachten Erstattungsbetrages<br />

<strong>und</strong> des Umstandes, dass die Auszahlung nur durch die besondere „Wachsamkeit“ des Finanzamtes verhindert wurde.<br />

Im Übrigen wäre - worauf der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend hinweist - die verhängte Strafe auch angemessen<br />

(vgl. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).<br />

AO § 370 Abs. 3, StPO § 267 Abs. 3 Satz 3 Großes Ausmaß, Begründungsanforderungen<br />

BGH Beschl. v. 05.05.2011 – 1 StR 116/11 - BeckRS 2011, 16114<br />

LS: Soweit dazu Anlass besteht, müssen die Urteilsgründe ergeben, ob Steuern in großem Ausmaß<br />

i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nach BGHSt 53, 71 (Betragsgrenzen 50.000 Euro bzw. 100.000<br />

Euro) verkürzt sind. Sie müssen auch ergeben, weshalb trotz des Vorliegens dieses Regelbeispiels<br />

ein besonders schwerer Fall des § 370 Abs. 3 AO nicht angenommen wird (Fortführung von BGH,<br />

Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71).<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. Oktober 2010 wird als unbegründet<br />

verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem<br />

Jahr <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die - zunächst<br />

allgemeine - Sachrüge gegründete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auch<br />

unter Berücksichtigung der Gegenerklärung des Angeklagten vom 23. März 2011 auf die Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

vom 28. Februar 2011 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs.<br />

2 StPO).<br />

I. Gr<strong>und</strong>lage der Verurteilung sind nicht zur Umsatzsteuer erklärte, durch Scheinrechnungen abgedeckte Schwarzein-<br />

<strong>und</strong> -verkäufe von Telefonkarten in der Zeit von Juli 2007 bis Oktober 2008. Dazu hatte der Angeklagte zwei<br />

Unternehmen gegründet, die er - weil er selbst über keine Arbeitserlaubnis verfügte - mit Hilfe von Strohleuten führte.<br />

Insgesamt hinterzog er Umsatzsteuern in Höhe von insgesamt 2.287.737 €. Bei den 16 Taten reichen die jeweiligen<br />

Hinterziehungsbeträge von 19.918 € bis zu 203.952 €. Bei 13 Taten liegt der Hinterziehungsbetrag über 100.000<br />

€, acht dieser Taten wurden nach dem 1. Januar 2008 begangen. Auch in diesen Fällen hat die Strafkammer der<br />

Strafzumessung den Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zugr<strong>und</strong>e gelegt <strong>und</strong> Einzelstrafen von acht Monaten bis zu<br />

einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten verhängt. Die Strafkammer hat nicht erörtert, ob der Angeklagte aus grobem Eigennutz<br />

handelte (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung) <strong>und</strong> - insbesondere -<br />

ob er bei den Taten nach dem 31. Dezember 2007 (gemäß der von da an geltenden Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2<br />

Nr. 1 AO) - Steuern in großem Ausmaß verkürzte.<br />

II. Die Strafzumessung ist, soweit es die nach dem 31. Dezember 2007 begangenen Taten betrifft, in mehrfacher<br />

Hinsicht - zugunsten des Angeklagten - rechtsfehlerhaft. Es liegt ein Begründungsmangel vor, weil die Strafkammer<br />

nicht geprüft hat, ob bei Hinterziehungsbeträgen ab 100.000 € das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ (§ 370<br />

Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) gegeben war. Aber selbst dann, wenn die Strafkammer richtigerweise das Regelbeispiel in<br />

diesen Fällen bejaht hätte, wäre die Nichtannahme eines besonders schweren Falles hier ein Wertungsfehler.<br />

Dadurch ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.<br />

1. Die Strafzumessung genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 267 Abs. 3 Satz 3 StPO.<br />

Nach dieser Bestimmung müssen die Urteilsgründe „auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen<br />

wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall<br />

vorliegt“. Zwei Prüfungsschritte sind danach erforderlich:<br />

a) Besteht Anlass, dass die im Straftatbestand aufgeführten Merkmale eines Regelbeispiels erfüllt sind, dann müssen<br />

die Urteilsgründe zunächst erkennen lassen, dass die rechtlichen Voraussetzungen des entsprechenden Merkmals<br />

357


geprüft wurden. Dieser erste Prüfungsschritt betrifft die Subsumtion unter ein gesetzliches Merkmal, die der vollen<br />

rechtlichen Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.<br />

b) Wird trotz Bejahung des Merkmals gleichwohl von der Regelwirkung abgesehen, so ist die Wahl des (milderen)<br />

Strafrahmens nachvollziehbar darzulegen. Dieser zweite Prüfungsschritt ist <strong>Teil</strong> der zuvorderst dem Tatrichter obliegenden<br />

Strafrahmenwahl, die nur eingeschränkt der revisionsgerichtlichen Prüfung zugänglich ist. Insoweit gilt nach<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs: Zwar kann die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere<br />

Strafzumessungsfaktoren kompensiert werden, doch müssen diese dann so schwer wiegen, dass die Anwendung des<br />

erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint. Ob dies so ist, kann der Strafrichter erst nach umfassender Abwägung<br />

aller Umstände entscheiden. Dabei dürfen jedenfalls die Umstände, welche das Regelbeispiel begründen,<br />

nicht unberücksichtigt bleiben; diese müssen vielmehr zunächst im Vordergr<strong>und</strong> der Abwägung stehen (BGH, Urteil<br />

vom 12. November 1996 - 1 StR 470/96; siehe auch Urteile vom 17. September 1997 - 2 StR 390/97; 9. August 2000<br />

- 3 StR 133/00; 11. September 2003 - 4 StR 193/03, NStZ 2004, 265; 31. März 2004 - 2 StR 482/03, NJW 2004,<br />

2394, 2395).<br />

c) Die Wahl des erhöhten Strafrahmens bedarf hingegen - gr<strong>und</strong>sätzlich - keiner weiteren Begründung, wenn das<br />

gesetzliche Merkmal des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles erfüllt ist. Denn dann besteht eine gesetzliche<br />

Vermutung für einen gegenüber dem Normaltatbestand erhöhten Unrechts- <strong>und</strong> Schuldgehalt (vgl. Schäfer/Sander/van<br />

Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 603 mwN).<br />

2. Das bedeutet für das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO:<br />

a) Der Senat hat mit Urteil vom 2. Dezember 2008 (1 StR 416/08, BGHSt 53, 71) das Merkmal „großes Ausmaß“<br />

ausgelegt <strong>und</strong> dafür folgende Betragsgrenzen bestimmt: Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörden<br />

pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen <strong>und</strong> führt das lediglich zu<br />

einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann ist das Merkmal bei einer Verkürzung in Höhe von 100.000 € erfüllt<br />

(Rn. 39, 41). Wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, liegt die Betragsgrenze bei<br />

50.000 € (Rn. 37).<br />

b) Diese Bestimmung der Betragsgrenzen durch den Senat hat der Gesetzgeber in den Beratungen zu dem Entwurf<br />

des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes (BT-Drucks. 17/4182 <strong>und</strong> 17/4802) aufgegriffen. In der Beschlussempfehlung<br />

<strong>und</strong> dem Bericht des Finanzausschusses des Deutschen B<strong>und</strong>estages (BT-Drucks. 17/5067 neu) ist zur Bestimmung<br />

der Betragsgrenze, ab welchem bei einer Selbstanzeige Straffreiheit nicht eintritt, unter Bezugnahme auf das Senatsurteil<br />

BGHSt 53, 71 ausgeführt (S. 21): „Die Betragshöhe orientiert sich an der Rechtsprechung des BGH zu dem<br />

Regelbeispiel des § 370 Ab-satz 3 Nummer 1 AO, wo das Merkmal großen Ausmaßes bei 50 000 Euro als erfüllt<br />

angesehen wird“. Damit hat der Gesetzgeber ersichtlich die Auslegung des Regelbeispiels durch den Senat gebilligt.<br />

c) Jedenfalls in den Fällen, bei denen durch die nach dem 31. Dezember 2007 begangenen Taten Steuern in Höhe<br />

von 100.000 € <strong>und</strong> darüber verkürzt wurden, hätte die Strafkammer deshalb die Voraussetzungen des Regelbeispiels<br />

des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 als erfüllt ansehen müssen. Zudem hätten die Feststellungen zum Zusammenwirken<br />

innerhalb der Tätergruppe Anlass geben können, auch das Regelbeispiel Nr. 5 des § 370 Abs. 3 Satz 2 AO (Handeln<br />

als Mitglied einer Bande zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterziehungen) zu prüfen.<br />

3. Indem die Strafkammer das Regelbeispiel nicht geprüft hat, hat es sich den Blick dafür verstellt, bei der Wahl des<br />

Strafrahmens zu erörtern, ob die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere - für den Angeklagten sprechende<br />

- Strafzumessungsfaktoren kompensiert wurde. Milderungsgründe, die so schwer wiegen könnten, dass die<br />

Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint, sind hier nicht in ausreichendem Maße dargetan.<br />

a) Nach der Bewertung der Strafkammer „werden die Steuerschäden durch die Tatsache relativiert, dass ein Großteil<br />

durch die Angeklagten sowie die Firma L. wieder gut gemacht worden“ ist. Die vom Angeklagten „hinterzogenen<br />

Umsatzsteuern wurden mittlerweile vollständig beglichen“. Es bleibt allerdings offen, woher die Geldmittel hierzu<br />

stammen. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten <strong>und</strong> zu seinem Gewinn (mitgeteilt<br />

wird von der Strafkammer ein Rohertrag von 2 %; die Summe der für den Tatzeitraum aufgeführten Einkäufe<br />

liegt allerdings über den Erlösen während dieser Zeit) aus dem inkriminierten Handel mit Telefonkarten erscheint es<br />

ohne nähere Darlegungen kaum nachvollziehbar, dass er selbst zur Schadenswiedergutmachung in der Lage war. Im<br />

Übrigen ändert die Bezahlung der geschuldeten hinterzogenen Steuern nichts an der Indizwirkung der Überschreitung<br />

der 100.000 €-Grenze für besonders schwere Fälle. Denn hierbei ist schon berücksichtigt, dass es lediglich zu<br />

einer Gefährdung des Steueranspruchs kommt (Senat aaO Rn. 39).<br />

b) Hier kommt indes erschwerend hinzu (vgl. Senat aaO Rn. 47), dass der Angeklagte besondere unternehmerische<br />

Strukturen aufgebaut hat, um seinen durchgehend steuerunehrlichen Handel zu betreiben, eingeb<strong>und</strong>en in das „Tarnsystem“<br />

eines grenzüberschreitenden, steuerunehrlichen Unternehmensgeflechts.<br />

358


c) Dass die Nichtannahme des besonders schweren Falles selbst bei Bejahung des Merkmals „großes Ausmaß“ ein<br />

Wertungsfehler wäre, zeigt sich auch daran, dass ohne nähere Differenzierung zwischen den Tatbeteiligten neben<br />

dem Angeklagten fünf weitere Personen - rechtskräftig - ebenfalls nur aus dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zu<br />

Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Zwei dieser Verurteilten hinterzogen - gemeinsam - sogar 4.797.032 € an<br />

Umsatzsteuern. Sie wurden jeweils zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung<br />

ausgesetzt wurde.<br />

4. Offen bleiben kann, ob - was freilich nahe liegt - ein weiterer Wertungsfehler darin liegt, dass sich sowohl die<br />

Einzelstrafen, wie auch die Gesamtstrafe erheblich nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich<br />

zu sein. Zur Bedeutung des Hinterziehungsbetrags für die Strafhöhenbemessung ist in der oben genannten<br />

Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen B<strong>und</strong>estages (BT-Drucks. 17/5067 neu, S. 21) ausgeführt:<br />

„Bei den Beratungen der geplanten Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerhinterziehung waren sich alle<br />

Fraktionen in der Bewertung einig, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt sei <strong>und</strong> entsprechend bekämpft<br />

werden müsse. Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU <strong>und</strong> FDP haben dabei betont … Eine Aussetzung der Freiheitsstrafe<br />

auf Bewährung bei Hinterziehung in Millionenhöhe sei nach einer Entscheidung des BGH nicht mehr<br />

möglich“.<br />

III. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

1. Bei der Staatsanwaltschaft - auch im Rahmen der Dienstaufsicht - hätte deshalb Anlass bestehen können zu prüfen,<br />

ob Handlungsbedarf gemäß Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 RiStBV besteht. Eine etwaige Verständigung gemäß § 257c<br />

StPO hätte dem nicht entgegengestanden. Denn auch dann darf das Ergebnis nicht unterhalb „der Grenze dessen<br />

liegen, was noch als schuldangemessene Sanktion hingenommen werden kann“ (BGH, Beschluss vom 3. März 2005<br />

- GSSt 1/04, BGHSt 50, 41, 50).<br />

2. Erörtert das Gericht vor Beginn der Hauptverhandlung mit den Beteiligten den Stand des Verfahrens, so ist der<br />

wesentliche Inhalt dieser Erörterung aktenk<strong>und</strong>ig zu machen (§§ 202a, 212 StPO). Über diese Gespräche hat der<br />

Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung auch zu berichten (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) <strong>und</strong> dies ins Protokoll<br />

aufzunehmen (§ 273 Abs. 1a Satz 2 StPO). In den Urteilsgründen ist mitzuteilen, wenn der Verurteilung eine Verständigung<br />

gemäß § 257c StPO zugr<strong>und</strong>e lag (§ 267 Abs. 3 Satz 5 StPO). Im Protokoll ist aber auch zu vermerken,<br />

wenn dem Urteil keine Verständigung vorausging (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Der Staatsanwalt ist gegebenenfalls<br />

gehalten, durch entsprechende Anregungen an das Gericht auf die Vermeidung von Protokollierungsfehlern oder -<br />

lücken hinzuwirken (vgl. Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 RiStBV).<br />

AO § 373 Einfuhrabgaben Kaffeesteuer<br />

BGH, Beschl. v. 18.01.2011 - 1 StR 561/10 - wistra 2011, 191<br />

Verbrauchsteuern wie die Kaffeesteuer zählen nur dann zu den Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO,<br />

wenn sie bei der unmittelbaren Einfuhr aus einem Drittland in das deutsche Steuergebiet entstehen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 18. Januar 2011 beschlossen:<br />

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 7. September<br />

2010, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 1. Juni 2010<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 106 Fällen schuldig ist, <strong>und</strong><br />

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gewerbsmäßiger Hinterziehung von Einfuhrabgaben“ in 106 Fällen<br />

unter Einbeziehung einer viermonatigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong><br />

materiellen Rechts rügt, hat den aus dem Tenor ersichtlichen <strong>Teil</strong>erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet<br />

i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.<br />

359


1. Dem Angeklagten ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gegen die Versäumung<br />

der Frist zur Begründung seiner Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Damit ist<br />

der Beschluss des Landgerichts vom 7. September 2010, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen<br />

worden ist, gegenstandslos.<br />

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen „gewerbsmäßiger Hinterziehung von Einfuhrabgaben“ hält rechtlicher<br />

Nachprüfung nicht stand. Allerdings tragen die Urteilsfeststellungen in allen Fällen eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung<br />

gemäß § 370 Abs. 1 AO. Da der Senat ausschließen kann, dass sich der Angeklagte gegen diesen Tatvorwurf<br />

anders als geschehen hätte verteidigen können, ändert er den Schuldspruch entsprechend ab.<br />

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen ließ der Angeklagte im Zeitraum von März 2003 bis<br />

Februar 2008 in 106 Fällen Röstkaffee, den er jeweils zuvor bei einer Firma in den Niederlanden bestellt hatte, von<br />

einer Spedition von den Niederlanden nach Deutschland transportieren <strong>und</strong> unmittelbar an Endk<strong>und</strong>en, die Kaffee<br />

bei ihm bestellt hatten, ausliefern. Eine Steueranmeldung für den in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

verbrachten Kaffee gab er jeweils nicht ab, obwohl er seine Erklärungspflichten kannte. Hierdurch wurden nach<br />

der Berechnung des Landgerichts mehr als 2,4 Mio. Euro an Kaffeesteuer verkürzt. Den Röstkaffee verkaufte der<br />

Angeklagte gewinnbringend weiter.<br />

b) Der Angeklagte hat sich deswegen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO<br />

schuldig gemacht. Er ließ die zuständigen Hauptzollämter (Finanzbehörden, § 6 Abs. 2 Nr. 5 AO) über steuerlich<br />

erhebliche Tatsachen in Unkenntnis, indem er es als Bezieher i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 2 KaffeeStG aF unterließ, für<br />

den jeweils auf seine Veranlassung durch Spediteure aus den Niederlanden nach Deutschland verbrachten Röstkaffee<br />

unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben (vgl. § 11 Abs. 4 Satz 1 KaffeeStG aF). Die Kaffeesteuer war jeweils<br />

dadurch entstanden, dass er den Kaffee, den er aus dem zollrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates<br />

der Europäischen Union bezog, durch die von ihm beauftragten Spediteure dort in Empfang nehmen <strong>und</strong> von diesen<br />

in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland verbringen ließ (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 KaffeeStG aF). Die entstandene<br />

Steuer wurde hierdurch jeweils verkürzt, weil die Hauptzollämter die Kaffeesteuer, von deren Entstehung<br />

sie keine Kenntnis hatten, nicht festsetzen konnten. Die Voraussetzungen eines Versandhandels i.S.v. § 12 KaffeeStG<br />

aF lagen nicht vor, weil der Angeklagte den Kaffeehandel von Deutschland aus betrieb (vgl. BFH, Beschluss<br />

vom 24. November 2009 - VII B 223/08, ZfZ 2010, 136).<br />

c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllte der Angeklagte demgegenüber den Qualifikationstatbestand<br />

des gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß § 373 Abs. 1 AO nicht. Dieser Tatbestand setzt die gewerbsmäßige Hinterziehung<br />

von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben voraus. Bei den verkürzten Steuern handelte es sich jedoch nicht um<br />

solche Abgaben. Verbrauchsteuern wie die Kaffeesteuer zählen nur dann zu den Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO,<br />

wenn sie bei der unmittelbaren Einfuhr aus einem Drittland in das deutsche Steuergebiet entstehen (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1; BGH, Ur-teil vom 14. März 2007<br />

- 5 StR 461/06, NStZ 2007, 592, 594; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 225 <strong>und</strong><br />

§ 373 Rn. 6 ff. sowie in Klein, AO, 10. Aufl., § 373 Rn. 25). Hierzu hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend ausgeführt:<br />

Der Begriff der Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO „setzt nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs einen<br />

Einfuhrvorgang voraus. Einfuhr ist aber nur das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das<br />

Gebiet der Europäischen Gemeinschaft, nicht jedoch das Verbringen der Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen<br />

Zollverfahrens) von einem Mitgliedstaat in den anderen (BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1). Verbrauchsteuern auf<br />

Erzeugnisse aus Mitgliedstaaten der EG werden daher von § 373 AO nicht erfasst, soweit auf sie - wie vorliegend -<br />

die zollrechtlichen Vorschriften keine Anwendung finden (vgl. § 11 KaffeeStG einer- <strong>und</strong> § 13 KaffeeStG andererseits).“<br />

3. Die vom Landgericht verhängten Strafen können keinen Bestand haben. Zwar ist der Umstand, dass der Angeklagte<br />

- wie das Landgericht rechts-fehlerfrei festgestellt hat - gewerbsmäßig handelte, auch bei der Steuerhinterziehung<br />

gemäß § 370 Abs. 1 AO zu berücksichtigen. Es liegt deshalb nahe, dass das Landgericht dieselben Strafen verhängt<br />

hätte, wenn es vom Gr<strong>und</strong>tatbestand des § 370 AO ausgegangen wäre, zumal sich im Tatzeitraum der Fälle 1 bis 101<br />

die Obergrenze des Strafrahmens des § 373 AO mit der des § 370 Abs. 1 AO deckte. Im Hinblick darauf, dass das<br />

Landgericht in einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle lediglich das erhöhte Mindestmaß von drei Monaten Freiheitsstrafe<br />

aus dem Strafrahmen des § 373 AO als Einzelstrafe festgesetzt hat, kann der Senat jedoch letztlich nicht<br />

ausschließen, dass das Landgericht niedrigere Einzelstrafen verhängt hätte, wenn es vom zutreffenden Strafrahmen<br />

ausgegangen wäre, der kein erhöhtes Mindestmaß enthält. Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich der vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

aufgezeigte Rechtsfehler bei der Strafbemessung bei der Fallgruppe mit Verkürzungsbeträgen bis<br />

5.000 Euro auch auf die nach Hinterziehungsbeträgen gestaffelten Einzelstrafen im Übrigen ausgewirkt haben.<br />

360


4. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.<br />

BtMG § 29 Einfuhr von BtM auf Postweg<br />

BGH, Beschl. v. 15.02.2011 – 1 StR 676/10 – BeckRS 2011, 12151<br />

LS: Die Einfuhr von Betäubungsmitteln auf dem Postweg ist nicht vollendet, wenn die Betäubungsmittel<br />

bei einer Zollkontrolle im Ausland entdeckt <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> einer Absprache der ausländischen<br />

<strong>und</strong> der deutschen Zollbehörden im Wege eines bewachten Weitertransports nach Deutschland<br />

gebracht werden; insoweit kommt jedoch eine Strafbarkeit wegen einer versuchten Einfuhr -<br />

ggf. in Tateinheit mit vollendetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln - in Betracht.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 15. Februar 2011 beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten W. <strong>und</strong> N. wird das Urteil des Landgerichts München II vom 25. Mai 2010,<br />

auch soweit es den Mitangeklagten A. betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten der versuchten<br />

unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig sind.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten W. <strong>und</strong> N. werden verworfen.<br />

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

I.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Die Angeklagten W. <strong>und</strong> N. sowie der nicht revidierende<br />

Mitangeklagte A. bestellten eine zum Weiterverkauf bestimmte Menge von 567 Gramm reinem Kokain bei unbekannten<br />

Drogenhändlern in Venezuela. Das Betäubungsmittel wurde entsprechend dem gemeinsamen Tat-plan dort<br />

in eine Wanduhr eingearbeitet. Anschließend wurde diese bei der Post aufgegeben <strong>und</strong> per Luftfracht nach Deutschland<br />

abgesandt. Als Empfängerin war die bei München wohnhafte Mutter des Angeklagten W. angegeben. Bei einer<br />

Kontrolle auf dem Flughafen in London wurde das in die Wanduhr eingearbeitete Betäubungsmittel von britischen<br />

Zollbeamten entdeckt. Diese kontaktierten daraufhin die zuständigen deutschen Zollbehörden <strong>und</strong> verständigten sich<br />

mit diesen auf einen bewachten Weitertransport der Wanduhr nach Deutschland. Zu diesem Zweck wurde das die<br />

Uhr enthaltende Paket versiegelt <strong>und</strong> in die persönliche Obhut des Kapitäns des am 8. Juli 2008 nach München fliegenden<br />

Flugzeugs der British Airways gegeben. Nach der Ankunft in München übergab der Flugkapitän das versiegelte<br />

Paket sofort an die darauf wartenden Zollbeamten, von denen die Wanduhr mit dem Betäubungsmittel sogleich<br />

beschlagnahmt wurde. Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurde an die Mutter des Angeklagten W. lediglich eine<br />

Kopie der Uhr ausgeliefert, die kein Betäubungsmittel enthielt.<br />

2. Das Landgericht hat die Angeklagten auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Feststellungen wegen (vollendeter) unerlaubter<br />

Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von vier (A.), sechs (N.) <strong>und</strong> acht Jahren (W.) verurteilt. Die auf die<br />

Sachrüge <strong>und</strong> auf Verfahrensrügen gestützten Revisionen der Angeklagten W. <strong>und</strong> N. führen zu der aus dem Tenor<br />

ersichtlichen Abänderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen bleiben sie aus den in den Antragsschriften<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

II. Soweit das Landgericht die Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§<br />

29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) verurteilt hat, lässt dies einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die tateinheitliche<br />

Verurteilung wegen vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) hält dagegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />

1. Entgegen der von der Revision des Angeklagten W. vorgetragenen Auffassung ist es jedoch rechtlich nicht zu<br />

beanstanden, dass das Landgericht sowohl hinsichtlich des Tatbestandes des Handeltreibens als auch hinsichtlich der<br />

Einfuhr von einer Mittäterschaft der Angeklagten gemäß § 25 Abs. 2 <strong>StGB</strong> ausgegangen ist. Der Tatbestand der<br />

Einfuhr von Betäubungsmitteln verlangt kein eigenhändiges Verbringen des Rauschgifts nach Deutschland. Mittäter<br />

kann daher auch derjenige sein, der sich die Betäubungsmittel aus dem Ausland mit der Post schicken lässt (st. Rspr.;<br />

vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1988 - 1 StR 614/87, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 8; Weber, BtMG, 2.<br />

Aufl., § 29 Rn. 517 mwN). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Täter nicht nur fremdes Tun fördern will. Sein<br />

Tatbeitrag muss vielmehr <strong>Teil</strong> einer gemeinschaftlichen, auf die gemeinsame Herbeiführung des Taterfolgs gerichte-<br />

361


ten Tätigkeit sein. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von seinem eigenen Erfolgsinteresse, vom Umfang seiner<br />

Tatbeteiligung, von seiner Tatherrschaft oder von seinem Willen zur Tatherrschaft ab (BGH, Beschluss vom 11. Juli<br />

1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 34; BGH, Urteil vom 21. März 1991 - 1 StR 19/91, BGHR BtMG § 29 Abs. 1<br />

Nr. 1 Einfuhr 20 mwN). Gemessen an diesen Maßstäben ist das Landgericht zu Recht von einer Mittäterschaft der<br />

Angeklagten ausgegangen. Das Landgericht hat seine Bewertung als mittäterschaftliche Begehungsweise auf den<br />

gemeinsamen Tatplan der Angeklagten gestützt. Diese hatten die Bestellung des Kokains in Venezuela, dessen Einarbeitung<br />

in eine Wanduhr <strong>und</strong> deren anschließenden Versand an die in der Nähe von München lebende Mutter des<br />

Angeklagten W. - die als pensionierte Gymnasiallehrerin <strong>und</strong> Sammlerin antiker Wanduhren in den Augen der Angeklagten<br />

nach außen hin unverdächtig erschien - zusammen abgesprochen. Nach dem gemeinsamen Tatplan sollte<br />

der Angeklagte W. die Wanduhr bei seiner Mutter in Empfang nehmen. Der Angeklagte A. hatte danach die Aufgabe,<br />

das in das Holz der Wanduhr eingearbeitete Kokain zurück zu gewinnen. Dem Angeklagten N. oblag es, die zur<br />

Finanzierung des Kokainankaufs erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Das Landgericht hat weiter<br />

darauf abgestellt, dass sich alle drei Angeklagten aus dem Erlös des Kokains erhebliche finanzielle Gewinne versprachen.<br />

Angesichts dieser Umstände lässt die Bewertung des Landgerichts, wonach die Angeklagten als Mittäter<br />

handelten, keinen Rechtsfehler erkennen.<br />

2. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Landgerichts, dass die Betäubungsmitteleinfuhr gemäß § 29 Abs.<br />

1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG vorliegend vollendet gewesen sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshofs muss der in verschiedenen Gesetzen <strong>und</strong> Verordnungen nicht einheitlich verwendete Begriff der<br />

„Einfuhr“ jeweils nach seinem speziellen Sinn <strong>und</strong> Zweck ausgelegt werden. Im Betäubungsmittelstrafrecht ist dies<br />

der Schutz der inländischen Bevölkerung vor den Gefahren der Drogensucht (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986<br />

- 2 StR 335/86, BGHSt 34, 180, 181; vgl. allgemein auch Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., §<br />

372 AO Rn. 9 ff.). Einfuhr i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bedeutet danach das Verbringen<br />

eines Betäubungsmittels aus dem Ausland über die Grenze in das Hoheitsgebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland.<br />

Vollendung tritt daher gr<strong>und</strong>sätzlich in dem Moment ein, in dem das Betäubungsmittel diese Grenze passiert (st.<br />

Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986 - 2 StR 335/86, aaO; BGH, Urteil vom 22. Februar 1983 - 5 StR<br />

877/82, BGHSt 31, 252, 254). Nach den Feststellungen hat das von den Angeklagten in Venezuela bestellte Kokain,<br />

das auf ihre Veranlassung hin in eine Wanduhr eingearbeitet <strong>und</strong> anschließend mit der Post versandt wurde, zwar die<br />

deutsche Grenze passiert. Dieser „Taterfolg“ i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG kann den Angeklagten<br />

entgegen der Auffassung des Landgerichts vorliegend jedoch nicht zugerechnet werden, da die bewachte<br />

Weiterleitung des Kokains nach dessen Entdeckung in London durch die britischen Zollbehörden eine wesentliche,<br />

nicht mehr vom Vorsatz der Angeklagten umfasste Abweichung im Kausalverlauf darstellt.<br />

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs liegt eine wesentliche, den Vorsatz ausschließende<br />

Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf vor, wenn diese sich nicht mehr in den Grenzen des<br />

nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> eines insoweit veränderten Unrechtsgehalts<br />

eine andere rechtliche Bewertung der Tat erfordert (BGH, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38,<br />

32, 34; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 37; jew. mwN). Eine solche<br />

wesentliche, für die rechtliche Bewertung einer Tat bedeutsame Abweichung im Kausalverlauf hat der Senat etwa in<br />

einem Fall angenommen, in dem die Betäubungsmittel einem Drogenkurier vor der geplanten Einfuhr im Ausland<br />

gestohlen <strong>und</strong> von dem Dieb selbst anschließend nach Deutschland eingeführt wurden; der unbemerkte Verlust der<br />

Herrschaft über die Betäubungsmittel durch die Wegnahme unterbrach die von dem Auftraggeber des Drogentransports<br />

<strong>und</strong> dem Kurier in Lauf gesetzte <strong>und</strong> begründete eine völlig neue, unabhängige Kausalkette (BGH, Beschluss<br />

vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, aaO).<br />

b) Auch im vorliegenden Fall liegt eine wesentliche Abweichung zwischen dem von den Angeklagten bei der Tatplanung<br />

vorgestellten <strong>und</strong> dem tatsächlich eingetretenen Kausalverlauf vor.<br />

aa) Das Landgericht hat zwar eine solche Abweichung mit dem Argument verneint, dass das in die Wanduhr eingearbeitete<br />

Kokain auch nach der Entdeckung durch die britischen Zollbehörden auf dem von den Angeklagten vorgesehenen<br />

Weg, nämlich per Luftfracht, Deutschland erreichte. Hierbei hat es aber nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt,<br />

dass die von den Angeklagten geplante Einfuhr zu diesem Zeitpunkt schon längst gescheitert war. Der<br />

Weitertransport des Kokains nach Deutschland nach dessen Entdeckung beruhte nicht mehr auf dem Tatplan der<br />

Angeklagten, sondern auf einer einvernehmlichen Entscheidung der deutschen <strong>und</strong> britischen Zollbehörden, die<br />

allein aus ermittlungstaktischen Gründen zur Überführung der Angeklagten getroffen wurde. Hierdurch wurde eine<br />

neue, von dem ursprünglichen Tatentschluss un-abhängige Kausalkette in Gang gesetzt. Das Kokain wurde entsprechend<br />

der von den Zollbehörden getroffenen Verständigung im Rahmen eines bewachten Weitertransports nach<br />

Deutschland verbracht. Es befand sich in einem versiegelten Paket in der persönlichen Obhut des Flugkapitäns, der<br />

362


es nach der Ankunft in München sofort den deutschen Zollbehörden übergab. Damit war es, wie bei einer Übernahme<br />

des Weitertransports durch Polizeibeamte, jeglichem Einfluss der Angeklagten entzogen, <strong>und</strong> es bestand angesichts<br />

der getroffenen Sicherheitsvorkehrungen - anders als bei illegalen Drogentransporten, die von der Polizei<br />

lediglich observiert werden - nicht einmal die abstrakte Gefahr, dass die Betäubungsmittel in die Hände von Unbefugten<br />

gelangen könnten <strong>und</strong> entgegen den Bestrebungen der Ermittlungsbehörden doch noch in den Verkehr gebracht<br />

werden. So wurde das Kokain bereits unmittelbar nach dessen Eintreffen in Deutschland den deutschen Zollbehörden<br />

übergeben. Die das Kokain enthaltende Wanduhr wurde gegen ein Imitat ausgetauscht <strong>und</strong> dieses wurde an<br />

die Empfangsadresse weitergeleitet. Das Vorgehen der Behörden entsprach hier eindeutig nicht dem Willen der<br />

Angeklagten. Diese haben gerade nicht gewollt, dass das Betäubungsmittel nach dessen Entdeckung im Ausland<br />

auch noch nach Deutschland gebracht wird, um auf diese Weise eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen einer vollendeten<br />

Einfuhr zu begründen. Die vorliegende Fallkonstellation ist damit vergleichbar mit der Übermittlung von im<br />

Ausland beschlagnahmten <strong>und</strong> asservierten Betäubungsmitteln im Wege der Rechtshilfe (vgl. hierzu Körner, BtMG,<br />

6. Aufl., § 29 Rn. 982 mwN <strong>und</strong> Rn. 993). Auch hierbei wäre durch die - erst im Lauf eines Strafverfahrens getroffene<br />

- Entscheidung der an der Rechtshilfe beteiligten Behörden, die Betäubungsmittel nach Deutschland zu schicken,<br />

um sie in ein hiesiges Strafverfahren einführen zu können, ein von dem Tatentschluss der Tatbeteiligten unabhängiger<br />

Geschehensablauf in Gang gesetzt worden. Ein solcher Geschehensablauf wäre den Tatbeteiligten ebenfalls<br />

nicht zurechenbar, zumal diese beim Eintreffen der Betäubungsmittel in Deutschland bereits strafprozessualen<br />

Maßnahmen, wie z.B. Untersuchungshaft, ausgesetzt sein dürften.<br />

bb) Im vorliegenden Fall liegt der von dem Tatentschluss der Angeklagten unabhängige Geschehensablauf nicht<br />

mehr in den Grenzen des nach all-gemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren. Zwar waren sich die Angeklagten bei<br />

der Tatplanung des Risikos einer Entdeckung des Drogentransports bewusst; insoweit hatten sie Vorsichtsmaßnahmen<br />

getroffen, um dieses zu minimieren, indem sie etwa die Mutter des Angeklagten W. als Empfängerin der Paketsendung<br />

einsetzten. Sie mussten aber nicht davon ausgehen, dass das Kokain nach einer Entdeckung in London noch<br />

nach Deutschland weitertransportiert wird. Die das Kokain enthaltende Wanduhr hätte vielmehr schon durch die<br />

britischen Behörden beschlagnahmt <strong>und</strong> durch ein Imitat ersetzt werden können - wie dies tatsächlich dann auch in<br />

Deutschland geschehen ist -, ohne die Überführung der Angeklagten im Empfangsland zu gefährden; die Übermittlung<br />

der auf diese Weise im Ausland gewonnenen Beweismittel hätte auch im Wege der Rechtshilfe erfolgen können<br />

(vgl. Körner aaO). Welchen Weg die zu-ständigen Behörden letztlich wählen, um die Beteiligten einer Betäubungsmitteleinfuhr<br />

zu überführen, obliegt im Einzelfall allein ermittlungstaktischen Erwägungen <strong>und</strong> ist jedenfalls vorliegend<br />

- auch für die Angeklagten - nicht voraussehbar gewesen.<br />

cc) Nicht vergleichbar ist der vorliegende Fall mit den Konstellationen, in denen die Strafverfolgungsbehörden etwa<br />

schon im Vorfeld Kenntnis von einer geplanten Betäubungsmitteleinfuhr erlangt <strong>und</strong> diese, ohne in den Tatablauf<br />

einzugreifen, lediglich überwacht haben. Wie in den Fällen, in denen von den Tatbeteiligten unerkannt ein V-Mann<br />

der Polizei als Betäubungsmittelkurier eingesetzt wird, der das Rauschgift einführt <strong>und</strong> es anschließend seiner Polizeidienststelle<br />

übergibt, entspricht die Durchführung des Transports auch hier den Vorstellungen der Beteiligten. Die<br />

bloße Überwachung durch die Polizei stellt daher keine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten<br />

Geschehensablauf dar. Insoweit mangelt es an einem Eingriff der Behörden, der eine eigenständige Kausalkette in<br />

Gang setzt.<br />

dd) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Urteil des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 1. Oktober 1986 - 2<br />

StR 335/86 (BGHSt 34, 180), da in diesem Fall die in einem Paket aus Afrika befindlichen Betäubungsmittel erst bei<br />

einer Zollkontrolle in Deutschland entdeckt wurden <strong>und</strong> damit der Tatbestand der Einfuhr gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1,<br />

§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG unzweifelhaft bereits vollendet war.<br />

3. Der Schuldspruch wegen (vollendeter) Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist daher rechtsfehlerhaft.<br />

Die Tat stellt sich auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen lediglich als ein (fehlgeschlagener)<br />

Versuch der Betäubungsmitteleinfuhr dar. Der Schuldspruch war dementsprechend abzuändern. § 265 StPO steht<br />

dem nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Angeklagten gegenüber dem geänderten Schuldvorwurf<br />

anders als geschehen hätten verteidigen können.<br />

4. Die Strafaussprüche bleiben trotz der Schuldspruchänderung bestehen. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang<br />

nicht zu entscheiden, ob hier überhaupt eine fakultative Strafrahmenmilderung wegen Versuchs nach § 23 Abs.<br />

2, § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> in Betracht gekommen wäre, was bereits angesichts des Umstandes, dass die Tatvollendung nur<br />

durch Zufall verhindert werden konnte, eher fern liegend erscheint. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung den<br />

von den Angeklagten tateinheitlich verwirklichten Verbrechenstatbestand des (vollendeten) Handeltreibens gem. §<br />

29a Abs. 1 BtMG berücksichtigt. Daneben hat es seine Strafzumessungserwägungen auf das Tatbild <strong>und</strong> dabei insbesondere<br />

auf die Art, Menge <strong>und</strong> Qualität des verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittels sowie auf die professio-<br />

363


nelle Vorgehensweise der Angeklagten gestützt, ohne sich an einer Strafrahmenober- oder Strafrahmenuntergrenze<br />

zu orientieren. Angesichts dieser Umstände kann der Senat sicher ausschließen, dass die Schuldspruchänderung<br />

selbst bei Zugr<strong>und</strong>elegung eines veränderten Strafrahmens (§ 29a Abs. 1 BtMG anstelle von § 30 Abs. 1 BtMG)<br />

Einfluss auf die erkannten Strafen gehabt hätte.<br />

5. Gemäß § 357 StPO war die Berichtigung des Schuldspruchs auch auf den früheren Mitangeklagten A. zu erstrecken.<br />

Auch bei ihm bleibt aus den dargelegten Gründen der Strafausspruch bestehen.<br />

6. Der nur geringfügige Erfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Beschwerdeführer von den durch ihre<br />

Rechtsmittel entstandenen Kosten <strong>und</strong> Auslagen auch nur teilweise freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz von BtM<br />

BGH, Beschl. v. 10.06.2010 – 2 StR 246/10 - StV 2010, 683<br />

Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein<br />

tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen <strong>und</strong> Besitzbewusstsein voraus, die darauf<br />

gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Marburg (Lahn) vom 22. Februar 2010 wird,<br />

soweit es ihn betrifft,<br />

a) der Schuldspruch im Fall 1 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln schuldig ist,<br />

b) der Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 1 der Urteilsgründe <strong>und</strong> über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten C. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit<br />

mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zur Einfuhr<br />

von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Gegen<br />

dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kaufte der nicht revidierende Mitangeklagte Johann F. zu Beginn des<br />

Jahres 2009 4000 XTC-Tabletten. Einen <strong>Teil</strong> der Tabletten erhielt der Angeklagte zur eigenen Verwendung. Er bewahrte<br />

sie in seinem Schlafzimmerschrank auf, wo bei einer Durchsuchung am 27. August 2009 353 Tabletten sichergestellt<br />

wurden. F. bewahrte seine Tabletten in einem Tresor auf, den er gemeinsam mit dem Angeklagten in<br />

einer Scheune auf dem Wohnanwesen des Angeklagten an einem Balken festgeschraubt hatte. Der Angeklagte ging<br />

davon aus, dass F. in dem Tresor Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf lagern werde. Den<br />

Schlüssel zu dem Tresor trug F. gr<strong>und</strong>sätzlich bei sich. An einem Tag zwischen der Übergabe der Tabletten <strong>und</strong> dem<br />

27. August 2009 händigte F. dem Angeklagten den Tresorschlüssel aus mit dem Auftrag, dort befindliches Geld zu<br />

holen. Der An-geklagte führte den Auftrag aus; dabei sah er in dem Tresor auch zwei Päckchen mit den XTC-<br />

Tabletten. Die bei der Durchsuchung am 27. August 2009 sichergestellten mindestens 2.684 XTC-Tabletten hatten<br />

einen Wirkstoffgehalt von insgesamt 40,2 g meta-Chlorphenyl-piperazin (m-CPP).<br />

2. Der Schuldspruch wegen Besitzes an den im Tresor aufbewahrten XTC-Tabletten hält auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen<br />

Feststellungen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />

setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen <strong>und</strong> Besitzbewusstsein<br />

voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel<br />

zu erhalten (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 54, 55; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 2, 4 m.w.N.;<br />

BGHSt 26, 117; 27, 380, 381; Weber, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 1170 ff.; Franke/Wienroeder, BtMG 3. Aufl. § 29<br />

Rdn. 133). Be-sitzer im betäubungsrechtlichen Sinne ist zwar nicht nur der Eigenbesitzer. Auch der Fremdbesitzer,<br />

der die tatsächliche Verfügungsgewalt für einen anderen ausübt <strong>und</strong> keine eigene Verfügungsgewalt in Anspruch<br />

364


nehmen will, ist Besitzer (vgl. Weber aaO Rdn. 1180; Franke/Wienroeder aaO Rdn. 135 jew. m.w.N.). Aber auch<br />

wenn man hiervon ausgeht, ist für den Angeklagten tatbestandsmäßiger Besitz an den XTC-Tabletten, die F. in dem<br />

Tresor aufbewahrte, nicht festgestellt. Der Angeklagte war nicht Verwahrer, er hatte keinen Tresorschlüssel. Er hat<br />

den Schlüssel nur einmal ausgehändigt bekommen, um für F. Geld aus dem Tresor zu holen. Die Feststellungen<br />

ergeben nicht, dass der Angeklagte beim Öffnen des Tresors auch einen Besitzwillen hinsichtlich der Betäubungsmittel<br />

gehabt hat. Dass er die Tabletten in dem Tresor hat liegen sehen, reicht hierfür nicht aus. Der Angeklagte war<br />

nicht befugt, über die Tabletten zu verfügen <strong>und</strong> hat dies weder getan noch in Erwägung gezogen. Die Feststellungen<br />

belegen im Fall 1 der Urteilsgründe mithin nur den Besitz des Angeklagten an den Tabletten in seinem Schlafzimmerschrank,<br />

deren Wirkstoffgehalt den Grenzwert zur nicht geringen Menge nicht erreicht hat, <strong>und</strong> die Beihilfe zum<br />

Handeltreiben des F. mit den Tabletten im Tresor. Der Senat schließt aus, dass eine neue Hauptverhandlung zu weitergehenden<br />

Feststellungen führen würde. Er hat den Schuldspruch dementsprechend selbst geändert. Die Änderung<br />

des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der im Fall 1 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe <strong>und</strong> der Gesamtstrafe.<br />

Zwar hat die Strafkammer in diesem Fall lediglich die Mindeststrafe des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verhängt. Es<br />

lässt sich aber nicht ausschließen, dass sie bei Anwendung des wegen der Beihilfe gemilderten Strafrahmens eine<br />

noch niedrigere Strafe verhängt hätte.<br />

365


BtMG § 29 Abs. 4 Keine Tateinheit zwischen Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bez. <strong>Teil</strong>menge<br />

BGH, Urt. v. 10.02.2011 - 4 StR 576/10 - BeckRS 2011, 07600<br />

LS: Hat der Täter Betäubungsmittel vorsätzlich eingeführt oder vorsätzlich damit Handel getrieben,<br />

scheidet eine tateinheitliche fahrlässige Einfuhr von oder ein tateinheitliches fahrlässiges Handeltreiben<br />

mit einer vom Vorsatz nicht erfassten <strong>Teil</strong>menge dieser Betäubungsmittel durch dieselbe<br />

Handlung aus. § 29 Abs. 4 BtMG kommt dann nicht zur Anwendung.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Februar 2011 für Recht erkannt:<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. August 2010 wird<br />

verworfen.<br />

2. Die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe<br />

zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von<br />

vier Jahren verurteilt <strong>und</strong> das sichergestellte Heroin eingezogen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft<br />

hat keinen Erfolg.<br />

I.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Am 19. April 2010 wollte sich der in Polen lebende Angeklagte<br />

in Berlin einen zum Verkauf stehenden Pkw ansehen. Er machte sich mit einem VW-Kleintransporter <strong>und</strong><br />

einem Anhänger zum Pkw-Transport auf den Weg. Bei einer Pause in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze wurde<br />

er von einem Unbekannten angesprochen, ob er sich 5.000 € verdienen wolle. Er müsse etwas, das in die rechte<br />

Tür seines Fahrzeugs eingebaut werde, nach Amsterdam bringen. Angesichts der Höhe der Entlohnung erklärte sich<br />

der Angeklagte dazu bereit, obwohl er nicht ausschloss, dass er größere Mengen Drogen transportieren sollte. Der<br />

Einbau von 54 Paketen zu je ca. 250 g Heroin hinter der Beifahrertürverkleidung <strong>und</strong> von 146 Paketen zu je ca. 250<br />

g Heroin im Frontbereich fahrerseitig erfolgte in seiner Abwesenheit. Am 20. April 2010 wurde der Angeklagte<br />

gegen 12.30 Uhr auf der Autobahn A 2 in der Nähe von Magdeburg kontrolliert <strong>und</strong> das Rauschgift wurde sichergestellt.<br />

Das Landgericht hat bei der Strafzumessung die große Menge von nahezu 50 kg Heroin mit einem Wirkstoffgehalt<br />

von 70 % Heroinhydrochlorid berücksichtigt, hat dem Angeklagten aber einschränkend zu Gute gehalten, dass<br />

sich sein (bedingter) Vorsatz nur auf das in der Beifahrertür eingebaute Heroin, also etwa ein Viertel der Gesamtmenge,<br />

bezogen habe.<br />

2. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision, dass das Landgericht nicht geprüft habe, ob der Angeklagte hinsichtlich<br />

der 146 Pakete im Frontbereich tateinheitlich fahrlässig gehandelt habe (§ 29 Abs. 4 BtMG), was zu einem<br />

höheren Schuldgehalt der Tat führe. Aber auch für eine auf 13,5 kg Heroin gerichtete Vorsatztat sei die vom Landgericht<br />

verhängte Strafe unvertretbar milde.<br />

II. Das vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt nicht vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.<br />

1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Eine tateinheitliche Verwirklichung des § 29 Abs. 4<br />

BtMG mit den §§ 30 Abs. 1 Nr. 4 <strong>und</strong> 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Dieselbe<br />

Tathandlung kann bei Verletzung desselben Rechtsguts nicht gleichzeitig als vorsätzliche <strong>und</strong> als fahrlässige<br />

angesehen werden (RGSt 16, 129; BGH, Beschluss vom 16. Juni 1997 – 2 StR 231/97, NStZ 1997, 493). Vorsatz<br />

<strong>und</strong> Fahrlässigkeit schließen einander schon begrifflich aus, sie stehen allerdings in einem normativ-ethischen Stufenverhältnis<br />

(BGH, Beschluss vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 57), so dass bei unklarer Beweislage<br />

nach dem Gr<strong>und</strong>satz „in dubio pro reo“ wegen Fahrlässigkeit verurteilt werden kann (Roxin, Strafrecht<br />

<strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> Band I, 4. Aufl. § 24 Rn. 79). Eine Idealkonkurrenz zwischen vorsätzlichem <strong>und</strong> fahrlässigem<br />

Verhalten entsteht bei einer Handlung nicht dadurch, dass der Täter die Folgen des Verhaltens nur teilweise gewollt<br />

<strong>und</strong> teilweise fahrlässig herbeigeführt hat (RGSt 16, 129). Selbst bei einem zweiaktigen Tatgeschehen ist die fahrlässige<br />

Begehung eines Delikts gegenüber der am selben Objekt begangenen vollendeten vorsätzlichen im Schuldspruch<br />

nicht zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr ist die fahrlässige Begehungsform subsidiär (BGH, Urteil vom 30.<br />

März 1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195, 199; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong>, 28. Aufl. Vorbem.<br />

§§ 52 ff. Rn. 119; vgl. auch BGH, Urteil vom 31. März 1955 – 4 StR 51/55, BGHSt 7, 287, 289 [Tatmehrheit]).<br />

366


Ist die Einfuhr von oder das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch eine Handlung vorsätzlich vorgenommen<br />

worden, scheidet eine durch Fahrlässigkeit herbeigeführte Einfuhr von oder ein fahrlässiges Handeltreiben mit derselben<br />

Rauschgiftmenge durch diese Handlung aus. § 29 Abs. 4 BtMG kommt dann nicht zur Anwendung. Im vorliegenden<br />

Fall liegt bezüglich der Gesamtmenge des in dem Transporter versteckten Rauschgifts lediglich eine<br />

Handlung des Angeklagten vor: Er hat den Wagen unverschlossen abgestellt <strong>und</strong> ist später mit dem darin von anderen<br />

eingebauten Rauschgift nach Deutschland gefahren. Diese Handlung lässt sich nach dem oben Ausgeführten<br />

nicht deshalb in zwei tateinheitliche Delikte aufspalten, weil der Angeklagte hinsichtlich der Menge des transportierten<br />

Rauschgifts teilweise vorsätzlich <strong>und</strong> teilweise fahrlässig gehandelt hat. Zwar können sich verschiedene Straftatbestände<br />

des Betäubungsmittelgesetzes auf <strong>Teil</strong>mengen einer Gesamtrauschgiftmenge beziehen, etwa beim Erwerb<br />

von Rauschgift zum Eigenkonsum <strong>und</strong> zum Handeltreiben. Im vorliegenden Fall kämen aber nicht hinsichtlich der<br />

Tathandlung verschiedene Tatbestände, sondern nur solche zur Anwendung, die sich allein in der Schuldform unterscheiden.<br />

Insoweit scheidet eine Aufteilung aus. Für eine Ausurteilung des fahrlässig verursachten zusätzlichen Erfolges<br />

im Schuldspruch besteht auch kein kriminalpolitisches Bedürfnis. Bei der Strafzumessung kann die Einfuhr<br />

einer größeren Menge, als der Täter sich vorgestellt hat, im Falle fahrlässigen Handelns ohnehin strafschärfend berücksichtigt<br />

werden (BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90; Urteil vom 21. April 2004<br />

– 1 StR 522/03).<br />

2. Auch die Strafzumessung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Der im Rahmen der Strafzumessung<br />

verwendeten Formulierung ist zu entnehmen, dass das Landgericht die Gesamtmenge des Heroins berücksichtigt, der<br />

vom Vorsatz umfassten Menge aber besonderes Gewicht beigemessen hat. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen<br />

ist auch zu entnehmen, dass der Angeklagte hinsichtlich des im Frontbereich versteckten Heroins zumindest<br />

fahrlässig gehandelt hat (BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90; Urteil vom 21. April<br />

2004 – 1 StR 522/03). Schließlich ist die verhängte Strafe aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

vom 12. November 2010 noch nicht unvertretbar milde.<br />

BtMG § 29 Indoor-Plantage zum Anbau von Cannabis, Vorbereitung - Versuch<br />

BGH, Beschl. v. 15.02.2011 - 3 StR 491/10 - NJW 2011, 1461<br />

LS: Zur Abgrenzung von strafloser Vorbereitung <strong>und</strong> (versuchtem) Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

bei Errichtung einer Indoor-Plantage zum Anbau von Cannabis, das nach der Ernte<br />

gewinnbringend veräußert werden soll.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 15. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das<br />

Urteil des Landgerichts Verden vom 20. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu<br />

neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Beihilfe zum unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

drei Jahren verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision die Verletzung materiellen<br />

Rechts. Hiermit hat er Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen mietete der Angeklagte am 3. Mai 2009 <strong>und</strong> am 30. Juli 2009 unter falschen Namen<br />

jeweils ein Einfamilienhaus für andere Personen an, um diesen dort den Aufbau von "Indoor-Cannabis-Plantagen" zu<br />

ermöglichen. Die für die Aufzucht benötigten Utensilien sollte ein Holländer liefern, der bereits an der Anlage ähnlicher<br />

Plantagen mitgewirkt hatte <strong>und</strong> das Cannabis letztlich in den Niederlanden verkaufen wollte. Während es in<br />

dem zuerst angemieteten Objekt nicht zum Aufbau einer Plantage kam, wurden in dem anderen Haus Cannabispflanzen<br />

angebaut. Am Tag der Durchsuchung wiesen diese einen Gesamtwirkstoffgehalt von 925,6 Gramm THC auf.<br />

2. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht: Im ersten Fall lag noch kein (versuchtes oder vollendetes)<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vor, zu dem der Angeklagte Beihilfe geleistet haben könnte. Im Übrigen<br />

lassen sich die Voraussetzungen einer Bande den Feststellungen nicht entnehmen.<br />

a) Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln<br />

gerichtete Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256). Hier-<br />

367


von sind solche Handlungen abzugrenzen, "die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil sie weit im Vorfeld<br />

des beabsichtigten Güterumsatzes liegen" (BGH aaO, 265 f.). Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles<br />

abzustellen. Zwar kann die Aufzucht von Cannabispflanzen durchaus den Tatbestand des Handeltreibens erfüllen,<br />

wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 409/08, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 5; Beschluss vom 12.<br />

Januar 2005 - 1 StR 476/04, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 4; Urteil vom 27. Juli 2005 - 2 StR<br />

192/05, NStZ 2006, 578). Jedoch hatte nach den Feststellungen in dem zuerst angemieteten Haus der Anbau nicht<br />

begonnen. Auch ein versuchter Anbau, zu dem es regelmäßig erst mit dem Heranschaffen des Saatgutes an die vorbereitete<br />

Fläche kommt (vgl. Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 60; Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 82; Franke/Wienroeder,<br />

BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 7; Joachimski/Haumer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Rn. 10), liegt nicht vor. Unter<br />

dem strafrechtlichen Aspekt des Anbaus von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG liegt daher in<br />

der Anmietung des Hauses lediglich eine straflose Vorbereitungshandlung. Entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

kann aus der weiten Auslegung, den der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der Rechtsprechung<br />

erfahren hat, nicht geschlossen werden, dass das Anmieten des Hauses dennoch für die Haupttäter allein<br />

deswegen bereits vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge darstellt, weil geplant<br />

war, in dem Haus Cannabis anzubauen, das gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Allein dieser Plan ändert<br />

nichts daran, dass es sich bei der Anmietung des Hauses bei wertender Betrachtung lediglich um eine typische Vorbereitungshandlung<br />

weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes handelt (vgl. Weber aaO Rn. 455 <strong>und</strong> 558).<br />

Ob etwas anderes dann zu gelten hätte, wenn der geplante Anbau im Hinblick auf ein bereits konkretisierbares Umsatzgeschäft<br />

hätte vorgenommen werden sollen (vgl. Weber aaO Rn. 558), <strong>und</strong> welche Anforderungen in diesem Fall<br />

an die Konkretisierbarkeit des Umsatzgeschäftes zu stellen wären, bedarf hier keiner näheren Betrachtung; denn dass<br />

die Ernten aus der für das angemietete Haus vorgesehenen Plantage für bereits konkretisierbare Verkäufe vorgesehen<br />

waren, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Ebenso wenig muss sich der Senat mit der Frage befassen, ob<br />

die Beschaffung von Setzlingen oder Samen (s. dazu Weber aaO § 1 Rn. 248 ff., § 29 Rn. 61 f. <strong>und</strong> 558), die für die<br />

geplante Plantage bestimmt waren, bereits als vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen wäre, zu<br />

dem der Angeklagte durch die vorherige Anmietung des Hauses Beihilfe geleistet haben könnte; denn auch derartige<br />

Beschaffungsvorgänge sind nicht festgestellt.<br />

b) Die Urteilsgründe belegen ferner nicht, dass der Betäubungsmittelhandel bandenmäßig begangen wurde. Sie ergeben<br />

nicht, dass eine (zumindest konkludente) Bandenabrede getroffen worden war. Selbst wenn sich dafür nicht alle<br />

Bandenmitglieder untereinander kennen müssen (BGH, Urteil vom 16. Juni 2005 - 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160,<br />

167 f.), ist doch erforderlich, dass jeder Beteiligte den Willen hat, sich zur künftigen Begehung von Straftaten mit<br />

(mindestens) zwei anderen zu verbinden. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ergibt sich aus den Feststellungen<br />

nicht. Die dortige Wertung, die Betreiber der Plantagen hätten "jeweils aufgr<strong>und</strong> einer stillschweigenden Übereinkunft<br />

als Bestandteil eines 'strahlenförmig' auf den Holländer als Zentralgestalt zulaufenden Organisationsschemas"<br />

gehandelt, reicht zur Annahme einer Bande nicht aus; denn es bleibt offen, ob die verschiedenen Betreiber lediglich<br />

für sich (durchaus ähnliche) Geschäftsbeziehungen zu "dem Holländer" aufnehmen oder sich in diesem Rahmen<br />

auch untereinander zusammenschließen wollten. Nähere Feststellungen zu einer solchen Vereinbarung, etwa hinsichtlich<br />

ihres Inhalts oder der beteiligten Personen, fehlen.<br />

3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass<br />

sich weitere Feststellungen zu einem etwaigen Anbau auch in dem zuerst angemieteten Haus <strong>und</strong> zu einem bandenmäßigen<br />

Zusammenschluss treffen lassen. Sollte wiederum eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Bandenhandel mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht kommen <strong>und</strong> das Vorliegen minder schwerer Fälle im Sinne<br />

des § 30a Abs. 3 BtMG zu prüfen sein, wird das Landgericht zu berücksichtigen haben, dass das Höchstmaß der<br />

(gemilderten) Strafe erst durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher <strong>und</strong> anderer Vorschriften vom 17.<br />

Juli 2009 (BGBl. I S. 1990, 2010, 2020) mit Wirkung ab dem 23. Juli 2009 auf zehn Jahre angehoben wurde. Der<br />

Angeklagte mietete das eine Haus bereits vor dieser Gesetzesänderung an, das andere erst danach. Im Übrigen wird<br />

zu beachten sein, dass die jeweilige Tatzeit (s. Fischer, <strong>StGB</strong>, 58. Aufl., § 8 Rn. 5 mwN) vor dem 1. September 2009<br />

lag, mithin vor Inkrafttreten von § 31 BtMG nF, § 46b <strong>StGB</strong>. Bei der Strafrahmenwahl wird daher gegebenenfalls zu<br />

prüfen sein, ob die Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG aF, § 49 Abs. 2 <strong>StGB</strong> für den Angeklagten günstiger<br />

wäre als die Anwendung des § 31 BtMG nF i.V.m. § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> (§ 2 Abs. 3 <strong>StGB</strong>; s. BGH, Beschluss vom 18.<br />

März 2010 - 3 StR 65/10, NStZ 2010, 523).<br />

368


BtMG § 31 Abs. 2; <strong>StGB</strong> § 46b Abs. 3, § 73c Abs. 1 Präkludierte Wissensoffenbarung<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 StR 75/11- BeckRS 2011, 07506<br />

LS: 1. Für eine Hilfe zur Aufklärung nach Eröffnung des Hauptverfahrens ist gemäß § 31 Abs. 2<br />

BtMG i.V.m. § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> eine Strafrahmenverschiebung ausgeschlossen; diese kann bei der<br />

Strafzumessung im Rahmen des § 46 <strong>StGB</strong> berücksichtigt werden.<br />

2. Eine Erörterung der Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> in den Urteilsgründen ist nur dann<br />

erforderlich, wenn nahe liegende Anhaltspunkte für deren Vorliegen gegeben sind.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Hof vom 19. November 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge (Fall B I. der Urteilsgründe) <strong>und</strong> wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall B<br />

II. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von acht Jahren verurteilt. Außerdem hat es den Verfall<br />

von Wertersatz in Höhe von 40.000 € angeordnet. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der<br />

Angeklagte gegen diese Verurteilung. Sein Rechtsmittel bleibt erfolglos.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

1. Im Fall B I. der Urteilsgründe war der Angeklagte seit Mitte des Jahres 2009 Mitglied einer Bande, die in einer<br />

sog. Indoor-Anlage Marihuana anbauen <strong>und</strong> es anschließend gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Er hatte für die<br />

Errichtung der Anlage 40.000 € als „Darlehen“ zur Verfügung gestellt; außerdem war er innerhalb der Bandenstruktur<br />

für den gewinnbringenden Weiterverkauf des Betäubungsmittels zuständig. Im September 2009 wurden in der<br />

Anlage 57 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt mindestens 5 % THC) geerntet <strong>und</strong> am 16. <strong>und</strong> 23. September 2009 in<br />

zwei <strong>Teil</strong>mengen von 27 <strong>und</strong> 30 kg zu einem Abnehmer nach Hamburg gebracht, der für ein Kilogramm je 3.000 €<br />

zahlte. Dem Angeklagten, der bei der Abrechung der Ware jeweils anwesend war, wurden für jede der Lieferungen<br />

ein Entgelt in Höhe von 3.000 € gezahlt. Außerdem erhielt er aus dem Erlös des Betäubungsmittelgeschäfts die als<br />

„Darlehen“ gewährten 40.000 € zurück.<br />

2. Im Fall B II. der Urteilsgründe war der Angeklagte Anfang Oktober 2009 beauftragt worden, an einem Transport<br />

von 26,8 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 13,4 % THC) aus der Tschechischen Republik nach Deutschland mitzuwirken.<br />

Der Transport fand am 6. Oktober 2009 statt. Der Tatbeitrag des Angeklagten bestand dabei u.a. in der telefonischen<br />

Anleitung <strong>und</strong> Überwachung der bei dem Transport eingesetzten Kuriere. Als Entlohnung waren ihm 200 €<br />

pro Kilogramm Marihuana versprochen worden.<br />

3. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 2. August 2010 das Hauptverfahren eröffnet. Der Angeklagte, der sich<br />

weder im Ermittlungs- noch im Zwischenverfahren eingelassen hatte, machte erstmals in der am 23. September 2010<br />

beginnenden Hauptverhandlung geständige Angaben zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Nach der Bewertung<br />

des Landgerichts führten diese zu einer weiteren, über den Tatbeitrag des Angeklagten hinausgehenden Aufdeckung<br />

der Straftaten, was von der Strafkammer bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt worden ist. Eine Strafrahmenverschiebung<br />

nach § 31 Abs. 1 BtMG, § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> hat das Landgericht dagegen nicht vorgenommen,<br />

da es die Aufklärungsbemühungen des Angeklagten gemäß § 31 Abs. 2 BtMG, § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> als verspätet<br />

angesehen hat.<br />

II. Die Revision ist unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

in seiner Antragsschrift vom 16. Februar 2011 bemerkt der Senat:<br />

1. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht zu Recht von einer Strafrahmenmilderung nach § 31 Abs.<br />

1 BtMG, § 49 Abs. 1 <strong>StGB</strong> abgesehen.<br />

a) Gemäß § 31 Abs. 2 BtMG i.V.m. § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> ist eine solche Strafrahmenverschiebung zwingend ausgeschlossen,<br />

wenn ein Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 StPO)<br />

gegen ihn beschlossen worden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben: Der Angeklagte hat sich erstmals<br />

in der Hauptverhandlung <strong>und</strong> damit nach Eröffnung des Hauptverfahrens eingelassen. Seine Aufklärungsbemühungen<br />

waren damit verspätet. Sie konnten daher nicht mehr zu einer Verringerung des Strafrahmens führen, son-<br />

369


dern durften allenfalls, wie es das Landgericht hier zutreffend getan hat, bei der Strafzumessung zu Gunsten des<br />

Angeklagten berücksichtigt werden.<br />

b) Die Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 31 Abs. 2 BtMG i.V.m. § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> verstößt entgegen der<br />

Ansicht der Revision vorliegend nicht gegen das Meistbegünstigungsprinzip (§ 2 Abs. 3 <strong>StGB</strong>).<br />

aa) Art. 316d EG<strong>StGB</strong> bestimmt, dass § 46b <strong>StGB</strong> <strong>und</strong> § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG (BGBl. I 2009,<br />

2288), in Kraft getreten am 1. September 2009, nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September<br />

2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Dies hat im Umkehrschluss allerdings nicht zur<br />

Folge, dass diese Vorschriften ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens<br />

- wie hier - erst nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren<br />

anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen gr<strong>und</strong>sätzlich das zur Tatzeit (§ 2 Abs. 1<br />

<strong>StGB</strong>) bzw. bei einer fortdauernden oder fortgesetzten Tatbegehung das bei der Beendigung der Tat (§ 2 Abs. 2<br />

<strong>StGB</strong>) geltende Recht Anwendung findet, sofern das neue Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten<br />

gemäß § 2 Abs. 3 <strong>StGB</strong> günstigere Regelung darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2010 - 3 StR 65/10, NStZ<br />

2010, 523, 524; BGH, Beschluss vom 27. April 2010 - 3 StR 79/10).<br />

bb) Danach ist § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG auf das vorliegende Verfahren anzuwenden, da diese<br />

Vorschrift zur Tatzeit (Fall B II. der Urteilsgründe) bzw. zum Zeitpunkt der Tatbeendigung (Fall B I. der Urteilsgründe)<br />

bereits in Kraft getreten war.<br />

(1) Im Fall B II. der Urteilsgründe ergibt sich dies aus dem Umstand, dass sämtliche Tathandlungen des Angeklagten<br />

erst im Oktober 2009 begangen wurden.<br />

(2) Im Fall B I. der Urteilsgründe begann die Tatbegehung durch den Angeklagten zwar schon Mitte des Jahres 2009<br />

(<strong>und</strong> damit vor Inkrafttreten des § 31 Abs. 2 BtMG <strong>und</strong> § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> am 1. September 2009). In dieser Zeit<br />

wirkte der Angeklagte beim Aufbau der „Indoor-Anlage“ zum Anbau von Marihuana mit, was sich als ein unselbstständiger<br />

<strong>Teil</strong>akt des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG<br />

darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 5 StR 555/10 mwN). Seine Tathandlungen waren zu diesem<br />

Zeitpunkt aber noch nicht beendet. Die Tatbeendigung trat vielmehr erst mit dem Verkauf der Betäubungsmittel <strong>und</strong><br />

der Verteilung des Erlöses im September 2009 ein (vgl. allgemein zur Tatbeendigung beim Handeltreiben Körner,<br />

BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 408 mwN). Zu diesem Zeitpunkt, der für die rechtliche Beurteilung gemäß § 2 Abs. 2<br />

<strong>StGB</strong> maßgeblich ist, war die Neuregelung des § 31 Abs. 2 BtMG i.V.m. § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> schon in Kraft <strong>und</strong> deshalb<br />

auch auf die vorliegende Tat anzuwenden.<br />

c) Im Übrigen hat das Landgericht die Aufklärungshilfe durch den Angeklagten strafmildernd bei der Strafzumessung<br />

berücksichtigt. Es hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es den Umstand nicht außer Acht gelassen hat, dass<br />

bei den <strong>Teil</strong>akten, die vor dem Inkrafttreten der § 31 Abs. 2 BtMG, § 46b Abs. 3 <strong>StGB</strong> begangen wurden, ein milderer<br />

Strafrahmen galt als zum Zeitpunkt der Beendigung der Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1999 - 2<br />

StR 301/99, wistra 1999, 465).<br />

2. Die Anordnung des Wertersatzverfalls in Höhe von 40.000 € gemäß § 73, § 73a <strong>StGB</strong> hält ebenfalls rechtlicher<br />

Nachprüfung stand.<br />

a) Bei der Bemessung des Wertersatzverfalls hat sich das Landgericht zutreffend an dem sog. Bruttoprinzip orientiert.<br />

Danach ist nicht nur der Gewinn, sondern gr<strong>und</strong>sätzlich alles, was der Täter für die Tat oder aus ihr erhalten<br />

hat, für verfallen zu erklären (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2002 - 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369, 370).<br />

Hier hat der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts aus dem Betäubungsmittelgeschäft jedenfalls die<br />

für verfallen erklärten 40.000 € erhalten. Dass es sich hierbei um die Rückzahlung des Betrags handeln sollte, den<br />

der Angeklagte als „Darlehen“ zur Finanzierung des Drogengeschäfts aufgewendet hatte, steht der Verfallsanordnung<br />

nicht entgegen. Finanzielle Aufwendungen, die für die Tatbegehung erbracht worden sind, dürfen bei der Berechnung<br />

des Erlangten nicht in Abzug gebracht werden. Zur Erfüllung des vom Gesetzgeber mit den Verfallsregelungen<br />

verfolgten Präventionszweckes - wonach der vom Verfall Betroffene auch das finanzielle Risiko strafbaren<br />

Handelns zu tragen hat - soll vielmehr das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren sein<br />

(BGH, Urteil vom 21. August 2002 - 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369, 374; BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR<br />

46/06, BGHSt 51, 65, 67). Der Umstand, dass es das Landgericht bei der Abschöpfung des Erlangten unberücksichtigt<br />

gelassen hat, dass der Angeklagte nach den Feststellungen neben den für verfallen erklärten 40.000 € weitere<br />

6.000 € für die beiden Betäubungsmittellieferungen erhalten hat, beschwert diesen nicht.<br />

b) Es begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht im vorliegenden Fall<br />

nicht ausdrücklich auf die Härtefallregelung des § 73c <strong>StGB</strong> eingegangen ist. Einer besonderen Darlegung <strong>und</strong> Begründung<br />

bedarf es angesichts des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift in der Regel nur dann, wenn von einer<br />

Verfallsanordnung (teilweise) abgesehen werden soll. Wird dagegen - wie hier - entsprechend der gesetzlichen Regel<br />

370


nicht davon abgesehen, ist eine Erörterung der Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 <strong>StGB</strong> nur dann erforderlich, wenn<br />

nahe liegende Anhaltspunkte für deren Vorliegen gegeben sind (S/S-Eser, <strong>StGB</strong>, 27. Aufl., § 73c Rn. 7 mwN). Dies<br />

ist hier jedoch nicht der Fall. Eine Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) mit dem Ziel entsprechender weiterer Feststellungen<br />

ist von der Revision nicht erhoben.<br />

BtMG § 35, StPO§ 454b Abs. 2 Reihenfolge der Vollstreckung - Zurückstellung<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 5 AR (VS) 22/10 - NJW 2010, 3314<br />

LS: Eine nach § 454b Abs. 2 StPO unterbrochene, nicht gemäß § 35 BtMG zurückstellungsfähige<br />

Strafe stellt eine im Sinne des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zu vollstreckende Strafe dar, die die Zurückstellung<br />

einer weiteren Strafe nach § 35 BtMG hindert.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 4. August 2010 beschlossen: Auf die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft<br />

wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2010 in Ziff. 1<br />

<strong>und</strong> 2 aufgehoben. Der Antrag des Beschwerdegegners auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft<br />

Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.<br />

Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Verfahrens.<br />

Gründe<br />

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt<br />

am Main vom 25. Februar 2010, mit dem unter Aufhebung gegen den Beschwerdegegner ergangener Vollstreckungsbescheide<br />

die Vollstreckungsbehörde verpflichtet worden ist, den Beschwerdegegner unter Beachtung der<br />

Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts über die Reihenfolge der Vollstreckung neu zu bescheiden.<br />

I. Der angefochtenen Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: Gegen den vielfach, auch aufgr<strong>und</strong> von<br />

Straftaten, die nicht im Zusammenhang mit seiner Betäubungsmittelabhängigkeit stehen, vorbestraften Beschwerdegegner<br />

wurde zunächst eine (nach § 35 Abs. 1, 3 Nr. 2 BtMG zurückstellungsfähige) Freiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge <strong>und</strong> unerlaubtem Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 27. März 2007 (Az. 8831 Js 42920/06) vollstreckt,<br />

nachdem eine in dieser Sache zunächst gewährte Zurückstellung der Strafvollstreckung widerrufen werden<br />

musste, da der Beschwerdegegner am 2. Juli 2007 die stationäre Drogentherapie abgebrochen hatte <strong>und</strong> bis zu seiner<br />

erneuten Festnahme am 17. Dezember 2008 untergetaucht war. Nachdem zwei Drittel dieser Strafe verbüßt waren,<br />

schloss sich ab dem 23. Januar 2010 die Vollstreckung einer (nicht nach § 35 BtMG zurückstellungsfähigen) zunächst<br />

zur Bewährung ausgesetzten, dann aber widerrufenen viermonatigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls aus<br />

dem Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 2. Oktober 2006 (Az. 9641 Js 3819/06) an. Die Zweidrittelverbüßung<br />

war auf den 12. April 2010 notiert. Seither verbüßt der Beschwerdegegner eine (nach § 35 Abs. 1, 3 Nr. 2 BtMG<br />

zurückstellungsfähige) Freiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus dem Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 8. Januar 2010 (Az. 31 Js<br />

204/09). Zwei Drittel dieser Strafe werden am 12. Dezember 2011 vollstreckt sein. Der Beschwerdegegner hat am 4.<br />

Mai 2009 eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge dahingehend beantragt, dass zunächst die nicht nach § 35<br />

BtMG zurückstellungsfähige Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 2. Oktober 2006 vollstreckt<br />

werde, weil er beabsichtige, zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Antrag auf Zurückstellung der Vollstreckung<br />

nach § 35 BtMG zu stellen. Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft Kassel mit Bescheid vom 15. Juni 2009 abgelehnt;<br />

eine dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht Fulda – Strafvollstreckungskammer – als Einwendung<br />

nach § 458 Abs. 2 StPO mit Beschluss vom 28. August 2009 verworfen. Auf die sofortige Beschwerde des<br />

Beschwerdegegners hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main diesen Beschluss aufgehoben, weil der Rechtsweg<br />

nach § 23 EGGVG eröffnet sei, weswegen zunächst die Generalstaatsanwaltschaft über die Vorschaltbeschwerde zu<br />

entscheiden habe. Gegen den daraufhin ergangenen Verwerfungsbescheid der Generalstaatsanwaltschaft hat der<br />

Beschwerdegegner das Oberlandesgericht Frankfurt am Main angerufen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

gemäß § 23 EGGVG hat das Oberlandesgericht in dem Sinne ausgelegt, dass „die Strafe aus dem Strafbefehl des<br />

Amtsgerichts Kassel vom 2. Oktober 2006 nach Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge aus wichtigem Gr<strong>und</strong> bis<br />

zum Zweidrittel-Zeitpunkt als vollstreckt anzusehen <strong>und</strong> sodann die Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Kassel<br />

vom 27. März 2007 <strong>und</strong> des Amtsgerichts Krefeld vom 8. Januar 2010 anzuschließen“ seien, „bis in diesen Sa-<br />

371


chen jeweils die Zwei-Jahres-Grenze des § 35 Abs. 1 BtMG erreicht“ sei. Mit der Begründung, dass die Zurückstellung<br />

einer Strafe bereits in dem Zeitpunkt möglich sei, in dem die nicht zurückstellungsfähige Strafe zu zwei Dritteln<br />

verbüßt <strong>und</strong> ihre weitere Vollstreckung unterbrochen sei, hat das Oberlandesgericht die Vollstreckungsbescheide<br />

aufgehoben <strong>und</strong> die Vollstreckungsbehörde verpflichtet, den Beschwerdegegner unter Beachtung seiner Rechtsauffassung<br />

erneut zu bescheiden. Zugleich hat es gemäß § 29 EGGVG die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen<br />

Rechtsprechung zugelassen.<br />

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft hat – entsprechend der Stellungnahme des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

– in der Sache Erfolg. Ein wichtiger Gr<strong>und</strong>, der gemäß § 43 Abs. 4 StVollstrO eine Abweichung<br />

von der in Absatz 2 <strong>und</strong> 3 der Vorschrift geregelten Reihenfolge der Vollstreckung gebietet, liegt nicht vor. Durch<br />

die vom Beschwerdegegner begehrte <strong>und</strong> vom Oberlandesgericht befürwortete Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge<br />

kann eine frühere Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1, 3 Nr. 2 BtMG nicht erreicht werden.<br />

Dieser steht entgegen, dass mit der wegen Diebstahls ergangenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts<br />

Kassel vom 2. Oktober 2006 eine weitere, nicht zurückstellungsfähige Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist (vgl. §<br />

35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG). Eine Zurückstellungsentscheidung kommt deshalb erst in Betracht, wenn sämtliche gegen<br />

den Beschwerdegegner erkannten Freiheitsstrafen zu zwei Dritteln verbüßt <strong>und</strong> nach § 454b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2,<br />

Abs. 3 StPO über die Reststrafenaussetzung aller Strafen entschieden worden ist.<br />

1. Nach allgemeiner Meinung darf die Strafvollstreckung nicht gemäß § 35 BtMG zurückgestellt werden, wenn gegen<br />

den Verurteilten schon im Zeitpunkt der Zurückstellungsentscheidung eine weitere Freiheitsstrafe zu vollstrecken<br />

ist, mithin der Widerrufsgr<strong>und</strong> nach § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG gegeben ist (vgl. BGHSt 33, 94, 95 f.; Körner,<br />

BtMG 6. Aufl. § 35 Rdn. 116 m.w.N.). Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main im<br />

angefochtenen Beschluss (im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart NStZ-RR 2009, 28, 29 f.; Kornprobst in Münch-<br />

Komm-<strong>StGB</strong> Nebenstrafrecht I § 35 BtMG Rdn. 130) stellt dabei die nach § 454b Abs. 2 StPO in ihrer Vollstreckung<br />

unterbrochene, nicht gemäß § 35 BtMG zurückstellungsfähige Strafe eine im Sinne des § 35 Abs. 6 Nr. 2<br />

BtMG zu vollstreckende Strafe dar, die die Zurückstellung der weiteren Strafen gemäß § 35 BtMG hindert (in diesem<br />

Sinne auch OLG München NStZ 2000, 223; KG, Beschluss vom 3. April 2009 – 4 VAs 3/09; Körner aaO § 35<br />

Rdn. 316).<br />

a) Nach der durch das 23. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13. April 1986 (BGBl I S. 393) eingeführten Vorschrift<br />

des § 454b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ist die Vollstreckung mehrerer nacheinander zu vollstreckender zeitiger Freiheitsstrafen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zum Zweidrittelzeitpunkt zu unterbrechen. Die Regelung dient dem Zweck, hinsichtlich<br />

der Reste aller Strafen eine einheitliche Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung zu er-möglichen (vgl.<br />

Regierungsentwurf in BT-Drucks 10/2720 S. 15; Bericht des Rechtsausschusses des B<strong>und</strong>estages in BT-Drucks<br />

10/4391 S. 19).<br />

aa) Aufgr<strong>und</strong> dieser insoweit eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers scheidet zunächst – was im angefochtenen<br />

Beschluss auch nicht verkannt wird – die vom Beschwerdegegner vorrangig erstrebte vollständige Vorabvollstreckung<br />

der nicht zurückstellungsfähigen Strafe nach Änderung der Vollstreckungsreihenfolge (§ 43 Abs. 4 StVollstrO)<br />

zwingend aus.<br />

bb) § 454b Abs. 2 StPO ermöglicht eine Unterbrechung der Vollstreckung zum Zweidrittelzeitpunkt lediglich zum<br />

Zweck der Vollstreckung weiterer Freiheitsstrafen. Die Vorschrift schafft hingegen nicht die Gr<strong>und</strong>lage, die Strafvollstreckung<br />

zur Ermöglichung einer Therapie nach Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zu<br />

unterbrechen. Hätte der Gesetzgeber die zuletzt genannte Möglichkeit eröffnen wollen, so wäre eine ausdrückliche<br />

Regelung erforderlich gewesen. Denn ein Verurteilter, der sich gemäß § 35 BtMG einer Therapie unterzieht, befindet<br />

sich nicht mehr im Strafvollzug. Dies verdeutlicht der Wortlaut von § 35 Abs. 1 BtMG. Danach wird die Vollstreckung<br />

der Strafe „zurückgestellt“, die Strafe mithin gerade nicht vollstreckt. Dementsprechend gehört die Therapiezeit<br />

nicht zur Strafvollstreckung im eigentlichen Sinne. Vielmehr ist sie nach § 36 BtMG auf die Strafe anzurechnen.<br />

b) Die Vollstreckungsunterbrechung nach § 454b Abs. 2 StPO belässt die jeweils von ihr betroffene Strafe weiterhin<br />

im Stadium der Vollstreckung. Sie ist deshalb eine „zu vollstreckende“ im Sinne des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG. Die<br />

Unterbrechung stellt eine vom Gesetzgeber bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend angeordnete Verfahrensmaßnahme<br />

dar, die für – vorweggenommene (vgl. KG aaO) – prognostische Erwägungen keinen Raum lässt. Ihr<br />

alleiniger Zweck ist es, nach weiterer Vollstreckung mindestens einer Strafe im weiteren Verlauf die einheitliche<br />

Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafen zu ermöglichen (vgl. oben lit. a). Das Vollstreckungsstadium<br />

dauert demnach hinsichtlich sämtlicher betroffener Strafen bis zu dieser (einheitlichen) Entscheidung fort. Beendet<br />

wird die Vollstreckung erst mit der (positiven) Entscheidung nach § 57 <strong>StGB</strong>, durch die – unter dem Vorbehalt der<br />

Legalbewährung – auf einen <strong>Teil</strong> der Strafvollstreckung verzichtet wird (vgl. Stree in Schönke/Schröder, <strong>StGB</strong> 27.<br />

Aufl. § 57 Rdn. 2), oder nach vollständiger Vollstreckung der jeweiligen Strafe.<br />

372


c) Auch der Normzweck des § 35 Abs. 6 BtMG spricht dafür, die Zurückstellung einer Strafe erst nach der Entscheidung<br />

über die Reststrafenaussetzung einer nicht zurückstellungsfähigen Strafe zu ermöglichen. § 35 Abs. 6 Nr. 2<br />

BtMG will verhindern, dass ein erfolgreich therapierter Verurteilter nach Beendigung der Therapie wieder in den<br />

Strafvollzug gelangt, weil dadurch der Behandlungserfolg wieder gefährdet werden könnte (vgl. Kornprobst aaO §<br />

35 BtMG Rdn. 215). Eine solche Gefahr ist in den betroffenen Fällen nicht auszuschließen. Dies folgt in erster Linie<br />

daraus, dass für die Prognose im Rahmen der Reststrafenaussetzung nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG gegenüber der<br />

allgemeinen Regelung nach § 57 Abs. 1 <strong>StGB</strong> durch die Sucht des Verurteilten bedingte Besonderheiten gelten;<br />

namentlich kann das Vorleben des Verurteilten eine geringere Rolle spielen (vgl. Weber, BtMG 3. Aufl. § 36 Rdn.<br />

58 ff.; Kornprobst aaO § 36 Rdn. 50 ff.; Körner aaO § 36 Rdn. 62 ff.). Es ist deshalb denkbar, dass die Prognose<br />

hinsichtlich der Begehung von Straftaten aufgr<strong>und</strong> der Betäubungsmittelabhängigkeit im Hinblick auf die erfolgreich<br />

durchlaufene Therapie positiv ausfällt, wohingegen die Legalbewährung des betroffenen (Vielfach-) Täters aufgr<strong>und</strong><br />

dessen Neigung, auch unabhängig von seiner Drogensucht Straftaten zu begehen, negativ zu beurteilen ist. Überdies<br />

sind in der Regel verschiedene Spruchkörper zuständig (bei der Reststrafenaussetzung nach § 57 <strong>StGB</strong> gemäß § 462a<br />

StPO zumeist die Strafvollstreckungskammer; bei der Reststrafenaussetzung nach § 36 BtMG gemäß § 36 Abs. 5<br />

Satz 1 BtMG das Gericht des ersten Rechtszuges), so dass auch deswegen divergierende Entscheidungen zu besorgen<br />

sind. Es besteht mithin das nicht nur theoretische Risiko, dass der erfolgreich Therapierte – was § 35 Abs. 6<br />

BtMG gerade verhindern will – erneut in den Strafvollzug gelangt.<br />

d) Eine analoge Anwendung des § 454b Abs. 2 StPO mit Blick auf die nach der Zurückstellung erfolgende Therapie<br />

(so Schöfberger NStZ 2005, 441, 442) scheidet aus. Es ermangelt bereits einer erkennbar planwidrigen Regelungslücke.<br />

Aus dem Schweigen des Gesetzgebers kann – bei nach-vollziehbaren Ergebnissen – vielmehr auch abgeleitet<br />

werden, dass er in Fallgestaltungen wie der hier zu beurteilenden der Einheitlichkeit der Entscheidung über die Reststrafenaussetzung<br />

den Vorrang einräumt.<br />

2. Eine weitere Aufklärung entscheidungserheblicher Tatsachen ist nicht erforderlich. Der Senat entscheidet deshalb<br />

gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst.<br />

3. Die durch das Oberlandesgericht vorgenommene Festsetzung des Geschäftswerts unterliegt – weil unanfechtbar (§<br />

30 Abs. 3 Satz 2 KostO) – nicht der Aufhebung. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass sich diese in Fällen wie dem<br />

hier zu beurteilenden regelmäßig am Mindestwert zu orientieren hat (vgl. Kissel/Mayer, GVG 6. Aufl. § 30 EGGVG<br />

Rdn. 7; Schoreit in KK 6. Aufl. § 30 EGGVG Rdn. 7).<br />

KWG § 54 Betreiben unerlaubter Bankgeschäfte<br />

BGH, Beschl. v. 09.02.2011 - 5 StR 563/10<br />

Zum Begriff der Einlagengeschäfte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Juni 2010 gemäß § 349 Abs. 4<br />

StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Betreiben unerlaubter Bankgeschäfte zu<br />

einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zugleich<br />

wurde angeordnet, dass drei Monate der verhängten Strafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung<br />

als verbüßt gelten. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, die mit der Sachrüge erfolgreich ist.<br />

I. Der Angeklagte war Rechtsanwalt <strong>und</strong> Notar. In dieser Eigenschaft fungierte er nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

als notarieller Treuhänder von Geldern für Investmentprogramme, die der anderweitig verfolgte D. eingeworben<br />

hatte. Dabei nutzte D. formularmäßige Vertragsentwürfe. Für die eingeworbenen Kapitalanlagen, die mindestens<br />

20.000 € betragen mussten, stellte er eine hohe Rendite bis zum zehnfachen der Einlage innerhalb von zehn<br />

bis 16 Wochen in Aussicht. In § 4 des Mustervertrages war hinsichtlich der „Gewinnverteilung“ vorgesehen, dass<br />

dem „Anleger“ die Rendite, D. aber der eingezahlte Betrag zustehen sollte. Die Treuhandkonten wurden vom Angeklagten<br />

dergestalt geführt, dass auf den von D. eröffneten Konten dem Angeklagten – gemeinschaftlich mit D. – eine<br />

Verfügungsbefugnis eingeräumt wurde. Dem Angeklagten floss – teilweise über seine Ehefrau – für seine Tätigkeit<br />

eine Vergütung von etwa 250.000 € zu. Das Landgericht hat die Geschäfte des D. als Bankgeschäfte (§ 54 Abs. 1 Nr.<br />

2 KWG) angesehen. Es handele sich um Einlagengeschäfte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG). Diese habe D. ohne die<br />

373


hierfür erforderliche Erlaubnis (§ 32 Abs. 1 KWG) getätigt. Die von ihm geschlossenen „Joint-Venture-Verträge“<br />

seien solche Einlagengeschäfte, weil er mit den eingenommenen Geldern die in Aussicht gestellten Renditen habe<br />

erwirtschaften wollen.<br />

II. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht, weil sich ihnen nicht zweifelsfrei<br />

entnehmen lässt, dass es sich bei den von den Anlegern eingeworbenen Geldern um Einlagengeschäfte im Sinne des<br />

§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG handelte.<br />

1. Nach § 32 Abs. 1 KWG ist der gewerbsmäßige Betrieb von Bankgeschäften erlaubnispflichtig. Zu den von der<br />

Erlaubnispflicht umfassten Bankgeschäften zählen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG die so genannten Einlagengeschäfte.<br />

Das Einlagengeschäft ist in Nummer 1 dieses Absatzes legal definiert als die Annahme fremder Gelder als<br />

Einlagen oder anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums, sofern der Rückzahlungsanspruch nicht in<br />

Inhaber- oder Orderschuldverschreibungen verbrieft wird. Den in diesem Gesetz nicht weiter erläuterten Begriff der<br />

Einlage hat die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs unter Bezugnahme auf Meinungsäußerungen des B<strong>und</strong>esamts<br />

für Kreditwesen <strong>und</strong> der Deutschen B<strong>und</strong>esbank in mehreren Entscheidungen näher konkretisiert. Danach liegt<br />

eine Einlage in der Regel vor, wenn jemand von einer Vielzahl von Geldgebern, die keine Kreditinstitute im Sinne<br />

des § 1 Abs. 1 KWG sind, fremde Gelder aufgr<strong>und</strong> typisierter Verträge zur unregelmäßigen Verwahrung, als Darlehen<br />

oder in ähnlicher Weise ohne Bestellung banküblicher Sicherheiten laufend annimmt <strong>und</strong> die Gelder nach Fälligkeit<br />

von den Gläubigern jederzeit zurückgefordert werden können (BGH, Beschluss vom 24. August 1999 – 1 StR<br />

385/99, BGHR KWG § 1 Einlage 1; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. April 1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366,<br />

380). Eine Einlage ist dabei regelmäßig dadurch geprägt, dass das eingelegte Geld dem damit finanzierten Aktivgeschäft<br />

dient (BGH, Beschluss vom 17. April 2007 – 5 StR 446/06, NStZ 2007, 647). Notwendig ist danach jedenfalls,<br />

dass nach den zugr<strong>und</strong>e liegenden zivilrechtlichen Abreden das angelegte Geld nach Fälligkeit zurückzuzahlen<br />

ist. Insoweit ist die Einlage insbesondere von gesellschaftsrechtlichen Anlageformen (wie stillen Beteiligungen)<br />

abzugrenzen. Keine Einlage in diesem Sinne liegt deshalb vor, wenn nach dem zivilrechtlichen Gr<strong>und</strong>geschäft das<br />

eingelegte Geld an dem unternehmerischen Risiko des Aktivgeschäfts partizipieren soll.<br />

2. Ob im vorliegenden Fall von einer Einlage im vorgenannten Sinne ausgegangen werden kann, wird von der Revision<br />

zu Recht bezweifelt. Die bruchstückhafte Darstellung in den Urteilsgründen bezüglich der getätigten Kapitalanlagen<br />

trägt eine Verurteilung wegen ungenehmigter Bank-(Einlage-) geschäfte nicht. Für eine Einlage mag sprechen,<br />

dass die Einschaltung eines Treuhänders auf den ersten Blick den Anschein für eine gesicherte unbedingte Rückzahlbarkeit<br />

der Gelder nach Fälligkeit erweckt. Andererseits wird aus den Urteilsgründen die Funktion des Treuhänders<br />

nicht deutlich, weil die eingezahlten Gelder angeblich für eine Anlage in ein anderes Aktivgeschäft vorgesehen<br />

waren. Zudem lassen sich aus den Urteilsgründen Umstände entnehmen, welche die Annahme eines Einlagengeschäfts<br />

in Frage stellen. Nach den Feststellungen war die Anlage als „Joint-Venture“ bezeichnet. Schon dies legt<br />

nahe, dass das eingelegte Kapital Risikokapital sein sollte. Nach § 3 des Vertrages stand das eingelegte Geld dem<br />

„Investor“ (also D. ) zu, der Anleger sollte lediglich die hieraus erwirtschaftete Rendite erhalten (UA S. 3). Dies lässt<br />

auf eine Anlagenkonstruktion schließen, die darauf gerichtet ist, den Anleger am Gewinn <strong>und</strong> am Verlust seiner<br />

Anlage zu beteiligen. Eine solche Anlage unterfiele nicht dem Begriff des Einlagengeschäfts. Maßgeblich ist, welche<br />

Vorstellung die Anleger nach den Aussagen des D. von der Verwendung der Gelder hatten. Dies hat das Tatgericht<br />

nach den allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen der Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) unter Einbeziehung aller wesentlichen<br />

Umstände zu würdigen. Eine solche Gesamtbewertung ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.<br />

III. Das Urteil war deshalb insgesamt aufzuheben. Das neue Tatgericht wird anhand der vorgenannten Kriterien<br />

umfassend zu prüfen haben, ob die Kapitaleinwerbung des Haupttäters D. Einlagengeschäfte im Sinne des § 1 Abs. 1<br />

Satz 2 Nr. 1 KWG betraf. In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, dass gegen den Einlagecharakter der<br />

Anlage auch die außergewöhnliche Höhe der in Aussicht gestellten Gewinne sprechen kann. Hierbei handelt es sich<br />

regelmäßig nicht um das Entgelt für die Überlassung des Kapitals. Bei solchen Geschäften geht es vielmehr um Investitionen,<br />

bei denen das volle unternehmerische Risiko einer später möglicherweise entstehenden Zahlungsunfähigkeit<br />

des Empfängers besteht. In Fällen hochspekulativer Anlagen erfordert es auch nicht der Schutzzweck der<br />

Norm, nämlich das breite Publikum vor Verlusten ihrer Kapitalanlagen zu bewahren, diese Zahlungen als Einlagengeschäft<br />

anzusehen (BGH, Urteil vom 9. März 1995 – III ZR 55/94, BGHZ 129, 90, 96 f.). Das neue Tatgericht wird<br />

zudem zu bedenken haben, ob es den nach § 154a Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Vorwurf des Betrugs wieder in das<br />

Verfahren einbezieht. Angesichts der Versprechungen ungewöhnlicher Renditen bis zum zehnfachen des einbezahlten<br />

Geldes <strong>und</strong> der erheblichen Zuwendungen (250.000 €), die der Angeklagte für seine Treuhandtätigkeit erhalten<br />

hatte, lässt sich aufgr<strong>und</strong> der Urteilsfeststellungen die vom Landgericht vorgenommene Verfahrensbeschränkung<br />

nicht ohne weiteres nachvollziehen.<br />

374


UWG § 16 Abs. 2 Werbung durch „Schneeballseminare“<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.2011 – 5 StR 514/09 - NJW 2011, 1236<br />

LS: Verbraucherbegriff bei progressiver K<strong>und</strong>enwerbung.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 26. März 2009 werden gemäß § 349<br />

Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass die Vollstreckung der gegen die<br />

Angeklagten H., L., Ka., Her. <strong>und</strong> Ke. verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Angeklagten<br />

tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Hinsichtlich der letztgenannten fünf Angeklagten werden die Gebühren <strong>und</strong><br />

Auslagen des Revisionsverfahrens jeweils um ein Fünftel ermäßigt; die Staatskasse trägt auch ein Fünftel ihrer notwendigen<br />

Auslagen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten der progressiven K<strong>und</strong>enwerbung (§ 16 Abs. 2 UWG) schuldig gesprochen<br />

<strong>und</strong> gegen sie – mit Ausnahme des Angeklagten K. , der zu einer Geldstrafe verurteilt wurde – auf Freiheitsstrafen<br />

erkannt, wobei jeweils ein Monat (bzw. 30 Tagessätze) wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt<br />

erklärt wurde. Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen wurde nur bei einem <strong>Teil</strong> der Angeklagten<br />

zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrensrügen <strong>und</strong> der Sachrüge.<br />

Die Rechtsmittel haben nur insoweit Erfolg, als sie sich gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung<br />

wenden.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

1. Die Angeklagten, welche in unterschiedlicher Stellung <strong>und</strong> in unter-schiedlichen Zeiträumen bei den Unternehmen<br />

P. -P. V. (nachfolgend PPV) <strong>und</strong> BIFOS tätig waren, vertrieben über die PPV in der Zeit von Juni 2002 bis April<br />

2006 Seminare der mit ihr eng verwobenen Firmen AFOS <strong>und</strong> BIFOS. Dabei handelte es sich um Fortbildungsseminare<br />

zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong> Motivation, Zeitmanagement, Rhetorik <strong>und</strong> Verkauf, welche<br />

sich über einen Zeitraum von vier Tagen erstreckten. Die <strong>Teil</strong>nahme kostete – entsprechend vergleichbaren Seminaren<br />

– 3.200 €. Neben den Seminaren wurde auch eine Vertriebsmitarbeit bei der PPV beworben; „als Vertriebsmitarbeiter<br />

sollten die Interessenten u.a. für den Verkauf der Seminare werben“ (UA S. 31). Sämtliche Werbemaßnahmen<br />

der PPV folgten dabei einem einheitlichen Absatzkonzept, das sich wie folgt gestaltete: Die Maßnahmen richteten<br />

sich in erster Linie an Personen, die nach Arbeit oder einer Verdienstmöglichkeit an den Wochenenden suchten. Zu<br />

diesem Zweck schalteten Mitarbeiter der PPV in verschiedenen Zeitungen „bewusst kurz gehaltene Annoncen“ (UA<br />

S. 22), die für Fahrdiensttätigkeiten am Wochenende einen Verdienst von 400 bis 500 € in Aussicht stellten. „Die<br />

Annoncen enthielten regelmäßig keine Hinweise darauf, dass damit eine Vertriebstätigkeit verb<strong>und</strong>en sein sollte. Ein<br />

Name der Firma, die die Verdienstmöglichkeiten offerierte, war nicht angegeben. Der Inhalt der Annoncen differierte<br />

leicht, teils war von Nebenbeschäftigung, von Personentransporten, von Fahrdiensten im Nebenberuf, von Nebentätigkeit<br />

mit Pkw, von Chauffeurdiensten <strong>und</strong> Fahrten ‚geladener Gäste’ die Rede“ (UA S. 22). Interessenten erhielten<br />

auch in tele-fonischen oder persönlichen Kontaktgesprächen keine näheren Informationen zu der angebotenen<br />

Tätigkeit; sie wurden zu einer Präsentationsveranstaltung eingeladen, zu welcher sie regelmäßig von Mitarbeitern der<br />

PPV gefahren wurden, „um eine Abreise vor Abschluss der Veranstaltung zu verhindern“ (UA S. 23). Der Veranstaltungsort<br />

<strong>und</strong> das veranstaltende Unternehmen waren den Interessenten nicht bekannt. Auf der Fahrt zu den Präsentationsveranstaltungen<br />

erhielten die Interessenten ebenfalls keine weitergehenden Informationen zu der angebotenen<br />

Tätigkeit. Die Sitzordnung im Präsentationssaal wurde dergestalt vorgegeben, dass auf beiden Seiten des Neuinteressenten<br />

jeweils ein Mitarbeiter der PPV Platz nahm. Dadurch waren Kontakte zwischen Neuinteressenten erschwert.<br />

Im Vorfeld der Präsentation hatten die Interessenten eine Unkostenpauschale von 35 € zu entrichten. Die Präsentation<br />

begann mit einem Vortrag des Präsentationsleiters, der darin – nach zunächst allgemeinen Ausführungen – für die<br />

Fortbildungsseminare warb sowie zeitweise auch für die Vermittlung von Immobilienanlagen, von Telefonanbietern,<br />

von Stromverträgen, von Saunen, „Steuerchecks“ <strong>und</strong> „Vitasol-Kabinen“. Im Gegensatz zu den Fortbildungsseminaren<br />

konnten die <strong>Teil</strong>nehmer die weiteren Produkte im Anschluss an die Präsentation jedoch nicht erwerben; „sie<br />

spielten im Vertriebssystem der PPV eine sehr untergeordnete Rolle“ (UA S. 31). Im Schwerpunkt wurde auch für<br />

eine Mitarbeit bei der PPV zum Vertrieb der Fortbildungsseminare geworben, wobei den Zuhörern Provisionen in<br />

folgender Höhe in Aussicht gestellt wurden: Für jedes erfolgreich vermittelte Seminar sollten sie als „Vertriebsrepräsentantenanwärter“<br />

eine Provision von 550 € brutto erhalten. Bereits nach der Vermittlung von zwei Seminaren sollte<br />

der Anwärter zum „Vertriebsrepräsentanten“ ernannt werden, dessen Aufgabe es war, seinerseits die Anwärter<br />

anzuleiten; die Provision für jedes erfolgreich vermittelte Seminar sollte sich auf 700 € brutto erhöhen. Im Anschluss<br />

375


an den Präsentationsvortrag fanden Einzelgespräche mit den <strong>Teil</strong>nehmern statt, in denen die Verdienstmöglichkeiten<br />

nochmals erläutert wurden. „Regelmäßig wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eine Mitarbeit bei der PPV<br />

nur bei Buchung <strong>und</strong> Bezahlung des Seminars möglich sei“ (UA S. 33). Der Interessent schloss den Seminarvertrag<br />

ab. Außerdem füllte er in der Regel einen Bewerbungsbogen als Vertriebspartner aus, welcher u.a. folgenden Text<br />

enthielt: „Ich bestätige mit meiner Unterschrift, dass die Abnahme der/des von der PPV vermittelten Produkte(s) mir<br />

nicht als Voraussetzung oder Bedingung einer etwaigen Mitarbeit beim PPV dargestellt wurde, sondern dass mir<br />

vielmehr zur Kenntnis gebracht wurde, dass eine Mitarbeit – <strong>und</strong> damit auch die mir vorgestellten Verdienstmöglichkeiten<br />

durch Produktvermittlung – auch ohne eigene Produktabnahme möglich ist. Entschließe ich mich zur<br />

Abnahme der/des Produkte(s), geschieht dies, weil mich diese(s) überzeugt haben“ (UA S. 32). Tatsächlich wurde<br />

jedoch die Buchung <strong>und</strong> Bezahlung eines Seminars regelmäßig als Voraussetzung für eine Vertriebsmitarbeit bei der<br />

PPV verlangt; dabei kam es, „den Umworbenen bei Abschluss des Seminarvertrages regelmäßig auf die Berechtigung<br />

zur <strong>Teil</strong>nahme am Vertriebssystem mit den entsprechenden Provisionsaussichten <strong>und</strong> nicht auf die Seminarteilnahme<br />

an“ (UA S. 34). Ein Vertriebsmitarbeitervertrag wurde zumeist erst im Rahmen der folgenden Präsentationsveranstaltung<br />

etwa eine Woche später unterzeichnet <strong>und</strong> ausgehändigt. Voraussetzung dafür war, dass der K<strong>und</strong>e die<br />

Seminargebühr bezahlt hatte oder zumindest eine Ratenzahlungsvereinbarung bzw. eine Vereinbarung über die Verrechnung<br />

mit Provisionsansprüchen getroffen worden war. Die neu geworbenen Vertriebsmitarbeiter fuhren sodann<br />

Neuinteressenten zu einer der nachfolgenden Präsentationsveranstaltungen, auf welcher diese „auf die gleiche Art<br />

<strong>und</strong> unter dem Versprechen der gleichen Provisionen“ (UA S. 34) zu der Zahlung einer Seminargebühr <strong>und</strong> „damit<br />

dem Systembeitritt“ (UA S. 35) bewogen werden sollten. Insgesamt wurden im Tatzeitraum dergestalt mindestens<br />

4.605 Personen umworben; es wurden 3.959 Seminare erfolgreich vermittelt.<br />

2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten als eine einheitliche Straftat der progressiven K<strong>und</strong>enwerbung<br />

gemäß § 16 Abs. 2 UWG gewertet. Die Angeklagten hätten sich an Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift gewandt.<br />

Maßgeblich hierfür sei weder der Zeitpunkt der Unterzeichnung des Mitarbeitervertrages, noch derjenige der Buchung<br />

des Seminars, sondern die Kontaktanbahnung bis hin zur Anfahrt zu den Präsentationsveranstaltungen. Während<br />

dieses Zeitraums seien die Interessenten noch in der Informations- <strong>und</strong> Entscheidungsphase gewesen. Solange<br />

sie aber noch keine Entscheidung in Richtung einer unternehmerischen Tätigkeit getroffen hätten, bestehe bei ihnen<br />

die Verbrauchereigenschaft fort. Hierüber hätten sich die Angeklagten auch in keinem Irrtum (§ 17 <strong>StGB</strong>) bef<strong>und</strong>en.<br />

Dies zeige sich schon daran, dass sie in den Mitarbeiterverträgen den Passus aufgenommen hätten, dass die Mitarbeit<br />

nicht vom Erwerb eines Seminars abhängig gemacht worden sei. Das Kettenelement liege darin, dass der einzelne<br />

Abnehmer weitere Abnehmer habe werben sollen, denen gegenüber wiederum dieselben Vorteilsversprechen erfolgen<br />

sollten. Insgesamt handele es sich um ein einheitliches Absatzkonzept. Dies begründe eine Tat im Rechtssinne,<br />

die von den Angeklagten gemeinschaftlich begangen worden sei.<br />

II. Die Revisionen sind mit der Sachrüge nur insoweit teilweise erfolgreich, als das Landgericht fünf Angeklagten<br />

eine Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung versagt hat. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet<br />

(§ 349 Abs. 2 StPO). Der Ausführungen bedarf ergänzend zum Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts nur Folgendes:<br />

1. Hinsichtlich der Angeklagten H. <strong>und</strong> Ke. ist kein Strafklageverbrauch eingetreten. Gegen diese Angeklagten wurde<br />

zwar von der Staatsanwaltschaft Rostock wegen eines Vergehens nach § 16 Abs. 2 UWG ermittelt <strong>und</strong> das Verfahren<br />

nach Erfüllung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt. Das Landgericht führt jedoch zutreffend<br />

aus, dass die diesen Angeklagten vorgeworfene Tat (Anwerbung des Zeugen N. im November 2006) außerhalb des<br />

abgeurteilten Tatzeitraums lag, der bis Ende April 2006 andauerte. Als Endpunkt hat die Strafkammer den von den<br />

Angeklagten zu diesem Zeitpunkt gefassten Entschluss gewertet, die PPV zu beenden <strong>und</strong> das System innerhalb<br />

einer neuen Gesellschaft, der MMG, weiterzuführen. In der Verlagerung der Geschäftstätigkeit auf eine andere Firma<br />

hat das Landgericht zutreffend einen neuen Tatentschluss gesehen, der zugleich das ursprüngliche Organisationsdelikt<br />

– bezogen auf die PPV – beendete. Dass die Vertriebstätigkeit durch die PPV im Juli 2006 wiederaufgenommen<br />

wurde, stellt abermals einen neuen Tatentschluss dar <strong>und</strong> lässt nicht etwa die ursprüngliche Tat wieder aufleben.<br />

Diese Ausführungen des Landgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Ein Strafklageverbrauch durch die Verfahrenseinstellung<br />

eines <strong>Teil</strong>aktes (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. August 2003 – 5 StR 145/03, BGHSt 48,<br />

331, 343) kommt schon allein deshalb nicht in Betracht, weil diese Einzelhandlung nicht dieselbe prozessuale Tat<br />

betrifft <strong>und</strong> außerhalb des Aburteilungszeitraums steht. Die Angriffe der Revision gegen die Feststellungen des<br />

Landgerichts hierzu bleiben ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen, insoweit die Ablehnung von Beweisanträgen betreffend,<br />

die sich auf eine durchgängige Tätigkeit der PPV beziehen, sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

unbegründet. Es bestand angesichts des in den Urteilsgründen dargestellten Ermittlungsergebnisses<br />

für die Strafkammer auch kein Anlass zu weiterer (freibeweislicher) Nachforschung, ob die PPV durchgängig im<br />

376


Jahr 2006 ein System progressiver K<strong>und</strong>enwerbung betrieb (zur Frage, inwieweit eine freibeweisliche Feststellung<br />

von tatsächlichen Voraussetzungen eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommt, vgl. BGH, Beschluss vom 30.<br />

März 2001 – StB 4 <strong>und</strong> 5/01, BGHSt 46, 349, 353; BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 – 1 StR 266/10, zur Veröffentlichung<br />

in BGHSt bestimmt, NJW 2011, 547). Soweit die Verteidigung hierzu auf die angebotenen Zeuginnen O.<br />

<strong>und</strong> Kr. verweist, ist nicht ersichtlich, in welcher Funktion <strong>und</strong> wo im Einzelnen die Zeuginnen für die PPV tätig<br />

gewesen sein sollen. Ebenso wenig lässt sich erkennen, ob sie im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Seminaren<br />

gearbeitet haben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die weiterhin als Zeugin benannte D. K., die hauptsächlich<br />

mit Büroarbeiten betraut war. Im Übrigen würde selbst ein Fortbestand der PPV den Ansatz des Landgerichts nicht<br />

in Frage stellen. Maßgeblich hierfür ist nämlich, dass in der Verlagerung der Geschäftstätigkeit (<strong>und</strong> deren Modifizierung)<br />

ein neuer Tatentschluss zu sehen ist, der zugleich eine neue <strong>und</strong> selbständige Tat im Sinne des § 264 StPO<br />

begründet. Dem steht nicht entgegen, dass die PPV in ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur weiter bestanden hat,<br />

zumal sie ja später auch tatsächlich reaktiviert wurde. Jedenfalls sollte sie nicht mehr Träger des Systems progressiver<br />

K<strong>und</strong>enwerbung sein. Insofern widerspräche ein Fortbestand der PPV nicht der Auffassung des Landgerichts,<br />

dass mit der Übertragung der Seminarwerbung auf die MMG ein neuer Tatentschluss verb<strong>und</strong>en, die ursprüngliche<br />

Tat (über die PPV) mithin abgeschlossen war. Damit kann der Einzelvorgang einer progressiven K<strong>und</strong>enwerbung,<br />

der zur Einstellung nach § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft Rostock geführt hat, nicht mehr <strong>Teil</strong> des Organisationsdelikts<br />

sein, weshalb ein Strafklageverbrauch ausscheidet.<br />

2. Soweit die Beschwerdeführer die Ablehnung von Beweisanträgen auf die Vernehmung H<strong>und</strong>erter von Zeugen in<br />

Anlehnung an eine – freilich schwer nachvollziehbare – Beweismittelauflistung in der Anklage beanstanden, scheitern<br />

die Rügen auch an den Gr<strong>und</strong>sätzen der Rechtsprechung zur Konnexität bei fortgeschrittener Beweisaufnahme<br />

(BGH, Urteil vom 10. Ju-ni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284).<br />

3. Die Schuldsprüche wegen progressiver Werbung halten rechtlicher Überprüfung stand.<br />

a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Verbrauchereigenschaft der Interessenten bejaht.<br />

aa) Der Straftatbestand des § 16 Abs. 2 UWG wurde im Rahmen der Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren<br />

Wettbewerb im Jahr 2004 (BGBl. I, S. 1414) in Bezug auf den geschützten Personenkreis modifiziert. Während die<br />

Vorgängervorschrift des § 6c UWG a.F. noch sämtliche Nichtkaufleute erfasste, beschränkte die Neufassung der<br />

Strafvorschrift den Schutzbereich auf Verbraucher, weil nur insofern ein erhebliches Gefährdungspotential bestehe<br />

(BT-Drucks. 15/1487, S. 26). Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb enthält dabei keine eigene Definition<br />

des Verbraucherbegriffs, sondern erklärt in § 2 Abs. 2 UWG die Vorschrift des § 13 BGB für entsprechend anwendbar.<br />

Danach ist Verbraucher eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder<br />

ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Im Gegensatz dazu steht<br />

unter-nehmerisches Handeln, das durch die Definition des Unternehmerbegriffs (§ 14 Abs. 1 BGB) gesetzlich bestimmt<br />

ist als Abschluss von Rechtsgeschäften für eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit. Für die<br />

Abgrenzung ist nicht der innere Wille des Handelnden entscheidend, sondern es gilt ein objektivierter Maßstab. Ob<br />

eine Tätigkeit als selbständige zu qualifizieren ist, bestimmt sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt<br />

des Rechtsgeschäfts, in die erforderlichenfalls die Begleitumstände einzubeziehen sind (BGH, Urteil vom 15. November<br />

2007 – III ZR 295/06, NJW 2008, 435; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 3 f.). Ausgeschlossen<br />

vom Verbraucherbegriff ist nur jedwedes selbständiges berufliches oder gewerbliches Handeln. Auch ein Arbeitnehmer<br />

wird bei Rechtsgeschäften in Beziehung auf sein Arbeitsverhältnis als Verbraucher angesehen (BVerfG –<br />

Kammer –, NJW 2007, 286, 287; Münch-KommBGB/Micklitz, 5. Aufl., § 13 Rn. 46). Unternehmer- <strong>und</strong> nicht Verbraucherhandeln<br />

liegt allerdings vor, wenn das maßgebliche Geschäft im Zuge der Aufnahme einer gewerblichen<br />

oder selbständigen beruflichen Tätigkeit (sogenannte Existenzgründung) geschlossen wird (BGH, Beschluss vom 24.<br />

Februar 2005 – III ZB 36/04, BGHZ 162, 253, 256 mwN; Palandt/Ellenberger aaO; Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl.,<br />

§ 13 Rn. 16; aA Micklitz, aaO, Rn. 54). Dies gilt indes nicht, solange die getroffene Maßnahme noch nicht Bestandteil<br />

der Existenzgründung selbst ist, sondern sich im Vorfeld einer solchen bewegt <strong>und</strong> die Entscheidung, ob es überhaupt<br />

zu einer Existenzgründung kommen soll, erst vorbereitet (BGH, Urteil vom 15. November 2007 – III ZR<br />

295/06, NJW 2008, 435). Bewegt sich das rechtsgeschäftliche Handeln im Vorfeld einer Existenzgründung, über die<br />

noch nicht definitiv entschieden ist, ist es noch nicht dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen. Solche Aktivitäten<br />

in der Sondierungsphase betreffen daher Verbraucherhandeln (vgl. BGH aaO). Maßgebender Zeitpunkt der Beurteilung<br />

der Verbrauchereigenschaft ist dabei im Rahmen des § 16 Abs. 2 UWG nicht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses;<br />

abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt, in welchem der Geworbene erstmals durch das Absatzkonzept<br />

des Veranstalters in der Weise angesprochen wird, dass die Werbung unmittelbar in die Abnahme des Produkts einmünden<br />

soll. Das Lauterkeitsrecht entfaltet seine verbraucherschützende Funktion bereits im Vorfeld von Vertragsanbahnungen<br />

<strong>und</strong> auch in solchen Fällen, in denen – wie bei der bloßen Sympathiewerbung (Imagewerbung)<br />

377


eines Unternehmens – eine Vertragsanbahnung nicht in Rede steht (Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl.,<br />

§ 2 Rn. 85; Lettl, GRUR 2004, 449, 451). In diesem Zusammenhang ist auch die durch § 2 Abs. 2 UWG lediglich<br />

entsprechend – d.h. sinngemäß – angeordnete Geltung des Verbraucherschutzbegriffes zu sehen. Da nach § 16 Abs.<br />

2 UWG das Verhalten im Vorgriff auf den Abschluss eines Rechtsgeschäftes pönalisiert wird, bestimmt sich danach<br />

auch der Verbraucherbegriff. Maßgeblich ist deshalb, ob die Adressaten in dem Zeitpunkt, in welchem sie durch die<br />

Werbemaßnahmen angesprochen werden, Verbraucher sind (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., §<br />

16 Rn. 36).<br />

bb) Für diese Auslegung des § 16 Abs. 2 UWG sprechen zudem der Schutzzweck der Norm <strong>und</strong> deren Deliktscharakter.<br />

§ 16 Abs. 2 UWG ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt (Diemer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze,<br />

Stand: Oktober 2009, § 16 UWG Rn. 124; Dreyer in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl., §<br />

16 Rn. 32; Bornkamm aaO, § 16 Rn. 4; Sosnitza, aaO, § 16 Rn. 36). Bezweckt ist der generelle Schutz geschäftlich<br />

unerfahrener Personen vor der Verstrickung in Vertriebsmethoden, die schon ihrer Anlage nach für sie ein gefährliches,<br />

schadensträchtiges Risiko zum Inhalt haben (Diemer aaO, Rn. 123). Der Abnehmer soll vor Täuschung,<br />

glücksspielartiger Willensbeeinflussung <strong>und</strong> Vermögensgefährdung geschützt werden (BT-Drucks. 10/5058, S. 38 f.,<br />

ähnlich BT-Drucks. 9/1707, S. 14). Zur Erfüllung des Tatbestandes ist es nicht erforderlich, dass Abnehmer auf das<br />

System „hereinfallen“ (Dreyer aaO; Sosnitza aaO) <strong>und</strong> einen Vertrag abschließen. Vielmehr genügt das Herbeiführen<br />

einer gefahrenvollen Situation, mithin die Verfolgung des als Schneeballsystem stukturierten Absatzsystems<br />

durch Werbemaßnahmen.<br />

cc) Aufgr<strong>und</strong> der Ausgestaltung des Straftatbestandes als Unternehmensdelikt ist die Tat bereits vollendet, wenn der<br />

Täter versucht, das Werbe- <strong>und</strong> Vertriebssystem in Gang zu setzen (Janssen/Maluga in Münch-Komm<strong>StGB</strong>, Nebenstrafrecht<br />

II, UWG, 2010, § 16 Rn. 96). Nach allgemeinen Regeln muss er dazu zur Tat unmittelbar angesetzt haben.<br />

Das Verhalten des Täters muss darauf gerichtet sein, den geschützten Personenkreis zur Abnahme von Waren,<br />

Dienstleistungen oder Rechten zu veranlassen (vgl. Bornkamm aaO, Rn. 36; Janssen/Maluga aaO, Rn. 97; Diemer<br />

aaO, Rn. 143; Sosnitza aaO). Zur Tatbestandsvollendung gehört daher jede Handlung im Rahmen des nach § 16 Abs.<br />

2 UWG tatbestandlichen Werbesystems, die geeignet ist, das Ziel zu erreichen (Diemer aaO, Rn. 129). Entscheidend<br />

ist daher, ob in diesem Zeitpunkt – nicht bei Vertragsabschluss – sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Deshalb<br />

kann es hier dahinstehen, ob die Interessenten beim Abschluss der Seminarverträge etwa nicht mehr Verbraucher<br />

waren.<br />

dd) Europäisches Gemeinschaftsrecht steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar ist der so zu bestimmende Verbraucherbegriff<br />

im Verhältnis zu dem der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, ABl. L<br />

149, 22) zugr<strong>und</strong>e liegenden Verbraucherbegriff möglicherweise umfassender. Da der europäische Verbraucherbegriff<br />

jedoch einerseits den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken begrenzt, andererseits<br />

aber die im Übrigen einschlägige Richtlinie zur Angleichung der Rechts- <strong>und</strong> Verwaltungsvorschriften der<br />

Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (RL 84/450/EWG, ABl. L 250, 17) nur einen Mindest-, aber keinen<br />

Höchstschutz vorgibt, ist ein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht nicht begründet; denn eine Verstärkung des<br />

Verbraucherschutzes über den Standard der Richtlinien hinaus ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (BT-<br />

Drucks. 16/10145, S. 11 f.; Sosnitza aaO, § 2 Rn. 89; Dreyer aaO, § 16 Rn. 36; Palandt/Ellenberger aaO, Rn. 3).<br />

ee) Das Landgericht hat für die Prüfung, ob die von den Werbemaßnahmen angesprochenen Interessenten als Verbraucher<br />

anzusehen sind, auf den Zeitpunkt abgestellt, als diese das erste Kontaktgespräch aufnahmen, spätestens<br />

aber als sie zu den Präsentationsveranstaltungen gefahren wurden. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.<br />

Schon in dieser Phase waren sie von Seiten der Angeklagten Werbemaßnahmen ausgesetzt. Bis dahin war keinesfalls<br />

etwa eine Entscheidung im Sinne einer „Existenzgründung“ für eine selbständige Tätigkeit gefallen. Die Interessenten<br />

befanden sich – wie auch die mitgeteilten Zeugenaussagen belegen – in einer Phase der Vorinformation <strong>und</strong><br />

Willensbildung <strong>und</strong> waren damit keine Unternehmer im Sinne des § 14 Abs. 1 BGB, sondern Verbraucher im Sinne<br />

des § 13 BGB. Abgesehen davon, dass der Inhalt der Annoncen nicht ohne weiteres auf eine selbständige Tätigkeit<br />

schließen ließ, sondern bewusst offen gehalten war <strong>und</strong> sowohl im Sinne einer arbeitnehmerähnlichen als auch einer<br />

kleinunternehmerischen Tätigkeit verstanden werden konnte, war jedenfalls bis dahin noch kein Entschluss für die<br />

Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit getroffen. Dies gilt sogar für die Präsentationsveranstaltung selbst, weil auch<br />

diese der Information der <strong>Teil</strong>nehmer gedient hat, die noch nicht entschlossen waren. Diese Phasen der Anwerbung<br />

waren bei dem Unternehmensdelikt des § 16 Abs. 2 UWG bereits tatbestandsmäßig. Die Anwerbung, beginnend mit<br />

dem Schalten der Zeitungsannoncen, war nach dem Tatplan der Angeklagten bereits darauf angelegt, den Verkauf<br />

der Seminare herbeizuführen. Spätestens ab Beginn der Präsentationsveranstaltung war das Unternehmensdelikt des<br />

§ 16 Abs. 2 UWG vollendet, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem die Interessenten noch Verbraucher waren. Ihre<br />

mögliche spätere Entscheidung, als Vertriebsrepräsentant tätig zu werden, spielt dabei – ungeachtet der Frage, ob sie<br />

378


als „Existenzgründung“ zu qualifizieren wäre – keine Rolle. Nur bei einer solchen – mit dem Wortsinn <strong>und</strong> der Systematik<br />

des Gesetzes übereinstimmenden – Auslegung kann ein effektiver Schutz vor unlauterer Werbung durch die<br />

Eröffnung zweckwidriger Umgehungsmaßnahmen gewährleistet werden.<br />

b) Das Landgericht hat das Kettenelement im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG rechtsfehlerfrei bejaht. Es hat festgestellt,<br />

dass faktische Voraussetzung für die Beauftragung als Vertriebsmitarbeiter der Erwerb einer Seminarveranstaltung<br />

war. Damit hat es der gegenteiligen Klausel in den Mitarbeiterverträgen keine Geltung beigemessen, diese vielmehr<br />

nur als Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse gewertet (UA S. 159 ff.). Die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen<br />

bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts ohne Erfolg. Da die<br />

Buchung der <strong>Teil</strong>nahme an den Motivations- <strong>und</strong> Ausbildungsseminaren als Bedingung dafür behandelt wurde, dass<br />

die Vertriebsmitarbeiter selbst diese Seminare gegen Provisionen vertreiben durften, liegt das Kettenelement vor.<br />

Dieser Bedingungszusammenhang erfüllt den Tatbestand des § 16 Abs. 2 UWG, weil der geworbene Mitarbeiter nur<br />

dadurch besondere Vorteile erlangen kann, indem er andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlasst. Hierdurch<br />

wird nämlich ein Schneeballsystem dergestalt begründet, dass der Vertriebsmitarbeiter ein Produkt erwerben<br />

muss <strong>und</strong> sich nur durch die Einwerbung neuer K<strong>und</strong>en refinanzieren kann. Für den Fall einer weiteren Anwerbung<br />

erhöhte sich die Provision ebenso, wie eine Beteiligung für den mittlerweile in der Hierarchie aufgestiegenen Vertriebs-mitarbeiter<br />

für den Fall vorgesehen war, dass untergeordnete Vertriebsmitarbeiter Käufer anwerben (vgl. UA<br />

S. 145 ff.). Damit weist das System Merkmale auf, die nach ihrer Beeinflussungswirkung geeignet sind, die typische<br />

Dynamik eines Systems der progressiven K<strong>und</strong>enwerbung in Gang zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober<br />

1997 – 5 StR 223/97, NJW 1998, 390, zu § 6c UWG a.F.).<br />

4. Die Angeklagten unterlagen – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat – keinem Verbotsirrtum gemäß<br />

§ 17 <strong>StGB</strong>. Ausreichende Unrechtseinsicht liegt bereits dann vor, wenn der Täter bei der Begehung der Tat mit der<br />

Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, <strong>und</strong> dies billigend in Kauf nimmt (st. Rspr.: BGH, Urteile vom 3. April 2008 –<br />

3 StR 394/07, BGHR <strong>StGB</strong> § 17 Vermeidbarkeit 8; vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307, 313; vom<br />

17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 23. Dezember 1952 – 2<br />

StR 612/52, BGHSt 4, 1, 4; vom 1. Juni 1977 – KRB 3/76, BGHSt 27, 196, 202); es genügt mithin das Bewusstsein,<br />

die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen<br />

(BGH, Beschluss vom 4. November 1957 – GSSt 1/57, BGHSt 11, 263, 266). Der vom Tatgericht gezogene<br />

Schluss, die der festgestellten Praxis diametral entgegenstehenden Formulierungen in den Mitarbeiterverträgen belegten,<br />

dass die Angeklagten mit der Möglichkeit einer Strafbarkeit rechneten, ist rechtlich nicht zu beanstanden.<br />

Dem steht auch nicht entgegen, dass im Tatzeitraum zivilrechtliche Urteile von Amts- <strong>und</strong> Landgerichten einen Verstoß<br />

gegen § 16 Abs. 2 UWG mangels Verbrauchereigenschaft der Interessenten verneinten. Die Aussagekraft dieser<br />

Entscheidungen war schon dadurch vermindert, dass für das den Einzelfall beurteilende Zivilgericht das sich nur aus<br />

einer Gesamtbetrachtung erschließende System der progressiven K<strong>und</strong>enwerbung praktisch nicht zu erkennen war.<br />

Zudem waren die Angeklagten – wie das Landgericht in den Urteilsgründen im Einzelnen ausge-führt hat – durch<br />

zahlreiche strafrichterliche Entscheidungen vorgewarnt, die eine Strafbarkeit inzident bejahten. Das von den Angeklagten<br />

verfolgte System der progressiven K<strong>und</strong>enwerbung war jedenfalls darauf ausgerichtet, eine von ihnen so<br />

verstandene rechtliche Grauzone auszunutzen. Dies setzt dann aber regelmäßig eine gedankliche Auseinandersetzung<br />

mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus <strong>und</strong> schließt, wenn höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht<br />

vorliegen, jedenfalls die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen<br />

(BVerfG – Kammer –, NJW 2006, 2684, 2686; BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243,<br />

258). Dass die Angeklagten selbst von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Strafbarkeit ihres Verhaltens ausgingen,<br />

zeigen gerade auch ihre Bemühungen, sowohl in vorformulierten Bewerbungsbögen als auch in Vertriebsmitarbeiterverträgen<br />

die tatsächliche Kopplung von Seminarerwerb <strong>und</strong> Mitarbeit bei der Firma PPV zu verschleiern<br />

(vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. August 2002 – 3 StR 11/02, NJW 2002, 3415, 3417).<br />

5. Keinen Bestand hat das landgerichtliche nur insoweit, als bei den Angeklagten H., L., Ka., Her. <strong>und</strong> Keu. die Vollstreckung<br />

der verhängten Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafkammer begründet dies<br />

damit, dass die Angeklagten bis zum Plädoyer der Staatsanwältin eine entsprechende Tätigkeit fortgesetzt hätten.<br />

Dieser Gesichtspunkt trägt unter der hier gegebenen besonderen Voraussetzung, dass die Praxis der Zivilgerichte <strong>und</strong><br />

der Strafverfolgungsbehörden zu den hier zu entscheidenden Fragen durchaus ambivalent gewesen ist, die Versagung<br />

einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht. Zudem haben auch diese Angeklagten jedenfalls nach dem ersten<br />

Plädoyer der Staatsanwältin ihre Tätigkeit eingestellt. Dies weist darauf hin, dass sie sich allein die strafgerichtliche<br />

Verurteilung zur Warnung dienen lassen werden. Der Senat setzt bei diesen – sämtlich unbestraften <strong>und</strong> sozial eingeordneten<br />

– Angeklagten die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Es sind keine Umstände ersichtlich,<br />

die bei ihnen eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, die vom Landgericht<br />

379


ei einem Mitangeklagten ohne weiteres auch für eine Freiheitsstrafe über einem Jahr nach § 56 Abs. 2 <strong>StGB</strong> gewährt<br />

worden ist. Die hierzu erforderlichen Nebenentscheidungen werden dem Landgericht übertragen.<br />

WÜK Art. 36 Abs. 1 b Belehrung des Ausländers muss überprüfbar sein<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2011 – V ZB 165/10<br />

LS: Die Beachtung der Rechte, die einem Ausländer nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des Wiener<br />

Übereinkommens über konsularische Beziehungen zustehen, muss für das Rechtsbeschwerdegericht<br />

nachvollziehbar sein. Die Belehrung des Ausländers über diese Rechte, seine Reaktion hierauf <strong>und</strong>,<br />

sofern verlangt, die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung von der Inhaftierung<br />

sind daher aktenk<strong>und</strong>ig zu machen.<br />

BGH, Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 165/10 - LG Hannover AG Hannover<br />

Der V. Zivilsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 18. November 2010 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des<br />

Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. April 2010 <strong>und</strong> der Beschluss<br />

des Landgerichts Hannover vom 27. Mai 2010 ihn in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden - auch<br />

hinsichtlich der Vorinstanzen - nicht erhoben. Der Beteiligte zu 2 trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen<br />

aller Instanzen. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen, weil<br />

die wirtschaftlichen Voraussetzungen jedenfalls aufgr<strong>und</strong> des nach der Kostenentscheidung begründeten Erstattungsanspruchs<br />

nicht vorliegen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.<br />

Gründe:<br />

I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober oder November 2008 in das B<strong>und</strong>esgebiet<br />

ein. Sein Asylantrag wurde 2009 bestandskräftig zurückgewiesen. Trotz entsprechender Aufforderungen reiste<br />

der Betroffene nicht aus. Am 14. April 2010 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2<br />

ordnete das Amtsgericht am 15. April 2010 gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko bis längstens<br />

14. Juli 2010 <strong>und</strong> die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Nach der Belehrung, dass das für ihn zuständige<br />

Konsulat bzw. die Botschaft von seiner Inhaftierung informiert werde, wenn er dies wünsche, bat der Betroffene<br />

um eine entsprechende Unterrichtung <strong>und</strong> um Benachrichtigung seiner Schwester. Die gegen die Haftanordnung<br />

gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der inzwischen<br />

aus der Haft entlassene Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amts- <strong>und</strong> des Landgerichts<br />

ihn in seinen Rechten verletzt haben.<br />

II. Die - ungeachtet der Erledigung der Hauptsache statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB<br />

172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) <strong>und</strong> auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die<br />

Rechte des Betroffenen aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK nicht gewahrt worden sind. Dies stellt einen gr<strong>und</strong>legenden<br />

Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss<br />

vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 f.; BVerfG, NJW 2007, 499, 500 f.). Nach der genannten<br />

Vorschrift sind die konsularischen Vertretungen des Heimatstaates eines Betroffenen auf Verlangen unverzüglich<br />

von dessen Inhaftierung zu unterrichten (Satz 1); auf dieses Recht ist der Betroffene unverzüglich hinzuweisen (Satz<br />

3). Das Gericht hat deshalb neben der Belehrung des Betroffenen sicherzustellen, dass eine von diesem verlangte<br />

Unterrichtung der konsularischen Vertretung unverzüglich erfolgt. Da es sich bei den Rechten aus dem Wiener<br />

Übereinkommen über konsularische Beziehungen um Verfahrensgarantien handelt, muss deren Beachtung für die<br />

Rechtsmittelinstanzen nachvollziehbar sein <strong>und</strong> daher aktenk<strong>und</strong>ig gemacht werden. Die Belehrung des Betroffenen,<br />

seine Reaktion hierauf <strong>und</strong> die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind zu<br />

dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens<br />

gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V<br />

ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag). So verhält es sich hier. Ausweislich des Protokolls über die<br />

Anhörung des Betroffenen vom 15. April 2010 ist dieser von dem Amtsgericht zwar über sein Recht belehrt worden,<br />

die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen. Dass die von ihm verlangte Unterrichtung erfolgt<br />

ist, lässt sich der Verfahrensakte dagegen nicht entnehmen; diese enthält keinen Hinweis auf eine schriftliche oder<br />

telefonische Kontaktaufnahme mit dem Konsulat. Lediglich hinsichtlich der Bitte des Betroffenen um Benachrichtigung<br />

seiner Schwester findet sich in einer Protokollabschrift ein Erledigungsvermerk; dass sich dieser auch auf die<br />

Benachrichtigung des Konsulats beziehen soll, ist nach seiner räumlichen Anordnung auszuschließen. Der Verstoß<br />

380


gegen Art. 36 WÜK ist nicht dadurch geheilt worden, dass die marokkanische Botschaft im späteren Verlauf des<br />

Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung des Betroffenen erhalten hat. Das Recht auf konsularische Hilfe kann nur<br />

dann effektiv in Anspruch genommen werden, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes, wie in Art. 36 Abs.<br />

1 Buchst. b Satz 1 WÜK vorgeschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (vgl. Senat, Beschluss<br />

vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 aE).<br />

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 <strong>und</strong> 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO.<br />

Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2<br />

zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffenen zu verpflichten (Senat, Beschluss vom<br />

6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 f. Rn. 19).<br />

381


Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>StGB</strong> <strong>Allgemeiner</strong> <strong>Teil</strong> .................................................................................................................... 2<br />

<strong>StGB</strong> § 21 „Spiegeltrinker“ .................................................................................................................... 2<br />

BGH, Beschl. v. 01.09.2010 – 2 StR 408/10 - BeckRS 2010, 23476 ................................................................... 2<br />

<strong>StGB</strong> § 21, 213 Trinkmenge widerlegt beweist noch nicht volle Schuldfähigkeit ............................. 3<br />

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 - 5 StR 358/10 - NStZ-RR 2011, 10 ....................................................................... 3<br />

<strong>StGB</strong> § 24 Rücktrittshorizont Freiwilligkeit......................................................................................... 5<br />

BGH, Beschl. v. 16.03.2011 - 2 StR 22/11 - BeckRS 2011, 08335 ..................................................................... 5<br />

<strong>StGB</strong> § 27, 49 I BtMG § 29 Kein minder schweren Fall für eine Gehilfen ........................................ 6<br />

BGH, Beschl. v. 30.03.2011 - 5 StR 12/11 - BeckRS 2011, 08172 ..................................................................... 6<br />

<strong>StGB</strong> § 30 Abs. 2, §§ 52, 53 Verabredung mehrerer Verbrechen – Konkurrenzen bei jedem Täter<br />

gesondert .................................................................................................................................................. 8<br />

BGH, Urt. v. 17.02.2011 - 3 StR 419/10 - BeckRS 2011, 06574 ......................................................................... 8<br />

<strong>StGB</strong> § 32 Keine Notwehr gegen Wegnahme in berechtigter Selbsthilfe ......................................... 11<br />

BGH, Beschl. v. 05.04.2011 – 3 StR 66/11- BeckRS 2011, 09435 .................................................................... 11<br />

<strong>StGB</strong> § 34 Straftaten durch V-Personen des BND ............................................................................. 13<br />

BGH, Beschl. v. 16.09.2010 - AK 12/10 - NStZ 2011, 153 ............................................................................... 13<br />

<strong>StGB</strong> § 46 a, § 211 Mordmerkmale Heimtücke <strong>und</strong> Habgier, kein TOA bei Verteidigung ohne<br />

Respekt vor dem Opfer......................................................................................................................... 15<br />

BGH, Beschl. v. 25.08.2010 – 1 StR 393/10 - BeckRS 2010, 23039 ................................................................. 15<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Abs. 3 Doppelverwertung von Gewinnstreben bei Btm-Handeltreiben ....................... 17<br />

BGH, Beschl. v. 10.02.2011 - 3 StR 498/10 - BeckRS 2011, 06582 ................................................................. 17<br />

<strong>StGB</strong> § 46 b Kronzeuge verspätete Offenbarung (Präklusion)......................................................... 17<br />

BGH, Beschl. v. 03.12.2010 – 1 StR 538/10 - BeckRS 2010, 30898 ................................................................. 17<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Fehlen strafmildernder Umstände sind keine Schärfungsgründe .................................. 18<br />

BGH, Beschl. v. 23.03.2011 - 2 StR 35/11 - BeckRS 2011, 08336 ................................................................... 18<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Mutter des Täters gleicher Beruf wie Opfer kein Strafschärfungsgr<strong>und</strong> ..................... 19<br />

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 – 4 StR 471/10 - NStZ-RR 2011, 5 ....................................................................... 19<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Strafzumessung - Rechtstreues Leben nach der Tat ....................................................... 19<br />

BGH, Urt. v. 13.07.2010 – 1 StR 277/10 - BeckRS 2010, 18801 ...................................................................... 19<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Strafzumessung beim Gehilfen aus eigenem Antrieb ...................................................... 21<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.2011 – 2 StR 577/10 - BeckRS 2011, 03858 ................................................................. 21<br />

<strong>StGB</strong> § 46 Strafzumessung, Vergleich mit anderen Fällen ............................................................... 22<br />

BGH, Beschl v. 11.08.2010 – 2 StR 318/10 - StV 2010, 677 ............................................................................. 22<br />

<strong>StGB</strong> § 46, BtmG § 29 Strafzumessung bei polizeilich gesteuerten BtmG-Delikten ....................... 23<br />

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 - 3 StR 28/11 - BeckRS 2011, 06568 ................................................................... 23<br />

<strong>StGB</strong> § 46a Vage Versprechungen sind noch kein TOA ................................................................... 25<br />

BGH, Beschl. v. 11.10.2010 - 1 StR 359/10 - BeckRS 2011, 07180 ................................................................ 25<br />

<strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1 Härteausgleich bei Gesamtstrafe nicht nach Vollstreckungsmodell .................. 27<br />

382


383<br />

BGH, Beschl. v. 09.11.2010 – 4 StR 441/10 - NJW 2011, 868 .......................................................................... 27<br />

<strong>StGB</strong> § 55 Abs. 1; StPO §§ 318, 331, 460, 462 Gesamtstrafenbildung durch Berufungsgericht<br />

nach Beschränkung des RM ................................................................................................................. 28<br />

BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 1 StR 212/10 - NJW 2010, 3589 = StraFo 2010, 469 ........................................ 28<br />

<strong>StGB</strong> § 64 - Mangelnde Therapiemotivation Indiz für geringe Therapieerfolgschancen .............. 32<br />

BGH, Beschl. v. 22.09.2010 - 2 StR 268/10 - BeckRS 2010, 27616 ................................................................. 32<br />

<strong>StGB</strong> § 64 Hang ..................................................................................................................................... 33<br />

BGH, Beschl. v. 08.06.2010 – 3 StR 162/10 - BeckRS 2010, 15789 ................................................................. 33<br />

<strong>StGB</strong> § 78 a – Verjährungsfrist ........................................................................................................... 34<br />

BGH, Beschl. v. 02.03.2011 – 2 StR 275/10 - wistra 2011, 228 ........................................................................ 34<br />

<strong>StGB</strong> § 78 b Abs. 4 Ruhen der Verjährung nach Eröffnungsbeschluss ........................................... 35<br />

BGH, Beschl. v. 08.02.2011 – 1 StR 490/10 - NJW 2011, 1157= wistra 2011, 181 .......................................... 35<br />

<strong>StGB</strong> Besonderer <strong>Teil</strong> .................................................................................................................... 38<br />

<strong>StGB</strong> § 107a, 267 Urk<strong>und</strong>enfälschung auf der Wahlbenachrichtigungskarte ................................ 38<br />

BGH, Urt. v. 17.03.2011 - 1 StR 407/10 - BeckRS 2011, 08015 ....................................................................... 38<br />

<strong>StGB</strong> § 129, § 129a, § 129b Inländische <strong>Teil</strong>gruppe ausländischer Vereinigung ............................ 42<br />

BGH, Urt. v. 28.10.2010 – 3 StR 179/10 – NJW 2011, 542............................................................................... 42<br />

<strong>StGB</strong> § 132, 132a – Amtsanmaßung durch Uniformtragen .............................................................. 49<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 - 4 StR 40/11 - NJW 2011, 1979 .......................................................................... 49<br />

<strong>StGB</strong> § 133, 246 Nichtrückgabe, um zu ärgern, ist noch keine Unterschlagung ............................. 53<br />

BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – 4 StR 164/10 - wistra 2010, 483 ........................................................................ 53<br />

<strong>StGB</strong> § 146 Abs. 1 Nr. 2 Verschaffen von Falschgeld – subj. Tatbestand ....................................... 55<br />

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 – 4 StR 30/11 - BeckRS 2011, 01780 ................................................................... 55<br />

<strong>StGB</strong> § 146 Keine Gewerbsmäßigkeit bei Verschaffung großer Falschgeldmenge in einem Akt . 58<br />

BGH, Beschl. v. 02.02.2011 – 2 StR 511/10 - NJW 2011, 1686 = StV 2011, 365 ............................................ 58<br />

<strong>StGB</strong> § 152a, § 152b Versuch des Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion ....... 60<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 - 5 StR 336/10 - NStZ 2011, 89 ............................................................................ 60<br />

<strong>StGB</strong> § 152a, § 152b Versuchbeginn bei bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit<br />

Garantiefunktion ................................................................................................................................... 61<br />

BGH, Urt. v. 27.01.2011 – 4 StR 338/10 - BeckRS 2011, 03863 ...................................................................... 61<br />

<strong>StGB</strong> § 173 Abs. 1 nicht durch nur beischlafsähnliche Handlungen................................................ 63<br />

BGH, Beschl. v. 07.09.2010 – 4 StR 342/10 - NStZ-RR 2010, 371 ................................................................... 63<br />

<strong>StGB</strong> § 174c – Kein Missbrauch, wenn Opfer dem Täter nicht anvertraut .................................... 64<br />

BGH, Urt. v. 14.04.2011 - 4 StR 669/10 - NJW 2011, 1891 .............................................................................. 64<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Berührung der Beine des Opfers bei Autofahrt ............................................................. 69<br />

BGH, Beschl. v. 22.12.2010 – 2 StR 569/10 - BeckRS 2011, 03766 ................................................................. 69<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Erpressung einer Prostituierten ...................................................................................... 71<br />

BGH, Beschl. v. 18.01.2011 – 3 StR 467/10 - NStZ 2011, 278 ......................................................................... 71<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Hilflose Lage als <strong>Teil</strong> der Gewalt ..................................................................................... 72<br />

BGH, Beschl. v. 26.10.2010 – 4 StR 397/10 - BeckRS 2010, 28091 ................................................................. 72<br />

<strong>StGB</strong> § 177 Reizgassprühgerät als gefährliches Werkzeug ............................................................... 73


BGH, Urt. v. 27.01.2011 – 4 StR 487/10 - ......................................................................................................... 73<br />

<strong>StGB</strong> § 184 Abs. 1 Nr. 8; § 30 Verbrechensverabredung Pornografie im Internet ....................... 76<br />

BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 5 StR 581/10 - BeckRS 2011, 06964 ................................................................. 76<br />

<strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 – Tötung von Partisanen im 2. Weltkrieg ........................................................... 81<br />

BGH, Beschl. v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10 - NJW 2011, 1014 .......................................................................... 81<br />

<strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2 – Mord, Verdeckungsabsicht ............................................................................... 87<br />

BGH, Urteil v.17.05.2011 - 1 StR 50/11 - NJW 2011, 2223 .............................................................................. 87<br />

<strong>StGB</strong> § 211 Mord, Verdeckungsabsicht .............................................................................................. 90<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 239/10 - NStZ 2011, 34 ........................................................................... 90<br />

<strong>StGB</strong> § 212, 216, 13 Sterbehilfe ............................................................................................................ 93<br />

BGH, Urt. v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191 = NJW 2010, 2963 (<strong>und</strong> überall) .......................... 93<br />

<strong>StGB</strong> § 216 Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens .......................................................................... 99<br />

BGH, Urt. v. 07.10.2010 – 3 StR 168/10 - NStZ 2011, 340 ............................................................................... 99<br />

<strong>StGB</strong> § 223 Ärztliche Aufklärung über Außenseitermethoden („Zitronensaft“) ......................... 102<br />

BGH, Urt. v. 22.12.2010 – 3 StR 239/10 - NJW 2011, 1088 ........................................................................... 102<br />

<strong>StGB</strong> § 223, 227 „Berliner Drogenarzt“ ............................................................................................ 105<br />

BGH, Beschl. v. 11.01.2011 - 5 StR 491/10 - NStZ 2011, 341 ........................................................................ 105<br />

<strong>StGB</strong> § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 Bereicherungsabsicht ...................................................................... 108<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 2 StR 104/10 - NJW 2010, 3669 ...................................................................... 108<br />

<strong>StGB</strong> § 238 § 46 Abs. 3 <strong>StGB</strong> Folgen beim Opfer als Straferschwerungsgr<strong>und</strong> ........................... 109<br />

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 - 4 StR 307/10 - BeckRS 2010, 27749 ............................................................... 109<br />

<strong>StGB</strong> § 240 Nötigung durch Sitzblockade (2. Reihe) ....................................................................... 112<br />

BVerfG, Beschl v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 - JuS 2011, 563 ..................................................................... 112<br />

<strong>StGB</strong> § 242, 259 Postpendenz Diebstahl Hehlerei ............................................................................ 112<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.2011 - 4 StR 651/10 - BeckRS 2011, 07701 ............................................................... 112<br />

<strong>StGB</strong> § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Diebstahl aus geschlossenem Behältnis mit Schlüssel ................. 113<br />

BGH, Beschl. v. 05.08.2010 – 2 StR 385/10 - NJW 2010, 3175 = StV 2011, 18 ............................................ 113<br />

<strong>StGB</strong> § 244 Einsteigen in Raum ......................................................................................................... 114<br />

BGH, Beschl. v. 27.07.2010 – 1 StR 319/10 - StV 2011, 17 ............................................................................ 114<br />

<strong>StGB</strong> § 250 Abs. 2 Nr. 1 „Halsband“ als gefährliche Waffe ........................................................... 115<br />

BGH, Urt. v. 05.08.2010 – 3 StR 190/10 - NStZ 2011, 211 ............................................................................. 115<br />

<strong>StGB</strong> § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 „Hausverlosung“ im Internet Vermögensverlust großen<br />

Ausmaßes ............................................................................................................................................. 118<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 StR 529/10 – NJW 2011, 1825 ..................................................................... 118<br />

<strong>StGB</strong> § 263 Vermögensnachteil muss der Bereicherungsabsicht entsprechen .............................. 121<br />

BGH, Beschl. v. 07.12.2010 – 3 StR 433/10 - BeckRS 2011, 03179 ............................................................... 121<br />

<strong>StGB</strong> § 263 Versuchsbeginn ............................................................................................................... 124<br />

BGH, Beschl. v. 12.01.2011 – 1 StR 540/10 - StV 2011, 362 ......................................................................... 124<br />

<strong>StGB</strong> § 263 Vermögensschaden bei Kapitalerhöhung ..................................................................... 125<br />

BGH, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 StR 616/10 - BeckRS 2011, 17607 ............................................................... 125<br />

<strong>StGB</strong> § 264 Suventinserheblichkeit Darlegung im Urteil ................................................................ 129<br />

384


385<br />

BGH, Beschl. v. 30.09.2010 - 5 StR 61/10 - StV 2011, 163 ............................................................................ 129<br />

<strong>StGB</strong> § 264a Kapitalanlagebetrug – Vorsatz .................................................................................... 131<br />

BGH, Urt. v. 15.07.2010 – III ZR 321/08 - NZG 2010, 1031= MDR 2010, 1050 ........................................... 131<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Handlungsbevollmächtigte ............................................................................................ 132<br />

BGH, Urt. v. 16.12.2010 – 4 StR 492/10 - NStZ 2011, 280 = wistra 2011, 141 .............................................. 132<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht Gerichtsvollzieher ............................................. 134<br />

BGH, Beschl. v. 07.01.2011 - 4 StR 409/10 - NJW 2011, 2149 = NStZ 2011, 281 ......................................... 134<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1; BetrVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Untreue nur bei Verletzung von<br />

Vermögensbetreuungspflichten ......................................................................................................... 136<br />

BGH, Beschl. v. 13.09.2010 – 1 StR 220/09 .................................................................................................... 136<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Abs. 1; PartG Rechtswidrige Parteispenden keine Untreue, wenn PartG <strong>und</strong><br />

Parteisatzung keinen Bezug zu Vermögensbetreuungspflicht herstellen ...................................... 148<br />

BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 1 StR 94/10 - NJW 2011, 1747 ........................................................................ 148<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Haushaltsuntreue – Vorsatz bei verschleierter Kassenkreditaufnahme durch<br />

Bürgermeister ...................................................................................................................................... 156<br />

BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 1 StR 592/10 - BeckRS 2011, 09688 ............................................................... 156<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Untreue durch schwarze Kassen bei Einverständnis mit Prinzipal ........................... 158<br />

BGH, Urt. v. 27.08.2010 – 2 StR 111/09 – BGHSt 55, 266 (!) = NJW 2010, 3458 ......................................... 158<br />

<strong>StGB</strong> § 266 Zweckwidrige Verwendung von Drittmitteln .............................................................. 167<br />

BGH, Urt. v. 30.09.2010 – 4 StR 150/10 - NStZ-RR 2011, 82 ........................................................................ 167<br />

<strong>StGB</strong> § 266a Abs. 1 Darlegung im Urteil .......................................................................................... 173<br />

BGH, Beschl. v. 07.10.2010 – 1 StR 424/10 - NStZ 2011, 161= StV 2011, 348 ............................................. 173<br />

<strong>StGB</strong> § 266a Unterschied Bemessungsgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Beweiswürdigung, Hochrechnung ........ 175<br />

BGH, Urt. v. 11.08.2010 - 1 StR 199/10 - NJW 2011, 97 ................................................................................ 175<br />

<strong>StGB</strong> § 299 Vorteil .............................................................................................................................. 179<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 2 StR 200/10 - BeckRS 2010, 21226, NStZ-RR 2010, 376 (L) ....................... 179<br />

<strong>StGB</strong> § 306a Abs. 1 Nr. 1 Mischgebäude ohne Brand in Wohnraumen. ....................................... 182<br />

BGH, Beschl. v. 15.02.2011 - 4 StR 659/10 - NJW 2011, 2148 ...................................................................... 182<br />

<strong>StGB</strong> § 306a Abs. 2 Schwere Brandstiftung bei Mischgebäuden ................................................... 183<br />

BGH, Urt. v. 17.11.2010 – 2 StR 399/10 - NJW 2011, 1090 ........................................................................... 183<br />

<strong>StGB</strong> § 332, 334 Verjährungsbeginn ................................................................................................. 185<br />

BGH, Beschl. v. 31.03.2011 – 4 StR 657/10 .................................................................................................... 185<br />

<strong>StGB</strong> § 332, 73a Bestechlichkeit Tateinheit bei Serienzahlung, Wertersatzverfall bei Beamten des<br />

B<strong>und</strong>eseisenbahnvermögens .............................................................................................................. 187<br />

BGH, Urt. v. 24.06.2010 – 3 StR 84/10 - StV 2011, 16 = wistra 2010, 439 .................................................... 187<br />

Verfahrensrecht ........................................................................................................................... 190<br />

StPO § 22 Nr. 4 Richterausschluss früherer StA ............................................................................. 190<br />

BGH, Beschl v. 12.08.2010 – 4 StR 378/10 – NStZ 2011, 106........................................................................ 190<br />

StPO § 24 Richterablehnung in Bayern ............................................................................................ 191<br />

BGH, Beschl. v. 03.11.2010 - 1 StR 500/10 – NStZ 2011, 228 = StraFo 2011, 99.......................................... 191<br />

StPO § 45 Abs. 1 Wiedereinsetzung .................................................................................................. 193


BGH, Beschl. v. 05.08.2010 – 3 StR 269/10 - NStZ-RR 2010, 378 ................................................................. 193<br />

StPO § 45 Frist für Wiedereinsetzungsgesuch ................................................................................. 194<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 365/10 - BeckRS 2010, 21231 ............................................................... 194<br />

StPO § 45 Wiedereinsetzung für einzelne Verfahrensrügen ........................................................... 195<br />

BGH, Beschl. v. 13.07.2010 – 3 StR 241/10 - BeckRS 2010, 20288 ............................................................... 195<br />

StPO § 100g Abs. 1 Vorratsdatenverwertung im Übergangsrecht nach BVerfG ......................... 195<br />

BGH, Beschl. v. 04.11.2010 – 4 StR 404/10 - NJW 2011, 467 ........................................................................ 195<br />

StPO § 100g Beweisverwertung nach Vorratsdatenspeicherung – „Normvertretendes<br />

Übergangsrecht“ ................................................................................................................................. 199<br />

BGH, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 StR 663/10 - NJW 2011, 1377 ...................................................................... 199<br />

StPO § 100g, TKG §§ 113a, 113b Vorratsdaten trotz BVerfG verwertbar ................................... 203<br />

BGH, Urt. v. 13.01.2011 - 3 StR 332/10 - NJW 2011, 1827 ............................................................................ 203<br />

StPO § 111 Berücksichtigung von Gegenansprüchen für die Tat – keine Rückgewinnungshilfe 207<br />

BGH, Beschl. v. 09.11.2010 – 4 StR 447/10 - NStZ 2011, 229 ....................................................................... 207<br />

StPO § 111i ; <strong>StGB</strong> § 73c Auffangrechtserwerb <strong>und</strong> Verfalls-Härteregelung bei Gesamtschuld 208<br />

BGH, Urt. v. 28.10.2010 – 4 StR 215/10 - NJW 2011, 624= StV 2011, 133 ................................................... 208<br />

StPO § 126 Besetzung der Strafkammer bei Haftentscheidungen während der HV ................... 213<br />

BGH, Beschl. v. 11.01.2011 – 1 StR 648/10 - NStZ 2011, 356 ....................................................................... 213<br />

StPO § 136a; KonsG § 7 Gespräche mit Konsularbeamte sind keine Vernehmungen ................ 214<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 - 3 StR 573/09 - NJW 2011, 1523 = StV 2011, 334 ........................................... 214<br />

StPO § 154, 154a, 274 Hinweis auf Verwertung ausgeschiedener <strong>Teil</strong>e bei Beweiswürdigung <strong>und</strong><br />

Strafzumessung ................................................................................................................................... 217<br />

BGH, Beschl. v. 29.06.2010 – 1 StR 157/10 - wistra 2010, 409 ...................................................................... 217<br />

StPO § 200 Abs. 1 Anforderungen an Anklagesatz bei Serientaten ............................................... 219<br />

BGH, Urt. v. 02.03.2011 – 2 StR 524/10 - BeckRS 2011, 07179 .................................................................... 219<br />

StPO § 200 Für die Hauptverhandlung genügt bei Vielzahl von Taten die „Quintessenz“ des<br />

Anklagesatzes ...................................................................................................................................... 222<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 - 1 StR 429/09 - BeckRS 2011, 07914 ............................................................... 222<br />

StPO § 206 a; <strong>StGB</strong> § 146 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 Verbrauch der Strafklage ...................................... 225<br />

BGH, Beschl. v. 20.09.2010 – 4 StR 408/10 - NJW 2011, 792 ........................................................................ 225<br />

StPO § 213 HV-Terminsabstimmung mit den Beteiligten .............................................................. 227<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 1 StR 123/10 - NStZ-RR 2010, 312 ................................................................. 227<br />

StPO § 229 Mitteilung, dass Zeuge (der Verteidigung) geladen wird, ist Sachverhandlung ....... 228<br />

BGH, Urt. v. 19.08.2010 – 3 StR 98/10 - NStZ 2011, 229 ............................................................................... 228<br />

StPO § 243 Abs. 3 Satz 1 Verlesung des Anklagesatzes bei Vielzahl gleichförmiger Taten ......... 229<br />

BGH, Beschl. v. 12.01.2011 – GSSt 1/10 - NStZ 2011, 297= NJW 2011, 1687 = BGHSt 56, 109 ................. 229<br />

StPO § 244 Abs. 2 Beweisantrag Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit Aufklärungspflicht zu<br />

„Wer einmal lügt ...“ ........................................................................................................................... 234<br />

BGH, Beschl.v . 09.11.2010 – 3 StR 290/10 - BeckRS 2010, 30734 ............................................................... 234<br />

StPO § 244 Abs. 3 Beweisantrag Konnexität .................................................................................... 235<br />

BGH, Beschl. v. 03.11.2010 – 1 StR 497/10 - NJW 2011, 1239 = StV 2011, 207 .......................................... 235<br />

386


387<br />

StPO § 244 Abs. 3 Beweisantrag Zurückweisung wegen Unerheblichkeit .................................... 237<br />

BGH, Urt. v. 07.04.2011 – 3 StR 497/10 - BeckRS 2011, 09183 .................................................................... 237<br />

StPO § 244 Abs. 3 Keine Wahrunterstellung eingeschränkter Schuldfähigkeit ........................... 239<br />

BGH, Urt. v. 02.09.2010 – 3 StR 273/10 - ....................................................................................................... 239<br />

StPO § 244 Abs. 6 Entscheidung über Beweisantrag ....................................................................... 241<br />

BGH, Beschl. v. 17.11.2010 – 1 StR 145/10 - NStZ 2011, 168 ....................................................................... 241<br />

StPO § 247 Abs. 2, § 338 Nr. 5 Verhandlung über Entlassung des Zeugen in Abwesenheit des<br />

Angeklagten ......................................................................................................................................... 242<br />

BGH, Urt. v. 09.02.2011 - 5 StR 387/10 - BeckRS 2011, 04935 ..................................................................... 242<br />

StPO § 247, § 338 Nr. 5 Erhebung eines Sachbeweises (Augenschein) in Abwesenheit des<br />

Angeklagten ......................................................................................................................................... 243<br />

BGH, Beschl. v. 05.10.2010 – 1 StR 264/10 - NStZ 2011, 51 ......................................................................... 243<br />

StPO § 249 Abs. 2 Satz 3, § 274 Abs. 1 Satz 1 Beweiskraft des Protokolls im Selbstleseverfahren<br />

.............................................................................................................................................................. 245<br />

BGH, Beschl. v. 20.07.2010 – 3 StR 76/10 - NJW 2010, 3382 ........................................................................ 245<br />

StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren Protokollierung .................................................................. 246<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 – 3 StR 131/10 - NStZ-RR 2011, 20 ................................................................... 246<br />

StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren revisibel nur nach Beschussantrag .................................. 248<br />

BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 422/10 - NStZ 2011, 300 ....................................................................... 248<br />

StPO § 251 Abs. 4 Satz 1 Warum Beschluss? ................................................................................... 250<br />

BGH, Beschl. vom 10.06.2010 – 2 StR 78/10 - NJW 2010, 3383 = StV 2010, 617 = StraFo 2010, 342 m. Anm.<br />

Neuhaus 344. .................................................................................................................................................... 250<br />

StPO § 257c Abs. 5 Unterlassene Belehrung .................................................................................... 252<br />

BGH, Beschl. v. 19.08.2010 - 3 StR 226/10 – StV 2011, 76 = wistra 2011, 73 ............................................... 252<br />

StPO § 257c Aufkündigung von Absprachen durch neue Besetzung ............................................. 254<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 205/10 - NStZ 2011, 107 ....................................................................... 254<br />

StPO § 257c Deal ohne StA kein Revisionsgr<strong>und</strong> ............................................................................ 256<br />

BGH, Urt. v. 10.11.2010 – 5 StR 424/10 - BeckRS 2010, 30800 .................................................................... 256<br />

StPO § 257c Deal zulasten Dritter? ................................................................................................... 257<br />

BGH, Beschl. v. 05.10.2010 – 3 StR 287/10 - StV 2011, 72 ............................................................................ 257<br />

StPO § 257c Dealgespräche ................................................................................................................ 259<br />

BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10 - BeckRS 2010, 31023 ............................................................... 259<br />

StPO § 257c Kein Fair-trial-Verstoß bei Nichteinhaltung unzulässiger Zusagen......................... 262<br />

BGH, Beschl. v. 06.10.2010 - 2 StR 354/10 - StV 2011, 74 ............................................................................ 262<br />

StPO § 257c Ober- <strong>und</strong> Untergrenze der Strafe .............................................................................. 263<br />

BGH, Beschl. v. 08.10.2010 - 1 StR 347/10 - wistra 2011, 75 ......................................................................... 263<br />

StPO § 257c Verbot der Vereinbarung von Punktstrafe ................................................................. 264<br />

BGH, Beschl. vom 28.09.2010 – 3 StR 359/10 - StV 2011, 78 = NStZ 2011, 231 .......................................... 264<br />

StPO § 257c, § 265 – Hinweispflichten durch Verständigung nicht aufgehoben .......................... 266<br />

BGH, Urteil v. 11.05.2011 - 2 StR 590/10 - BeckRS 2011, 18390 .................................................................. 266<br />

StPO § 257c, § 267 Geschlossene Sachdarstellung auch im abgesprochenen Urteil ..................... 268<br />

BGH, Beschl. v. 09.03.2011 – 2 StR 428/10 - BeckRS 2011, 07178 ............................................................... 268


StPO § 257c, § 273 Abs. 1a S. 3, § 302 Abs. 1 S. 2 Fehlen des Negativattests über Deal im<br />

Protokoll ............................................................................................................................................... 270<br />

BGH, Beschl. v. 29.09.2010 - 2 StR 371/10 - NJW 2011, 321= StV 2011, 340 .............................................. 270<br />

StPO § 257c, 261 Kein Verwertungsverbot nach verbotenem Deal über Schuldspruch .............. 271<br />

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 – 1 StR 52/11 – NJW 2011, 1526 = StV 2011, 337= wistra 2011, 235 .............. 271<br />

StPO § 257c, 302 Revision der StA nach Verfahrensabsprache ..................................................... 273<br />

BGH, Urt. v. 10.06.2010 – 4 StR 73/10 - NStZ-RR 2010, 383 ........................................................................ 273<br />

StPO § 257c; <strong>StGB</strong> § 46 Strafobergrenze unangemessen nach Angabe einer Untergrenze? ....... 274<br />

BGH, Beschl. v. 27.07.2010 – 1 StR 345/10 - NJW 2011, 1159 ...................................................................... 274<br />

StPO § 260 Abs. 3; <strong>StGB</strong> §§ 78 ff. Darlegung im Urteil bei Einstellung wegen Verjährung ....... 275<br />

BGH, Urt. v. 19.10.2010 - 1 StR 266/10 - NJW 2011, 547= wistra 2011, 76 .................................................. 275<br />

StPO § 261 Beweiswert DNA-Untersuchungsmethoden ................................................................. 277<br />

BGH, Beschl. v. 03.11.2010 – 1 StR 520/10 - NJW 2011, 627 = BGHSt 56, 72 ............................................. 277<br />

StPO § 261 Glaubwürdigkeit, Borderline-Störung bei Zeugin ....................................................... 278<br />

BGH, Urt. v. 12.08.2010 – 2 StR 185/10 - BeckRS 2010, 21492 .................................................................... 278<br />

StPO § 261 Keine Schlüsse aus später Einlassung ........................................................................... 279<br />

BGH, Beschl. v. 06.07.2010 – 3 StR 219/10 - NStZ 2010, 692 ....................................................................... 279<br />

StPO § 261 Lügendetektor ................................................................................................................. 280<br />

BGH, Beschl. v. 30.11.2007 – 1 StR 509/10 - BeckRS 2011, 00546 ............................................................... 280<br />

StPO § 261 Widerlegung von Entlastungsvorbringen kein Belastungsindiz ................................. 282<br />

BGH, Beschl. v. 16.12.2010 – 4 StR 508/10 – StV 2011, 269 = NStZ-RR 2011, 118 ..................................... 282<br />

StPO § 265 Abs. 1, 4; <strong>StGB</strong> § 211 Abs. 2; Verdeckungsmord, Hinweis bei anderer Bezugstat ... 283<br />

BGH, Beschl. vom 12.01.2011 – 1 StR 582/10 - NJW 2011, 1301= NStZ 2011, 304 = BGHSt 56, 121 ........ 283<br />

StPO § 265 Abs. 3 Unterbrechung der Hauptverhandlung statt Aussetzung ............................... 285<br />

BGH, Beschl. v. 14.10.2010 - 5 StR 299/10 - BeckRS 2010, 27051 ............................................................... 285<br />

StPO § 265, <strong>StGB</strong> § 211 Hinweispflicht bei Änderung des Mordmerkmals .................................. 286<br />

BGH, Beschl. v. 23.03.2011 – 2 StR 584/10- BeckRS 2011, 10277 ................................................................ 286<br />

StPO § 267 Abs. 1, 261 Anforderungen an Beweiswürdigung ........................................................ 288<br />

BGH, Urt. vom 23.06.2010 – 2 StR 35/10 - StraFo 2010, 386 ......................................................................... 288<br />

StPO § 267 Bewesiwürdigung im Urteil zu Spurengutachten......................................................... 291<br />

BGH, Beschl. v. 15.09.2010 - 5 StR 345/10 - NStZ 2011, 171 ........................................................................ 291<br />

StPO § 274 Keine Rügeverkümmerung ohne Protokollberichtigung ............................................ 293<br />

BGH, Beschl. v. 14.07.2010 – 2 StR 158/10 - StV 2010, 675 .......................................................................... 293<br />

StPO § 275 Abs. 1 Verantwortung für Fristeinhaltung ................................................................... 294<br />

BGH, Beschl. v. 09.12.2011 – 5 StR 485/10 - NStZ-RR 2011, 118 ................................................................. 294<br />

StPO § 275 Urteilsunterzeichnung durch versetzten Richter ......................................................... 295<br />

BGH, Beschl. v. 27.10.2010 – 2 StR 331/10 - NStZ 2011, 358 ....................................................................... 295<br />

StPO § 302 Revision unzulässig nach RM-Verzicht ........................................................................ 296<br />

BGH, Beschl. v. 11.08.2010 – 2 StR 269/10 - BeckRS 2010, 21493 ............................................................... 296<br />

StPO § 302 <strong>Teil</strong>anfechtung nur wegen unterbliebener Kompensation ......................................... 297<br />

BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 2 StR 563/10 - BeckRS 2011, 02144 ............................................................... 297<br />

388


389<br />

StPO § 333 Revision, begrenzte Prüfungspflicht auch für Verjährung ......................................... 298<br />

BGH, Beschl. v. 29.09.2010 - 5 StR 146/10 (alt: 5 StR 93/08) ........................................................................ 298<br />

StPO § 337 Beruhen verneint trotz zweier Verfahrensfehler ......................................................... 299<br />

BGH, Beschl. v. 03.03.2011 - 3 StR 34/11 - BeckRS 2011, 06571 ................................................................. 299<br />

StPO § 338 Nr. 1 Besetzungsfehler: Schöffe kann nicht deutsch .................................................... 300<br />

BGH, Urt. v. 26.01.2011 – 2 StR 338/10- HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 433 ........................................... 300<br />

StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Vortrag zum Beruhen? ............................................................................... 302<br />

BGH, Beschl v. 15.03.2011 – 1 StR 33/11 ....................................................................................................... 302<br />

StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts .......................................... 304<br />

BGH, Beschl. v. 20.07.2010 – 3 StR 250/10 - NStZ-RR 2010, 384 (L) ........................................................... 304<br />

StPO § 345 Frist bei mehreren Angeklagten ................................................................................... 306<br />

BGH, Beschl. . 02.11.2010 – 1 StR 544/09 - NStZ 2011, 294 = StraFo 2011, 92 ........................................... 306<br />

StPO § 356a, § 349 Abs. 2, 3 Bei Antrag wegen Unzulässigkeit zu verwerfen, keine<br />

Beschlussverwerfung wegen Unbegründetheit ................................................................................. 321<br />

BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 2 StR 524/10 – BeckRS 2011, 08338 [s. dazu auch Beschluss vom 02.03.2011<br />

FD-StrafR 2011, 316983 Anm Astrid Lilie] ..................................................................................................... 321<br />

StPO § 358 Abs. 2 Schlechterstellungsverbot Aufhebung des Freispruchs nach Fehler bei<br />

Maßregel .............................................................................................................................................. 322<br />

BGH, Beschl. v. 14.09.2010 - 5 StR 229/10 - BeckRS 2010, 23434 ............................................................... 322<br />

StPO § 462a Abs. 1 Satz 1 – Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ............................... 324<br />

BGH, Beschl. v. 25.05.2011 - 2 ARs 164/11 2 AR 119/11 .............................................................................. 324<br />

StPO § 462a <strong>StGB</strong> § 67h Krisenintervention ist Vollstreckung ..................................................... 325<br />

BGH, Beschl. v. 15.09.2010 – 2 ARs 293/10 - NJW 2011, 163 ....................................................................... 325<br />

ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 6; BRAO § 43a Abs. 2 Zeugnisverweigerung durch Strafverteidiger ...... 326<br />

BGH, Beschl. v. 16.02.2011 – IV ZB 23/09 - NJW 2011, 1077 ...................................................................... 326<br />

StrRehaG § 17a Abs. 4 Satz 1 ............................................................................................................ 327<br />

BGH, Beschl. v. 10.08.2010 - 4 StR 646/09 - NJW 2011, 322 ........................................................................ 327<br />

GVG § 76 Abs. 2 Korrektur der reduzierten Besetzung ................................................................. 330<br />

BGH, Urt. v. 31.08.2010 - 5 StR 159/10 - NStZ 2011, 54 ............................................................................... 330<br />

GVG § 76 Abs. 2 Satz 1 Kleine Besetzung fehlerhaft bei kompliziertem Rechtsbeugungsvorwurf<br />

.............................................................................................................................................................. 332<br />

BGH, Beschl. v. 07.07.2010 – 5 StR 555/09 - NJW 2010, 3045 = NStZ 2011, 52 m. Anm Metzger .............. 332<br />

GVG § 76 Abs. 2 Über kleine Besetzung hat die große Besetzung zu entscheiden ....................... 337<br />

BGH, Beschl. v. 22.06.2010 – 4 StR 216/10 - StraFo 2010, 424 ..................................................................... 337<br />

IRG § 83h Abs. 1 Nr. 1 Spezialität bei Serienstraftaten .................................................................. 338<br />

BGH, Beschl. v. 24.09.2010 – 1 StR 373/10 – wistra 2011, 78 ....................................................................... 338<br />

Nebenstrafrecht ........................................................................................................................... 339<br />

GG Art 103 Abs. 2 Blankettstrafrecht verweisung auf EG-Verordnungen ................................. 339<br />

BGH, Beschl v. 17.03.2011 - 5 StR 543/10 - BeckRS 2011, 07396 ................................................................ 339<br />

AMG § 95 Abs. 1 Nr. 5 Arzneimittelbegriff, Ephedrinhydrochlorid ............................................ 340<br />

BGH, Beschl. v. 12.04.2011 – 5 StR 463/10 - BeckRS 2011, 11238 ............................................................... 340


AO § 370 Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen ....................................... 342<br />

BGH, Beschl. v. 19.01.2011 - 1 StR 640/10 - BeckRS 2011, 04341 ............................................................... 342<br />

AO § 370 Abs. 1 Lohnsteuerhinterziehung durch Schwarzgeldabrede ......................................... 344<br />

BGH, Beschl. v. 08.02.2011 – 1 StR 651/10 - BeckRS 2011, 09177 ............................................................... 344<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täuschung des wissenden Finanzamts ........................................................ 347<br />

BGH, Beschl. v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10 - NJW 2011, 1299 ...................................................................... 347<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 1; UStG § 15 Abs. 1 Unternehmer <strong>und</strong> Umsatzsteuer – Fakturierungsketten<br />

.............................................................................................................................................................. 351<br />

BGH, Beschl. v. 08.02.2011 – 1 StR 24/10 - NJW 2011, 1616 ........................................................................ 351<br />

AO § 370 Steuerhinterziehung durch Unterlassen .......................................................................... 355<br />

BGH, Beschl. v. 14.04.2011 – 1 StR 112/11 - BeckRS 2011, 10050 ............................................................... 355<br />

AO § 370 Versuchte Steuerhinterziehung, besonders schwerer Fall ............................................. 356<br />

BGH, Beschl. v. 28.07.2010 – 1 StR 332/10 wistra 2010, 449 ........................................................................ 356<br />

AO § 370 Abs. 3, StPO § 267 Abs. 3 Satz 3 Großes Ausmaß, Begründungsanforderungen ........ 357<br />

BGH Beschl. v. 05.05.2011 – 1 StR 116/11 - BeckRS 2011, 16114 ................................................................ 357<br />

AO § 373 Einfuhrabgaben Kaffeesteuer ........................................................................................... 359<br />

BGH, Beschl. v. 18.01.2011 - 1 StR 561/10 - wistra 2011, 191 ....................................................................... 359<br />

BtMG § 29 Einfuhr von BtM auf Postweg ....................................................................................... 361<br />

BGH, Beschl. v. 15.02.2011 – 1 StR 676/10 – BeckRS 2011, 12151 .............................................................. 361<br />

BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz von BtM ........................................................................................... 364<br />

BGH, Beschl. v. 10.06.2010 – 2 StR 246/10 - StV 2010, 683 .......................................................................... 364<br />

BtMG § 29 Abs. 4 Keine Tateinheit zwischen Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bez. <strong>Teil</strong>menge ......... 366<br />

BGH, Urt. v. 10.02.2011 - 4 StR 576/10 - BeckRS 2011, 07600 ..................................................................... 366<br />

BtMG § 29 Indoor-Plantage zum Anbau von Cannabis, Vorbereitung - Versuch ....................... 367<br />

BGH, Beschl. v. 15.02.2011 - 3 StR 491/10 - NJW 2011, 1461 ...................................................................... 367<br />

BtMG § 31 Abs. 2; <strong>StGB</strong> § 46b Abs. 3, § 73c Abs. 1 Präkludierte Wissensoffenbarung .............. 369<br />

BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 StR 75/11- BeckRS 2011, 07506 .................................................................. 369<br />

BtMG § 35, StPO§ 454b Abs. 2 Reihenfolge der Vollstreckung - Zurückstellung ........................ 371<br />

BGH, Beschl. v. 04.08.2010 – 5 AR (VS) 22/10 - NJW 2010, 3314 ............................................................... 371<br />

KWG § 54 Betreiben unerlaubter Bankgeschäfte ............................................................................ 373<br />

BGH, Beschl. v. 09.02.2011 - 5 StR 563/10 ..................................................................................................... 373<br />

UWG § 16 Abs. 2 Werbung durch „Schneeballseminare“ .............................................................. 375<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.2011 – 5 StR 514/09 - NJW 2011, 1236 ...................................................................... 375<br />

WÜK Art. 36 Abs. 1 b Belehrung des Ausländers muss überprüfbar sein ................................... 380<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2011 – V ZB 165/10 .................................................................................................... 380<br />

Inhaltsverzeichnis ........................................................................................................................ 382<br />

390

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!