Zerfall und Verfall: Die deutsche Demokratiekrise
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ein Regieren aus einem Guss überwinden. Dem Bürger bietet sich
das Schauspiel langwieriger Koalitionsverhandlungen, des Ringens um
den kleinsten gemeinsamen Nenner, des Postengeschachers der quälenden
Suche nach Gesetzgebungsmehrheiten, der Regierungskrisen,
Koalitionsbrüche und Neuwahlen. Das schlechte Licht, in
dem die repräsentative Demokratie dabei erscheint, bestätigt
und verstärkt den Verdruss jenes Drittels der Wähler, die an den regierenden
Politikern ohnehin kein gutes Haar mehr lassen.
Nach einer Allensbach-Umfrage zu Ostern 2022 meinen 31 Prozent
der Deutschen (28 Prozent im Westen, 45 Prozent im Osten) in einer
„Scheindemokratie“ zu leben, „in der die Bürger nichts zu sagen haben.“
Hier verfestigt sich – zumal in Ostdeutschland – eine
Stammwählerschaft für Protestparteien. Von kritischer Größe,
wenn sie sich auf Dauer zur „Systemopposition“ ausweitet und je nach
Art und Umfang des Politikversagens der Anderen von immer neuen Unzufriedenheitswellen
getragen wird. Damit ist gerade wegen der Verschlechterung
der Wirtschaftslage zu rechnen.
Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland sind Knappheit, Lieferengpässe
und Teuerung auf diesem Gebiet schwer zu verkraften. Der
unersetzbare Import von Grundstoffen, die verbraucht oder industriell
weiter verarbeitet werden, ist die Achillesferse des deutschen
Wohlstands. Kommt es zu Störungen im Handel und in der
Versorgung mit Rohstoffen, wird Deutschland an seiner verwundbarsten
Stelle getroffen. Der deutschen Industrie fehlen dann die Ressourcen, um
Fertigprodukte für Binnenmarkt und Export zu erstellen, für die Verbraucher
dünnt das Angebot aus und steigen die Preise. Bei den Energieträgern
Öl und Gas kann Deutschland verlässliche Lieferanten
für mindestens ein weiteres Jahrzehnt am wenigsten entbehren.