12/2020
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№ <strong>12</strong>/<strong>2020</strong><br />
BOBATH- UND<br />
REITTHERAPIE<br />
#PHYSIO VOR ORT in<br />
Winnenden<br />
JAHR MIT LICHT<br />
UND SCHATTEN<br />
dbl-Präsidentin Dagmar<br />
Karrasch im Interview<br />
Jeden Monat<br />
NEU<br />
www.optica.de/<br />
zukunft-praxis<br />
Endlich<br />
AM ZIEL?<br />
2021 kommt die neue Heilmittel-Richtlinie.<br />
Die Therapeuten beurteilen sie sehr unterschiedlich.
Wie viel Zeit haben Sie<br />
im Alltag für Ihre<br />
Privatabrechnung?<br />
A: Zwei bis drei Stunden?<br />
B: Eine Stunde?<br />
C: Zehn Minuten?<br />
Die Auflösung:<br />
Antwort A:<br />
Der Organisierte.<br />
Beeindruckend! Aber<br />
möchten Sie weiterhin so<br />
viel Zeit investieren?<br />
Antwort B:<br />
Der Allrounder.<br />
Sportlich! Lesen Sie<br />
gerne weiter.<br />
Antwort C:<br />
Der Pragmatische.<br />
Respekt! Wir sollten uns<br />
dringend unterhalten.<br />
Spaß beiseite! Bei uns ist Ihre Privatabrechnung in besten Händen!<br />
Maximale Flexibilität<br />
Sofortauszahlung innerhalb 48 Stunden<br />
Fokus auf Therapieerfolg<br />
Ungetrübtes Patientenverhältnis<br />
Abrechnung zu korrekten Preisen<br />
Reduzierung des Verwaltungsaufwands<br />
Haben wir Ihr Interesse geweckt oder haben<br />
Sie Fragen? Wir beraten Sie gerne ausführlich und<br />
individuell zu unseren Angeboten.<br />
Telefon 0711 99373-2900<br />
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8<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
ein Jahr, wie wir es noch nie erlebt haben, neigt sich dem Ende<br />
zu. Die Corona-Pandemie war sicherlich für uns alle ein bestimmendes<br />
Thema. Doch zeigt sich mit den nahenden Impfstoffen<br />
Licht am Ende des Tunnels. Währenddessen entwickelt sich die<br />
Welt der Therapeuten weiter – mit der neuen Heilmittel-Richtlinie,<br />
den Rahmenverträgen und dem dritten Digitalisierungsgesetz,<br />
das die Anbindung der Heilmittelerbringer an die Telematik-Infrastruktur<br />
vorsieht. Ein Thema das auch für uns ganz oben<br />
auf der Agenda steht. Dass hier unsere Kompetenz liegt, haben<br />
wir im abgelaufenen Jahr gezeigt: Das Pilot-Projekt „MORE –<br />
Mein Online-Rezept“ ging erfolgreich an den Start und wurde<br />
mit dem renommierten „dfg-Award“ ausgezeichnet. Auch bei<br />
der Ausschreibung zur Vergabe des Fachdienstes E-Rezept haben<br />
wir mit unserer technisch versierten Lösung mit 4.<strong>12</strong> von 5<br />
Punkten eine sehr hohe Bewertung erreicht. Lediglich aufgrund<br />
preislicher Kriterien konnten wir uns am Ende leider nicht durchsetzen.<br />
Hier hat uns IBM mit der Zur Rose-Tochter „eHealthTec“<br />
bei einem zweistelligen Millionenbetrag unterboten. Unser guter<br />
Kontakt in die Gematik bleibt bestehen und hilft uns, die Zukunft<br />
mitgestalten zu können und unsere Produkte so zu entwickeln,<br />
dass diese in der zukünftigen, digitalisierten Welt problemlos<br />
eingesetzt werden können. Die gute technische Bewertung bestätigt<br />
uns allerdings auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind!<br />
Mit „MOVE – Meine Online-Verordnung“ werden wir im nächsten<br />
Schritt nun auch die Heilmittelerbringer intensiv bei der digitalen<br />
Transformation begleiten – eine Aufgabe, die uns sehr am<br />
Herzen liegt.<br />
Daher freue ich mich schon jetzt auf ein spannendes Jahr 2021<br />
und wünsche Ihnen und Ihren Familien aber nun zunächst erholsame<br />
Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr. Bleiben Sie<br />
gesund!<br />
Ihr Dr. Jochen Pfänder<br />
Optica-Geschäftsführer<br />
Inhalt<br />
4<br />
Kompakt<br />
News und Meldungen<br />
8<br />
Gemischte Gefühle<br />
Die neue Heilmittel-Richtlinie tritt im Januar<br />
2021 in Kraft. Von den Heilmittelerbringern<br />
wird sie sehr unterschiedlich beurteilt.<br />
14<br />
Licht und Schatten<br />
Das war <strong>2020</strong>: Dagmar Karrasch, Präsidentin<br />
des Deutschen Bundesverbands für Logopädie<br />
(dbl), zieht im Interview ihre Jahresbilanz.<br />
16<br />
Interview: #PHYSIO VOR ORT<br />
Wie Reittherapie und Bobath sich miteinander<br />
verbinden lassen: Ein Gespräch mit Praxisinhaberin<br />
Nathalie Dieterich in Winnenden.<br />
18<br />
Kundeninformation<br />
Wissenswertes aus der Welt der Abrechnung<br />
19<br />
Standards<br />
Termine, Vorschau, Impressum<br />
ZUKUNFT PRAXIS EDITORIAL3
THERAPIE<br />
IN ZAHLEN<br />
307 Mio.<br />
10 Euro<br />
IST DIE HÖHE DES BEITRAGS, den Versi-<br />
MENSCHEN LITTEN IM JAHR 2017 IN DER EUROPÄI-<br />
cherte neben den ohnehin anfallenden<br />
SCHEN UNION an mindestens einer neurologischen<br />
zehn Prozent der Behandlungskosten pro<br />
Erkrankung. Dies entspricht 60 Prozent der Bevölkerung. „Verordnungsblatt“ zuzahlen müssen.<br />
Das meldet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie<br />
Kinder und Jugendliche sind bis zur Vollendung<br />
des 18. Lebensjahrs von der Zu-<br />
(DGN) und warnt, dass die Prävalenz solcher Leiden aufgrund<br />
der Altersstruktur weiter zunehmen werde.<br />
zahlung befreit.<br />
24,6<br />
13<br />
<strong>12</strong>5<br />
MILLIARDEN EURO BETRÄGT<br />
MITGLIEDSORGANISATIONEN<br />
DAS GESAMTVOLUMEN des<br />
WIRD DER WELTVERBAND<br />
branchenübergreifende Zuschussprogramms<br />
für den Mit-<br />
DER PHYSIOTHERAPEUTEN<br />
LAUTET DIE NUMMER DES<br />
AB 1. JANUAR 2021 HABEN.<br />
telstand namens Überbrückungshilfe<br />
II, das Umsatzeinbußen<br />
FORMULARS, auf dem die Verordnung<br />
von Heilmitteln zu Las-<br />
Drei sind durch Online-Voting<br />
der Verbände im November<br />
durch coronabedingte Auflagen<br />
ten der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
ab 1. Januar 2021<br />
<strong>2020</strong> aufgenommen worden.<br />
und Schließungen ausgleichen<br />
soll.<br />
erfolgen wird. Es ersetzt die<br />
bisherig verwendeten Formulare<br />
3,6%<br />
mit den Nummern 13, 14 und 18.<br />
<strong>12</strong>5 Jahre<br />
DARAUF BELÄUFT SICH –<br />
GERUNDET – DER ANTEIL DER<br />
HEILMITTEL an den Gesamtaus-<br />
IST ES HER, DASS WILHELM CONRAD RÖNTGEN AM 8. NOVEMBER<br />
1895 SEINE „X-STRAHLEN“ ENTDECKTE, die festes Material<br />
durchdringen konnten – und damit im Prinzip die Röntgendiagnostik.<br />
1901 erhielt der Forscher dafür den ersten Nobelpreis für Physik.<br />
Im Englischen heißen Röntgenstrahlen noch immer „X-Rays“.<br />
gaben der GKV im Jahr 2019 von<br />
insgesamt 239 Milliarden Euro.<br />
In absoluten Zahlen entfielen<br />
auf die Heilmittel rund 8,72 Milliarden<br />
Euro.<br />
4 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT
Kurz &<br />
Knapp<br />
DRITTES DIGITALISIERUNGSGESETZ IM GESUNDHEITSWESEN<br />
Referentenentwurf<br />
liegt vor<br />
Nach dem „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) und dem<br />
„Patientendaten-Schutzgesetz“ (PDSG) liegt seit Mitte<br />
November der Referentenentwurf für das dritte große<br />
Digitalgesetz in dieser Wahlperiode vor. Zu den für die<br />
Heilmittelerbringer wesentlichen Inhalten des „Digitale<br />
Versorgung und Pflege - Modernisierungs-Gesetz“<br />
(DVPMG) gehört, dass Leistungserbringer perspektivisch<br />
verpflichtend an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen<br />
werden, um elektronische Verordnungen<br />
flächendeckend zu nutzen. Vorausgesetzt, das Gesetz<br />
wird in der jetzigen Form beschlossen, werden auch<br />
Leistungen von Therapeuten vergütet, die im Zusammenhang<br />
mit digitalen Gesundheitsanwendungen erbracht<br />
werden. Bis zum 30. September 2021 sollen in den bundesweiten<br />
Versorgungsverträgen die Einzelheiten der<br />
Videobehandlungen vereinbart werden. Mehr dazu beim<br />
Bundesministerium für Gesundheit bit.ly/3dgesetz<br />
Der neue Vorsitzende des<br />
Spitzenverbandes der Heilmittelverbände<br />
(SHV) ist der Vorsitzende<br />
des Verbandes für<br />
Ergotherapie (DVE), Andreas<br />
Pfeiffer. Er wurde vom SHV-<br />
Vorstand turnusgemäß am<br />
18. November <strong>2020</strong> ins Amt<br />
gewählt. Pfeiffer übernimmt<br />
das Amt von Ute Repschläger,<br />
der Vorsitzenden des Bundesverbands<br />
selbständiger<br />
Physiotherapeuten (IFK). +++<br />
Ute Repschläger wird für die<br />
beiden kommenden Jahre<br />
dem Expertenpool des Innovationsausschusses<br />
beim Gemeinsamen<br />
Bundesausschuss<br />
(G-BA) angehören. Der Ausschuss<br />
legt die Schwerpunkte<br />
und Kriterien fest, nach denen<br />
Mittel eines Innovationsfonds<br />
vergeben werden, der neue<br />
Versorgungsformen und entsprechende<br />
Versorgungsforschungsprojekte<br />
fördert. +++<br />
Vom Berliner Unternehmen<br />
Vivira Health Lab kommt mit<br />
der „Vivira“-App für Android<br />
und iOS die erste digitale Gesundheitsanwendung<br />
(DiGa),<br />
die für den Einsatz bei orthopädischen<br />
Beschwerden konzipiert<br />
ist und deren Kosten<br />
bei geeigneter Diagnose von<br />
der gesetzlichen Krankenkasse<br />
übernommen wird. Mehr<br />
dazu auf vivira.com.<br />
ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT5
ONLINE-LISTE<br />
Unterstützung<br />
bei Promotion<br />
Die Fachkommission ‚Forschung‘<br />
des Hochschulverbundes<br />
Gesundheitsfachberufe<br />
e. V. (HVG) bietet eine Übersicht<br />
von Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern, die in<br />
Deutschland Promotionsinteressierte<br />
in den Therapieberufen<br />
beraten und möglicherweise<br />
auch betreuen würden. Diese<br />
Liste enthält neben den Kontaktmöglichkeiten<br />
auch Informationen<br />
zu den jeweiligen<br />
Forschungsschwerpunkten. Sie<br />
beruht auf freiwilligen Angaben<br />
und erhebt keinen Anspruch<br />
auf Vollständigkeit, wird aber regelmäßig<br />
ergänzt und korrigiert.<br />
bit.ly/promohilfe<br />
ÜBERBRÜCKUNGSHILFE II<br />
Anträge noch bis<br />
Ende Januar 2021<br />
Unternehmen, die aufgrund von Corona erhebliche<br />
Umsatzrückgänge verzeichnen oder verzeichnet<br />
haben, können die Überbrückungshilfe II noch bis<br />
Ende Januar 2021 beantragen. Sie umfasst die<br />
Monate September bis Dezember <strong>2020</strong>. Antragsberechtigt<br />
sind kleine und mittelständische<br />
Unternehmen, also auch Heilmittelpraxen. Die<br />
Voraussetzungen hängen vom erlittenen Umsatzeinbruch<br />
und der Höhe der betrieblichen<br />
Fixkosten ab. Wer sie erfüllt, bekommt – je nach<br />
Umsatzeinbruch – bis zu 90 Prozent der förderfähigen<br />
Fixkosten erstattet. Die Anträge müssen<br />
über einen „prüfenden Dritten“, beispielsweise<br />
einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer,<br />
gestellt werden. Mehr dazu hier: bit.ly/ühilfe2<br />
ARGEN<br />
Digitalisierung<br />
im Zulassungsverfahren<br />
Zukünftig kann die ARGEn-Zulassung über ein sicheres Heilmittel-Webportal<br />
erledigt werden. Zu den digital abgebildeten<br />
Geschäftsfällen gehören unter anderem Zulassungsanträge<br />
oder Vertragsanerkennungen, aber auch Änderungen in der<br />
Praxis, beispielsweise bei Personalwechsel. Zum Service<br />
der Plattform gehören auch Einblick und die Möglichkeit zur<br />
Selbstverwaltung der eigenen, gespeicherten Zulassungsdaten.<br />
Digitale Vertragsanerkennung und Dateneinsicht sind<br />
ab 1. Januar 2021 möglich, das gesamte Zulassungsverfahren<br />
wird ab 01. Juli 2021 digitalisiert sein.<br />
6 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT
RATGEBER WIRTSCHAFT<br />
„Wie viel kann<br />
ich bezahlen?“<br />
Dipl.-Kfm. Rainer Klaeren erläutert,<br />
wie Praxisinhaber die Gehälter von<br />
Mitarbeitern kalkulieren können.<br />
GESAGT<br />
Neurologische Folgen,<br />
Sensibilitätsstörungen an<br />
Händen und Füßen und<br />
kognitive Defizite sind einige<br />
der Nachwirkungen, um die<br />
sich Ergotherapeuten bei<br />
Covid-19-Patienten kümmern.<br />
Henny Paeschke,<br />
DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e. V.)<br />
Die festen Sätze bei gesetzlich versicherten Patienten<br />
bestimmen den maximalen Umsatz jeder<br />
Therapeutin und jedes Therapeuten. Ein Beispiel:<br />
Eine Berliner Vollzeitkraft kommt auf 1633 Stunden<br />
pro Jahr. 20 Prozent davon fließen in nicht<br />
vergütete Verwaltungsarbeit. Es bleiben 1300<br />
Stunden, die nach Kassensätzen vergütet werden.<br />
Diesen Umsatz multiplizieren Sie mit der Anzahl<br />
Ihrer Mitarbeiter – inklusive sich selbst – und ziehen<br />
Kosten für Personal, Miete, Versicherungen<br />
und anderes ab. Das Ergebnis durch die Anzahl<br />
der Mitarbeiter geteilt ergibt ein durchschnittliches<br />
Pro-Kopf-Gehalt, das Sie aufgrund von<br />
Faktoren wie Zusatzqualifikationen, weitere Angebote<br />
Ihrer Praxis oder Ihre Auslastung anpassen.<br />
Ihr eigenes Gehalt berechnen Sie wegen der<br />
Kosten der Selbständigkeit und Ihrer Risiken anders.<br />
Einen Teil veranschlagen Sie wie bei Ihren<br />
Mitarbeitern nach den Therapieleistungen, die Sie<br />
selbst erbringen. Ihre unternehmerische Leistung<br />
vergüten Sie extra – aus dem Gewinn Ihrer Praxis.<br />
Aber Vorsicht: Gerade Gründer vergessen, dass<br />
zum Beispiel in einem schlechten Jahr ein Minus<br />
in der Einnahmenüberschussrechnung steht. Das<br />
müsste dann mit dem eigenen „Therapeutengehalt“<br />
ausgeglichen werden. —<br />
Mehr unter www.optica.de/teil-sechs<br />
ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT7
HEILMITTEL-RICHTLINIE<br />
Gemischte<br />
Gefühle<br />
In diesem Beitrag<br />
1.<br />
Verbände bereiten Ihre Mitglieder auf<br />
die neue Heilmittel-Richtlinie vor.<br />
2.<br />
Die Therapeuten sind uneins, ob sie<br />
bürokratische Erleichterungen bringt.<br />
3.<br />
Die größte Hoffnung liegt in<br />
der Digitalisierung.
Bald tritt die neue<br />
Heilmittel-Richtlinie in<br />
Kraft. Das Urteil der<br />
Physiotherapeuten<br />
fällt sehr unterschiedlich<br />
aus.<br />
TEXT: HAJO HOFFMANN<br />
Nun kommt sie, die<br />
mehrfach verschobene<br />
Heilmittel-Richtlinie:<br />
Am 1. Januar<br />
2021 soll es – nach<br />
aktuellem Stand bei<br />
Druckschluss dieser<br />
Ausgabe – so weit<br />
sein. Allerdings konnten sich die Kassen und<br />
die vier maßgeblichen Physio-Verbände nicht<br />
auf den neuen Rahmenvertrag einigen – ein<br />
Fall für das dafür vorgesehene Schiedsverfahren.<br />
Doch ist das Ziel in Sicht: „Der Bundesrahmenvertrag<br />
könnte voraussichtlich Anfang,<br />
Mitte Januar finalisiert sein. Die Bestimmungen<br />
könnten rückwirkend zum 1. Januar in<br />
Kraft treten“, sagt der Bundesverband selbstständiger<br />
Physiotherapeuten (IFK), der seine<br />
Mitglieder derzeit intensiv am Telefon, per<br />
Mail und in Online-Themenabenden auf die<br />
neue Heilmittelrichtlinie vorbereitet. Auch<br />
beim VDB Physiotherapieverband herrscht<br />
Hochkonjunktur. „Wir berichten fortlaufend in<br />
unseren Mitgliederinformationen sowie der<br />
Fachzeitschrift ‚Therapie und Praxis‘, darüber<br />
hinaus organisieren die Landesverbände Infoveranstaltungen<br />
zur Heilmittel-Richtlinie“, berichtet<br />
Daniela Driefert, beim VDB zuständig<br />
für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL9
Susanne Weidenhausen<br />
bezweifelt, dass die neue<br />
Heilmittelrichtlinie zum<br />
Abbau von Bürokratie<br />
führen wird.<br />
Fragt man die Leistungserbringer selbst, fällt<br />
ihr Urteil über die Heilmittel-Richtlinie ganz<br />
unterschiedlich aus. Die Physiotherapeutin<br />
Susanne Weidenhausen leitet in Frankfurt<br />
am Main ein Team von zehn Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern. Auf ihrem Wunschzettel<br />
ganz oben steht der Abbau von Bürokratie und<br />
sie nennt dazu auch ein konkretes Beispiel:<br />
„Wir haben gerade ein Rezept bekommen, das<br />
wir zum dritten Mal ändern lassen müssen,<br />
weil der Indikationsschlüssel nicht mit dem<br />
Heilmittel übereinstimmt.“ Weidenhausen<br />
bezweifelt, dass die neue Richtlinie den von<br />
ihr gewünschten Zweck erfüllt, Bürokratie<br />
abzubauen: „Ich glaube nicht, dass es dadurch<br />
besser wird – ich hoffe eher, dass es Computerprogramme<br />
einmal richten werden. Wir<br />
bekommen nämlich immer wieder mit, dass<br />
Ärzte nicht wissen, dass bestimmte Therapien<br />
nicht mit anderen zusammengehen können.“<br />
Sie schätzt, dass sie ungefähr die Arbeitszeit<br />
einer 400-Euro-Kraft einsetzen muss, nur um<br />
Verordnungen zu prüfen und zu korrigieren. —<br />
400<br />
Euro<br />
pro Monat kostet<br />
der Arbeitsaufwand<br />
mit den<br />
Verordnungen.<br />
Gerd Appuhn<br />
verspricht sich von der<br />
Heilmittelrichtlinie deutliche<br />
Erleichterungen und<br />
geringere Aufwände.<br />
Optimistisch hingegen blickt Gerd Appuhn,<br />
Physiotherapeut aus Witten, auf die sich abzeichnenden<br />
Neuerungen. Die Praxis, die er<br />
in Bommern bei Witten gemeinsam mit seiner<br />
Frau und sechs Therapeuten betreibt, feiert<br />
am Jahresende ihr 20-jähriges Bestehen. Die<br />
verringerte Zahl der Diagnosegruppen werde<br />
zu deutlich weniger Bürokratie führen, schätzt<br />
Appuhn: „Davon erwarte ich mir sehr viel.“<br />
Der Aufwand sinke zudem, da nicht mehr zu<br />
prüfen ist, „ob das Kreuz bei der Erst-, Folgeverordnung<br />
oder Verordnung außerhalb des<br />
Regelfalls richtig gesetzt ist. Wir hatten früher<br />
kurzfristigen, mittel- und langfristigen Behandlungsbedarf,<br />
dazu kamen noch die Indikationsschlüssel,<br />
dann die Codes – jetzt gibt<br />
es nur noch einen Behandlungsbedarf.“ Durch<br />
die bestehende Heilmittel-Richtlinie habe sich<br />
der bürokratische Aufwand aufgebläht – den<br />
Appuhn ähnlich wie Susanne Weidenhausen<br />
einschätzt: „Als die Richtlinie kam, musste<br />
ich eine 400-Euro-Kraft allein dafür abstellen,<br />
um Rezepte zu prüfen und zu korrigieren. Wir<br />
haben zurzeit weit über 20 Punkte, die passen<br />
müssen, bevor die Abrechnung an die Kasse<br />
geht: Wir mussten an manchen Tagen über die<br />
Hälfte der Rezepte nachbessern“. —<br />
10 ZUKUNFT PRAXIS TITEL
INTERVIEW<br />
„Wir stehen in den Startlöchern“<br />
Nach der Teilnahme an der Ausschreibung zur Vergabe des E-<br />
Rezepts und dem Start des prämierten E-Rezept-Pilotprojekts<br />
MORE digitalisiert Optica gemeinsam mit den Projektpartnern<br />
DAK, AOK Hessen und KVH bald auch das Muster 13 und bringt<br />
so die Heilmittelerbringer digital voran. Optica-Software-Architekt<br />
ERCAN ÖZKAN über das Projekt „MOVE – Meine<br />
Online-Verordnung“.<br />
Herr Özkan, nach dem E-Rezept arbeiten Sie nun<br />
auch daran, die Heilmittelverordnungen digital<br />
abzubilden. Worin bestehen dabei die Herausforderungen?<br />
Zunächst haben wir ein Datenmodell entwickelt,<br />
damit alle Schnittstellen der verschiedenen Akteure<br />
– Arztpraxen, Heilmittelerbringer und Kassen<br />
– sicher und fehlerfrei miteinander kommunizieren<br />
können. Das war der aufwendigste Schritt, den uns<br />
die Expertise erleichterte, die wir bereits mit MORE<br />
aufgebaut und unter Beweis gestellt haben. Um<br />
den gesamten Prozess digital abzubilden, waren<br />
zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen, von<br />
Datenschutzfragen bis zur Softwareanbindung.<br />
Mit der Einführung der neuen Heilmittel-Richtlinie<br />
kommen natürlich noch weitere hinzu.<br />
Können Sie dafür ein Beispiel geben?<br />
Auf der einen Seite müssen nun die neuen Vorgaben<br />
der Richtlinie umgesetzt werden, das betrifft<br />
zum Beispiel den Prozess des E-Rezeptes. Darüber<br />
hinaus muss die Software, die der Therapeut zum<br />
Empfang und Bearbeitung des E-Rezeptes nutzt,<br />
angepasst werden. Zum anderen bleibt nach wie<br />
vor die große Herausforderung, dass Patientinnen<br />
und Patienten jede Behandlung quittieren müssen.<br />
Die Digitalisierung dieses Prozesses ist in Fachkreisen<br />
ein heiß diskutiertes Thema. Denn: Idealerweise<br />
erhält der Patient auf seinem Smartphone<br />
eine Push-Nachricht, die er dann bestätigt. Aber<br />
was passiert, wenn er kein Smartphone hat, das<br />
Smartphone vergessen wurde oder der Akku leer<br />
ist? Dann brauchen wir einen Plan B, der in diesem<br />
Fall vorsieht, dass der Patient, auf einem Tablet-<br />
Computer des Heilmittelerbringers elektronisch<br />
unterschreibt. Für uns bedeutet das, wir werden<br />
beide Bestätigungsprozesse möglich machen und<br />
so ein geeignetes Ersatzverfahren schaffen.<br />
Wann kann es losgehen mit der elektronischen<br />
Verordnung?<br />
Wir haben alles fertig konzipiert, die Architektur<br />
steht. Im nächsten Schritt folgt die Anbindung an<br />
die Apps der Kassen, über die ihre Mitglieder auf<br />
die Daten zugreifen können. Das Projekt MOVE<br />
soll voraussichtlich Ende des zweiten Quartals<br />
2021 an den Start gehen. Wir arbeiten mit Hochdruck<br />
daran, die Heilmittelerbringer in eine Position<br />
zu bringen, bei der jeder Einzelne an der Digitalisierung<br />
gleich vom Start weg teilnehmen kann.<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL11
Rene Portwich<br />
glaubt, dass die<br />
Heilmittelrichtlinie<br />
vieles komplizierter<br />
machen wird.<br />
„Sehr kritisch“ sieht Rene Portwich die Heilmittel-Richtlinie.<br />
Er ist Geschäftsführer<br />
einer Physiotherapie-Praxis in Warnemünde<br />
bei Rostock, daneben auch Vorsitzender des<br />
Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern<br />
im VDB Physiotherapieverband. „Da gibt es<br />
keinen Bürokratieabbau, es wird komplizierter<br />
durch diese Richtlinie“, fürchtet Portwich<br />
– etwa, weil der Therapeut jede Behandlung<br />
abzeichnen müsse. Ein Beleg dafür, dass „die<br />
Physiotherapeuten beim Thema Digitalisierung<br />
wieder komplett vergessen wurden.“<br />
Seine Skepsis führt er auf Erfahrungen des<br />
Jahres 2004 zurück, als es eine ähnliche Umstellung<br />
auf neue Formulare gegeben habe:<br />
„Ein halbes Jahr lang wurden nur wenig Rezepte<br />
verordnet, da die Ärzte nicht in der Lage<br />
waren, sie auszustellen. Es gab keine angepasste<br />
Software – genau dasselbe vermute ich<br />
in diesem Fall auch.“ Fatal, findet Portwich,<br />
denn so sei möglicherweise ein „dramatischer<br />
Einbruch der medizinischen Versorgung im<br />
Bereich Physiotherapie zu erwarten“. Nach<br />
wie vor gebe es zu wenig Physiotherapeuten<br />
in Mecklenburg-Vorpommern: „Heute fehlen<br />
schon 30 Prozent“, bedingt durch falsche Weichenstellungen<br />
von Politik und Kassen. Die<br />
neue Richtlinie sei ebenfalls „kein Schritt in<br />
die richtige Richtung“. —<br />
30<br />
Prozent<br />
der nötigen Physiotherapeuten<br />
fehlen<br />
bereits in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
sagt Rene Portwich.<br />
Die wichtigsten<br />
Änderungen<br />
• Reduzierte Zahl der Diagnosegruppen<br />
– in der Physiotherapie<br />
von 22 auf 13.<br />
• Vereinfachter „Verordnungsfall<br />
mit orientierender Behandlungsmenge“<br />
ersetzt<br />
bisherigen „Regelfall“.<br />
• Mehrere Heilmittel können<br />
auf einer Verordnung stehen,<br />
davon bis zu drei vorrangige.<br />
• Statt bisher drei Verordnungsmuster<br />
gibt es nur<br />
noch das neue Muster 13.<br />
• Mehr Spielraum bei Korrektur<br />
von Verordnungen, zum<br />
Beispiel bei den Personalien.<br />
• Fristverlängerung für Therapiebeginn<br />
von 14 auf 28<br />
Tage (ist in der Übergangszeit<br />
bereits Usus).<br />
• Unterbrechungsfristen auf<br />
Verordnungen bis Ende des<br />
Jahres werden nicht geprüft;<br />
Korrekturen bis dahin auch<br />
ohne ärztliche Unterschrift.<br />
• Vorgesehene Blankoverordnung<br />
schafft Spielraum;<br />
derzeit wird aber noch verhandelt<br />
und gilt frühestens ab<br />
dem zweiten Quartal 2021.<br />
Ausführliche Infos auf den Seiten<br />
des GKV-Spitzenverbands:<br />
bit.ly/hmr-details<br />
<strong>12</strong> ZUKUNFT PRAXIS TITEL
IN KOOPERATION MIT<br />
THERAPEUTENWISSEN<br />
Therapie zu Hause<br />
Mit der evidenzbasierten Therapiemethode homeCIMT können<br />
Menschen nach einem Schlaganfall ihren Arm- und Handeinsatz<br />
verbessern. Dabei arbeiten sie mit einem nichtprofessionellen<br />
Übungsbegleiter im häuslichen Umfeld.<br />
it der klassischen CIMT-Therapie<br />
sollen Patienten mit<br />
eingeschränkten Hand- und<br />
Armfunktionen nach einem Schlaganfall<br />
die wichtige Tätigkeiten wieder<br />
ausführen können. Dazu führen die<br />
Patienten alltagsorientierte repetitive<br />
Übungen mit dem vom Schlaganfall<br />
betroffenen Arm durch, während<br />
der nichtbetroffene Arm durch einen<br />
Handschuh immobilisiert bleibt. So<br />
werden die Patienten angehalten,<br />
bestimmte Tätigkeiten mit ihrem betroffenen<br />
Arm durchzuführen. Im Therapievertrag,<br />
den die Therapeutin mit<br />
dem Patienten schließt, werden Zielvereinbarungen<br />
und Hausaufgaben<br />
für den Patienten festgehalten.<br />
Obwohl die CIMT-Therapie sehr<br />
effektiv ist für Menschen nach einem<br />
Schlaganfall, ist sie in Deutschland<br />
bisher kein anerkanntes Heilmittel.<br />
Der hohe Zeitaufwand von zwei<br />
Wochen oder 10 Tagen in Folge und<br />
die täglich sechsstündige Begleitungszeit<br />
durch eine Therapeutin<br />
sind in der ambulanten Ergo- und<br />
Physiotherapie kaum umzusetzen.<br />
Um CIMT auch dort anbieten zu<br />
können, entwickelten Forscherinnen<br />
des Universitätsklinikums Hamburg-<br />
Eppendorf „homeCIMT“, ein Therapiekonzept,<br />
dass sich im häuslichen<br />
Umfeld integrieren lässt. Wichtig ist,<br />
dass im Umfeld beispielsweise ein<br />
Um die zeitaufwendige CIMT-Therapie zu<br />
Hause anzubieten, haben Forscherinnen<br />
das homeCIMT-Konzept entwickelt.<br />
Freund oder ein Angehöriger bereit<br />
ist, den Patienten in seiner täglichen<br />
Trainingszeit als sogenannter nichtprofessioneller<br />
Übungsbegleiter zu<br />
unterstützen. Der Zeitraum der Therapie<br />
beträgt dann nicht zwei Wochen<br />
wie bei der klassischen CIMT,<br />
sondern vier Wochen.<br />
Bei homeCIMT unterscheidet<br />
man zwischen Aufgaben für Therapeuten,<br />
Patienten und dem nichtprofessionellen<br />
Übungsbegleiter.<br />
Die Übungsbegleiter werden von<br />
den Therapeuten geschult, beispielsweise<br />
von Ergo- oder Physiotherapeuten,<br />
die im homeCIMT-Konzept<br />
die Rolle eines Instruktors oder<br />
Supervisors haben. Die Fortbildung<br />
eines Instruktors dauert sechs Unterrichtseinheiten<br />
à 45 Minuten. Um<br />
das Zertifikat zu erhalten, müssen<br />
die teilnehmenden Therapeuten<br />
innerhalb von drei Monaten eine<br />
Fallarbeit einreichen. In den Kosten<br />
von 220 Euro sind das Material, der<br />
Handschuh für die Immobilisation,<br />
der Report zur Einreichung der Fallarbeit<br />
sowie das Zertifikat enthalten.<br />
Eine Studie mit Ergo- und Physiotherapeuten,<br />
in der die Forscherinnen<br />
in Deutschland homeCIMT mit<br />
der üblicherweise durchgeführten<br />
Therapie verglichen, zeigt, dass sich<br />
sowohl in der Interventions- als auch<br />
in der Kontrollgruppe der Armeinsatz<br />
verbessert hat. Sie weisen jedoch<br />
auf eine begleitende Studie hin, in<br />
der sie feststellten, dass es für Berufstätige<br />
schwieriger ist, homeCIMT<br />
umzusetzen. Deshalb empfehlen sie<br />
berufstätigen Patienten, sich bewusst<br />
Zeit für die Therapie zu nehmen,<br />
etwa während ihres Urlaubs.<br />
Literatur:<br />
Interview mit dem Forschungsteam des homeCIMT-Konzepts<br />
in physiopraxis, Ausgabe<br />
11-<strong>12</strong>/<strong>2020</strong>: https://bit.ly/therapie-zuhause<br />
Barzel A et al. Home-based constraint-induced<br />
movement therapy for patients with<br />
upper limb dysfunction after stroke (HOME-<br />
CIMT): a cluster-randomised, controlled trial.<br />
Lancet Neurol 2015; 14: 893–902
„Eine große<br />
Herausforderung“<br />
Für Heilmittelerbringer im Allgemeinen und Logopäden im<br />
Besonderen war <strong>2020</strong> ein Jahr mit Licht und Schatten.<br />
DAGMAR KARRASCH, Präsidentin des Deutschen Bundesverbands<br />
für Logopädie (dbl), zieht im Interview Bilanz.<br />
INTERVIEW: MARTIN SCHMITZ-KUHL<br />
Am Ende des Jahres scheint sich einiges für die Logopäden<br />
noch zum Guten zu wenden. Zum einen: Das<br />
Bundesgesundheitsministerium hat jüngst einen Entwurf<br />
für ein weiteres Digitalisierungsgesetz vorgelegt,<br />
in dem diesmal alle Heilmittelerbringer berücksichtigt<br />
wurden.<br />
Ja, das war für uns sehr überraschend, und wir begrüßen<br />
das natürlich sehr. Jens Spahn scheint die digitale Transformation<br />
des Gesundheitswesens sehr am Herzen zu<br />
liegen. Um so irritierender fanden wir es daher, dass er<br />
uns Logopädinnen dabei bislang immer außen vor gelassen<br />
hat. Dass dies nun korrigiert werden soll, ist wichtig,<br />
richtig und überfällig.<br />
Überraschend ist auch, dass sich die Heilmittelerbringer<br />
nun nicht nur der Telematik-Infrastruktur (TI)<br />
anschließen dürfen, sondern das sogar müssen. Begrüßen<br />
Sie das ebenfalls?<br />
Im Grunde genommen: ja. Wer Teil des Gesundheitssystems<br />
ist und als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen<br />
werden will, muss auch im System angeschlossen sein<br />
und nicht außerhalb des Systems stehen. Zudem versprechen<br />
wir uns ja auch viel von der TI, was beispielsweise<br />
den Bürokratie-Abbau angeht, aber auch eine Verbesserung<br />
der Patientenversorgung. Daher sind wir sehr dafür,<br />
dass alle Heilmittelerbringer und damit deren Patienten<br />
auch möglichst schnell davon profitieren können.<br />
Ein weiterer Punkt, der sich in diesem Jahr noch zum<br />
Guten wenden könnte, ist ein erfolgreicher Abschluss<br />
der Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband.<br />
Wie ist da der Stand?<br />
Es waren lange Verhandlungen, und beim Thema Vergütung<br />
gibt es immer harte Auseinandersetzungen – das ist<br />
nichts Neues. Wir hoffen, dass es uns noch gelingt, den<br />
Versorgungsvertrag rechtzeitig zu schließen, damit er<br />
zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann. Mehr lässt sich<br />
zum jetzigen Zeitpunkt (Anmerkung: Redaktionsschluss<br />
war der 1. Dezember) leider noch nicht sagen.<br />
Sprechen wir über die Schattenseiten des Jahres <strong>2020</strong>.<br />
Und da müssen wir mit Corona anfangen.<br />
Corona war und ist eine große Herausforderung – für die<br />
ganze Gesellschaft, wie auch für unsere Berufsgruppe.<br />
Dem Gesundheitsministerium ging es am Anfang der<br />
Krise vor allem darum, schnell und unbürokratisch zu<br />
helfen. Das ist gelungen, und die meisten unserer Praxen<br />
haben unter dem Rettungsschirm Platz gefunden. Allerdings<br />
dürfen wir jene Praxen nicht vergessen, die durch<br />
das Raster gefallen sind und keine Hilfen bekommen<br />
14 ZUKUNFT PRAXIS TITEL
Dagmar Karrasch hatte<br />
zwölf Jahre lang eine<br />
eigene logopädische<br />
Praxis, seit 2017 ist sie<br />
Präsidentin des dbl.<br />
Als bundesweite berufsständische<br />
Vertretung<br />
setzt sich der Verband<br />
für die Interessen<br />
der Logopäden gegenüber<br />
Politik, Presse und<br />
Öffentlichkeit ein.<br />
Mit dem Thema der hochschulischen<br />
Ausbildung<br />
hätten wir schon vor<br />
Corona durch sein können.<br />
haben. Dass es hierfür keine Härtefallregelung gab, ist<br />
mehr als bedauerlich und nicht nachvollziehbar.<br />
Ansonsten waren Sie aber mit der Unterstützung seitens<br />
der Politik zufrieden?<br />
Nur teilweise. Dass wir anfangs nicht mit Schutzausrüstung<br />
versorgt wurden, hat uns zum Beispiel betroffen gemacht,<br />
vor allem, weil dadurch zum Beispiel Menschen<br />
mit Sprach- und Schluckstörungen nicht versorgt oder<br />
zusätzlichen Risiken ausgesetzt wurden. Und die Hygienepauschale<br />
ist bis heute ein großes Ärgernis: 1,50 Euro pro<br />
Verordnung mag reichen, wenn man glaubt, es werde<br />
nicht viel mehr als ein einfacher Mund-Nasen-Schutz benötigt.<br />
Aber das entspricht nicht der logopädischen Arbeitsrealität!<br />
Und last, but not least war es natürlich auch<br />
ein absolutes Unding, noch während der laufenden Pandemie<br />
die Videobehandlung über einen Zeitraum von fünf<br />
Monaten nicht zu erlauben. Deshalb wurden manche Patienten<br />
schlichtweg schlechter oder gar nicht versorgt.<br />
Kommen wir zum nächsten Punkt, der in der Jahresbilanz<br />
für Sie sicherlich auf der negativen Seite steht: die<br />
Verschiebung der Reform der Gesundheitsfachberufe<br />
und die geplante Verlängerung der Modellstudiengänge.<br />
Allerdings! Wir – also der dbl und alle anderen Mitglieder<br />
des „Arbeitskreis Berufsgesetz“ – sind darüber wirklich<br />
empört und haben dafür auch keinerlei Verständnis. Es<br />
gibt dafür absolut keinen sachlichen Grund – außer der<br />
mangelnden Bereitschaft, sich jetzt für eine hochschulische<br />
Ausbildung zu entscheiden. Denn die Auswertung<br />
der Modellstudiengänge liegt schon lange auf dem Tisch.<br />
Von 2015 bis <strong>2020</strong> wurden Evaluationen vorgenommen,<br />
dafür brauchen wir nun nicht noch mehr Zeit.<br />
Man muss dem Bundesgesundheitsministerium aber<br />
vielleicht auch zugestehen, dass es derzeit sehr viele<br />
Baustellen hat.<br />
Ja, das mag sein, aber eigentlich hätten wir mit dem Thema<br />
der hochschulischen Ausbildung auch schon vor Corona<br />
durch sein können! Wir wurden zu lange hingehalten<br />
und immer wieder vertröstet. Die bestehenden Studiengänge<br />
sind ja immer noch an das alte Berufsgesetz von<br />
1980 gebunden und müssen dementsprechend lehren und<br />
prüfen. Das führt zu der absurden Situation, dass wir heute<br />
viel besser ausbilden, als das Gesetz eigentlich vorsieht.<br />
Im zweiten Teil des Interviews lesen Sie, warum der dbl<br />
(noch) nicht Mitglied des Spitzenverbands SHV und die Blankoverordnung<br />
für Dagmar Karrasch eher ein Rück- als ein<br />
Fortschritt ist – online unter www.optica.de/karrasch<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL15
echt große und leider sehr teure<br />
Fortbildung, wodurch sehr wenige<br />
Physiotherapeuten diese Fortbildung<br />
überhaupt in Angriff nehmen.<br />
Man darf mit Kleinkindern und Säuglingen<br />
arbeiten.<br />
Lassen sich Bobath-Therapie und<br />
Reittherapie vereinen?<br />
Beide Therapieformen lassen sich<br />
sehr gut vereinen. Mit dem Bobath-<br />
Konzept behandelt man Entwicklungsauffälligkeiten<br />
bei Kindern und<br />
im Erwachsenenbereich Menschen,<br />
mit neurologischen Erkrankungen. In<br />
der Reittherapie sieht das ganz ähnlich<br />
aus. Und dadurch, dass man das<br />
Wissen aus der Bobath-Therapie hat,<br />
kann man das ganz toll auch aufs<br />
Pferd übertragen.<br />
Was spricht für die Reittherapie, und wie lässt<br />
sie sich mit der Bobath-Therapie verbinden?<br />
Dies und vieles andere erfahren Sie im neuen<br />
Teil der Reihe #PHYSIO VOR ORT mit NATHALIE<br />
DIETERICH, Reittherapeutin und Inhaberin einer<br />
Physiotherapie-Praxis im Winnenden.<br />
Wie ist die Zusammenarbeit mit<br />
Kindern?<br />
Die Zusammenarbeit mit Kindern ist<br />
total anders als mit Erwachsenen.<br />
Man kann sich nicht direkt darauf<br />
vorbereiten. Das Kind ist immer anders<br />
drauf, und die Kooperation ist<br />
manchmal nicht so gut. Manche Kinder<br />
haben auch Angst. Da muss<br />
man sehr sensibel an die Sache rangehen.<br />
Das Wichtigste ist, dass man<br />
sehr kreativ arbeitet und immer die<br />
Eltern mit einbezieht.<br />
Wie ist Ihre Praxis aufgestellt?<br />
Wir sind eine gut aufgestellte Praxis<br />
im Familienbetrieb. 2011 habe ich die<br />
Praxis mit meinem Bruder zusammen<br />
gegründet, und wir haben ein großes<br />
Leistungsspektrum. Wir können von<br />
Säuglingen und Kleinkindern bis zum<br />
Senioren alle Patienten in der Praxis<br />
behandeln.<br />
Warum haben Sie sich für die Reittherapie<br />
entschieden?<br />
Zum einen kann ich mein Hobby<br />
zum Beruf machen. Ich bin schon<br />
immer ein Stall-Mädchen gewesen,<br />
mich haben Tiere schon immer begeistert.<br />
Auch die Wirkungsweise,<br />
die Tiere auf uns haben. Das Besondere<br />
ist, dass man ein ganz anderes<br />
Umfeld hat. Wir sind draußen in der<br />
Natur, und ich bin eher der Co-Therapeut,<br />
während das Pferd der eigentliche<br />
Therapeut ist.<br />
Was macht die Bobath-Therapie für<br />
Sie so besonders?<br />
Ich bin Bobath-Therapeutin für Kinder<br />
und Erwachsene. Das ist eine<br />
Wie stehen Sie zur Digitalisierung?<br />
Ich denke, wir sind da auf einem<br />
ganz guten Weg. Wir wollen das<br />
noch mehr in die Praxis integrieren,<br />
Therapeuten mit Tablets ausstatten,<br />
weil es sich einfach zukunftsmäßig<br />
etablieren wird, direkt mit dem Tablet<br />
am Patienten zu arbeiten. Die<br />
andere Sache ist aber, dass man sich<br />
auch immer mehr fortbilden muss.<br />
Wir haben einfach einen praktischen<br />
Beruf ausgeübt, und das darf man<br />
nicht vergessen. Unsere Hände sind<br />
unser Kapital.<br />
16 ZUKUNFT PRAXIS THEMA
Ich finde, dass<br />
weiterhin leider<br />
viel zu wenig<br />
Wissen draußen<br />
herrscht, was<br />
wir als Therapeuten<br />
überhaupt<br />
können.<br />
Sehen Sie in der Digitalisierung<br />
auch Chancen?<br />
Ich denke nicht, dass die Digitalisierung<br />
Grundlegendes, wie beispielsweise<br />
die Kooperation zwischen<br />
Arzt und Therapeut, verändern<br />
wird. Dafür muss bereits die Basis<br />
stimmen, und das Grundverständnis<br />
muss da sein. Ich finde, dass weiterhin<br />
leider viel zu wenig Wissen<br />
draußen herrscht, was wir als Therapeuten<br />
überhaupt können.<br />
Kriegen Sie den Fachkräftemangel<br />
zu spüren?<br />
Den Fachkräftemangel bekommen<br />
wir auf jeden Fall zu spüren. Wir sind<br />
hier recht ländlich. Wir sind also<br />
nicht so attraktiv wie eine Praxis in<br />
Stuttgart Mitte. Hinzu kommt, dass<br />
Einsteiger mittlerweile andere Ansprüche<br />
haben. Wir bekommen unsere<br />
Therapeuten eigentlich nur<br />
noch über „Man kennt jemanden,<br />
der jemanden kennt, der jemanden<br />
kennt“, also über den Bekanntenkreis<br />
oder sogar über Patienten.<br />
Was kann man dagegen tun?<br />
Das Hauptproblem ist, dass viele<br />
junge Leute den Beruf total interessant<br />
finden, doch die Ausbildung zu<br />
viel Geld kostet. Das Gehalt ist natürlich<br />
auch ein Problem. Viele sagen,<br />
dass sie mit dem Gehalt nicht zurechtkämen.<br />
Die jungen Leute haben<br />
heute andere Ansprüche.<br />
Sollte die Physiotherapie ein Studium<br />
sein?<br />
Es ist ganz interessant zu sehen,<br />
dass Bewerber mit einem Studium<br />
oftmals das Einstiegsgehalt höher<br />
setzen, obwohl sie noch keine einzige<br />
Fortbildung absolviert haben. Ich<br />
sehe keinen Unterschied zwischen<br />
einem Therapeuten, der studiert hat,<br />
und einem, der ausgebildet ist. Die<br />
Basis ist trotzdem die gleiche.<br />
Was denken Sie über die neue Heilmittelrichtlinie?<br />
Es gibt Themen, die bürokratisch vieles<br />
erleichtern können, zum Beispiel<br />
die 28-Tage-Frist. Deshalb waren wir<br />
offen, weil wir davon ausgegangen<br />
sind, dass sie ab dem 1. Oktober<br />
kommt. Wir waren auch gut darauf<br />
vorbereitet. Und dann wurden die<br />
Änderungen kurzfristig verschoben.<br />
Jetzt sind wir, ehrlich gesagt, skeptisch.<br />
Ich denke, dass wir alles erst<br />
sehen werden, wenn es in die Praxis<br />
umgesetzt wird.<br />
Das<br />
ungekürzte<br />
Interview lesen<br />
Sie unter<br />
www.optica.de/<br />
physiovorort<br />
Die Zusammenarbeit<br />
mit Kindern ist völlig<br />
anders als mit Erwachsenen.<br />
Wichtig ist, sehr<br />
kreativ zu sein und die<br />
Eltern miteinzubeziehen.<br />
ZUKUNFT PRAXIS THEMA<br />
17
INFORMIERT<br />
Aktuelles aus der Welt<br />
der Abrechnung von<br />
Heilmitteln<br />
FAQ<br />
Aktuelle Fragen und<br />
Antworten zur neuen<br />
Heilmittelrichtlinie<br />
Mit der Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie müssen<br />
Therapeuten sich nun mit neuen Strukturen und Verfahrensweisen<br />
auseinandersetzen. Dabei entstehen viele<br />
Fragen. Optica hat die häufigsten Fragen und Antworten in<br />
einem FAQ zusammengefasst und aktualisiert dieses<br />
laufend: www.optica.de/faq-hmr<br />
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E-Mail schreiben: kundenservice@optica.de.<br />
Damit wir schnell und gezielt helfen können, geben Sie<br />
bitte Ihre Kundennummer an.<br />
Ihr Optica-Team<br />
18 ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN
Termine<br />
Impressum<br />
TheraPro Stuttgart<br />
5. bis 7. Februar 2021, Messe Stuttgart<br />
www.messe-stuttgart.de<br />
Therapie Leipzig<br />
11. bis 13. März 2021<br />
www.therapie-leipzig.de<br />
Verschoben<br />
auf 28. –<br />
30.01.2022<br />
Zukunft Praxis, Ausgabe <strong>12</strong>/<strong>2020</strong><br />
(Erscheinungsweise: monatlich)<br />
Herausgeber:<br />
Optica Abrechnungszentrum Dr. Güldener GmbH<br />
Marienstraße 10, 70178 Stuttgart<br />
Vertreten durch die Geschäftsführer Konrad<br />
Bommas, Markus Kinkel und Dr. Jochen Pfänder<br />
Telefon: 0711 99373-2000, Telefax: 0711 99373-2025<br />
E-Mail: info@optica.de<br />
Optica-Redaktion: Fabian Maier (V.i.S.d.P.)<br />
Verlag: FAZIT Communication GmbH, Frankenallee 71 – 81,<br />
60327 Frankfurt am Main<br />
Konzept: Jan Philipp Rost, Martin Schmitz-Kuhl,<br />
Michael Hasenpusch<br />
Art-Direktion: Oliver Hick-Schulz<br />
Produktion: Anabell Krebs<br />
Text: Michael Hasenpusch, Hajo Hoffmann,<br />
Martin Schmitz-Kuhl<br />
Druck: Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH,<br />
Mörfelden-Walldorf<br />
FIBO 2021<br />
8. bis 11. April 2021<br />
www.fibo.com/de/<br />
World Physiotherapy-Kongress 2021 online<br />
8. bis 10. April 2021<br />
congress.physio/2021<br />
Fotografie:<br />
Titel, S.3: baona/iStock, S. 5: Aleksei Morozov/iStock, S. 6:<br />
filmfoto/iStock, S.6/7: JuSun/iStock, S.8: oatawa/iStock, S.<br />
13: KatarzynaBialasiewicz/iStock, S. 14: dbl/Jan Tepass, S.<br />
16/17: Optica, S. 18: Optica, S.19: Christian Horz/iStock, S.<br />
19: sdecoret/AdobeStock<br />
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entweder die männliche oder weibliche Form von personenbezogenen<br />
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genderspezifische Benachteiligung.<br />
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Zukunft Praxis Ausgabe 01/2021<br />
DRITTES DIGITALISIERUNGSGESETZ Zukunftsmusik,<br />
oder kommt jetzt der große Sprung nach vorne? Der<br />
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