JSDR - Landsmannschaft der Deutschen aus Russland eV
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<strong>JSDR</strong> - JANUAR 2011<br />
„Integration durch Identifi kation“<br />
Seminarwochenende in Mecklenburg-Vorpommern<br />
Am 20. und 21. November<br />
trafen sich Vertreter <strong>der</strong><br />
<strong>JSDR</strong>-Landesgruppe Berlin<br />
und unsere Mitglie<strong>der</strong> <strong>aus</strong> Waren<br />
(Mecklenburg-Vorpommern) zu<br />
einem gemeinsamen Seminarwochenende<br />
zum Thema „Integration<br />
durch Identifi kation“, bei dem es<br />
auch darum ging, Kooperationsmöglichkeiten<br />
<strong>der</strong> beiden Gruppen<br />
zu entwickeln.<br />
Ausfl ug in die Vergangenheit<br />
Das Wolhynier Umsiedlermuseum im<br />
mecklenburg-vorpommerschen Linstow<br />
war unser erstes Ziel. Das Museum<br />
zeigt sehr anschaulich, wie man<br />
es schafft, seinen geschichtlichen<br />
Ursprung zu bewahren. Eine originalgetreue<br />
H<strong>aus</strong>- und Hofanlage mit<br />
diversen Einrichtungsgegenständen,<br />
Fotografi en, dem Modell eines Dorfes<br />
in Wolhynien und verschiedenen Ausweisen<br />
<strong>aus</strong> früherer Zeit ermöglichte<br />
einen sehr guten Einblick in die damaligen<br />
Lebensumstände. Es porträtiert<br />
die Geschichte <strong>der</strong> Wolhyniendeutschen<br />
und zeichnet ein einschneidendes<br />
Ereignis, die Umsiedlung, nach.<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> vermittelte das Museum<br />
eine interessante Erkenntnis: eine<br />
Wandstickerei mit christlichen Motiven,<br />
das Kreuz, die Bibel, H<strong>aus</strong>haltsgegenstände<br />
- alles Gegenstände,<br />
wie sie in jedem lokalen Heimatmuseum<br />
in Deutschland zu fi nden sind. Ein<br />
anschaulicheres Beispiel dafür, dass<br />
die <strong>Deutschen</strong> in <strong>Russland</strong> tatsächlich<br />
wie Deutsche gelebt haben, kann es<br />
kaum geben.<br />
Es mag banal klingen: Es mit eigenen<br />
Augen zu sehen, wirkt stärker als jede<br />
noch so <strong>aus</strong>führliche Geschichtsstunde;<br />
gerade für die Jüngeren kann dadurch<br />
<strong>der</strong> Begriff „<strong>Russland</strong>deutsche“<br />
veranschaulicht werden.<br />
Zurück in <strong>der</strong> Gegenwart<br />
Anschließend ging es im Seminarraum<br />
von Perspektive e.V. in Waren um<br />
Themen <strong>der</strong> Gegenwart. Das Seminar<br />
„Integration durch Identifi kation“, das<br />
von Edwin Warkentin geleitet wurde,<br />
bot reichlich inhaltlichen Diskussionsstoff.<br />
Unterschiedliche Ansätze und<br />
Meinungen in <strong>der</strong> persönlichen Auslegung<br />
wurden offen dargelegt und kritisch<br />
hinterfragt:<br />
Die TeilnehmerInnen des Seminarwochenendes in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
• Was bedeutet Integration?<br />
• Muss die eigene Identität aufgegeben<br />
werden, um vollkommen<br />
deutsch zu sein?<br />
• O<strong>der</strong> reicht es, wenn man einfach<br />
nur gut genug deutsch spricht, sich<br />
aber weiterhin o<strong>der</strong> auch wie<strong>der</strong><br />
Russe nennt?<br />
• Wie sieht man sich selbst, warum<br />
sieht man sich so?<br />
• Und warum ist es überhaupt wichtig,<br />
das eigene Selbstverständnis<br />
ggf. zu überdenken und es ohne<br />
Missverständnisse nach außen zu<br />
transportieren?<br />
Wer zum Beispiel als Deutscher <strong>aus</strong><br />
<strong>Russland</strong> die übliche Eröffnungsfrage<br />
„Wo kommst du her?“ mit einem einfachen<br />
"<strong>aus</strong> <strong>Russland</strong> ... <strong>aus</strong> Kasachstan<br />
... <strong>aus</strong> Ukraine ... <strong>aus</strong> Kirgistan<br />
beantwortet, hat zwar die Wahrheit<br />
gesagt, aber nur die halbe. Die an<strong>der</strong>e<br />
Hälfte müsste lauten: " ... und ich<br />
bin <strong>Russland</strong>deutscher.“ Warum ist<br />
das überhaupt wichtig? Und wie kann<br />
mir diese Antwort helfen, mich in <strong>der</strong><br />
neuen Heimat zu integrieren?<br />
Mit einem intensiven und offenen Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch<br />
versuchten wir,<br />
diese schwierige Frage zu beantworten.<br />
Eine eindeutige Antwort gab es<br />
nicht, vielmehr kristallisierte sich die<br />
Erkenntnis her<strong>aus</strong>, dass wir alle eine<br />
gemeinsame Geschichte haben und<br />
dass diese mit <strong>der</strong> Aussiedlung nach<br />
Deutschland nicht vorbei ist.<br />
<strong>JSDR</strong> - Januar 2011 - 2<br />
Außerdem ist es wichtig, Anknüpfungspunkte<br />
an die deutsche Gesellschaft<br />
zu fi nden. Dabei hilft einem<br />
auch die Frage: "Warum bin ich stolz,<br />
dass ich ein Deutscher bin?" Diese<br />
Frage führt weiter zu <strong>der</strong> nächsten<br />
Frage, ob ich berechtigt bin, stolz auf<br />
Leistungen zu sein, die ich nicht selber<br />
erbracht habe.<br />
Eines ist jedoch klar: In Deutschland<br />
fühlen sich viele zu H<strong>aus</strong>e. Sich in<br />
diesem Land wohl zu fühlen, sollte<br />
das Bestreben eines jeden Einzelnen<br />
sein, und das kann nicht von außen<br />
übernommen werden.<br />
Am zweiten Tag des Seminars ging<br />
es dann um die Ausarbeitung eines<br />
Programms <strong>der</strong> Zusammenarbeit. Die<br />
<strong>JSDR</strong>-Landesgruppe Berlin möchte<br />
die Kooperation mit den norddeutschen<br />
Landesgruppen erweitern; die<br />
Ausarbeitung des Programms mit<br />
den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>aus</strong> Waren sollte die<br />
Grundlage bilden.<br />
Bei den Überlegungen und anschließenden<br />
Ausarbeitungen kamen vielfältige<br />
Projektideen auf, die im Verlauf<br />
<strong>der</strong> nächsten Wochen fi xiert werden.<br />
Es war ein spannendes Seminarwochenende,<br />
das zeitgemäße Fragen in<br />
offener Form aufwarf, die man für sich<br />
selber nicht beantworten kann. Im gegenseitigen<br />
Aust<strong>aus</strong>ch wurden jedoch<br />
Antworten zutage geför<strong>der</strong>t, und es<br />
wurde Raum für inhaltlich starke Projekte<br />
geschaffen. Vitalij Brodhauer