01.07.2022 Aufrufe

Martin Wendte: Hauptsache gesund! (Leseprobe)

Wie sind Gott und Corona zusammenzudenken? Und welche Herausforderungen stellen sich der Kirche in und nach der Pandemie in der Gesundheitsgesellschaft? Um diese Fragen zu beantworten, wird im ersten Teil unsere Gesellschaft mit Rückgriff auf soziologische Erkenntnisse als »Gesundheitsgesellschaft« analysiert. Im zweiten Teil wird unter Rückgriff auf das Markusevangelium Jesus als Heiler, Heiland und Befreier dargelegt und in systematisch-theologischer Perspektive ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff entwickelt. Im dritten Teil werden die bisherigen Überlegungen zusammengefasst, ehe im vierten Teil das Handeln Gottes in der Pandemie zum einen als Handeln des »verborgenen Gottes« gedeutet wird. Zum anderen wird der Aufgabe der Kirche nachgedacht. Die Kirche soll einerseits Gott klagen. Andererseits soll sie im Aufsehen auf Jesus den Heiler, Heiland und Befreier als Vorkämpferin eines ganzheitlichen Gesundheitsbegriffes auftreten. Schuld und Sterben kommen dabei ebenso zur Sprache wie die politischen Dimensionen der Gesundheit.

Wie sind Gott und Corona zusammenzudenken? Und welche Herausforderungen stellen sich der Kirche in und nach der Pandemie in der Gesundheitsgesellschaft? Um diese Fragen zu beantworten, wird im ersten Teil unsere Gesellschaft mit Rückgriff auf soziologische Erkenntnisse als »Gesundheitsgesellschaft« analysiert. Im zweiten Teil wird unter Rückgriff auf das Markusevangelium Jesus als Heiler, Heiland und Befreier dargelegt und in systematisch-theologischer Perspektive ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff entwickelt. Im dritten Teil werden die bisherigen Überlegungen zusammengefasst, ehe im vierten Teil das Handeln Gottes in der Pandemie zum einen als Handeln des »verborgenen Gottes« gedeutet wird. Zum anderen wird der Aufgabe der Kirche nachgedacht. Die Kirche soll einerseits Gott klagen. Andererseits soll sie im Aufsehen auf Jesus den Heiler, Heiland und Befreier als Vorkämpferin eines ganzheitlichen Gesundheitsbegriffes auftreten. Schuld und Sterben kommen dabei ebenso zur Sprache wie die politischen Dimensionen der Gesundheit.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

24 Erster Teil: »<strong>Hauptsache</strong> <strong>gesund</strong>!«<br />

Kliniken gibt, die sich gegen diese Entwicklungen wehren und weiterhin gute<br />

Medizin unter dem Primat medizinischen Denkens ausüben. Aber der angedeutete<br />

Druck existiert, und die nun genauer zu skizzierenden Veränderungen<br />

vollziehen sich ebenso langsam und schleichend wie – auf das Ganze gesehen –<br />

wirkungsvoll.<br />

In Bezug auf die Ärzte kann man zwischen einer eher praktischen undeiner<br />

eher grundlegenden Veränderung ihrer Tätigkeiten unterscheiden. Auf der<br />

praktischen Ebene gilt, dass die Patienten schon bei der Diagnostik daraufhin<br />

angeschaut werden, welcher abrechenbare Fall hier vorliegen könnte. 10 Das führt<br />

bisweilen bei Privatpatienten zu Überdiagnostizierung und bei multimorbiden<br />

und gerade bei älteren und sozial schwächeren Patienten zuUnterdiagnostizierungen:<br />

Es wird nicht immer alles erkannt oder benannt, was in einem umfassenden<br />

Krankheitsbild vorliegen könnte. Auch die Therapie erfolgt so, dass sie<br />

sich im Rahmen der in der Fallpauschale vorgegebenen Handlungsweise vollzieht.<br />

Entsprechend wird der Patient auch im Krankenhaus nach sehr viel kürzerer<br />

Verweildauer als früher wieder entlassen. Denn das Krankenhaus erhält<br />

eine festgelegte Summe pro Fall und verdient damit mehr, wenn dieser Fall das<br />

Krankenhaus schon nach 5Tagen verlässt und nicht erst nach 7oder 9Tagen.<br />

In all diesen Veränderungen vollziehen sich tieferliegende Veränderungen<br />

von mentalen Großlagen und damit von ärztlichenDenkmustern undWeisen der<br />

Ausübung der ärztlichen Kunst. Die ärztliche Kunst besteht auch darin, sich in<br />

aufmerksam wahrnehmenderWeise undmit Sorgfalt dem einzelnen Patientenin<br />

seinem besonderen, einzigartigen Zustand zu widmen. Dann gilt es unter Berücksichtigung<br />

des ärztlichen Wissens gemeinsam mit dem Patienten einen für<br />

diese Situationpassenden und daher oftmals erst kreativ zu entwickelndenWeg<br />

des Heilens zu betreten, der Zeit braucht und in Geduld begleitet werden muss.<br />

Demgegenüber bewirkt die Invasion des ökonomischen Denkens, dass der einzelne<br />

Patient in seinem einzigartigen Zustand möglichst schnell unter einen der<br />

Fälle der Fallpauschale subsumiert wird. Ebenso wird die Therapie so festgelegt<br />

und vollzogen, dass sie unter die Fallpauschale gefasst werden kann. Damit<br />

besteht die Gefahr, dass die individuelle, umfassende Diagnose sowie das Suchen<br />

nach kreativ-passenden Lösungen nicht immer hinreichend Gewicht erhalten. Sie<br />

werden technisiert und standardisiert. Und da Zeit Geld ist, wird auch nicht<br />

immer hinreichend Raum gegeben für den mit Sorge und Sorgfalt begleiteten<br />

Heilungsprozess. Die Ökonomisierung und die Beschleunigung gehen Hand in<br />

Hand und treiben einander weiter an. – Das verändert auch die ärztlichen<br />

Denkmuster: Sie werden auf Standardisierung geprägt, die jeweils auf Teilaspekte<br />

des ganzen Patienten angewendet werden.Das ganzheitliche Herangehen<br />

gerät zunehmend unter Druck. – Die Ärzte selber erleben diese Veränderungen<br />

oftmals und benennen sie als problematisch, ohne sich ihnen ganz entziehen zu<br />

10<br />

Majo, 25ff.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!