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Kunstbulletin September 2022

Unsere September Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Georg Aerni, Marc-Antoine Fehr, Angela Anzi, Kunst und Klima, uvm.

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Pressearchiven oder dem Internet: «Mir ist eine emotionale Beziehung zu den Gegenständen<br />

wichtig.» Davon sprechen die beiden kleineren Leinwände im gleichen<br />

Saal. Auf der einen hat er seine Terrasse im Mondlicht gemalt, auf der anderen den<br />

Schnappschuss einer 2019 tot aufgefundenen Schleiereule, die der Auslöser dieses<br />

Zyklus war, der längst über den Maler hinausgewachsen ist. Dies wird in der Küche<br />

des Schloss Greyerz deutlich: Auf der Riesenleinwand ‹L’atelier›, 2019, scheint er auf<br />

einer Leiter physisch und psychisch gänzlich in die begonnene Freske einer landenden<br />

Schleiereule eingetaucht, die ihm erst nach seiner Arbeit noch mehr über ihren<br />

Widerhall in seinem Nervensystem eröffnen wird. Kompromisslose Malerei weiss am<br />

Ende immer mehr über die verborgenen Kräfte in uns als der Maler oder die Malerin.<br />

Fehr ist jedoch auch fasziniert davon, wie sich mit einigen in sein Atelier geratenen<br />

Objekten – darunter die versehrten Holzfiguren eines alten «jeux de massacre»<br />

vom Flohmarkt, ein Spielzeugauto aus der Kindheit, ein Knochen aus dem Schlossfriedhof<br />

– ganze Welten voller Abgründe aufbauen lassen. Nicht wenige der in den<br />

Wohngemächern des Schloss Greyerz präsentierten Stillleben haben insofern eher<br />

den Charakter duchampscher Umkehrungen, Aufhängungen und Verknüpfungen von<br />

Banalem zu gemalten oder gezeichneten Readymades. Einige dieser Kombinationen<br />

hat der Gastkurator Jean-Paul Felley sogar real im Parcours versteckt, der dadurch<br />

auch zur spielerischen Schatzsuche gerät. Wo fängt das Universum des Künstlers<br />

an? Wo hört es auf?<br />

Die ganze Welt liegt in einer Handvoll von Objekten<br />

Besonders eindrücklich ist in dieser ungewöhnlichen Schau jedoch, wie sich das<br />

Denkbild ‹La Maquette›, 2019, in die mit Tapisserien voller üppiger Naturdarstellungen<br />

dekorierte «Salle des Medaillons» einschreibt. Darauf wachsen zwei Oberkörper<br />

aus dem hellen Malgrund, die eine verkleinerte Ruinenlandschaft wie auf einer<br />

Bahre tragen. Der Kontrast zwischen dem Gemälde und seiner Umgebung verstärkt<br />

nicht nur die Bedeutung des Bildes. Er enthüllt auch, wie kritisch und zunehmend<br />

vereinfacht, zugespitzt Fehrs Malerei trotz ihres nach wie vor eingestandenen Klassizismus<br />

ist. Die Tendenz zur Klärung der Konturen der Figuren und der Disposition<br />

der Räume in den Bildern gewährt uns dabei auch eine Distanz zu diesen. Wohltuend<br />

fühlt man sich in dieser Ausstellung für einmal gerade nicht mit Überzeugungen und<br />

Anweisungen bombardiert. Vielmehr bewahren die Szenen ihre Autonomie und ihre<br />

Rätselhaftigkeit. Dies setzt sich sogar in den Porträts der Menschen fort, die oft von<br />

hinten, versunken in Tagträume oder im Schlaf wiedergegeben sind. Fehrs aus der<br />

Stille und der Kontemplation von Naheliegendem geborene Kunst führt uns letztlich<br />

zu Erkundungen der Beziehung zwischen unseren eigenen Aussen- und Innenwelten.<br />

Katharina Holderegger ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und lebt mit ihrer Familie am Genfersee.<br />

kholderegger@hotmail.com<br />

→ ‹Marc-Antoine Fehr – Les nuits bourguignonnes›, Château de Gruyères, bis 16.10.<br />

↗ www.chateau-gruyeres.ch<br />

FOKUS // MARC-ANTOINE FEHR<br />

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