Die doppelte Reflexion
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verliert sich jeder illusionistische Effekt zunehmend zugunsten einer idealen<br />
dreidimensionalen Form, die eine nachvollziehbare Entstehungsgeschichte hat.<br />
Aber etwas ganz Besonderes zeichnet Brancusis hochglanzpolierte goldfarbene<br />
Köpfe aus, die zu einer reine Form gewordenen Ikonen werden: das Wechselspiel<br />
von Schein und Wirklichkeit. Oder wie es in einem Ausstellungskatalog von 2013<br />
heißt: „Das Objekt tritt durch die Dominanz der <strong>Reflexion</strong>en in den Hintergrund, es<br />
löst sich in ein scheinbares Nichts auf. …Der vollendeten Qualität industriell<br />
gefertigter Produkte folgend, treten die spiegelnden Plastiken in einen sich ständig<br />
wandelnden Dialog mit der Umgebung und den Betrachtern. Neben der <strong>Reflexion</strong><br />
lassen sich Wertsuggestion, Inszenierung, Glamour und Fetischisierung als<br />
wichtige Kategorien zeitgenössischer Kunst im Spannungsfeld des Scheins<br />
lokalisieren.“ 8<br />
Eines der markantesten Beispiele dieses Genres ist seine „Negresse Blonde“ von 1926,<br />
heute im Lembruck Museum Duisburg, zu der es drei Jahre zuvor eine Vorstudie in<br />
Marmor gab. Aber auch das Mumok kann auf eine Version II stolz ein, die 1988<br />
erworben wurde uns sich nur marginal durch den „Dutch“, den stilisierten<br />
Flechtknödel als zusammengedrehter Zopf am Haupt der „blonden Schwarzen“<br />
unterscheidet. Brâncuși wurde 1922 in Marsaille von einem tatsächlich<br />
existierenden Modell dazu inspiriert. Der eiförmige, langgezogene Kopf, der in<br />
erster Linie den ihn umgebenden Raum wie auch den Betrachter reflektiert,<br />
verschmilzt in ein virtuelles Spiegelkabinett, wo Schein und Wirklichkeit<br />
oszillieren. „Durch die spiegelnde Oberfläche wird die Strenge der Form betont.<br />
Geht man um die Skulptur herum, so zeigt sich aber ein weiterer Effekt der<br />
spiegelglatten Oberfläche: <strong>Die</strong> Reflektionen lassen die schwerelos erscheinende<br />
Plastik aktiv mit ihrem Umraum in Kommunikation treten,“ heißt es dort im<br />
Erklärungstext.<br />
Gleiches läßt sich auch von seiner 1915 entstandenen Bronce-Skulptur „Princess X“,<br />
erstmals 1920 im Salon des Indépendants in Paris präsentiert und heute im<br />
Philadelphia Museum of Art. Es soll Prinzessin Marie Bonaparte darstellen, eine<br />
eigenständige Psychoanalytikerin und große Unterstützerin Freuds. In Wahrheit<br />
erkennen alle Betrachter darin aber nur einen auf Hochglanz polierten<br />
Riesenphallus, der für entsprechende Furore und auch schockierte Ablehnung<br />
sorgte.<br />
Brâncușis hochglanzpolierte Objekte leben auch vom Kontrast der Materialien,<br />
etwa, wenn Sockel oder Hals aus rauhem Sandstein sind und ziehen den Betrachter<br />
8 Ausstellung »Der Schein | Glanz, Glamour, Illusion« in der kestnergesellschaft, 23. August 2013<br />
bis 2. März 2014) im Landesmuseum Hannover präsentiert<br />
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