08/2022
Die Titelthemen im August: Profis für Stars: Wie Therapeut:innen für sportliche Glanzlichter sorgen. // Startklar: So sind Sie bereit für die Betriebsprüfung
Die Titelthemen im August: Profis für Stars: Wie Therapeut:innen für sportliche Glanzlichter sorgen. // Startklar: So sind Sie bereit für die Betriebsprüfung
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№ <strong>08</strong>/<strong>2022</strong><br />
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Profis<br />
FÜR STARS<br />
Wie Therapeut:innen für sportliche Glanzlichter sorgen
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lieber Leser,<br />
jede:r ist nur so stark wie ihr oder sein Team. Dabei stehen<br />
manche mehr, manche weniger im Rampenlicht. In der Welt<br />
der Sportstars sind die Verantwortlichen für die Gesundheit<br />
der Athlet:innen oft erstaunlich unbekannt. Schließlich legen<br />
sie ja eine entscheidende Basis für Pokale, Medaillen und<br />
Rekorde. In unserer aktuellen Titelgeschichte richten wir<br />
den Fokus auf ansonsten eher stille Held:innen und haben<br />
mit Therapeut:innen gesprochen, die im Spitzensport arbeiten.<br />
Ob im Fußball beim amtierenden Europa-League-Champion<br />
Eintracht Frankfurt, im Handball beim deutschen Rekordmeister<br />
THW Kiel oder bei olympischen Einzelerfolgen: ZUKUNFT<br />
PRAXIS zeigt die therapeutische Arbeit hinter den sportlichen<br />
Glanzleistungen. Deutlich wird: Die Wege zum Erfolg sind<br />
vielfältig, spannend und hängen von ganz unterschiedlichen<br />
Faktoren ab. Aber nicht nur Stars brauchen professionelle<br />
Betreuung für ihre Gesundheit. Der Mainzer Ergotherapeut<br />
Dr. Eric Raehmisch lenkt im Interview den Blick auch auf die<br />
Unterstützung für den sportlichen Nachwuchs.<br />
Talente fördern und ein erfolgreiches Team zusammenstellen:<br />
Das ist auch Aufgabe von Praxisinhaber:innen, ganz gleich,<br />
wie sportlich sie unterwegs sind. Im aktuellen PRAXISnah-<br />
Interview schildert Physiotherapeutin Ulrike Heßlenberg, wie<br />
sie ihr Dream-Team aufgestellt hat – und dadurch auch<br />
außergewöhnlich viele Hausbesuche meistert.<br />
Ihr Dr. Jochen Pfänder<br />
Optica-Geschäftsführer<br />
Inhalt<br />
4<br />
Kompakt<br />
News und Meldungen<br />
8<br />
Profis für Stars<br />
Auch hinter internationalen Erfolgen von<br />
Sportler:innen stehen Therapeut:innen, die für<br />
die nötige Fitness sorgen.<br />
14<br />
Bereit für die Betriebsprüfung<br />
Wie Sie ohne Sorgen in die Kontrollen gehen<br />
oder diese vielleicht sogar vermeiden.<br />
16<br />
Fragebogen: PRAXISnah<br />
Diesmal mit Ulrike Heßlenberg, die im Oberbergischen<br />
digital erfolgreich ist und zugleich<br />
zahlreiche Hausbesuche anbietet.<br />
18<br />
Umgang mit Trauer<br />
Der Tod von Patient:innen kann starke Trauerreaktionen<br />
bis hin zu Traumata auslösen.<br />
19<br />
Information & Standards<br />
Wissenswertes aus der Welt der Abrechnung,<br />
Vorschau und Impressum<br />
Eine Software mit Herz, Hand und Verstand.<br />
Optica Viva ist eine Software der PRAXINO GmbH.<br />
ZUKUNFT PRAXIS EDITORIAL3
THERAPIE<br />
IN ZAHLEN<br />
40 Prozent<br />
DER KINDER UND JUGENDLICHEN IN DEUTSCHLAND<br />
Unter 1/4<br />
LAG DER FRAUENANTEIL IN EINER STU-<br />
DIE ZU LEISTUNGSERGÄNZUNGSMIT-<br />
TELN IM SPORT. Dies ist nur ein Beispiel,<br />
LEIDEN LAUT EINER STUDIE der Deutschen Gesellschaft das zeigt, dass Frauen in der Sport- und<br />
für Kinder- und Jugendmedizin bis zu ihrem 18. Lebensjahr Sportmedizinforschung unterrepräsentiert<br />
unter Rückenschmerzen, die damit in den vergangenen<br />
sind. is.gd/frauensport<br />
Jahrzehnten deutlich zugenommen haben.<br />
3 516,1 25.000<br />
MENSCHEN UNTER 65 JAH-<br />
BETRUG ANFANG AUGUST<br />
REN ERKRANKEN IN<br />
KAFFEEVOLLAUTOMATEN DIE 7-TAGE-INZIDENZ DER<br />
DEUTSCHLAND JÄHRLICH AN<br />
VERLOST DAS ROBERT KOCH- COVID-19-NEUINFEKTIONEN,<br />
DEMENZ. Das geht aus einer<br />
INSTITUT UNTER ALL JENEN, und für immer mehr Menschen<br />
neuen Broschüre mit dem Titel<br />
die sich an der Online-Umfrage entwickelt sich daraus Long Covid.<br />
Die Bundeszentrale für ge-<br />
„Du bist nicht mehr früher“ der<br />
zur Erfahrung von Beschäftigten<br />
Deutschen Alzheimer Gesellschaft<br />
hervor, die kostenlos an-<br />
im Gesundheitswesen im Zusammenhang<br />
mit Covid-19 beteiligen. mit vielen namhaften Kooperatisundheitliche<br />
Aufklärung hat<br />
geboten wird. is.gd/deminfo<br />
Die Umfrage läuft noch bis Ende onspartnern eine Informationsseite<br />
dazu bereitgestellt: www.<br />
September <strong>2022</strong>.<br />
longcovid-info.de<br />
is.gd/rkibefrag<br />
31. Juli <strong>2022</strong><br />
Über 54 Prozent<br />
DER JÜNGEREN ARBEITNEHMERINNEN UND ARBEITNEHMER<br />
WÜRDEN SICH ÖFTER BEWERBEN, wenn sie kein Anschreiben für<br />
ihre Bewerbung verfassen müssten. Das zeigt eine Studie des Kölner<br />
Jobportals Joblift.<br />
WAR DER STICHTAG FÜR DIE<br />
MASERNIMPFUNG FÜR ALLE<br />
BESCHÄFTIGTEN, die bereits<br />
vor dem 1. März 2020 in medizinischen<br />
Einrichtungen, Praxen,<br />
Schulen, Kindergärten und anderen<br />
Gemeinschaftseinrichtungen<br />
tätig waren. Liegt der Nachweis<br />
nicht vor, muss nun das<br />
Gesundheitsamt informiert werden.<br />
is.gd/gainfo<br />
DIGITALISIERUNG<br />
eHBA für (fast) alle<br />
Für Menschen, die in der Pflege, der Geburtshilfe oder der<br />
Physiotherapie arbeiten, gibt es gute Neuigkeiten im Bereich<br />
Digitalisierung. Statt wie bisher in nur sechs, kann der elektronische<br />
Heilberufsausweis (eHBA) von den Beschäftigten in<br />
diesen Berufsfeldern nun in zwölf Bundesländern beantragt<br />
werden. Nur Berlin, Brandenburg, das Saarland und Thüringen<br />
wurden für den Service noch nicht freigeschaltet. Das<br />
hat die Bezirksregierung in Münster, Nordrhein-Westfalen,<br />
bekanntgegeben, die deutschlandweit für das elektronische<br />
Gesundheitsberuferegister zuständig ist. Der eHBA dient<br />
dazu, sich persönlich für die Telematikinfrastruktur (TI) zu<br />
authentifizieren, der sicheren, digitalen Datenautobahn des<br />
deutschen Gesundheitswesens. Zu den Anwendungen, die<br />
auf Basis der TI laufen, zählen unter anderem die elektronische<br />
Patientenakte (ePA), das E-Rezept oder elektronische<br />
Verordnungen. is.gd/ehbausweis<br />
Kurz &<br />
Knapp<br />
Menschen mit „rheumatoider<br />
Arthritis“ (RA) leiden häufig<br />
unter ausgeprägten Beschwerden.<br />
Neuere Erkenntnisse zur<br />
Verträglichkeit von bislang<br />
verordneten Rheuma-Medikamenten<br />
haben nun zu einer<br />
Überarbeitung der Therapieempfehlungen<br />
der European<br />
Alliance of Associations for<br />
Rheumatology (EULAR) geführt.<br />
is.gd/radiag +++ Ein aktueller<br />
Cochrane Review zeigt,<br />
dass die Antigen-Schnelltests<br />
auf SARS-CoV-2 nur bei Menschen<br />
mit potenziellen Symptomen<br />
ausreichend sensitiv<br />
sind und dann rund drei Viertel<br />
der Infizierten erkennen. Bei<br />
symptomlosen Personen erkennen<br />
sie dagegen nur jede<br />
zweite Infektion. is.gd/covtest<br />
+++ Ob schwache Muskulatur<br />
einen Risikofaktor für Arthrose<br />
darstellt oder die Arthrose zur<br />
Abschwächung der Muskulatur<br />
führt, ist nach einer Meta-Analyse<br />
von Studien nicht mehr<br />
sicher. Sicher ist aber, dass<br />
kräftige Muskeln nicht negativ<br />
sind: Nach dem Motto „You<br />
can’t go wrong getting strong“<br />
(Du machst nichts falsch, wenn<br />
du stark wirst), schadet es<br />
nicht, Beinmuskeln zu kräftigen.<br />
is.gd/starkemuskeln<br />
4 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT 5
RATGEBER RECHT<br />
BUNDESLÄNDER<br />
Verbesserung<br />
für Heilmittelberufe<br />
BMG-BEFRAGUNG<br />
Zukunft der<br />
Physio-Berufe<br />
In den Koalitionsverträgen in<br />
Nordrhein-Westfalen (NRW)<br />
und Schleswig-Holstein (SH)<br />
haben laut Spitzenverband der<br />
Heilmittelverbände (SHV) wichtige<br />
Themen für Heilmittelerbringer:innen<br />
Berücksichtigung<br />
gefunden. Erfreulich sei beispielsweise,<br />
dass in NRW die<br />
Modellstudiengänge verstetigt<br />
werden. Und: Die neue Regierung<br />
in SH wolle schnellstmöglich<br />
einen „Pakt für die<br />
Gesundheits- und Pflegeberufe“<br />
auf den Weg bringen, um<br />
die Bedingungen im Bereich<br />
Ausbildung, Studium und die<br />
Kapazitäten zu verbessern und<br />
an den Bedarf anzupassen.<br />
is.gd/hmberufe<br />
Laut einem Konzeptentwurf plant das Bundesministerium<br />
für Gesundheit (BMG) eine Teilakademisierung<br />
in der Physiotherapie. Einen akademischen<br />
Abschluss braucht demnach, wer<br />
Physiotherapeut:in werden will, alle anderen können<br />
eine Ausbildung an einer Fachschule absolvieren.<br />
Sie tragen danach die Berufsbezeichnung<br />
Masseur/Medizinischer Bademeister, allerdings<br />
sollen diese Begriffe in Zukunft aktualisiert werden.<br />
Um diese Pläne mit den Physiotherapie-Verbänden<br />
abzustimmen, hat das BMG nun nach<br />
dem ersten Konsultationsverfahren im Sommer<br />
2021 ein weiteres auf den Weg gebracht, mit<br />
dem offene Fragen geklärt werden sollen, beispielsweise,<br />
welche Kompetenzen im Rahmen<br />
der Ausbildung erworben werden sollen.<br />
BLANKOVERORDNUNG<br />
BMG will Fristen streichen<br />
Schon seit Ende September 2021 hätten die Heilmittelverbände<br />
und der GKV-Spitzenverband die Verträge zur Blankoverordnung<br />
schließen sollen, gelungen ist das jedoch<br />
nicht. Zwischen GKV-Spitzenverband und jedem der fünf<br />
Heilmittelbereiche Physiotherapie, Podologie, Ergotherapie,<br />
Logopädie und Ernährungstherapie sowie den dazugehörigen<br />
Organisationen hätten Rahmenbedingungen<br />
vereinbart werden müssen. Nun will das Bundesministerium<br />
für Gesundheit (BMG) diese gesetzte Frist ersatzlos<br />
streichen. Damit wird die Blankoverordnung wieder etwas<br />
ungewisser, die es den Therapeut:innen erlauben würde,<br />
aufgrund einer ärztlichen Entscheidung für eine Behandlung<br />
diese in Art und Umfang selbst zu gestalten.<br />
GESAGT<br />
„Nachwuchsspieler:innen<br />
brauchen Menschen, die ihnen<br />
helfen, den Alltag (…) zu<br />
strukturieren, sodass sie<br />
lernen, wie man zum Beispiel<br />
Bankgeschäfte abwickelt oder<br />
sich etwas Gesundes zu Essen<br />
zubereitet.“<br />
Dr. Eric Raehmisch, Ergo- und Neurotherapeut<br />
(mehr dazu in der Titelgeschichte ab Seite 8)<br />
Nebentätigkeiten und<br />
Wettbewerb im<br />
Arbeitsverhältnis<br />
Unmittelbare Konkurrenz oder auch nur<br />
zeitraubende Nebentätigkeiten von<br />
Angestellten können das Betriebsklima<br />
ernsthaft bedrohen. Rechtsanwalt und<br />
Fachanwalt für Medizinrecht<br />
Dr. Dr. Thomas Ruppel gibt einen<br />
Überblick über die Rechtslage.<br />
Solange sie dem oder der Arbeitgeber:in keine<br />
Konkurrenz machen oder dies im Arbeitsvertrag<br />
anderweitig geregelt wurde, dürfen Arbeitnehmer:innen<br />
Nebentätigkeiten nachgehen.<br />
Allerdings müssen die Umstände gesamthaft<br />
betrachtet werden. Die Arbeitsleistung der Angestellten<br />
muss immer gewährleistet bleiben. Bei<br />
Verstößen gegen Nebentätigkeitsverbote oder<br />
Wettbewerbsverbote während des laufenden<br />
Arbeitsverhältnisses wird meist zunächst eine<br />
Abmahnung ausgesprochen, Ihr:e Arbeitnehmer:in<br />
soll dann die Nebentätigkeit beenden.<br />
Eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung<br />
kommt bei schwerwiegenden Verstößen in<br />
Betracht. Das gilt etwa, wenn Ihr:e Angestellte:r<br />
eine eigene Praxis eröffnet oder Patient:innen<br />
gezielt abgeworben hat. Für die Dauer eines<br />
Kündigungsschutzprozesses bleibt das Wettbewerbsverbot<br />
wirksam. Auch nach Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses gelten noch nachvertragliche<br />
Wettbewerbsverbote, solange sie im<br />
Arbeitsvertrag schriftlich vereinbart wurden.<br />
Weitere Details zum Thema finden Sie online:<br />
optica.de/gesundheitsdaten<br />
6 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT 7
PROFISPORT<br />
Stütze<br />
des Teams<br />
Traumberuf Therapeut:in<br />
im Profisport:<br />
Gemeinsam verlieren<br />
und gemeinsam<br />
gewinnen heißt die<br />
Devise. Über einen<br />
besonderen Arbeitsbereich.<br />
TEXT: MARTIN SCHMITZ-KUHL<br />
In diesem Beitrag<br />
1.<br />
Physiotherapeut:innen sind im Profisport<br />
ein wichtiger Teil des Teams.<br />
2.<br />
Die Arbeit unterscheidet sich<br />
fundamental von der in<br />
„normalen“ Praxen.<br />
3.<br />
Der Weg zum Traumberuf ist steil<br />
und nicht immer erfolgsgekrönt.<br />
Ein Erfolg hat viele Gesichter.<br />
Als in diesem Mai Eintracht<br />
Frankfurt das Finale der<br />
Europa League in Sevilla gewann,<br />
waren es vor allem die<br />
Gesichter von Rafael Borré,<br />
der das Ausgleichs- sowie<br />
das Siegtor schoss, und von<br />
Kevin Trapp, der im Tor zum Helden des Spiels<br />
mit abschließendem Elfmeterschießen wurde.<br />
Als bei der Feier im Stadion irgendwann jedoch<br />
auch Patrick Kux den Pokal in die Hände bekam<br />
und stolz in die Kamera reckte, wunderte sich<br />
darüber vielleicht manch einer auf den Rängen.<br />
Im Team der Frankfurter wusste jedoch jeder,<br />
dass der 36-Jährige seinen Anteil am Erfolg der<br />
Mannschaft hatte und völlig zurecht mitfeierte.<br />
Kux ist seit Ende 2017 einer von fünf Physiotherapeuten<br />
des Lizenzspielerkaders der<br />
Eintracht Frankfurt Fußball AG, mittlerweile<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL9
quasi ein „alter Hase“. Dass in diese Jahre die<br />
größten Erfolge der jüngeren Vereinsgeschichte<br />
fallen – 2018 gewann die Eintracht bereits im<br />
DFB-Pokalfinale gegen Bayern München – mag<br />
auch Zufall sein. Unbestreitbar ist jedoch, dass<br />
nur ein gesundes Team leistungsstark sein<br />
kann und dass dafür Physiotherapeut:innen,<br />
als Teil der medizinischen Abteilung des Vereins,<br />
von großer Bedeutung sind. Natürlich<br />
ist nicht jede fitte und gesunde Mannschaft<br />
automatisch erfolgreich, eine schwache und<br />
verletzungsgeplagte Mannschaft ist es aber<br />
keinesfalls. Und so kommt es nicht von ungefähr,<br />
dass in der offiziellen Verletzungstabelle<br />
der Bundeligasaison 2021/<strong>2022</strong> Eintracht<br />
Frankfurt mit durchschnittlich nur 30,55 Ausfalltagen<br />
pro Spieler auf einem hervorragenden<br />
zweiten Platz landete, während zum Beispiel<br />
die seinerzeit enttäuschende Mannschaft von<br />
Borussia Dortmund fast dreimal so viel Ausfalltage<br />
hatte (86,32).<br />
Im Sportbereich zu arbeiten, gar eine Profimannschaft<br />
betreuen zu können, ist für viele<br />
Physiotherapeut:innen ein Traumjob. So auch<br />
für Angela Popiol. Die 52-Jährige hat vor drei<br />
Jahren eine auf Sportphysiotherapie spezialisierte<br />
Praxis gegründet – zusammen mit dem<br />
THW Kiel, dem deutschen Handball-Rekord-<br />
meister und mehrfachen Gewinner der Champions<br />
League. Normalerweise beschäftigen Vereine<br />
einzelne Therapeut:innen. Dass der THW<br />
im eigenen, neu errichteten Leistungszentrum<br />
jetzt eine richtige Praxis hat und gleich als Mitgesellschafter<br />
einstieg, ist ungewöhnlich, hat<br />
aber natürlich große Vorteile. „Hier ist alles<br />
Tür an Tür“, so Popiol. Trainingsbetreuung,<br />
Krafttraining, Regeneration und im Fall einer<br />
Verletzung Rehabilitation: In Kiel haben die<br />
Sportler:innen ebenso wie die Therapeut:innen<br />
kurze Wege.<br />
Ein Leben im Profisport besteht aber natürlich<br />
nicht nur aus Training und Heimspielen,<br />
viel Zeit verbringt die Mannschaft in Teambus,<br />
Flugzeug und Hotel. Und das Gleiche gilt für die<br />
Physiotherapeut:innen, die ebenfalls bei jedem<br />
Auswärtsspiel im In- und Ausland dabei sind.<br />
„Einen ,Nine-to-five-Job‘ haben wir hier nicht.<br />
Wir kennen keinen normalen Feierabend und<br />
auch kein Wochenende“, so Popiol. Allerdings<br />
sei die Motivation der Sportler:innen ansteckend.<br />
Gemeinsam verlieren und gemeinsam<br />
gewinnen ist die Devise. Schöner ist selbstverständlich<br />
letzteres: „Mein persönliches Highlight<br />
war, als die von mir ebenfalls betreute<br />
Seglerin Susann Beucke bei den Olympischen<br />
Spielen in Tokio Silber holte und danach auf<br />
Lohn der Arbeit:<br />
Eintracht-Physio<br />
Patrick Kux stemmt<br />
den Europa-<br />
League-Pokal.<br />
„Hilfe neben dem Platz“<br />
Der Mainzer Ergo- und Neurotherapeut DR. ERIC RAEHMISCH<br />
fordert seit vielen Jahren, dass nicht nur Physio- sondern<br />
auch Ergotherapeut:innen im Spitzensport zum Einsatz kommen.<br />
Herr Dr. Raehmisch, wie kam es<br />
zu Ihrem Engagement für Ergotherapeut:innen<br />
im Spitzensport?<br />
Gerade in meiner Zeit als sportpsychologischer<br />
Koordinator im<br />
Nachwuchsleistungszentrum eines<br />
Zweit- und Drittligisten habe<br />
ich gemerkt, dass dort immer nur<br />
Physiotherapeut:innen, Athletiktrainer:innen,<br />
Pädagog:innen<br />
und Ärzt:innen im Einsatz waren,<br />
nicht aber Ergotherapeut:innen.<br />
Dabei käme ihnen gerade<br />
als Alltagsbetreuer:innen von<br />
Nachwuchsspieler:innen eine<br />
wichtige Aufgabe zu.<br />
Inwiefern?<br />
Viele junge Spieler:innen sind<br />
dort ja teilweise ganz alleine.<br />
Reiche Vereine wie RB Leipzig<br />
können es sich vielleicht leisten,<br />
die ganze Familie im Nachwuchszentrum<br />
einzuquartieren, aber in<br />
der Regel sind das völlig entwurzelte<br />
Kinder und Jugendliche, die<br />
nichts kennen außer dem Leben<br />
auf dem Sportplatz und die auch<br />
nie gelernt haben, sich im Alltag<br />
konkret zurechtzufinden.<br />
Und die brauchen dann einen<br />
„Dr. Alltag“, wie Sie Ergotherapeut:innen<br />
auch bezeichnen.<br />
Genau. Menschen, die ihnen neben<br />
dem Platz helfen, den Alltag<br />
klar und motiviert zu strukturieren,<br />
sodass sie lernen, wie man zum<br />
Beispiel Bankgeschäfte abwickelt,<br />
die Waschmaschine bedient oder<br />
sich etwas Gesundes zu Essen<br />
zubereitet. Ich selbst habe mal in<br />
Wiesbaden einen jungen Spieler<br />
aus Ghana – Michael Akoto – sehr<br />
eng betreut. Er wollte zwischenzeitlich<br />
schon das Fußballspielen<br />
aufgeben, weil er in dieser Welt<br />
einfach nicht zurechtkam. Und<br />
siehe da: Seit letztem Sommer<br />
ist er bei Dynamo Dresden unter<br />
Vertrag. Inzwischen werden übrigens<br />
auch einige Bachelor- und<br />
Masterarbeiten zum Thema Sport<br />
und Ergotherapie geschrieben; ich<br />
erhalte dazu viele Anfragen und<br />
Mitteilungen von Studierenden<br />
aus der ganzen Bundesrepublik.<br />
Und in einigen Vereinen der Fußballbundesliga<br />
wird auch schon<br />
mit externen Ergotherapeut:innen<br />
in den Nachwuchsleistungszentren<br />
zusammengearbeitet. Dass<br />
ich dazu einen wichtigen Beitrag<br />
leisten konnte, hat mich sehr froh<br />
und auch ein bisschen stolz gemacht.<br />
Wie offen zeigen sich die Vereine,<br />
wenn es darum geht, Ergotherapeut:innen<br />
auch fest einzustellen<br />
und richtig in die Arbeit<br />
mit einzubeziehen?<br />
Ich habe diesbezüglich bereits<br />
vor einigen Jahren alle Bundesligavereine<br />
angeschrieben, aber<br />
leider nicht mit einem durchschlagenden<br />
Erfolg. Allerdings gebe<br />
ich nicht auf, hier Aufklärungsarbeit<br />
zu leisten und es immer<br />
wieder zu versuchen. Gerade erst<br />
neulich habe ich einen neuen Anlauf<br />
beim DFB gemacht, der jetzt<br />
im Sommer in Frankfurt seine<br />
Akademie eröffnet hat.<br />
Haben Sie bereits eine Antwort?<br />
Ja, leider wieder eine Absage.<br />
Allerdings hat der medizinische<br />
Leiter in seiner Antwort<br />
geschrieben, dass man sich<br />
„zunächst“ nicht mit der Ergotherapie<br />
beschäftigen wolle. Das<br />
gibt mir ein bisschen Hoffnung.<br />
Ich bleibe am Ball, im wahrsten<br />
Sinne des Wortes.<br />
10 ZUKUNFT PRAXIS TITEL ZUKUNFT PRAXIS TITEL11
Voller Einsatz: Um den Belastungen des Profisports standhalten<br />
zu können, brauchen Athlet:innen professionelle Betreuung.<br />
direktem Weg zu mir in die Praxis kam, mir die<br />
Medaille mit den fünf Ringen zeigte und sagte:<br />
‚Dieser Kringel hier ist deiner‘.“<br />
Dabei geht es im Profisport bekanntlich<br />
nicht nur um den Wettkampf, sondern ebenso<br />
ums Geschäft. Die körperliche Fitness und Gesundheit<br />
der Sportler:innen hat deshalb eine<br />
wirtschaftliche Komponente, die sich auch in<br />
Zahlen beziffern lässt. So schätzt eine britische<br />
Studie aus dem Jahr 2020 die finanziellen Ausfälle<br />
durch Verletzungen in einem durchschnittlichen<br />
Verein der Fußball-Spitzenliga<br />
Premier League auf 45 Millionen Pfund pro<br />
Saison. Gerade Muskelverletzungen stellen<br />
eine ernste Belastung dar. Entsprechend wichtig<br />
sind hier speziell entwickelte Aufwärmprogramme<br />
zur Verletzungsprävention (z. B. FIFA<br />
11+) und Kräftigungsübungen (z. B. Nordic<br />
Hamstring Exercise). Die Evidenz solcher Programme<br />
nachzuweisen, ist indes nicht ganz<br />
einfach. Neuere Studien gehen aber davon aus,<br />
60<br />
Prozent weniger<br />
Verletzungen der<br />
ischiocruralen<br />
Muskulatur können<br />
durch trainingsbasierte<br />
Prävention<br />
erreicht werden.<br />
dass beispielsweise Verletzungen der ischiocruralen<br />
Muskulatur durch trainingsbasierte<br />
Präventionsprogramme um rund 60 Prozent<br />
reduziert werden können.<br />
Und wie ist die Arbeit mit den Profisportler:innen<br />
im Vergleich zu der mit „normalen“<br />
Patient:innen? „Toll“, findet Angela Popiol<br />
und lacht. Zum einen müsse man sich über<br />
die Compliance der Klient:innen keine Gedanken<br />
machen: „Denen muss man nicht erklären,<br />
dass sie mitmachen müssen, wenn sie<br />
wieder fit werden wollen.“ Zum anderen ist<br />
man bei deren Behandlung natürlich nicht an<br />
das gebunden, was die Krankenkasse vorgibt<br />
und bezahlt. „Die Leute wundern sich immer,<br />
wenn ein Profisportler mit Kreuzbandriss nach<br />
vier Monaten wieder auf dem Platz steht“, sagt<br />
Popiol. Aber das läge eben – neben der Tatsache,<br />
dass solche Sportler:innen in der Regel<br />
eine bessere körperliche Konstitution hätten<br />
– hauptsächlich daran, dass sie eine schnelle,<br />
abgestimmte und professionelle Diagnose und<br />
Behandlung bekämen.<br />
Kein Wunder also, dass dieser Job bei vielen<br />
jungen Physiotherapeut:innen so beliebt<br />
ist. Allein: Bis sie tatsächlich mal am Spielfeldrand<br />
eines Bundesligaspiels sitzen oder die<br />
Wade eines Profis massieren dürfen, vergeht<br />
in der Regel sehr viel Zeit. „Ohne Erfahrung<br />
und eine gewisse Reputation und Fürsprache<br />
in den entsprechenden Kreisen geht da gar<br />
nichts“, stellt Popiol klar. Zudem müssten die<br />
Interessent:innen Zielstrebigkeit und Ausdauer<br />
an den Tag legen – wie zum Beispiel Patrick<br />
Kux von Eintracht Frankfurt, der selbst einmal<br />
Fußballer war und genau wusste, wo er hinwollte.<br />
Bereits während seiner Ausbildung zum<br />
Therapeuten spezialisierte er sich auf das Thema<br />
„Sportrehabilitation und Prävention“. Nach<br />
dem Abschluss ergriff er die Gelegenheit, bei<br />
Borussia Mönchengladbach anzuheuern. Er<br />
begann mit der Betreuung der Handballmannschaft,<br />
um dann aber schon bald zum Fußball<br />
wechseln zu können. Über die U15, U16 und U17<br />
arbeitete er sich langsam nach oben, bis ihm<br />
schließlich – dank persönlicher Kontakte – der<br />
Sprung zum Profi-Kader von Eintracht Frankfurt<br />
gelang. Und nun? Eigentlich fehlt jetzt nur<br />
noch der Pokal der Champions League. Und für<br />
die hat sich die Eintracht mit ihrem Europapokal-Sieg<br />
auch dank Patrick Kux qualifiziert. —<br />
SCHAUFENSTER GEMATIK<br />
Weg mit den kleinen Zetteln<br />
Seit Jahren wird hierzulande am E-Rezept gearbeitet, in einigen<br />
europäischen Ländern gehört es bereits zum Alltag von<br />
Krankenhäusern, Arztpraxen, Apotheken und Patient:innen.<br />
Auch in Deutschland soll es nun verpflichtend eingeführt werden.<br />
TEXT: MICHAEL HASENPUSCH<br />
500 Millionen kleine Zettel wandern<br />
jährlich in Deutschland mithilfe<br />
von Patientinnen und Patienten<br />
von der Arztpraxis zur Apotheke,<br />
werden dort gegen ein Arzneimittel<br />
eingetauscht – und dann weggeworfen.<br />
Es ist ein Ablauf, der von Millionen<br />
Menschen – von Akteuren des Gesundheitswesens<br />
wie von Patient:innen<br />
– seit Jahrzehnten eingeübt wurde<br />
und nun geändert werden soll. Aus<br />
dem papiernen Rezept soll bald das E-<br />
Rezept werden und somit nicht nur die<br />
Umweltsünde beheben, sondern eine<br />
ganze Reihe weiterer Vorteile bringen.<br />
Schnelle Lösung mit dem<br />
Smartphone<br />
Das Rezept ist digital gespeichert, und<br />
so können Patient:innen per Smartphone<br />
schon vorab bei der Apotheke<br />
ihrer Wahl anfragen, ob das gewünschte<br />
Medikament dort vorrätig<br />
ist. Auch online ist das E-Rezept einzulösen,<br />
ein Lieferdienst kann die Arznei<br />
nach Hause bringen. In der Apotheke<br />
selbst wird auf dem Smartphone ein<br />
QR-Code vorgezeigt, der alle nötigen<br />
Informationen enthält – nicht nur, welches<br />
Medikament ausgehändigt werden<br />
soll, sondern auch, welche Dosierung<br />
dafür nötig ist. Für alle, die kein<br />
Smartphone besitzen, lässt sich dieser<br />
Code auf einem Zettel ausdrucken<br />
und vorzeigen, dem Papier wird also<br />
eine kleine Hintertür offengehalten.<br />
Entwickelt hat das E-Rezept neben<br />
vielen anderen Anwendungen der<br />
Telematikinfrastruktur (TI) die gematik<br />
in Berlin, die seit einigen Jahren<br />
mehrheitlich dem Bundesministerium<br />
für Gesundheit (BMG) gehört. Hier<br />
wird die digitale Zukunft des Gesundheitswesens<br />
in Deutschland<br />
maßgeblich vorangetrieben. Und<br />
Deutschland ist bei dieser Entwicklung<br />
im europäischen Vergleich nicht<br />
allein, eher ein bisschen hintendran.<br />
Denn einige andere Länder sind<br />
beim papierlosen Rezept weiter: In<br />
Skandinavien und in Teilen Südeuropas<br />
ist man in Sachen Gesundheit<br />
insgesamt digitaler aufgestellt.<br />
In Estland, Dänemark und Schweden,<br />
in Belgien und Portugal gibt es<br />
das E-Rezept bereits, verbunden mit<br />
der elektronischen Patientenakte (ePA),<br />
die in Deutschland ebenfalls von der<br />
gematik entwickelt wurde und die seit<br />
Anfang 2021 für alle gesetzlich Versicherten<br />
angeboten wird. In anderen<br />
europäischen Ländern wie Italien, England,<br />
Spanien, Frankreich oder den<br />
Niederlanden ist das E-Rezept begrenzt<br />
und noch nicht flächendeckend<br />
verfügbar, es fehlt eine national einheitliche<br />
technische Infrastruktur wie in<br />
Deutschland die TI.<br />
In Österreich wurden nach Angaben<br />
der Österreichischen Sozialversicherung<br />
im ersten Halbjahr <strong>2022</strong><br />
bereits 7,7 Millionen E-Rezepte ausgestellt,<br />
82 Prozent der Arztpraxen<br />
und 93 Prozent der Apotheken nutzen<br />
es bereits. Dagegen nehmen sich die<br />
Zahlen in Deutschland kleiner aus: In<br />
einer Pressemeldung zeigte die gematik<br />
Ende Juli an, dass in Deutschland<br />
inzwischen 100.000 E-Rezepte<br />
eingelöst werden. Doch auch wenn<br />
der Start nicht eben raketengleich<br />
verläuft, die Weichen sind gestellt. Ab<br />
1. September <strong>2022</strong> müssen die deutschen<br />
Apotheken E-Rezept-fähig sein<br />
und sind es nach Angaben des Deutschen<br />
Apothekerverbands längst.<br />
Überfällige Revolution des<br />
Gesundheitswesens<br />
Die Arztpraxen werden nun nachgezogen.<br />
Ursprünglich war eine E-Rezept-Pflicht<br />
dort bereits zum 1. Januar<br />
<strong>2022</strong> vorgesehen. Nun soll es – nach<br />
erfolgreichem Ablauf einiger regional<br />
begrenzter Pilotprojekte – im Frühjahr<br />
2023 so weit sein. Das hat die<br />
Gesellschafterversammlung der gematik<br />
jüngst beschlossen, zu der neben<br />
dem BMG unter anderen als<br />
nächstgrößter Anteilseigner auch der<br />
GKV-Spitzenverband gehört. Bundesgesundheitsminister<br />
Karl Lauterbach<br />
ist optimistisch: „Das E-Rezept wird<br />
sich in der Praxis bewähren und dann<br />
schnell bundesweit Anwendung finden.<br />
Es ist der Beginn der überfälligen<br />
digitalen Revolution in unserem<br />
Gesundheitssystem.“ —<br />
12 ZUKUNFT PRAXIS TITEL<br />
ZUKUNFT PRAXIS THEMA 13
Bereit für die<br />
Betriebsprüfung<br />
Die Kontrollen von Rentenversicherung und Finanzamt<br />
gehören sicherlich nicht zu den Lieblingsthemen von<br />
Praxisinhaber:innen. Mit der passenden Vorbereitung<br />
und elektronisch unterstützt ausgeführt sind sie jedoch<br />
gut zu meistern.<br />
TEXT: MELANIE CROYÉ<br />
Mit der eigenen Praxis erfüllt sich für viele<br />
Therapeut:innen ein Traum – wäre da nicht die<br />
lästige Buchhaltung. Doch als Praxisinhaber:in<br />
gehört auch das zum Berufsalltag: Sie müssen Steuern<br />
und Krankenversicherungsbeiträge bezahlen und wenn<br />
Sie Angestellte haben auch Sozialabgaben an die Versicherungsträger<br />
abführen. Um zu kontrollieren, dass<br />
dabei alles mit rechten Dingen zugeht, kommt es immer<br />
wieder zu Betriebsprüfungen durch das Finanzamt und<br />
die Deutsche Rentenversicherung. Die Außenprüfungen<br />
des Finanzamtes müssen etwa 14 Tage vorher schriftlich<br />
angekündigt werden und finden am häufigsten statt.<br />
Die Betriebsprüfer:innen konzentrieren sich dabei meist<br />
auf einen längeren Zeitraum, zum Beispiel drei oder fünf<br />
aufeinanderfolgende Jahre. Das Finanzamt kann jedoch<br />
auch unangekündigt sogenannte Nachschauen durchführen,<br />
wobei es dann meist um den aktuellen Stand geht<br />
und beispielsweise die Barkasse überprüft wird. Generell<br />
kommt es in kleineren Praxen aber eher selten zu Betriebsprüfungen<br />
durch das Finanzamt. Und wenn man den einen<br />
oder anderen Fehler vermeidet, kommt man vielleicht sogar<br />
ganz um eine Prüfung herum (siehe auch die nebenstehende<br />
Info-Box).<br />
Ganz anders sieht es bei der Rentenversicherung aus.<br />
Die Rentenversicherungsträger sind sogar gesetzlich beauftragt<br />
worden, alle Arbeitgeber:innen zu kontrollieren, ob<br />
diese ihren sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nachkommen.<br />
Das gilt natürlich auch für Praxen, sofern diese<br />
mehrere Mitarbeiter:innen haben. Die Prüfer:innen sehen<br />
sich dabei an, ob die Sozial- und Unfallversicherungsbeiträge<br />
für die Angestellten korrekt berechnet und fristgerecht<br />
bezahlt wurden und ob es Auffälligkeiten in der Finanzbuchhaltung<br />
gibt. Zudem ist die Rentenversicherung dafür<br />
zuständig, die korrekte Abführung von Künstlersozialabgaben<br />
zu kontrollieren. Sollten Sie also beispielsweise mit<br />
einer selbstständigen Texterin oder einem freien Illustrator<br />
zusammengearbeitet haben, wird geprüft, ob hier Beiträge<br />
an die Künstlersozialkasse fällig waren. Für die Betriebsprüfung<br />
wird in der Regel ein Termin gemacht, sodass alle<br />
Parteien sich darauf vorbereiten können.<br />
Bis zum Beginn der Corona-Pandemie fanden Betriebsprüfungen<br />
grundsätzlich vor Ort in den Praxen statt, die<br />
Praxisbetreiber:innen mussten oft stapelweise Aktenordner<br />
und Belege zur Verfügung stellen, die die Kontrolleur:innen<br />
dann sichten mussten. Inzwischen gibt es aber<br />
auch die Möglichkeit, dem Prüfdienst alle relevanten Unternehmensdaten<br />
wie Personal-, Abrechnungs- und Meldedaten<br />
digital zur Verfügung zu stellen, die Entgeltabrechnung<br />
muss seit Januar <strong>2022</strong> sogar digital erfolgen. Viele Praxen<br />
haben deshalb bereits seit einiger Zeit auf eine elektronisch<br />
unterstützte Betriebsprüfung (euBP) umgestellt.<br />
Der Vorteil: Statt sich durch Kisten voller Papiere zu<br />
wühlen, können die Prüfer:innen sich die relevanten Daten<br />
automatisch aus dem Programm auslesen lassen und mit<br />
einer entsprechenden Analysesoftware schnell und effizient<br />
überprüfen. Sofern sich keine Probleme ergeben, kann die Betriebsprüfung<br />
vor Ort sogar komplett entfallen. Das spart Zeit<br />
und Personal. Weil die euBP so gut funktioniert, sollen ab dem<br />
kommenden Jahr alle Betriebsprüfungen der Rentenversicherung<br />
digital vonstatten gehen. Weitere Informationen zum<br />
Prozedere und der etwaigen Anpassung der Abrechnungssoftware<br />
stellt die Rentenversicherung auf ihrer Website zu<br />
Verfügung (www.deutsche-rentenversicherung.de).<br />
Unsere Checkliste<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
Prüfen Sie Ihren Jahresabschluss<br />
genau auf<br />
Fehler. Auch Ihre Bilanz<br />
sollte stimmen.<br />
Halten Sie sich an die<br />
Fristen. Wer seine Steuerunterlagen<br />
regelmäßig<br />
zu spät einreicht<br />
oder Steuerschulden zu<br />
spät begleicht, macht<br />
das Finanzamt auf sich<br />
aufmerksam.<br />
Auch überdurchschnittlich<br />
hohe oder unterdurchschnittlich<br />
niedrige<br />
Einnahmen können Prüfungen<br />
auslösen.<br />
Praxen haben normalerweise<br />
keine hohen Bargeldbestände<br />
in den<br />
Kassen. Informieren Sie<br />
sich über branchenübliche<br />
Richtwerte, sprechen<br />
Sie mit Kolleg:innen, um<br />
einer Prüfung gut begegnen<br />
zu können.<br />
Achten Sie bei der Ausstellung<br />
von Quittungen<br />
und Schriftverkehr auf<br />
Korrektheit.<br />
Nutzen Sie die Möglichkeiten<br />
der elektronisch<br />
unterstützten Betriebsprüfung<br />
(euBP) – und<br />
ersparen Sie den Prüfer:innen<br />
und auch sich<br />
selbst unnötige Papierberge.<br />
14 ZUKUNFT PRAXIS THEMA ZUKUNFT PRAXIS THEMA 15
Die Physiotherapeutin ULRIKE HEßLENBERG hat eine Praxis<br />
in Engelskirchen-Ründeroth im Oberbergischen (Nordrhein-Westfalen).<br />
Hausbesuche sind bei ihr keine Ausnahme, sondern die Regel.<br />
Frau Heßlenberg, was ist das Besondere<br />
an Ihrer Praxis?<br />
Meine Mitarbeiterinnen! Die sind<br />
wirklich super, sowohl fachlich als<br />
auch menschlich. Wir sind wirklich<br />
ein „Dream-Team“.<br />
Haben Sie etwas dafür getan oder<br />
hat sich das so ergeben?<br />
Wahrscheinlich beides: Zum einen<br />
sind hier einfach die richtigen Menschen<br />
zusammengekommen, zum<br />
anderen ist so ein Team für die Praxisleitung<br />
aber auch immer Arbeit:<br />
Man muss stets ein offenes Ohr haben,<br />
ein Gespür für Schwingungen<br />
und dann auch im Umgang mit den<br />
Mitarbeiterinnen den richtigen Ton<br />
treffen.<br />
Was unterscheidet Ihre Praxis ansonsten<br />
von anderen Praxen?<br />
Wir sind sehr breit aufgestellt – von<br />
der Kindertherapie über die Akutversorgung<br />
in Krankenhäusern und die<br />
Betreuung älterer Menschen in Einrichtungen<br />
bis hin zur Palliativversorgung.<br />
Das macht große Freude, weil<br />
es sehr abwechslungsreich ist.<br />
Selbst wenn das Spektrum breit ist,<br />
klingt das dennoch auch nach Spezialisierung.<br />
Palliativversorgung ist<br />
ja nun nicht so üblich?<br />
Das ist richtig. Sie wird zum Beispiel<br />
hier in der Gegend sonst von niemandem<br />
angeboten. Dafür habe ich<br />
extra zusammen mit einer Kollegin<br />
eine Fortbildung gemacht. Und es<br />
gibt eine weitere „Spezialisierung“<br />
bei uns: Denn Hausbesuche sind<br />
bei anderen Praxen meist eher unbeliebt,<br />
uns sind sie aber ein Herzensanliegen.<br />
Warum?<br />
Unsere Praxis ist im ländlichen Gebiet.<br />
Und gehandicapte und alte<br />
Menschen sowie Patient:innen direkt<br />
nach der OP hätten sonst hier keine<br />
Chance auf Versorgung.<br />
Aber rechnet sich das auch?<br />
Monetär: sicherlich nicht. Es rechnet<br />
sich für uns aber dennoch, weil wir<br />
damit unserem Anspruch gerecht<br />
werden, die Menschen gut zu versorgen.<br />
Und unsere Patient:innen<br />
wissen das auch sehr zu schätzen,<br />
bleiben uns treu und empfehlen uns<br />
weiter. Davon profitieren wir dann ja<br />
auch wiederum.<br />
Würden Sie sich als Workaholic bezeichnen<br />
– auf einer Skala von 1 bis<br />
10?<br />
Wahrscheinlich 9. Das war eigentlich<br />
auch mein ganzes Leben schon so.<br />
Mein guter Vorsatz für das nächste<br />
Jahr ist allerdings, auf 8 zu kommen.<br />
Denn so langsam kann ich es gerne<br />
mal etwas ruhiger angehen.<br />
Wie halten Sie es in Ihrer Praxis: einheitliches<br />
Outfit oder „Freestyle“?<br />
Wir tragen alle die gleichen T-Shirts,<br />
Jacken und Westen mit dem Logo<br />
der Praxis, nur die Farbe können<br />
sich die Mitarbeiterinnen aussuchen.<br />
Ich finde, das wirkt einfach professioneller<br />
und man kann uns auch<br />
gleich zuordnen. Außerdem schafft<br />
es so etwas wie Corporate Identity.<br />
Es zeigt: Das sind wir!<br />
Wie digital ist Ihre Praxis?<br />
Vor sechs Jahren haben wir alles<br />
digital umgestellt. Jede Mitarbeiterin<br />
hat ein Notebook und verwaltet<br />
auch ihren Terminplan selbst. Das<br />
bringt eine hohe Zufriedenheit, weil<br />
niemand mehr eine Falschbelegung<br />
macht. Und wenn doch, war man es<br />
selbst (lacht).<br />
Hausbesuche<br />
sind bei anderen<br />
Praxen meist eher<br />
unbeliebt, uns<br />
sind sie aber ein<br />
Herzensanliegen.<br />
Freuen Sie sich, wenn jetzt auch<br />
die Verordnungen digital werden?<br />
Auf jeden Fall! Ich sehe ja, was das<br />
immer für ein Papierkram ist. Allerdings<br />
bleibt zu befürchten, dass<br />
Ärzt:innen die Verordnungen trotzdem<br />
noch falsch ausfüllen und man<br />
immer noch viel Arbeit damit hat.<br />
„Dank Corona“ ist jetzt auch Videotherapie<br />
möglich. Ist das für Sie interessant?<br />
Das Thema pushen wir derzeit ziemlich.<br />
Als Ergänzung zu den Hausbesuchen<br />
ist das gerade für uns im ländlichen<br />
Raum eine sehr gute Sache.<br />
Wie wichtig sind Fortbildungen für<br />
Sie?<br />
Vor allem finde ich es ziemlich ärgerlich,<br />
dass in der Basisausbildung so<br />
wenig Inhalte vermittelt werden und<br />
dann noch so viele – letztlich auch<br />
sehr teure – Zertifikatsfortbildungen<br />
von den Therapeut:innen erwartet<br />
werden. Das heißt natürlich nicht,<br />
dass Fortbildungen nicht wichtig<br />
wären. Ich selbst habe noch im Alter<br />
von 40 Jahren ein berufsbegleitendes<br />
Studium in Amsterdam gemacht.<br />
Das war hochinteressant, weil da<br />
mein erlerntes Handwerk noch eine<br />
Verzahnung mit der Wissenschaft erfahren<br />
hat.<br />
Gesundheitsministerin für einen<br />
Tag: Was stünde als Erstes auf Ihrer<br />
Agenda?<br />
Auf jeden Fall die Zulassung zum<br />
Erstkontakt, sodass Patient:innen<br />
selbst entscheiden können, ob sie<br />
in eine ärztliche oder in eine physiotherapeutische<br />
Praxis gehen. Und<br />
ich würde auch die Hausbesuche<br />
anders vergüten, damit sie sich mehr<br />
für die Praxen rechnen.<br />
Noch einmal auf Start: Würden Sie<br />
alles genauso wieder machen?<br />
Ich würde auf jeden Fall wieder<br />
Physiotherapeutin werden wollen.<br />
Allerdings hat man heute glücklicherweise<br />
ganz andere Möglichkeiten<br />
als Ende der 1970er-Jahre, als<br />
ich meine Ausbildung begann. Das<br />
heißt, heute würde ich mit Sicherheit<br />
gleich studieren. —<br />
16 ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN 17
IN KOOPERATION MIT<br />
Physiotherapie:<br />
Umgang mit Trauer<br />
Der Tod von Patient:innen gehört für viele Behandelnde zum<br />
beruflichen Alltag und kann bei ihnen starke Trauerreaktionen bis hin<br />
zu Traumata auslösen.<br />
Etwa 70 Prozent der Sterbefälle<br />
in Deutschland geschehen im<br />
Krankenhaus oder Pflegeheim.<br />
Damit ist der Tod von Patient:innen<br />
eine zwangsläufige Erfahrung aller<br />
therapeutisch, pflegerisch und ärztlich<br />
Tätigen, und Reaktionen der<br />
Trauer sind allgegenwärtig. Die Trauerforschung<br />
zeigt, dass ihre Trauer<br />
der ähnelt, die bei dem Verlust eines<br />
familiär nahestehenden Menschen<br />
entstehen kann.<br />
Professioneller und persönlicher<br />
Verlust<br />
Der Tod von Patient:innen wird als<br />
professioneller Verlust wahrgenommen,<br />
wenn er wie ein persönliches<br />
Versagen der eigenen Kompetenz<br />
empfunden wird. So berichtet etwa<br />
ein Auszubildender voller Schuldgefühle,<br />
er habe eine Patientin mit Herzinsuffizienz<br />
behandelt, die kurz darauf<br />
gestorben sei. Aber auch die<br />
Wahrnehmung eines persönlichen<br />
Verlusts stellt sich unweigerlich ein,<br />
wenn Patient:innen sterben, die jahrelang<br />
in Behandlung waren, und sich<br />
in der Zeit eine persönliche Beziehung<br />
zu den Behandelnden aufgebaut<br />
hat. Ein Trauma ist der Tod im<br />
beruflichen Kontext dann, wenn die<br />
Situation persönliche traumatische<br />
Ereignisse wachruft.<br />
Behandelnde stehen anderen Menschen<br />
bei und werden dadurch oft besonders<br />
gefordert.<br />
Trauer ist nicht pathologisch, aber<br />
pathogen: Sie ist als eine Art emotionale<br />
Erschütterung auch im beruflichen<br />
Kontext eine normale Reaktion,<br />
die sich jedoch zur pathogenen<br />
Trauerstörung entwickeln kann.<br />
Trauerreaktionen umfassen die psychische,<br />
physische und mentale Verfassung<br />
sowie das Verhalten. Traurigkeit<br />
oder auch Schuldgefühle<br />
gehören zu den häufigsten psychischen<br />
Gemütszuständen. Die Vielfalt<br />
der Trauerreaktionen entspricht den<br />
Symptomen bei chronischem Stress.<br />
Nach der Definition von Zapf und<br />
Semmer ist Stress eine subjektiv<br />
empfundene Befürchtung, Situationen<br />
nicht bewältigen zu können. Neben<br />
der unspezifischen psychischen<br />
und körperlichen Dimension definiert<br />
sich Stress auch als verhaltensbezogene<br />
Reaktion eines Menschen auf<br />
Reize, die das Gleichgewicht zwischen<br />
Belastung, Anpassung und<br />
Bewältigung stören. Der Tod eines<br />
nahestehenden Menschen ist ein solcher<br />
Reiz und gilt daher als psychosozialer<br />
Stressor.<br />
Unzureichende Bewältigung<br />
führt zu Stress<br />
Stress und dessen Bewältigung wird<br />
im Modell nach Lazarus als ein Prozess<br />
dargestellt, der die Bewertungs-<br />
und Bewältigungsprozesse<br />
auf Anforderungen aus der Umwelt<br />
beschreibt. Diese erfordern eine Reaktion<br />
und werden erst dann als<br />
Stress empfunden, wenn die Fähigkeiten<br />
und zur Verfügung stehenden<br />
Ressourcen der Person zur Bewältigung<br />
der Anforderung nicht ausreichen.<br />
Für die Bewertung der Anforderung<br />
und der Ressourcen zur<br />
Bewältigung sind die persönliche<br />
Lebensgeschichte und Erfahrungen<br />
mit vorausgegangenen Situationen<br />
entscheidend.<br />
Den kompletten Artikel von Prof. Dr. Claudia<br />
Kemper inklusive Literaturhinweisen lesen<br />
Sie in physiopraxis, Ausgabe 7-8/<strong>2022</strong>:<br />
is.gd/umgangtrauer<br />
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<strong>08</strong>.09.<strong>2022</strong> um<br />
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Heilmittelrichtlinie, Die Therapie Rahmenvertrag der Wahl und ist eine Abrechnung selektive<br />
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Impressum<br />
Zukunft Praxis, Ausgabe <strong>08</strong>/<strong>2022</strong><br />
(Erscheinungsweise: monatlich)<br />
Herausgeber:<br />
Optica Abrechnungszentrum Dr. Güldener GmbH<br />
Marienstraße 10, 70178 Stuttgart<br />
Vertreten durch die Geschäftsführer Konrad<br />
Bommas, Markus Kinkel und Dr. Jochen Pfänder<br />
Telefon: 0711 99373-2000, Telefax: 0711 99373-2025<br />
E-Mail: info@optica.de<br />
Optica-Redaktion: Fabian Maier (V.i.S.d.P.)<br />
Verlag: Fazit Communication GmbH,<br />
Frankenallee 71 – 81, 60327 Frankfurt am Main<br />
Konzept: Jan Philipp Rost, Martin Schmitz-Kuhl,<br />
Michael Hasenpusch, Johannes Göbel<br />
Art Direktion: Oliver Hick-Schulz<br />
Produktion: Anabell Krebs<br />
Text: Martin Schmitz-Kuhl, Michael Hasenpusch,<br />
Melanie Croyé<br />
Druck: Seltersdruck & Verlag Lehn GmbH & Co. KG, Selters<br />
Fotografie:<br />
Titel + S. 3: LIGHTFIELD STUDIOS/AdobeStock /<br />
S. 3: Optica / S. 5: Gstudio/AdobeStock / S. 6: Kuzmick/<br />
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