09/2022
Die Titelthemen im September: Praxen for Future: Warum sich Klimaschutz jetzt erst recht lohnt. // Blanko? Zum Verhandlungsstand der Blankoverordnung
Die Titelthemen im September: Praxen for Future: Warum sich Klimaschutz jetzt erst recht lohnt. // Blanko? Zum Verhandlungsstand der Blankoverordnung
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№ <strong>09</strong>/<strong>2022</strong><br />
BLANKO?<br />
Zum Verhandlungsstand<br />
der Blankoverordnung<br />
SPORTLICH<br />
PRAXISnah zu Besuch<br />
in Ostfildern<br />
Jetzt auch<br />
Digital<br />
www.optica.de/<br />
zukunft-praxis<br />
Praxen for<br />
FUTURE<br />
Warum sich Klimaschutz jetzt erst recht lohnt
8<br />
Schenken Sie uns<br />
ein paar Minuten<br />
Ihrer Zeit?<br />
Die Zukunft Praxis-Leserumfrage <strong>2022</strong>:<br />
optica.de/umfrage<br />
Nehmen Sie an unserer Leserumfrage teil und erzählen Sie uns,<br />
was Ihnen gefällt – und was nicht.<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig!<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
wir erleben krisen- und konfliktreiche Zeiten. Der Krieg in<br />
der Ukraine, aber auch die damit verbundenen Probleme<br />
mit der Energieversorgung und die schon länger spürbare<br />
Inflation beschäftigen uns. Dabei droht die Klimakrise in den<br />
Hintergrund zu geraten, obwohl sie nicht weniger gefährlich<br />
geworden ist. Im Gegenteil.<br />
Beim Klimawandel geht es um nicht weniger als unser aller<br />
Lebensgrundlage. Jede:r kann dazu beitragen, diese zu bewahren.<br />
Was Praxisinhaber:innen tun können, erfahren Sie<br />
in unserer aktuellen Titelgeschichte ab Seite 8. Es zeigt<br />
sich: Erfolge für den Klimaschutz lassen sich oft schnell und<br />
unkompliziert erzielen. Und auch in diesem Bereich kommt<br />
es auf Teamarbeit an. So berichtet etwa der Berliner Ergotherapeut<br />
und Praxisinhaber Andreas Bohmann, wie er und<br />
seine Kolleg:innen Kleingruppen zu den Themen „Energie“,<br />
„Mobilität“, „Einkauf und Praxisorganisation“ sowie „Kommunikation“<br />
gebildet haben.<br />
Wie dringlich solches Engagement ist, verdeutlicht zudem<br />
die angespannte Lage auf dem Energiemarkt. Auch unter<br />
finanziellen Gesichtspunkten lautet die Frage: Was können<br />
wir uns noch leisten? Vor diesem Hintergrund kann man die<br />
Krise aber auch als Aufruf und Motivation verstehen: Jetzt<br />
ist erst recht die Zeit gekommen, um sich für die Zukunft<br />
aufzustellen.<br />
Ihr Dr. Jochen Pfänder<br />
Optica-Geschäftsführer<br />
Inhalt<br />
4<br />
Kompakt<br />
News und Meldungen<br />
8<br />
Praxen for Future<br />
Den Klimawandel im Blick: Wie sich Praxen<br />
ökologisch gut aufstellen können und davon<br />
auch finanzielle Vorteile haben.<br />
14<br />
Kommt die Blankoverordnung?<br />
Einblicke zu offenen Fragen und schwierigen<br />
Verhandlungen.<br />
16<br />
Fragebogen: PRAXISnah<br />
Diesmal mit Martin Kober aus Ostfildern bei<br />
Stuttgart, der mit seiner Praxis Vitaktiv Physiotherapie<br />
und Fitnessstudio zusammenbringt.<br />
18<br />
Lebensrettende Karte<br />
Wie die elektronische Gesundheitskarte zu<br />
optimaler Versorgung im Notfall beiträgt.<br />
19<br />
Information & Standards<br />
Wissenswertes aus der Welt der Abrechnung,<br />
Vorschau und Impressum<br />
ZUKUNFT PRAXIS EDITORIAL3
THERAPIE<br />
IN ZAHLEN<br />
76,3 %<br />
537 Mio.<br />
DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG<br />
WAREN ANFANG SEPTEMBER VOLL-<br />
STÄNDIG GEGEN DAS CORONA-VIRUS<br />
GEIMPFT, das sind rund 63,4 Millionen<br />
BETROFFENE ZWISCHEN 20 UND 79 JAHREN, DIE AN<br />
DIABETIS MELLITUS LEIDEN, soll es Schätzungen von Diabetesatlas.org<br />
zufolge 2021 weltweit gegeben haben, 61 Millionen<br />
davon lebten in Europa, 6,2 Millionen in Deutschland.<br />
Personen. Seit Anfang September sind<br />
auch Impfstoffe verfügbar, die an die<br />
derzeit dominante Virusvariante BA.1<br />
angepasst sind.<br />
10<br />
5,2 %<br />
DER KLIMASCHÄDLICHEN<br />
EMISSIONEN IN DEUTSCHLAND<br />
HAT DER GESUNDHEITSSEKTOR<br />
ZU VERANTWORTEN; 9<br />
SEKUNDEN AUF EINEM BEIN das geht aus Angaben der Deutschen<br />
STEHEN – wer das mit offenen<br />
Augen mindestens schafft, hat<br />
einer Studie aus Brasilien zufolge<br />
eine deutlich höhere Überlebenschance<br />
im Vergleich zu jenen,<br />
die den Zehn-Sekunden-Einbeinstand-Test<br />
nicht schaffen.<br />
Allianz Klimawandel und<br />
Gesundheit (KLUG) und der NGO<br />
„Health Care Without Harm“ hervor.<br />
Heilmittelerbringer:innen<br />
stehen dabei recht gut da. Wie<br />
Praxen noch nachhaltiger werden<br />
können, verrät unsere Titelgeschichte<br />
MONATE LANG IST DIE<br />
ABRECHNUNGSFRIST EINER<br />
PHYSIOTHERAPEUTISCHEN<br />
VERORDNUNG. Die Frist beginnt<br />
mit dem Ende des Monats,<br />
in dem die letzte Behandlung<br />
stattgefunden hat.<br />
is.gd/einbeintest<br />
ab Seite<br />
8.<br />
Am 8. September<br />
HAT DER WELTPHYSIOTHERAPIETAG STATTGEFUNDEN.<br />
Motto war dieses Mal, welche Rolle Physiotherapeut:innen bei der<br />
Prävention von Arthrose spielen können. Informationsmaterial<br />
zum Download: is.gd/artpraev<br />
24,5 Mio.<br />
ELEKTRONISCHE ARBEITSUN-<br />
FÄHIGKEITSBESCHEINIGUN-<br />
GEN (EAU) wurden Stand Anfang<br />
September <strong>2022</strong> insgesamt<br />
über die Telematikinfrastruktur<br />
an die Krankenkassen geschickt.<br />
Anfang März des Jahres waren<br />
es nur rund 3 Millionen.<br />
E-REZEPT<br />
Jetzt kommt<br />
es wirklich<br />
Eine der scheinbar unendlichen Geschichten von der Digitalisierung<br />
des Gesundheitssystems kann jetzt weitererzählt<br />
werden: Das E-Rezept wird seit 1. September schrittweise<br />
in Deutschland eingeführt. Alle Apotheken bundesweit sind<br />
bereits darauf vorbereitet, die digitalen Rezepte einzulösen.<br />
Auf Seiten der Rezeptaussteller machen Arzt- und Zahnarztpraxen<br />
sowie Krankenhäuser in der Region Westfalen-Lippe<br />
und in Schleswig-Holstein als erste den nächsten Schritt in die<br />
digitale Zukunft. E-Rezepte können über die E-Rezept-App<br />
auf dem Smartphone eingelöst werden. Patient:innen müssen<br />
in der Apotheke nur den dort abgebildeten Rezept-Code<br />
vorzeigen. Künftig soll das auch über die elektronische Gesundheitskarte<br />
(eGK) funktionieren, dann wäre nicht einmal<br />
ein Smartphone nötig. Für die App sprechen einige hilfreiche<br />
Zusatzfunktionen, beispielsweise eine Apothekensuche, die<br />
dann für jede Apotheke Öffnungszeiten und Services wie Botendienste<br />
zeigt, die dort möglicherweise angeboten werden.<br />
Kurz &<br />
Knapp<br />
50 Milliarden Euro setzen<br />
Hersteller von Laufschuhen<br />
jährlich weltweit um. Doch taugen<br />
die oft teuren Treter dazu,<br />
Verletzungen beim Joggen<br />
vorzubeugen? Ein aktuelles<br />
Cochrane-Review hat sich 12<br />
Studien mit mehr als 11.000<br />
Teilnehmenden angeschaut.<br />
Das ernüchternde Fazit: Die<br />
interessante Frage bleibt<br />
ohne eindeutige Antwort.<br />
is.gd/laufschuhe +++ Erhält<br />
Krafttraining die Mobilität im<br />
Alter oder nicht? Dieser Frage<br />
ist eine neue Übersichtsarbeit<br />
und Meta-Analyse nachgegangen.<br />
Die Antwort lautet:<br />
Nein. Zwar wirkt sich ein Widerstandstraining<br />
positiv auf<br />
die allgemeine Gesundheit<br />
aus, die Gehfähigkeit älterer<br />
Menschen erhält es nicht.<br />
is.gd/kraftmobil +++ Kinder<br />
tun es mehrere Hundert Mal<br />
am Tag, Erwachsene leider<br />
weitaus seltener: Lachen. Dabei<br />
ist es wirklich gesund, wie<br />
eine aktuelle Meta-Analyse<br />
jetzt bestätigt hat. 45 Studien<br />
aus 14 Ländern und aus den<br />
vergangenen 30 Jahren mit<br />
mehr als 2.500 Teilnehmer:innen<br />
zeigten sogar: Künstliches<br />
Lachen erzielt die besten Effekte.<br />
is.gd/lachen<br />
4 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT5
RATGEBER RECHT<br />
LOGOPÄDIE<br />
Einigung bei<br />
Videotherapie<br />
Seit Anfang September ist<br />
es wieder möglich, Stimm-,<br />
Sprech-, Sprach- oder Schlucktherapie<br />
per Video durchzuführen.<br />
Kinder ab vier Jahren<br />
können so behandelt werden,<br />
wenn ihre Konzentrationsfähigkeit<br />
ausreicht und eine Betreuungsperson<br />
anwesend ist.<br />
Auch muss der erste Behandlungstermin<br />
vor Ort stattfinden.<br />
Ausgeschlossen sind Videobehandlungen,<br />
die ein möglicherweise<br />
notwendiges Eingreifen<br />
nötig machen, beispielsweise<br />
die Schlucktherapie, bei der<br />
die Gefahr des Verschluckens<br />
besteht. is.gd/logovid<br />
KRANKENVERSICHERUNG<br />
Ohne<br />
Beitragsanhebung<br />
Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes<br />
hat das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz abgelehnt,<br />
mit dem die für 2023 erwartete Finanzierungslücke<br />
in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
in Höhe von geschätzt 17 Mrd. Euro<br />
geschlossen werden sollte. Die Hauptlast bei der<br />
Finanzierung soll dabei erneut den Beitragszahlenden<br />
aufgebürdet werden, unter anderem über<br />
eine Anhebung der Beitragssätze. Der Verwaltungsrat<br />
lehnt diese vorgesehenen Maßnahmen<br />
ab und erwartet deutliche Nachbesserungen an<br />
dem Gesetz. Dazu zählt, den Bundeszuschuss zu<br />
dynamisieren sowie die Mehrwertsteuer für Arznei-<br />
und Hilfsmittel von 19 Prozent auf sieben Prozent<br />
zu senken. is.gd/beitrag<br />
TELEMEDIZIN<br />
Mehr Lebensqualität<br />
Einer Studie des Austrian Institute for Health Technology Assessment<br />
(AIHTA) zufolge zeigen sich bei telemedizinischen<br />
Versorgungsprogrammen für Diabetiker:innen neben einem<br />
klinischen Nutzen auch positive organisatorische und soziale<br />
Effekte. Die Telemedizin soll die Qualität der Behandlung vor<br />
allem für chronisch Kranke verbessern. Das gilt besonders<br />
für Patient:innen, die in strukturschwachen Regionen leben,<br />
wo es keine flächendeckende hausärztliche Versorgung<br />
mehr gibt. Anstatt die Arztpraxis aufzusuchen, tragen sie ihre<br />
Blutdruck- oder Zuckerwerte in ein elektronisches Diabetiktagebuch<br />
ein und ermöglichen so die Abstimmung mit der<br />
Ärztin oder dem Arzt. is.gd/diabeti<br />
GESAGT<br />
Dank einer konsequenten<br />
Digitalisierung ist bei uns<br />
eigentlich nur noch das<br />
Rezept aus Papier – und das<br />
wird hoffentlich auch bald ein<br />
Ende haben.<br />
Tanja Weskamp-Nimmergut, Logopädin in Norderstedt,<br />
in der Titelgeschichte ab Seite 8<br />
Umsatzsteuer: Tücken bei<br />
vielfacher Befreiung<br />
Grundsätzlich gilt für Heilmittelerbringer:innen<br />
Umsatzsteuerfreiheit. Aber<br />
Vorsicht ist geboten: Welche Besonderheiten<br />
zu beachten sind, erläutert<br />
Rechtsanwalt Dr. Dr. Ruppel.<br />
Heilmittelerbringer:innen erbringen ihre Leistungen<br />
an sich umsatzsteuerfrei. Wichtig ist daher,<br />
dass Sie als Heilmittelerbringer:innen rechtzeitig<br />
darauf achten, ob Ihre eigenen Leistungen<br />
ausnahmsweise nicht von der Umsatzsteuer<br />
befreit sind und dass Sie selbst vor allem umsatzsteuerfreie<br />
Leistungen beziehen. Wenn kein<br />
therapeutisches Ziel erfüllt wird, ist die jeweilige<br />
Leistung der Praxis umsatzsteuerpflichtig. Auch<br />
der Verkauf von Waren in der Praxis unterliegt<br />
der Umsatzsteuer. Diese Umsatzsteuerpflicht ist<br />
aber solange unschädlich, wie die umsatzsteuerpflichtigen<br />
Leistungen (inkl. Warenverkäufe) der<br />
Praxis die Kleinunternehmergrenze nach § 19<br />
UStG von (derzeit) jährlich 22.000 Euro umsatzsteuerpflichtigen<br />
Umsatzes nicht übersteigen. Es<br />
ist also dringend zu empfehlen, das Thema nicht<br />
zu ignorieren, sondern mit Rechts- oder Steuerberater:in<br />
aktiv anzugehen. Für Mieter:innen ist<br />
wichtig, dass Ihr:e Vermieter:in nicht zur Umsatzsteuer<br />
optieren; auch Klauseln, wonach die Vermietung<br />
„zuzüglich Umsatzsteuer“ erfolgt, sind<br />
für Sie als Heilmittelerbringer:in schädlich. Denn<br />
ist die umsatzsteuerfreie Vermietung nicht extra<br />
vereinbart, haben Sie kein Mitspracherecht, ob<br />
Ihr:e Vermieter:in zur Umsatzsteuer optiert.<br />
Weitere Details zum Thema finden Sie online:<br />
optica.de/umsatzsteuer<br />
6 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT7
KLIMASCHUTZ<br />
Praxen<br />
for Future<br />
Wenn die Klimaerwärmung<br />
gestoppt<br />
werden soll, müssen<br />
alle klimaneutral<br />
werden. Auch die<br />
Praxen. Aber wie<br />
kann das gelingen?<br />
TEXT: MARTIN SCHMITZ-KUHL<br />
In diesem Beitrag<br />
1.<br />
Das Gesundheitssystem hat seinen<br />
Anteil an der Erderwärmung.<br />
2.<br />
In den Praxen kann viel<br />
unternommen werden, um<br />
Emissionen zu reduzieren.<br />
3.<br />
Ziel ist die Klimaneutralität<br />
bis spätestens 2035.<br />
Die Zahl ist besorgniserregend:<br />
Nach Angaben<br />
der Deutschen<br />
Allianz Klimawandel<br />
und Gesundheit<br />
(KLUG) und der NGO<br />
„Health Care Without<br />
Harm“ ist der<br />
Gesundheitssektor hierzulande für 5,2 Prozent<br />
der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich.<br />
Selbstverständlich ist das nur ein<br />
Durchschnittswert. Und gerade Heilmittelerbringer:innen<br />
drücken diesen Durchschnitt<br />
ziemlich nach unten. Denn jedes Medikament,<br />
das durch sie nicht verschrieben werden muss,<br />
und jede Operation (besonders die Anästhesie),<br />
die durch sie verhindert wird, reduziert den<br />
Ausstoß klimaschädlicher Emissionen erheblich.<br />
Denn das sind die eigentlichen Klimakiller<br />
im Gesundheitssystem.<br />
Aber ist das beruhigend, dass andere<br />
„schlimmer“ sind? „Nicht, wenn man das Ziel<br />
ernst nimmt, bis 2035 auch im Gesundheits-<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL9
sektor klimaneutral werden zu wollen“, so<br />
Annegret Dickhoff, Projektleiterin beim Naturschutzverband<br />
BUND und Mitbegründerin der<br />
KLUG-Allianz. Auch Praxisinhaber:innen sollten<br />
deshalb ihren Beitrag leisten, sei er auch<br />
noch so klein. Und das ist gar nicht so schwer,<br />
wie viele glauben: Am Beginn des Weges zur<br />
nachhaltigen, klimaneutralen Praxis steht<br />
dabei am besten die Analyse des eigenen ökologischen<br />
Fußabdrucks – also des Ist-Zustands<br />
der jeweiligen Praxis. Denn nur ausgehend<br />
von diesem Befund können Einsparpotenziale<br />
identifiziert und sinnvolle Maßnahmen abgeleitet<br />
werden. Für die Berechnung des CO 2<br />
-<br />
Äquivalent-Fußabdrucks gibt es verschiedene<br />
Online-Plattformen, beispielsweise den CO 2<br />
-<br />
Rechner von KlimAktiv.de.<br />
Danach geht es an die Umsetzung, und<br />
diese ist schon auf den ersten Metern hin zum<br />
gewünschten Soll-Zustand oft sehr befriedigend.<br />
Die empfohlenen Stellschrauben sind<br />
5.<br />
Wären alle<br />
Gesundheitssysteme<br />
der Welt ein<br />
Land, wäre dieses<br />
Land der fünftgrößte<br />
Treibhausgasemittent.<br />
Quelle: Health Care<br />
Without Harm<br />
Gegensteuern: Bewusstes Heizen hilft dem Klima und bringt zudem finanzielle Vorteile.<br />
nämlich häufig leicht zu drehen und führen<br />
schnell zu einem verblüffenden Ergebnis. Wie<br />
in dem vielleicht wichtigsten Handlungsfeld,<br />
dem Einsparen von Energie. Hier bedarf es nur<br />
kleiner Verhaltensänderungen, wenn man beispielsweise<br />
Geräte ganz ausschaltet, anstatt sie<br />
im Stand-by zu belassen, oder wenn man nur<br />
stoßlüftet, anstatt die Fenster den ganzen Tag<br />
zu kippen. Hinzu kommt, dass diese Maßnahmen<br />
nicht nur gut für das Klima sind, sondern<br />
ebenso für das eigene Portemonnaie. Angesichts<br />
explodierender Energiekosten macht<br />
schließlich auch die Politik Druck für sinkenden<br />
Verbrauch und ermöglicht es Mieter:innen<br />
etwa aktuell per Verordnung, weniger zu<br />
heizen, auch wenn das laut Mietvertrag nicht<br />
gestattet ist. Und für Inhaber:innen großer<br />
Praxen und Therapiezentren (ab 1.000 m 2 )<br />
wird, ebenfalls mittels Verordnung, ein sogenannter<br />
hydraulischer Abgleich verpflichtend,<br />
um den Gasverbrauch zu senken.<br />
„Keinen Müllhaufen<br />
hinterlassen!“<br />
Wie wird eine Praxis nachhaltig und klimaneutral? Für den Ergotherapeuten<br />
und Praxisinhaber ANDREAS BOHMANN aus Berlin<br />
ist das eine Frage, bei der das ganze Team beteiligt werden sollte.<br />
Herr Bohmann, wie kamen Sie<br />
darauf, Ihre Praxis klimaneutral<br />
machen zu wollen?<br />
Der Klimawandel ist für mich<br />
privat schon lange ein Thema.<br />
Ich finde, wir müssen dringend<br />
etwas ändern, sonst hinterlassen<br />
wir unseren Kindern einen Müllhaufen,<br />
eine kaputte Erde! Und<br />
irgendwann habe ich erkannt,<br />
dass ich auch in meiner Praxis<br />
etwas verändern muss. Deshalb<br />
haben wir uns zunächst einmal im<br />
Team zusammengesetzt, um uns<br />
gemeinsam zu überlegen, wie wir<br />
das Thema angehen können.<br />
Erwarten Sie, dass sich Ihre<br />
Mitarbeiter:innen in ihrer Freizeit<br />
dafür engagieren?<br />
Nein, natürlich nicht. Das ist bezahlte<br />
Arbeitszeit. So ein großer<br />
Aufwand ist das aber auch<br />
nicht. Wir sind zwar mit zwei<br />
ganztägigen Workshops gestartet,<br />
jetzt treffen wir uns aber<br />
nur noch einmal im Monat für<br />
vielleicht zwei bis drei Stunden.<br />
Und wir haben uns in drei Kleingruppen<br />
aufgeteilt, zu den Themen<br />
„Energie“, „Mobilität“ sowie<br />
„Einkauf und Praxisorganisation“.<br />
Dann hat sich noch eine Gruppe<br />
„Kommunikation“ gebildet, die<br />
den Prozess begleitet.<br />
Warum war es Ihnen wichtig, das<br />
im Team zu machen?<br />
Aus drei Gründen: Erstens war es<br />
mir wichtig, das nicht von oben<br />
herab durchzudrücken, sondern<br />
die Mitarbeiter:innen auf diesem<br />
Weg mitzunehmen. Zweitens<br />
kommt man, wenn man gemeinsam<br />
überlegt, auf mehr gute<br />
Ideen. Und drittens erhöht es<br />
natürlich die Chancen, dass dann<br />
letztlich auch alle mitziehen.<br />
Ist diese Strategie aufgegangen?<br />
Das wird sich jetzt erst zeigen.<br />
Beim Workshop haben einige<br />
Mitarbeiter:innen mitgemacht,<br />
das hat schon einmal gut geklappt.<br />
Aber wir möchten ja,<br />
dass 100 Prozent des Teams<br />
dann auch die von uns beschlossenen<br />
Maßnahmen umsetzen.<br />
Das ist in der Regel auch kein<br />
Problem. Aber wenn es zum Beispiel<br />
darum geht, bei Hausbesuchen<br />
auf das Auto zu verzichten<br />
und stattdessen mit dem Fahrrad<br />
oder den Öffentlichen zu fahren,<br />
ist damit zu rechnen, dass nicht<br />
alle mitziehen. Umso wichtiger<br />
ist es, den Prozess mit guten<br />
Argumenten zu begleiten und für<br />
alle transparent zu machen.<br />
Was haben Sie sich sonst noch<br />
überlegt – vielleicht auch als<br />
Tipp für andere Praxen?<br />
Es gibt viele Dinge, die man<br />
ändern kann. Die meisten tun<br />
auch gar nicht weh, zum Beispiel<br />
wenn man den Stromanbieter<br />
wechselt und nur noch Ökostrom<br />
bezieht. Oder wenn man<br />
konsequent nur noch Recyclingpapier<br />
benutzt. Ein Tipp, der sich<br />
sogar langfristig rechnet, ist die<br />
Umrüstung auf smarte Heizungsthermostate.<br />
Mit ihnen kann man<br />
viel Energie und damit sogar<br />
auch Kosten sparen. —<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL11
Mit der Initiative<br />
‚papierlos glücklich‘<br />
möchten auch wir<br />
unseren Beitrag zum<br />
Klimaschutz leisten und<br />
unserer gesellschaftlichen<br />
Verantwortung<br />
gerecht werden.<br />
Markus Kinkel, Geschäftsführer von Optica<br />
Wer wirklich klimaneutral werden möchte,<br />
muss indes in Sachen Energie weitere Schritte<br />
gehen und in Effizienz investieren. Wenn<br />
es dann um energieeffizientere Geräte oder<br />
gar ein neues Energie- oder Heizungssystem<br />
geht, wird die Kosten-Nutzen-Rechnung ungleich<br />
komplizierter. Doch sie lohnt sich – wie<br />
im Therapiezentrum von Erich Blöchinger im<br />
niederbayerischen Vilsbiburg. Dort steht jetzt<br />
eine große 100-Kilowatt-Photovoltaik-Anlage<br />
auf dem Dach, die nicht nur das ganze Zentrum,<br />
sondern obendrein den komplett auf<br />
Elektrofahrzeuge umgestellten Fuhrpark mit<br />
Energie versorgt. „Das Schöne ist: Die Sache<br />
ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch<br />
sinnvoll“, betont Blöchinger. Ohnehin<br />
ist die Mobilität ein weiteres wichtiges Hand-<br />
50 %<br />
der Deutschen<br />
sehen bei der<br />
Klimawende in der<br />
Senkung des<br />
Energieverbrauchs<br />
höchste Priorität.<br />
Quelle: PwC-Healthcare-<br />
Barometer <strong>2022</strong><br />
lungsfeld. Schließlich trägt der Verkehrssektor<br />
mit rund 20 Prozent zu den Treibhausgasemissionen<br />
in Deutschland bei – nicht zuletzt weil<br />
57 Prozent der Wege hierzulande mit dem Auto<br />
zurückgelegt werden. Deshalb ist es natürlich<br />
gut für das Klima, wenn die Therapeut:innen<br />
für ihre Hausbesuche Elektrofahrzeuge oder<br />
besser noch das Fahrrad oder Busse und Bahnen<br />
nutzen. Aber was ist mit all den Patient:innen,<br />
die Tag für Tag in die Praxen kommen?<br />
Darüber machte sich Michael Streicher viele<br />
Gedanken. Und dann entwickelte der Physiotherapeut<br />
aus Konstanz ein Bonussystem:<br />
„Jede:r, die oder der nicht mit dem Auto zur<br />
Therapie fährt, bekommt von mir einen Stempel<br />
in ein Bonusheft. Und wenn eine bestimmte<br />
Anzahl von Stempeln erreicht wurde, erhält<br />
man eine kleine Prämie“, erklärt der Praxisinhaber<br />
seine Idee. Und wie kommt sie bei der<br />
Zielgruppe an? „Sehr gut. Den Leuten macht es<br />
richtig Spaß, da mitzumachen und Stempel zu<br />
sammeln.“<br />
Doch wer etwas für das Klima tun möchte,<br />
sollte nicht nur beim Thema Energie sparen.<br />
Es gibt weitere Ressourcen, die viel zu wertvoll<br />
sind, um sie ohne Not zu verschwenden, erklärt<br />
Tanja Weskamp-Nimmergut aus Norderstedt.<br />
„Natürlich kann man auf Einmal-Handschuhe<br />
oder Spatel nicht verzichten, aber vom Pappbecher<br />
bis zum Papierhandtuch gibt es viele<br />
Dinge, die problemlos ersetzt werden können“,<br />
so die Logopädin, die sich die Klimaneutralität<br />
ihrer neun Praxen in Norddeutschland zum Ziel<br />
gesetzt hat. Viel wichtiger dafür sei es jedoch,<br />
all den Papierakten Adieu zu sagen. „Dank einer<br />
konsequenten Digitalisierung ist bei uns eigentlich<br />
nur noch das Rezept aus Papier – und das<br />
wird hoffentlich auch bald ein Ende haben.“<br />
Das wird auch bei Optica so gesehen – und<br />
das Engagement für Klima- und Ressourcenschutz<br />
entsprechend noch weiter verstärkt,<br />
etwa mit der kürzlich gestarteten Initiative<br />
„papierlos glücklich“. Ziel ist es, die Abrechnungsinformationen<br />
bald nicht mehr automatisch<br />
per Post zu versenden, sondern die<br />
Unterlagen grundsätzlich digital im kostenlosen<br />
Kundenportal MeinOptica zur Verfügung<br />
zu stellen. „Mit der Initiative ‚papierlos glücklich‘<br />
möchten auch wir unseren Beitrag zum<br />
Klimaschutz leisten und unserer gesellschaftlichen<br />
Verantwortung gerecht werden“, erklärt<br />
Optica-Geschäftsführer Markus Kinkel. „In<br />
den noch immer extrem papierlastigen Abrechnungsprozessen<br />
sollte uns allen daran gelegen<br />
sein, überall dort ressourcenschonende<br />
Verfahren zu etablieren, wo auf den Ausdruck<br />
und Versand von papierhaften Unterlagen verzichtet<br />
werden kann.“<br />
Und das Schöne ist: Initiativen wie diese zeigen,<br />
dass der Einsatz für den Klimaschutz nicht<br />
zwangsläufig mit Verzicht zu tun haben muss.<br />
Im Gegenteil. Denn zum einen erhalten die<br />
Kund:innen ihre Abrechnungsinformationen im<br />
Kundenportal MeinOptica schneller als auf dem<br />
Postweg und benötigen für die Aufbewahrung<br />
keinen Platz. Zum anderen bietet das Kundenportal<br />
nützliche Funktionen wie eine Rezeptsuche,<br />
die die Auswertung und Verwaltung der<br />
Abrechnungsinformationen wesentlich vereinfachen.<br />
Eine klassische Win-win-Situation also<br />
– bei der das Klima nicht das Nachsehen hat. —<br />
Auf die Abrechnung lässt sich auch digital schauen – ohne Papierstapel.<br />
ZUKUNFT<br />
PRAXIS auch<br />
papierlos?<br />
Ihre Meinung ist gefragt: Wir wollen<br />
mehr darüber erfahren, wie<br />
Sie die ZUKUNFT PRAXIS lesen.<br />
Was gefällt Ihnen, was vermissen<br />
Sie – und könnten Sie sich das<br />
Magazin auch ausschließlich digital<br />
vorstellen? Unter optica.de/<br />
umfrage können Sie uns schnell<br />
und unkompliziert mitteilen, was<br />
Ihnen wichtig ist.<br />
12 ZUKUNFT PRAXIS TITEL
Was macht<br />
eigentlich die<br />
Blankoverordnung<br />
TEXT:<br />
MARTIN SCHMITZ-KUHL<br />
Eigentlich hätte die Blankoverordnung längst<br />
eingeführt sein müssen. ZUKUNFT PRAXIS hat bei<br />
den darüber verhandelnden Verbänden nachgefragt,<br />
was es mit der Verzögerung auf sich hat.<br />
enn man Dr. Robert Richter, Physiotherapeut<br />
und Professor für Bewegungstherapie an der<br />
Hochschule Furtwangen, auf das Thema<br />
Blankoverordnung anspricht, steigt bei ihm der Puls. Er<br />
kann einfach nicht verstehen, dass sie immer noch nicht<br />
umgesetzt ist. Denn ursprünglich hatte der Gesetzgeber<br />
von den verhandelnden Parteien – GKV-Spitzenverband<br />
und maßgebliche Verbände der Heilmittelerbringer:innen<br />
– gefordert, diese bis März 2021 einzuführen. Wegen<br />
Corona gab es damals ein halbes Jahr Aufschub. Doch<br />
seitdem ist auch schon wieder ein Jahr vergangen. „Ich<br />
verstehe einfach nicht, warum unsere Berufsgruppe<br />
nicht vehement darauf pocht, dass dieses Gesetz umgesetzt<br />
wird“, sagt Richter. „Wenn der Gesetzgeber den<br />
Ärztinnen und Ärzten ein Gesetz geschrieben hätte, mit<br />
denen sie mehr Befugnisse bekommen würden, und das<br />
wäre dann nicht pünktlich zum Termin umgesetzt, gäbe<br />
es aber einen richtig großen Aufstand.“<br />
Inzwischen hat der Gesetzgeber Konsequenzen gezogen<br />
– und kurzerhand alle Fristen aus dem Gesetz gestrichen.<br />
Wurde damit die Blankoverordnung endgültig auf<br />
den Sankt Nimmerleinstag verschoben? Was ist eigentlich<br />
der aktuelle Stand der Verhandlungen? Nachfrage bei<br />
einigen maßgeblichen Verbänden, die die Blankoverordnung<br />
nicht gemeinsam, sondern getrennt nach Disziplinen<br />
– Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie – mit der<br />
Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verhandeln:<br />
Bettina Simon, Vorstandsmitglied beim Deutschen<br />
Verband Ergotherapie (DVE), widerspricht vehement der<br />
Annahme, dass die Ergotherapeut:innen nicht hinter der<br />
Verordnung stünden und betont, dass man sich auch nach<br />
allen Kräften für deren Einführung einsetze. Allerdings<br />
hätte nun einmal erst der bundeseinheitliche Rahmenvertrag<br />
ausgehandelt werden müssen, auf dem dann die<br />
Blankoverordnung aufsetzen könnte. Und das hätte nun<br />
einmal bis Ende letzten Jahres gedauert. Zudem hätte man<br />
danach erst einmal die Teletherapie neu regeln müssen,<br />
sodass die Verhandlungen nach hinten gerutscht wären,<br />
erklärt Simon. „Alles gleichzeitig zu machen hätte unsere<br />
personellen Ressourcen gesprengt.“ Jetzt aber würde das<br />
Thema endlich wirklich auf der Agenda stehen.<br />
Frauke Kern, Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen<br />
Bundesverbands für Logopädie (dbl), macht dagegen<br />
keinen Hehl daraus, dass man in ihrem Verband<br />
keinen Mehrwert in der Blankoverordnung sieht und<br />
lieber gleich den Direktzugang umgesetzt hätte. Auch gibt<br />
sie offen zu, dass sie noch nicht einmal angefangen haben,<br />
zu verhandeln. Allerdings läge das ausschließlich daran,<br />
dass ein anderer Verband – Logo Deutschland – noch<br />
gegen den Hauptvertrag klage und zur Einführung der<br />
telemedizinischen Leistungen in die Regelversorgung ein<br />
Die Verhandlungen<br />
erweisen sich als<br />
sehr viel schwieriger als<br />
ursprünglich gedacht.<br />
Thorsten Vogtländer, Geschäftsführer des<br />
Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK)<br />
Schiedsverfahren liefe. Und bevor es da keine Einigung<br />
und damit eine gesamtvertragliche Basis gäbe, würden<br />
aus Sicht der GKV auch die Verhandlungen zur Blankoverordnung<br />
nichts bringen. „Den aktuellen Stillstand<br />
bedauern wir sehr, schließlich ist dieser erst recht keine<br />
Weiterentwicklung“, unterstreicht Kern. Selbstverständlich<br />
würde man die vom Gesetzgeber aufgetragene Pflicht,<br />
die Blankoverordnung zu verhandeln, ernst nehmen.<br />
Geschlossen positiver gegenüber der Blankverordnung<br />
eingestellt sind die Verbände der Physiotherapeut:innen.<br />
Hans Ortmann, Bundesvorsitzender des VPT,<br />
betont auf Nachfrage, dass die Blankoverordnung sehr<br />
wichtig sei, da sie endlich mehr Autonomie in der Therapie<br />
ermögliche. Zudem sei er „vorsichtig optimistisch“,<br />
dass es zu einer Einigung mit den Kassen kommen könne.<br />
Notfalls müsse eben das Schiedsgericht eingeschaltet<br />
werden. Dagegen sagt Thorsten Vogtländer, Geschäftsführer<br />
des Deutschen Verbandes für Physiotherapie<br />
(ZVK), einer der Verhandlungsführer: „Die Verhandlungen<br />
erweisen sich als sehr viel schwieriger als ursprünglich<br />
gedacht.“ Und das läge nicht an Unwillen, sondern<br />
an der Sache selbst. Welche Qualifikationen müssen die<br />
Therapeut:innen für die Erbringungen bestimmter Leistungen<br />
nachweisen? Wie detailliert (oder doch eher unbürokratisch)<br />
soll die Verordnung ausgestaltet werden?<br />
Welche ökonomischen Konsequenzen hat die Umsetzung<br />
für die Kassen ¬– und welche rechtlichen für die Therapeut:innen?<br />
Solche Fragen sind lange noch nicht ausdiskutiert.<br />
„Das Thema ist hochkomplex, jede Lösung eines<br />
Problems führt gleich zu einem neuen Problem“, so Vogtländer.<br />
Zudem bewege man sich auf völligem Neuland, es<br />
gäbe keine Blaupause, die sich einfach übertragen ließe.<br />
Und wann könnte es endlich so weit sein? Auf diese<br />
Frage kann und will Vogtländer keine Antwort geben.<br />
Theoretisch könnte es jetzt auch ganz schnell gehen,<br />
meint er, sodass Ende des Jahres die Blankoverordnung<br />
steht. Darauf wetten würde er aber sicherlich nicht. —<br />
14 ZUKUNFT PRAXIS THEMA ZUKUNFT PRAXIS THEMA 15
Vitaktiv in Ostfildern bei Stuttgart ist halb Physiotherapiepraxis,<br />
halb Fitnessstudio. Inhaber MARTIN KOBER setzt darauf,<br />
unterschiedliche Bereiche zu integrieren.<br />
Herr Kober, was ist das Besondere<br />
an Ihrer Praxis?<br />
Vor vier Jahren habe ich dieses<br />
Unternehmen als interdisziplinäres<br />
Konzept ins Leben gerufen. Meine<br />
Überlegung war dabei immer, dass<br />
wir unseren Patient:innen auch noch<br />
was bieten müssen, wenn die Rezepte<br />
ausgeschöpft, sie aber eigentlich<br />
noch nicht wieder richtig fit sind.<br />
Dabei erfinden wir bei uns das Rad<br />
natürlich nicht neu, wir haben es nur<br />
anders strukturiert. Dafür haben wir<br />
ein Konzept entwickelt, das die verschiedenen<br />
Bereiche Rehabilitation,<br />
Prävention, medizinisches Fitnesstraining,<br />
Physiotherapie und Leistungssportbetreuung<br />
integrativ verbindet.<br />
Was heißt das konkret?<br />
Wenn zum Beispiel ein Kunde aus<br />
unserem Trainingsbereich verletzungsbedingt<br />
ausfällt, würde er norma<br />
lerweise mit einem ärztlichen<br />
Attest einfach kündigen. Wir machen<br />
aber gleich ein Rückführungsprogramm<br />
mit ihm. Das heißt, wir checken<br />
ihn durch und machen dann<br />
einen Behandlungsplan in unserem<br />
Physiotherapiebereich, damit er<br />
möglichst schnell wieder normal bei<br />
uns trainieren kann.<br />
Das heißt, Trainings- und Physiotherapie<br />
gehen Hand in Hand?<br />
Genau. Die klassische Physiotherapie<br />
ist ja ohnehin eher ein Auslaufmodell,<br />
mit all ihren Reglementierungen<br />
und eingeschränkten Budgets.<br />
Wir wollen, dass die Leute glücklich<br />
und gesund nach Hause gehen – oder<br />
zumindest wissen, welche Sachen<br />
sie zu Hause weitermachen müssen,<br />
um wieder fit zu werden. Dieses<br />
Konzept leben wir mit unserem<br />
Team, das auch ganz bewusst aus<br />
unterschiedlichen Berufsgruppen<br />
zusammengesetzt ist: Sportwissenschaft,<br />
Physiotherapie, Gesundheits<br />
management, Fitnessökonomie und<br />
andere. Auch das Thema Entwicklung<br />
und Forschung ist uns wichtig.<br />
Inwiefern?<br />
Mein Team und ich helfen anderen<br />
Unternehmen, ihre Programme und<br />
Technologien zu verbessern. Ein<br />
Start-up habe ich sogar mitgegründet:<br />
AIMO ist ein 3D-Bewegungsscan,<br />
der via App Bewegungsmuster<br />
analysiert und Fehlhaltungen sichtbar<br />
macht. Die Mitarbeit daran hat<br />
mir große Freude gemacht, weil es<br />
meiner Ansicht nach einfach wichtig<br />
und sinnvoll ist, den Markt digitaler<br />
zu gestalten und zu erweitern. Zusätzlich<br />
arbeiten wir mit Diers International<br />
an integrativen Lösungen<br />
für die Zukunft. All das ist aktuell in<br />
der Physiotherapie noch sehr am<br />
Anfang. Ich bin überzeugt davon,<br />
dass die digitale Transformation<br />
auch in unserem Beruf sehr viel verändern<br />
wird.<br />
Wenn Ihnen diese Themen so wichtig<br />
sind, plädieren Sie vermutlich<br />
auch für die Akademisierung Ihres<br />
Berufs?<br />
Ja und nein. Auf der einen Seite befürworte<br />
ich das natürlich unbedingt.<br />
Auf der anderen Seite muss sich<br />
dann aber auch das ganze System<br />
ändern – inklusive der Bezahlung.<br />
Denn mit den jetzigen Verordnungen<br />
funktioniert das leider nur, wenn<br />
ich in der Praxis Mitarbeiter:innen<br />
habe, die die verlangten Positionen<br />
zu relativ günstigen Sätzen abarbeiten<br />
können.<br />
Ich bin überzeugt<br />
davon, dass<br />
die digitale<br />
Transformation<br />
auch in unserem<br />
Beruf sehr viel<br />
verändern wird.<br />
Gehört für Sie zu einer solchen Systemänderung<br />
auch ein Direktzugang?<br />
Im Prinzip: ja. Allerdings wird dabei<br />
auch gerne vergessen, welche Verantwortung<br />
damit verbunden wäre.<br />
Im Grunde genommen wäre es mir<br />
wichtiger, dass die Zusammenarbeit<br />
zwischen Ärzt:innen und Physiotherapeut:innen<br />
auf Augenhöhe stattfindet.<br />
Ich könnte mir zum Beispiel<br />
auch das amerikanische Modell vorstellen,<br />
in dem die Leute öfter zuerst<br />
zum Physio gehen und danach zur<br />
spezifischen Untersuchung in die<br />
Arztpraxis. Mir wäre nur tatsächlich<br />
wichtig, dass wir die Chance bekommen,<br />
effizient und adäquat zu<br />
behandeln und nicht andauernd das<br />
Gefühl haben, um Rezepte betteln<br />
zu müssen.<br />
Was würden Sie machen, wenn Sie<br />
Gesundheitsminister für einen Tag<br />
wären?<br />
Zum einen würde ich mich um die<br />
Vereinfachung und Entbürokratisierung<br />
kümmern. Das wäre mir ein<br />
ganz wichtiges Anliegen, auch um<br />
die Ärzte zu entlasten! Und zum anderen<br />
würde ich Maßnahmen gegen<br />
den Fachkräftemangel angehen, wie<br />
die Abschaffung des Schulgeldes.<br />
Denn aktuell ist es leider so, dass<br />
Praxisinhaber:innen im Prinzip alle<br />
Bewerber:innen nehmen müssen,<br />
die sie kriegen können. Das kann<br />
nicht gut sein!<br />
Sind Sie im Verband organisiert<br />
und wenn ja, sind Sie mit seiner<br />
Arbeit zufrieden?<br />
Ich bin im IFK organisiert, dem Bundesverband<br />
selbstständiger Physiotherapeuten.<br />
Und als solcher fühle<br />
ich mich von meinem Verband auch<br />
gut vertreten. Allerdings sehe ich<br />
auch, dass die große Anzahl der Verbände<br />
ein großes Problem ist, wenn<br />
es darum geht, insgesamt Verbesserungen<br />
für uns Therapeut:innen<br />
durchzusetzen – zum Beispiel wenn<br />
es um Tarifverhandlungen geht. Ich<br />
wünschte mir schon, dass sich da<br />
mal etwas ändert. —<br />
16 ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN 17
Aus der Not<br />
eine Tugend machen<br />
Erleidet eine Patientin oder ein Patient bei der Behandlung einen<br />
medizinischen Notfall, geht es oft um Sekunden und um die richtigen<br />
Informationen. Auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) kann ein<br />
Notfalldatensatz gespeichert werden, der im Zweifelsfall Leben retten kann.<br />
Passieren kann es überall, auch in der physiotherapeutischen<br />
Praxis: Ein Patient kollabiert, ist nicht<br />
mehr ansprechbar, der Notarzt wird gerufen und<br />
braucht Informationen zum Betroffenen. Sind Allergien<br />
bekannt? Manche Medikamente können den sogenannten<br />
anaphylaktischen Schock auslösen, und bevor die<br />
Notärzte etwas verabreichen, wäre es gut, zu wissen, ob<br />
die Medikation vertragen wird. Oder trägt der oder die Patient:in<br />
möglicherweise Implantate? Vielleicht einen Herzschrittmacher<br />
und die Bewusstlosigkeit wird von einem<br />
Defekt an diesem lebenswichtigen Gerät verursacht?<br />
Solche und andere Informationen – wie Kontaktdaten<br />
von behandelnden Ärzt:innen, ein Notfallkontakt<br />
oder regelmäßig eingenommene Medikamente – sind<br />
bei der Diagnose hilfreich und sparen wertvolle Zeit.<br />
Als Notfalldatensatz können sie auf der elektronischen<br />
Gesundheitskarte (eGK) gespeichert und ausgelesen<br />
werden. Natürlich nicht von jeder x-beliebigen Person,<br />
sondern nur von dazu Berechtigten. Und wer dazu berechtigt<br />
ist, das ist in der Telematikinfrastruktur (TI) hinterlegt.<br />
Tritt also ein Notfall ein, wird die eGK ans Lesegerät<br />
gehalten, in der Praxissoftware der Notfalldatensatz angefordert<br />
und dort zwischengespeichert. Dort kann der<br />
Notfalldatensatz auch aktualisiert und wieder auf der<br />
eGK gespeichert werden. Das System insgesamt wird<br />
Notfalldatenmanagement genannt, kurz NFDM.<br />
Auslesen des Notfalldatensatzes<br />
wird protokolliert<br />
Normalerweise sollten die Patient:innen dem zustimmen,<br />
im Notfall ist das aber auch ohne Zustimmung möglich. Zu<br />
diesen Notfällen zählt eine Versorgung durch Notarzt oder<br />
TEXT: MICHAEL HASENPUSCH<br />
Rettungsdienst vor Einlieferung in die Klinik, die ungeplante<br />
Notaufnahme ins Krankenhaus oder die ungeplante Patientenversorgung<br />
im ambulanten Versorgungssektor, also<br />
außerhalb der Krankenhäuser oder Kliniken. Der Grund<br />
für das Auslesen der Informationen, der Zeitpunkt des Zugriffs<br />
und die Person, die den Notfalldatensatz anfordert,<br />
werden auf der eGK protokolliert.<br />
Die Voraussetzung dafür, den Notfalldatensatz auszulesen,<br />
ist der Anschluss der Praxis an die TI, der für<br />
jede ihrer Anwendungen benötigt wird. Konkret vorhanden<br />
sein muss ein Konnektor, der über die NFDM-Funktionalität<br />
verfügt. Außerdem muss die Praxissoftware<br />
das Update für NFDM erhalten haben, und schließlich<br />
muss ein elektronischer Heilberufsausweis (eHBA) der<br />
zweiten Generation vorhanden sein. Die Ausgabe des<br />
eHBA an Physiotherapeut:innen und andere Berufsgruppen<br />
der Heilberufler:innen in ausgewählten Bundesländern<br />
hat vor einigen Monaten im Pilotbetrieb begonnen.<br />
Voraussichtlich im Herbst <strong>2022</strong> wird das dafür<br />
zuständige elektronische Gesundheitsberuferegister<br />
(eGBR) in Münster, Nordrhein-Westfalen, den regulären<br />
Betrieb aufnehmen. —<br />
INFORMIERT<br />
Aktuelles aus der Welt<br />
der Abrechnung von<br />
Heilmitteln<br />
Datensicherheit in der Cloud?<br />
Wie sicher sind meine Patientendaten? Diese Frage<br />
stellen sich viele ine der Praxisinhaber:innen, häufigsten fokalen Dystonien wenn sie über<br />
die Anschaffung ist die einer zervikale Praxissoftware Dystonie (ZD). nachdenken. Dabei Im<br />
Gesundheitswesen handelt werden es sich um sensible eine Fehlhaltung Daten gespeichert<br />
und ein Ausfall<br />
des<br />
des<br />
Kopfes,<br />
Systems<br />
bedingt<br />
kann<br />
durch<br />
das<br />
unwillkürliche<br />
Muskelspannungen der Hals-<br />
Tagesgeschäft in<br />
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(Erscheinungsweise: monatlich)<br />
Herausgeber:<br />
Optica Abrechnungszentrum Dr. Güldener GmbH<br />
Marienstraße 10, 70178 Stuttgart<br />
Vertreten durch die Geschäftsführer Konrad<br />
Bommas, Markus Kinkel und Dr. Jochen Pfänder<br />
Telefon: 0711 99373-2000, Telefax: 0711 99373-2025<br />
E-Mail: info@optica.de<br />
Optica-Redaktion: Fabian Maier (V.i.S.d.P.)<br />
Verlag: Fazit Communication GmbH,<br />
Frankenallee 71 – 81, 60327 Frankfurt am Main<br />
Konzept: Jan Philipp Rost, Martin Schmitz-Kuhl,<br />
Michael Hasenpusch, Johannes Göbel<br />
Art Direktion: Oliver Hick-Schulz<br />
Produktion: Anabell Krebs<br />
Text: Martin Schmitz-Kuhl, Michael Hasenpusch<br />
Druck: Seltersdruck & Verlag Lehn GmbH & Co. KG, Selters<br />
Fotografie:<br />
Titel, S. 3, S. 8: MicroStockHub/iStock /<br />
S. 3: Optica / S. 5: Mykyta Dolmatov/iStock /<br />
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