26WIRTSCHAFT+MARKTZEITENWENDEW+M: Sie haben die Energiewende als praktischgescheitert erklärt. Stimmt das denn?Michael Kretschmer: Der Umbau der Energiewirtschaftund der Industrie ist zwingend.Wir müssen weg von der Energieversorgungund Industrieprozessen, die in GrößenordnungenCO 2freisetzen. Der Plan, der in Deutschlandschon seit über zehn Jahren verfolgt wird,ist der Ausstieg aus der Atomenergie, der Ausstiegaus der Braunkohleverstromung durchden Aufbau von 40 bis 50 Gaskraftwerken unddamit einer Gaswirtschaft, die dafür sorgenwürde, dass wir preiswerte Wasserstoffressourcenbekommen.Dass wir nun den Ausstieg aus Erdgas angehen,verstärkt die Abhängigkeiten. Das kannman so nicht tun, deshalb braucht es hier eineNeuaufstellung des Systems. Es ist eine Mär,dass man eine Energiewirtschaft aufbauenkann, die nicht grundlastfähig ist. Man kannviel mit erneuerbarer Energie tun, aber auchhier gibt es limitierende Faktoren. Das sindweniger die zur Verfügung stehenden Flächenoder der Umweltschutz als die Kapazitätenfür Solar- und Windstromanlagen sowie fürden Leitungsausbau. Selbst wenn es bis 2030gelingt, dass wir an guten Tagen die Stromversorgungrechnerisch komplett aus erneuerbarenEnergien schaffen, wird nachts die Sonnenicht scheinen und an vielen Wochen im Jahrder Wind nicht wehen. Deshalb: Es brauchtparallel zu den volatilen erneuerbaren Energieträgerneine Backup-Struktur an grundlastfähigerEnergie.Allerdings erweckt die Bundesregierung denEindruck, dass man ein Energiesystem aufbauenkönnte, nur auf der Grundlage erneuerbarerEnergien und das noch dazu in kurzerZeit. Dass wir damit dafür sorgen, dass wirnicht über Monate, sondern über Jahre diesetoxisch hohen Energiepreise haben werden,wird ausgeblendet. Aber es wird die Wettbewerbsfähigkeitder deutschen Wirtschaftdeutlich beeinträchtigen.Lesen Sie dasausführlicheInterview imW+M-OnlinemagazinGegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz vertritt Sachsens Ministerpräsident die sächsischenStandpunkte bei Themen wie Braunkohleausstieg und Fachkräftesicherung.W+M: Es besteht Einigkeit über denschnellen Ausbau der erneuerbaren Energie,aber Sachsen selbst hat beispielsweise beimAusbau der Windenergie wenig Erfolge vorzuzeigen.Wie kommt das?Michael Kretschmer: Wir werden weiter Tagebauflächenfür Solaranlagen und Windkraftanlagenzur Verfügung stellen und zudem auch„Wind über Wald“ ermöglichen, gerade auchin den vom Borkenkäfer stark betroffenenRegionen. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt,dass dies nicht gegen die Menschengemacht wird, sondern mit der Bevölkerung.Deshalb auch die Regelung mit 1.000 MeternAbstand zu Windkraftanlagen. Sie ließ unsviele Konflikte aus der Welt bringen. Es war einguter Kompromiss und es ist schon auch einsehr autoritärer Politikstil, dieses Verhandlungsergebnis,das auf einer regionalen Ebenein den Ländern erreicht worden ist, jetzt überein Bundesgesetz aushebeln zu wollen.W+M: Mit der Ansiedlung neuer Unternehmenin Sachsen verbindet sich das Thema Fachkräftemangel.Wie geht Sachsen damit um?Michael Kretschmer: Ich halte das ThemaFachkräfte für eines der wichtigsten für dieZukunft Sachsens. Hier wird entschieden,ob dieses Land weiter wachsen kann undzukunftsfähig bleibt. Wir sind dem Bundeskanzlersehr dankbar, dass er die Idee derostdeutschen Ministerpräsidenten, eine zielgerichteteeigene Fachkräftezuwanderungsstrategiefür die neuen Länder zu entwickeln,unterstützt. Die neuen Länder haben nicht dieErfahrungen wie Baden-Württemberg oderNordrhein-Westfalen, wo das über Jahrzehnteund Generationen eingeübt wurde. ManuelaSchwesig hat das Thema in die Hand genommen.Anfang Oktober werden wir uns gemeinsamin Schwerin treffen und eine gemeinsameStrategie erarbeiten.Wir haben hier in Sachsen aber auch ein eigenesProgramm, das wir gemeinsam mit der regionalenWirtschaft und den Kommunen auf den Weggebracht haben. Wir werden fünf bis sechs Zielregionenmit Personal vor Ort haben, in denenwir die Berufsausbildung, aber auch den kulturellenAustausch unterstützen. Wir werden auchin interessierten Gemeinden Communitybildungbetreiben, um jungen Leuten hier Zukunftschancenzu geben und sie zu unterstützen. Das gehtnur mit einer Integration in den Arbeitsmarktund in das soziale Umfeld. Das ist das gemeinsameZiel der Koalition in Sachsen.W+M: Zum Abschluss eine persönlicheFrage: Wie kommen Sie damit klar, oft konträreStandpunkte zu vertreten?Michael Kretschmer: Demokratie lebt vonDebatten und dem Ringen um Mehrheiten. Ichhabe mit großer Freude gesehen und dabeiviel gelernt, wie wir in den 90er-Jahren mitKurt Biedenkopf und den Vertretern andererParteien im Meinungsstreit zu guten Lösungengekommen sind. Heute haben wir eine Verengungvon Debatten und das ist nicht gut. Daswiederum heißt, dass wir uns alle einbringenmüssen, anständig in der Sache, klar im Tonund vor allem über Fakten debattieren. Dazugehört auch, andere in die Pflicht zu bringen,sich zu rechtfertigen.Interview: Frank NehringFoto: Sächsische Staatskanzlei/ Pawel SosnowskiW+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
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