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Baumeister 12/2022

Anbauen

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A<br />

B<strong>12</strong><br />

B A U<br />

Dezember 22<br />

119. JAHRGANG<br />

Das Architektur-<br />

Magazin<br />

MEISTER<br />

Weiterbauen!<br />

<strong>12</strong><br />

D 16,50 €<br />

A,L 19 €<br />

I 19,90 €<br />

CH 2 4 S F R<br />

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NOVEMBER<br />

DEZEMBER<br />

JANUAR<br />

BAUMEISTER SONDERSERIE: WEITERBAUEN<br />

B11/22: AUFSTOCKEN, B<strong>12</strong>/22: ANBAUEN , B1/23: UMBAUEN<br />

33% PREISVORTEIL GEGENÜBER EINZELHEFTKAUF<br />

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A<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

COVERFOTO: STEFAN MÜLLER<br />

noch immer liegen die Vorstellungen darüber,<br />

was nachhaltige Architektur ist, weit<br />

auseinander. Das fängt mit Kontroversen<br />

darüber an, ob mit „nachhaltiger“ Architektur<br />

1:1 weitergebaut werden kann wie zuvor –<br />

nur dann eben klimaschonend. Kann es ein<br />

nachhaltiges Wohnhochhaus, einen nachhaltigen<br />

Bürobau mit Tausenden von Arbeitsplätzen,<br />

einen nachhaltigen Flughafen geben?<br />

Oder verlangen solche hochkomplexen<br />

Architekturen zwingend CO2-intensive Baumethoden,<br />

die selbst durch die aufwendigsten<br />

Plus-Energie-Technologien nicht wettgemacht<br />

werden können? Die Grenzen dessen,<br />

was heutzutage mit lokalen, nachwachsenden<br />

und quasi unbegrenzt vorhandenen<br />

Baumaterialien und mit minimalem Energieeinsatz<br />

– sprich mit Holz, Lehm, Sand und<br />

Naturstein – gebaut werden kann, sind jedenfalls<br />

eng gesteckt. Und dies nicht zuletzt aus<br />

ökonomischen Gründen.<br />

Einer der wenigen Punkte, über die in der<br />

Architektenschaft (und darüber hinaus) relative<br />

Einigkeit herrscht, ist die notwen dige<br />

Konzentration auf den Bestand. Die Einsicht,<br />

dass erhalten fast immer klimaschonender<br />

ist, als neu zu bauen, führt inzwischen sogar<br />

zu der von einer breiten Allianz aus Architekten-<br />

und Umweltverbänden getragenen<br />

Forderung nach einem Abriss-Moratorium-<br />

(siehe S. 78). Eine so weitgehende Selbstbeschränkung<br />

dürfte allerdings vielen Architekturbüros<br />

ebenso wenig schmecken wie<br />

Immobilienentwicklern oder privaten Häuslebauern<br />

in spe. Und wie aufgeschlossen die<br />

Politik einem solchen Vorschlag gegenüber<br />

ist, wird sich spätestens dann zeigen, wenn<br />

im heimischen Wahlkreis Investitionsprojekte<br />

nicht genehmigt oder Neubaugebiete nicht<br />

ausgewiesen werden können.<br />

Gleichzeitig würde ein solches Moratorium<br />

wohl dazu führen, dass dort, wo die Nachfrage<br />

nach Wohn- oder Büroraum besonders hoch<br />

ist, also in den wachsenden Metropolen, der<br />

Verwertungsspielraum immer weiter ausgereizt<br />

würde. Das hätte nicht nur Folgen für<br />

Miet- und Kaufpreise. Es wäre auch eine Bedrohung<br />

für Baudenkmale und gewachsene<br />

Stadtbilder – es sei denn, der Gesetzgeber<br />

steuerte mit weitreichenden Schutzbestimmungen<br />

gegen. Bereits jetzt spricht Berlins<br />

Landesdenkmalpfleger Christoph Rauhut<br />

von der Gefahr der „Übernutzung“, die historischer<br />

Bausubstanz vielfach im Zusammenhang<br />

mit Nachverdichtungs- und Umnutzungsprojekten<br />

droht (siehe S. 10).<br />

Gleichzeitig hätte der Teil des Bestands, der<br />

in Landstrichen mit schrumpfender Bevölkerung<br />

liegt, Zuwendung oft bitter nötig. Und<br />

zwar egal, ob Denkmal oder nicht. Nutzungsstrategien<br />

für den Bestand jenseits der Großstädte<br />

müssen mit einem Abriss-Moratorium<br />

einhergehen, damit wir nicht zeitgleich den einen<br />

Teil des Bauerbes durch Übernutzung und<br />

den anderen durch Verwahrlosung verlieren.<br />

W<br />

Fabian Peters<br />

f.peters@georg-media.de<br />

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@baumeister_architekturmagazin<br />

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Weiterbauen:<br />

I B11 Aufstocken<br />

II B<strong>12</strong> Anbauen<br />

III B1 Umbauen<br />

6<br />

Einführung<br />

Ideen:<br />

Verwandlung eines Achtzigerjahre-Anbaus<br />

in das Schuhmuseum von Waalwijk S. 44<br />

18<br />

Dokumentationszentrum<br />

in Berlin<br />

30<br />

Flüchtlingsmuseum<br />

in Oksbøl<br />

Fragen:<br />

78<br />

Abriss-Moratorium:<br />

Wie viel kostet ein<br />

Gebäudewirklich<br />

?<br />

80<br />

Denkmalschutz<br />

gleich Klimaschutz:


44<br />

Schuhmuseum<br />

in Waalwijk<br />

58<br />

Josef-Albers-<br />

Museum<br />

in Bottrop<br />

je älter, desto<br />

nachhaltiger<br />

?<br />

84<br />

Wer siegt bei den<br />

„Wohnbauten<br />

des Jahres <strong>2022</strong>“<br />

?<br />

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68<br />

Kloster<br />

Neustift<br />

bei Brixen<br />

Schwungvoll erweitert: Flüchtlingsmuseum<br />

in Oksbøl S. 30<br />

FOTO LINKS: STIJN BOLLAERT; RECHTS: RASMUS HJORTSHØJ<br />

LÖSUNGEN<br />

88<br />

BRANCHENFEATURE:<br />

FASSADENMOSAIK<br />

92<br />

FASSADE<br />

100<br />

BAD<br />

RUBRIKEN<br />

42<br />

KLEINE WERKE<br />

56<br />

UNTERWEGS<br />

98<br />

REFERENZ<br />

107<br />

IMPRESSUM + VORSCHAU<br />

108<br />

PORTFOLIO: BAD<br />

114<br />

KOLUMNE


6 Einführung<br />

n---<br />

aue<br />

Im zweiten Teil unserer<br />

„Weiterbauen!“-<br />

Serie beschäftigen wir<br />

uns mit dem Thema


uns mit dem Thema<br />

„Anbauen“. Wir zeigen<br />

Bauten, die durch eine<br />

Erweiterung fit für<br />

die Zukunft gemacht<br />

wurden – und dabei<br />

zugleich an architektonischer<br />

Qualität<br />

gewonnen nhaben.<br />

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II / III<br />

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8<br />

Einführung<br />

Verloren<br />

Im Jahr 2019 entstand<br />

der „Emscherkunstweg“,<br />

für den der Künstler<br />

Julius von Bismarck gemeinsam<br />

mit der Künstlerin<br />

und Architektin<br />

Marta Dyachenko eine<br />

Installation namens<br />

„Neustadt“ schuf. Insgesamt<br />

23 Skulpturen<br />

bilden eine fiktive Stadt<br />

im Maßstab 1:25 aus<br />

verschiedenen realen<br />

Gebäuden, die seit der<br />

Jahrtausendwende<br />

im Ruhrgebiet abgerissen<br />

wurden – darunter<br />

teilweise einst gefeierte<br />

Architektur der Nachkriegsmoderne.<br />

Jetzt fordert eine Initiative<br />

von Institutionen und<br />

Personen aus der Baubranche<br />

die Politik zu<br />

einem Abriss-Moratorium<br />

auf. Mehr zum Thema<br />

auf Seite 78. Den offenen<br />

Brief und weitere Informationen<br />

sind zu finden<br />

unter:<br />

abrissmoratorium.de<br />

FOTO: EMSCHERKUNSTWEG/JULIUS VON BISMARCK, MARTA DYACHENKO


FOTO / QUELLE: VORNAME NAME


10<br />

Einführung<br />

Goldene Zeiten für<br />

Denkmale<br />

?<br />

Ein Interview<br />

mit Christoph<br />

Rauhut<br />

Brechen mit der Konzentration auf den Bestand,<br />

die allerorten ausgerufen wird, goldene Zeiten<br />

für die Denkmalpflege an? Christoph Rauhut,<br />

Landeskonservator von Berlin, bleibt skeptisch.<br />

Denn Klimaschutz und Renditeerwartungen<br />

könnten den Druck auf die historische Bausubstanz<br />

eher zu- als abnehmen lassen.<br />

FOTO: LANDESDENKMALAMT BERLIN/ANNE HERDIN


11<br />

BAUMEISTER: Gerade redet<br />

die gesamte Architektenschaft<br />

darüber, dass sich die Bautätigkeit<br />

zur Bekämpfung des<br />

Klimawandels zu einem Großteil<br />

auf den Bestand verla gern<br />

muss. Verfolgen Sie als Denkmalpfleger<br />

diesen sich abzeichnenden<br />

Paradigmenwechsel<br />

eher mit Hoffnung oder<br />

mit Sorge?<br />

CHRISTOPH RAUHUT: Beides<br />

trifft zu. Mein Eindruck ist einerseits,<br />

dass aktuell der Schutz<br />

von Objekten einfacher wird,<br />

weil man nun in der Diskussion<br />

über Abriss oder Erhalt nicht<br />

nur mit dem kulturellen, sondern<br />

auch mit den ökologischen<br />

Werten argumentieren kann.<br />

Andererseits kann man aber im<br />

Umgang mit den Objekten<br />

feststellen, dass der Druck auf<br />

den Bestand und damit auch<br />

auf die Denkmale wächst –<br />

nicht zuletzt dadurch, dass wir<br />

von unseren Gebäuden immer<br />

mehr fordern. Sie sollen in<br />

verschiedenerlei Hinsicht immer<br />

leistungsfähiger werden. Zum<br />

einen ökonomisch, etwa im<br />

Hinblick auf die Flächenausnutzung.<br />

Zum anderen aber<br />

auch ökologisch, wenn es zum<br />

Beispiel um den Energieverbrauch<br />

geht.<br />

B: Wo zeigt sich das?<br />

CR: Etwa bei den Themen Energiegewinnung<br />

und -speicherung.<br />

Das sind Themen, bei<br />

denen Denkmale zunehmend<br />

unter Druck stehen. Allerdings<br />

stellen wir fest, dass dieser<br />

Druck nicht gleichmäßig auf<br />

allen Denkmalen lastet. Es gibt<br />

zum Beispiel einen großen<br />

Unterschied zwischen städtischem<br />

und ländlichem Raum.<br />

Dort, wo Leerstand herrscht,<br />

ist die Diskussion ganz anders<br />

gelagert als in den teuren<br />

Zentren. Wenn wir in den Zentren<br />

von regenerativen Energien<br />

sprechen, bedeutet das häufig<br />

Solarenergie. Allerdings sind<br />

Photovoltaikanlagen in einer<br />

Stadt wie Berlin mit seiner<br />

Bebauung, die schwerpunktmäßig<br />

aus dem 19. und 20.<br />

Jahrhundert stammt und viele<br />

flache oder flach geneigte<br />

Dachflächen besitzt, weitaus<br />

unproblematischer als in<br />

historischen Dorfkernen. Das<br />

hilft vielen Bauten aus den<br />

Siebziger- und Achtzigerjahren,<br />

die gerade besonders gefährdet<br />

sind. Vielleicht werden<br />

wir deshalb zukünftig weniger<br />

spektakuläre Debatten über<br />

Abriss und Neubau erleben.<br />

Diese Diskussionen sind ja gerade<br />

in Berlin mit großer Anteilnahme<br />

der Öffentlichkeit<br />

gelaufen. Aber wir müssen<br />

gleichzeitig auch auf den langsamen<br />

Verlust kultureller Werte<br />

achten und diesen gezielt<br />

aufhalten oder zumindest<br />

steuern in Anbetracht der vie l-<br />

fältigen Herausforderungen.<br />

B: Nicht nur in Berlin gibt es<br />

viele Beispiele zu besichtigen,<br />

bei denen „energetische Sanierungen“<br />

dem Erscheinungsbild<br />

von Gebäuden enormen<br />

Schaden zugefügt haben.<br />

Wie agiert die Denkmalpflege<br />

in diesem Spannungsfeld?<br />

CR: Eine gute energetische<br />

Sanierung macht ein Denkmal<br />

eigentlich fit für die Zukunft<br />

und liegt insofern auch durchaus<br />

im Interesse der Denkmalpflege.<br />

Aber natürlich ist es<br />

notwendig, eine solche Sanierung<br />

fachlich zu begleiten,<br />

damit sie gelingt. Dafür gibt es<br />

bewährte Instrumente, wie<br />

etwa den Energieberater im<br />

Baudenkmal. Wir haben in<br />

Berlin Beispiele für sehr gelungene<br />

Sanierungen – etwa die<br />

Wohnanlage „Bremer Höhe“<br />

im Prenzlauer Berg. Hier wurde<br />

der Bestand aus dem 19. Jahrhundert<br />

vor etwa zehn Jahren<br />

mit Augenmaß und unter<br />

Wahrung des Denkmalwerts<br />

energetisch ertüchtigt. So<br />

etwas kann natürlich aber nur<br />

gelingen, wenn nicht die<br />

falschen Prämissen gesetzt<br />

werden. Und es gibt viele Beispiele,<br />

wo man eigentlich zu viel<br />

vom Bestand will und es deshalb<br />

dann nicht möglich ist,<br />

eine Lösung zu finden, die gut<br />

für den Bestand ist. Wichtig<br />

ist, dass man jedes Gebäude<br />

als Einzelfall betrachtet und<br />

dabei versucht, einerseits<br />

Potenziale auszuloten, aber<br />

andererseits auch bestimmte<br />

rote Linien zu ziehen.<br />

B: Wie kann ein solcher Kompromiss<br />

in der Praxis aussehen?<br />

CR: Im Moment müssen wir lernen,<br />

energetische Sanierungen<br />

umfassender zu sehen, und<br />

dabei auch über die Potenziale<br />

für regenerative Energien im<br />

Bestand sprechen. Möglicherweise<br />

stellt eine Solaranlage<br />

auf dem Dach die Möglichkeit<br />

dar, Maßnahmen an der Fassade<br />

überflüssig zu machen.<br />

Bei den WDV-Systemen sind wir<br />

auch deshalb oft in eine Falle<br />

gelaufen, weil wir keine Einzelfallüberlegungen<br />

gemacht<br />

haben. Zumindest der denkmalgeschützte<br />

Bestand braucht<br />

dies aber, um zu überleben.<br />

B: Nachverdichtung ist ein<br />

wichtiges Schlagwort, wenn es<br />

um das Schaffen neuen Wohnraums<br />

in den begehrten Innenstadtlagen<br />

geht. Vor welche<br />

Herausforderungen stellt das<br />

die Denkmalpflege?<br />

CR: In Berlin betrifft diese Diskussion<br />

inzwischen nicht mehr<br />

nur die innerstädtischen Lagen<br />

innerhalb des S-Bahn-Rings,<br />

sondern auch architekturhistorisch<br />

bedeutsame Ensembles<br />

in den Randbereichen<br />

wie etwa die Siemensstadt<br />

oder die AEG-Bauten von Peter<br />

Behrens in Oberschöneweide.<br />

Die schwierigsten Fälle sind<br />

dabei diejenigen, bei denen es<br />

auch um Umnutzungen geht.<br />

Nicht selten sollen die Gebäude<br />

dann nämlich aus ökonomischen<br />

Gründen „übernutzt“<br />

WEITER


18<br />

1931<br />

Auf den ersten Blick<br />

unverändert: Dabei<br />

bleiben dem Eckhaus<br />

am Berliner Askanischen<br />

Platz vom ursprünglich<br />

quadratischen<br />

Grundriss nur<br />

diese beiden Straßenfassaden<br />

und eine<br />

schmale Raumschicht.<br />

Heutiger Nutzer des<br />

„Deutschlandhauses“<br />

ist das „Dokumentationszentrum<br />

für<br />

Flucht, Vertreibung,<br />

Versöhnung“.<br />

FOTO LINKS: ARCHIV ADB EWERIEN UND OBERMANN; RECHTS: ROLAND HORN


Ideen<br />

19<br />

— 2021


20<br />

Ideen<br />

Wunder-<br />

höhle<br />

hinter<br />

Architekten:<br />

Marte.Marte<br />

Text:<br />

Florian Heilmeyer<br />

Fotos:<br />

Roland Horn<br />

historischem<br />

Kleid<br />

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Mitten in Berlin machen<br />

Marte.Marte Architekten<br />

einen radikalen Schnitt<br />

und nehmen damit dem<br />

historischen „Deutschlandhaus“<br />

fast alle Innen-<br />

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landhaus“ fast alle Innen<br />

räume. Nur zur Straße<br />

bleiben dem Eckhaus zwei<br />

Fassaden und dahinter<br />

eine alte Raumachse –<br />

dahinter beginnt der Neubau.<br />

Und was für einer!<br />

21<br />

Der Eingriff ist von außen kaum zu sehen. Steht<br />

man an der Portalruine des Anhalter Bahnhofs<br />

mitten in Berlin und blickt über die große Straßenkreuzung<br />

zum sogenannten „Deutschlandhaus“,<br />

dann sieht dieses heute völlig unverändert aus.<br />

Doch was für aufgeregte Diskussionen hatte es<br />

gegeben um die Umnutzung dieses unauffälligen,<br />

sachlich-modernen Bürohauses als „Dokumentationszentrum<br />

Flucht, Vertreibung, Versöhnung“!<br />

Schon dieser komplexe Name zeugt<br />

davon, wie es jahrzehntelang hin und her ging:<br />

um Sinn und Zweck und den richtigen Ort für ein<br />

Museum, das lange den Geruch der Ewiggestrigen<br />

an sich hatte.<br />

Komplexe Entstehungsgeschichte<br />

Wer verstehen will, wie genial der Entwurf der<br />

österreichischen Architektenbrüder Bernhard<br />

und Stefan Marte ist, der muss die lange Vorgeschichte<br />

dieses Projekts kennen. Denn was heute<br />

als „Deutschlandhaus“ unter Denkmalschutz<br />

steht, war ursprünglich nur ein eher unscheinbarer<br />

Seitenflügel des benachbarten, zwölfgeschossigen<br />

„Europahauses“, das in Sichtweite des<br />

damals rauschhaften Potsdamer Platzes und<br />

nach Entwürfen von Richard Bielenberg und Josef<br />

Moser 1926 bis 1931 am Askanischen Platz errichtet<br />

wurde. Dem Hochhaus hatten Bielenberg und<br />

Moser zwei Seitengebäude im Norden und Süden<br />

zur Seite gestellt. Auf annähernd quadratischem<br />

Grundriss (50 auf 51,5 Meter) verrieten nur die<br />

übergroßen Schaufenster im Erdgeschoss, dass es<br />

sich auch bei den wuchtigen Seitengebäuden im<br />

Kern um filigrane Stahlskelettbauten handelte.<br />

Bielenberg und Moser waren Profis im Bürohausbau<br />

ihrer Zeit, sie entwarfen nach den Wünschen<br />

der Bauherren. Modisch sind alleine die kräftigen<br />

Eckpfeiler und die über die weiße Putzfassade<br />

verstreuten Elemente aus rotem Porphyr, die aber<br />

an keiner Stelle den Wiederverkaufswert des<br />

Gebäudes infrage stellten. Bekannt wurde das<br />

Europahaus dann auch weniger wegen seiner<br />

Architektur, sondern aufgrund der beliebten Vergnügungsgelegenheiten<br />

im Inneren – Kino, Restaurants<br />

und Tanzsäle – sowie wegen der gewaltigen<br />

Leuchtreklamen, die zum Sinnbild des flirrenden<br />

Berliner Nachtlebens in den letzten Tagen der<br />

Weimarer Republik wurden.<br />

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das<br />

Europahaus schwer beschädigt. Der Nordflügel<br />

wurde ganz abgerissen, Hochhaus und Südflügel<br />

blieben bis Ende der 1950er-Jahre Ruinen. Statt<br />

neuer Vergnügungen zog schließlich das Fernmeldeamt<br />

der Deutschen Post in das Hochhaus,<br />

dann wurde direkt dahinter die Mauer gebaut,<br />

und die ganze Gegend versank im West-Berliner<br />

Dornröschenschlaf. Irgendwie passend, dass die<br />

Bundesregierung den Südflügel zum „Haus der<br />

ostdeutschen Heimat“ erklärte und es dem Bund<br />

der Vertriebenen als Büro zur Verfügung stellte.<br />

Hier träumte man gemeinsam von der Rückgewinnung<br />

Pommerns, Schlesiens und Bessarabiens<br />

und wetterte gegen die Oder-Neiße-Grenze.<br />

Natürlich waren nicht alle Vertriebenen alte Nazis,<br />

jedoch machte sich der Bund der Vertriebenen<br />

immer wieder für revanchistische oder schlicht<br />

rechtsextreme Positionen stark – und es war<br />

dieser Bund, der 1974 schließlich den Schriftzug<br />

„Deutschlandhaus“ über die Tür hängen ließ und<br />

damit ganz sicher kein Deutschland meinte, das<br />

„nur“ bis zur Oder reichte.<br />

Und es war ebenfalls dieser Bund, der noch 1999 –<br />

als klar wurde, dass er das Deutschlandhaus würde<br />

verlassen müssen – ein erstes Konzept für ein<br />

„Zentrum gegen Vertreibungen“ präsentierte, mit<br />

dem aus dem Deutschlandhaus ein Museum über<br />

die Vertreibungen deutscher Zivilisten während<br />

und nach dem Weltkrieg werden sollte. Dieses<br />

Konzept stieß auf breite Kritik und löste jahre-<br />

WEITER


FOTO OBEN: MIRJAM BLEEKER; UNTEN: SWEETS HOTEL


Unterwegs im …<br />

57<br />

Sweets Hotel<br />

Amsterdam<br />

Ein außergewöhnliches Hotelkonzept wurde in Amsterdam verwirklicht.<br />

Die ortsansässigen Architekten Space & Matter haben<br />

28 teilweise historische Kanalwärterhäuschen saniert, die über<br />

die Stadt verstreut sind. Unser Autor übernachtete in einem Haus<br />

von 1969 an der „Meeuwenplein“-Brücke.<br />

Die Kulturmanagerin Suzanne Oxenaar eröffnete<br />

vor Jahren in Amsterdams Östlichem Hafengebiet<br />

das Lloyds Hotel. Das Gebäude, in dem einst osteuropäische<br />

Juden auf ihre Schiffsreise ins amerikanische<br />

Exil gewartet hatten, bevor dort die<br />

Gestapo einzog, wurde von MVRDV großzügig zu<br />

einem einzigartigen Hotel umgebaut. Oxenaar<br />

hatte wenig später das Konzept für ein Designhotel<br />

am touristischen Damrak abgewandelt. Doch der<br />

Paukenschlag sollte danach kommen.<br />

Vor etwas über zehn Jahren wurde bekannt, dass<br />

der Personalbetrieb in den Amsterdamer Brückenhäuschen<br />

eingestellt wird, da die Hafenverwaltung<br />

die Kanalschleusen künftig<br />

durch eine digitale Steuerung ersetzen<br />

wollte. Damit standen plötzlich 28 Wärterhäuschen<br />

zwischen dem Süden und<br />

Norden der Stadt leer. Gebaut wurden<br />

die Unikate, bis heute von den Amsterdamern<br />

kaum beachtet, von 1673 bis<br />

2009 in unterschiedlichen Stilen – sogar<br />

von bekannten Architekten wie Berlage<br />

und van Eyck. Für Oxenaar war die Umstellung<br />

die einzigartige Chance, ihr ungewöhnliches<br />

Hotelkonzept auf eine Klientel auszuweiten,<br />

die neue Erfahrungen sucht und die nötigen<br />

Ausgaben nicht scheut. Auf jeden Fall ließ sich<br />

die Kulturmanagerin auf ein ehrgeiziges und wagemutiges<br />

Projekt ein. Für die Sanierung und den Umbau<br />

der Brückenhäuser gewann sie das Amsterdamer<br />

Büro Space & Matter.<br />

Der Umbau der Häuser, deren Äußeres erhalten<br />

bleiben sollte, stellte ganz besondere Herausforderungen<br />

dar. Am Beispiel des „Bridge House<br />

Meeuwenpleinbrug“, von Dirk Sterenberg 1969 am<br />

Nord-Holland-Kanal errichtet, lässt sich nachvollziehen,<br />

wie Space & Matter mit der beengten Arbeitsfläche<br />

umging, um sie in ein mehr oder weniger<br />

behagliches Hotelzimmer zu verwandeln. Das<br />

Sterenberg-Häuschen fasziniert durch die moderne<br />

Eleganz einer über dem Kanal schwebenden weißen<br />

Kiste. Elegant ist auch das Entree, geschützt<br />

PREISE<br />

Aufenthalt<br />

ab<br />

<strong>12</strong>5 Euro<br />

pro Nacht<br />

durch das auskragende Dach sowie das Fensterband,<br />

das den Blick hinaus auf den Kanal und den<br />

Noorderpark lenkt. Zu Recht gilt das Wärterhaus mit<br />

seiner klaren Betonkonstruktion als ein gelungenes<br />

Beispiel des niederländischen Strukturalismus.<br />

Aber: Wer für eine Übernachtung zwischen <strong>12</strong>5 Euro<br />

und 290 Euro bezahlen will, sollte wissen, worauf er<br />

sich einlässt.<br />

Denn die Ausstattung ist, gemessen an durchschnittlichen<br />

Hotelzimmern, gelinde gesagt,<br />

grenzwertig. Man kann sich kaum vorstellen, dass<br />

dieser Raum im Normalfall ausreichend Platz für<br />

zwei Personen bietet. Gespart wurde an<br />

allen Ecken und Kanten. Entstanden ist<br />

eine minimalistische Raumökonomie, in<br />

der sich kaum die nötigsten Mitbringsel<br />

verstauen lassen. Die Trennwand zwischen<br />

Bad und Flur wurde aufgeschnitten,<br />

um im Zwischenraum Spiegel und<br />

Waschbecken unterzubringen. Wer in<br />

diesem Fall an Funktionalität denkt,<br />

muss schon recht fantasiebegabt sein.<br />

Und die Dusche? Weil die verschiebbare<br />

Duschtür eingespart wurde, tritt man<br />

nach dem Duschen auf Holzdielen und greift zum<br />

Wasserschieber, um den nassen Boden aufzuwischen.<br />

Eine weitere Kuriosität im Bad: eine Packung<br />

Ohropax. Die erweist sich angesichts des Lärms auf<br />

der vierspurigen Meeuwenpleinbrug als notwendige<br />

Bereicherung. Doch das Problem: Ohropax<br />

versagt leider bei den vibrierenden Betondecken<br />

der Brücke. Selbst die optimierte digitale Ausstattung<br />

macht die räumlichen Mängel nicht vergessen.<br />

Der Frühstücks-Service wurde, trotz des üppigen<br />

Preises, offenbar ein Opfer der Coronakrise.<br />

Auch daran sollte man denken. Dafür stand pünktlich<br />

um elf Uhr die lächelnde Reinigungskraft mit<br />

einem blauen Müllsack vor der Tür.<br />

Sweets Hotel „Meeuwenpleinbrug“<br />

Johan van Hasseltweg 150<br />

www.sweetshotel.amsterdam<br />

Text Klaus Englert

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