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10 - Digitale Bibliothek Braunschweig

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<strong>10</strong>060-332-3<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

BRAUNSCHWEIGISCHES<br />

JAHRBUCH<br />

IM AUFTRAGE DES<br />

BRAU N SCHWEl G ISCHEN GE SCHICHTSVEREIN S<br />

HERAUSGEGEBEN VON<br />

HANS GOETTING<br />

Der ganzen Reihe<br />

BAND 43<br />

Gedruckt in der Waisenhaus-Buchdruckerei <strong>Braunschweig</strong><br />

Po.tverlag.ort Wolfenbüttel<br />

1962<br />

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Ir -z \<br />

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..; .)


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Schriftleitung:<br />

Staatsarcbivrat Dr. Ham Goetting. Wolfenbüttel. Forstweg 2<br />

(Niedersäcbsiscbes Staatsarchiv)<br />

Zeitschriften -TauIchstelle :<br />

Regierungsrat i. R. Karl Mcyer. Wolfenbüttel, Wilhelm-Buscb-Str. 6<br />

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Die Hugenottengemeinde <strong>Braunschweig</strong> (11).<br />

Seite<br />

Von Wilhelm Be u I e Je e In Salzgitter-Tbiede ..........•.......•• <strong>10</strong>2<br />

Zur Geschichte der <strong>Braunschweig</strong>er Sektion der I. Internationale.<br />

Der Briefwechsel zwischen Leonhard von Bonhorst<br />

und lohann Philipp Becker.<br />

Mit S Abbildungen.<br />

Von Prof. Dr. Georg E c Je e r t In Braunsmweig •...••..........•.. 131<br />

Kleinere Beiträge<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Ein Altar des Hans Vredeman de Vries<br />

für die älteste Trinitatiskirche in Wolfenbüttel.<br />

Von Prof. Dr. August F i n k in Wolfenbüttel .•••.•....••..•..••. 173<br />

Der Unglücksschuß auf die Hofrätin Mencken<br />

und die Helmstedter Schützenbrüderschaft.<br />

Von Marta Ale hein Helmstedt .•.....•.••••..••.....•••. 177<br />

Bibliographie zur braunschweigischen Landesgeschichte 1961.<br />

Bearbeitet von Chrilta Neu man n In Wolfenbüttel ••••..•.•••••.•• 186<br />

Chronik des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins<br />

vom Mai 1961 bis März 1962.<br />

Bearbeitet von Dr. Ric:hard Mo der h a c Je und Dr. Theodor M ü I I e r<br />

In Brauruc:hweig . • . • • • . • • • • . • • ••••••••.•..•••••••••• 200<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

gezeigt am Beispiele des Rheinlandes. In: Zeitschrift für Erdkunde. Jg. 4. 1936.<br />

5.402-409.<br />

Zur unterrichtlichen Behandlung Negerafrikas. In: Zeischrift für Erdkunde.<br />

Jg. 4. 1936. S. 817-822.<br />

1937<br />

Das maTine Paläozän und Eozän in Norddeutschland und Südskandinavien.<br />

Berlin: Borntraeger 1937. 120 S .• 2 Kt. S. 80.<br />

Das nördliche Harzvorland. In: Zeitschrift für Erdkunde. Jg. 5. 1937. S. 961 bis<br />

973.<br />

Zwischen Dorf und Stadt: Amt und Flecken Tbedinghausen. In: Niedersachsen.<br />

hrsg. von Ewald Banse. Leipzig 1937. S. 277-287.<br />

1938<br />

Bergbau und Industrie. In: Deutschland. hrsg. von Ewald Banse. Leipzig 1938.<br />

S. 169-175'.<br />

Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Raabeschen Erzählung .. Zum wilden<br />

Mann". In: Mitteilungen für die Gesellschaft der Freunde Wilhelm Raabes.<br />

Jg. 28. Nr 3. 1938. S. 76-81.<br />

1941<br />

Bohlmann. R .• W. Kern u. Tb. Müller: Geschichte der Apotheken des Landes<br />

Braunsdtweig. <strong>Braunschweig</strong>: Vieweg 1941. 5'5' S. 8 0.<br />

1942<br />

Die Bergbaulandschaft am Nordrande des Kielcer Berglandes. In: Zeitschrift für<br />

Erdkunde. Jg. <strong>10</strong>. 1942. S. 372-381. .<br />

Zur Methodik des Heimatkundeunterrichts. In: Die Deutsche Volksschule im<br />

Generalgouvernement. Jg. 1. 1942. S. 49-5'6.<br />

Bilder aus der Landeskunde des Generalgouvernements. In: Die Deutsche<br />

Volksschule im Generalgouvernement. Jg. 1. 1942. S. 145'-149.<br />

Krakau. Werden und Bild der Hauptstadt des Generalgouvernements. In: Die<br />

Deutsche Volksschule im Generalgouvernement. Jg. 1. 1942. S. 217-225'.<br />

Warschau. Vom Fischerdorf zur größten Stadt des Weichselraumes. In: Die<br />

Deutsme Volksschule im Generalgouvernement. Jg. 1. 1942. S. 244-249.<br />

Zur Geschichte der Eisenerzgewinnung im Kielcer Bergland. In: Das Generalgouvernement.<br />

Jg. 2. H. 4. 1942. S. 18-27.<br />

1943<br />

Lublin. In: Die Deutsme Volksschule im Generalgouvernement. Jg. 2. 1943.<br />

S.73-79.<br />

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7


Das Waldhufendorf als Denkmal der deutsmen mittelalterlimen Landnahme.<br />

In: Die Deutsme Volkssmule im Generalgouvernement. Jg. 2. 1943. S. 129<br />

bis 136.<br />

Burgenlandsmaften im Generalgouvernement.!. Die Burgen am Dunajec. II. Die<br />

Burgen des Krakauer Jurazuges. In: Die Deutsme Volksschule im Generalgouvernement.<br />

Jg. 2. 1943, S. 169-177. 218-225.<br />

Die Hohe Straße von Krakau nam Sandomir. In: Das Generalgouvernement.<br />

Jg. 3. H. 1. 1943. S. 12-2I.<br />

Tarnow. Werden und Entwicklung. In: Das Generalgouvernement. Jg. 3. H. 4.<br />

1943. S. 16-2I.<br />

Landeskunde des Generalgouvernements. Krakau : Burg-Ver!. 1943. 13 5 S .•<br />

1 PI., gr. 8 0.<br />

1944<br />

Die Weidlsel als SmiHahrtsweg in Vergangenheit und Gegenwart. In: Die<br />

Deutsme Volkssmule im Generalgouvernement. Jg. 3. 1944. S. 16-22. 63-65.<br />

Tschenstomau. In: Das Generalgouvernement. Jg. 4. H. 1. 1944. S. 28-36.<br />

1950<br />

Erdstruktur und Bodenschätze [des Kreises Gifhorn]. In: Kreiskalender Gifhorn­<br />

Isenhagen. 1950. S. 97-<strong>10</strong>l.<br />

Martin Bürgener. Tb. Müller [u. a.]: Die deutsmen Länder in ihrer naturräumlimen<br />

Groß gliederung. In: Geographismes Tasmenbum1950. S. 168-186.<br />

1951<br />

Die Deutsme Erdölwirtschaft. In: Geographisches Taschenbum1951/52. S. 261<br />

bis 265.<br />

Poser. Hans u. Tb. Müller: Studien an den asymmetrischen Tälern des Niederbayerismen<br />

Hügellandes. Göttingen: Vandenhoeck &: Ruprecht 1951. 32 S. =<br />

Nadlrlmten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Math.-Phys.<br />

Klasse. 1951. Nt 1.<br />

[Mitarbeiter] Vierzonenverwaltungskarte von Deutscllland mit naturräumlicher<br />

Gliederung. (Wiesbaden: Hess. Landesvermessungsamt 1951.)<br />

Landschaftspflege und Landschaftsgestaltung. In: Berichte zur deutschen Landeskunde.<br />

Bd <strong>10</strong>. 1951. S. 64-66.<br />

1952<br />

Ostfälisclle Landeskunde. <strong>Braunschweig</strong>: Waisenhaus-Buchdr. u. VerI. 1952.<br />

532 S. So.<br />

8<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

1953<br />

Heimatkarte Stadt- und Landkreis <strong>Braunschweig</strong>. <strong>Braunschweig</strong>-Rautheim:<br />

Stüwe [1953], 1 BI.<br />

Die "Alte Wik" bei Campen. In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch. Bd 34. 195'3.<br />

S.145-141.<br />

Wirtschaftsfunktion und Sozial gefüge der Stadt <strong>Braunschweig</strong> in Vergangenheit<br />

und Gegenwart. In: Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft zu Hann.over für<br />

das Jahr 1953, S. 130-149.<br />

Der Landkreis Goslar in seiner historisch-topographischen Zusammensetzung. [Referat.]<br />

In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch. Bd 34. 1953. S. 157.<br />

Das nördliche Harzvorland. Eine kleine Heimatkunde. <strong>Braunschweig</strong>-Rautheim:<br />

Stüwe [1953], 16 S. 80. - 3. Auf!. [u. d. T.:] Zwischen <strong>Braunschweig</strong> und Harz.<br />

Das nördliche Harzvorland. <strong>Braunschweig</strong>-Rautheim: Stüwe 1957, 24 S ..<br />

1 Kt. 8°.<br />

1954<br />

Schiffahrt und flößerei auf der Schunter im 18. Jahrhundert. In: Forschungen<br />

zur braunschweigischen Geschichte und Sprachkunde. <strong>Braunschweig</strong> 1954, S. 135<br />

bis 159. (Quellen und Forschungen zur <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichte. Bd 15.)<br />

Die ostfälische Landschaft im Werk Wilhelm Raabes. In: Mitteilungen der<br />

Raabe-GeseUschaft, Jg. 41, H. 3, 1954, S. <strong>10</strong>1-1<strong>10</strong>.<br />

Ein alter Handelsplatz an der Schunter? In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch, Bd 35,<br />

1954. S. 153-155.<br />

1955<br />

215 Jahre braunschweigisches Amt Thedinghausen. In: Heimatbote des Landkreises<br />

<strong>Braunschweig</strong> 195), S. 45-48.<br />

Die Schunter und das Schuntertal im 16. bis 18. Jahrhundert. In: <strong>Braunschweig</strong>i-sche<br />

Heimat, Jg. 41. H. 2. 1955, S. 50-57.<br />

Die Kultivierung der Moore im Schuntergebiet zwischen Helmstedt und Königslutter<br />

bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In: <strong>Braunschweig</strong>ische Heimat, Jg.<br />

41, H. 4, 1955, S. <strong>10</strong>7-1<strong>10</strong>.<br />

Ostfalen. Eine landeskundliche Skizze. In: Berichte zur deutschen Landeskunde,<br />

Bd 15, 1955, S. 81-93.<br />

1956<br />

Asse - Elm - Lappwald. Eine kleine Heimatkunde. <strong>Braunschweig</strong>-Rautheim:<br />

Stüwe [1956}, 16 S., 1 Kt. 80.<br />

Die Kultivierung der Moore im Schuntergebiet zwischen He1mstedt und Königs-<br />

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9


lutter im 19. Jahrhundert. In: Braunsdtweigisdte Heimat. Jg. 42. H. 3. 1956.<br />

S.111-115.<br />

Das Land und seine Mensdten. In: Braunsdtweig - schaffendes Land. OIdenburg/Oldb.<br />

[1956]. S. 17-18.<br />

Geologisdte Geschichte - Pflanzenwelt - Tierwelt - Natursdtutz. In: Braunsdtweig<br />

- sdtaffendes Land. 01denburg/Oldb. [1956]. S. 46-47.<br />

Zur Gesdtidtte des Eisenerzbergbaues bei Neuwallmoden. In: <strong>Braunschweig</strong>isdtes<br />

Jahrbuch. Bd 31. 19%. S. 145-1H.<br />

1957<br />

Innerste-Bergland. In: Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutsdtlands.<br />

Hg. 4/5. Remagen 1957. S. 598-600.<br />

Braunsdtweig und Umgebung. Eine kleine Heimatkunde. Braunsdtweig-Rautheim:<br />

Stüwe [1957]. 24 S .• 1 Kt. 8°.<br />

Die Gesdtidtte der Geographie am Collegium Carolinum zu Braunsdtweig 1745<br />

bis 1834. In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch. Bd 38. 1951. S. 75-94.<br />

Ein historisdter Atlas der Stadt Braunsdtweig. In: Braunsdtweigisdtes Jahrbudt.<br />

Bd 38, 1957, S. 150-154. 3 KtenbeiI.<br />

Dowesee und Bullenteidt. In: Der Freundeskreis des Gr. Waisenhauses <strong>Braunschweig</strong>.<br />

H. 21. 1957. S. 3-6.<br />

1958<br />

Die Kultivierung der Niederungen im Westteil des Kreises <strong>Braunschweig</strong> 1743<br />

bis 1832. In: Heimatbote des Landkreises <strong>Braunschweig</strong> 1958. S. 39-58.<br />

Der Wirtschaftsraum <strong>Braunschweig</strong>-Helmstedt. In: Geographisdte Rundschau.<br />

Jg. <strong>10</strong>. Nr 2.1958. S. 41-49.<br />

Ewald Banse zum Gedächtnis. In: Der Freundeskreis des Gr. Waisenhauses<br />

<strong>Braunschweig</strong>, H. 22. 1958, S. 4-5.<br />

Der Harz. Eine kleine Heimatkunde. <strong>Braunschweig</strong>-Rautheim: Stüwe [1958].<br />

32 S .• 1 Kt. 80. - 3. Aufl. 1959.<br />

Wilhelm Raabe und der Eisenhahnknotenpunkt Börßum. In: Mitteilungen der<br />

Raabe-Gesellsdtaft. Jg. 45. H. 3.1958. S. 78-81.<br />

1959<br />

Ostfalenland. Eine Heimatkunde des landes zwischen Harz. Weser und Aller.<br />

Braunsdtweig-Rautheim: Stüwe 1959. 96 S. 80. - 2. Auf!. 1961.<br />

(Hoppe, Kar! und Tb. Müller:) Technisdte Hodtschule Carolo-Wilhelmina<br />

<strong>10</strong><br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

<strong>Braunschweig</strong>. Kurzer Abriß ihrer Geschichte. (Braumroweig) 1959 (:Waisenhaus-Buchdr.),<br />

<strong>10</strong> BI. 8 o.<br />

Nordöstliches Harzvorland und Bodeniederung; Nördliches Harzvorland;<br />

Niedersächsische Börden. In: Handbuch der naturräumlichen Gliederung<br />

Deutschlands, Lfg. 6, Remagen 1959, S. 765-782.<br />

Johann Christoph Harenbergs Tätigkeit als braunschweigischer GeneraIschulinspektor<br />

1736-1756. In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch, Bd 40, 1959, S. 88<br />

bis 116.<br />

Zur Geschichte der Schiffahrt und Flößerei auf der Oker und ihren Nebenflüssen.<br />

[Referat.) In: <strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch, Bd 40, 1959, S. 167-168.<br />

1960<br />

Die Burg Thedinghausen. In: Heimatbote des Landkreises <strong>Braunschweig</strong> 1960,<br />

S. 5'6-63.<br />

Blaunschweiger Bürgerkultur zur Biedermeierzeit: Friedrich Konrad Griepenkerl.<br />

In: Der Freundeskreis des Gr. Waisenhauses <strong>Braunschweig</strong>, H. 28, 1960,<br />

S. 50-5'3.<br />

Wilhe1m Bode 1779-1854. In: Niedersächsische Lebensbilder, Bd 4, Hildesheim<br />

1960, S. 31-43.<br />

Zur Geschichte des Herzoglichen Kadetten-Institutes in <strong>Braunschweig</strong>. In:<br />

<strong>Braunschweig</strong>isches Jahrbuch, Bd 41, 1960, S. 96-119.<br />

Vom Collegium Carolinum zur Technischen Hochschule. [Referat.] In: <strong>Braunschweig</strong>isches<br />

Jahrbuch, Bd 41, 1960, S. 148-150.<br />

1961<br />

Die Schunterkorrektion 1816-1823. In: Heimatbote des Landkreises <strong>Braunschweig</strong><br />

1961, S. 34-41.<br />

Bilanz zweier Jahrhunderte. Zur Geschichte des Bankhauses Gebrüder Löbbecke<br />

&. Co. (<strong>Braunschweig</strong> 1961: Westermann,) 124 S. 8 o.<br />

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11


Die Korrespondenzmethode als Mittel zur Quellenkritik<br />

der <strong>Braunschweig</strong>isdIen Generallandesvermessung<br />

des 18. Jahrhunderts<br />

Von<br />

Johann Kar! Rippel<br />

Die regelmäßig auftretende Nachbarschaft der Besitzparzellen geteilter oder aufgeteilter<br />

Höfe (Flurkorrespondenz) läßt sich mit Hilfe einer Flurtabelle (vgl. Tab. 1-3)<br />

statistisch erfassen und kann innerhalb bestimmter, durch mathematische Zusammenhänge<br />

gegebener Grenzen methodisch zunächst herangezogen werden, um das ältere aus<br />

dem Parzellengefüge sich ergebende Flurgefüge und die Lage der alten Höfe im Dorf zu<br />

rekonstruieren, ebenso aber auch zur Beantwortung der Frage, ob das Parzellengefüge<br />

der benutzten Flurkarten im Zuge einer Vennessung oder auch schon vorher verändert<br />

worden ist.<br />

Ich hatte Gelegenheit, über diese Probleme anläßlich des internationalen Symposiums<br />

zur Genese der agraren Kulturlandschaft in Vadstena/Schweden (August 1960) zusammenfassend<br />

zu berichten. Im Rahmen der Veröffentlichung der Vorträge konnte<br />

jedoch aus Raumgründen nur die Beschreibung der Korre5pondenzmethode publiziert<br />

und die Grenzen ihrer Anwendbarkeit zur Rekonstruktion älterer Flur- und Dorfverhältnisse<br />

kritisch herausgestellt werden '0).<br />

Der vorliegende Aufsatz behandelt den im Vortrag nur knapp zusammengefaßten<br />

zweiten Anwendungsbereich der Korrespondenzmethode. Die Methode liefert ein<br />

Beweismittel im Rahmen der Quellenkritik der <strong>Braunschweig</strong>ischen Generallandesvermessung<br />

des 18. Jahrhunderts und kann auch die Anregung zu den Fragen geben, ob in<br />

älterer Zeit auch in anderen Gebieten mit weit unvollständigerer Quellenüberlieferung<br />

Verkoppelungen oder Zusammenlegungen stattgefunden haben und ob diese Eingriffe in<br />

das Parzellengefüge mit Hilfe der im Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> bei reichhaltigem<br />

Quellenmaterial entwickelten und erprobten Korrespondenzmethode auch aus anderen<br />

Flurkarten bewiesen werden können.<br />

Für die Flurformenforschung bieten die physisch-geographischen Verhältnisse<br />

zusammen mit alten Flurkarten, Akten und Urkunden sowie - vor allem bei<br />

Wüstungen - mit Funden und fossilen Formen gleichbedeutende methodische<br />

Ansatzpunkte für die Auswertung. Quellenkritisch betrachtet ist das Material<br />

nach seiner Art jedoch verschieden aussagekräftig. Entweder sind Tatsachen<br />

überliefert oder ausgesprochen, die bereits als Ergebnis für sich sprechen,<br />

ooer das Material bedarf, wie z. B. Akten und Urkunden, einer Kritik, um die<br />

Gültigkeit zu fixieren und abzugrenzen. Alte FIurpläne gehören nur für den<br />

Zeitpunkt ihrer Aufnahme zur ersten Gruppe; zur Rekonstruktion zurückliegender<br />

Zustände verlangen sie eine Kritik im Hinblick auf die Fral!"e, ob sich<br />

die Flur kontinuierlich entwickelt hat oder ob das Parzellengefüge Eingriffe in<br />

12<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

die Besitzstruktur erkennen läßt. Die Leistungsfähigkeit der von mir aus den<br />

Feldbeschreibungen der <strong>Braunschweig</strong>ischen Generallandesvermessung zusammengestellten<br />

Flurtabellen - also "schematischer Flurkarten" - liegt unter<br />

anderem gerade darin, solche einmalig gesetzten Gefüge kenntlich zu machen.<br />

Allgemein bildet der in den VerkoppeIungskarten des 19. Jahrhunderts wiedergegebene<br />

"alte" Zustand den Ausgangspunkt der Untersuchungen. Im ehemaligen<br />

Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> besteht hingegen die günstige Gelegenheit, um<br />

<strong>10</strong>0 Jahre ältere Flurkarten zu verwenden, die noch nicht die starken Veränderungen<br />

der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts enthalten, die bei der Auswertung<br />

der üblichen Verkoppelungskarten hinderlich sind.<br />

Die Feldrisse (1 : 4000) der <strong>Braunschweig</strong>ischen Generallandesvermessung<br />

entstanden von 1746-1784 unter der "Fürstlichen General-landes-Vermessungs-Kommission"<br />

zusammen mit ausführlichen Dorf-. Feld- und Wiesenbeschreibungen.<br />

Bekanntlich hatte die Vermessung u. a. den Zweck, "daß die<br />

Untertanen die zerstreut liegenden Äcker beieinander bekommen" (C. Gesenius<br />

1803, Beil. 1, S. 3) 2). In welchem Maße dieses Postulat jedoch durchgeführt<br />

wurde, darüber herrscht Unklarheit. Es ist also notwendig, zum Verständnis den<br />

Stand der Diskussion in der Literatur vorauszuschicken.<br />

Schon A. Meitzen (1895,1, 5.117; III, S. 65; Atlas zu Bd IlI. Anl. 19) 8).<br />

fußend auf C. Gesenius. benutzte die Feldrisse der <strong>Braunschweig</strong>ischen Generallandesvermessung<br />

und beschreibt z. B. Wittmar (ostw. Wolfenbüttel) als verkoppelte<br />

Flur, in der "mehrere alte Gewanne zusammengeworfen, auch die<br />

Gewanngrenzen geändert worden" sind, "so daß sich die lage des früheren<br />

Besitzstandes nicht herstellen läßt". Seitdem erfuhr die Generallandesvermessung,<br />

was ihren historisch-geographischen Aussagewert betrifft, bis in die<br />

jüngste Gegenwart eine gegensätzliche Bewertung.<br />

K. Maßberg (1930, S. 9) 7) zitiert zwar die Arbeiten von C. Gesenius und<br />

A. Meitzen, geht jedoch mit der Begründung. daß die Ortschaften östlich und<br />

westlich Wolfenbüttel - u. a. Wittmar - seit dem 12. Jahrhundert grundherrlichen<br />

Streubesitz hatten, von der Annahme aus. daß damit eine durchgreifende<br />

Feldmarkänderung unmöglich gewesen sei. Durch diese Prämisse geblendet,<br />

verliert K. Maß berg den Blick zur kritischen Bewertung de,r geforderten<br />

Maßnahmen (vgl. C. Gesenius 1803. Beil. I) 2) für die Vermessung überhaupt<br />

und behauptet, die sehr umfangreichen Ackergewanne seien nicht das Ergebnis<br />

der Vermessung (K. Maßberg 1930, S. 12) 7). Er stützt seine Aussage auf einen<br />

Analogieschluß, indem er die Größe der Wannen in anderen braunschweigischen<br />

Landesteilen vergleichsweise heranzieht. Aber gerade solche Schlüsse sind wegen<br />

der unterschiedlichen Handhabung der Vermessung nicht statthaft. Wie noch zu<br />

zeigen ist, kann die Frage, ob verkoppelt wurde oder nicht, nur gemarkungsweise<br />

untersucht und beantwortet werden.<br />

K. Maß berg wäre sicher' zu anderen Ergebnissen gekommen und hätte die<br />

Feldrisse der Generallandesvermessung vorsichtiger beurteilt, wenn die Arbeit<br />

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13


von H. Voges (1937) 23), die sich speziell mit der Allgemeinen Landesvermessung<br />

und der ersten Verkoppelung im Lande <strong>Braunschweig</strong> im 18. Jahrhundert<br />

befaßt, damals schon zur Verfügung gestanden hätte. H. Voges verfolgt die<br />

Arbeit der Landesvermessungskommission allerdings nur einseitig an Hand der<br />

Akten des Geheimen Rates *) und behandelt im einzelnen auch nicht die Feldrisse,<br />

so daß er zwar das Ziel der Vermessung, nämlich die Neueinteilung der<br />

Wannen innerhalb des Ackerlandes und die Zusammenlegung der darin befindlichen<br />

Äcker gebührend hervorhebt, aber daraus keine geographischen Folgenmgen<br />

zieht, sondern überraschend feststellt, daß die Karten "für die Forschungen<br />

auf dem Gebiete der Siedlungs- und Agrargeschichte und der geschichtliChen<br />

Entwicklung des Landschaftsbildes benutzt" werden können, Forschungen, bei<br />

denen "der Blick weiter zurückreicht bis ins erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung".<br />

Ganz unerwartet faßt H. Voges zusammen: "Gerade im Hinblick<br />

auf diese Forschung steht der Wert der Ergebnisse der Allgemeinen Landesvermessung<br />

weit über denen außerbraunschweigischer Landesvermessungen UI1.d<br />

wird richtig und in vollem Umfange erst in der Zukunft gewürdigt werden"<br />

(vgI. H. Voges 1937, S. HiSS) 23).<br />

Es wundert deshalb nicht, daß die jüngere Forschung, wie z. B. Th. Müller<br />

(1952, S. 166, 169, 176 f.) 12), auf H. Voges und K. Maßberg aufbaut. H. Pohlendt<br />

(1954, S. 185) 16) spricht zwar von der streng regulierten schematischen<br />

Wannenflur des Fleckens Hessen und wirft die Frage auf. ob die zahlreichen<br />

Feldwege erst eine Folge der Neuvermessung wären. Das Problem der Verkoppelung<br />

wird dagegen nicht berührt, ist ihm jedoch durchaus bekannt; denn<br />

H. Pohlendt schreibt in einer jüngeren Veröffentlichung (1951, S. <strong>10</strong>8) 17): die<br />

<strong>Braunschweig</strong>ische Landesvermessung "hatte nicht immer eine Neuverteilung des<br />

Besitzes zur Folge", während U. Oberbeck-Jacobs (1957, S. 116) 14) ausdrücklich<br />

feststellt, daß "Gewanne geringfügig begradigt, Feldwege gerichtet und allzu<br />

zersprengt gelegene BesitzparzeIlen zusammengelegt" wurden und somit in den<br />

Flurformen keine "schwerwiegenden Veränderungen" eingetreten seien. Die Ansichten<br />

zu diesem Problem von R. Lüderßen (1881, S. 26 und 89-91) 6) und von<br />

H. J. Fr. von Schrader (1836, S. 3-53) 21) und die Festgabe für die Mitglieder<br />

der XX. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe (1858, S. 252 f. und<br />

Karten) 24) finden in der jüngeren Literatur keine Berücksichtigung mehr, obwohl<br />

gerade von Schrader als Oberappellationsrat in Wolfenbüttel- noch quasi<br />

als Zeitgenosse der Landesvermessung - seinen Aufsatz als Jurist um 1800<br />

niederschrieb. Die Ausführungen von H. Voges bauen weitgehend auf dieser<br />

VeröffentlidlUng auf.<br />

*) Ihm sind die Geschäftsakten der Kommission aus unerfindlichen Gründen unbekannt<br />

geblieben (vgl. E. Pitz 1957, S. 147) 16), obwohl er seinerzeit Direktor des ehemaligen<br />

Landeshauptarchivs Wolfenbüttel war. Die Akten lagern seit ihrer Ablieferung<br />

unter L Alt Abt. 58. Seit August 1958 stehen sie, ,"on E. Pilz neu geordnet und mit<br />

einem neuen Findbuch versehen, besser aufgeschlüsselt zur Verfügung.<br />

14<br />

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Erst die 1954 durch die Historische Kommission für Niedersachsen in Gang<br />

gebrachte Publikation der Feldrisse im Maßstab und Blattschnitt der Topographischen<br />

Karte1: 25 000 (vgl. KIeinau, H., Th. Penners und A. Vorthmann<br />

1956) S), durch die ein Werk geschaffen wird, welches der Fmschung Anregung<br />

bieten und dem auf geographischer Grundlage arbeitenden Historiker eine<br />

Arbeitskarte mit möglichst weit zurückreichender Situation höchster Genauigkeit<br />

-leider jedoch ohne Parzellengrenzen - bieten soll (vgl. 1956, S. 2) S),<br />

bramte die Diskussion um den Wert der Kartengrundlagen neu in fluß. H.<br />

Kleinau und Th. Penners (a. a. 0., S. 5/6) lösen sim vom Soll der Instruktion<br />

und erkennen im tatsächlichen Befund "vor allem eine Zusammenlegung der oft<br />

stark zersplitterten bäuerlimen Besitzteile und in Verbindung damit eine Rationalisierung<br />

der Wanneneinteilung", geben jedoch keine methodischen Hinweise<br />

zum Namweis der Veränderungen in den Fluren, die entweder einen "bereits<br />

älteren Zustand oder das Anfangsstadium der modernen Entwicklung zeigen",<br />

sondern überlasren es speziellen Nachforschungen festzustellen, "welchen Umfang<br />

ggf. die regulierenden Eingriffe hatten" *). E. Pitz (1957, S. 148) 15) fordert<br />

indessen im Hinblick auf die wissenschaftliche Bedeutung und unter Hinweis auf<br />

den hohen Wert der Gesmäftsakten der GeneraUandesvermessungskommission<br />

ausdrücklim die Prüfung des Quellenwertes der Risse und Beschreibungen. Die<br />

gt'ographisme Konsequenz des Postulats von E. Pitz ist die von mir bereits in<br />

meinem Vortrag in Vadstena angeregte Sehaffung einer gemeindeweisen Übersieht,<br />

für welme die Anwendung der Korrespondenzmethode ein zentrales<br />

Beweismittel darstellt.<br />

Kritik der <strong>Braunschweig</strong>lscl!en Generallandesvermessung<br />

Für das ehemalige Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> liefert die günstige Quellenlage<br />

drei Ansatzpunkte zur kritischen Betramtung der Generallandesvermessung.<br />

Diese sind:<br />

1. der Wille des Gesetzgebers (Verordnungen, Instruktionen),<br />

2. das Ergebnis der Vermessung (Feldrisse im Maßstab 1 : 4000 sowie Dorf-,<br />

Feld- und Wiesenbeschreibungen),<br />

3. die Tätigkeit der Fürstlimen General-Landes-Vermessungs-Kommission<br />

(Gesmäftsakten und Protokolle der Vermessungsbeamten).<br />

Methodisch ist diese Gliederung zweckmäßig; denn die Möglidtkeit, einen<br />

Befund wemselseitig durm die Ergebnisse der anderen Beweismittel zu bestätigen,<br />

mamt die Aussagen der braunschweigischen Feldrisse weitgehend nachprüfbar<br />

und kann Verfahrensweisen für Gebiete liefern, in denen jedes Ergebnis<br />

allein nur aus Flurkarten zu gewinnen ist. Aus diesem Grunde werden auch die<br />

.) H. Klelnau (1961) ') weist in seiner sehr genauen Arbeit über Runstedt (Lkr.<br />

Helmstedt) auf umfangreiche Flurveränderungen im 18. Jahrhundert hin.<br />

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15


punktiert:<br />

neue Wannengrenze<br />

schraffiert:<br />

überschießende Stücke<br />

zerschnittener Parzellen<br />

Abb. 1: Neueil1teilullg der Wal1l1el1grel1ul1 (schematisch)<br />

Die Generallandesvermessung erfaßte die einzelnen Äcker und Ackerstücke jedes Bauern<br />

innerhalb der neu abgesteckten Wannengrenzen.<br />

die Besitzfläche jedes Bauern in jeder Wanne, die Gesamtfläche jeder Wanne.<br />

der ganzen Ackerflur. und außerdem die gesamte Ackerfläche jedes Bauern in<br />

aUen Feldern ergaben (§ 20). Gleichzeitig mußte der Feldmesser jede Wanne<br />

vermessen, damit die von den Bauern angegebenen Flächen der wirklich<br />

vermessenen Wannenfläche gegenübergestellt werden konnten, und er hatte<br />

dann einen "einfachen Riß" (§ 23) anzufertigen, der nur die Grenzen der<br />

Wannen und Felder wiedergab. (Von diesen Rissen ist kein einziger überliefert.)<br />

Von entscheidender Wichtigkeit ist. daß die wannenweise Summierung der Länderei<br />

jedes Bauern bereits eine Zusammenlegung auf dem Papier darstellt, die<br />

dann Ausgangspunkt aller weiteren Arbeiten wurde. Die Feststellung der<br />

Parzellenflächen durch Befragung der Besitzer führte nicht nur zu einer bedeutenden<br />

Vereinfachung der Katastrierung, sondern war eine geniale Möglichkeit.<br />

eine Speztalvermessung der noch nicht durch Grenzsteine festgelegten und<br />

deshalb sehr unregelmäßigen Parzellenformen nach dem alten Flurzustand zu<br />

umgehen und von vorne herein die Lawine der um jeden Quadratmeter zu<br />

erwartenden Einsprüche auszuschalten.<br />

Erst wenn der .. einfache Riß", also die Neueinteilung der Ackerflur und die<br />

beigegebene Tabelle. die für jede Wanne die von den Bauern angegebene und<br />

dann vom Feldmesser wirklich festgestellte Fläche enthielt. von der Vermes-<br />

18<br />

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sungskommission begutachtet worden war und sie sich mit der vorgeschlagenen<br />

Neueinteilung der Wannen einverstanden erklärt hatte, wurde die Verteilung<br />

der Besitzreihenfolge vorgenommen (§ 23). Doch soIlte nach § 2, noch vor Eintreffen<br />

des Bescheides versucht werden, daß diejenigen, die nur einen oder<br />

wenige Morgen in einer Wanne besaßen, in die Wannen tauschen solIten, in<br />

denen sie mehr Land hatten, um sich so besser arrondieren zu können. Dieser<br />

völlig freiwillige Akt, bei dem auch die Flurnachbarn mitzusprechen hatten,<br />

steht im Gegensatz zu der nach Eintreffen der "Verwilligung" innerhalb der<br />

Wannen vorzunehmenden Verteilung des Ackerlandes. Das Los sollte über die<br />

Reihenfolge der Interessenten entscheiden. Um Ungleichmäßigkeiten auszuschalten,<br />

mußte jedoch schon vor der Verlosung jeweils die Lage von ParzelIe<br />

Nr. 1 der betreffenden Wanne festgelegt werden. Bei der Verlosung selbst gab<br />

es verschiedene Einschränkungen: Wer Land an einem Weg oder Graben besaß,<br />

konnte durch die übrigen Interessenten vom Los ausgeschlossen werden (§ 27).<br />

Mit Hecken oder Gräben umgebene, gesondert gelegene Kämpe sollten nur vermessen<br />

und nicht mit in die Verteilung einbezogen werden (§ 28), ebenso<br />

ParzeIlen, die an einem Ende einer Wanne lagen und <strong>10</strong> oder mehr Morgen<br />

zählten (§ 29).<br />

Nicht nur die Zusammenfassung der Parzellen, die Verlosung der Besitzreihenfolge<br />

und der geforderte Landtausch konnte bei strikter Durchführung der<br />

Vermessung das Parzellengefüge ändern, sondern es führte auch die oftmals von<br />

Wanne zu Wanne unterschiedliche Differenz zwischen angegebener und gemessener<br />

Fläche bei einer zu groß geschätzten Wannenfläche (minus) zur Verlegung<br />

von Besitzanteilen in eine andere Wanne desselben Feldes mit einem<br />

"Flus" oder umgekehrt. Das Feld (Zelge) war jeweils die obere Einheit, in der<br />

ausgeglichen wurde (§ 33). Der Staat verfolgte dabei das Prinzip, die durch<br />

Messung sich ergebenden Überschüsse als "Überschußland" für spätere Verwendung<br />

in eigener Hand zu behalten (§ 38, vg1. auch § 36) und bei einem "Minus"<br />

jedem Bauern anteilig weniger Land zu geben (§ 32). Der erwähnte Landtausch<br />

und der Ausgleich der Besitzflächen zwischen Wannen mit "pius" und "minus"<br />

Hißt sich den Feldbeschreibungen entnehmen (vg1. Anlage D zu § 52).<br />

Die Instruktion setzt weiterhin fest, daß bei der Einteilung der Wannen auf<br />

eine gute Entwässerung zu achten ist (§ 31), woraus sich die flurgeographisch so<br />

Wichtige Tatsache ergibt, daß die ParzelIen in GefälIsrichtung angelegt werden<br />

solIten. Das Land der "kleinen Leute", die wegen der neuen großen Wannen nur<br />

sehr schmale Parzellen bekommen könnten, sollte entweder an einer Stelle der<br />

Flur konzentriert oder die Parzellen nur bis in die Hälfte der Wanne und somit<br />

doppelt breit gezogen werden (§ 39).<br />

Die vorstehend diskutierte Instruktion stammt aus dem lahre 1755, wurde<br />

also neun lahre nach Gründung der GeneralIandesvermessungskommission erlassen.<br />

K. Maßberg CI 930, S. 12) 7) sdlließt hieraus und ebemo aus der vorläufigen,<br />

die GeneralIandesvermessung betreffenden Verordnung von 1746<br />

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19


sowie der zugehörigen Instruktion, in denen keine Angaben über eine beabsichtigte<br />

Zusammenlegung von Ackerland enthalten sind, daß in den neun Jahren<br />

zuvor keine grundlegenden Veränderungen im Zuge der Vermessung stattgefunden<br />

hätten.<br />

H. J. Fr. von Schrader (1836, S. <strong>10</strong> 21 ), vgl. auch H. Voges 1937, S. 26 23 ))<br />

stellten indessen fest, daß die Instruktion von 1755 trotz ihrer allgemeinen<br />

Wichtigkeit nicht auf dem üblichen Verordnungswege gedruckt veröffentlidlt,<br />

sondern den Beamten der Vermessungskommission nur abschriftlich weitergegeben<br />

wurde. Auch die Gründung der Vermessung;kommission im Jahre 1746<br />

drang nach H. Voges offenbar kaum in die Öffentlichkeit; die Landstände<br />

setzten ihre Teilnahme an diesem so wichtigen Unternehmen erst 1770 durch<br />

(H. Voges 1937, S. 21 23 ), vgl. auch H. J. Fr. von Schrader 1836, S. 7 21 )). Man<br />

darf daraus wohl schließen, daß das Vorhaben absichtlich nkht so genau publik<br />

gemacht wurde, weil man noch alle Erfahrungen sammeln und mit Widerständen<br />

rechnen mußte und deshalb die Landesvermessung nicht gleich zu Beginn<br />

der allgemeinen Kritik aussetzen wollte. Dieser "Verschleierungspolitik" dürfte<br />

auch K. Maßberg zum Opfer gefallen sein. Die von ihm herangezogenen Feldrisse<br />

und Feldbeschreibungen der Vogtei Groß Denkte geben keinerlei Gnmdlage,<br />

eine Neuordnung des Vermessungswesens im Jahre 1755 anzunehmen,<br />

sondern beweisen gerade das Gegenteil. Die Instruktion ven 1755 scheint viel<br />

eher die inzwischen übliche Praxis für den sdmellen und reibungslosen Fortgang<br />

der Arbeiten juristisch fixiert zu haben; denn, wenn K. Maßbergs Annahme zuträfe,<br />

müßten die vor 1755 vermessenen, vermeintlich unverkoppelten Feldfluren<br />

Wittmar (1752), Sottmar (1747), Klein Denkte (1747) und Mönchevahlberg<br />

(1748) ein auffällig anderes Wannen- und Parzellengefüge besitzen als Groß<br />

Denkte (1761), RemIingen (1764) oder Semmenstedt (1755). Inzwischen konnte<br />

H. Voges (1937, S. 21) 23) belegen, daß bereits 1747 auch eine Neuverteilung<br />

des Ackerlandes vorgenommen wurde. Einige Verordnungen sind ausdrücklich<br />

auf Befürchtungen der Bauern zurückzuführen, bei der Neuverteilung der Ackerstücke<br />

in der Feldmark benachteiligt zu werden (St. A. Wb. Sig Abt. 40 Nr. 6954<br />

vom 27.6.1747; Nr. 7236 vom 18.11. 1749). So versuchte man 1747, den umlaufenden<br />

Gerüchten entgegenzutreten und den Leuten "zu versichern, daß<br />

durch die Vermessung und Einteilung, wie die Erfahrung bei den vermessenen<br />

Dörfern zeiget, jeder verbessert werde". Es steht also fest, daß sich die Ziele der<br />

Vermessung seit dieser Zeit nicht mehr geändert haben.<br />

Die besprochene Instruktion von 1755 gibt also endgültig Aufschluß über das<br />

gesamte Vorhaben und die Reihenfolge der im einzelnen durchzuführenden<br />

Vermessungsarbeiten; doch bietet sie dem Historiker und Siedlungsgeographen<br />

nicht verbriefte Fakten bereits abgeschlossener Handlungen, sondern sie fixiert<br />

Maßnahmen, die erst getroffen werden sollen. Die wichtigsten Eingriffe in das<br />

Flurgefüge sind:<br />

20<br />

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Zur Kritik der <strong>Braunschweig</strong>ischen Generallandt'svennessung genügt als<br />

Zeichen einer über längere Zeit ungestörten Flurentwicklung zunädlst der Nachweis<br />

von Flurkorrespondenzen und, wenn diese fehlen, die Feststellung ganz<br />

bestimmter ParzeUengefüge. Dabei interessiert nicht das Ergebnis des ersten<br />

Anwendungsbereiches der Korrespondenzmethode, der ältere Zustand in Flur<br />

und Dorf. wohl aber die kritische Bewertung, ob im Einzelfall noch von Flurkorrespondenz,<br />

also von Erhaltung des Parzellengefüges, gesprochen werden<br />

kann oder nicht. Mit diesen Zusammenhängen habe ich mich an anderer Stelle<br />

befaßt 20) und möchte zum Verständnis hier nur die wichtigsten Tatsachen<br />

wiederholen.<br />

Voraussetzung für die Anwendung der Korrespondenzmethode ist eine<br />

streifig organisierte Flur mit Gemengelage der Besitzparzellen. In einer solchen<br />

Flur liegen Doppelhöfe in jedem Falle mit aU ihren Parzellen in Wechsellage. Bei<br />

3 Höfen ergeben sich 6, bei 4 Höfen 24 (vgl. Tab. 4 a und b) u. s. f. verschiedene<br />

Kombinationsmöglichkeiten. Demnach beträgt die Zahl der möglichen Besitzanordnungen<br />

bei 1 2 3 4 ... n Höfen = n! (n-Fakultät) (vgl. Tab. 4 c). Solange<br />

die Stellung der übrigen Höfe (Elemente) variiert wird, liegen die Elemente 1<br />

und 2 als die beiden gedadlten Besitzparzellen der Höfe 1 und 2 benachbart. Es<br />

ergibt sich also eine mathematisch notwendige "Zwangskorrespondenz". Ihre<br />

Intensität steht in direkter Abhängigkeit von der Zahl der Höfe eines Dorfes<br />

und läßt sich nach der Formel 2 [(n-1)1] beredmen. Der relative Anteil der sich<br />

zwangsläufig wiederholenden Nachbarschaften an der Zahl der möglichen Kombinationen<br />

(vgl. Tab. 4 c) nimmt mit der Zahl der Höfe im Dorf ab. Bei 6 Höfen<br />

beträgt die Intensität der Zwangskorrespondenz 33,4 % , bei <strong>10</strong> Höfen 20 % und<br />

bei 20 Höfen noch <strong>10</strong> 0 /0. Je mehr Höfe ein Dorf besitzt, umso aussagekräftiger<br />

ist all50 die zwischen zwei Höfen bestehende intensive Flurkorrespondenz. Da<br />

die meisten Dörfer unseres Gebietes im Sinne einer statistischen Auswertung<br />

jedoch nur eine relativ geringe Zahl bäuerlicher Betriebe besitzen, muß die Intensität<br />

der vorgefundenen Flurkorrespondenz zu der zu erwartenden Zwangskorrespondenz<br />

in Beziehung gesetzt werden, die sich aus der Zahl der Höfe,<br />

genauer aber aus der durchschnittlichen Zahl der Besitzer je Wanne ergibt.<br />

Damit liefern statistische Überlegungen die Grenze für die Beweiskraft der<br />

Korrespondenzmethode, wenn nicht bei einem Dorf mit relativ wenigen Höfen<br />

die im Einzelfall aufgefundene Flurkorrespondenz bei anderen Hofpaaren fehlt,<br />

nur retrospektiv zu ermitteln. Aus diesem Grunde kann auch der Terminus "Korrelat",<br />

der im vorliegenden Falle eine wechselseitig geforderte und bedingte Beziehung der<br />

Hofpaare mit häufig auftretender Nachbarlage der BesitzparzeIIen ulltereinander zur<br />

Voraussetzung haben müßte, nicht angewendet werden. Den von H. KleiJ1au vorgeschlagenen<br />

Begriff nKongruenz" halte ich für zu eng, weil die durch ihn ausgedrückte<br />

Deckungsgleichheit der aus einer Parzelle hervorgegangenen Teilstücke nur im Idealfall<br />

zutrifft, und der Begriff von vorne herein alle Teilungen ausschließt, die nicht auf<br />

Halbierung der AusgangsfIiiche beruhen. Teilungen in ungleich große Flächen kamen<br />

vielfach vor und werden von H. MOTteJ1seJ1 (1946/47. S. 46) '0) sogar als ausgesprochen<br />

häufig erwähnt.<br />

26<br />

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und sich außerdem durdl Nadlbarlage der Höfe im Dorf (Hofkorrespondenz)<br />

noch ein weiterer Beleg für die ehemalige Zusammengehörigkeit zweier Hofeinheiten<br />

erbringen läßt.<br />

Tab. 4. Kombinationsmöglichkeiten von 2 f bis 12 f mit Anzahl der mathematisch<br />

bedingten Nachbarschaften zweier Elemente nach der Fonnel 2 [(n-l) 1].<br />

a) 31 = 1 2 3 b)41 =4 1 2 3 1 4 2 3 1 2 4 3 1 2 3 4<br />

1 3 2 4 I 3 2 I 4 J 2 I 3 4 2 I 3 2 4<br />

2 1 3 4 2 1 3 2 4 I 3 2 1 4 3 2 1 3 4<br />

3 1 2 4 2 3 I 2 4 3 I 2 3 4 1 2 3 I 4<br />

3 2 1 4 3 1 2 3 4 1 2 3 1 4 2 3 1 2 4<br />

2 3 1 4 3 2 1 3 4 2 1 3 2 4 1 3 2 1 4<br />

c) Fakultät<br />

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Nachbarschaften derselben beiden Elemente<br />

Zahl der moglichen<br />

Kombinationen absolut<br />

in Ofo der möglichen<br />

Kombinatiunen<br />

21 2 2 <strong>10</strong>0<br />

31 6 4 66.6<br />

41 24 12 50<br />

51 120 48 40<br />

61 720 240 33.4<br />

71 5040 1440 28.6<br />

81 40320 <strong>10</strong>080 25<br />

91 362880 80640 22.2<br />

<strong>10</strong>1 3628800 725760 20<br />

111 39916800 7257600 18.2<br />

121 479001600 79833600 16,7<br />

Die Untersuchung der Flurtabellen ergab drei Gruppen:<br />

1. Feldfluren, in deren Wannen jeder Bauer jeweils mehrere Parzellen besitzt,<br />

2. Fe1dfluren, die teils aus Wannen bestehen, in denen jeder Bauer jeweils<br />

mehrere Parzellen, teil-s aber auch Wannen, in denen jeder Bauer nur eine<br />

Parzelle besitzt,<br />

3. Feldfluren, in deren Wannen ein Bauer nur in seltenen Fällen mehr als<br />

eine Parzelle besitzt.<br />

Flurkorrespondenzen treten in allen drei, jedoch am seltensten in der dritten<br />

Gruppe auf. Sie besitzen, gemessen am übrigen Parzellengefüge, einen ganz verschiedenen<br />

Aussagewert. Vergegenwärtigt man sich noch einmal den dreifach<br />

geforderten Eingriff in das Flurgefüge (1. Neubegrenzung der Wannen, 2. Zusammenlegung<br />

der BesitzparzelIen zu einer Fläche, 3. Bestimmung der Nachbarn<br />

durch das Los), so müssen sich, soweit die Maßnahmen nicht konsequent durchgeführt<br />

worden sind, Unterschiede in dem neu geschaffenen ParzelIengefüge<br />

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I<br />

27


Numeriert und umrandet: Wanne 1-17<br />

Abb. 2: Feldriß MÜl1dtehof 1756 (spezialvwuessel1)<br />

Quelle: <strong>Braunschweig</strong>ische Generallandesvermessung 1746-1784, Niedersächsisd1es<br />

Staatsarchiv Wo]fenbüttel.<br />

28<br />

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S: Sommerfeld; W: Winterfeld; B: Brachfeld. Wannen umrandet<br />

Abb. 3: Fe/driß Va/zum 1764 (verkoppe/t)<br />

Quelle: <strong>Braunschweig</strong>ische Generallandesvermessung 1746-1784, Niedersächsisches<br />

Staatsarchiv Wolfenbüttel.<br />

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29


spondenzmethode würde man auf eine verkoppelte Feldflur schließen. Doch 28<br />

Höfe - es sind ausschließlich Halbspänner und Halbkötner - besitzen F1urkorrespondenz<br />

in 127 von insgesamt 166 Parzellen. Abgesehen von einer Ausnahme<br />

entspricht der Flurkorrespondenz immer auch die Nachbarschaftslage der<br />

Hofgrundstücke (Hofkorrespondenz). Es kann gar keinem Zweifel unterliegen,<br />

daß die Hof teilungen schon längst vor der Vermessung durchgeführt worden<br />

sind (vgl. Tab. 2 und Abb. 4).<br />

Die Tatsache, daß in Lutter am Barenberge Flurkorrespondenzen auftreten,<br />

spricht nicht gegen die Korrespondenzmethode, sondern ermöglicht gerade den<br />

Beweis, daß hier unter Beibehaltung der ursprünglichen Besitzabfolge zusammengelegt<br />

worden ist. Man hat also nicht gelost, sondern der ersten Besitzparzelle<br />

unter Fortschiebung der übrigen Nachbarn die sonstigen in der Wanne<br />

befindlichen Flächen des betreffenden Besitzers angefügt und hat für jeden<br />

weiteren Nachbarn dasselbe Spiel wiederholt. Diese Praxis ergibt sich nicht nur<br />

aus der Flurtabelle von Lutter am Barenberge, sondern generell auch aus § 8<br />

des Supplements von 1759. Es heißt dort, daß "das Losen hin und wieder unterlassen<br />

werde und die Eigentümer in der Ordnung liegen bleiben wollen, welche<br />

sie vorhin im Felde gehabt haben". Auch die Instruktion von 1755 madlt in<br />

§ 23 und § 41 den Unterschied zwisdlen Verlosung (der Besitzabfolge) und<br />

Verteilung (der Besitzflächen). W'!nn die herkömmliche Besitzreihenfolge beibehalten<br />

worden ist, darf man annehmen, daß auch die Richtung der Beackerung<br />

übernommen wurde und damit auch die Neueinteilung der Wannen in Anlehnung<br />

an das ursprüngliche Parzellengefüge stattgefunden hat. Die Physiognomie<br />

des Parzellen- und Wannengefüges (vgl. Abb. 4), die nicht dem Bild verkoppelter<br />

Feldfluren entspricht, scheint diese Vermutung zu bestätigen *).<br />

Eine besondere Struktur des Nachbarschaftsgefüges konnte im Werder nordöstlich<br />

von WoHsburg jenseits des Aller-Urstromtales festgestellt werden. In<br />

\Varmenau kehrt in fast allen Wannen eine konstante Reihenfolge der zehn<br />

Bauernhöfe (8 Ackerleute, 2 Kötner) wieder. Diese "Riege" wiederholt sich in<br />

der ersten Wanne des Winterfeldes 12maI. so daß jeder Hof dort 12 Parzellen<br />

besitzt **). Dasselbe gilt für die zweite Wanne des Winterfeldes. Die zweite und<br />

dritte Wanne des Sommerfeldes bestehen dagegen aus je 20 Parzellen, die ebenfalls<br />

je zweimal die Riege wiederholen, jeJoch jeweils in anderer Besitzkombi-·<br />

nation. Während die konstante Wiederholung der Riege auf die Übernahme<br />

eines unveränderten Parzellengefüges hinweist, scheint die zweimalige Abfolge<br />

') In meiner Dissertation 19). in der ich die Korrespondenzmethode unter den spezieIlen<br />

Bedingungen der Landesvennessung im ganzen Herzogtum <strong>Braunschweig</strong> noch nicht<br />

geprüft hatte, blieben mir die dargestellten Zusammenhänge - wenn auch ohne Einfluß<br />

auf die Anwendbarkeit der Methode - noch verborgen.<br />

") Herrn stud. rer. nato W. Meibeyer. der mir freundlicherweise beim Herausschreiben<br />

der Flurtabellen behilflich war. verdanke ich den ersten Hinweis auf die<br />

mehrfache Wiederholung einer konstanten Abfolge der Höfe in Warmenau.<br />

32<br />

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Ackerflächen wegen Unkrautgefahr und ebenso die Weide wegen Erleichterung<br />

der Hude geschlossene Komplexe umfassen mußten und die noch fehlende<br />

Markierung der Parzellengrenzen die Besitzrechte in den einige Jahre der<br />

privaten Bewirtschaftung und Behauptung entzogenen Flächen verblassen ließ,<br />

mußte notwendigerweise eine gewohnheitsrechtliche Sicherung vorhanden sein,<br />

die man immer wieder neu auf das umzubrechende Weideland übertragen<br />

konnte '). Die feststehende Riege löst dieses Problem auf einfache Weise, und<br />

die Wölbäcker konservieren das Parzellengefüge über die Zeit der Brache, so<br />

daß die Dorfgemeinschaft die einzelnen Wölbäcker ohne Schwierigkeiten wieder<br />

in Betrieb nehmen konnte. Hierzu ist die von G. Oberbeck (1957, S. 127) 13)<br />

im westlichen Nachbargebiet des Vorsfe1der Werders festgestellte Tatsache<br />

wichtig, daß kein Wölbacker besitzrechtlich unterteilt war, sondern jede Besitzparzelle<br />

überwiegend einen, aber nur selten zwei oder drei Wölbäcker umfaßte.<br />

Ebenso auffällig zeigen auch die <strong>Braunschweig</strong>er Feldrisse für die unverkoppelten<br />

Teile des Vorsfelder Werders gleichbreite Besitzparzellen, die G. Oberbeck<br />

(1957, S. 125) 13) auch bei den Flurwüstungen des Nachbargebietes gefunden<br />

hat. Besitzeinheit und gleiche Breite jedes Wölbackers halte ich für eine Voraussetzung<br />

für die gerechte Zuweisung


nach Abschluß der Arbeiten durch Ablieferung der ProtokoIIe (sehr unvollständig<br />

überliefert) ansammelte. Zweitens handelt es sich um Eingaben, Gutachten,<br />

Beschwerden und dazu ergangene Anweisungen. Die zweite Aktengruppe<br />

häuft sich immer dann, wenn die Zwecke der Vermessung den Interessen der<br />

Bauern am meisten zuwider laufen. Es läßt sich aber erkennen, daß die Behörde<br />

mit wachsender Erfahrung den Wünschen der Gemeinden oftmals sehr schnell<br />

nachgegeben hat.<br />

Der für Münchelfof zuständige Amtmann stellte zwei Jahre nach erfolgter<br />

Vermessung 1758 (St. A. Wb., L Alt Abt. 58 Nr. 1886) fest, daß eine Verteilung<br />

der Länderei nicht ohne Schädigung der Bauern möglich sei. Im lahre 1763 forderte<br />

die Generallandesvermessungskommission, wenigstens die Besitzanteile<br />

in der 1., 2., 3.,4., 7. und 15. Wanne (vgl. Abb. 2) zu verlosen. Die Bauern<br />

machten indessen darauf aufmerksam, daß das land untersdliedlich oder gar<br />

nicht gemergelt oder gedüngt sei. Da alles Meierland außerdem der fürstlichen<br />

Kammer gehöre, sollte die Behörde verfügen; man könne im Falle der Verlosung<br />

dann natürlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommen. Unverzüglich wurde<br />

deshalb bestimmt, "daß, wenn der (Vermessungsbeamte) ... die Verteilung<br />

nicht annehmlich machen kann, man es zur Vermeidung alles besorglichen<br />

Querulierens bei der zu suchenden Vertauschung belassen müsse". Da die Vermessung<br />

und die Anfertigung des Feldrisses bereits sieben lahre vorher abgeschlossen<br />

war, betrifft dieser Schriftverkehr nur einen neuen gesdleiterten Versuch,<br />

die bereits erfolgte Spezialvermessung zu annullieren und eine Verkoppelung<br />

durchzusetzen. Die Akten liefern also eine volle Bestätigung des aus der<br />

Flurtabelle gewonnenen Ergebnisses.<br />

Im südwestlichen Elm- und Assevorland befinden sich dagegen zahlreiche<br />

Gemeinden mit verkoppelten Feldfluren. Für Hachum ist z. B. 1751 (St. A. Wb.,<br />

I. Alt Abt. 58 Nr. 1591) die Verlosung der Parzellen bestätigt.<br />

In Groß Denkte wurde ebenfalls gelost. Schon 1747 (St. A. Wb., L Alt<br />

Abt. 58 Nr.1283) schrieb der Vermessungsbeamte, da man ihm untersagt<br />

habe, "mit der speziellen Vermessung derer hiesigen Ländereien fortzufahren,<br />

so habe (er) selben Befehl gehorsamst na:::hgeIebet". Das Vermessungsprotokoll<br />

(St. A. Wb., L Alt Abt. 58 Nr. 1280) liefert in Verbindung mit der Feldbeschreibung<br />

denselben Beweis. Die 8. Wanne des Winterfeldes z. B. zählte vor der<br />

Vermessung 30, nachher nur noch 12 Parzellen (= 58% Morgen) derselben<br />

Bauern. In der benachbarten 7. Wanne ist der Untersdlied nom krasser. <strong>10</strong>7<br />

Besitzstücke wurden zu 35 Parzellen (= 79 Morgen) zusammengelegt und ihre<br />

Reihenfolge ebenfalls durch das Los bestimmt. Der Flurplan von Groß Denkte<br />

überliefert also ein Parzellengefüge, welches erst durch die Vermessung entstanden<br />

ist. Rückschlüsse auf ältere Flurzustände sind nicht möglich, da keinerlei<br />

Anhaltspunkte über die Beackerungsrichtungen dieser Gefügestruktur gegeben<br />

sind. Aber das Vermessungsprotokoll, in dem aIIe Nachbarn wannenweise nacheinander<br />

nach ihrer alten Lage im Felde aufgeführt sind, erlaubt die Aufstellung<br />

36<br />

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Es sei noch nachgetragen, daß die Feldfluren von Warmenau und Kästorf<br />

gleichzeitig von denselben Beamten vermessen worden sind. Auch das Gefügeprinzip<br />

in den Wannen entsprknt einander mit teils Verlosung (Verkoppelung)<br />

und teils Beibehaltung der ursprünglichen konstanten Riegekombination<br />

(5pezialvermessung). Die Böden bei.der Feldfluren bestehen aus Sand und<br />

Geschiebelehm; doch darf man diese Entsprechung nicht al;; Begründung für die<br />

Ähnlichkeit beider Gefügestrukturen nach der Vermessung heranziehen; denn<br />

dieselben Böden und eine ähnliche Sozialstruktur finden sich auch in Velstove,<br />

dessen Feldflur in allen Wannen verkoppelt worden ist. Jeder Bauer besitzt in<br />

jeder Wanne nur eine Parzelle, ohne daß sich die Reihenfolge der Nachbarn<br />

wiederholt. Dieses Ergebnis der Flurtabelle wird bestätigt durch das überlieferte<br />

Feldprotokoll, in dem die Parzellennachbarn wannenweise nach ihrer alten<br />

Reihenfolge noch jeweils mit mehreren Parzellen aufgeführt sind. Auch durch die<br />

Verteilung der Zwangskorrespondenzen wird die Verkoppelung bestätigt. Der<br />

Ort besteht aus 9 bäuerlichen Betrieben. Bildet man aus beliebigen Hofpaaren<br />

14 unterschiedliche Kombinationen, so zeigen 23,8 Ofo der Parzellen Zwangskorrespondenz.<br />

Statistisch sind in Velstove 22.2 Ofo Zwangskorrespondenzen zu<br />

erwarten (vgl. Tab. 4). Die gute Übereinstimmung hängt mit dem ehemaligen<br />

Riegegefüge zusammen, welches eine sehr gleichmäßige Verteilung der Besitzanteile<br />

aller Höfe über die ganze FeldRur zur Folge hatte. - Volzum erreicht<br />

dagegen wegen ungleicher Verteilung des Ackerlandes der einzelnen Höfe nur<br />

<strong>10</strong> % von 20 % statistisch zu erwartender Zwangskorrespondenzen.<br />

Zusammenfassung.<br />

Die Generallandesvermessung des Herzogtums Braunschwcig bezweckte<br />

eine Zusammenziehung der Besitzflächen jedes Bauern in jeder Wanne zu einer<br />

FIitche. Dabei sollte die Reihenfolge der Besitznachbarn im Feld verlost werden.<br />

Trotz dieses Postulats setzte sich in der Literatur als herrschende Meinung die<br />

Ansicht durch, daß die Eingriffe in die Feld flur nicht grundsätzlkher Art gewesen<br />

seien. 50 wurde den Feldrissen ausdrücklich ein hervorragender Quellenwert für<br />

d:e Rekonstruktion älterer 5iedlungsverhältnisse zugesprochen. Indessen bahnt<br />

sich seit 1956 (H. Kleinau u. a. ] 956 3 ), E. Pitz 1957 15) und H. Kleinau 1961,<br />

bes. S. 33, Anm. 126 4 )) das Verlangen nach kritischer Bearbeitung der überlieferten<br />

Substanz an.<br />

In der Korrespondenzmethode ist ein Arbeitsmittel gegeben, welches zur<br />

Rekonstruktion älterer Siedlungsverhältnisse selbstverständlich nUr auf unverkoppelten<br />

Feldfluren aufbauen kann. Die Methode bietet außerdem die Möglichkeit,<br />

die unverändert gebliebenen, aJ.so "spezialvermessenen" Feldfluren zu<br />

trennen von Siedlungen, die zwischen teilweiser "Zusammenlegung" und vollständiger<br />

n Verkoppelung" des Ackerlandes alle Übergänge zeigen können.<br />

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39


Die Korrespondenzmethode basiert auf einer exakten Auswertung des<br />

Parzellengefüges. welches mit Hilfe einer Flurtabelle aus der FeI


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dem Kloster Heeslingen 4) verpfändet waren. Vom Streit um diese Güter habe<br />

ihn aber der Stader Graf Friedrich (f 1135) abgehalten, der wn diese Zeit 1112<br />

vor dem Königsgericht in Rahmsdorf bemüht war, aus dem Dienst des nordmärkischen<br />

Markgrafen Rudolf I. von Stade 5) entlassen zu werden, aber durch<br />

den besagten Markgrafen Rudolf und durch den damaligen Sachsenherzog<br />

Lothar (von Süpplingenburg) nach Salzwedel entführt wurde, wo ihn ein kaiserliches<br />

Belagerungsheer befreite 6).<br />

Ida habe als eine aus Schwaben gebürtige Edelfrau in Elsdorf (bei Heeslingen)<br />

gewohnt und sei eine Bruderstochter Kaiser Heinrichs III. (f <strong>10</strong>56)<br />

sowie eine Schwestertochter Papst Leos IX. (f <strong>10</strong>54) gewesen 7). Markgraf<br />

Udo (I1.) von Stade (f <strong>10</strong>82) - der Vater Udos (lII.) und Rudolfs (I.) - habe<br />

Idas Sohn, den Grafen Ekbert, in Wistedt bei EIsdorf getötet, obgleich er dessen<br />

Anverwandter war. Die dadurch ihres Leibeserben beraubte Ida sei nach Rom<br />

zu ihrem päpstlichen Oheim gepilgert, habe bei ihm Trost und Zuspruch gefunden<br />

und habe, nachdem sie in die Heimat zurückgekehrt war, ihre Stader Herrschaft<br />

diesem Markgrafen Udo (I1.) auf dem Erbwege überlassen.<br />

Dreimal sei Ida vermählt gewesen - zuerst mit Lippold, dem Sohn der<br />

Glismodis 8), dann (nacheinander) mit den beiden in Dithmarschen gefallenen<br />

Grafen Dedo und Etheler dem Weißen. Die aus der ersten Ehe stammende<br />

4) Das unter Otto dem Großen durch den kinderlosen Grafen Hed gegründete<br />

Kloster Heeslingen hei Zeven - Thietmari Merscburg,msis episcopi Chronicon. MG.<br />

SS. rer. Germ .• Nova Series IX. hrsg. v. Robert Holtzmann (1935. unveränderter Neudruck<br />

1955). Liber 11. cap. 42 (fortan Thietmar II. 42) - ist nicht zu verwechseln mit<br />

Hesslingen bei Wolfsburg. einer Besitzung der Grafen von Walbeck (Thietmar VlIl. 15).<br />

Das Namensregister bei R. Hol tz man n aaO. ist an dieser Stelle unzuverlässig (auch<br />

in R. Hol tz rn a n n s deutscher Ausgabe der Chronik Thietrnars; vgl. unten Anm. 77)<br />

und dementsprechend auch die TextsteIle bei Ruth Sc h ö I k 0 p f (geb. Goebel). Die<br />

sächsischen Grafen 919-<strong>10</strong>24. in: Stud. u. Vorarb. z. Hist. Atlas Niedersachsens<br />

(= Veröff. d. Hist. Komm. f. Niedersachsen. Reihe 11) Bd. 22 (1957) S. 82 Anm. 6.<br />

6) Der sächsische Annalist des 12. Jh. - Ann. Saxo <strong>10</strong>87; S5. VI 724 - berichtet.<br />

daß Rudolfs I. Bruder. der Markgraf Lüder-Udo 111. (t 1<strong>10</strong>6). seine Grafschaft Stade<br />

1187 dem Friedrich gab. der sie dann 40 Jahre lang besessen habe. Albert von Stade -<br />

Ann. Stad. 1112. 55. XVI 319 - erwähnt. daß Friedrichs Bruder Ulrich am Hofe Kaiser<br />

Heinrichs IV. aus der Dienstbarkeit dieses Markgrafen entlassen wurde und spricht von<br />

einer 60jährigen Amtszeit Friedrichs. der hochbetagt am 13.4. 1135 verstorben sei<br />

(Ann. Stad. 1135. SS. XVI 323).<br />

e) Belege bei Herbert W. V 0 g t. Das Herzogtum Lothars von Süpplingcnburg 1<strong>10</strong>6<br />

bis 1125. in: Ou. u. Darst. z. Gesch. Niedersachsens. Bd. 57 (1959) S. 151 f.<br />

1) ulsta namque Ida nobilis femina de Suevia nata. in villa Elsthorpe manens. hercditatem<br />

habuit. que adhuc hereditas Idae dicitur. Hec fuit filia fratris imperatoris<br />

Heinrici lll.. filia quoque sororis Leonis pape qui et Bruno" (Ann. Stad. 1112. 5S.<br />

XVI 319). '<br />

Il) In Goslar tritt am 23. 3. <strong>10</strong>52 als einer der heiden Erben des Bischofs Meinwerk<br />

(und seiner Schwester Glismodist) ein .Liutbold" auf - MG. Diplomata Regum et<br />

lmperatorum Germaniae. Urkunden Heinrichs lll .• Nr. 284 (fortan DH III 284). Ihn hält<br />

H u c k e aaO. S. 67 mit Redlt für den ersten der drei Gatten ldas von Elsdorf (vgl.<br />

unten Anm. 12).<br />

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45


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des Papstes Leo IX., aber keine Bruderstochter des Kaisers Heinrich III., sondern<br />

nur eine Nachkommin des mit Kaiser Otoos IlI. Schwester MathUde<br />

(t <strong>10</strong>25) vermählten rheinischen Pfalzgrafen Ezzo Cf <strong>10</strong>34) gewesen 14). Der<br />

seit <strong>10</strong>45 regierende Sdlwabenherzog Otto 11. (f <strong>10</strong>47) entstammte der Ehe<br />

Ezzos, ebenso die mit dem Polenkönig Mieszko II. (f <strong>10</strong>34) vem1ählte Richenza<br />

(t <strong>10</strong>63), welche übrigens den gleichen Vornamen getragen hat wie die jüngste<br />

Tochter Idas von Elsdorf und wie die Gemahlin des <strong>10</strong>61 zum Herzog von<br />

Bayern erhobenen niedersächsischen Grafen Otto von Northeim (f <strong>10</strong>83), und<br />

das lasse auf Verwandtschaft zwischen den "Ezzonen" und lda von Elsdorf<br />

schließen. Daher gipfelt diese genealogische Konstruktion in der Vermutung,<br />

Ida von ELsdorf und die mit Otto von Northeim vennählte Richenza seien<br />

Schwestern und somit womöglich Töchter des besagten ezzonischen Herzogs<br />

Otto II. von Schwaben gewesen. Auf diese Weise lasse sich vieIleicht auch die<br />

Behauptung des französischen Chronisten Alberich von Troisfontaines (um<br />

1240) bestätigen, wonach der - mit einer Enkelin Ottos von Northeim vermählte<br />

- Kaiser Lothar von Süpplingenburg vom Geschlecht des Herzogs<br />

Otto II. von Schwaben abstamme 15).<br />

Da diese weit her.geholte genealogische Konstruktion 16) in den jüngsten<br />

Untersuchungen über die Grafen von Stade und die Grafen von Northeim Anerkennung<br />

fand 17), obwohl ihr Urheber sie mittlerweile wieder faIlen gelassen<br />

H) Emil K i m p e .1, Ezzonen und Hezeliniden in der rheinischen Pfalzgrafschaft.<br />

in: Mitteilungen des Instituts für österreimisme Gesmimtsforsmung (= MIÖG), Erg.­<br />

Bd. 12 (1933) 5. 29 H.; zustimmend Albert K. H ö m b erg. Geschimte der Comitate<br />

des Werler Grafenhauses. in: Westfälische Zeitschrift Jg. <strong>10</strong>0 (1950) S. 33.<br />

15) '"Ottonem ducem Sueviae. de cujus linea descendit iIIe Lotharius dux 5axonum<br />

qui fuit imperator" (Alberici chron., MG. 55. XXIII 785). Am Beispiel der polnischen<br />

Königstochter Richza d. 1. (= Rica). die in erster Ehe mit König Alfons VII. von<br />

Kastilien (f 1157), in zweiter mit Graf Raimund v. Provence (f 1166). in dritter mit<br />

Graf Albert 11. von Everstein (njenseits Köln") vermählt war (MG. 55. XXIII 834).<br />

erweist sich. daß Alberich in genealogischen Dingen ziemlich zuverlässig unterrimtet<br />

war. Vgl. Hans 00 b b e r tin in: Armiv für schlesische Kirchengeschimte Bd. 15.<br />

(Hildesheim 1957) S, 1-4, Bd. 16 (1958) S. 315'-323. Bd. 17 (1959) S. 289-291 (im<br />

betreffenden Zitat muß es dort heißen: .. Ista sec und a Rikissa· statt •... secum<br />

Rikissa").<br />

16) Darüber, daß Alberich von der Abstammung Kaiser Lothars. nicht aber von jener<br />

seiner Gattin Richenza von Northeim spricht. ging K i m p e n aaO. großzügig hinweg.<br />

ohne zu erwägen. ob eine der Urgroßmütter Lothars - z. B. die Gattin Konrads von<br />

Haldensleben (vgl. die Stammtafel bei V 0 g t aaO.) - eine .. Ezzonin" gewesen sein<br />

mag.<br />

17) Aus einem der zahlreichen Schreibfehler in der .. Rosenfelder" (= Harsefelder)<br />

Klostermronik (vgl. unten Anm. 20) - die Gattin Ottos von Northeim wird versehentlich<br />

lda (statt Richenza-Rixa-Rica!) genannt - zieht H u c k e aaO. 5. 31 u. 59 H. den<br />

.naheliegenden Schluß. daß der Chronist ,Ida' irrtümlich für .Richenza' gesetzt hat, weil<br />

er die bei den Schwestern verwechselte". - Hierdurch glaubt Karl-Heinz L a n g e, Die<br />

Grafen von Northeim 950-1144. Politische Stellung. Genealogie und Herrsmaftsbereich,<br />

Beiträge zur Geschimte des sädlsischen Adels im Hochmittelalter (Dis5. Kiel 1958) Bd. 1,<br />

S. 4S - vgl. der s. Die Stellung der Grafen von Northeim in der Reimsgeschichte des<br />

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47


hat 18), erscheint eine Klärung der Fragen um die Herkunft ldas von Elsdorf<br />

aktuell und wünschenswert.<br />

Hierbei wird man bei aller gebotenen Vorsicht davon ausgehen dürfen, daß<br />

der Stader Prior Albert zwar recht spät über die Erbsdtaftsangelegenheit des<br />

Grafen Eilmar 11. von Oldenburg berichtet, daß er aber im allgemeinen keine<br />

schwerwiegenden Irrtümer begangen hat 19). Und da sein Bericht in jüngere<br />

Chroniken unwidersprochen aufgenommen worden ist 20), sollte man ihm nicht<br />

von vornherein eine "romanhafte Ausschmückung" oder gar eine "Erfindung"<br />

unterstellen.<br />

11.<br />

Die Forsdtung hat sich sehr bemüht, jenen der drei Stiefbrüder Kaiser Heilfr/dis<br />

1II. festzustellen, welcher - wenn man den Bericht Alberts von Stade als<br />

zuverlässig ansieht - der Vater Idas von ElsdOTf gewesen sein mag. Der sagenberühmte<br />

Sdiwabenherzog Ernst H. Cf <strong>10</strong>30) war noch jung und unvermählt,<br />

als er sich letztmalig gegen seinen Stiefvater - den Kaiser Konrad II. - auflehnte<br />

und im Schwarzwald in einem Gefecht durch seine Häscher getötet wurde,<br />

und sein <strong>10</strong>30 an seiner Stelle zwn neuen Schwabenherzog ernannter Bruder<br />

Hermann IV. Cf <strong>10</strong>38) stand <strong>10</strong>30 noch unter Vormundschaft des Bisdtofs War-<br />

11. u. frühen 12. Jh., in: NiedersädlSisches Jahrbuch für Landesgeschichte Bd. 33 (1961),<br />

S. <strong>10</strong> u. 13 f. - bereits ndie Schwesternschaft Idas (von Elsdorf) und Richenzas (der<br />

Gattin Ottos von Northeim) außer allen Zweifel gestellt". Er weist aber auch hin auf<br />

eine Nachricht - bei J. G. Leu c k f eId, Antiq. Northeim. 5. 233. f. -, wonach Otto<br />

ven Northeim die ndominam Rikensam gloriosam imperatricem. id est filiam imperatoris<br />

Heinricl 111. Bavariae Ducis cognomento c1audi", also tine Tochter des seit <strong>10</strong>52<br />

persönlich in Bayern auch als Herzog regierenden Kaisers Heinrich 111. (0. zur Frau<br />

genommen haben soll.<br />

18) Emil K i m p e n. Zur Königsgenealogie der Karolinger- bis Stauferzeit. in: Zeitschrift<br />

für die Geschichte des Oberrheins, Jg. <strong>10</strong>3 NF 64 (Karlsruhe 1955) S. 89 f.:<br />

H u c k e aaO. 5. 61 Anm. 429.<br />

18) Zwei Beispiele: a) Die Mutter Burchards von Loccum wird zuerst richtig als<br />

Tochter Odas (von Elsdorf). hernach jedoch (versehentlich) als Tochter Idas (von Elsdorf)<br />

bezeichnet (Ann. Stad. 1112 55. XVI 319 f.). Aus diesem harmlosen Schreibfehler konstruiert<br />

H u c k e aaO. S. 67 Anm. 475 zwei Damen namens Akarina (Mutter und<br />

Tochter), deren Namen er zu (Ot)akarina erweitert. b) Richenza von Northeim (Ottos<br />

Enkelin I) gebar nach 15jähriger kinderloser Ehe dem Herzog (und späteren Kaiser)<br />

Lothar 1115 eine Tochter, berichtet der sächsische Annalist (Ann. Saxo 1115, SS. VI<br />

751). Dagegen meldet Albert von Stade die Eheschließung Lothars und der Richenza<br />

erst zum Jahre 1113 (MG. 5S. XVI 321). Vermutlich nahm er an, daß diese 1115 geborene<br />

einzige Tochter (Gertrud), die übrigens 1129 Heinrich den Löwen gebar, schon<br />

kurz nach der Eheschließung Lothars zur Welt gekommen sei.<br />

20) Hamburger Chronik 799-1559, in: Hamburgische Chroniken in niederdeutscher<br />

Sprache, hrsg. v. J. M. L a p p e n b erg (Hamburg 1861) S. 381; Chronicon Monasterii<br />

Rosenfeldensis seu Harsefeldensis, in :Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue<br />

Bremensium. hrsg. v. Joh. V 0 g t (Bremen 1740) - je eine Abschrift im Besitz des<br />

Stader Geschichtsvereins und der Landesbibliothek Hannover (17. Jh.): H u c k e aaO.<br />

5 67 Anm. 478. nicht identisch mit den Annales Rosenveldenses, MG. 55. XVI 99-<strong>10</strong>4.<br />

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mann von Konstanz und starb nach kinderlos gebliebener Ehe 21). Dagegen hat<br />

der dritte Stiefbruder Kaiser Heinrichs III., Graf Ludolf IV. VOI1 Braul1schweig<br />

(t <strong>10</strong>38), in einer nach <strong>10</strong>31 geschlossenen Ehe 22) mit einer aus unbekanntem<br />

Geschlecht stammenden Gertrud (t <strong>10</strong>77) zwei Söhne - Bruno VII. (t <strong>10</strong>57)<br />

und Ekbert I. (t <strong>10</strong>68) - gezeugt 23). Weil wir aber annehmen müssen, daß er<br />

erst in der zweiten Ehe der zuletzt mit Kaiser Konrad H. vermählten smwäbischen<br />

Herzogstochter Gisela (t <strong>10</strong>43) - also erst nach dem Tode des am<br />

31. Mai <strong>10</strong>15 auf einer Jagd tödlich verunglückten Schwabenherzogs Erl1st 1.<br />

(t <strong>10</strong>15) - im Jahre <strong>10</strong>16 geboren ist 24), wird auch er schwerlich als der leibliche<br />

Vater ldas von Elsdorf und somit als der leibliche Großvater mütterlicherseits<br />

des in Wistedt ermordeten Grafen Ekbert gelten können.<br />

Als Urkundenzeuge ist "Liutolfus filius Gisele imperatricis" - wie Graf<br />

Ludolf IV. von <strong>Braunschweig</strong> im Weißenburger Nekrolog genannt wird 25) -<br />

erst am 1. Juli <strong>10</strong>28 in einer in Magdeburg für das Kloster Corvey ausgestellten<br />

Urkunde sicher nachweisbar, und zwar hinter den Herzögen Bernhard<br />

(II. von Sachsen), Adelbero (von Kärnten) und Ernst (II. von Schwaben) als<br />

nLiutulfus comes privignus imperatoris" 26), also als Stiefsohl1 des Kaisers<br />

KOl1rad 11. Bischof Branthog von Halberstadt unterstellte <strong>10</strong>3l der Magnikirche,<br />

die durch zwei "liberi homines" - nämlich durch einen gewissen Hatheguard<br />

und dessen Gattin Atta - erbaut war, 11 Ortschaften (einschließlich<br />

<strong>Braunschweig</strong>r), und zwar geschah dies "Luidolfo comite ejusque principibus<br />

21) ,Georg D e h i 0, Hartwig von Stade, in: Bremisches Jahrbuch 6 (1672) S. 131.<br />

vermutete, Ernst 11. von Schwaben habe vielleicht eine uneheliche Tochter (=lda von<br />

Elsdorf) gehabt. K. E. H. Kr aus e, lda von Elsthorpe und ihre Sippe, in: Forschungen<br />

zur deutschen Geschichte 15 (1875) S. 639 H. wies diesen Gedanken zurück; denn<br />

Konrad Il. hatte zum Tode Ernsts 11. gesagt: .Bissige Hunde haben selten Nachkommen"<br />

- Die Werke Wipos, aus: MG. Sero rer. Germ. in uSllm scholarum, hrsg. v.<br />

Harry BreSlau (1915, unveränderter Neudruck 1956) eap. 28 5.47.<br />

22) 1. Ha e n seI man n, Urkundenbuch der Stadt <strong>Braunschweig</strong> (1861 H.) Bd. U,<br />

Nr. 1 (<strong>10</strong>31. Original), vgl. unten Anm. 27; H(einrich) B ö t t ger, Die Brunonen,<br />

Vorfahren und Nachkommen des Herzogs Ludolf von Sachsen 775-1117 USW. (Hannover<br />

1865) S. 489 Anm. 683. Obersichtshalber behalten wir Bö t t ger s Zählung der<br />

.Brunonen" bei, da bei V 0 g t aaO. S. 42 H. (bes. S. 47 oben) noch unklar geblieben<br />

ist, wer künftig .Bruno 1. (von <strong>Braunschweig</strong>)" heißen soll.<br />

23) Ann. Saxo <strong>10</strong>38 U. <strong>10</strong>57 S5. VI 682 U. 692; Böttger aaO. S. 498 H.<br />

24) "Haee Gisla et soror ejus Mechthildis fratresque ejus Rodulphus et Bernhardus<br />

nati erant in Westfalia de loeo, qui dicitur Werle. Gisla nupsit primum Ernesto filio<br />

Liuppoldi marchionis genuitque ilIi Hermannum dueem Suevorum. Duee Ernesto<br />

defuncto aeeepit eam uxorem eomes Bruno de Bruneswic peperitque i1Ii Liudolfum<br />

eomitem. Comite Brunone etiam defuneto duxit eam violenter Conradus cognatus suus<br />

genuitque ex ea, de quo loquimur, Henricum" (Ann. Saxo <strong>10</strong>26 S5. VI 676); vgl. I senbur<br />

g 1,4 (wo als Todesdatum Ernsts I. versehentlich der 3. 5. <strong>10</strong>15 - statt der 31. 5.<br />

<strong>10</strong>15 - angegeben ist).<br />

25) J. F. Bö h m e r, Fontes rerum Germanicarum (Stuttgart 1868) Bd. IV, S. 311 .<br />

•• ) DK Il 124 (<strong>10</strong>28), vgl. unten Anm. 59.<br />

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49


Stammtafel 1<br />

Zur Frage der Verwandtschaft der Kaiserin Gisela mit den Grafen von Werl<br />

Gerbergo T. d. Kg. KONRAD v. Burgund 997. <strong>10</strong>00 •• comitlssac (In Werl) Hermann, 978 Gral im Gau Angeron", i985 Friedensvermittler In Bayern bel<br />

co q Bernhord Graf in Westfalen 980 'Hermann 11. Hz. v. Schwoben tlG03' Hz. Heinrich dem Zanker (Thletm. IV, 8), it995 b. Maraholt(in Westfaleni)<br />

,<br />

I I I I I ----,-<br />

I Hermann, S. d. Gfn. I Rudoll Graf I Bernhard <strong>10</strong>23f 'Mathilde 'Bertold 'GISELA 'Hermann 111.<br />

Gerberga, GI. v. Werf t 12.7. (i) Graf v. Werl co erstmolig '992 t993 .9991<strong>10</strong>43 Hz. v. Schwaben<br />

997 -<strong>10</strong>,24'" I I <strong>10</strong>03 ... • t <strong>10</strong>12 alupuer.<br />

I I I I Id 'H I 'ch ' I I<br />

Hein. Kon. Adel. Bern. Hermann d. J. 0 co e nrl 1 Ernst 11. I Hermann IV. 'Ludoll IV.<br />

rlch rad bart hard (<strong>10</strong>15)-52 GI. Gf.v.lauften '<strong>10</strong>14tl030 ·<strong>10</strong>15tI03B ·<strong>10</strong>16tlO3B<br />

<strong>10</strong>1611 <strong>10</strong>24 <strong>10</strong>24 <strong>10</strong>24ff co Richenza (die 'N. (I. Sachsen) <strong>10</strong>15 Hz. v. <strong>10</strong>30 Hz. v. GI.v. Braun-<br />

I ! I I spätere Gattin I Schwaben Schwaben schweig<br />

I GI. Ollos v. 'SIeglried I I<br />

consobrinIHEINRICHSII.(lm2. Northeim) v Artl b I<br />

GradelJdurch Blutsverwandtschaft I . en urg hinterließen keine Kinder<br />

mit Hzn.Glselav. Bayern (tl006), Od W I<br />

einer Schwester der Kaiserin 0 v. er<br />

ADE LH EID (t999) und Stief. 00 Udo I Lv/tode<br />

schwester der Gerberga t <strong>10</strong>82 Mg .<br />

• Hinterlie6 <strong>10</strong>03 einen gleichnamigen Sohn und drei Töchter •<br />

"HEINRICH 111.<br />

°<strong>10</strong>17 t <strong>10</strong>56 König,<br />

Kaiser, Vatersbruder<br />

Idas v. Etsdorf<br />

(SS XVI 319f)<br />

•• Kommt als Gotte Gerbergas - anstelle Bernhards - in Frage, wenn er nicht der 995 bei Maraholt gefallene Gral Hermann war, kann ober wohl eher der<br />

Schwiegervater oder ein Schwager Gerbergas gewesen sein.<br />

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"'War ein consobrinus Kaiser Heinrichs 11. Im ersten Grade, da belder Mütter Stiefschwestern waren .<br />

•••• Leibliche Tochter Hermanns 11. von Schwaben, <strong>10</strong>03 vermählt (als 12 jährigei) mit dem blutsverwandten Herzog Konrad v. Kärnten (t <strong>10</strong>11), später mit dem gleich­<br />

falls blutsverwandten Herzog Friedrlch v. Oberiothrlngen (t <strong>10</strong>26127), war vermutlich <strong>10</strong>34 verstorben, kommt ober auch noch als Gattin Esichos von Bellenstedt<br />

und Muller Albrechts d. Ä. (des Großvaters Albrechts des Baren) In Frage (vgl. Ann Saxo <strong>10</strong>26 u. <strong>10</strong>82 SS VI 676 u. 7201).<br />

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er in Magdcburg erstmalig als Urkundenzeuge herangezogen wurde, erst<br />

12 Jahre alt war und daß er <strong>10</strong>31 als noch unvennählter, 15jähriger Graf die<br />

Gründung und Ausstattung der <strong>Braunschweig</strong>er Magnipfarre genehmigt und<br />

gefördert hat 58).<br />

Bei der Pappenburg, die <strong>10</strong>49 "in comitatu Brunonis" in der Nähe eines<br />

Allodialgutes des Sachsenherzogs Bernhard 11. lag 59), regierte um <strong>10</strong>22 also<br />

Konjektur R i eck e n b erg sanerkannt (frd!. Hinweis von Herrn Studienassessor<br />

Paul Lei d i n ger. Ahlen. der z. Z. eine Dissertation über die Grafen von Werl verfaßt).<br />

schrieb jedoch im gleichen Zusammenhang: .. Den von Frau S c h. (5. <strong>10</strong>8) erneuerten<br />

Versuch. die Verbindung Giselas mit Bruno zur ersten Ehe der Frau zu erklären<br />

und die V.:rbindung mit dem österreichischen Markgrafensohne Ernst. der <strong>10</strong>12 mit<br />

Giselas Hand das Herzogtum Schwaben erhielt. zu ihrer zweiten Ehe zu machen. halte<br />

ich nach wie vor nicht für richtig."<br />

08) Herr Professor Dr. H ö m b erg machte mich freundlicherweise aufmerksam auf<br />

den <strong>10</strong>15 mit dem Rest eines geschlagenen magdeburgischen (I) Heeres bei Bautzen bis<br />

<strong>10</strong>17 in polnische Gefangenschaft geratenen .. jungen" Liudolf (Thietmar VII. 21 u. 65).<br />

Es war dies aber vielleicht jener Sohn. den die Kanonisse und spätere Magdeburger<br />

Äbtissin Mathilde (eine Tochter des bekannten Markgrafen Dietrich von der Nordmark<br />

und Schwester des Markgrafen Bernhard) dem Slawen Prebizlav (t 999) - einem Bruder<br />

des Geistlichen Liudolf (I) - als Gefangene des Befehlshabers Bolilut in Brandenburg<br />

geboren und nach ihrer Befreiung in Trauer aufgezogen hatte (Thietmar IV. 64).<br />

Am Königshof zu Merseburg. wo sich Kaiser Heinrich u. a. am 17. 4. <strong>10</strong>15 (DH 11<br />

334. vgl. unten Anm. 59) und bei Verhandlungen mit dem Polenkönig. die zur Freilassung<br />

des .jungen Liudolf" führten (Thietmar VII. 65). aufhielt. finden wir gelegentlich<br />

u. a. den Herzog Bernhard. den Markgrafen Bernhard (also den Bruder der Magdeburger<br />

Äbtissin Mathildel). (Herzog Bernhards Bruder) Thiatmar. drei Grafen namens<br />

Thiedrich ... Liudulfus" (= Dodico von Warburg7). "item Liudolfus" (= Liudolf. Graf<br />

im Gudingau?) und sieben weitere Grafen, als dort Markgraf Bernhards Ritter Ekbert -<br />

vielleicht der gleichnamige Bruder des Paderborner Vogts Amelung ( s. 11. Anm. 112) -<br />

dem Bischof Meinwerk ein Gut verkaufte (Vita Meinwerci ed. Te n c k hof f. cap. <strong>10</strong>4<br />

S. 56).<br />

69) DH III 236 (<strong>10</strong>49) = UBHHild. I. 82 f. (<strong>10</strong>49). Ein gewisser .. miles" Brun hat<br />

mit Zustimmung seiner "heredis" und "neptis" Ida für das Seelenheil seines verstorbenen<br />

Bruders Thiadmar dem Paderborner Domstift Güter in .. Sutdesburch" (Gegenstück<br />

zur jenseits Wienhausen befindlichen Nordburg?), Betheln und Wallenstedt (bei<br />

der Poppenburg l) geschenkt, scheint dann Ida - entgegen den Gesetzen des Kirchenrechts<br />

- geehelicht zu haben und erhielt am 14. 9. <strong>10</strong>24 auf dem Fürstentag zu Hersfeld<br />

(kurz nachdem der Gisela die Krönung verweigert war 1) eine Leibzucht für Ida zugesichert<br />

(Westf. UB I. Nr. 87.6 u. Nr. <strong>10</strong>7; Vita Meinwerci ed. Te n c k hof f. cap. 59<br />

S. 45 u. cap. 202 S. 118). Diesen Brun nennt die Vita Meinwerci einen .. comes". Ihn<br />

wird man am ehesten für den <strong>10</strong>49 bei der Poppenburg nachweisbaren Komitatsinhaber<br />

Bruno halten dürfen. und er war womöglich auch der <strong>10</strong>52 H. im Gau Flutwidde bei<br />

Wienhausen - als Nachfolger des Thammo (DH 11 260) - amtierende .. Bruno comes"<br />

(DDH 111 282 u. 326 = UBHHild. I. 87 f.); denn daß der damals als Graf in Friesland<br />

regierende Bruno VII. erst <strong>10</strong>52 - nach Obertragung der vom Großvater Bruno VI. und<br />

vom Vater Ludolf IV. ererbten Komitate auf den Bischof Azelin von Hildesheimanstelle<br />

seines Bruders Ekbert I. im Gau Flutwidde regiert oder mitregiert hat (vgl.<br />

DH 1Il 279 u. DH IV 22), läßt sich wohl kaum annehmen. zumal er mindestens vorübergehend<br />

zusammen mit Ekbert I. in Friesland Münzen prägen ließ (vgl. unten<br />

Anm. 91). - Thiadmar mag jener .. Tamma advocatus de Hildinesheim" gewesen sein.<br />

der in einem unbekannten Jahr - vielleicht während der Reise Heinrichs 11. von Bonn<br />

56<br />

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ein gewisser "Liudolfus" als Inhaber der d"rtigen "prefectura", bevor hier<br />

<strong>10</strong>68/69 ein Graf Friedrich (von Poppenburg?) mit seinem Sohn Konrad den<br />

Komitat in den Gauen Valathungau, Aringau und Gudingau innehatte 60).<br />

Dieser "LiudoIfus" braucht nicht identisch gewesen zu sein mit jenem "Liudolfus<br />

comes", zu dessen "prefectura" um <strong>10</strong>22 nördlich <strong>Braunschweig</strong> * Biscopheshusun<br />

(wüst bei Meine), Wedesbüttel, Meine, Essenrode, Wasbüttel,<br />

Algesbüttel, Vord"rf. * Cnipenstide, FlechtorE. "Mutha" im Gretingau (Müden/<br />

Aller nördlkh der Okermündung) und "Mutha" im Gau Muthiwidde (die durch<br />

Bisch"f Bernward zum Schutz gegen die Slawen erbaute und auf dem Tauschwege<br />

gegen den Komitat im Ostfalengau an Kaiser Otto III. abgetretene<br />

Mundburg 61) jenseits Müden/Aller) gehört haben 62). Man beachte hierzu.<br />

(DH II 333 v. 25.2. <strong>10</strong>15) nach Merseburg (DH 11 334 v. 17.4. <strong>10</strong>15) - an einem<br />

21. März in Mühlhausen mit Bischof Meinwerk. mit mehreren Grafen. darunter einem<br />

Tancmar. einem Tamma (I) und einem Liudolf (1). mit Ministerialen sowie mit dem<br />

Paderbomer Dompropst und der Gandersheimer Äbtissin als Zeuge einer Güterstiftung<br />

des im Thilithigau begüterten Herzogs Bemhard 11. auftritt (Vita Meinwerci ed.<br />

Te n c k hof f, cap. 111 S. 58. vgl. unten Anm. 64). In die Zeit der Reise Heinrichs 11.<br />

von <strong>10</strong>15 paßt auch die entweder <strong>10</strong>15 (v gl. DH J[ 328 v. 15. 1. <strong>10</strong>15!) oder <strong>10</strong>24 in<br />

Mühlhausen ausgestellte Urkunde vom 25. März (Vita Meinwerci ed. Te n c k hof f.<br />

cap. 56 S. 44 H., hier ins Jahr <strong>10</strong>24 gesetzt! Vgl. jedoch unten Anm. 81).<br />

60) DDH IV 206 u. 219 (<strong>10</strong>68/69) = UBHHild. I. 111 u. 113 (<strong>10</strong>68/69). Hierzu<br />

Wilhelm Ha r t man n in: Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 18 (1941) S. 149; vgl. ebd.<br />

26 (1954) S. 82 u. 115; H. D 0 b be r tin in: OhlumlKreis Peine, Chronik eines<br />

Dorfes der Freien vor dem Nordwalde, hrsg. v. Arthur R ü h man n (Ohlum 1961)<br />

S. 19-23. Ohlum (im 12. Jh. vorübergehend Sitz des Grafen Friedrich d. Ä. v. Poppenburg?)<br />

erwies sich durch gründliche Höfeforschung und Fluranalyse als eines jener (z. T.<br />

erweiterten) "Sackgassendörfer" • die - trotz der kritischen Bemerkungen von Hermann<br />

v. Bot h me r in: Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 30 (1958) S. 304 f. - durch Wilhelm<br />

E ver s typologisch bei Hildesheim eindeutig festgestellt worden sind.<br />

61) DH Il 259 (<strong>10</strong>13) = UBHHild. I. 54 (<strong>10</strong>13). Am .. Northwalt" des Ostfalengaus<br />

lagen in der Präfektur Tammos die ncomitia minor"


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herzogs Hermann 11. Ihm gebar sie "genug Töchter" 72). darunter die bereits<br />

<strong>10</strong>03 vermählte Mathilde. deren Sohn Kono gegen den späteren Kaiser Konrad<br />

11. <strong>10</strong>24 als Thronbewerber auftrat 73). sowie die spätere Kaiserin Gisela<br />

(die Gattin Konrads 11.) - und einen gleichnamigen Sohn (Hermann III.) 74)<br />

sowie 992 den bereits 993 verstorbenen Bertold oder BertoH 75).<br />

Als "comitissa"schenkte Gerberga zusammen mit ihrem Sohn Hermann<br />

(von Werll) 997 dem Stift Mesdlede ein Gut im Lochtrupgau. und sie gründete<br />

drei Jahre später zusammen mit


V.<br />

Wir stehen somit vor der Frage, ob die Mutter der Ida von Elsdorf erst in<br />

zweiter Ehe mit dem Grafen Ludolf IV. von <strong>Braunschweig</strong> - also mit dem<br />

jüngsten der drei Stiefbrüder des Kaisers Heinrich III. - vermählt gewesen sein<br />

mag und ob somit Ludolfs IV. Gattin Gertrud (f <strong>10</strong>77) smon um <strong>10</strong>20 eine<br />

Tomter geboren haben kann 83).<br />

Bei Beantwortung dieser Frage müssen wir stets berücksimtigen, daß Idas<br />

Mutter - gemäß dem Berimt Alberts von Stade - eine Schwester (oder Stiefsdlwester!)<br />

des Papstes Leo IX. gewesen ist. Dieser Papst wurde am 21. Juni<br />

<strong>10</strong>02 im Elsaß unter dem Namen Bruno als Sohn des Grafen Hugo von Egisheim<br />

und der Heilwigis geboren. regierte seit <strong>10</strong>26 als Bischof von Toul und<br />

nahm den Namen Leo an, als er <strong>10</strong>49 zum Papst gewählt wurde 84). Seine<br />

beiden Brüder Gerhard und Hugo pflanzten das Gesmlemt fort 85).<br />

Ludolf IV. von Braunsmweig und seine Gattin Gertrud, die demnam eine<br />

Tochter (oder Stieftomterl) des 999 und <strong>10</strong>06 namweisbaren Grafen Hugo von<br />

Egisheim 86) gewesen sein müßte, gaben ihren heiden Söhnen die Vornamen<br />

Bruno (VII.) und Ekbert (1.), von denen der erstere von Ludolfs IV. Ieiblimem<br />

Vater Bruno VI. von <strong>Braunschweig</strong> herrührt, und ihr Enkel Ekbert 11. von<br />

Braunsmweig (f <strong>10</strong>90) erhielt wiederum denselben Vornamen wie Idas Sohn<br />

Ekbert von Elsdorf (f um <strong>10</strong>,2). Das wird kein Zufall gewesen sein, sondern<br />

läßt vermuten, daß Ida von Elsdorf wirklim eine Schwester (oder Stiefschwester!)<br />

Brunos VII. (f <strong>10</strong>57) und Ekberts I. von Braunsmweig (t <strong>10</strong>68) gewesen ist.<br />

Da der Vorname Ekbert bei den Vorfahren Ludolfs IV. von <strong>Braunschweig</strong> nimt<br />

nachweisbar ist und auch nicht im uns bekannten Vornamengut der Grafen von<br />

Egisheim vorkommt 87), Hegt der Gedanke nahe, daß Ludolfs IV. Gattin Gertrud<br />

die leiblime Tochter irgendeines Grafen Ekbert unbekannter Herkunft und<br />

der Mutter des Papstes Leo IX. gewesen ist und daß auf diese Weise der Vor-<br />

83) Zum Todesdatum Gertruds vgl. Bö t t ger aaO. S. 490 u. S. 485 H. (Anm. 676<br />

a u. b).<br />

84) Wibert. Vita Leonis IX., in: Pontificum Romanorum Vitae, hrsg. v. J. W a t t er<br />

ich (1862). Liber I. S. <strong>10</strong>0 H.; Bö t t ger aaO. S. 466 Anm. 638; Franz Voll m e r.<br />

Die Etichonen. in: Stud. u. Vorarb. z. Gesch. d. großfränk. u. frühdeutschen Adels.<br />

hrsg. v. Gerd Tell e n b ach (= Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte.<br />

Bd. 4. 1957) S. 137 ff. (wo als Geburtsjahr Leos IX. versehentlich <strong>10</strong>01 - statt <strong>10</strong>02 -<br />

angegeben wird).<br />

86) Voll m e r aaO. S. 181 u. 183; Ernst K leb e I. Zur Abstammung der Hohenstaufen.<br />

in: Zs. f. d. Gesch. d. Oberrheins <strong>10</strong>2 NF 63 (1954) S. 174 Anm. 183 hält<br />

Heilwigis für eine Tochter des Grafen Ludwig von Dagsburg (966) und stützt sim dabei<br />

auf eine mittelalterliche überlieferung.<br />

86) Emil Kr ü ger. Zur Herkunft der Zähringer. Zs. f. d. Gl'sch. d. Oberrheins 46<br />

NF 7 (1892) Stammtafel IV (Verzweigung des Ediconenstammes). Es bleibe dahingestellt.<br />

wieweit seine Belege als richtig zugeordnet und als vollständig gelten dürfen.<br />

87) Vgl. Anm. 67. 69 u. 112. E. Kr ü ger aaO. nennt als Vornamengut der Grafen<br />

von Egisheim: Eberhard. Hugo. Gerhard. dann Bruno (= Leo IX.) und Heinrich.<br />

64<br />

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name Ekbert auf ihre Nachkommen vererbt worden sein mag. Gertrud kamt<br />

unter diesen Voraussetzungen schon vor <strong>10</strong>02 geboren sein, wie wir dies für<br />

die Mutter Idas von Elsdorf wohl voraussetzen müssen 88). Sie kann somit schon<br />

um <strong>10</strong>20 die Mutter Idas von Elsdorf geworden sein, mag bald nach <strong>10</strong>31 dem<br />

Grafen Ludolf IV. von <strong>Braunschweig</strong> die Söhne Bruno VII. und Ekbert II.<br />

geboren haben und wäre <strong>10</strong>77 als verwitwete Gräfin von <strong>Braunschweig</strong> etwa im<br />

achtzigsten Lebensjahre gestorben 89).<br />

Möglicherweise war sie jene Gertrud, die als Tochter eines Grafen Ekbert<br />

<strong>10</strong>18 in Goslar von Gottschalk, dem Sohn des Grafen bzw. Befehlshabers Ekkehard<br />

(von Asseln ?), geschieden wurde 90). Auf diese Weise könnte Ida von Elsdorf<br />

einer geschiedenen Ehe entsprossen sein und dadurch mancherlei Ungemach<br />

erlitten haben wie Kaiser Ottos I. Stiefbruder Thankmar.<br />

VI.<br />

Suchen wir genauer nach jenem Grafen Ekbert, der gemäß diesen Oberlegungen<br />

der Vater der Mutter Idas von Elsdorf gewesen sein mag, so können<br />

wir nicht unbeachtet lassen, daß alle Söhne und Enkelkinder Ludolfs IV. von<br />

<strong>Braunschweig</strong> und der Gertrud bei Dokkurn in Friesland Grafenrechte innegehabt<br />

haben:<br />

Während Kaiser Konrad II. (f <strong>10</strong>39) noch Münzen mit dem Namen<br />

f CONRAD IMPE(RATOR) und mit der Aufschrift f FRESONIA prägen ließ,<br />

also noch selbst in Friesland das zu den nRegalien« (Königs rechten) gehörende<br />

Münzrecht innegehabt hat, sind unter seinem Sohn Heinrich III. (f <strong>10</strong>56)<br />

Münzen mit dem Namen HENRICVS REX bzw. HENRICVS IM(PERATOR)<br />

und dem zusätzlichen Namen BRVN (= Bruno VII. von <strong>Braunschweig</strong>l) in<br />

folgenden Münzstätten geprägt worden: DOCCVGGA (Dokkum), LIVNVERT<br />

(Leeuwarden), STA VER ON (Stavern), BODTISWER (Bolsward), MILDNVM<br />

(MidI um), DEKVVERT bzw. TIAKVART (wüst), GEROIEVVLAE (GarreIswer)<br />

und CIVNDER (Kiunder), und unter Heinrich IV. wurden eine Münze in<br />

SELHORN (Lage unbestimmt) ohne den Königsnamen mit den Namen BRVN<br />

und ECBERTVS (= Ekbert I. von <strong>Braunschweig</strong>l) und weitere Münzen mit dem<br />

Namen ECBERTVS (= Ekbert 1. bzw. Ekbert II. von <strong>Braunschweig</strong>l) in Dokkum,<br />

Leeuwarden, Stavern, Bolsward und MDINlSIM (Midlum? Winsum?)<br />

88) Die Möglimkeit. daß sim Idas Sohn Ekbert von ElsdorE <strong>10</strong>52 noch nimt im<br />

waffenfähigen Alter befand. können wir wohl außer amt lassen.<br />

89) Vgl. oben Anm. 22 u. 83.<br />

90) Annales Hildesheimenses (<strong>10</strong>18. 55. III 32). ed. W a i t z. S. 32: Vita Meinwerci<br />

ed. Tenckhoff. cap. 164 5.86: Siegfried Hirsch u. Harry Breßlau.<br />

J ahrbümer des deutschen Reimes unter Heinrich 11.. Bd. 111. S. 111. Ernst von U s 1 a r -<br />

GI eich e n. Geschichte der Grafen von Winzenburg (Hannover 1895) S. 235 f. hält<br />

Ekkehards Sohn Gottsmalk für einen Grafen von Assel (bei Salzgitter-Limtenberg).<br />

Richtiger war Ekkehard wohl der Graf Ekkica von Asseln bei Paderborn.<br />

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65


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Geschlecht stammenden Reinhildis, welche als Gattin des aus Wittekinds<br />

Geschlecht stammenden westfälischen Grafen Theoderüh die Mutter der seit<br />

909 mit dem Sachsenherzog und späteren deutschen König Heinrich I. vennählten<br />

Mathilde (f 968) UM somit die Großmutter mütterlicherseits des Kaisers<br />

Otto I. gewesen ist 98). Mathilde schenkte als Königinwitwe dem Kloster Pöhlde<br />

Güter in T ennard und Kollumerhorn 99), und Otto I. stiftete mit seiner Gattin<br />

Adelheid von Burgund (f 999) und seinem gleichnamigen "Mitkaiser" (Otto 11.)<br />

966 in Nimwegen dem Kölner Pantaleonskloster die holländische Insel" Urch"<br />

und die Hälfte des ihr gegenüber (bei Dokkum) befindlichen Gebietes, welches<br />

"anscheinend" ehemals dem Grafen Gardolf übertragen war und nun "in der<br />

Grafschaft des Grafen Ekbert" lag <strong>10</strong>0).<br />

VII.<br />

Auffallenderweise trug der 966 regierende friesische Graf Ekbert den<br />

gleichen Vornamen wie jener Graf Ekbert, der zusammen mit den Grafen<br />

Reidhard und Hennann 889 zur Zeit des Königs Arnulf (von Kärnten) im<br />

Wethigau (Huueitago) Komitatsinhaber in den Ortschaften Piringisamarca,<br />

Schidara, Ad(i)kenhusun und Muchohusun war <strong>10</strong>1) und den der König Arnulf<br />

DDO I 58 U. 124 U. DO II <strong>10</strong>1. Die ältere Forschung - so auch Bö t t ger aaO.<br />

5. 416 f. - hielt diese Gertrud für eine Tochter des <strong>10</strong>03 in Holland gefallenen flandrischen<br />

Grafen Arnulf von Gent, der tatsächlich Töchter hinterlassen hat. Dagegen rechnet<br />

Herrnann B 0 lI n 0 w. Die Grafen von Werl (Diss. Greifswald 1930) S. 35 f. Anm. 36<br />

mit der Möglidlkeit. daß Ludolf IV. zweimal vermählt gewesen ist und daß infolgedessen<br />

n Gertrud eine Gräfin von Egisheim" (und die Stiefmutter der Ida Elsdorf) gewesen sein<br />

mag.<br />

88) Vita Mahthildis reginae 912, 55. IV 284 f.<br />

88) DO I 439 u. DO 11 259; J a e k e I aaO. S. 41 H., 64 H., <strong>10</strong>1 H.<br />

<strong>10</strong>0) DO I 324 (966), vgl. unten Anm. 120. Der Wortlaut läßt WbhI darauf<br />

schließen. daß die Ausfertigung bis in die Zeit nach der Kaiserkrönung Ottos 11. (25. 12.<br />

967). also bis zu dessen Mündigwerdung hinausgezögert worden ist.<br />

<strong>10</strong>1) DArn.60 (889. Original) in: MG. DipIomata regum Germaniae ex stirpe Karo­<br />

Iillorum, hrsg. v. Paul K ehr (1940); O. Pr e u ß u. A. F alk man n. Lippische<br />

Regesten (DetmoId 1860/1868) Bd. I. Nr. 4 5. 52; Arthur Sc h ö n i n g. Der Grundbesitz<br />

des Klosters Corvey im ehemaligen Lande Lippe (Detmold 1958 ff.) Bd. I. 5. 19 f.<br />

Von den vier Ortschaften läßt sich nur "Schidara" (= Altenschieder) sicher lokalisieren<br />

(frdl. Auskunft von Herrn 5taatsarchivdirektor Dr. Erich K i t t e I. Detmold) ... Piringisamarca"<br />

- nach P. K ehr aaO ... vielleicht" Pynnont, vgl. MOIitz 0 p per man n.<br />

Geschichte des Landkreises Hameln-Pyrrnont. in: Heimatchron. d. Städte u. Kreise d.<br />

Bundesgebietes 23 (1961) S. 163 u. 184 - mag das zusammen mit .. Schidirimarcu· zu<br />

den ältesten Gütern des Klosters Corvey gehörende nBurghusen" -n Burchusen", also<br />

Borkhausen bei BIomberg nahe der Domäne Schied er (Lipp. Regesten I, Nr. 26 u. 29)<br />

gewesen sein. - Das castrum nPetri mons"-.. Perrnu(n)t"-.Piremont"-.. Pyerremont"<br />

oberhalb .. Udistorp"-nOzendorf" (= Oesdorf) wurde erst um 1183/1184 zur Zeit des<br />

Papstes Ludus III. durch den nach Absetzung Heinrichs des Löwen zum Westfalenherzog<br />

erhobenen Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg im Komitat der Brüder Widekind<br />

und Volkwin von Schwalenberg auf dem Schellenberg erbaut. Vgl. Chr. U. G r u p e n.<br />

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67


892 mit insgesamt 66 Hufen "in Uvange· (wüst unter dem Klüt jenseits des<br />

Bonifatiusstifts Hameln an der Weser) "et Uisbecchae" (Fischbeck/Weser) im<br />

Gau Thilithi (Tilgidae, Tilithi), "in Chirihdorf seu in Steteheim" (Kirchdorf<br />

am Deister unterhalb der vermutlich karolingischen Heisterburg) im Marstemgau<br />

(Marstein, Marstheim), "in Uuersteti" (Wrestedt bei Ülzen) im Bardengau<br />

(Barthunga, Bardanga) und "in Alaringiu (Kirchwahlingen an der Aller unterhalb<br />

der Leinemündung) im Loingau (Lohinga, Lainga) belehnt hat <strong>10</strong>2). Dieser<br />

Hamelner Graf Ekbert gilt als Nachkomme der hl. Ida (t 838) und des mit ihr<br />

vermählten westfälischen Grafen und Herzogs Ekbert <strong>10</strong>3) und war gewiß ein<br />

Vorfahre der bei den vor 955 verstorbenen Brüder Richard und Aelfdehc, deren<br />

Vater Ricperht gleichfalls vor 955 gestorben ist und deren Mutter Helmburhc<br />

955 das Stift Fischbeck gegründet hat <strong>10</strong>4).<br />

Diese Beobachtungen gewinnen für unsere Untersuchung dadurch an Bedeutung,<br />

daß das Hamelner Bonifatiusstift von altersher im Bereich der eingangs<br />

erwähnten Erbgüter Idas von Elsdorf den "Zins auf der Heide" von etwa<br />

44 Hufen Landes in "Walige" (Kirchwahlingen), "Oldenwalige" (Altenwahlingen),<br />

"BordesIo" (Bosse), "EIten" (Eilte), "Hulsinge" (Hülsen), "Huslom"<br />

(Gr. und Kl. Häuslingen, früher urkdl. Groten- und Lütgen-Huslem), "Ellestorpe<br />

in parrochia Botzem" (Eilstorf bei Kirchboitzen) und ..Y ddesingen" (ldsingen<br />

bei Walsrode) besessen und dem jeweiligen Inhaber des Hamelner Schultheißenhofes<br />

(des jetzigen Redenhofes) zu Lehen gegeben hat <strong>10</strong>5). Man kann also ver-<br />

Origines Pyrmont. et Swalenberg. (Göttin gen 1740) 5. 18 - 25; v. Alte n in: Zs. d.<br />

Hist. Vereins f. Niedersachsen 1859, S. 51; H. D 0 b b e r tin in: Archiv f. schles.<br />

Kirchengesch. 15 (1957) S. <strong>10</strong> Anm. 18. Ob das Gut "Ostoph" (siel), welches 1152 durch<br />

das Kloster Corvey beansprucht, aber durch Papst Eugen III. dem Mainzer Erzbischof<br />

zuerkannt wurde (G r u p e n aaO. S. 21 f.), mit Oesdorf bei Pyrmont identisch war, ist<br />

sehr die Frage (frdl. Hinweis von Herrn Stadtarchivar Dr. RudolE Fe i g e, Hameln).<br />

<strong>10</strong>2) DDArn. <strong>10</strong>2 u. <strong>10</strong>6 (892) = UBHHild. I. 20 u. 21 (892). Wolfgang Met z;<br />

Probleme der fränkischen Reichsgutforschung im sächsischen Stammesgebiet, in: Niederslichs.<br />

Ib. f. Landesgesch. 31 (1959) 5. 1<strong>10</strong> f. wagt es noch nicht, .Alaringi" zu lokalisieren.<br />

<strong>10</strong>3) Sabine Kr ü ger, Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Ih., in:<br />

Stud. u. Vorarb. z. Hist. Atlas Niedersachsens (= VeröH. d. Hist. Komm. f. Nds. 1I)<br />

Bd.19 (1950) 5.71; Hans-Walter Krumwiede, Das Stift Fischbeck an der Weser,<br />

Untersuchungen zur Frühgeschichte 955-<strong>10</strong>58, in: Stud. z. Kirchengesch. Niedersachsens.<br />

Bd. 9 (Göttingen 1955) S. 48 H.<br />

<strong>10</strong>4) DO I 174 (955). Zu den Vermutungen über die Abstammung der Helmburhc<br />

und ihres Gatten Ricperht vgl. K rum wie d e aaO. S. 32 H.<br />

1(6) O. M ein a r d u s u. E. F i n k, Urkundenbuch des Stiftes und der Stadt<br />

Hameln (188711903) Bd. I. Nr. 547 u. 740, vgl. ebd. Nr. 22 (5. 17); Lau e aaO. H. 4<br />

(1961) S. 9 geht auf die jüngere Geschichte dieser Bonifatiusgüter nicht ein, verweist<br />

aber auf .viele Auszüge aus den Lehnsakten des Bonifatiusstiftes in Hameln" (aus dem<br />

Staatsarchiv Hannover) in der Sammlung des Herrn Ritterschaftssyndikus Gebhard von<br />

L e n t h e (Celle). Zur Entstehungsgeschichte des Hamelner Bonifatiusstifts vgl. neuerdings<br />

Rudolf Fe i g e, Geschichte der Stadt Hameln, in: Heimatchroniken der Städte u.<br />

Kreise d. Bundesgebietes, 23 (1961) 5. <strong>10</strong>-18 mit literaturangaben S. 409- 414.<br />

68<br />

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gegründet habe. Dieselben Güter wie in dieser Urkunde sind auch in der<br />

Stauferzeit fast alle als Besitzungen des Stifts Öhningen nachweisbar <strong>10</strong>9).<br />

Aus der stauferzeitlichen Historia Welforum 1<strong>10</strong>) erfahren wir über diesen<br />

Grafen und seine Familie bei Erläuterung der Verwandtschaft des Welfen<br />

RudoH II.:<br />

"Rudolf, der Bruder der oben Erwähnten, bekam eine Frau namens Ida von<br />

Öhningen, deren Vater Kuno ein hochadliger Graf, deren Mutter aber eine<br />

Tochter Kaiser Ottos des Großen namens Richlint war. Dieser Kuno zeugte<br />

jedoch vier Söhne - Ekbert, Leuthold, Kuno, Lippold - von denen der erstere,<br />

nämlich Ekbert, jene Mark empfing, die an den Grenzen Sachsens gegen die<br />

Dänen liegt und Stade heißt, und Söhne und Töchter, die in verschiedene Gegenden<br />

verstreut wurden, gezeugt hat. Es hatte derselbe Kuno aber auch vier<br />

Töchter, von denen eine jenem RudoH, die andere jemandem von Rheinfelden<br />

- einem Vorfahren der Zäh ringer -, die dritte einem König von Rügen, die<br />

vierte einem Grafen von Diessen angetraut wurde. Besagter RudoU zeugte<br />

aus seiner Ida zwei Söhne - Heinrich und Welf - und eine Tochter namens<br />

Richgarda. "<br />

Und aus der gleichaltrigen Genealogia Welforum 111) entnehmen wir:<br />

"Rudolf bekam eine Frau namens Ida von Öhningen, deren Vater Kuno<br />

ein hochadliger Graf. deren Mutter aber eine Tochter Kaiser Ottos des Großen<br />

war. Dieser Kuno aber zeugte vier Söhne - den Markgrafen Ekbert von Stade,<br />

lippold. Leuthold. Kuno - und vier Töchter, von denen eine jenem RudoU.<br />

die andere jemandem von Rheinfe1den - einem Vorfahren der Zähringer -.<br />

die dritte einem König von Rügen. die vierte einem Grafen von Andechs angetraut<br />

ist. Rudolf zeugte aus seiner Ida den Heinrich, der bei Lana auf der<br />

Jagd. von einem Fe1sstück durchbohrt. verschied. und den ersten des Namens<br />

Welf."<br />

<strong>10</strong>9) Ebda.<br />

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1<strong>10</strong>) "Roudolfus frater superiorum accepit uxorem de Oningen ltham nomine cujus<br />

pater Chouno nobilissimus comes, mater vero ejus filia Otthonis Magni imperatoris<br />

fuit. Richlint nomine. Hic itaque Chouno quatuor filios progenuit. Eggebertum, Liutoldum,<br />

Chounonem. Leopaldum. Quorum primus, Eggebertus scilicet, marchiam illam.<br />

quae est in finibus Saxoniae versos Danos. Stad in nominatam, obtinuit et fiHos ac filias<br />

per diversas regiones disseminatas genuit. Habuit quoque idem Chouno quatuor filias,<br />

quarum una Roudolfi isti, aHa cuidam de Rinveldin parenti Zaringiorum, tertia re gi<br />

Rugiorum, quarta comiti de Diezon nupsit. Roudolfus praefatus ex sua Itha duos fiHos,<br />

Heinricum et Gwelfonem. et filiam Richgardam nomine progenuit." Historia Welforum,<br />

in: Sdlwäbische Chroniken der Stauferzeit. hrsg. v. Erich K ö n i g (1938) Bd. I. S. 12.<br />

111) Ruodolfus uxorem accepit de Oningen Itham nomine, cujus pater fuit Chuono<br />

nobilissimus comes, mater vero filia Ottonis Magni imperatoris roit. ls Chuono vero<br />

quatuor genuit filios. Egebertum marchionem de Stadin. Leopaldum. Liutoldum, Chuononem,<br />

et quatuor filias, quarum una isti Ruodolfi, aHa cuidam de Rinvelden parenti<br />

Zaringiorum, tertia regi Rugiorum. quarta comiti nupsit de Andhese. Ruodolfus ex sua<br />

genuit Heinricum. qui apud Lounum in venatione saxo percussus interiit, et Gwelfonum<br />

hujus nomine prim um (ebd. Anh. S. 76).<br />

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71


Friedrich, der sächsische Graf Ekbert (von <strong>Braunschweig</strong>), "Ita de Saxonia et de<br />

Birctorf", (Edelherr) Toto von Wagenhausen und Vogt Hezelo von Reichenau<br />

ihren gemeinsamen Besitz am Gut zu Schluchsee (im Schwarzwald) dem Kloster<br />

St. Blasien (im Schwarzwald) geschenkt haben 121).<br />

Daß dies Gut aus dem Erbe der schwäbischen Grafen von Öhningen<br />

stammte, ergibt sich daraus, daß RudoH von Rheinfelden gemäß der Historia<br />

Welforum und der Genealogia Welforum von einer Schwester des Stad er Markgrafen<br />

Ekbert abstammte, und daraus, daß Wagenhausen unmittelbar bei<br />

Öhningen liegt 122). Bemerkenswert ist, daß auch Graf Ekbert 1. von <strong>Braunschweig</strong><br />

bzw. dessen Sohn Ekbert 11. 123) zu dieser Öhninger Erbengemeinschaft<br />

gehörte. Daher hat man schon seit langem mit gutem Grund vermutet, daß die<br />

in der Bestätigungsurkunde hinter diesem sächsischen Grafen Ekbert genannte<br />

"sächsi.sche" Edelfrau Ida von Birkendorf identisch war mit der von Albert von<br />

Stade erwähnten "schwäbischen" Edelfrau lda von Elsdmf, zumal die Güterübertragung<br />

vermutlich erst um <strong>10</strong>75 erfolgt ist 124), als letztere ihre Herrschaftsrechte<br />

bei EIsdorf bereits dem Markgrafen Udo 11. (von Stade) übertragen<br />

hatte. Im Jahre <strong>10</strong>85 stiftete Ida von Birkendorf der cella St. Fides in Grafenhausen<br />

ein Gut in Birkendorf und der Kirdle zu Birkendorf ein Gut in Mettingen<br />

125).<br />

Rudolf von Rheinfelden war mit Kaiser Heinrichs IV. Schwester Adelheid<br />

vermählt. Im Gegensatz zu Otto von Northeim, der durch ein Ränkespiel bei<br />

Kaiser Heinrich IV. in Ungnade gefallen war und sich daher nach langem<br />

Zögern zum offenen Aufruhr genötigt sah 126), verfocht Rudolf zunächst<br />

weiterhin die Sache seines kaiserlimen Smwagers und geriet als Anführer eines<br />

kaiserlimen Heeres <strong>10</strong>75 in der mörderischen Schlamt beim Kloster Homburg<br />

(an der Unstrut) sogar in einen gefährlimen Zweikampf mit dem nordmärkischen<br />

Markgrafen Udo 11. von Stade 127), der, wie gesagt, gemäß dem Bericht<br />

Alberts von Stade den Grafen Ekbert von Elsdorf in Wi>Stedt ermordet, aber<br />

trotzdem dessen Mutter Ida von Elsdorf beerbt hatte. Erst während der Canossareise<br />

des durch Papst Gregor VII. exkommunizierten Kaisers Heinrich IV. ließ<br />

sich Rudolf am 26. März <strong>10</strong>77 zum Gegenkönig wählen. Seine Erbtochter Agnes<br />

121) Stumpf Nr. 3205; Sc h m i d aaO. S. 316 H.<br />

U2) Sc h m i d aaO. S. 240 H. weist auch auf staufischen Besitz in Öhningen hin.<br />

123) Daß noch Ekbert 1. (f <strong>10</strong>68) an dieser Güterstiftung beteiligt war, ist kaum<br />

anzunehmen.<br />

124) Wahrscheinlich war Rudolfs Sieg und seine Errettung aus dem lebensgefährlichen<br />

Zweikampf gegen Udo 11. von Stade in der Schlacht bei Homburg (<strong>10</strong>75) der<br />

Anlaß zu dieser durch Heinrich V. bestätigten Güterstiftung für St. Blasien am Schwarzwald.<br />

125) Beleg bei 5 eh m i d aaO. S. 319 Anm. 27 f.<br />

128) Hierzu jetzt K. H. La n g ein: Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 33 (1961)<br />

S. <strong>10</strong>-79.<br />

121) Vgl. unten Anm. 129.<br />

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von Rheinfelden vermählte sich <strong>10</strong>79 mit dem zum neuen Schwabenherzog<br />

erhobenen Grafen Berthold II. von Zähringen (t 1111) 128).<br />

Für unsere Untersuchung ist besonders wichtig, daß Udo II. von Stade ausdrücklich<br />

als "consobrinus", und zwar als Sohn einer "amita" Rudolfs von<br />

Rheinfelden bezeichnet wird 129.). Rudolfs Vater (Kuno) war demnach ein Bruder<br />

der Mutter Udos 11. von Stade, und es ergibt sich auf diese Weise, daß Udo II.<br />

von Stade und Ida von Elsdorf (und Birkendorfl) durch gemeinsame Abstammung<br />

von dem Grafen Kuno (d. Ä.) von Öhningen bzw. seiner Gattin Richlint<br />

etwa im zweiten Grade (germanischer Zählung) miteinander verwandt gewesen<br />

sind. Damit bestätigt sich zugleich die Angabe der Stader Annalen, daß Idas<br />

Sohn Ekbert ein "cognatus" Udos II. von Stade war.<br />

Es sei noch erwähnt, daß Ekbert II. von <strong>Braunschweig</strong>, der - wie seit <strong>10</strong>67<br />

sein Vater Ekbert I. - als Markgraf in Meißen regiert hat, sich zwar <strong>10</strong>73 am<br />

Aufstand Ottos von Northeim gegen den Kaiser beteiligte, in der Schlacht bei<br />

Homburg <strong>10</strong>75 aber den Kampf des von Rudolf von Rheinfelden geführten<br />

kaiserlichen Heeres unterstützte. Man wird daher annehmen dürfen, daß die<br />

Stiftung des Gutes in Schluchsee zur Zeit der Feindschaft zwischen Rudolf von<br />

Rheinfelden und Udo II. von Stade einerseits und der Waffenbrüderschaft<br />

zwischen Rudolf von RheinfeIden und Ekbert II. von <strong>Braunschweig</strong> andrerseits<br />

erfolgt ist. Damals lebte noch Ekberts II. Großmutter Gertrud als Witwe in<br />

<strong>Braunschweig</strong>. Sie mag diese Stiftung veranlaßt oder zumindest befürwortet<br />

haben. Als sie am 21. Juli <strong>10</strong>77 starb, war Rudolf von Rheinfelden bereits<br />

einige Monate Gegenkönig.<br />

Somit rundet sich das Bild, und wir dürfen abschließend sagen. daS der<br />

Behauptung Alberts von Stade. Ida von Elsdorf sei "eine aus Schwaben gebürtige<br />

Bruderstochter des Kaisers Heinrich III. sowie eine Schwesterntochter des<br />

Papstes Leo IX." gewesen, deren Sohn Ekbert in Wistedt durch seinen Anverwandten<br />

Udo von Stade getötet sei, keine Bedenken gegenüberstehen 130). Es<br />

ist nämlich in unser Ermessen gestellt, Ida von Elsdorf für eine Stieftochter des<br />

Kaiser(sticf)bruders Ludolf IV. von <strong>Braunschweig</strong> und für eine StIefschwesterntochter<br />

des besagten Papstes zu halten und anzunehmen, daß Ida von EIsdorf<br />

nach ihrer Romreise in das schwäbische Schwarzwalddorf Birkendorf übergesiedelt<br />

ist, welches zu den Erbgütern der Grafen von Öhningen gehört haben wird.<br />

128) VgI. Isenburg I. 4.<br />

129) Brunos Buch über den Sachsenkrieg. MG. Kritische Studien texte. hrsg. v. H. E.<br />

Lohmann (1937) cap. 45 S. 43 H.; Ann. Saxo <strong>10</strong>56 55. VI 691; Ann. Stad. 1144<br />

S5. XVI 325; H u c k e aaO. S. 28 Anm. 184.<br />

130) Dieses Untersuchungsergebnis erspart uns wohl eine Auseinandersetzung mit<br />

dem von D eck e r - Hau f f in: Württ. Franken 42 (1958) S. 27 erwogenen Gedanken.<br />

daß Graf Poppo von Lauffen (<strong>10</strong>37) - ein Stiefbruder Kaiser Konrads 11. (7) -<br />

der leiblidIe Vater Idas \'on Elsdorf gewesen sein könnte.<br />

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Die Gestalt der Stadt Gandersheim<br />

Zu ihrer topographischen Entwicklung<br />

Von<br />

Kurt Kronenberg<br />

I. Das Stift<br />

Die romanische Stiftskirche ist Waluzeichen und Mittelpunkt der Stadt<br />

Gandersheim. Sie hat den Häusern, Straßen und Plätzen den Stempel aufgedrückt.<br />

Alle Bauten haben sich ihr angleichen und unterordnen, alle Straßen<br />

und P].ätze nach ihr ausrichten müssen; sie prägte selbst das Landschaftsbild.<br />

Ohne die Stiftskirche wäre Gandersheim nimt - Gandersheim.<br />

Am Anfang der Stadt Gandersheim steht die Gründung des Kanonissenstiftes<br />

im lahre S'2 1 ). In der Zeit von S,6 bis SSl wurde der erste Bau der<br />

Stiftskirche errichtet.<br />

Die Stiftskirche stand nie allein, sondern war von vielen Gebäuden umgeben,<br />

die dem außergottesdienstlichen Leben der Kanonissen dienten. Der<br />

Klosterplan von St. Gallen zeigte smon in karolingischer Zeit das Muster, wie<br />

die Bauten für eine geistliche Gemeinschaft um das Gotteshaus geordnet sein<br />

sollten. Es ergibt sich aus der Sache selbst, daß die Kanonissen außer Gottesdienst<br />

und Gebet Räume zum Essen und Sdllafen, zum Lernen und zur Erholung<br />

braumten, daß andere Menschen Unterkunft benötigten, die für sie sorgen und<br />

sie ernähren mußten.<br />

Dieses Stift sollte bald nom die Aufgabe übernehmen, weltliche Herrsdlaft<br />

auszuüben. Die Herkunft der ersten Äbtissinnen aus fürstlichem, ja königlichem<br />

und kaiserlichem Hause und die Klosterpolitik Ottos 1. führten zum kaiserlich<br />

freien weldimen Stift Gandersheim. Aus einer Zeit, da der Höhepunkt Gandersheimer<br />

Geschichte bereits überschritten war, aus dem Jahre 1196, nennt die<br />

Äbtissin als Bewohner des Stiftsbezirks: "Nos et familia nostra et officiati<br />

nostri, domine nostre cum canonicis et ministerialibus et famulis eorundem et<br />

officiati ecclesie. Item officiati conventus, campanarii, cocus communis, claviger<br />

granarü et scolares" 2). (= Wir und unsere persönlidlen Bedienten und unsere<br />

Beamten, die Kanonissen mit den Kanonikern und Rittern sowie deren Knappen<br />

und die Beamten des Stiftes. Auch die Beamten des Konventes, die Glöckner,<br />

der gemeinsame Kom, der Schließer des gemeinsamen Speichers und die<br />

Schüler.)<br />

1) Hans Go e t tin g. Die Anfänge des Reichsstiftes Gandersheim. in Brschw. Jb.<br />

31 (1950) S. 19 H.<br />

') Niedersächsisches Staatstarchiv Wolfenbüttel (künftig: Nds. StA Wb.) Hs VII B 2.<br />

Abdruck bei G 0 e t tin g. Die Anfänge der Stadt Gandersheim. in: Blätter für<br />

deutsche Landesgeschichte Jg. 88 (1951) S. 55 und Gand. Kreisbl. vom 1. 11. 1959.<br />

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Für alle diese Stiftsinsassen wurden viele Gebäude benötigt 3). Der Stiftsbezirk<br />

ist noch heute deutlich im Stadtbild zu erkennen (Abbildung 1). Im Osten<br />

wurden die Gebäude der alten Abtei nach dem großen Brand von 1597 im<br />

Renaissancestil wieder erbaut, nur die MichaeliskapeIle zeigt noch romanische<br />

Bauteile. Nach der Straße zeigen die Gebäude noch den einstigen festungsartigen<br />

Charakter. Im Norden läßt der Domänenhof die Grenze deutlich erkennen,<br />

vor allem in dem Hufeisen, das die Gebäude um den Fronhof noch heute<br />

im Westen bilden. Im Süden verrät die Häuserreihe des Wilhe1msplatzes den<br />

Verlauf des Stiftsbezirks, den man nach vorn ergänzen muß, die Moritzkirche<br />

noch einschließend.<br />

Dieser Bezirk war von einer Mauer umgeben. Schon Roswitha von Gandersheim<br />

spricht von Mauern (moenia), die Herzog Otto der Erlauchte (t 912)<br />

vollendete 4). Vor allem berichtet der Priester Eberhard in seiner niederdeutschen<br />

Reimchronik der Geschichte Gandersheims von 1216 5 ):<br />

"Heit de Here ein herlik Stichte anevan<br />

und uppe datsine Werk na eme möchte duren,<br />

darumme leit he werken eine Muren<br />

schöne unde weit umme dat Stichte ...<br />

Schon frühzeitig wird der Stiftsbezirk Burg genannt. Als Kaiser Otto II. 980<br />

dem Stift die ihm von seinen Vorgängern verliehenen Rechte bestätigte, nennt<br />

er dabei: "urbalem bannum, quem vulgariter Burgbann vocant" 6).<br />

Als Bischof Bernward von Hildesheim im Jahre <strong>10</strong>01 Gandersheim<br />

besuchen wollte, verweigerten ihm die Kanonissen unter Führung der Kaisertochter<br />

Sophie den Zugang, indem sie ihre Ministerialen aufboten: "Diese<br />

erfüllten bewaffnet die Türme und Befestigungswerke im Umkreis der Kirche<br />

und setzten ihre Burg gegen einen einzigen Mann, ihren eigenen Bischof, in<br />

Verteidigungszustand" 7).<br />

Auch Bodenfunde bestätigten den Verlauf des "Murus urbanus", wie er in<br />

der Urkunde von 1188 genannt wird 8). Als 1956 das Haus Markt 8, der<br />

S) Kurt K r 0 n e n b erg, Kronenhaus und Kaisersaal. Gandersheimer Stiftsgebäude<br />

einst und jetzt. Bad Gandersheim 1960.<br />

') IJ-Irotsvithae opert ed. P. v. W in t e r f eid (Mou. Germ. 55. in uso schol. 1902)<br />

5.229.<br />

5) Die Gandersheimer Reimchronik des Priesters Eberhard, hrsg. v. ludwig WolfE<br />

(Altdt. Textbibliothek hrsg. v. G. Baesecke) 5.17 Vers 406<br />

8) Mon Germ. DO II Nr. 214 vom 980 März 12.<br />

7) Thankmar, MonGerm. SS IV p. 762.<br />

8) Nds. StA Wb. Urk Abt. 6 Nr. 28, siehe dazu Gerhard KalI e n: Das Gandersheimer<br />

Vogtweistum von 1188, in: Historiscne Aufsätze, Aloys Scnulte zum 70. Geb.<br />

gewidmet (Düsseldorf 1927) 5.169.<br />

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sogenannte Bracken, umgebaut wurde, .stieß man westlich vom Hofraum in der<br />

Tiefe auf ein festes starkes Mauerwerk. Es waren so viele starke Bruchsteine, daß<br />

man den ganzen Anbau damit errichten konnte. Die Stärke und der Umfang des<br />

Mauerwerks ließen auf ein Tor sdlließen 9). Bei der Anlage der Vollkanalisation<br />

bnd man auf dem Markt, vor dem Rathaus, ebenfalls erstaunlich starkes<br />

Mauerwerk, auch um die Osterzeit 1961 in der Reutergasse vor dem Pfarrhaus<br />

WilhelmspIatz 11. Audl hier waren es ziemlidl quadratische Bruchsteine von<br />

40 bis 60 cm Größe <strong>10</strong>). Diese Fundstellen fügen sich gut in da.s Luftbild ein.<br />

das uns den Stiftsbezirk zeigt (Abb. 1).<br />

Noch einen Schutz hatte die Stiftsburg: die Gande. Betrachten wir auf dem<br />

Luftbild den Verlauf der Grenze im Norden (links im Bild). so fällt die merkwürdige<br />

Einbuchtung in der Mitte auf. Sie mußte für die Verteidigung ungünstig<br />

sein. Ich meine. daß hier einst die Gande entlang floß und diese Einbuchtung<br />

schuf. weil sie vom Norden her strömte 11). Noch lange nach der Verlegung<br />

des Flusses - im 16. Jahrhundert - war der Plan sumpfig und oft mit Wasser<br />

bedeckt. Die Anlieger klagten. daß sie häufig nicht in ihre Häuser und Scheunen<br />

kommen konnten 12). 1215 trug ein Ministeriale des Stiftes den Namen:<br />

Transaquam 13). später finden wir den Namen .. Over dem Beke" 14). ihr Hof<br />

wird von der Stiftsburg aus gesehen jenseits der Gande gelegen haben.<br />

Die Stiftsburg mißt in der Länge (Ost-We.st) 225 m. in der Breite (Nord-Süd)<br />

175 m.<br />

Wir wenden uns nun den Gebäuden des Stiftsbezirks zu. Die Urkunde von<br />

1<strong>10</strong>7/<strong>10</strong> 15) erwähnt: .. Officinae. Refectorium. Dormitorium·. das Vogt weistum<br />

von 1188 16 ): .. Septa cIaustri. cymiterium. murus urbanus. domicilium<br />

ecclesiasticarum personarum. possessiones ministerialium". Die Urkunde von<br />

1196 17 ) nennt: "Curiae et domus ministerialium. granarium commune". In<br />

dieser Urkunde werden auch Schüler genannt. so daß es neben der Schule für<br />

Kanonissen und junge adlige Mädchen. von der uns Roswitha berichtet. auch<br />

9) Kr 0 ne n b erg, Der Bracken, in Gandersh. Kreisblatt vom 3 .• 15 .• 22 .• :29. X.<br />

5. XI. 1960.<br />

<strong>10</strong>) Kr 0 n e n b erg. Wie verlief die älteste Stadtbefestigung in Gandersheim? in<br />

Gandersh. Kreisblatt 15.4.1961.<br />

11) VgI. Eberhards Bemerkung a. a. O. Vers 414: dat he deH HameH VOH dem<br />

wateTe Heme, dat bi HOTdeH vlut delHe c<strong>10</strong>steTe Ha.<br />

12) Nds. StA Wb. L Alt Abt. 11 Gand. Fb. 1. 111 Nr. 56.<br />

"') Ebda. Urk Abt. 6 Nr. 42.<br />

U) Ebda. Urk Abt. 6 Nr. 223.<br />

16) Ebda. Urk Abt. 6 Nr. 27, siehe dazu Hans Go e t tin g. Die Gandersheimer<br />

Originalsupplik an Papst Paschalis 11. als Quelle für eine unbekannte Legation Hildebrands<br />

nach Sachsen in: Nds. Jb. rur Landeögeschichte Jg.:21 (1949) S. 93 ff.<br />

16) Nds. StA Wb. Urk Abt. 6 Nr.28.<br />

17) Ebda. Hs VII B Nr. 2.<br />

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eine Knabenschule gegeben haben muS. in der Chorknaben für den kirchlichen<br />

Dienst ausgebildet wurden.<br />

Von den urkundlich genannten Gebäuden können wir noch räumlich folgende<br />

nachweisen:<br />

Die Abtei im Osten der Stiftskirche. die der Äbtissin und ihrer persönlichen<br />

Dienerschaft als Wohnung diente und zugleich ein eigener Wirtschaftshof<br />

war. Das Dormitorium im Norden der Stiftskirche. das sich mit romanischen<br />

Bauteilen in einem späteren Gebäude erhielt und 1936 abgerissen wurde.<br />

Säule. Kapitell und Bogen wurden sichergestellt und werden im Heimatmuseum<br />

aufbewahrt. 1429 wird es als Slaphus 18) erwähnt. war aber seinem Zweck<br />

schon entfremdet. Das Refektorium war in der Reformationszeit noch erhalten.<br />

ebenfalls nicht mehr als solches benutzt.<br />

Das Granarium commune der Urkunde von 1196 hieß später der Spiker.<br />

1449 als Speicher des Kapitels auf dem Fronhof bezeichnet 19), es stand westlich<br />

vom Schlafhaus. nach Norden in Verlängerung des Stiftskalkhauses. Das Kalkhaus<br />

wurde 1958 abgerissen. es verlief von der Nordwestecke der Stiftskirche<br />

nach Norden.<br />

Schlafhaus. Kalkhaus. Refektorium umschlossen den Kreuzgang. der im<br />

Norden der Kirche lag. Er war zweistöckig und hatte einen Zugang zum Westwerk<br />

der Kirche. wo noch heute seine Verbindung zu sehen ist. Er bestand aus<br />

zwei Armen im Westen und Norden und endete östlich am Abteigebäude. Er<br />

hatte zwei Eingänge von außen. einen zum Fronhof. den anderen zum<br />

Domänenhof.<br />

Eine Schreiberei wird 155' 5 erwähnt 20). Herzog Heinrich d. J. von <strong>Braunschweig</strong><br />

belehnte damals seinen Amtmann Samson Sturz mit diesem Haus. das<br />

.. auf der Ebtei steht bei Gebhard Struven Scheune".<br />

Das Stiftskapitel besaß in dem Kronenhaus ein Gebäude. das zu Sitzungen.<br />

Empfang von Gästen und Aufbewahrung von Urkunden verwendet wurde. Es<br />

wird 13 51 und 13 66 erstmalig genannt 21). lag südlich vor dem Eingangsportal<br />

der Stiftskirche. sein Aussehen ist uns in einem Stich bei Leuckfeld überliefert<br />

22). In diesem Haus war auch die Schule untergebracht.<br />

Auf dem heutigen Domänenhof standen die Kurien vieler Kanonissen.<br />

Die Pröpstin wohnte in einem Hause an der (heutigen) Burgstraße. Als das<br />

Amt erlosch. bezog die Dekanisse das Haus. dessen Ansicht uns ein Stich bei<br />

Leuckfeld (Abb. 2) zeigt.<br />

18) Ebda. Urk Abt. 6 Nr. 360.<br />

19) Ebda. Urk Abt. 6 Nr.449.<br />

20) Ebda. Urk Abt. 6 Nr. 868.<br />

21) Ebda. Urk Abt. 6 Nr. 163 und 202.<br />

") Abbildung in Kr 0 n e n b erg. Kronenhaus lind Kaisersaal (Bad Gandersheim<br />

1960) 5.14.<br />

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Die Dekanisse hatte bis dahin in dem Hause vor dem Westwerk der Stiftskirche<br />

gewohnt, von 1589 an bezog es die jeweils älteste Kanonisse. 1741<br />

erbaute es die Kanonisse Magdalene Sybille neu 28). Da es den Blick auf die<br />

Stiftskirche verdeckte, wurde es 1958 abgerissen.<br />

Die früheste Erwähnung einer Stiftskurie ist das Jahr 1251 24). Damals<br />

übereignete der Kanoniker Johann von Wunstorf die Kurie, welche Gertrud<br />

von Ziegenberg bewohnte, dem Marienaltar. Vom 14. Jahrhundert ab fließen<br />

die Quellen für die Kurien der Kanonissen und Kanoniker so reichlich, daß<br />

wir die Geschichte vieler Häuser durch die Jahrhunderte verfolgen können. Ich<br />

hoHe, ein Häuserbuch darüber vorlegen zu können.<br />

Der Platz nördlich der Stiftskirche, der heutige Domänenhof. war völlig<br />

bebaut. Nur zwei schmale Gäßdlen führten zu den einzelnen Gebäudekomplexen<br />

(Höfen). Auf dem Stim bei Leuckfeld ist eines davon gut zu sehen (Abb. 2).<br />

Auch die Federzeichnung von 1580 (Abb. 3) zeigt die dichte Häuserfront, wenn<br />

auch die Stiftskirme um des klaren Bildes willen freigestellt ist. Erst im<br />

18. Jahrhundert wurde dieser Platz zur Domäne der Abtei gezogen, nach deren<br />

Aufhebung 1936 und Abbruch der Häuser und Stallungen entstand der heutige<br />

freie Platz.<br />

Aber schon in den ältesten Zeiten gehörte ein Wirtschaftshof zum Stift.<br />

Wir finden ihn im Fronhof. heute Teil des Domänenhofes im Westen. Hier<br />

stand der smon erwähnte Spiker und die Zehntscheune. Seine anfangs große<br />

Bedeutung wurde geringer, nachdem die Kanonissen das gemeinsame Leben<br />

aufgegeben hatten und jede ihren eigenen Hof hatte und sich selbst versorgte.<br />

Die Bezeichnung blieb. 1350 wird erstmalig die "Curie uppe deme Vronhove"<br />

erwähnt, die damals dem Kanoniker Heinrich von Sebexen gehörte 25), 1401<br />

lautet der Name Frowenhof 26) und seitdem finden wir beide Namen nebeneinander.<br />

Da man sim unter Fronhof nichts vorstellen konnte, vermutete man.<br />

daß hier die "Frauen" des Stiftes gewohnt hätten. Es handelt sich aber um den<br />

Hauptwirtschaftshof des Stiftes.<br />

Wir wenden uns nun dem Raum im Süden der Stiftskirche zu. Der heutige<br />

große freie Platz - seit 1856 nach Herzog Wilhelm von <strong>Braunschweig</strong> (t 1884)<br />

Wilhe1msplatz genannt - entstand durch Aufhebung des Stift,friedhofes im<br />

Jahre 1805 27 ). Er diente für die Insassen des Stiftes, während die Bürger der<br />

Stadt auf dem St.-Georgs-Friedhof begraben wurden.<br />

Aber es war nicht der älteste Friedhof des Stiftes, denn wir wissen aus<br />

Funden in den Höfen der Häuser Markt 8 und 9, daß ursprünglich hier die<br />

23) Karl 5 t ein a c k e r, Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums <strong>Braunschweig</strong><br />

BJ. V (Wolfenb. 19<strong>10</strong>) S. 222.<br />

2&) Nds. StAWb. Urk Abt. 6 Nr. 63.<br />

") Ebda. Ulk Abt. 6 Nr.158.<br />

20) Ebda. Urk Abt. 6 Nr.262.<br />

27) G. L. B ra c k e bus eh in Gand. Wochenblatt 185$ Nr.58.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

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H. Der Wik<br />

Als die Stiftskirche und die Stiftsgebäude im Tal der Gande gebaut wurden,<br />

war der Ort keineswegs so einsam und unwirtlich, wie es uns die Gründungslegende<br />

glauben machen will. Schon die Hügelgräber auf den Höhen rundum<br />

Gandersheim berichten von einer vorgeschichtlichen Besiedlung 83).<br />

Roswitha selbst gibt uns zwei Hinweise: Einmal erzählt sie bei der Lichtervision<br />

von den Hirten, sie hätten in einer "parvula villa" gewohnt und sodann<br />

von Herzog Ludolf, daß er eine kleine Kirche in der Nähe besaß, womit sie die<br />

Klosterkirche von Brunshausen meinte 34).<br />

Das dritte Zeugnis verschwieg sie, bewußt oder unbewußt - den Wik von<br />

Gandersheim. Seine Bedeutung für die Frühgeschichte Gandersheims, seine<br />

Gründung und Entwicklung ist von Hans Goetting entdeckt, klar und überzeugend<br />

dargestellt worden 35). Die Ausführungen Goettings können hier nur<br />

dankbar übernommen und eingebaut werden, hinzuzufügen ist ihnen nichts.<br />

Ohne die Wikforschung ist die Gestalt der Stadt Gandersheim nicht zu verstehen.<br />

Die Lage der einzigen Pfarrkirche der mittelalterlichen Stadt<br />

- St. Georg - außerhalb der Stadtmauern muß unverständlich bleiben und zu<br />

seltsamen Deutungen Anlaß geben, wenn man die Ergebnisse der Wikforschung<br />

nicht kennt.<br />

Herzog Ludolf hatte mannigfache Gründe, das Familienstift an die heutige<br />

Stelle zu bauen. Er hatte in der Nähe einen Edelhof. Südludolfshausen, das wir<br />

nordwestlich der Georgskirche vermuten können. Wichtiger war der Handelsplatz,<br />

an dem reisende Kaufleute zusammenkamen, um Waren zu verkaufen<br />

oder zu tauschen. Hier im Tal der Gande trafen sich die großen Fernstraßen<br />

Vom Rhein zur EIbe - Westostrichtung - und von Frankfurt-Fulda nach Hildesheim<br />

- Südnordrichtung. Schließlich war hier der Ort eines aus heidnischer<br />

Zeit stammenden Heiligtums. Darauf deutet die Lage und Gestalt des Hügels,<br />

auf dem die St.-Georgs-Kirche liegt und noch heute schön und eindrucksvoll ein<br />

Blickfang ist; darauf die Nähe einer Salzquelle und schließlich die Reste eines<br />

Urnenfeldes, die man 1 S 62 unterhalb des Hügels beim Bau der St.-Georgs­<br />

Straße fand 36).<br />

Die St.-Georgs-Kirche bestand bereits in der Frühzeit des Stiftes und wird<br />

in ausgesprochenem Gegensatz zur Stiftskirche in der Zeit Kaiser Ottos II.<br />

33) F. Ni q u e t. Grundzüge der Vor- und Frühgeschichte des Kreises Gandersheim,<br />

in: Der Landkreis Gandersheim Bd. I, Bad Gandersheim 1958, S. 30 ff.<br />

S4) Hrotsvit, Primordia coenobii Gandeshemensis. s. Anm.4. Vers <strong>10</strong>5 (S.232)<br />

und Vers 188 (5.234).<br />

35) H. Go e t tin g. Die Anfänge der Stadt Gandersheim. s. Anm. 2. S. 39 ff,<br />

ferner ders .• Der Gandersheimer Kaufmannswik und die Entstehung der Stadt Gandersheim.<br />

in: Jubiläumsnummer des Gandersheimer Kreisblattes vom 1. 11. 1959.<br />

36) Hans P fe i f e r. Die St. Georgskirche in Gandersheim. in: Die Denkmalspflege<br />

Il. Jg. (1900) Nr. <strong>10</strong>.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

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satz zu anderen Straßen - Fund in der alten Gasse 1958 -, wo die Platten<br />

40 cm maßen. Das aufblühende Stift ließ wohl den Kaufleuten ein näheres<br />

Heranrücken an das Stift wünschenswert erscheinen, auch fand sich hier ausreichend<br />

Raum für das Feilbieten der Waren.<br />

III. Der Markt<br />

Das Jahr 990 bringt das große Privileg Kaiser Ottos IlI.44), wonach die<br />

Äbtissin das Recht erhält "eigene und fremde Kaufleute und Käufer zum<br />

Markte zuzulassen und von ihnen den Marktzoll zu erheben". Nun tritt der<br />

Marktplatz, das forum an Stelle des bisherigen Straßenmarktes. Seine Gestalt<br />

und seine Lage wird vom Stiftsbezirk geprägt. Er wäre nichts ohne die Stiftskirche<br />

und die sie umgebenden Stiftsgebäude. Es kommt zu einem städtebaulichen<br />

Zusammenklang zwischen Marktplatz und Stiftskirche, indem der<br />

Markt an der west-östlichen Bewegungsrichtung des Kirchenschiffes teilnimmt.<br />

Wie eine breite Feststraße führt der Marktplatz auf das Domportal zu.<br />

Aber der Marktplatz schließt sich nicht einfach an die Stiftsburg an - wie<br />

der Straßenmarkt es tat. Er bricht unmittelbar in den Stiftbezirk ein. "Da<br />

reicht die Welt des Bürgers mit seinen Fachwerkgiebeln bis dicht an die monumentale<br />

Front des Domes" 45).<br />

Indem der Marktplatz sich langsam verschiebt und in den Stiftsbezirk hineinwächst,<br />

wird seine Ge!;talt bestimmt. Sie ist kein Rechteck, sondern setzt<br />

sich aus einem Quadrat im Westen und einem schmalen Rechteck im Osten<br />

zusammen. Der Marktplatz in Gandersheim entsteht auf Grund der räumlichen<br />

Bedingungen, die das Stift vorschreibt, er ist gewachsen, nicht konstruiert.<br />

Die Mauern der Stiftsburg müssen an dieser Stelle werst weichen. Äbtissin<br />

und Kapitel haben keinen Grund, sich gegen den Marktplatz abzugrenzen, denn<br />

es ist ihr Markt. Das Stift ist Gründer. Man kann sagen, der Stiftsbezirk<br />

erweitert sich um den Marktplatz. Richtiger müßte man wohl Marktsiedlung<br />

sagen, denn es geht nicht nur um einen Platz, sondern um Gebäude und Wohnungen.<br />

Eine planvolle Ordnung ist am Werk. "Der Markt war das Privileg<br />

des Grundherrn, ihm zinsten die Brot- und Fleischscharren, die Brauhäuser und<br />

Weinhäuser; sein Vogt schlichtete im Marktgericht die Händel, ordnete Maß<br />

und Gewicht. Die Gerichtslaube, die Urzelle des Rathauses, steht deshalb am<br />

Markt" 46). Noch war der Bürgerstand unfrei und dem Grundherrn hörig.<br />

Am Markt wachsen die neuen städtischen Gebäude empor: Rathaus, Marktkirche,<br />

Brot- und Aeischscharren.<br />

&4) Mon Germ. DO 1II Nr. 66 .<br />

• 5) G r u be r, Die Gestalt der deutschen Stadt, München 1952, S. 36 und S. 39.<br />

t8) Ebenda S. 34.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

85


Das Rathaus wird urkundlich sehr spät erwähnt 47), doch war es früher<br />

vorhanden. Es steckt - mindestens in seinen Grundmauern - im Westteil des<br />

heutigen Rathauses, lag also außerhalb des Stiftsbezirks.<br />

Die Marktkirche finden wir heute wieder im Rathaus, sie bildet den Ostteil.<br />

Ihr Turm mit alten Glocken und das gotische Kirchenschiff ist noch erhalten,<br />

obwohl man nach der Einfügung ins Rathaus um H80 einen Renaissancemantel<br />

herumlegte, um ihm das Aussehen eines weltlichen Gebäudes zU geben.<br />

Die früheste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1378 48 ). Damals<br />

verkauften Äbtissin und Kapitel dem Rat der Stadt "eine Stätte behuf der<br />

Marktkerken, die zu der Freiheit gehört". Damals mag die gotische Kirche<br />

gebaut worden sein. Trotzdem handelte es sich nicht um einen Neubau, sondern<br />

um eine Erweiterung. Das Moritzpatrozinium der Marktkirche weist auf<br />

ottonische Zeit zurück 49); der erste Bau mag sehr klein gewesen sein und<br />

wird außerhalb der Stiftsfreihcit gestanden haben.<br />

Der Brotscharren - 1456 erstmalig erwähnt - lag an "dem Orde des Markedes",<br />

zwischen den Häusern Markt 7 und 8. Ein kleines Gebäude stand hier<br />

noch bis 1956, als der Bracken (Markt 8) umgebaut wurde. Er befand sich auf<br />

Stiftsboden und die Stadt mußte bis zur Aufhebung des Stiftes einen Zins dafür<br />

an das Kapitel zahlen 50). Der Fleischscharren befand sich auf Stadtgebiet.<br />

H48 erstmalig erwähnt als "an der Marktkirchen" 51).<br />

In den Marktbezirk ragten einige Häuser des Stiftes hinein: es sind außer dem<br />

Brotscharren der Bracken (Markt 8) 52) und das Rickesche Haus (Markt 9) 5!J).<br />

Um diese beiden Fremdkörper hat die Stadt Jahrhunderte gerungen und doch<br />

nicht gesiegt; das Stift konnte sein Recht behaupten. Wenn der Bracken 1499<br />

das Weinhaus genannt wird 54), deutet diese Bezeichnung auf einen öffentlichen<br />

Getränkeausschank, lästig für die Stadt, weil der Ratskeller gegenüber lag.<br />

Noch 1556 finden wir den Namen für eine Familie: Hans Köler alias Weinschenk<br />

bewohnt ein Stiftshaus 55).<br />

Schließlich entstanden am Marktplatz noch Gasthäuser, 1764 das "Weiße<br />

Roß", in der Stadtvermessung 1768 als eines der vier Gasthäuser der Stadt<br />

genannt, dem später "Zur Ecke" folgte.<br />

47) Stadtbuch im Gand. Heimatmuseum BI. 2 R. Urk. von 1469.<br />

4") Nds. StA Wb. Urk Abt. 41 N r. 11.<br />

49) Go e t tin g, Die Anfänge .. s. S. H. Anm. 35.<br />

&0) Kämmereirechnungen der Stadt im Heimatmuseum. 1597 und 1643 ff.<br />

It) Nds. StAWb. Urk Abt. 6 Nr. 833.<br />

&2) S. Anm. 9.<br />

13) Kr 0 n e n b erg, Erbaut Anno Domini 15 52, Geschichte eines alten Bürgerhauses.<br />

in Gand. Kreisblatt 13.,20 .• 27. VIII. 17. IX. 1960.<br />

") Nds. StAWb. Hs VII B Nr. 17 BI. 72.<br />

'0) Ebda. L Alt Abt. 11 Fb. 1, VII Nr.23 BI. 115.<br />

86<br />

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http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500


Das Wahrzeimen des Marktplatzes war der "Markt- oder Fismstein U<br />

,<br />

1601 genannt, als ein Kind hier ausgesetzt worden war 56), und 1607, wo von<br />

einem jungen Mann berimtet wird, er habe "auf dem Markte dem Fismstein,<br />

der wohl undenklim Jahre ungesmlagen gestanden, 16 Smrarnmen darein<br />

gehauen" 57).<br />

Die Marktsiedlung wurde in den Mauerring einbezogen, der nun erweitert<br />

werden mußte. Mangels jedes urkundlimen Namweises sind wir auf Rücksmlüsse<br />

und Bodenfunde angewiesen. Die starken Grundmauern, die 1961 bei<br />

der Anlage der VoIIkanalisation auf dem Grundstück Wilhelmsplatz 7<br />

(Druckerei und Verlag Hertel) zwismen Vor- und Hinterhaus auf dem Hof<br />

gefunden wurden und zwar in einer Tiefe von 3 Metern, könnten nom dem<br />

ersten Mauerring angehört haben - im meine, daß auch der zweite Mauerring<br />

hier nicht anders verlief. Das Mauerwerk aber, das im gleichen Jahr in<br />

der Reutergasse in Höhe der Wilhelmsburg gefunden wurde, muß zur zweiten<br />

Stadtmauer gehören. Mühe 58) berichtet ferner: "Ebenfalls ein solcher Mauerrest<br />

dieses älteren Befestigungsringes wurde nach Brackebusch 1880 bei Neubau<br />

des Hauses ass. Nr. 37 (Moritzstraße 2;, Glaserei) beseitigt, er lag also im<br />

Zuge der Stadtmauer".<br />

Die Stärke des Mauerwerks spricht dafür, daß an dieser Stelle ein Stadttor<br />

gelegen hat, das 13; 2 genannte Holenstratertor 59), das seinen Namen von der<br />

Hohlengasse (= Oldegasse = Alte Gasse) trug, die hier mündet. Mühe hat P.S<br />

an den westlimen Ausgang der Alten Gasse gezeichnet, was mir unwahrschein­<br />

Ha, erscheint, weil so nahe neben dem Georgentor kein zweites gelegen haben<br />

wird. Am Ende der Alten Gasse stand ein Turm, 1;;1 der Pulverturm<br />

genannt 60), der auf dem Merianstim gut zu sehen ist. Nam den Funden bei<br />

der Kanalisation 19;8 ging die Stadtmauer durch die Alte Gasse hindurch,<br />

was aber die Anlage eines Tores nicht ausschließt. Aber ein zweiter Grund<br />

spricht gegen ein Tor an dieser Stelle. Nach der Urkunde von IH2 lagen vor<br />

dem Tor zwei Höfe des Dietrim von Staßfurt. Sie können nimt im Westen<br />

vor der Alten Gasse bzw. vor der Stadtmauer gelegen haben, weil hier das<br />

Flußgebiet der Gande ist. Wie sumpfig das Gelände hier ist, zeigte sich beim<br />

Bau des Finanzamtes 195'6 und des Gesundheitsamtes 195'9. Es werden deshalb<br />

&6) Kämmereirechnungen im Heimatmuseum 1597 H.<br />

5") Ratsprotokolle im Heimatmuseum 1599-1608.<br />

58) Adolf M ü h e, Gesch. d. Stadt Bad Gandersheim (Bad Gandcrsheim 1950), S. 29.<br />

&9) Nds. StAWb. Urk Abt. 6 Nr.167.<br />

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80) Stadtbuch im Heimatmuseum Bl. 29: Dat pulver/wss in der holeH Gatzen an<br />

der Stadtmurr.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

87


die Höfe sein, die später mit der Lagebezeichnung: "Vor dem Galgentorerscheinen<br />

61).<br />

Zur Marktsiedlung gehörten also außer dem Marktplatz: der untere Teil<br />

der heutigen Moritzstraße bis zur Einmündung der Alten Gasse, diese selbst,<br />

der Steinweg und sehr wahrscheinlich auch Bader- und Hennebergstraße.<br />

1206 - im Jahr, da Papst Innozenz 111. dem Stift das große Exemtionsprivileg<br />

erteilte- war diese Entwicklung abgeschlossen. Das Stift befand sich<br />

auf der Höhe der Macht.<br />

Um diese Stifts- und Marktsiedlung lagen Höfe, Gärten und Mühlen. Es<br />

waren die Höfe vor dem Holenstratertor 1352, vor dem Galgentor 1390, der<br />

kleine Dieckhof 1491 62 ), der Spitalshof 1428 63 ) und vor aIlem die noch heute<br />

erhaltene Bezeichnung der "Hohen Höfen" 64) - urkundlich erst 1420 erwähntberichten<br />

uns von einer engen Besiedlung. Eine Mühle - im Osten der Stadt<br />

gelegen - wird 1159 erwähnt, sie wurde später in die Nähe der St.-Georgs­<br />

Kirche verlegt, das Stift besaß die Hagenmühle, das Kloster St. Marien die<br />

Borbergmühle und die Stadt die Lohmühle. Das war genug. Herzog Otto versprach<br />

deshalb 1430 der Stadt, daß keine neue Mühle mehr genehmigt werden<br />

sollte 65).<br />

IV. Die Burg<br />

In dem handschriftlichen Katalog der Äbtissinnen, der sich in Abschriften<br />

des 16. und 17. Jahrhunderts erhalten hat 66), wird bei der Äbtissin Bertha n.<br />

(1223-1251) vermerkt: "Unter dieser Äbtissin haben die Herzöge von <strong>Braunschweig</strong><br />

erstlich ein Haus allhier angefangen zu besitzen". Das Jahr 1259 schien<br />

den Höhepunkt der Stiftsmacht zu bringen, denn es gelang der Äbtissin, die<br />

Vogtei an sich zu bringen 67), aber -schon war der Umschwung im Gange. Aus<br />

der Stiftsstadt wurde eine Landstadt. Das Bestreben der Herzöge von <strong>Braunschweig</strong>,<br />

ihre Landesherrschaft auch über das Stiftsgebiet zu erstrecken, traf<br />

sich mit dem Bestreben der Bürger, von der Herrschaft der Äbtissin als Grundherrin<br />

frei zu werden. Die Verwirklichung dieses gemeinsamen Zieles veränderte<br />

abermals die Gestalt Gandersheims.<br />

Urkundlich wird die herzogliche Burg erstmalig 1347 als Slot erwähnt, 1350<br />

als Hus und 1360 als Borg to Gandersem 68). Die Herzöge besitzen sie als<br />

81) Nds. StA Wb. Urk Abt. 14 Nr. 64: Cord von Gandersheim versetzt 1390 zwei<br />

Kothöfe vor dem Galgentor.<br />

88<br />

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82) Ebda. Urk Abt. 14 Nr. 84.<br />

83) Ebda. Hs VII B Nr. 13 Bl. 133, 138. 155.<br />

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Abb. l. Der S t i f t sb e z i r k um 1920 (F lu gaufn ahme) (B lick von Westen nach O sten)<br />

Abb.2. Ausschnitt aus dem Kupferstich in Leuckfeld: Antiquitates Gandersheimenses 1709<br />

(B lick von Norden. 2 - Abtei. 7 - Dekanei.<br />

8 - Haus der Kanonisse Sophie Elconore von Braul1sdnveig-Bevern)<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500


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Abb. 3. Alls S c h n i t t allS e i 11 e r Fe der z e i ch 11 LI 11 g<br />

die der Amtmann Johatll1es ScharH 1580 dem Herzog einreichte<br />

(Nds. StA. Wb. L Al t 26 Nr. 1169) . (B lick vo n Westen)<br />

-,<br />

I 1 "- ," • j<br />

Abb.4. Kupferstich der Stadt Gandersheim von Konrad BU ll o<br />

in der 1654 von Matthäus Me ria n herausgegebenen Topographie<br />

der Herzogtüm er Braullschweig-Llineburg (13 1kk von No rd en)<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

o


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Lehen der Äbtissin 69). Der heutige Bau stammt aus der Zeit Herzog Heinrichs<br />

des Jüngeren von 1530. wie die Inschrift am ehemaligen Turmtor - Nachtigallenturm<br />

genannt - noch heute ausweist 70). Sie war als Wasserburg vöIlig<br />

von der Gande umspült. Eine Zeichnung von 15 80 71 ) zeigt uns die Gebäudeanlage.<br />

die trotz einiger Umbauten noch heute erhalten ist. Danach standen die<br />

Schloßgebäude im Viereck um einen Innenhof. davor lagen das Amtshaus. der<br />

Marstall und die Wirtschaftsgebäude.<br />

Neben der Burg führte eine zweite Brücke und ein zweites Tor über die<br />

Gande zur Straße. Herzog Otto von <strong>Braunschweig</strong>. genannt Codes. bewilligte<br />

1395 der Stadt. daß das Tor zugemauert und die Brücke abgerissen wurde 72).<br />

Mühe 73) legt das Tor an den Ausgang der heutigen Hennebergstraße. dem im<br />

zustimmen möchte.<br />

Infolge. des Burgbaues wird die Gande erstmalig nach Norden verlegt worden<br />

sein. ·um sie zum Schutz verwenden zu können. Steinacker meint 74). "daß<br />

die Burgfreiheit (1416 erwähnt) 75) - der heutige Plangarten - die Stätte der<br />

älteren Burg gewesen ist und also das Gelände der jetzigen Burg und ihres<br />

jetzigen Wirtschaftshofes fast gänzlich außerhalb der alten Stadtmauer (die<br />

dann hier mehr eine Burgmauer gewesen wäre) .gelegen hat".<br />

Ich meine dagegen. daß die alte Burg an der heutigen Stelle stand. denn der<br />

heutige Plangarten war einst bebaut. Es wird berichtet: "Es hat auch Herzog<br />

Heinrich der Jüngere an die zehn Bürger auf die Abtei gewiesen und daselbst<br />

bauen lassen. welche ihre Häuser wegen der damals neugebauten Burg haben<br />

müssen abbrechen" 76). Heinrich ließ also den bis zu dieser Zeit mit Bürgerhäusern<br />

bebauten Plangarten freilegen. wn die Burg besser verteidigen zu können.<br />

Deshalb verschwindet aum am Anfang des 16. Jahrhunderts die vorher<br />

mehrfach genannte Burgstraße 77) (die heutige Burgstraße erhielt ihren Namen<br />

erst im 19. Jahrhundert).<br />

1424 und 1433 wird der herzogliche Marstall genannt 78).<br />

Unter dem Schutz der Burg entstanden der Hagen und die Neustadt. Ein<br />

Hagen deutet immer auf eine planmäßige Besiedlung durch einen Grundherrn.<br />

e9) Der s .• außerdem H are n b erg, Historica ecclcsiae Gandershemensis cathedralis<br />

ac collegiatae diplomatica (Hannover 1734) S. 350.<br />

70) S t ein ac k e r a. a. O. S. 203.<br />

71) Nds. StA Wb. L Alt Abt. 26 Nr.1169.<br />

72) Ebda. Urk 41 Nr.19.<br />

73) M ü h e a. a. O. 5.31.<br />

74) 5 t ein a c k e r a. a. O. 5.207.<br />

16) Nds. StA Wb. Urk Abt. 41 Nr. 20.<br />

16) Ebda. L Alt Abt. 11 Gand. Fb. 1. 1Il NT. 56.<br />

71) 1432.34 und 41 in: Ebda. Hs VII B Nr. l3 BI. 152 R, 162. 180.<br />

18) Ebda. BI. 120 und 158 R, s. auch Urk Ab:. 6 Nr. 335.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

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Auch das Hagentor wird nun gebaut. Aber das gehört bereits ins nächste<br />

Kapitel.<br />

V. Die Stadt<br />

Die urkundlichen Quellen für die Topographie Gandersheim fließen in<br />

dem Augenblick reicher, als der dritte Mauerring vollendet wurde. Die erste<br />

Urkunde über die Errichtung eines Stadttores ist zugleich die letzte, denn mit<br />

diesem Tor war die Stadtmauer vollendet. Sie stammt aus dem Jahre 1334 und<br />

ist ein Zeugnis für den Sieg der nun selbständigen Stadt 79).<br />

Zwischen 1206 und 1334 gelang es den Bürgern, sich aus dem Abhängigkeitsverhältnis<br />

der Äbtissin zu befreien. Aus den Hörigen des Stiftes wurden<br />

freie Bürger: Stadtluft macht frei. 1329 war der Rat stark genug, die Freilassung<br />

vieler Bürger durchzusetzen, die rechtlich noch Stiftshörige waren und<br />

ohne formelle Freilassung bereits längere Zeit in der Stadt wohnten 80). Indem<br />

der Herzog diese Urkunde beglaubigte 81), verrät er seine Mitwirkung. Das<br />

Siegel der Stadt zeigt den Helm des Herzogs und nur klein die Lilie der<br />

Äbtissin 82).<br />

Der dritte Mauerzug prägte endgültig die Gestalt Gandersheims. Er erwies<br />

sich als notwendig, weil drei neue Stadtteile einbezogen werden mußten: Neustadt.<br />

Hagen und eine Ansiedlung im Süden. Während Neustadt und Hagen<br />

durch den Bau der herzoglichen Burg entstanden, hatte die Einbeziehung des<br />

Südteils der Stadt einen anderen Grund. Mühe 83) führt aus, daß die Einwohner<br />

der Ortschaft Rickelshausen - das 1936 als Dreilinden wieder erstandinfolge<br />

der Fehden und Kriegszüge ihre Höfe verließen und sich in der Stadt<br />

ansiedelten.<br />

Von diesem Mauerzug sind noch erhebliche Teile erhalten, im Süden<br />

zwischen Moritzstraße und Bismarckstraße - mit der heutigen Straßenbezeichnung:<br />

An der Stadtmauer -, im Norden zwischen Bader- und Hennebergstraße<br />

und am Beginn der Bismarckstraße, wo neben dem Hotel Prinz Wilhe1m ein<br />

Teil des alten Marientores zu sehen ist. In dem steilen Wall, der sich von hier<br />

zur Petristraße zieht, erkennen wir den Stadtwall. Bei den Arbeiten für die<br />

Kanalisation 195'8-61 wurden die Fundamente der Stadtmauer in der Alten<br />

Gasse und auf dem Steinweg sichtbar. Zwischen Steinweg und Alte Gasse können<br />

wir noch wie einst den Wächterstieg entlanggehen.<br />

Der dritte Mauerzug war auch notwendig geworden, wenn die Sicherheit<br />

der selbständigen Stadt gewährleistet sein sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

79) Ebda. Urk Abt. 41 hinter Nr. 4.<br />

80) Ebda. Urk Abt. 41 Nr.2. s. dazu Go e t tin g. Zum Rechtsproblem der entlaufenen<br />

Liten. in: Brschw. Ib. 32 (1951) S. lOS H.<br />

81) Ebda. Urk Abt. 41 Nr. 3.<br />

82) Siegel an Urk Abt. 41 Nr.6.<br />

83) M ü h e a. a. O. S.32.<br />

90<br />

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waren Stiftsburg und Marktsiedlung nur zusammen zu verteidigen. Erst wenn<br />

die Stadt einen eigenen Mauerzug erhielt, war ihre Selbständigkeit - auch<br />

gegen die Äbtissin - gesichert. Erst der Bau des Marientores schuf diese Voraussetzung.<br />

Aber er ging zugleich darüber hinaus, denn nun lag der Stiftsbezirk<br />

innerhalb der Stadtmauer und war vom guten Willen der Bürger abhängig.<br />

Tatsächlich verdanken wir die Überlieferung der Urkunde von 1334 dem Vorfall,<br />

daß die Stadt im Papenkrieg 1454 Gegnern des Stiftes einen Einfall ermöglichte<br />

84). Ja, es kam soweit, daß der Äbtissin Gertrud von Regenstein (1504<br />

bis 1531) die Tore gesperrt wurden und sie nicht mehr ins Stift gelangen<br />

konnte 85).<br />

Was die Äbtissin Judith von Schwalenberg 1334 veranlaßte, die Zustimmung<br />

des Torbaues zu geben, wissen wir nicht. Wir können nur vermuten, daß<br />

sie sich bereden ließ, Geld brauchte oder daß der Herzog sie dazu bestimmte.<br />

Diesem Mauerring wurde später das Neue Dorf vorgelegt, das nach Mühes<br />

Ansicht 86) durch Zuzug der Einwohner des verlassenen Dorfes Abbatisconrod<br />

- bei Schachtenbeck gelegen - entstanden war. Schon 1273 erstmalig genannt<br />

87), blieb das Neue Dorf rechtlich außerhalb der Stadtgemeinde. 1433<br />

gestattete der Konvent des Marienklosters den Bau eines Grabens hinter dem<br />

Kloster 88). Er wird 1444 als der Neuendorfer Graben bezeichnet. Bei ihm stand<br />

auch ein Bergfried. Herzog Heinrich der Jüngere verstärkte die Befestigung an<br />

dieser Stelle. 1520 heißt es, daß "ein Teil der Marienkirche und des Klosterhofes<br />

zur Befestigung der Stadt Gandersheim genommen worden sind 89).<br />

Nachdem das Holenstratertor und das Tor neben der Burg verschwunden<br />

waren, wurde die Stadtmauer durch vier Tore unterbrochen und geschützt. 1345<br />

wird erstmalig das Hagentor genannt. Bertold de Angulo hatte ein Haus<br />

gebaut auf einer area "intra valvas indaginis Gandersem" 90). Das Tor bestand<br />

also aus zwei Toren, die die gesamte Neustadt einschlossen; allerdings zählte<br />

sie auf jeder Straßenseite nur acht Grundstücke. Das innere Tor stand unmittelbar<br />

neben der Burg (s. Merianstich), mit ihr durch eine Mauer verbunden. Noch<br />

1783 heißt es: "Von den Hagen Tbor oder Thurrn gehet eine starke Mauer bis<br />

unmittelbar an die Ecke des Amtshauses und durchschneidet den Amtsgraben"<br />

91).<br />

M) Nds. StAWb. Urk Abt. 6 Nr.467.<br />

8lI) Ha re n be rg a. a. O. S.9,O.<br />

86) M ü he a. a. O. S. 24.<br />

81) Nds. StA Wb. Urk Abt. 6 Nr. 82.<br />

118) Ebda. Urk Abt. 14 Nr. 82 und Abt. 41 Nr. 34.<br />

89) Ebda. Urk Abt. 14 Nr.191.<br />

80) Ebda. Urk Abt. H Nr.7.<br />

81) Acta iudicialia betr. die Wasserleitung aus dem in der Neustadt befindlichen<br />

Wallgraben in den Amtsgraben, im Gand. Heimatmuseum.<br />

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91


Auch der Hagen war in den Mauerring einbezogen. Das zeigt die Skizze<br />

von 15'80. Mehrfach finden wir auch die Angabe: "Haus und Hof gelegen vor<br />

dem Hagen bei der Mauer" (1483) 92) oder "Vorm Hagen an der Stadtmauer<br />

(1643) 93). 1609 wurde der sehr eingeebnete Wall wieder instand gesetzt ... Uf<br />

des Rates zu Gandersheims Bitte ist zu dem WaJIgebäude für dem Hagenthor<br />

verehret und nicht aus Pflicht gegeben worden 5 Gulden Munz", schrieb das<br />

Stiftskapitel 94).<br />

Das neue Galgentor wird 13 50 erstmalig genannt 95). Es war das wuchtigste<br />

T


Es muß also ein doppelter Turm gewesen sein. Nach Merian und Leuckfeld<br />

war es ein runder Turm. 1647 heißt er abgekürzt: Königstunn <strong>10</strong>0). Mühe verzeichnet<br />

den Namen Königsturm noch 1855.<br />

Dann folgte der Turm "hinter Abt Sd1ünemanns Kinder Hause, bewohnet<br />

Re!. Andres Wäd1ter". Mühe kennt ihn als Katzentunn. Schließlich: "Tunn in<br />

der Stubenstraße, bewohnet der Wächter, hinfüro Re!. Hans Lindemanns" .<br />

Die Wasserversorgung der Stadt erfolgte durch Brunnen, von denen heute<br />

noch "Smellers Brunnen" vor dem Hagen am Ausgang der Petristraße fließt.<br />

Sie waren teilweise mit einem "Steinernen Schling" versehen, wie uns von dem<br />

Brunnen in der Galgenstraße 1692 überliefert ist <strong>10</strong>1). Sehr früh baute man<br />

eine hölzerne Wasserleitung, von der Teile im Heimatmuseum aufbewahrt<br />

werden, weitere Stücke wurden 1958 in der alten Gasse gefunden. 1433 wird<br />

berichtet, daß die Stadt eine Wasserleitung von dem Hofe des Hans von Roringen<br />

- heute Barfüßerkloster 7 und <strong>10</strong> - über die Freiheit nach dem Markt<br />

baute <strong>10</strong>2). In dem Amtsberkht von 1580 heißt es: "Im Smeilschen Sicke vor dem<br />

Marientor ist aum ein Springk, daraus wird das Wasser uff Herzog Wilhelmsburg<br />

in den Roren geleitet". Aum die Abtei erhielt dadurch ihr Wasser, denn<br />

am jetzigen Haus WilheImsplatz 4/5 (Doktorhof genannt) war eine Abzweigung<br />

nach der Abtei und der Wilhelmsburg.<br />

VI. Die Straßen<br />

Innerhalb der durch Mauern, Tore und Türme geschützten Stadt entwickelten<br />

sich die Straßen und Gassen. Es wurde nam einem Plan gebaut.<br />

Herzog Otto von <strong>Braunschweig</strong> erließ 1416 <strong>10</strong>8) genaue Baubestimmungen für<br />

Mauern, Straßen und die Anordnung der Häuser. Wie die Häuser in der Straße<br />

stehen, wie Tore und Türen, wie die Fenster angelegt werden sollten, wird<br />

im einzelnen vorgesmrieben. In einer Urkunde von 15 3 7 finden wir das so<br />

gesagt: "also itzund tho Gandershem to buwende de gebruk is" <strong>10</strong>4).<br />

Wir müssen den Stadtplanem und Baumeistern unsere Homachtung bezeugen.<br />

Es ist vorbildlich, wie sie unter den naturgegebenen und durch die geschichtliche<br />

Entwicklung vorgegebenen Umständen ein so smönes und zugleich den<br />

Ansprüchen des Alltags entsprechendes Stadtbild smufen, ist meisterhaft. Man<br />

beachte, wie die Straßen auf den Markt münden und - stets davon abgesetzt -<br />

weiterführen; wie der Steinweg vor dem Frauenhaus zum Heiligen Geist<br />

(Nr. 19 ass. 90) nach remts einbiegt; wie die Moritzstraße sich nam Einmündung<br />

der Alten Gasse verbreitert, wie "Vor dem Hagen" das östlime Haus<br />

<strong>10</strong>0) Nds. StA Wb. Hs VII B 36 Vol. 6 BI. 61 R.<br />

<strong>10</strong>1) Akte im Heimatmuseum.<br />

<strong>10</strong>') Ha ren b erg a. a. o. S. 889.<br />

lOS) Nds. StA Wb. Urk Abt. 41 Nr. 20.<br />

1(4) Ebda. Hs VII B 28 BI. <strong>10</strong>6 R.<br />

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(Buchhandlung Franziskus) vorgestellt ist - stets anmutig und niemals langweilig.<br />

Bedenken wir die Enge der Stadt, den gegebenen Stiftsbezirk, den Verlauf<br />

der heiden sich kreuzenden Heerstraßen und die Gande - so überrascht,<br />

wie immer wieder kleine Plätze und Winkel (am Eingang der Bader- ebenso<br />

wie der Henneberg- und der Moritzstraße) geschaffen wurden.<br />

Man pflegte auch die Wege, wie schon 1389 berichtet wird <strong>10</strong>5), pflasterte<br />

Zugänge zu den Gebäuden <strong>10</strong>6), schuf eine steinerne Brücke über die Gande<br />

(13 ,7) <strong>10</strong>7).<br />

Das Schoßbuch 1)72-1582 bringt in seinem letzten Jahrgang 1582 erstmalig<br />

eine Aufgliederung der Straßen, die wir dahin nur aus einzelnen Urkunden<br />

erschließen können. Das Schoßbuch von 1590-1608 lOB) führt diese<br />

Gliederung fort und ermöglicht einen klaren Überblick. Der Stiftsbezirk fehlt<br />

darin. Die Straßen sind:<br />

Galgenstraße (heute Moritzstraße) 1434 erstmalig (Urk. 41, 35),<br />

Olde Gasse (Alte Gasse) 1467 (Stadtbuch BI. 1)7), vielfach auch Hohle Gasse<br />

genannt,<br />

Großer Steinweg und Kleiner Steinweg - heute Steinweg,<br />

Stubenstraße (Baderstraße) 1454 (Urk. 41, 47),<br />

PEerdetränke (Hennebergstraße) 1480 (Urk. 41, 70). Die von Steinacker und<br />

Mühe erwähnte Jahreszahl 1383 ist irrtümlich, die Urkunde 41 Nr.12<br />

stammt von 1483.<br />

Mühlenstraße (heute Burgstraße) 14 33 (Hs. VII B 13 BI. 15 8),<br />

Rimpaul (Stadtwall) erstmalig im Schoßbuch, 1582,<br />

Plan - wie heute - erstmalig im Schoßbuch, 159"<br />

Neue Stadt - wie heute Neustadt,<br />

Vorm Hagen - wie heute, 1399 (Urk. 6, 256),<br />

Neues Dorf - heute Bismarckstraße - 1273 (Urk. 6, 82).<br />

Die Häuser des Marktes sind nicht erwähnt, sie gehörten entweder dem<br />

Stift (Nr. 8 und 9), oder rechnen zur Galgenstraße (Nr. 1-3), zum Steinweg<br />

(Nr.4 und 5) oder zur Mühlenstraße (Nr. 6).<br />

Verschwunden sinJ in dieser Zeit bereits folgende Straßen:<br />

Die alte Burgstraße (1432, 34 und 41 - VII B 13 BI. 152 R, 162, 180), sie verschwand<br />

durch Erweiterung der Burg - heute Plangarten,<br />

Die Horengasse (1402 - Urk. 6, 264), die Worstmekerstraße (1454 - Urk. 6,<br />

468),<br />

94<br />

1(11) Ebda. Urk Abt. 41 Nr. 15.<br />

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1(8) Fabrikregister von 1578 im Pfarrardliv der Stiftskirchengemeinde.<br />

<strong>10</strong>'7) Nds. StA Wb. Urk Abt. 6 Nr. 180.<br />

<strong>10</strong>") Im Heimatmuseum.<br />

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Im Rosenhagen (1520 - Urk. 14, 189); zugleich wird für ihn bezeugt, daß er<br />

nun Stubenstr


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Der Abdecker und Scharfrichter wohnte in einem Hause vor dem Georgentor<br />

auf dem kleinen Steinweg, ass. Nr. 95 und 96.<br />

Vor dem Georgstor lag das "Frauenhaus zum Heiligen Geist", eine Stiftung<br />

für bedürftige Frauen, 1238 bei einem Gesundbrunnen von der Äbtissin<br />

Bertha 11. gegründet, nachdem bereits 12<strong>10</strong> Papst Innozenz III. eine Untersuchung<br />

über die Wunderheilungen angeordnet hatte. Es diente zunächst als<br />

Hospital und besaß eine Kapelle, diente im Mittelalter den "Beginen" und<br />

erfüllt noch heute seinen Zweck. Das heutige Haus ist ein Fachwerkbau aus<br />

dem Jahre 1762 116 ).<br />

Auch vor dem Moritztor lag ein Armenhaus, das <strong>10</strong> Insassen Wohnung<br />

gewährte und verschwunden ist 117).<br />

Noch weiter von der Stadt hatte man ein Siechenhaus gegründet, nämlich<br />

2 km entfernt, kurz vor dem Rittergut Rimmerode. Es wird 1506 erstmalig<br />

erwähnt und erfüllte seinen Zweck - zuletzt als Armenhaus - bis ins 19. J ahrhundert,<br />

wurde dann an das Rittergut verkauft, das eine Schäferei einrichtete,<br />

wonach es seinen Namen heute trägt. Der jetzige Bau stammt aus dem 18. Jahrhundert,<br />

doch sind die Fundamente aus dem elften Jahrhundert 118).<br />

VIII. Die Stiftsfreiheit<br />

Wir haben miterlebt, wie der Stiftsbezirk seine schützende Mauer aufgab,<br />

ja von der Stadtmauer in die Mitte genommen wurde. Die alte Mauer war teils<br />

weggefallen, wie am Markt, teils wurde sie durch Häuser ersetzt, wie wir am<br />

Plan und Hagen sowie in der Burgstraße deutlich sehen können, wo Häuser-.<br />

inseln in Hufeisenform entstanden sind. Selten wird dieser Vorgang urkundlich<br />

greifbar wie 1491, wo die Äbtissin verlehnt : "van unse Ebtei hove de stede<br />

van einem orte ... wente an unse Muren tegen de borchstraten" 119).<br />

Wie wenig zunächst Stifts- und Stadtgrenzen unterschieden waren, hat um<br />

Hans Goetting an Hand der Urkunde von 1196 deutlich gemacht. Er sagt: "Die<br />

Pfarrgrenzen waren nicht lokaler Art. Durch sie wurden vielmehr die Personalverbände<br />

der Stiftsleute, die dem Hofrecht unterstanden, und der Kaufleute<br />

voneinander geschieden". Deshalb konnte das Stift die eigenen Mauern zunächst<br />

fallen lassen.<br />

Das änderte sich, als die Stadt sich vom Stift freimachte. Jetzt gewann der<br />

alte Stiftsbezirk (murus urbanus von 1188) neue Bedeutung. Es taucht neu der<br />

Begriff: "Stiftsfreiheit" als Ortsbezeichnung auf.<br />

116) Kr 0 n e n b erg, Das Frauenhaus zum Heiligen Geist, Bad Gandersheim 1955,<br />

Sonderdruck aus Gandersheimer Kreisblatt.<br />

117) B r a c k e bus c h in Gander5h. Wochenblatt ISS; Nr. 57.<br />

UR) Kr 0 ne n b erg, Hospital. Siechenhaus und Badstube, in Gandersh. Kreisblatt<br />

11. 3. 1961, ferner Hans-Günther G r i e p, Südniedersachsen, eine medizinische Topographie,<br />

Hameln 1961, S. 42.<br />

119) Nds. StA Wb. Hs VII B 14 BI. 55.<br />

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1378 wird erstmalig von einer Stätte gespromen, die zu der Freiheit<br />

gehört 120), 1398 wird Gerhard von Gandersheims Kurie genannt: "gelegen<br />

auf der Stiftsfreiheit . .. nach dem Münster zu" 121), 1418: Haus und Hof<br />

der von Oldershausen "gelegen up de Freiheit to Gandersem" 122)' und nun in<br />

zahlreichen Urkunden. Als der Priester Werner Raphon 1481 dem Marienkloster<br />

eine Bücherei schenkt, bestimmt er, sie solle bei Ausbrum eines Krieges<br />

oder einer Fehde in die Stadt Gandersheim auf die Freiheit gebracht werden 123).<br />

Die remtlime Bedeutung der hier liegenden Häuser bestand nun darin,<br />

daß der Rat der Stadt ebenso wie der herzogliche Amtmann kein Steuer-,<br />

kein Straf- und kein Baurecht hatten. In den schwierigen Zeiten des Dreißigjährigen<br />

Krieges mit seinen vielen Lasten entbrannte heftiger Kampf darum,<br />

daß der Rat hier den Soldaten keine Quartiere anweisen konnte. Stadt und<br />

Stift eiferten darin, die Verhältnisse der Häuser darzulegen, so daß wir tiefe<br />

Einblicke in deren Geschichte und ihre Besitzer erhalten 124).<br />

Zur Stiftsfreiheit gehörten der heutige Wilhelmsplatz, der Domänenhof und<br />

der Fronhof, ferner die Häuser Markt 8 und 9. Der Bezirk deckt sim also im<br />

wesentlimen mit der alten Stiftsburg. Trotz vieler Übergriffe und Kämpfe gelang<br />

es dem Stift, seine Rechte zu wahren.<br />

Den schwersten Einbrum erzielte der Rat im Papenkrieg von 1452-68, wo<br />

er gegenüber der Abtei auf Stiftsgebiet die sogenannte Tummelburg erbaute<br />

(heute Tummelburg 1). Trotz Verhängung des Bannes und obwohl der Rat sich<br />

verpflimtete, den neuen Bau abzureißen, blieb das Gebäude bis 1821 bestehen,<br />

wurde von der Stadt als Smreiberei, als MädchenschuJe und als Wohnung<br />

benutzt 125).<br />

Herzog Wilhelm der Jüngere von <strong>Braunschweig</strong>-Lüneburg begann ferner auf<br />

der Stiftfreiheit mit dem Bau der WilheJmsburg als Witwensitz für die Herzogin<br />

Elisabeth (t 1521), die dann aber doch nicht hier wohnte, vielmehr erst ihre<br />

Schwiegertochter Herzogin Katharina, die hier als Witwe lebte. Später war das<br />

Haus lange im Besitz der Familie von Brünig, wurde 1756 Stadtbrauhaus und in<br />

der alten Art 1872 neu gebaut.<br />

Der Herzog gründete auch das Barfüßerkloster 126), das den ganzen Südteil<br />

der Stiftsfreiheit einnahm, noch heute im Stadtbild gut erkennbar ist, obwohl<br />

die Kirche im 16. Jahrhundert abgerissen wurde, die Klostergebäude umgebaut<br />

120) Ebda. Urk Abt. 41 Nr. 11.<br />

121) Ebda. Urk Abt. 6 Nr.254.<br />

122) Ebda. Urk Abt. 6 Nr.313.<br />

123) Ebda. Urk Abt. 14 Nr. 127.<br />

124) S. oben Anm.29.<br />

12&) 5 t ein ac k e r a. a. O. S.214.<br />

126) Kr 0 n e n b erg, Die Bettelmönche von Gandersheim, in Gandersh. Kreisblatt<br />

3.8., 8.8. und <strong>10</strong>.8.1957.<br />

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wurden und schließlich 1834 abbrannten. Von der Kirche haben wir eine flüchtige<br />

Skizze, die mit der Abbildung im Plan von 15'80 übereinstimmt.<br />

Die Einbrüche des Herzogs und der Stadt wurden im 18. Jahrhundert wettgemacht.<br />

Als in der Zeit des Absolutismus Töchter und Enkelinnen <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Herzöge Äbtissinnen wurden, gelang es ihnen dank ihrer guten<br />

Beziehungen zum Hofe, viele der verlorengegangenen Gebäude wieder zu erwerben<br />

und den Domänenhof abzurunden. Jetzt entstand die Domäne.<br />

IX. Die heutige Stadt<br />

Am 27. März 1580 reichte der Amtmann Johann ScharH von Gandersheim<br />

dem Herzog einen "Abryss und Vertzaychnuss des Amptes Gandersheim" ein,<br />

dem eine Karte beigefügt war 127). Abbildung 3 zeigt uns daraus die Stadt<br />

Gandersheim in einem Ausschnitt. Die Zeichnung ist erstaunlich genau. Da sie<br />

vor dem großen Brand vom 22. 11. 1580 entstand, sehen wir das mittelalterliche<br />

Stadtbild.<br />

Der Mauerring mit den vier Stadttoren ist noch vollständig erhalten, von<br />

den Wehrtürmen ist der Hohe Turm an der rechten Ecke der Stadtmauer und<br />

der Königsturm links von der Georgsmühle eingezeichnet. Die Burg hat ihren<br />

eigenen Ausgang über die Gande.<br />

Moritzkirche und Rathaus sind noch getrennte Gebäude, die Kirche des<br />

Barfüßerklosters ist noch erhalten, ebenso das Marienkloster. Der Domänenhof<br />

ist mit Gebäuden gegen die Burgstraße abgegrenzt.<br />

Den großen Brand von 15'80, dem Südteil und Westteil der Stadt zum Opfer<br />

fielen, benutzte der Rat, die dichtbebaute Innenstadt aufzulockern.<br />

Die Kellergasse entstand 128). Die Stiftskurie des Kanonikers Georg Jakobi<br />

reichte bis an die Marktkirche. 1584 erwarb die Stadt einen Teil, um "ihren<br />

Brandschaden soviel als möglich künftiger Zeit zu verhindern" 129).<br />

Die Reutergasse 180) verband neu den Wilhelmsplatz mit der Moritzstraße.<br />

Hier grenzte die Wilhelmsburg unmittelbar an den Hof der Familie von Stöckheim.<br />

Von diesem wurde ein Teil abgetrennt. "Diese Stelle ist vom Capitel dem<br />

Rate zur Erweiterung der Gassen cediret" 181).<br />

Schließlich wurden die verbliebenen Bauteile der Marktkirche und des Rathauses<br />

zu einem Bau vereinigt; der heutige sehr eigenwillige Rathausbau entstand,<br />

durch die große Freitreppe und die Balustrade gefällig, sonst nur in<br />

Einzelteilen künstlerisch befriedigend.<br />

127) Nds. StAWb. L Alt Abt. 26 Nr. 1169.<br />

128) Nach dem Ratskeller genannt.<br />

129) Nds. StA Wb. L Alt Abt. 11 Gand. Fb. 1, VIII Nr. 23.<br />

130) Nach dem um 1768 hier wohnenden Bäckenneister Friedrich Reuter genannt.<br />

131) Wie Anm. 3, BI. 72.<br />

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Nam der Gründung des zweiten Deutsmen Reimes 1871 wums aum Gandersheim<br />

über seinen mittelalterlimen Stadtring hinaus. Es dehnte sim nam<br />

allen vier Himmelsrichtungen. die ihm durm die alten Straßenführungen vorgezeichnet<br />

waren.<br />

Zunächst erfolgte die Ausdehnung nam Norden. im Tal der Gande nam<br />

Brunshausen-Hildesheim. Hier wurde 1878 das Herzog-LudoH-Bad gebaut.<br />

dessen Gebäude zwar wieder abgerissen. aber in diesem Jahrhundert in anderer<br />

Form für den Badebetrieb wiedererrimtet wurden. 1932 erhielt die Stadt das<br />

Remt. sim Bad Gandersheim zu nennen. Nun entstanden hier Kurhaus. Badehaus.<br />

Wandelhalle. Kurpark und viele Fremdenheime.<br />

Da sich nam dem zweiten Weltkrieg die Berliner GeseIIsmaft: .. Auer-Glaswerke"<br />

anbaute. entstand hier ein nun selbständiges Werk mit vielen Werkswohnungen.<br />

so daß die Hildesheimer Straße bis Brunshausen vollständig<br />

bebaut ist.<br />

Die zweite Ausdehnung gesmah nam Osten. wo das ehemalige Neue Dorf.<br />

nun Bismarckstraße genannt. sim bis zum Dorf Wresmerode erweiterte. Hier<br />

entstand 1878 das Gymnasium. Das nördlim ansmließende Gelände mit den<br />

alten Flurbezeichnungen Graseweg. In den Gründen. Hinter der Münze wurden<br />

zwischen den beiden Weltkriegen im Landhausstil bebaut. Hier entstand 1929<br />

die Volks- und Mitte!sdlUle.<br />

Zu Beginn des Jahrhunderts begann die Stadt sim nach Westen über die<br />

St.-Georgs-Kirche zu er&trecken. Größeren Umfang nahm die Bebauung hier<br />

an. als das Gebiet des Salzberges. der Salzwiese und Gandestraße durm ein<br />

Heimstättenwerk 1936 ersmlossen wurde. Seit 1950 entstand anschließend:<br />

.. Unter der Clustrift" ein weiteres großes Wohnviertel. dessen Bebauung noch<br />

nidlt beendet ist.<br />

Nam Süden. vor dem alten Moritztor. wurde die Neue Straße zu Beginn des<br />

Jahrhunderts gebaut. Hier lag seit 1856 der Bahnhof der Eisenbahnstrecke<br />

<strong>Braunschweig</strong>-Kreiensen und Hildesheim-Kreiensen. Dann zogen sich die<br />

Häuser den Berg empor. zuerst an der Northeimer Straße und schließlim<br />

daneben an den Hohen Höfen. Hier wurden Straßen nam Gandersheimer<br />

Heimatforschern wie Brackebusch und AdoIf Mühe genannt.<br />

Der sichtbarste Eingriff in das Landschaftsbild war 1936 der Bau der<br />

Motorsportschule auf dem kleinen Osterberg. der heutigen ZoIIschule. und 1961<br />

der Bau des Evangelischen Krankenhauses auf der Dämmheide des Hagenberges.<br />

Die Befürchtungen. daß das alte. ein Jahrtausend von den Türmen der Stiftskirche<br />

beherrschte Stadt- und Landschaftsbild durch diese Neubauten gestört<br />

werden würde. bewahrheitete sich nicht. Die Stiftskirche ist nach wie vor Mitte<br />

des Bildes. Aber das sie umgebende Städtchen ist nun nicht mehr klein und<br />

verschI.afen. von alter Bedeutung träumend. sondern es ist Mittelpunkt eines<br />

Landkreises mit vielen Behörden und Geschäften. es ist ein moderner Kurort.<br />

dem Neuen zugewandt. sich seiner großen Vergangenheit bewußt.<br />

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<strong>10</strong>1


mung nach auch Franzose, denn mütterlicherseits floS in seinen Adern bestes<br />

hugenottisches Blut, in seiner eigenen Natur hatten beide Nationen ihre innigste<br />

Verschmelzung gefunden.<br />

Pastor Pauli stammte aus Marburg. Zweifelsohne waren ihm die beiden<br />

dortigen Theologieprofessoren Tilemann und Gautier als Kollegen seines Vaters<br />

persönlich bekannt, vielleicht war des Letztgenannten Sohn Thomas sein Spielgefährte<br />

gewesen, da derselbe mit ihm etwa gleichaltrig war. Wenn nicht alle<br />

Zeichen trügen, kam Pfarrer Thomas Gau ti erd. J. auf Anregung und Empfehlung<br />

von seiten Paulis und vielleicht ebenfalls durch Vermittlung von<br />

Professor Tilemann, der eine direkte Verbindung zum Ohr des regierenden<br />

Herzogs besessen haben muS, nach <strong>Braunschweig</strong>. Thomas Gautier war gebürtig<br />

aus Die im Dauphine. Sein gleichnamiger Vater Thomas Gautier d. Ä. stammte<br />

aus Villaret-en-Pragelas, gelegen an der wichtigen MilitärstraSe Brianc;:on­<br />

Pinerolo; seine Geburtsheimat ist das Pragelas im Val Cluson in den piemontesischen<br />

Waldensertälem, das heute zur italienischen Provinz Turin gehört,<br />

jedoch von 1631-1713 einen Teil des Dauphine und damit Frankreichs bildete.<br />

Bereits 1665' wird Thomas Gautier d. Ä. als Waldenserpfarrer von FenestrelIeen-Pragelas<br />

genannt 54 und wurde später Theologieprofessor in Die im<br />

Dauphine. also an einer der acht protestantischen Universitäten Frankreichs.<br />

Er war Sohn eines Notars und wanderte nach dem Widerruf des Edikts von<br />

Nantes im Oktober 1685' über Genf und Zürich. wo er über ein Jahr verweilte.<br />

nach Hessen ein. 1687 lieS er sich end!!Ültig in Marburg nieder, pastorierte<br />

die dortigen Hugenotten. lehrte an der Universität reformierte Theologie und<br />

starb ebendort am 27. V. 1709. etwa 71 1 /4 Jahre alt 12. Seine Gattin Franc;:oise<br />

Elisabeth Segaud aus GrenobIe im Dauphine starb in Marburg am 3. JII. 1736 '1<br />

und ist vermutlich eine Tochter des Advokaten PieITe Segaud und der Marie<br />

Brusson. die beide ebenfalls im Marburger Refuge das Zeitliche segneten. Marie,<br />

die Schwester von Thomas Gautier d. J .• vermählte sich am <strong>10</strong>. XII. 1704 zu<br />

Marburg 12 mit Pierre Chandon, einem der Hugenottenpfarrer von Frankfurt<br />

am Main. Thomas Gautier d. J. wurde im August 169; in Marburg als stud. phi!.<br />

immatrikuliert. 1703 seinem Vater als Hilfsprediger beigegeben. am 1. I. 170,<br />

Sprachlehrer an der Universität und ging nach dem 26. VII. 170; nach <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Sein Wirken in der Okermetropole wird durch zwei Daten dokumentiert:<br />

am 1. X. 170; begibt er sich zusammen mit Pastor Pauli nach WoIfenbüttel<br />

zur Vereidigun!o!18 und anfangs Dezember 1705' vertritt er seinen Kollegen<br />

Pauli bei einer Taufe 18. Von Thomas Gautier d. J. liegt überhaupt nichts<br />

Handschriftliches vor, wie er es auch versäumte. ein Presbyterium durch Urwahl<br />

seitens der Familienhäupter bilden zu lassen und kirchliche Register über vollzogene<br />

Taufen. Trauungen und Beisetzungen zu führen. Am 25'. XI. 170; vermählte<br />

er sich in WoIfenbüttel 19 mit Jeanne Varnier, die, wenn nicht alles<br />

täuscht, der bekannten Kasseler Familie entstammt und damit wahrscheinlich<br />

aus Frignicourt in der Champagne gebürtig ist. Wir kennen den Grund, wes-<br />

<strong>10</strong>4<br />

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halb Thomas Gautier d. J. so restlos versagte: Er wurde geisteskrank und<br />

endete unglücklich im Irrenhaus zu Haina in Hessen 57.<br />

Kann für den Zeitraum von 1705-08 von einem geordneten kirchlichen<br />

Leben bei den <strong>Braunschweig</strong>er Hugenotten nicht gespr


X<br />

in Hannover wirkend. verstarb er dort am <strong>10</strong>. I. 1760 5 . Er ist der Verfasser<br />

der "Bibliotheque curieuse de livres difficiles a trouver" 36. Er war zweimal<br />

verheiratet. seit 1730 mit Amelie Valescure. einer Tochter des Kasseler Kaufmanns<br />

Durand Valescure. und in zweiter Ehe mit Elisabeth Combre. der Witwe<br />

des Gesandtschaftssekretärs Jeremie Henri Laurent. Sein Vater David Clement<br />

d. Ä. stammte aus Villaret-en-Pragelas in den piemontesischen Waldensertälern.<br />

wanderte 1685 im Anschluß an die Aufhebung des Edikts von Nantes<br />

über Genf und Schaffhausen nach Hessen ein. amtierte seit 1686 in Hofgeismac.<br />

pastorierte fast 40 Jahre lang die hugenottischen Religionsflüchtlinge in<br />

H{)fgeismar. Karlsdorf. Schöneberg. Kelze. Hombressen und Grebenstein als<br />

ein wahrer Patriarch und gilt als der Vater der Hugenotten- und Waldenserkolonien<br />

im nördlichsten Kurhessen. Er starb in Hofgeismar am 29. I. 1725<br />

als Achtzigjähriger und war ebenfalls zweimal vermählt: in erster Ehe seit dem<br />

2. VI. 1680 54 mit Marguerite Pastre aus Mentoulles-en-Pragelas. die am<br />

22. VIII. 1685 54 in Mentoulles beigesetzt wurde. 31 Jahre alt. und in zweiter<br />

Ehe verheiratete er sich in Hofgeismar am 1. VIII. 1700 13 mit der erheblich<br />

jüngeren Susanne Mary aus Metz in Lothringen. die ihren Gatten fast ein<br />

Vierteljahrhundert überlebte und am 3. X. 1749 in Hofgeismar verstarb. etwa<br />

7'5 Jahre alt 13.<br />

David Clements d. J. Nachfolger in Hofgeismar und <strong>Braunschweig</strong> war<br />

Daniel Are hin a r d aus Genf in der Schweiz. Sein Vater Andre Archinard<br />

stammte aus dem Dauphine und wurde 1702 Bürger der Republik Genf. wo er<br />

jedoch schon früher als .. habitant" *) gewohnt haben kann. Am 8. IX. 1700<br />

in der schönen Stadt am Lac Hman geboren. amtierte Danicl Archinard seit<br />

1733 in Schwabach bei Nürnberg. seit 1736 in Wolfhagen/Hessen. seit 1740<br />

in Hofgeismar und seit Ende 1744 in <strong>Braunschweig</strong>. wo er am 29. XII. 1755 16<br />

sein Leben beschloß und am 1. I. 1756 58 begraben wurde. Seine Gattin Marie 58<br />

de Bomier folgte ihm bald nach und wurde am 30. VII. 1756 58 beigesetzt.<br />

und zwar wie ihr Gatte in der Bartholomäuskirche. Wenn nicht alle Zeichen<br />

trügen, ist sie eine Tochter des Schwabacher Koloniedirektors Philippe de Bornier<br />

aus Montpellier im Languedoc und dessen Gemahlin Marg. de Savin aus<br />

St. Cartonningue (7) in den Cevennen 15.<br />

Je näher wir der Gegenwart kommen. desto weniger wissen wir von da<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Hugenottenkolonie und deren Pfarrern. Das ist typisch und<br />

David element d. J. erstmals in <strong>Braunschweig</strong> am 14. IX. 1735 1 , und zwar den Lorenz<br />

Breistroff aus Wolfenbüttel mit Elisabeth Munier aus Kassel, der Tochter des Pierre M.<br />

und der Elisabeth Benoit.<br />

') In Genf unterschied man früher zwischen 1. den citoyens. den alten regimentsfähigen<br />

Familien, 2. den bourgeois. den Eingebiirgerten, darunter zahlreiche Röfugies,<br />

3. den natlfs, den in Genf geborenen Nachkommen nicht eingebürgerter Bewohner.<br />

4. den habltants. den gegen eine Geldgebühr in der Stadt geduldeten Ansässigen. und<br />

schließlich 5. den sujets. den Bewohnern der wenigen der Stadt Genf untertänigen<br />

Ortschaften.<br />

<strong>10</strong>6<br />

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und am Abendmahl teilnahm. also in ebenderselben Kirche. in der er selbst von 1756-63<br />

seine gottesdienstlichen Funktionen als Gemeindepfarrer verrichtete 1 Es ist zu bezweifeln.<br />

vielleicht galt sein Magdeburger Großonkd für die Familie als verschollen.­<br />

Gregoire Mourier ging mit seinen drei Vettern MOIse. Etienne und Pierre nicht ins Exil.<br />

sondern blieb der angestammten Heimat im Vivarais treu. allerdings unter Preisgabe<br />

seines reformierten Bekenntnisses. Derselbe wurde bestenfalls nach außen hin katholisch.<br />

um der Familie Vermögen und Liegenschaften zu erhalten; vielleicht heiratete er<br />

später eine Alt-Katholikin. so daß die in der alten Heimat seither geborenen Nachkommen<br />

als gute Katholiken gelten und von der protestantischen Vergangenheit ihrer<br />

Ahnen wahrscheinlich nichts wissen; möglidJerweise aber war Gregoire M. religiös<br />

indifferent und eine berechnende Natur. dann liegt der Schluß nahe. daß seinerseits die<br />

Abschwörung der .erreurs de Calvin" einzig zu dem Zweck erfolgte. das Erbe seiner<br />

geflohenen protestantischen Verwandten anzutreten. - In diesem Hin und Her scharfer<br />

Glaubensgegensätze und schwankender Lebensumstände wird die ganze Tragik und<br />

Problematik des Lebens der französischen Protestanten von anno 1685 offenbar. die in<br />

unerhörte Gewissenskonflikte hineingestellt wurden. denen sich schwächere Charaktere<br />

nicht gewachsen zeigten. Drei junge Leut.? die hier stellvertretend stehen für tausend<br />

und aber tausend andere in gleicher Lage. kehren der Heimat den Rücken und wandern<br />

aus Gewissensgründen aus. um in der Fremde wie die englischen Pilgerväter .to worship<br />

God in the way they thought right". sicherlich in der stillen Hoffnung auf eine zukünftige<br />

Änderung der politischen Konjunkturen und auf eine damit verbundene Rückkehr<br />

oder Rückrufung in ..Ia belle France". Wie oft mag dieser Stoßseufzer bei Verschnaufpausen<br />

auf gefahrvollen Fluchtwegen und im sicheren Exil beim Zusammentreffen mit<br />

Landsleuten von den lippen geflossen sein I<br />

Der eine der drei Brüder - MOlse - siedelt sich in der relativ heimatnahen.<br />

glaubens- und sprach verwandten Welschschweiz an. um später - bei der aJlgemein<br />

erhofften Rückkehr- eine günstige Absprungbasis zu besitzen. Er hat es am leichtesten.<br />

er hat als Gastwirt und Zuckerbäcker einen gängigen Beruf. denn getrunken und gegessen<br />

wird immer. auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Der zweite - Etienne - tritt<br />

in die Dienste Englands. wird Seemann und trägt sein Teil dazu bei. daß die protestantischen<br />

Mächte gestärkt. damit das Refuge und die Zufluchtsorte seiner Glaubensgenossen<br />

gewährleistet bleiben. Der dritte schließlich - Pierre - zählt als Strumpffabrikant<br />

zu den Wirtschaftpionieren und ist als Unternehmer auf ökonomischem<br />

Neuland von den wechselnden Zeitläuften in hohem Maße abhängig; er folgt dem Ruf<br />

des Großen Kurfürsten und läßt sich im femen Magdeburg nieder. wo er sich mit einer<br />

Landsmännin vermählt. aber in Bezug auf seine Kinder Unglück hat. denn vier Söhne<br />

sterben von 1707-17 rasch hintereinander. so daß seine Familie in Norddeutschland<br />

keine Wurzeln zu schlagen vermochte.<br />

Die Lebensgeschichte der Sippe Mourier vermag repräsentativ zu stehen für die<br />

lebensschicksale .zahlloser anderer:: ,Hugenotten familien. und ihre Lebensumstände umschließen<br />

alle jene Elemente. die als die bezeichnenden Merkmale der Refugies überhaupt<br />

gelten: die vorwiegend südfranzösische Herkunft der Auswanderer von 1685. die<br />

alttestamentlichen Vornamen. die Vorherrschaft der Textilberufe. die Spaltung der<br />

Familie in einen auswandernden protestantischen und in einen in der alten Heimat verbleibenden<br />

rekatholisierten Zweig. die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen der<br />

Aufnahmeländer. die mit dafür verantwortlich zeichnen. ob die Familien blühen oder<br />

aussterben. das Auseinanderreißen der Familien durch das Seßhaftwerden in den Protestantischen<br />

Zielländern : in der Schweiz. in England und in den mit ihm seit 1689 in<br />

Personalunion verbundenen Niederlanden. in Kurbrandenburg und anderen do!utschen<br />

Territorien. in Dänemark und schließlich in Übersee. Eine einzige Sippe nur. in derem<br />

Auf und Ab sich aber die Lebensschicksale einer ganzen Generation von reformierten<br />

Auswanderern französischer Nationalität widerspiegeln. zwar nur eine Familie. deren<br />

<strong>10</strong>8<br />

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die Kolonielehrer entweder haupt- oder nebenberuflich Handwerker, entweder<br />

zeichneten sie sich nun durch eine angeborene pädagogische Ader aus, oder das<br />

Schulmeisteramt wurde als zusätzliche Einnahmequelle betrachtet. Eine päd­<br />

Egogische .. Ausbildungha.tten, die Lehrkräfte keinesfalls genossen, es blieb alles<br />

mehr oder weniger dem Zufall überlassen, nach MÖglichkeit zog man solche<br />

Kräfte heran, die sich durch ein natürliches Lehrgeschick auszeichneten, jedoch<br />

war das Angebot nicht groß. Die Elementarschulen bildeten ein wesentliches<br />

Anliegen der reformierten Kirchenverfil;sung. Dadäs Schulmeisteramt mit dem<br />

des Lektors und Kantors gekoppelt war, dürfte es sich bei der Kolonieschule<br />

nach dem hugenottischen Grundsatz "L'ecole est la pepiniere [Pflanzstätte] de<br />

l't!glise" um eine Zubringereinrichtung für die Kirche gehandelt haben. Die<br />

Lehrer werden, wenn es hoch kommt, die drei Kulturtechniken vermittelt<br />

haben, und zwar nach Lernschulart bei starker Beanspruchung und Strapazierung<br />

des Gedächtnisses. Wie Disziplinschwierigkeiten gemeistert wurden, erhellt aus<br />

den Akten ebenfalls nicht, vermutlich huldigte man dem "abgekürzten Verfahren",<br />

d. h. dem Gebraudl des Stockes. Maßnahmen zur Auflockerung des starren<br />

Unterrichtsschemas nach durchdachten, methodisch-didaktischen Prinzipien<br />

durmzuführen, wäre bestimmt einer Überforderung der Lehrkräfte gleichgekommen.<br />

Zur Ehre der Lehrer wollen wir annehmen, daß wenigstens allgemein<br />

anerkannte pädagogische Grundüberlegungen bei der Planung und<br />

Durchführung des Unterrichts Pate gestanden haben, z. B. Beherzigung von<br />

Prinzipien wie Vom Nahen zum Femen und vom Leichten zum Schweren,<br />

Anschauung als Grundlage jedes BildungsprozeSöes, Kindertümlichkeit, Einstieg<br />

in ein Problem unter Berücksichtigung der kindlichen Interessensphäre usw.<br />

Über das Vorhanderuein einer Kolonieschule der <strong>Braunschweig</strong>er Hugenottengemeinde<br />

erfahren wir erstmals etwas in einer Aktennotiz vom 8. XI. 1717 16 •<br />

Der Lehrer Gedeon Benoit *) wird darin ermahnt, sich nicht ohne genehmigten<br />

Urlaub auf Reisen zu begeben, sich betreffs Erhöhung seines Jahressalärs von<br />

20 Talern an den Dienstweg über das Presbyterium zu halten und nicht direkt<br />

den Landesfürsten um Erhöhung seiner Gage anzugehen. Mit seinen Leistungen<br />

und Fähigkeiten als Vorsänger in der Kirche scheint es etwas gehapert zu haben,<br />

und es wurde ihm bedeutet, die Kirche benötige dringender eines Kantors denn<br />

eines Vorlesers.<br />

Sein Amtsnachfolger war sein gIeidmamiger Sohn GeJeon Benoit jun., der<br />

jedoch bereits gegen Ende September 1722 aus Gesundheitsgründen um seinen<br />

Abschied einkommt. Das Presbyterium ermuntert ihn zum Ausharren, bis<br />

Ersatz gefunden ist, "jusqu'it ce que la providence nous fournit l'occasion de<br />

la remplir par quelqu'un qui fut capable de conduire le chant des psaumes" 16.<br />

*) Gedeon Benoit, ursprünglich Bierbrauer und aus Bemeuil - sur - Aisne in der<br />

Picardie gebürtig <strong>10</strong>, um 1697 in Kassel ansässig 60 und seit 1709 in <strong>Braunschweig</strong>. wo<br />

er am 13. IV. 1722 das Zeitliche segnete 1; seine Gattin ludith Malherbe überlebte ihn<br />

um mehr als ein Jahrzehnt und starb am S. J. 1733 1 in der Okerrnetropole.<br />

118<br />

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Wann Gedeon Benoit jun. nun endgültig demissionierte und Nazaire<br />

Chamereau *) ihn ablöste, ist zeitlich nicht genau festzulegen. Gesehen vom<br />

ursprünglichen Beruf her war letzterer als Buchdrucker und -händler bestimmt<br />

besser zum Lehrer geC'ignet als seine heiden Vorgänger, dcnn er hatte mindestens<br />

schon viele Bücher in der Hand gehabt und vielleicht sogar einige davon<br />

gelesen. Aber erneut ist man mit den Leistungen des Vorsängers, der den<br />

Psalmengesang in der Kirche zu leiten hatte, nicht zufrieden. Am 24. IV.<br />

1726 16 bittet er um seine Entlassuni! und reist noch am gleichen Tage über<br />

Celle ab, bis wohin man ihm das Fuhrwerk zum Transport seiner Habseligkeiten,<br />

seiner schwangeren Frau und seiner vier Kinder bezahlt, einen Reichstaler<br />

hat er außerdem als Zehrgeld mit auf den Weg bekommen 16.<br />

Anfangs Mai 1726 stellt sich Claude Franr;ois Bouchet de Chaligny **)<br />

dem Presbyterium mit gutem Führungszeugnis und Lehrbefähigungsnachweis<br />

vor. Seinem Einstellungs.antrag wird entsprodlcn mit der Auflage, "de faire Ies<br />

prieres", d. h. Lesegottesdienst zu halten, falls der Pfarrer infolge Krankheit<br />

verhindert sein sollte. Jedoch am 24. XI. 1726 hat er sich bereits "französisch"<br />

empfohlen, d. h. ist ohne Reisepapiere, ohne Urlaub und ohne Zeugnis abgereist,<br />

und zwar über Wolfenbüttel, wo er nicht eingelassen wurde und mit<br />

seiner Familie auBerhalb der Stadtmauern im Freien übernachten mußte. Über<br />

Halberstadt geht es sodann weiter nach Magd ebu rg, wo er 1727 in den Roten<br />

Krebsstraße wohnt und sich schlecht und redlt als Privatlehrer durchschlägt.<br />

Brieflich bittet er um Ausstellung und Übersendung eines "passeport" und kirchlichen<br />

Attests "de bon chretien et fidele reforme". Selbst bei Zubilligung mildernder<br />

Umstände war das Presbyterium damit entschieden überfordert und<br />

handelte entsprechend, indem protokollarisch festgelegt wurde, ihm keinerlei<br />

Zeugnis auszustellen, da der Bittsteller "ne pouvant etre considere que comme<br />

deserteur qui a viole ses engagements" 16. Brieflich hatte er sich auch über die<br />

Gründe seiner plötzlichen Abreise ausgesprochen, das Einkommen sei nicht ausreichend<br />

gewesen - darin hatte er recht -, er vertrage kein Bier und habe<br />

wegen seiner Vorliebe für Branntwein die Vorwürfe des Pfarrers nicht mehr<br />

ertragen können.<br />

Seit dem 1. VIII. 1728 fungiert Jacob Dumont *) als Lehrer, Lektor und<br />

Kantor bei der Hugenottengemeinde. Im März 1732 bittet er das Presbyterium<br />

') Nazaire Chamereau, gebürtig aus Villeneuve in Burgund und seit Dez. 1718 in<br />

<strong>Braunschweig</strong> ansässig, läßt im Mai 1726 in Hamburg ein Kind taufen • und reist anschließend<br />

nach London oder Amsterdam weiter 16; seine Gattin Franc;oise Dupuy<br />

stammte aus Creey-en-Brie.<br />

U) Cbude Fran


Fomerau Guilleau Iulion Libot<br />

Fosscherer Guillot Lievin-Crayen<br />

Foumaise Guiot Katenkamp Lindner<br />

Foumier Guiraud Kielburger Lizet<br />

Francken Guyot Kirchner Lombard<br />

Frantz Klemann Lovie<br />

Freund Hackmann Koelsche Loyal<br />

Freydt Hagandus Koerner Lüders<br />

Friese Halbout Kolckman Lüers<br />

Froment Harms Kramer Luya<br />

Fromont Harnier Krumholz Lyllien<br />

Frowein Hassieur Kulenkamp<br />

Heim Küncklen Magniet<br />

Gabain Hein Mahner<br />

Garagnon Heine Labry Mainadier<br />

Garelle Heinecke Lafontaine Malein<br />

Garrel Hencke Lagarde Malherbe<br />

Gaspard Hensch Lagrange Malin<br />

Gaspardi Hertzer Laloe MaJlein<br />

Gaspardy Heurteaux Lamade Mambrii<br />

Gautier Hofmann Lambelet Mambry<br />

Geelwinck Holle Lampe Manchens<br />

Geneves Homann Lamuret Manitzen<br />

Geoffre Horray Langkopff Marckwordt<br />

Gervais Horzysky Latelle Mareonnet<br />

Gille Hubert La relle Marin<br />

Gillot Hundt Laue Maroud<br />

Girard de Hupais Laurenson MaTTou<br />

Villard Hupay Laurent Martin<br />

Gleizette Hupe Lauvie Martini<br />

Glisette Huray Le Bade Mary<br />

Gloria Huteuroux Le Blond Massebiau<br />

Goffre I'Echau Mathieu<br />

Gomeret IIIaire le Clere Matignon<br />

Gonsal le Cointe Matthieu<br />

Goulon Jaequemin le Couvreur Maueo<br />

Gourand Jahn Leibrock Maulin<br />

Graff Jean Lelievre Mauvillon<br />

Grandam Jewers Lembeck May<br />

Gras Jodry le Sage de Fontenay Mazar<br />

Gn! Jonas Letier Mearur<br />

Griollet Jonquet Levelie Medieus<br />

Grisal Jordan Lhuilier Meinadier<br />

Grison Jubert Liautier Meirargues<br />

Grotewohl Jüngst Libau Mejan<br />

Gualticri Jürgens Libo Melot<br />

Guerin luiJIon Liboi"n Mely<br />

128<br />

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Membruy Paland Recolin Sauenel<br />

Menard Pannicken Reger Sd1UltZ<br />

Merkiors Paquct Reinhardt Schuster<br />

Merlat Pascal Reumann Schwartz<br />

Meß Pascalis Revessat Schweickhardt<br />

Metcalf Paschet ag Ribbentrop Sechehaye<br />

Meunier Pastre Riche Seeliger<br />

Meyer Patchetag Ricourt Segaud<br />

Michaud Patron Rignol Selen<br />

Mieg Pauli Robin Seliger<br />

Minding Payan Robinet Selliger<br />

Mitan Pecart Rochellois Septsols<br />

Moesan Peirot Röttiger Serre<br />

Molinier PeIet Roger Serva<br />

Mondfeldt Peltier Rogge Sessena<br />

Monge Pemajon Roland Sidelaer<br />

Monier Perrenet Rollin Simon<br />

Monnier Perrin Roquette Soli ger<br />

Moreaux Philippy Rostokin Solliger<br />

Moret Picart Rousses Soulicr<br />

Mourier Pi«!lat Rousset SpeI tz<br />

Mülleng Pochet Rouvilliore Spitta<br />

Müller Ponc:et Roux Stackenschneider<br />

Müllern Ponnaz Roy Stautmeister<br />

Munier Pons Royer Steche<br />

Murier Porret Royere Steinacker<br />

Musnier Pouchet Ruhen Stercki<br />

Poulet Stoevesandt<br />

Naundorf Prekelin Sabole Stoltzen<br />

Naveau Prevost-Thomas Sabourin Stutmeister<br />

Neumeier Proha Sacken Sujol<br />

Neyron Prohat Saint Paul Sylvestre<br />

Niehus Prohat dit eoHn Salaire<br />

Niemeyer Pruesse SaHn Tassine<br />

Noe Sauermilch Tastreau<br />

Noe Quemer Sau vage Teharge<br />

Noi"er Quiriny Savane Teschemacher<br />

Nolda Savary Tesset<br />

Nouvel Rabinel Schackmein Teule<br />

Novel Rabinelle Schenkel Texier<br />

Nusbaum Rademans Scherwi Theule<br />

Randon Schlagern Thiede<br />

Obert Raufet Schleicher Thorbrügge<br />

Oelzen Raulin Schmidt Tourte<br />

Ollier Ravelle Schönhardt Tourteaux<br />

Ollive Recklam Schoffen Toussaint<br />

Reclam Schrader T rautfeders<br />

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129


T rukenbrott Viand von Lüttichau Weidemann<br />

Trutvetter Villaret VOll Malortie Weinand<br />

TuHet Vimielle VOll Marconnay Weinanzen<br />

Vinc;on von Münchhausen Wcitsm<br />

Valescure<br />

Valette<br />

Vallette<br />

van T eisterband<br />

dit Bildcrdyk<br />

Varnier<br />

Verger<br />

Vinson<br />

Viseur<br />

Vogelers<br />

Voigtländers<br />

VoJmann<br />

von Adelebsen<br />

von Bigot<br />

von Poitke<br />

von Rotzmann<br />

von Stamford<br />

von Thounfeldt<br />

von und zu Groß<br />

von Urrye<br />

Vuile<br />

Wetzel von Brassigny<br />

Weyler<br />

Wilcken<br />

Wildt<br />

Wilenbrock<br />

Winzen<br />

Vernons von der Eichen Witte<br />

Vernous<br />

Vetnau<br />

von HerzeeJe<br />

von J axtheim<br />

Weber<br />

Wegler<br />

Würtz<br />

Vetteheuke von Kamecke Wehagen Zuerfeldt<br />

130<br />

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der Hauptsache nach dieselbe ist", hieß es in dem neuen Programm, "und nachhaltig<br />

nicht in einem einzelnen Lande zum Besseren umgewandelt werden kann,<br />

so erkennt der Allg. deutsch. Arb.-Verein die Gemeinsamkeit der Arbeiterinteressen<br />

in allen Cu/tur/ändern" 7). Es muß dahingestellt bleiben, ob die gastgebende<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Gemeinae das Zustandekommen gerade dieses Programmpunktes<br />

maßgebend beeinflußt hat.<br />

In der Einladung zum Arbeitertag, der wenige Wochen danach am 21. Juli<br />

in <strong>Braunschweig</strong> zusammentrat, bekannten sich Bracke und seine Freunde zum<br />

erstenmal zu der Losung des Kommunistischen Manifestes und der Inauguraladresse:<br />

"Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" "Zeigt", heißt es an gleicher<br />

Stelle, "daß auch der deutsche Arbeiter begriffen hat, daß die Arbeiterfrage<br />

auf der Tagesordnung steht, daß er nicht gesonnen ist. sie ohne seine<br />

Mitwirkung. vielleicht von seinen eigenen Feinden. lösen zu lassen, und daß er.<br />

der deutsche Arbeiter, hinter seinen französischen. englischen. amerikanischen<br />

Brüdern nicht zurückstehen will" 8).<br />

Der "<strong>Braunschweig</strong>er Arbeitertag" delegierte schließlich den bekannten<br />

Hildesheimer Sozialdemokraten Dr. Emil Kirchner, der in <strong>Braunschweig</strong> 342<br />

Mitglieder der Weber- und Arbeitervereine von AIfeld, Großlobke, Hameln,<br />

Hildesheim und Sarstedt vertrat. zum zweiten Kongreß der 1. A. A.,


Im Laufe des Jahres 1868 gewann die Internationale inbeiden miteinander<br />

rivalisierenden Gruppen der organisierten deutsmen Arbeitersmaft, bei den<br />

Lassalleanern und bei den Anhängern von Bebel und Liebknecht, :zusehends<br />

an Einfluß und Interesse. Bereits im Juli hatte J. B. von Schweitzer, der das<br />

Prestige der Internationale seiner eigenen Organisation dienstbar zu machen<br />

suchte, Karl Marx zur bevorstehenden Generalversammlung des ADAV in<br />

Hamburg eingeladen. Marx antwortete am 18. August in konziliantem Ton,<br />

erklärte sich aber angesichts der Vorbereitung des Kongresses der Internationale<br />

in Brüssel außerstande, Deutschland zu besuchen. "Die Einladung", schrieb er<br />

Engels, "ist von Schweitzer als Präsident und von über 20 Arbeitern aus<br />

Deutschlands diversen Gauen (Vorstandsmitgliedern) unterschrieben. Ich mußte<br />

in meiner Antwort auf letztere Rücksicht nehmen ... " 13). Auf der GeneralversammLung,<br />

auf der Wilhelm Bracke über das Werk von Karl Marx referierte,<br />

wurde die Stellung zur Internationale ausführlich erörtert, wobei sich die Delegierten<br />

aus Niedersachsen für ein engeres Zusammengehen beider Organisationen<br />

aussprachen. Dr. Kirchner hatte bereits am 3. August in diesem Sinne<br />

J. Ph. Becker berichtet: " ... Als ich in Hamburg p. für die internationale<br />

Assoe. sprach, fand ich viel Verdächtigung unter den Lassalleanern; doch hat<br />

sich seitdem viel in der Stimmung geändert. Meine hannovr. Freunde (Lassalleaner)<br />

belehrte ich über die Strebungen der intern. AsSOC., auch in <strong>Braunschweig</strong>,<br />

Hildesheim p. klären sich die Ansichten, so daß ich hoHe mit meinem<br />

Antrag auf Ansmluß des aUgem. Arbeiter-Vereins an die international. A9Soc.<br />

auf dem Arbeiter-Vereins[tagJ in Hamburg durchzudringen, indem ich einen<br />

hierauf bezügl. Antrag einbringen werde. Wie ich dieser Tage durch Freunde<br />

erfuhr, scheint auch Dr. Schweitzer nimt mehr abgeneigt zu sein. Davon<br />

später ... "<br />

Tatsädllich wurde in Hamburg nach einem Referat von Kar! Hirsch "die<br />

Übereinstimmung mit den Gesichtspunkten der Internationalen Arbeiterassoziation<br />

in einer besonderen Resolution zum Ausdruck gebracht" 14). Im<br />

Geiste dieser Beschlüsse bekannten sich im September die "Gemeinden des<br />

allgemeinen deutschen Arbeitervereins in Hildesheim, W oIfenbütteI. <strong>Braunschweig</strong>und<br />

Hannover" mit Glückwünschen und Zustimmungsadressen an den<br />

Brüsseler Kongreß zu den Ideen der 1. A. A. 15).<br />

Wenige Tage danach faßte auch der runfte deutsme Arbeitervereinstag in<br />

Nürnberg auf Initiative von Bebe! und Liebknecht den für die künftige Entwicklung<br />

der deutschen Arbeiterbewegung so folgenschweren Beschluß, sich mit<br />

der Internationale solidarisch zu erklären: "In Erwägung", hieß es in dem<br />

neuen Programm, "daß alle auf die ökonomische Befreiung der Arbeiter gerich-<br />

13) Marx an Engels vom 26. 8. 1868. Der Text des Antwortschreibens von Marx an<br />

Schweitzer in Social-Demokrat vom 28. 8. 1868.<br />

11) M a y e r, Schweitzer S. 230.<br />

<strong>10</strong>) Der Vorbote. September 1868.<br />

136<br />

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Während der Streiktage wandten sich die Wolfenbüttder Lassalleane-r mit<br />

folgendem Schreiben an J. Ph. Decker 20), das als eines der frühesten Dokumente<br />

der Wolfenbütteler Arbeiterbewegung im Wortlaut wiedergegeben werden soll:<br />

n Wolfenbüttel d. 12. Januar 1869<br />

Herrn Joh. Phi!. Becker, Präsident der internationalen<br />

Arbeiter-Association Genf.<br />

Die hiesigen Mitglieder des allgem. deutsch. Arbeiter-Vereins haben durch<br />

den Vorboten und Soc. Democrat Nachricht von der Arbeitseinstellung der<br />

Seidenfärber in Basel erhalten; dieselben haben mich beauftragt, einliegende<br />

2 fI. 20 gr., welche von denselben zur Unterstützung der Baseler Färber gesammelt,<br />

an Sie mit der Bitte zu senden, dieselben zu genannten Zwecke verwenden<br />

zu wollen.<br />

Möge die Arbeitseinstellung mit einem Siege der Arbeiter endigen.<br />

Mit social-democratischem Gruß und HandschIag<br />

S. Schömers, Fabrik-Aufseher. U<br />

In der ersten Hälfte des Jahres 1869 wurde das politische Leben der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Arbeiterbewegung mehr und mehr von den Wirren und Spannungen<br />

im ADAV bestimmt, bis schließlidl der "Staatsstrekh" des Präsidenten den<br />

offenen Bruch zwischen Schweitzer und seinen zahlreichen Kritikern zur Folge<br />

hatte. Am 22. Juni verbündeten sich die opponierenden Lassalleaner, unter<br />

ihnen Bracke und Spier, mit den Führern der "Partei Marx" in Deutschland,<br />

Bebel und Liebknecht. Im August gründeten sie in Eisenach die Sozialdemokratische<br />

Arbeiterpartei, die Vorläuferin der heutigen S. P. D. Am Ende<br />

des Kongress.es, zu dessem Gelingen Bracke wesentlich beigetragen hatte, wählten<br />

die Delegierten <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel zum ersten Vorort der Partei.<br />

Bracke und seine Freunde im "Ausschuß der socialdemokratischen Arbeiterpartei"<br />

trugen damit bis zu ihrer Verhaftung im September 1870 entscheidende<br />

Verantwortung für die Entwicklung und politische Haltung der gesamten Partei.<br />

Diese neue Aufgabe, mit ihrer Verknüpfung von nationalen und lokalen<br />

Pflichten und Funktionen, bestimmte nicht zuletzt das Verhältnis zur Internationale<br />

21). Der Eisenacher Kongreß hatte sich eindeutig zu ihren "Bestrebun-<br />

20) Das Original befindet sich im IISG Amsterdam.<br />

21) In den dramatis::hen Wochen vor dem Eisenacher Kongreß versuchten die beiden<br />

rivalisierenden Fraktionen, die Internationale für sich zu gewinnen. Unmittelbar nach<br />

dem Ausscheiden der Oppositon aus dem ADAV erklärte sich J. Ph. Becker im Namen<br />

der deutschen Sektionen gegen Schweitzer, den er sdlon zuvor in Briefen an Bonhorst<br />

u. a. bekämpft hatte. Kurz darauf behauptete liebknecht. der Londoner Generalrat<br />

nähme gegen den ADA V Partei. Schweitzer, der in die Verteidigung gedrängt war, vermied<br />

dagegen jeden offenen Bruch mit der I. A. A. und begnügte sich damit. Becker und<br />

138<br />

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dessem Direktor, Herrn Dr. Kleinau, ich ebenso verbunden bin wie seinem<br />

Mitarbeiter, Herrn Dr. Goetting.<br />

*<br />

Leonhard von Bonhorst, der vom August 1869 bis zum Juli 1870 als erster<br />

hauptamtlicher Sekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in <strong>Braunschweig</strong><br />

tätig war, entstammte einer in Nassau beheimateten Adelsfamilie.<br />

Sein Vater, ein ehemaliger Offizier, lebte in den für seinen Sohn entscheidenden<br />

Jugendjahren als Rechnungsrat der nassauischen Finanzverwaltung und später<br />

als Pensionär in Wiesbaden. Leonhard von Bonhorst wurde am 20. Juni 1840<br />

in Caub am Rhein geboren, wo er katholisch getauft und gefirmt wurde. Nach<br />

seiner Zeugenaussage im Leipziger Hochverratsprozeß bekannte er sich später<br />

zur deutschkatholischen Bewegung, die manche Berührungspunkte zur sozialen<br />

Demokratie aufzuweisen hatte 23). Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr im<br />

Elternhaus erzogen, besuchte er von 1858 bis 1860 das Realgymnasium zu<br />

Wiesbaden, um danach zwei Jahre am Polytechnikum, der heutigen Technischen<br />

Hochschule, in KarIsruhe zu studieren. Die Jahre 1862 bis 186, verbrachte er<br />

erneut im Kreise seiner Familie in Wiesbaden, wo er im Frühjahr 186, eine<br />

Maschinenagentur eröffnete. Wie aus dem Aufdruck seiner Briefbogen hervorgeht,<br />

handelte Bonhorst vor allem mit Nähmaschinen, daneben aber auch mit<br />

Graphit-Schmelztiegeln, Pottasche, Steingutröhren und Federmatratzen. Im<br />

Dezember 1868 mußte er sein Geschäft liquidieren, da ihn sein Eintreten für<br />

die Arbeiterbewegung, vor allem aber eine Bürgschaft für eine Arbeitergenossenschaft,<br />

an den Rand des finanziellen Ruins gebracht hatten 24). Nach einem<br />

weiteren Jahr, das er bei seinen Eltern verbrachte, rief ihn der Eisenacher Kongreß<br />

.an seine neue Wirkungsstätte in <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel.<br />

Bonhorst hat sich nach seiner eigenen Aussage vor dem <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Untersuchungsrichter bereits mit 2'i Jahren den Problemen der Arbeiterbewegung<br />

zugewandt. Nach der Lektüre verschiedener "Gelegenheitsschriften"<br />

von Schulze-Delitzsch, Max Wirth u. a. bewegte ihn die Frage, wie man die<br />

"wirtschaftliche Lage des Arbeiterstandes" verbessern könne. "In Folge dessen",<br />

erklärte er .am gleichen Ort, "errichtete ich im Herbst 6, in Wiesbaden<br />

einen Consumverein und betheiligte mich an dem wenige Monate später von<br />

dortigen Arbeitern errichteten Arbeiter-Bildungs-Verein. In ersterm hatte ich<br />

die Buchführung, in dem letztem ertheilte ich unentgeltlichen Unterricht, hielt<br />

Vorträge über wissenschaftliche Gegenstände pp. Das Jahr 1866 brachte jedoch<br />

in dem Verlauf seiner Ereignisse und der Nachwirkungen eine Spaltung in den<br />

Elementen des Arbeiter-Bildungs-Vereins hervor." Diese Aussage scheint für<br />

den Charakter und die Ideale des jungen Bonhorst kennzeichnend: sie offen-<br />

23) Hochverratsprozeß S. 528.<br />

24) S. die Aussagen vor dem Untersuchungsrichter. Niedersächs. Staats archiv Wolfenbüttel.<br />

L Neu Abt. 38 A. Fb. 2 Nr. 36 VII; Bonhorst


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bart seine Spontaneität, seinen Tatendrang, sein nicht selten unrealistisches<br />

Streben, erkannte Ziele so rasch wie möglich in die Wirklichkeit umzusetzen,<br />

vor allem aber seine Überzeugung und Hoffnung, die "soziale Frage" durch<br />

vermehrte Bildung, genossenschaftliche Kooperation und menschliche Solidarität<br />

zu lösen.<br />

Das Studium der nationalökonomischen Literatur führte ihn bald zu Ferdinand<br />

Lassalle, dessen Lehre ihm "besonders anziehend und anregend" erschien.<br />

Im Herbst 1867, als er sich um die Verbindung zur lassalleanischen Bewegung<br />

bemühte, kam er mit der von der Gräfin Hatzfeldt protegierten Splittergruppe<br />

unter Försterling und ihrem Vizepräsidenten Mende in Kontakt. Mende, glücklich,<br />

am Mittelrhein Fuß zu fassen, ernannte ihn sogleich zum Bevollmächtigten<br />

für Wiesbaden und Umgegend. Bonhorst nahm unter der Bedingung an, daß<br />

seine Wahl von den Mitgliedern bestätigt werde. "Die zu dem Behufe von mir<br />

berufene Versammlung", erklärte er vor dem Richter, "entschied jedoch für<br />

einen Anschluß an diejenige Fraction des allgemeinen deutschen Arbeitervereins,<br />

welche unter dem Präsidium Schweitzer in Berlin stand und schlug mich<br />

zum Bevollmächtigten für Wiesbaden vor."<br />

Bereits einige Monate zuvor, im Frühjahr 1867. hatte Bonhorst die Verbindung<br />

zur Internationale aufgenommen. "Heute zum erstenmal kam mir der<br />

Complex der Nummern des Vorboten von 1866 in die Hände", schrieb er am<br />

18. Mai an ]. Ph. Decker. "Bürger Habich hat sie mir geliehen. U Die Lektüre<br />

habe eine derartige Übereinstimmung mit den eigenen Überzeugungen ergeben,<br />

daß er es als "eine Schande" erachten müsse, "mit Ihnen nicht sogleich in<br />

Correspondenz zu treten". Die Arbeiterbewegung am Mittelrhein sei zu neuem<br />

Leben erwacht, ihm selber habe man dabei die "Ausarbeitung des Agitationsmaterials"<br />

übertragen. "Die Sache verhält sich in großen Umrissen so", berichtete<br />

er weiter: "Am vorigen Sonntag war in Biebrich am Rhein ein Arbeitertag,<br />

zu dem wir in Gemeinschaft mit den Mainzern (welche leider ein wenig bummelig<br />

sind) circa 12-14 Arbeiter- und 93 Turnvereine eingeladen hatten. Von<br />

allen erschienen Vertreter der Arbeiter-Vereine Offenbach, Hanau, Frankfurt<br />

a. M.., Oppenheim, Mainz, Biebrich (neu gegründet), Wiesbaden, Limburg a. d.<br />

Lahn (Turnverein), sonst Niemand. Nach Aufklärung über Zweck der Arbeiter­<br />

Bildungs-Vereine, wurde eine Adresse (v. Hyronimi in Mainz) an die franz.<br />

Arbeiter verlesen und angenommen. Dann wurde Wiesbaden zum provisor.<br />

Vorort des ,Mittelrheinischen Arbeiterbundes' erwählt und der Wiesbadener<br />

Anzeiger zum Vereinsorgan erhoben."<br />

Es käme nun darauf an, fuhr Bonhorst fort, die Lage der Arbeiter durch<br />

genossenschaftliche Organisation, vor allem durch die Gründung einer "Centralkasse"<br />

des Mittelrheinischen Arbeiterbundes zu verbessern. Es empfehle sich,<br />

zunächst mit einer Genossenschaft zu beginnen, um später, sobald die finanzieHe<br />

Grundlage gesichert sei. weitere Assoziationen, wenn möglich mit einem<br />

"gewissen großartigen Arbeitstheilungssystem", ins Leben zu rufen. Mit der<br />

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Der Bauernstand, heißt es in dem Entwurf seiner Adresse, sei nicht allein<br />

auf Grund seiner großen Zahl, sondern vor allem dank seiner Leistung für die<br />

Gesellschaft berufen, eine wichtige Rolle in der Nation zu spielen. Zunächst<br />

müßten sich die Bauern jedoch die Bildung erwerben, die man ihnen bislang<br />

vorenthalten habe. Sie müßten nicht allein "so viel zu lernen erstreben" wie<br />

möglich, sondern vor allem selbständig denken, "selber überlegen, ob das was<br />

man thuen will, auch recht ist, ob man es später vor seinem eigenen Verstand<br />

und Gewissen auch vertheidigen könne". "Ihr laßt in allen Dingen, die Staat,<br />

Kirche oder Gemeinde angehen", heißt es weiter, "noch viel zu viel Andere<br />

für Euch denken." Nähme es unter diesen Umständen wunder, daß man die<br />

Bauern immer wieder als "Stimmvieh" mißbrauche? Jedermann sei im Stande<br />

zu erkennen, "was wahr, recht und gut ist". "Und Ihr", wendet sich Bonhorst<br />

an die Bauern, "solltet nicht gleich stark mit einem ersten Minister in Euch<br />

fühlen, was Wahr und Recht ist, weil Ihr uns für die Zucht ven Pflanzen und<br />

Thieren sorgt? Reißt die Augen weit auf, Ihr Bauern, und schaut um Euch, daß<br />

Ihr Euere eigentlichen Lenker in der Ferne auch erkennt, die Euch an Bändern<br />

zu gängeln glauben. Zieht aber auch dann Euer Messer und zerschneidet<br />

unbarmherzig diese Bänder, auf daß Ihr beweist: Ihr könnt auch auf eigenen<br />

Füßen .stehen, - Ihr habt keine Lenker nötrug, die Euch im Grunde ihres Herzens<br />

denn doch verhöhnen und - verachten, weil Ihr Euch von ihnen, in Euerer<br />

angeborenen Gutmüthigkeit nach ihrem Belieben lenken und leiten ließet. Das<br />

müßt Ihr, das SlCid Ihr Euerer Ehre, Euerer Selbständigkeit schuldig. Zwar ist es<br />

ein mühevoller, ein langwieriger Weg, aber es ist der einzige, der Euch aus den<br />

Irrgängen ven widerstrebenden Ansichten, aus Euerer durchschnittlich recht<br />

bitterschlechten Lage herausführen kann." Um dieses Ziel zu erreichen, müsse<br />

sich die Bauernschaft vereinigen, müsse der einzelne Landmann seine Isolierung<br />

überwinden. Es genüge nicht, .sich auf "Märkten, Kirchweihen und Holzversteigerungen"<br />

zu treffen. Man mÜ.5se vielmehr einen "regelmäßig wiederkehrenden<br />

Verkehr der Bauern untereinander" schaffen. "Etwa so: die Bauern ven<br />

Nassau, Hessen etc. bilden einen Verein, den ,Mittelrheinischen Bauernverein<br />

oder Bauernbund' , der in jedem Ort, wenn er auch noch se klein ist, seine<br />

Abtheilung hat. Die auf 4-6 Stunden in der Runde liegenden Abtheilungen<br />

kommen alle Sonntag Morgen oder Mittag an einem vorher bestimmten Ort<br />

zusammen und berathschlagen über Alles, was auf ihr Leben Bezug haben kann,<br />

besprechen die pelitische Lage und ihre Stellung im Staate. Alle Jahr ein oder<br />

zweimal kommen dann alle Bauern die zu dem Bunde gehören und abkommen<br />

können, an einem bestimmten Ort zusammen." "Se steht's, Ihr Bauern'", fährt<br />

Bonhorst fort. "Wollt Ihr die UebeIstände, die Euch drücken, weg haben, dann<br />

müßt Ihr zusammengehen und Euch über dieselben besprechen. Jeder muß seine<br />

Erfahrungen mittheilen und muß sich die seiner Collegen mittheilen lassen.<br />

Dann werden auch die Männer der Wissenschaft nicht säumen, wenn Ihr den<br />

Wunsch aussprecht, Euch die Resultate ihrer Forschungen zu Eurem Nutz und<br />

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143


Frommen mitzutheilen, ohne aber auf Euere Entschlüsse unbedingt bestimmend<br />

einwirken zu wollen. Dann wird es ein reger Verkehr werden und rasch wird<br />

es sich zeigen, daß die wenige Zeit, welche Ihr auf die regelmäßigen Versammlungen<br />

alle Sonntag verwendet, sich tausend und abertausendfach rentiren wird.<br />

Euere Stimme wird Geltung erlangen und die drückenden Uebelstände werden<br />

wie Spreu vor dem Winde verfliegen. - Also der ,Mittelrheinische Bauernbund'<br />

mit dem Wahlspruch: ,Glekhe Pflichten, gleiche Rechte'."<br />

Vornehmstes Ziel sei es aber, "die Bauern und Arbeiter zu einem gemeinsamen<br />

Bund zu vereinen". Habe die Gründung Erfolg, könnten beide, Arbeiter<br />

und Bauern, genossenschaftliche Betriebe errichten: "Compostfabriken, Mühlen,<br />

Ackerbauwerkzeugfabriken und andererseits große Fruchtmagazine, Verkaufshallen<br />

etc." . Wenn alle bereit wären, ihr eigenes Interesse mit der Existenz des<br />

Bundes zu verknüpfen, werde sich auch "die Erkenntniß der Freiheitsgesetze" ,<br />

also die Demokratie, "unumstößlich stabilisierenu. Der Weg sei schwer, man<br />

werde mit dem Mißtrauen der Bauern und der Regierung zu kämpfen haben.<br />

"Die Befürchtungen vor der Entwickelung des s. Standes" 28), schloß Bonhorst,<br />

müßten daher "durch die eigene Gesetzgebung und deren strenge Handhabung,<br />

sowie stetig fortschreitende Belehrungen unter der Hand gehoben werden".<br />

Er hoffe, appellierte Bonhorst an Becker, daß die Internatkmale ihren Beistand<br />

nicht versagen werde. Es bestände dafür Aussicht, daß sich der Mittelrheinische<br />

Arbeiterbund auf seiner nächsten Tagung in Mainz mit der I. A. A. vereinigen<br />

werde.<br />

Wenige Wochen danach hatte Bonhorst über Rückschläge zu berichten 29).<br />

Der Wiesbadener Anzeiger habe sich unter dem Druck der "Bourgeoisie" von<br />

dem Bund gelöst. Er selbst sei persönlichen Pressionen ausgesetzt - "Vater,<br />

Mutter, Freund und Feind, alle, alle mäkeln, warnen sie und rathen ab". Aber<br />

auch dieser Kelch werde vorübergehen. "Es kann ja kein Ohngefähr, kein Wahn,<br />

kein Traum sein", bekennt Bonhorst mit dem Pathos einer fast religiösen Überzeugung,<br />

"was des Mannes Brust so wonnesüß durchzieht, jenes Gefühl nach<br />

der Heimath der Menschlichkeit, die wir uns nur auf den Schultern unserer<br />

übermächtig großen Arbeiterkreise aufbauen werden." "Merkwürdig", heißt es<br />

im nächsten Brief, "wie man zweifelt und prüft bis man von dem Sodaldemokratismus<br />

erfaßt ist, - wie es momento Licht schafft und klarsehen<br />

läßt" SO). "SO stehen wir denn", fährt er fort, "wie einst Lassalle in Grenz-<br />

28) Als ,,5. Stand" bezeichnet Bonhorst an gleicher Stelle das "Geldproletariat".<br />

28) Bonhorst an Becker vom 9. 7. 1867.<br />

80) Bonhorst an Becker vom 31. 1. 1868. Die Bekehrungserlebnisse vieler früher<br />

Sozialisten erinnern in ihrer Ausdrucksform und Gefühlsintensität an Zeugnisse religiöser<br />

Erweckungsbewegungen. S. z. B. die eine Generation nach Bonhorst verfaGte<br />

Sdbstdarstellung von Hendrik deM an über seine erste Begegnung mit dem Marxismus:<br />

"Bei der ersten Berührung mit dem Marxismus war es mir zumute, als ob mir ein<br />

Weltbild offenbart würde. das die Lösung für alle quälenden Probleme bot ... Daraus<br />

ergab sich ein solches Gefühl der Sicherheit und der Kraft, daß der dadurch gesteigerte<br />

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Abb. 1. L e 0 n h a r cl. von Bon h 0 r s t<br />

Ausschnitt aus einem Gruppenbild, das die Lötzener Gefangenen<br />

von Ketten ll1llgeben zeigt.<br />

Abb. 2. Die B rau 11 s c h w e i ger Tu r n hall e a l1l Pet r i tor.<br />

Schauplatz der sozialdemokratischen Volksversammlung vom 16. Juli 1870.<br />

Nach dem Originalphoto im Stadtarchi v <strong>Braunschweig</strong>.<br />

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Europa 31) SO wir hier ganz einsam und verlassen da. - und meine Arbeirer<br />

blicken scheu um sich; verlieren sich zum Theil wieder, - zum Theil aber auch<br />

hängen sie mir mit einer Treue an, die wahrhaft bewundernswerth ist. Gerade<br />

die letzteren Beispiele sind denn auch die, welche meiner Seele stets neue Nahrung<br />

zuführen. - denn ich lerne von ihnen. wie sie an mir" 32).<br />

Ein Jahr später, am 4. August 1868, verteidigte Bonhorst J. B. von<br />

Schweitzer gegen den Vorwurf, er sei kein würdiger Nachfolger Ferdinand<br />

Lassalles. "lch frage Sie auf Ehre und Gewissen", appellierte er an den "Bürger<br />

Becker", "wo finden Sie. bei welcher Partei, bei welchem Agitator, ein so<br />

consequentes, energisches Vorgehen auf der von Lassalle vorgezeichneten Bahn."<br />

Auf der bevorstehenden Generalversammlung in Hamburg werde die Wiesbadener<br />

Gemeinde "den Antrag auf Anschluß an die Intern. Arb. Assoc. "<br />

stellen. "Sollte dieser Antrag durchgehen", fährt er in seiner Verteidigung fort.<br />

"und Sie unseren Praesidenten immer noch für einen wenig würdigen Nachfolger<br />

Lassalles halten, 50 müßten Sie auch consequent uns die Aufnahme<br />

bestreiten. - weil ja doch nur solche Leute der Internationalen angehören können.<br />

welche die Prinzipien der Socialdemokratie im Sinne Lassalles, d. h. des<br />

einzig wahren und richtigen anerkennen und würdig vertreten. Glauben Sie<br />

denn. daß wir Tausende der Schweitzerschen Partei nicht auf unserer Hut seien.<br />

nicht in das Lager der Reaction zu treiben? Aber bedenken Sie", versucht er<br />

Becker zu überzeugen, "daß sich eine weite Ebene von einem Berg betrachtet<br />

noch belebt ansieht, während sie, steht man mitten dIin. zum Ertödten langweilig<br />

istl Sie müßten mitten in unserer Partei stehen, um das energische und<br />

richtige Vorgehen Schweitzers treu der Natur beurtheilen zu wollen. Wir haben<br />

hier keine Schweizer Verhältnisse, die uns eine solche unbeschränkte Regsamkeit<br />

gestatten."<br />

Im Februar und März 1869 unternahm Bonhorst in Gemeinschaft mit den<br />

Lassalleanern Kölsch und Haustein aus Mainz und Offenbach eine sechseinhalb-<br />

Tonus wie ein beständiger leichter Rauschzustand wirkte ... All die Ziele. für die seit<br />

Rousseau und seinen romantischen Nachfolgern Generationen von hochherzigen Menschen<br />

geschwännt hatten - die Befreiung von aller Zwangsherrschaft. die Brüderlichkeit<br />

aller Menschen. der Glaube an die Zukunft der Menschheit. das Selbstopfer für die<br />

Enterbten. die Vernunft im Dienste der Freiheit - all diese Ziele. die von der heuchlerischen<br />

Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts entheiligt worden waren. entstiegen den nebelhaften<br />

Regionen der Romantik und erhielten eine neue Weihe im Lichtglanz der triumphierenden<br />

Wissenschaft." (Gegen den Strom. Memoiren eines europäischen Sozialisten.<br />

Stuttgart 1953. S. 59 H.)<br />

31) Mit der Charakterisierung der altpreußischen Provinzen als einer Grenz- und<br />

Obergangszone zwischen Kerneuropa und dem noch "barbarischen" Machtbereich des<br />

Zaren. folgt Bonhorst den Denkvorstellungen und Traditionen der revolutionären<br />

Demokratie von 1848/49.<br />

32) In der Zuwendung der demokratischen Intelligentsia zum Volk. zum "Niedervolk"<br />

(Friedrich Heer). verschmelzen der Glaube an den naturhaft guten Menschen. der<br />

Entwicklungs- und Erziehungsoptimismus der Aufklärung. mit der aus christlichschwännerischen<br />

Quellen gespeisten Erwartung auf das "Heil aus dem Volke".<br />

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Bracke, Ehlers, Kirchner und Spier zu tausend <strong>Braunschweig</strong>er Arbeitern, die<br />

Schweitzer die Gefolgschaft aufgekündigt hatten. "Am Schluß der Versammlung",<br />

hieß es im Demokratischen Wochenblatt, "brachte Herr von Bonhorst<br />

ein dreifaches Hoch auf die Ronsdorfer Arbeiter, Lassalle's alte Garde, unter<br />

begeisterter Zustimmung der Versammlung aus; auch das vorher von demselben<br />

angestimmte Hoch auf den Congreß riß die Versammlung zu jubelnder Begeisterung<br />

hin" 37).<br />

Nach Eisenach wählte der Ausschuß Bonhorst zum Schriftführer und ersten<br />

hauptamtlichen Sekretär. Er übersiedelte kurz darauf nach <strong>Braunschweig</strong>, wo<br />

er in seiner Privatwohnung, Wendenstraße 30, auch das Parteibüro betrieb.<br />

Sein Gehalt betrug zunächst 35 Reichstaler im Monat, mußte aber später<br />

angesichts der ständigen Finanzmisere noch gesenkt werden. Als die Parteiarbeit<br />

kurz nach Ausbruch des deutsch-französischen Krieges mehr und mehr<br />

zum Erliegen kam, trat Bonhorst in das Privatgeschäft von Bracke ein 38), in<br />

dem er bis zur Verhaftung des Ausschusses am 9. September 1870 tätig war.<br />

Mit Bonhorst gewann die <strong>Braunschweig</strong>er Sozialdemokratie einen ebenso<br />

idealistischen und opferbereiten wie phantasiebegabten und dank seines Tätigkeitsdranges<br />

schwierigen und eigenwilligen Parteigenossen. "Bonhorst" , schrieb<br />

BIos in seinen Erinnerungen 39), "war eine blonde Hünengestalt mit energischen<br />

Zügen und mächtiger Stimme; er erinnerte an die alten Germanen. Ein geistvoller,<br />

hinreißender Redner, hat er der Sozialdemokratie viele Anhänger zugeführt.<br />

Sein feuriges Wesen stand ihm sehr gut."<br />

Bonhorst war kaum in <strong>Braunschweig</strong> eingetroffen, als das Ringen der<br />

beiden deutschen Fraktionen um die Internationale in ein neues Stadium trat.<br />

Anfang September hatte sich der Baseler Kongreß der I. A. A., auf dem der<br />

<strong>Braunschweig</strong>er Ausschuß durch Samuel Spier vertreten war, nach heftiger Diskussion<br />

für den Gemeinbesitz an Grund und Boden ausgesprochen. Bebel und<br />

Liebknecht waren über diesen Ausgang wenig glücklich, mußte er doch den<br />

offenen Bruch zwischen der Sozialdemokratie und der demokratischen Volkspartei,<br />

die endgültige Trennung von proletarischer und bürgerlicher Demokratie<br />

zur Folge haben. "Ich selbst bin Kommunist", verteidigte Liebknecht seine<br />

Bedenken gegenüber Bracke, "also prinzipiell mit dem Beschlusse einverstanden,<br />

bedaure aber aus praktischen Gründen, daß er in dieser Form gefaßt<br />

zu einer Zitadelle der Bebel-Liebknechtsdlen Richtung." S. ferner die Reiseabredmung<br />

in DW vorn 14. 8. 1869. Bonhorst erhielt danadl für die Zeit vorn 4. Juli bis zum<br />

<strong>10</strong>. August rund 41 Taler sowie 1 1 /2 Taler Zehrgeld pro Tag.<br />

37) DW vorn 24. 7. 1869.<br />

88) S. die Aussage vor dem Untersuchungsrichter. Nieders. Staats archiv WoIfenbüttel,<br />

L Neu Abt. 38 A. Fb. 2. Nr. 36 VII.<br />

89) Wilhelm BIo 5, Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten. 1. Bd. S. 129. Nach<br />

dem "Signalement" in den Geridttsakten war Bonhorst ,,72 1 /, ZoU" groß, seine Stirne<br />

»hoch", die Haare, Augenbrauen und der VoIIbart nlichtblond".<br />

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147


worden. Die Grundeigenthumsfrage kann den Bauern nur nach und nach klar<br />

gemacht werden. Die Franzosen wußten, was sie thaten, als sie auf dem Baseler<br />

Kongreß gegen die Abstimmung protestirten. Wir brauchen die Bauern nicht,<br />

um Revolution zu machen, aber keine Revolution kann sich halten, wenn die<br />

Bauern dagegen sind" 40).<br />

Schweitzer erfaßte sogleich die Chance, Liebknechts schwankende, zögernde<br />

Haltung gegen die "Eisenacher" auszuspielen und ihre Führer als "Sendboten<br />

und Werkzeuge der deutschen bürgerlichen Demokratie" zu verdächtigen. Die<br />

Opposition gegen die Baseler Beschlüsse, erklärte er, sei ein Verrat an der<br />

größten Gruppe des deutschen Proletariats, den ländlichen Arbeitern, deren<br />

Interessen niemand von denen ihrer städtischen Kollegen trennen dürfe. In der<br />

Hoffnung, Bracke und die ehemaligen Lassalleaner im <strong>Braunschweig</strong>er Ausschuß<br />

gegen Liebknecht aufzubringen, verhöhnte er sie als" vollkommene Strohpuppen",<br />

die es nicht wagen dürften, gegen die "wirklichen Führer der Partei"<br />

auch nur "zu mucksen". Bebel und Liebknecht aber befänden sich in "Abhängigkeit<br />

von Kapitalisten wie ,Löb Sonnemann' und ,Aron Ladendorf' sowie von<br />

den Geldern des Hietzinger Hofes". "Eure Brüder, die ländlichen Arbeiter.<br />

gebt Ihr auf, wo die Grundbesitzer nicht zu erschreckenlf", rief er seinen einstigen<br />

Gefolgsleuten zu. "Wißt Ihr denn nicht, daß dies das Reaktionärste ist,<br />

was geschehen kann? ... Wißt ihr nicht, daß diejenige Partei, welche nicht den<br />

Mut ihres vollen Prinzips hat, von Anfang an tot ist?" 41).<br />

Bracke und seine <strong>Braunschweig</strong>er Freunde, an denen der Angriff nicht spurlos<br />

vorüberging, beauftragten Bonhorst mit der Erwiderung. Am 27. und<br />

40) Hochverratsprozeß S. 196. Im Oktober schrieb Liebknecht im gleichen Sinne an<br />

Bonhorst: •... in dem projektirten Manifest des Ausschusses wird das Endziel unserer<br />

Partei so unmotivirt hingestelIt. daß es nur erschrecken würde. wie auch die Baseler<br />

Beschlüsse durch ihre Unmotivirtheit erschreckten. Wartet noch ein wenig. dann sind<br />

die Leutchen schon im Stande, bis Basel zu marschiren. Aber jetzt noch nicht. Muthen<br />

wir es ihnen jetzt zu. so werden uns nur die besten Fußgänger nachkommen. die andern<br />

bleiben zurück. - Mein Wunsch ist. nicht vorzeitig mit der süddeutschen Volkspartei<br />

in Krakehl zu gerathen. Von Gera nach Nürnberg und von Nürnberg nach Eisenach ist<br />

schon ein rascher Vormarsch. Wir werden auch nach Basel kommen. aber jetzt ist es<br />

noch nicht möglich ... U (Hochverratsprozeß S. 195 f.)<br />

Zum Baseler Kongreß s. auch die Begrüßungsadresse "erlassen von H. Ehlers.<br />

Bonhorst, W. Bracke jr. und F. Neidel in <strong>Braunschweig</strong>. sowie Namens des Lokalvereins<br />

zu <strong>Braunschweig</strong> und desjenigen zu Wolfenbüttel" in DW vom 11. 9. 1869. Der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Ausschuß stellte in Basel folgende Anträge: ,,1. Der Congreß wolle besdlließen.<br />

daß für Mitglieder der sozial-demokratischen Arbeiterpartei und nur für<br />

solche, deutsche Mitgliedskarten zu 1 Sgr. jährlich ausgegeben werden; 2. der Congreß<br />

wolle auf die Zeit zwischen Weihnacht und Neujahr nach einem mitteldeutschen Orte<br />

einen Al1gemeinen Internationalen Congreß der Gewerkschaften berufen, zur Regelung<br />

der Gewerkschaftsangelegenheiten Deutschlands. sov.ie zur Herstellung eines Cartel1vertrages<br />

zwischen den einzelnen Gewerkschaften. sowohl innerhalb als außerhalb der<br />

verschiedenen Länder. d. h. aller Länder untereinander. Bonhorst. • S. hierzu auch<br />

M a y e r, Schweitzer S. 34I.<br />

U) Zit. nach M a y e r, Schweitzer S. 346 H.<br />

148<br />

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30. Oktober erschien darauf im "Volksstaat" seine Artikelfolge: "Der famose<br />

Diktator und eine der <strong>Braunschweig</strong>er ,Strohpuppen' im Lichte der Baseler<br />

Beschlüsse" 42). Schweitz.er, erklärte Bonhorst in äußerst scharfem Ton, werde<br />

von der 1. A. A. der Mitgliedschaft für unwürdig erachtet und habe an dem<br />

Zustandekommen der Baseler Beschlüsse keinerlei Anteil. Der ADAV und sein<br />

Organ hätten die "prinzipielle Besprechung unserer bäuerlichen Verhältnisse"<br />

auch früher "ganz außer Acht gelas·sen". Dagegen hätten die drei Vertreter der<br />

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Basel trotz taktischer Bedenken für die<br />

Resolution gestimmt, da ihnen "die Heiligkeit der Theorie" mehr bedeute "als<br />

die praktischen Nützlichkeitsgründe" . Bei einer längeren Dauer der Diskussion<br />

hätte man sich voraussichtlich auf "ein Uebergangskompromiß zu Gunsten der<br />

deutschen Gruppe" geeinigt und dabei auf die im Vergleich zu England<br />

"embryonenhaften Zustände" der Agrarstruktur in Deutschland Rücksicht<br />

genommen. Die deutsdle Sozialdemokratie handele ebenso wie die Internationale,<br />

"welche nie sagt: ,Der Bien muß', sondern welche es dem freien Forschen<br />

und der gegenseitigen Belehrung überläßt, ihre Mitglieder nach und nach<br />

auf die Höhe der Anschauung unserer Zeit zu erheben". Besonders behutsam<br />

müsse man aber mit dem deutschen Bauern diskutieren, "welcher gerade in dem<br />

jetzigen Uebergangsstadium, während dessen er das Großkapital mit Schlangenwindungen<br />

auf sich zusteuern und immer mehr und mehr seiner Brüder von<br />

Haus und Hof treiben sieht, um so viel mißtrauischer geworden ist gegen Alles,<br />

was sich mit seiner Lage beschäftigt". "Doch naht auch bei uns die Zeit", heißt<br />

es weiter, "wo durch überhand nehmende Subhastationen einerseits und durch<br />

die Konzentration des Bodens in wenigen Händen andererseits, der gewaltsam<br />

von seiner Scholle getrennte Bauer uns gewissermaßen von selbst in die Arme<br />

fällt, und das gediegendste und empfänglichste Material für die kommende<br />

soziale Revolution bildet" 43).<br />

Für die Entscheidungen der I. A. A. seien im übrigen die britisdlen Verhältnisse,<br />

"als die in ökonomischer Beziehung entwickeltsten" entscheidend<br />

gewesen. "Da aber in England", fährt Bonhorst fort, "die Frage des Grund und<br />

Bodens so liegt, daß es dem Pächter einerlei sein kann, an wen er seine Pacht<br />

zahlt und ob derselbe Grundrente oder Staats steuer oder wie sonst genannt<br />

werde, da der ländliche Arbeiter, zum großen Theil durch Maschinenbetrieb<br />

verdrängt, wo er sich noch findet, das größte Interesse daran haben muß, die<br />

35 000 großen Güter, in die das Königreich seiner Oberfläche nadl zerfällt,<br />

expropriirt, d. h. in die Hand der Allgemeinheit übergehen zu sehen, so ist es<br />

ganz natürlich, daß die Internationale diesem Druck von Innen in Basel Luft<br />

verschaffen mußte.<br />

In Frankreich, wo Napoleon 1., um seiner Dynastie die festmöglichste Stütze<br />

zu geben, die von der Republik angebahnte Parzellirung und Vertheilung dee<br />

l2) "Volksstaat" vom 27. und 30. <strong>10</strong>. 1869.<br />

U) Die Stelle wurde von der Staatsanwaltschaft im Leipziger Hochverratsprozeß als<br />

Belastungsmaterial herangezogen. Hochverratsprozeß S. 367 H.<br />

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149


Staats-, Kirchen- und Adelsgüter durchführte, gerieth der auf diese Weise<br />

begründete kleine Bauernstand, eben weil er ... dem Andringen auswärtiger<br />

Konkurrenz nicht widerstehen konnte, nach und nach in die Polypenarme des<br />

großen Kapitals, so daß, wie Marx sagt, ,seine Parzelle nicht mehr im sog.<br />

Vaterland, sondern eigentlich im Hypothekenbuch liegt' 44).<br />

Auch diesem Parzellenbauer müßte es im höchsten Grade erwünscht sein,<br />

wenn er, an SteIle des ... Kapitalisten, den Staat, die Gesammtheit zum reellen<br />

Hypothekengläubiger bekäme ... Eine nach der nächsten Umwälzung in Frankreich<br />

vorzunehmende Expropriation des Grund und Bodens für die Gesammtheit<br />

wird also bei Klarlegung der Frage die überwiegende Mehrheit der Nation auf<br />

ihrer Seite haben ... ".<br />

In einem Schreiben an Marx scheint sich Bonhorst der gleichen Argumente<br />

bedient zu haben. Engels, der den Brief Marx am 1. November zurücksandte,<br />

äußerte sich hierzu recht wohlwollend: "Der Beschluß von wegen des Grundeigentums<br />

hat wahre Wunder gewirkt. Zum erstenmal, seit Lassalle seine<br />

Agitation begann, zwingt er die Kerls in Deutschland zu denken, was bisher<br />

für ganz überflüssig galt. Das sieht man aus dem Brief von Bonhorst deutlich.<br />

Der Brief gefällt mir auch sonst nicht übel. trotz der Schöntuerei und Halbbildung<br />

ist ein gewisser gesunder Volkshumor drin, und mit der Hypothek hat<br />

er doch gleich den rechten Fleck getroffen. Die Leute vergessen übrigens, auch<br />

außer der Hauptsache mit dem großen Grundeigentum, daß es verschiedene<br />

Sorten Bauern gibt: 1. den Pachtbauer, dem es gleichgültig ist, ob der Boden<br />

dem Staat oder dem großen Besitzer gehört; 2. den Eigentümer, erstens den<br />

großen Bauer. gegen dessen reaktionäre Existenz der Taglöhner und Knecht<br />

aufzustacheln ist, zweitens den Mittelbauern, der auch reaktionär sein wird<br />

und der nicht sehr zahlreich ist, und drittens den verschuldeten Kleinbauer, der<br />

mit der Hypothek zu fassen ist ..• " 45).<br />

") Karl M a r x, Der achtzehnte Brumaire des LOUis Bonaparte: n ••• Die Parzelle<br />

liegt nicht mehr im sogenannten Vaterland. sondern im Hypothekenbuch." Bonhorst<br />

hat vermutlich die zweite, 1869 in Hamburg erschienene Auflage benutzt, (5. Marx an<br />

Engels vom 12.2.1870: n Wilhelms Freunde - Bonhorst und Bracke. bei ihrem Besuch<br />

in Hannover, sahen die neue Ausgabe und erzählten mir. sie seien mit Meißner über<br />

Ausgabe einer wohlfeileren Volksausgabe übereingekommen .. " Die Erwähnung der<br />

45 Centimes-Steuer und ihrer Bedeutung für die Haltung der französischen Bauern in<br />

der Revolution von 1848 macht es wahrscheinlich. daß Bonhorst auch die damals in<br />

Deutschland noch sehr seltene Schrift von Karl Marx: .. Die Klassenkämpfe in Frankreich<br />

1848 bis 1850" gekannt hat, - es sei denn, daß Marx die Steuer bei der Aussprache<br />

in Hannover erwähnt hat.<br />

45) Marx an Engels vom 30.<strong>10</strong>. und Engels an Marx vom 1. 11. 1869. Ganz ähnliche<br />

Gedanken hat Eng eIs im Vorwort zur zweiten. 1870 erschienenen Auflage des<br />

"Deutschen Bauernkrieges" entwickelt.<br />

Ober Bonhorst urteilte Marx einige Monate später wesentlich kritischer. So schrieb<br />

er am 4. 12. 1869 an Engels: "Einliegend auch ein Brief von Bracke. Ich habe nichts<br />

gegen Bonhorst. hatte nur dem Kugelmann gesagt. daß ich ihn für eine etwas katilinarische<br />

Existenz halte.· Kugelmann hab::: dies in übertriebener Form nach <strong>Braunschweig</strong><br />

HO<br />

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Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Baseler Beschlüsse<br />

hatten Bonhorst, Brad


Als Bonhorst am 23. Dezember aus der Haft entlassen wurde, hatte im<br />

Waldenburger Kohlenrevier der größte und politisch folgenschwerste Streik des<br />

Winters 1869/70 begonnen. Die Bergarbeiter, Anhänger der liberalen Gewerkvereine<br />

v{)n Hirsch und Duncker, hatten Mitte Dezember die Arbeit niedergelegt<br />

und den Beistand ihrer ArbeiterkoIIegen erbeten. Der <strong>Braunschweig</strong>er<br />

Ausschuß erklärte sich sogleich in leidenschaftlimen Aufrufen an die Partei,<br />

an die Streikenden und alle Mitglieder der Internationale mit den Waldenburgern<br />

solidarisch 51). Die Entschlossenheit der deutschen Arbeiter und die m{)ralische<br />

Hilfe der I. A. A. würden den Arbeitskampf entsmeiden: "Wir glauben<br />

Eum verspremen zu dürfen", erklärten die <strong>Braunschweig</strong>er, "daß Eure Brüder<br />

in England, in Frankreich, in Belgien, in Italien, in der Schweiz, ja selbst in<br />

Spanien ... Euch ihre Bruderhand mit Freuden reimen werden. Der Internationale<br />

Arbeiterbund hat schon iiO manmen großen Strike siegreich und glorreim<br />

durmgeführt, er wird auch Eum seine mämtige Hülfe gewähren." Zur<br />

wachsenden Enttäuschung der Partei war jedom von der erhofften Unterstützung<br />

der ausländismen Sektionen zunächst wenig zu verspüren. In einer Erklärung<br />

im "Volksstaat" 52) entschuldigte Spier das Versagen der Internationale mit der<br />

"Hauptschwierigkeit der internationalen Einigung, der Sprachverschiedenheit" .<br />

Um die Hilfe der 1. A. A. zu besmleunigen, habe er sich nun an ihre führenden<br />

Persönlimkeiten gewandt, unter ihnen Jung (London), Hins (BTÜssel), HeB<br />

(Paris), Bruhin (Basel) und den "aItehTWÜrdigen" J. Ph. HecXer in Genf. "Ich<br />

wende mim an Sie in Samen der Waldenburger" , heißt es in dem Smreiben an<br />

Moses Heß. "Der Streik kann sim nimt halten, wenn er nimt vom Ausland<br />

unterstützt wird ... Die deutsmen Arbeiter haben seiner Zeit bei den bedeutenden<br />

Arbeitseinstellungen der Gruppen der Internationale in Basel und Genf<br />

allerorten ihre Pflimt getan, sie hoffen das gleiche jetzt aum von ihren Brüdern<br />

in den uns benachbarten Ländern ... " 58).<br />

Bereits in der übernächsten Nummer, am 22. Januar, konnte der" Volksstaat"<br />

eine Solidaritätserklärung des "Centralkomites der Sekti{)nsgruppe<br />

Deutscher Sprache" veröffentlimen. Am gIeid!en Tag quittierte die Redaktion<br />

&1) "An die strikenden Arbeiter im Waldenburger Kohlendistrikt" ; "An die Mitglieder<br />

der Internationalen Arbeiterassoziation" ; .An die Parteigenossen" .• Der Volksstaat"<br />

Nr. 23 vom 18. 12. 1869.<br />

62) S pie r: "Der Waldenburger Strike und die Mitglieder der Internationalen<br />

Arbeiterassoziation im Ausland" (Wo]fenbüttel, 11. Januar). "Der Volksstaat" Nr.5<br />

vom 15. 1. 1870. Am 17. 12. 1869 hatte Bebel Bracke zu bedenken gegeben: "Es wäre<br />

besser gewesen, wenn Ihr den Waldenburgern nicht so große Unterstützung seitens der<br />

Internationalen Arbeiter-Assoziation in Aussicht gestellt hättet. Die Organisation der<br />

Internationale ist noch lange nicht so weit, um materiell erheblich wirken zu können·.<br />

Hochverratsprozeß S. 509 f.<br />

63) Samuel Spier an Hess, Wolfenbüttel, 11. Januar 1870. Moses Heß Briefwechsel.<br />

Hrsg. von Edmund S i I b ern e r. Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der deut­<br />

Ichen und österreichischen Arbeiterbewegung. Hrsg. vom Internationaal Instituut<br />

voor Sociale Geschiedenis Amsterdam. 's-Gravenhage 1959. S.595.<br />

152<br />

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30. April mamte die Einberufung des nächsten Kongresses der I. A. A. nach<br />

Paris, wo Marx mit einer stärkeren Beteiligung der bakunistismen Fraktion zu<br />

rechnen hatte, so gut wie unmöglich. "Der Pariser plot", schrieb Marx auf·<br />

atmend nach Manchester, "macht dem schon weit gereiften Plan, den Kongreß<br />

in Paris abzuhalten und bei der Gelegenheit auch den Generalrat dahin zu ver·<br />

legen, ein Ende mit Schrecken" 60). Aus der gleichen Sorge forderte der Braun·<br />

smweiger Ausschuß, durch die "Konfidentielle Mitteilung" alarmiert, die Ver·<br />

legung des Kongresses auf deutschen Boden: "Da die politischen Verhältniße<br />

Frankreichs wahrsmeinIich nicht zulaßen werden, daß der Congreß unserer<br />

Internationalen Arbeiterassociation in diesem Jahr zu Paris stattfinden kann",<br />

heißt es in ihrem Antrag, "beeilen wir uns, dem verehrlichen Generalrath<br />

vorzuschlagen, in diesem Jahr den Congreß in Deutschland abzuhalten und<br />

schlagen zu dem Ende als Sitz desselben Mainz, Darmstadt oder Mannheim<br />

vor ... " 61).<br />

Marx stimmte dem Antrag freudig zu. "Die Verlegung des Kongresses nach<br />

Mainz", berichtete er dem Freund in Manchester "gestern unanimously voted.<br />

wird den Bakunin tanzen machen!" 62). Wenige Wochen danach erzwang der<br />

Ausbruch des deutsch·französischen Krieges die Vertagung des Kongresses, der<br />

erst kurz vor dem Niedergang der Internationale 1872 zustande kam.<br />

Inmitten der Kämpfe um die Internationale trat in Stuttgart der 2. Kongreß<br />

der Sozialdemokratismen Arbeiterpartei (4.-7. Juni) zusammen. Aus Braun·<br />

schweig.WoIfenbüttel waren drei Delegierte erschienen. Bonhorst. Ehlers und<br />

Spier, von denen der erstere 368 Parteigenossen aus Helrnstedt, Königslutter,<br />

Magdeburg, Mühlheim a. Rh., Oelsnitz, Schöningen und Solingen vertrat. Dc!n<br />

Höhepunkt des Parteitages bildete das Referat von August Bebel über die<br />

"Grund· und Bodenfrage", mit dem sich die Partei erneut zu den Baseler<br />

Beschlüssen der I. A. A. bekannte. Die "ökonomisme Entwicklung der moder·<br />

nen Gesellschaft". betonte Bebel in der von ihm eingebrachten Entschließung,<br />

mache es zu einer "gesellschaftlichen Nothwendigkeit", "das Ackerland in<br />

gemeinschaftliches Eigenthum zu verwandeI.n und den Boden von Staatswegen<br />

an Ackerbaugenossenschaften zu verpadtten". "Um die vernünftige und wissen·<br />

scnaftliche Ausbeutung des Grund und Bodens zu ermöglichen", heißt es weiter,<br />

"hat der Staat die Pflicht, durch Errichtung entsprechender Bildungsanstalten die<br />

nöthigen Kenntnisse unter der ackerbautreibenden Bevölkerung zu verbreiten."<br />

Eine lebhafte Diskussion lösten die von Bebel aufgestellten Nahziele aus:<br />

"Als Uebergangsstadium von der Privatbewirthschaftung des Ackerlandes zur<br />

genossenschaftlichen Bewirthschaftung fordert der Kongreß, mit den Staats·<br />

domänen, Chatullengütern, Fideikommissen. Kirchengütern, Gemeindelände·<br />

reien, Bergwerken, Eisenbahnen etc. zu beginnen. und erklärt sich deshalb<br />

156<br />

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00) Marx an Engels vom 7. 5. 1870.<br />

01) Eck e r t, Unveröffentlidlte Bracke-Briefe S. <strong>10</strong> ff.<br />

62) Marx an Engels vom 18.5.1870.<br />

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gegen jede Verwandlung des oben angeführten Staats- und Gemeinbesitzes in<br />

Privatbesitz." Während liebknecht, Weerth und York Bedenken anmeldeten,<br />

verteidigte Bonhorst mit Erfolg den Kampf gegen jede Privatisierung der<br />

Domänen. "Die herrschende Klasse im Staate", erklärte er, "dränge zur kapitalistischen<br />

Produktionsweise und wolle dieser auch die Staatsgüter zuweisen.<br />

Dagegen müsse man mit allen Mitteln sich wehren." Der Kampf der Sozialdemokratie,<br />

fuhr er fort, diene der" Verbesserung der materiellen Lage der<br />

weitaus großen Mehrzahl des Volks" und werde daher "nothwendig auch<br />

geistige Fortschritte" zur Folge haben 63).<br />

In den letzten Stunden des Parteitages behandelten die Delegierten einen<br />

Antrag von J. Ph. Bed


Anhang<br />

I. Leonhard von Bonhorsl an Johann Philtpp Becker<br />

Briefe aus der Braunsdlwelger Zelt<br />

218 (763) 5.<strong>10</strong>.69.<br />

Lieber Becker I<br />

Sei so gut und sende den steno graphischen Congreßbericht (Baseler) 88) sofort nach<br />

seinem Erscheinen in circa 12-15 Expl. an uns ein. Den Betrag werden wir Dir gleich<br />

nach Empfang einsenden.<br />

Mit vielen Grüßen<br />

Dein Bonhorst.<br />

Stempel: Ausschuss der Socialdemokratischen Arbeiterpartei<br />

65 (Vgl. Abb. 3)<br />

(Briefbogen der Partei)<br />

<strong>Braunschweig</strong>, den 11. Januar 1870<br />

Lieber Beker I<br />

Aus Beiliegendem wirst Du sehen, wo der Haas im Pfeffer liegt. - Wir werden die<br />

Sache vom Ausschuß wegen energisch betreiben und wollen es schon in die Reihe bringen.<br />

- Wenn die Genossenschaft nur mit einem blauen Auge davon kommt 170) Schreibe<br />

mir um geh end Deine Meinung über das Ganze-denn bei allen solchen Dingen ist<br />

es sehr gut, alle Ansichten zu hören.<br />

Mit Klein 71) wollen wir bald fertig werden.<br />

Viel, viel Arbeit. 0 Magdeburg, du schöne Stadt I 7.)<br />

Dein Bonhorst.<br />

Schweizer is ei dauter Mannl Hel<br />

(Briefbogen der Partei)<br />

139 <strong>Braunschweig</strong>, den 25/26. Januar 1870<br />

Lieber Becker I<br />

Nächste Woche gehe ich nach Solingen. Hast Du also noch einen Auftrag, dann<br />

theile ihn mir umgehend bis zum 29. Abends mit (30. Morgens 6 Uhr reise ich ab).<br />

Nun noch zwei Fragen:<br />

1. Wie steht es mit Euerem Anschluß an die socialdemokr. Arb. Partei?<br />

88) • Verhandlungen des IV. Congresses des intemationalen Arbeiterbundes in<br />

Basel.· Basel 1869.<br />

70) Es handelt sich vermutlich um die von Fritzsche gegründete Genossenschaft der<br />

Tabak- und Zigarrenarbeiter, für die Bracke finanzielle Bürgschaft geleistet hatte. S.<br />

Eck er t, Unveröffentliche Bracke-Briefe S. 7.<br />

71) Kar! Klein, Arbeiterführer in Solingen.<br />

72) Bonhorst hatte durch die Haft in Magdeburg viele Wochen Arbeitszeit verloren.<br />

160<br />

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Abb. 4 (zu S. 166)<br />

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2. Wird das Centralcomite Deutscher Sprache nicht aufgelöst zu Gunsten der Partei. -<br />

so daß wir unmittelbar mit dem Generalrath in Verbindung kommen7<br />

Oder was habt Ihr sonst vor7 Gib mir doch hierüber genügenden Aufschluß. indem ich<br />

nächstens dem Ausschuß referiren muß. 73)<br />

Sollte jedoch Deine Antwort (bezgl. Solingens) dadurch verzögert werden. so mache<br />

lieber 2 Briefe. damit ich bis Samstag Mittag nöthige Auskunft habe -<br />

Wie immer Dein Bonhorst.<br />

14S (H8)<br />

<strong>Braunschweig</strong> den 28. 1.70.<br />

Lieber Becker I<br />

Sei so gut und gebe uns umgehend an wie theuer Du uns soo St. Vorbote excl. Porto<br />

berechnen würdest. Hiebei kann natürlich nicht vom Abonnentenpreiß die Rede sein.<br />

Es handelt sich einfach nur um Ausbreitung unserer Ideen und des centralisirten Vermittelungsgeschäftes.<br />

Das entstehende Porto würde Dir extra saldirt. - jedoch bemerke sogleich die Höhe<br />

desselben. so daß wir es in die CaJculation mit hereinziehen können.<br />

Volksstaaten beziehen wir z. B. zu 17 1/2 Sgr. pr. <strong>10</strong>0 St.<br />

Die Centralstelle für Production. Constnntion und Vermittelung<br />

I. A. Bonhorst<br />

<strong>Braunschweig</strong> den H. 2. 70.<br />

Lieber Beckerl<br />

In der jüngsten Zeit hat sich so ein kleiner Gegensatz in Mitten unseres Ausschußes<br />

entwickelt. Man vermuthet nämlich in mir einen Ueberläufer in das Lager des Herrn<br />

Schulze - Delitsch. Veranlaßung hierzu hat das. auch an Dich gelangte Cirkulair bezüglich<br />

der Centralstelle gegeben. BTake und Spier sind nun gewIßermaßen .furchtbar<br />

hinter mir" - bewachen mich mit Argusaugen. weil sie einen Schwachgewordenen.<br />

(wenigstens politischen) in mir erbliken.<br />

Ich richte (nun) diese Zeilen an Dich. damit Du einstens. wenn es nöthig erscheinen<br />

sollte. ZeugniS für mich ablegen kannst. - Du aber auch andererseits in meinen Abund<br />

Ansichten klar blikst.<br />

Aus meiner Vorlage ersiehst Du. daß ich nur auf eine rel" comlHu"lstlsche UnterneHmung<br />

abziele. [die] der beutigen Produktionsweise und dem sich hierauf bauenden<br />

Staate ein seeliges Ende bereiten müße.<br />

7') In einem Schreiben an "Bürger Bonhorst" lehnte Becker den Vorschlag ab: .. ad<br />

a) Zwischen der sozialdemokratischen Partei und der Sektionsgruppe deutscher Sprache<br />

der Internationalen bestehe ein gleichberechtigtes und ebenbürtiges Bundesverhältniß<br />

und hätten beide unmittelbar mit dem Generalrathe zu verkehren. ad b) Diese Frage<br />

könnte nur von der Generalversammlung der Sektions gruppe. nicht vom Zentralkomitee<br />

entschieden werden. dasselbe werde jedoch einen solchen Auflösungsantrag nicht stellen·.<br />

Der Brief wurde im Leipziger Hochverratsprozeß als Beweis für offizielle Beziehungen<br />

zwischen dem Ausschuß und der I. A. A. gewertet. S ... Hochverratsprozeß"<br />

S.344.<br />

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161


Theile uns dieselben nur ja alle mit. denn die Finanznoth der Partei ist eben größer<br />

wie je. Beeile Dich deshalb auch ein wenig mit Deiner Antwort.<br />

Den beiliegenden Brief wolle güt[i)gst an seine Adresse gelangen laßen.<br />

Für den Ausschuß<br />

Der Secretair<br />

Spier. Bonhorst.<br />

Kennen Sie die Adresse v. G. Herwegh. resp. ist bei dem für die Partei was zu holen?<br />

Besten Gruß<br />

Sp[ier)<br />

602 (569) <strong>Braunschweig</strong> den 9.5.70.<br />

Lieber Bed


stadium doch so unendlich nothwendig ist, viel weniger beschränkt sein wird, als bei den.<br />

immer etwas Autonomie. etwas Unfehlbarkeit in sich tragenden Commissionsbeschlüssen.-wenn<br />

die Sache nach Euerem Antrag geregelt würde. Andererseits regt die jetzige.<br />

freie Form auch alle Geister zur Selbstthätigkeit an. - während die von Euch vorgeschlagene<br />

einen gewissen Abschluß hervorbringen müßte und so dem für sich Denken­<br />

I a P e 11 Vorschub leistete.<br />

Der nicht weiterblikende Parteigenosse würde sich sagen: Die Commission hat das<br />

berathen. das mup gut sein.<br />

Trotzdem müßen wir Euch zugestehen. daß nach längerer. freier Fortbesprechung.<br />

wenn sich die Ansichten mehr und mehr geleutert haben. Euer Weg. - wenn auch<br />

vielleicht in einigen Fonnalien verändert. betreten werden muß und wird Euch ja alsdann<br />

unser Organ den nöthigen Aufschluß sofort geben.<br />

Empfanget noch für Euer stetes geistiges Mitwirken unseren besten Dank.<br />

Für den Ausschuß<br />

Der Secretair<br />

Spier. Bonhorst.<br />

Lieber Becker I<br />

Sende uns doch unter (Kreuz)band die Nummer des Vorboten. in welcher der Fragebogen<br />

für statistische Erhebungen (Beschluß des Genfer Congreßes der Internationalen)<br />

enthalten ist.<br />

D.O.<br />

800 (617)<br />

<strong>Braunschweig</strong> den 5.7.70.<br />

Lieber Becker I<br />

Dein Brief vom 1. d. ist in unseren Händen. 70) Wir müßen Dir jedoch bemerken.<br />

daß Du uns im höchsten Grade Unrecht thust. woran wohl mit am meisten der Einfluß<br />

Euerer wHeißsporne- Schuld sein mag.<br />

1. Wollen wir Dir zur Charakterisirung unserer eigenen Kassenverhältniße nur<br />

bemerken, daß wir z. B. im verfloßenen Monat noch nicht einmal im Stande waren. für<br />

die Gefängnißkosten von Rüdt 75) <strong>10</strong> Thlr. aufzubringen. Unsere Leute sind eben schon<br />

viel zu sehr angestrengt worden od. sind. wie die uns neu Zutretenden. noch nicht opferwillig<br />

genug. - so daß sie selbst ihre regelmäßigen Steuern im höchsten Grade unregelmäßig<br />

zahlen.<br />

2. Mußt Du bedenken. daß es noch in aller Gedächtniß ist. wie sehr schlecht sich die<br />

Scctionen der Internationalen an den Sammlungen betheiligten. welche wir damals für<br />

die Waldenburger veranstalteten. Obwohl wir weit davon entfernt sind. auf diesen<br />

Punkt Nachdruck oder nur weitere Bedeutung zu legen. müßen wir Dir denoch gestehen.<br />

daß er nicht ohne Einfluß geblieben ist.<br />

75) Im <strong>Braunschweig</strong>er Sozialistenprozeß wurde der Brief auf Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

zusammen mit einem Brief J. Ph. Beckers vom 11. Juni 1870 verlesen.<br />

W. B ra c k e. Der <strong>Braunschweig</strong>er Ausschuß der socialdemokratischen Arbeiter-Partei<br />

in Lötzen und vor dem Gericht. <strong>Braunschweig</strong> 1812. S. 154 f.<br />

75) Am 9.7.1870 veröffentlichte der _Volksstaat" einen Brief von Rüdt. der sich<br />

am 2. Juli aus Hubertusburg an den Aussdtuß mit der Bitte um Hilfe gewandt hatte.<br />

164<br />

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daselbst. C. Henning in Ronsdorf. C. Demmler in Geyer i. Erzgebirg. C. F. Hupfer in<br />

Lunzenau. A. Welke /H FraHkeHhauseH /H Thür/HgeH. Poll/Hg iH Dessau. Nippoldt /H<br />

Gotha. (Pelle Augsburg?) (Kü/m u. Ehlers). Naters-Halberstadt und unseren Parteisecretair<br />

Bonhorst.<br />

Von diesen officiellen Agitatoren wurden (bis jetzt) gerichtlich bestraft (wegen<br />

Äußerungen in ihren Reden): Rüdt mit 8 M[ona)t und :2 M[ona]t Voruntersuchung<br />

(in Mittweida verhaftet. abgeurtheilt und dann nach Hubertusburg transportirt).<br />

F. ObermaHH Ir. in Eschweiler mit 4 Wochen in Aachen (dabei 4 Wodlen Voruntersuchungshaft)<br />

BOHhorst ebenso bestraft vom Criminalgericht in Magdeburg.<br />

Dittmar von Leipzig nach Frohburg gesand sitzt eben in der Frohnfeste Borna in<br />

Untersuchungshaft.<br />

Den anderen wird täglich schärfer auf die Finger gesehen.<br />

Die von unseren officiellen Agitatoren hauptsächlich berührten Gegenden waren:<br />

Westfalen. Rheinland. Bayern. Sachsen. Hannover. <strong>Braunschweig</strong> und Holstein.<br />

Von den ohne unsere Mitwirkung und Beauftragung vollzogenen Agitationen heben<br />

wir vor Allen die des Herrn A. Bebel in Leipzig durch Schwaben hervor. - deren Resultat<br />

sich in der bald darauf erfolgenden Auflösung des schwäbischen Gauverbandes der<br />

dortigen Arbeitervereine bemerklich machte.<br />

Im Ganzen zählt unsere Partei jetzt 1<strong>10</strong> (<strong>10</strong>9) Orte in Deutschland. an denen sie<br />

vertreten ist. Davon kommen auf:<br />

Anhalt :2<br />

Baden l<br />

Bayern 8<br />

<strong>Braunschweig</strong> 6<br />

Hamburg 1<br />

Hessen 3<br />

Preußen 33<br />

Reuß j. L. 1<br />

Sachsen Kgrch. (34) 35<br />

Sachsen W. E. 3<br />

C.G. 1<br />

M.H. 1<br />

Schwarzb. Rudolstdt 1<br />

Wrttmberg <strong>10</strong> (9) (8)<br />

113 (<strong>10</strong>9)<br />

Die (schweizerischen) deutschen Arbleiter] Blildungs] V[ereine] der Schweiz haben<br />

bis jetzt noch kein Verzeichniß ihrer Orte eingesand. :<br />

Von diesen 113 (<strong>10</strong>9) Orten sind ihren gegen die Partei eingegangenen Verpflichtungen<br />

völlig nachgekommen .•• " Orte.<br />

Die Anzahl der zahlenden Mitglieder beträgt: .,.<br />

168<br />

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Die Stellung unserer Partei zu den übrigen läßt sidt etwa (kurz) folgenderart dtarakterisiren.<br />

Die conservativen Elemente. (Junker. Pfaffen und Bourgeois) laBen uns. in ridttigem<br />

Klasseninstinkt die ganze Sdtwere ihrer usurpirten Gewalt fühlen.<br />

Auf Sdtritt und Tritt stoßen wir im Ganzen. wie jeder Einzelne an diesen und jenen<br />

Gesetzesparagraphen ihres Häsdterreglements. wozu (gar häufig) unzähligemal das<br />

freie Vertragsverhältniß zwisdten Arbeitgeber und Arbeitnehmer in eine moralisdte und<br />

physisdte Folter verwandelt wird.<br />

Eigentlidte Staatsbeamten zählen wir deshalb nur (äußerst) versdtwindend wenige<br />

in unseren Reihen. - ebenso wie wir die. im Dienste des Kapitals stehenden Männer<br />

der Wissensdtaft und Kunst audt nodt überwiegend unter unseren Gegnern sehen.<br />

Am gefährlidtsten von allen deutsdten Regierungscliquen ist uns die preußisdte. -<br />

weil dieselbe auf homöopathisdte Weise gegen uns operirt.<br />

Einerseits betritt sie mit uns in ihrem Imperialsocialismus sdielnbar denselben<br />

Boden. - andererseits sudtt sie. durdt kleinlidtes Chikaniren und durdt das Hauptmittel<br />

der Untersudtungshaft unsere Kämpfer möglidtst mürbe ulld ullsdiädlidi zu madten.<br />

So sehen wir denn audt leider eine große Menge von Arbeitern auf die Leimruthe<br />

gehen. denen der Lekkudten vor den Mund und die Pistole in den Rüken gehalten<br />

wurde.<br />

Ist es dodt in der allerjüngsten Zeit vorgekommen. - daß ein Arbeiter. Sdtalmeyer<br />

in Hamburg öffentlidt die Segnungen des Königsthums. gegenüber den Nadttheilen einer<br />

Republik in einer Volksvers[ammlung] von circa 4000 Personen. unter lautem. anhaltendem<br />

Bravo hervorhob. - weil er von Hamburg an preußisdte Gerichte ausgeliefert.<br />

von letzteren aber schlauerweise freigesprodten worden war 82).<br />

Haben dodt die Arbeiter der kgl. Salzbergwecke in Staßfurt unseren Agitatoren in<br />

das Gesicht gesagt: .Ihr wollt die Revolution. wir aber vertrauen dem Grafen Bismark<br />

und unserem König Wilhelm. die werden Alles zu unserem Besten leiten. Unser König<br />

verkauft nur deshalb die Salzbergwerke. damit wir Strik machen und höheren Lohn<br />

verlangen können. was uns nidtt möglich ist. so lange die Werke Staatseigenthum<br />

sind" 83).<br />

Hat doch vor einigen Tagen nodt einer der hervorragen[d]sten Agitatoren (Lübkert)<br />

des königlidten Socialisten Schweizer bei Gelegenheit einer Volksvers[ammlung] in<br />

82) S. hierzu H. Lau f e n b erg. Geschichte der Arbeiterbewegung in Hamburg.<br />

Altona und Umgegend. 1. Bd. Hamburg 1911 S. 420 f.<br />

83) S. den Beridtt von Bonhorst in DW Nr.41 vom 18.9.1869: •... Nun. daß die<br />

in Straßfurth ertheilten Lehren ganz derselben Natur gewesen sind. - beweist uns das<br />

Auftreten der Arbeiter bei Gelegenheit unserer Agitation am 4. ds. Mts. in Staßfurth .•.<br />

Darauf begann denn die Privatagitation und bei dieser Gelegenheit entwickelte mir<br />

gegenüber unser Vorsitzender (ein Zimmermann). Graf Bismarck. das sei der Mann des<br />

Volkes. - der habe den Arbeiterstand nodt nie bedrückt. - wir seien nur Particularisten.<br />

wollten den abgedankten Fürsten wieder auf den Thron helfen. indem wir eine<br />

Revolution anzettelten ... Hrn. Bremer sagte im Verlauf des Gesprächs ein Maurer fast<br />

dasselbe und fügte er noch hinzu: Was thun wir mit allen Vereinigungen. die haben uns<br />

Nichts genützt und werden uns Nichts nützen - unser Kßnig Wilhe1m soll uns vertreten.<br />

Prosit Herr Lübkertl i


Magdeburg 114) die Ansimt vertreten. daß der Arbeiter aum von dem heutigen Staate<br />

die Mittel zur Errimtung von Productivassociationen erwarten könne. - mit deren<br />

Hilfe er dann im Stande sei. die Folgen der kapitalistismen Production und Ursamen<br />

der. (ehern) Lohngesetzes - Bodenrente. Kapitalzins und Unternehmergewinn - zu<br />

beseitigen.<br />

Ist es dom unzweifelhaft. daß die Organe jener Sekte .Der Agitator und der Socialdemokrat"<br />

aus officiellen Mitteln erhalten werden. Denn smon vor circa einem Jahr<br />

erklärte der nomineJIe Besitzer .. Smweizer". er müße an seinem .. Socialdemokrat"<br />

jährlim 8-900 Thlr. zusetzen und seitdem ist die Abonnentenzahl doch bis auf die<br />

Hälfte gesunken. Trotzdem erscheint. seit Anfang April wöchentlich (noch) einmal der<br />

"Agitator" welcher pro Quartal nur 15 Pfg. kostet.<br />

Die uns gegenüber eingehaltene Richtung gipfelt (hauptsächlim) darin. die Grundlagen<br />

des norddeutsmen Bundes als berechtigt und rimtig darzustellen. also der nationalliberalen<br />

These zu huldigen. daß der Erfolg (wenn aum smeinbarer) die politische<br />

Stellung des Mannes zu bestimmen habe. Daß aber eine solme Politik auf die Dauer dem<br />

Arbeiterstande nimt geboten werden kann ohne die nöthige Maskirung ist klar.<br />

Die Maskirung besteht nun gerade in jener oben erwähnten Art von Socialismus. -<br />

welmer nur deshalb bei einem (gewißen) Theile von nur oberflächlim blikenden Arbeitern<br />

durmsmlagen kann. - weil er einen gewißen Grad von oppositionellem Geist<br />

gegen die offenbar reactionär socialistismen Auseinandersetzungen der Kreuzzeitungs<br />

Don-Quixote Wagener 811) und Cons. in genau bcremnerem Maße bringt und durm das<br />

einseitigste Hervorheben der .Rechte des Arbeiterstandes". welmes in den meisten<br />

Fallen in ein wiederlim-kriechendes Smmeimeln und Hätscheln ausartet. die auf dem<br />

Eigennutz und Eigendünkel ruhenden Leidensmaften wachruft und bis :zu blindem<br />

Fanatismus einerseits und blindem HaSe andererseits anfeuert. in beideH FäJIen aber<br />

Stupidität erzeugt.<br />

Am ausgeprägtesten finden sich diese Argumente smon in Hamburg und Berlin in<br />

der Arbeitersmaft vor.<br />

Wenn. abgesehen von den rein politism-reactionären Blättern der Junkerpartei. die<br />

nur durm die Mamt der Umstände gezwungen. der socialistismen Bewegung ihre Spalten<br />

öffnen. (sim) in Kreuzzeitung. Socialdemokrat und Agitator die Schieß hütte der<br />

Junker verborgen ist. so haben die Pfaffen. nimt minder smlau. auch ihre Fallen in der<br />

Presse gestellt.<br />

Bei ihnen excellirt die socialistische Beschäftigung in ihren .mristlich-socialen<br />

Blättern". dem Organ ihrer Gesellenvereine. Jhre schlaue Tendenz geht dahin den<br />

Arbeiter (damit) in ein für ihn unentwirrbares Labyrinth zu verloken. (daß) indem sie<br />

ihm sagen: .,Ja die Principien von denen Ihr ausgeht sind ganz rimtig und wahr. Aber<br />

es bleibt Eum kein Ausweg als - und damit geht im Hintergrund eine Kirmenthüre auf.<br />

durm welche dann die .Mühseelig und Beladenen" eintretrn. um ihre letzten Peterspfennige<br />

nom los (zu werden) und zur kirmlichreaktionären in jedem geeigneten Moment<br />

als Schrekgespenst zu gebrauchenden frommen. geduldig Hunger leidenden .. Bestie"<br />

abgerimtet zu werden .<br />

• 4) S. hierzu den ausführlichen Versammlungsberimt aus Magdeburg im Volksstaat<br />

Nr. 35 vom 30.4.1870. in dem die Rede Lübkerts eingehend referiert wird .<br />

• &) Der langjährige sozialpolitisme Berater Bismarcks.<br />

170<br />

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Die Bischöfe von Mainz, Cöln, Münster und Paderborn mit ihren patres militantes<br />

leisten Erstaunliches .8), - und sehen wir deshalb auch den Sitz des christlichen Socialismus<br />

in Rheinland und Westphalen.<br />

Der Dritte im Bunde, der .Socialismus in den Klauen der Bourgeoisie" bäumt sich<br />

unter dem Triumvirat von Schulze, aus Delitsch, Franz Dunker und Dr. Max Hirsch,<br />

den (drei) rühmlichst Bekannten. Neben ihrer politischen Ueberschwemmungspresse,<br />

mühen sich die Edlen noch in ihrem .Gewerk-Verein" und dem in Pforzheim durch<br />

eines ihrer zeitherigen Werkzeuge (Goldarbeiter Wittum) redigirten Blattes den .. Genossenschafter"<br />

ab, - die Arbeiter in ihre Schule der Harmonie hineinzusalbadern.<br />

Sie haben nur Pech, die Armen - denn trotz ihrer Harmonielehre, brach in den<br />

Reihen ihrer Anhänger, unter den Waldenburger Bergarbeitern der größte Strik aus,<br />

den Deutschland bis jetzt gesehen, und ihr Factotum Wittum in Pforzheim wurde durch<br />

ein ähnliches Vorkommen unter den Goldarbeitem Pforzheims ganz aus ihrer Schule<br />

mehr nach unserer Seite hin gedrängt. Was allen drei Richtungen gemeinschaftlich, ist<br />

die Tendenz. den Arbeiter von der Betheiligung an aller politisd,en Bewegung fern zu<br />

halten. - entweder durch offenbare Fälschung der Politik. oder durch Ersatz derselben<br />

durch himmlische oder irdische Harmonie. - alle drei haben. da .das leben der Güter<br />

Höchstes nicht" und der .. Todt der Eingang zu einem besseren Leben" für den Arbeiter<br />

den Mund voll Demuth und Gottvertrauen.<br />

Alle< diese> ihre Trugbilder zerrinnen denn auch dem Danaidenqualen ausgesetzten<br />

Arbeiter in leeren Nebel. wenn er sich die Mühe nimmt selber nachzudenken oder durch<br />

die Gewalt der Umstände zum Nachdenken gebracht wird.<br />

Auf einem besonderen Blatt findet sich folgender Nadftrag:<br />

Die Correspondenz unseres Secretariates umfaßt von Aug.1869 bis Jan. 70 •..<br />

Briefe und von Jan. 1870 bis zum 15. Mai ... Briefe. In den glekhen Zeiträumen<br />

wurden ... bezw. ... Pakete mit Statuten. Programmen und Agitationsschriften<br />

versand. Bis jetzt haben wir versd,leißt [7] 20000 Programme und 20000 Parteikarten<br />

sowie für circa 315 Thlr. Schriften. Die Ausbreitung unseres Organes wird in der Mitte<br />

eines jeden Quartales in demselben bekannt gemacht und ist dorten zu ersehen.<br />

86) Ganz ähnlich Marx am 25.9.1869 aus Hannover an Engels: .. Bei dieser Tour<br />

durch Belgien. Aufenthalt in Aachen und Fahrt den Rhein herauf habe ich mich überzeugt.<br />

daß energisch. speziell in den katholischen Gegenden. gegen die Pfaffen losgegangen<br />

werden muß. Ich werde in diesem Sinn durch die Internationale wirken. Die Hunde<br />

kokettieren (z. B. Bischof KetteIer in Mainz. die Pfaffen auf dem Düsseldorfer Kongreß<br />

usw.). wo es passend scheint. mit der Arbeiterfrage. Wir haben in der Tat 1848 für sie<br />

gearbeitet. nur sie genossen die Früchte der Revolution während der Reaktionszeit".<br />

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171


IH. Karl Marx über das Verhältnis<br />

des Braunsmweiger Aussmusses zur I. A. A.<br />

Original: Nieden. Staatsarchiv Wolfenbüttel L Neu Abt. 38 a Fb. l Nr. 36 Vol. I. Die handschriftlieben<br />

Eintragungen wurden kunlv wiedergegeben. S. auch W. Bracke, Der Braunsdlweiger Au •• d1uß<br />

••• S. in f. Vgl. Abb. s.<br />

I Karl Marx of 1 Maltland Park Road Haverstock Hili In tue COUHty of Mlddlesex<br />

Secretary for Germany of the General Council of tue International Working Mens<br />

Assoc/atlon do solemnly and sincerely declare as follows<br />

1. That the German Social Democratlc Working Men's Party wltose Commlttee In the<br />

beginning of September One thousand elght hundred and seventy was still seated<br />

at Brunswlck has Hever demanded to be enrolled as part and parcel or as a Sectlon<br />

of the IHteTHatlonal Working Men's AssoclatioH.<br />

2. That tor thls reason such an emolment has never taken place.<br />

3. That many members of the aforesaid German Soc/al Democratic Worklng MeM's<br />

Party have on thelr demalfd bun Ilfdivldually admltted as Members 0/ the Inter­<br />

Hatlonal Workilfg Melf's Assoclation.<br />

4. Tltat tUls Dec1aratiolf is made at the request of Wilhe1m Bracke a Merchalft at<br />

Brulfswlck alfd hlmself a Member of the Ilfterlfatlolfal Working Men's Associatlon.<br />

And I make this solemn Declaration conscientiously believing the same to be true<br />

and by virtue of the provisions of an Act made and passed in the Session of Parliament<br />

of the fifth and sixth years of the reign of His late Majesty King William the Fourth,<br />

intituled .An Act to Repeal an Act of the present Session of Parliament intituled An<br />

Act for the more effectual abolition of Oaths and Affirmations taken and made in<br />

various departments of the State, and to substitute Declarations in Heu thereof. and for<br />

the more entire suppression of voluntary and extra judicial Oaths and Affidavits and<br />

to make other provisions for the abolition of unnecessary Oaths".<br />

Subcribed and Declared at the Mansion<br />

House Ilf the City 0/ LOlfdon Karl Marx<br />

tltls sevelfteenth day of November 1871.<br />

172<br />

Be/ore /He<br />

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Sills lohn Gibbons<br />

Lord Mayor


KLEINERE BEITRAGE<br />

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Ein Altar des Hans Vredeman de Vries<br />

für die älteste Trinitatiskirme in Wolfenbütlel<br />

Von<br />

August Fink<br />

Der niederländisme Künstler Hans Vredeman de Vries war 1587-90 am<br />

Wolfenbüttler Fürstenhof als Baumeister. temnismer Berater und Maler tätig.<br />

Das hat Friedrim T h ö n e durm sorgfältige Auswertung vieler Urkunden<br />

ermittelt 1). AIs Gemälde des Meisters konnte er in Wolfenbüttel eine 1590<br />

signierte Kreuzigung und zwei Flügelbilder aus dem gleichen Jahr namweisen.<br />

auf denen innen die Armitektur. außen die prämtigen Wappen von der Hand<br />

des Antwerpener Malers stammen. während die Bildnisse der Familie des Herzogs<br />

lulius von einem besmeideneren. wohl einheimismen Künstler hinzugefügt<br />

worden sind. Von Vredeman entworfen ist ferner ein stattlimer Altaraufsatz,<br />

den nam Thöne der Bildsmnitzer Wolter von der Elsmer gearbeitet hat; er<br />

war simer für ein Gemälde Vredemans bestimmt, wnsdlließt jedom jetzt eine<br />

kleinere Tafel aus späterer Zeit mit dem Sieg des Erzengels Mimael über den<br />

Satan.<br />

Die Kreuzigung. 1953 zerbromen als Teil einer Bretterversdlalung in der<br />

Marienkirme entdeckt, jetzt gut restauriert und ebendort verwahrt, ist 1729<br />

als Sdlmuck der fürstlimen Kavaliersprieme ausführlim beschrieben worden 2).<br />

Die F1üge1bilder. jetzt im Schloßmuseum. werden zuerst 1852 in der Herzoglimen<br />

<strong>Bibliothek</strong> erwähnt. die sie aus der 1796 abgebromenen SchloßkapeIIe<br />

übernommen hat 3). Der Altaraufsatz ist 1663 als Stiftung Herzog Augusts d. 1.<br />

aus der ehemaligen Smloßkapelle zu Hessen am Fallsrein der Wolfenbütteler<br />

Iohanniskirme überwiesen worden.<br />

Besteht ein Zusammenhang zwismen den drei BildtafeIn und der ardlitektonismen<br />

Umrahmung? Thöne konnte die Frage ni mt restlos klären, weil er<br />

durm eine ältere. ungenaue und unklare Maßangabe ') irregeführt wurde. Ent-<br />

1) Hans Vredeman de Vries in Wolfenbüttel. Br. lahrb. Bd 41. 1960. S. 47-68.<br />

') (W 0 I t e re c k), Wolfenbüttelsche Merckwürdigkeiten. Wolfenb. 1729. S. 89.<br />

8) Sc h ö n e man n. Merkwürdigkeiten der Herzog!. <strong>Bibliothek</strong>. 2. u. 3. Hundert.<br />

Hannover 1852. S. 58.<br />

') Bau- und Kunstdenkm. Stadt WolfenbütteI. 1904. S. 93: .die Umrahmung umscbließt<br />

eine quadratische Tafel von 142 cm··; es sind 144 cm, und die Zahl bezieht<br />

sich auf die lichte Weite zwischen den Deckleisten hinten am Altar. die ringsum mit<br />

etwa 1.5 bis 2 cm die eingefügte Platte überschneiden. Das Kreuzigungsbild ist 146.5 cm<br />

hoch. 139 cm breit. Die Breite ist. \'ennutlich schon 1590. beiderseits etwas beschnitten.<br />

dabei im Bild der Kreuzstamm um 3,5 cm aus der Mittelachse nach reents gerückt.<br />

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173


gegen seiner Meinung paßt die Kreuzigung in den Altaraufsatz. Die beiden<br />

Flügel sind eine Ergänzung dieses Bildes zum Triptychon. Aber dieses hat nichts<br />

zu schaffen mit dem Altaraufsatz, dessen Säulen nicht gestatten, bewegliche<br />

Flügel anzubringen. Das Verhältnis der drei Teile zueinander ist kompliziert<br />

und nur aus der Oberkreuzung von zwei Plänen zu erklären.<br />

Der Altaraufsatz ist für das Kreuzigungsbild geschaffen worden, sein<br />

Schnitzwerk und eine Inschrift 5), zwei Sprüche aus dem lohannes-Evangelium,<br />

beweisen es. Kap. 1, 17 ist ein Wort aus einer Predigt <strong>10</strong>hannes des Täufers,<br />

der Christus, den Bringer von Gnade und Wahrheit, in Gegensatz zu dem<br />

Gesetzgeber Moses stellt. Das wird im Bilde anschaulich wiederholt; der Täufer<br />

und Moses stehen unter dem Kreuz. Beim Kruzifixus liegt der Nachdruck nicht<br />

auf der Darstellung seines Leidens. Gezeigt werden soll, wie der himmlische<br />

Vater den eingeborenen Sohn hingibt zum Heil der Menschheit: auf der "INRI"­<br />

Tafel steht das Wort: "Es ist vollbracht", und unten kniet Adam, der nicht<br />

im Griff der Sünde verloren geht, sondern im gläubigen Aufblick zum Erlöser<br />

das ewige Leben gewinnt. All das entspricht dem zweiten Vers vom Sockel<br />

des Altaraufsatzes: "Also hat Gott die Welt geliebt ... " (Joh. 3, 16.) Das<br />

Leitmotiv wird im Gemälde bis in kleinste Einzelheiten weiter ausgeführt:<br />

Christus befreit uns vom Fluch des Gesetzes, indem er den Tod am Fluchholz<br />

erleidet. Nach der Eigenart protestantischer Kunst geschieht es nicht nur in<br />

kleinfigürlichen Nebenszenen, sondern auch in sorgfältig gewählten Bibelworten,<br />

die auf der Rückseite der Gesetustafeln zitiert werden 6).<br />

Einen Schritt weiter führt uns die Frage, für wekhen Altar das Werk<br />

ursprünglich bestimmt war. Aufträge auf Altäre waren in unserem Lande am<br />

Ende des 16. Jahrhunderts rar, weil der Übergang zum Luthertum sich zu<br />

Beginn der Herrschaft des Herzogs JuHus in Ruhe ohne Bildersturm vollzog<br />

und das alte liturgische Gerät unverändert überall im Gebrauch blieb. So entstand<br />

hier in den wenigen Jahren, die Hans Vredeman de Vries in Wolfenbüttel<br />

verbrachte, nur einmal Bedarf nach einem Altarbild, als eine junge<br />

Gemeinde eine eigene Kirche brauchte. Im Januar 1589 schrieb der Herzog in<br />

sein Gedenkbuch, die neue Kirche in der Vorstadt "Gotteslager" bei geiner<br />

Residenz komme jetzt unter Dach, und sie habe den Namen "Zu der heiligen<br />

Dreifaltigkeit" bekommen 7).<br />

Im Gebälk von Vredemans Altaraufsatz schwebt eine Taube, und über ihr<br />

mitten in der Bekrönung steht ein Medaillon mit Gottvater; dazu gehört im<br />

Bilde die Hauptfigur, der Gottessohn. Rahmen und Bild ergeben zusammen<br />

einen Trinitatisaltar. Es war damals etwas Neues, eine Kirche unmittelbar<br />

unter das Patronat der göttlichen Dreieinigkeit zu stellen, und ihr ein Bild zu<br />

") Die Schrift am Sockel ist bei einer farbigen Neufassung des Altars erneuert worden.<br />

wiederholt jedoch den ursprünglichen Text.<br />

") 2. Mos. 20; Matth.22, 37-40; 5. Mos. 27, 26; GaI.3.13.<br />

7) T h ö n e. Wolfenbüttel unter Herzog Julius, Br. Jahrb. Bd 33, 1952, 5.59 f.<br />

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widmen, war für einen Maler eine ungewöhnliche Aufgabe. Die mittelalterliche<br />

Bildformel einer Dreivereins in Menschengestalt kam für evangelisches Empfinden<br />

so wenig in Betracht wie der "Gnadenstuhl", das Motiv, das noch Dürer<br />

und Cranach gepflegt hatten. Man mußte schon ein Thema wählen, das allein<br />

Christus in voller Leibhaftigkeit zeigte, den Vater und den Geist nur in symbolischen<br />

Zusätzen sichtbar machte. Das ist hier geschehen. Der Altar ist vom<br />

Herzog Julius für St. Trinitatis bestellt worden.<br />

Nun wird das weitere Schicksal des Kunstwerks verständlich. Herzog Julius<br />

starb am 3. Mai 1589. Unter seinem Sohn und Nachfolger gab es alsbald viele<br />

Neuerungen. Für den alten Herrn war die kleine Marktsiedlung vor dem Kaisertor<br />

die Verwirklichung wenigstens eines kleinen Teiles eines großen Vorhabens<br />

gewesen: der Gründung einer mächtigen Großstadt "Gotteslager" . Sein Erbe<br />

sah in dem Torso nur eine Gefahr für die Festung WoUenbüttel und gedachte<br />

alles wieder abzureißen. 1590 war vorübergehend auch die eben vollendete<br />

Trinitatiskirche zum Abbruch bestimmt 8). Der Gemeinde in diesem Zeitpunkt<br />

nach dem Willen des verewigten Herzogs noch einen prächtigen Altar zu stiften,<br />

war also sinnlos geworden.<br />

Als man sich darüber klar wurde, hatte Vredeman offenbar noch ein anderes<br />

Werk in Arbeit: ein Denkmal des verstorbenen Landesherrn. Es muß als Triptychon<br />

mit einer biblischen Szene in einem Innenraum geplant gewesen sein.<br />

dessen Architektur sich auf den Flügeln fortsetzte. Der Auftrag ist wohl von<br />

der Herzoginwitwe Hedwig ausgegangen. Anzunehmen ist, daß nur erst die<br />

Seitenteile angefangen waren. Ihre Maße 9) paßten gut zu dem noch unvollendeten<br />

Bild für St. Trinitatis.<br />

Ein Kompromiß lag auf der Hand. Das für den ersten Zweck unnütz gewordene<br />

Gemälde und die Epitaph-Hügel wurden kombiniert. Man sah darüber<br />

hinweg, daß die Kreuzigung in freier Landschaft nicht ganz zu den Säulenhallen<br />

auf den Flügeln stimmte. Der niederländische Maler war damals im Aufbruch<br />

von Wolfenbüttel. konnte aber die Fertigstellung der Gemälde von <strong>Braunschweig</strong><br />

aus besorgen, wohin er für den Rest des Jahres verzog. In seiner<br />

Lebensgeschichte <strong>10</strong>) wird berichtet, er habe in <strong>Braunschweig</strong> eine Tafel zu<br />

einem Begräbnis gemacht; das kann also das Juliusepitaph gewesen sein. Aufgestellt<br />

worden ist es sicher in der Kapelle, die der Vater des Herzogs Julius<br />

über dem Erbbegräbnis seines Hauses bei St. Marien in WoIfenbüttel errichtet<br />

hatte. Sie ist nach wenigen Jahrzehnten beim Neubau der Marienkirche verschwunden;<br />

in der großen neuen Kirche hat das Epitaph als Ganzes keinen Platz<br />

mehr gefunden.<br />

Übrig blieb 1590 vom alten Plan des Trinitatisaltars die Umrahmung. Aber<br />

auch für sie hat sich sehr schnell eine neue Verwendung ergeben. Die Herzogin-<br />

8) Ebda .• Anm. 311.<br />

9) Im Rahmen je 145 x 60 cm.<br />

<strong>10</strong>) KareI va n Man der, Schilderboek. HaarIem 1604. BI. 206 v.<br />

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175


witwe bezog das Schloß Hessen, und dort richtete die Familie eine Kapelle<br />

ein. 1593 wurde die Orgel, 1595 die Kanzel, 1598 ein Taufstein beschafft; an<br />

einen Altar wird man zu allererst gedacht haben. So ist Vredemans Werk spätestens<br />

1593 nach dort gekommen, behelfsmäßig gefüllt mit einem fremden<br />

Gemälde. Es ist vermutlkh während der Witwenschaft der nächsten Landesmutter<br />

in Hessen, der Herzogin Elisabeth (1613-26), noch einmal ausgetauscht worden<br />

gegen das Michaelsbild, das Thöne dem seit 1604 als Hofmaler in Wolfenbüttel<br />

tätigen Christoph Gaertner zuschreibt.<br />

176<br />

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ihr in die Brust herunter gefallen sey, woran sie ohne Hoffnung darniederliege"<br />

5). Zwei Leute, die zur Zeit des Unglücks im Menckeschen Garten gejätet<br />

hatten, sagten vor dem Bürgermeister aus, "daß sie die Kugel in der Lufft<br />

gesehen" hätten, wie sie über den Garten von Prof. Keuffel ß) in den Menckeschen<br />

Garten geflogen sei. "Die Frau Hofräthin habe an der Erde sich gebückt<br />

und Mayoran gepflückt, so sey es gekommen, daß die Kugel durch den Halß in<br />

die Brust hineingegangen" 7). Nach diesen Feststellungen setzte Lichtenstein in<br />

seinem Bericht auseinander, das Scheibenschießen hätte seit Jahrhunderten ("per<br />

secula U<br />

) immer an der gleichen Stelle stattgefunden, und gerade der Montagnachmittag<br />

sei als Schießtag allgemein bekannt. Die Anwohner des Schützenwalles<br />

gingen deshalb auch um diese Zeit nicht in ihre Gärten, "wie denn auch<br />

die Hofräthin Mencken selbst" an den Schießtagen ihre Freundinnen nicht in<br />

den Garten zu führen pflegte, "um nicht unglücklich zu seyn" 8). Besonders<br />

nachdrücklich wies lichtenstein darauf hin, daß das Scheibenschießen zur<br />

üblichen Zeit und am üblichen Ort stattgefunden hätte, so daß nach seiner<br />

Ansicht eine Bestrafung der Schützen gemäß Art. 146 des damals geltenden<br />

Strafgesetzbuches (CCC) 9) nicht in Betracht kommen könnte, falls die Schußverletzung<br />

der Hofrätin den Tod zur Folge haben sollte.<br />

Am 6. Oktober 1760 meldete der Helmstedter Bürgermeister in einer<br />

weiteren Eingabe an


verlegen. Er erinnerte daran. daß dieser Plan schon 175'5 erwogen. aber damals<br />

vom Kloster St. Ludgeri, das dort Land besitze. entschieden abgelehnt worden<br />

wäre. Um aber künftig die Gefahr von überfliegenden Kugeln aus dem jetzigen<br />

Schießgraben weitgehend auszuschalten. und damit schloß Lichtensteins Bericht.<br />

solle ein .. Fürstl. of/ieier von der Artillerie" mit der Untersuchung beauftragt<br />

werden. ob möglicherweise die jetzt übliche Pulverladung der Gewehre so geändert<br />

werden könnte. daß die Schleuderkraft der Kugeln auf ein Minimum<br />

reduziert würde. "daß die Kugeln nicht so viel Krafft behalten" 11).<br />

In eigener Sache wandte sich nun Hofrat Mencke am 7. X. 1760 selbst klageführend<br />

an Herzog Carl und legte ein .. Unterthäniges und vor mich höchstbetrübtes<br />

Pro Memoria" 12) vor. Darin berichtete er. daß er nur einen Schritt<br />

von seiner Frau entfernt gestanden hätte. als sie "plötzlich durch eine über<br />

den Schützen Wall. wo dazumal Schieß-Tag war. streifende Kugel in den Halß<br />

eine tiefe und gefährliche Verwundung bekahm" 13). In seinem Memorandum<br />

wies der Hofrat auch auf die Gefahren hin. denen nicht nur er mit seiner Familie.<br />

sondern aum alle anderen Bewohner der Stobenstraße an Schießtagen ausgesetzt<br />

wären. und zwar nicht nur in ihren Gärten. auch in ihren Häusern. So<br />

wäre zum Beispiel vor drei Jahren eine Kugel in seine Küche geflogen. eine<br />

andere hätte in der Laube des Nachbargartens eine Weinflasche zerschlagen.<br />

und sogar auf der Straße wären die Menschen vor herumfliegenden Geschossen<br />

nicht sicher. Gerade an dem Unglücksnachmittag hätte der Seilermeister Leonard.<br />

der auf der Stobenstraße "täglich zu spinnen" pflege 14). gesehen, wie<br />

eine Kugel vom SchützenwaII her über sein Haus geflogen wäre. Er wisse sehr<br />

wohl, so berichtete Mencke weiter. daß niemand. der in der Nähe des Schießgrabens<br />

wohne. während des üblichen Montagsschießens in seinen Garten<br />

gehen solle. aber einmal würde die angesetzte Schießzeit (nachmittags von<br />

2-4 Uhr) nicht eingehalten. und zum anderen würde außerdem oft in der Woche<br />

"um Zinn. Schränke. Töpfe. Stühle und dergl. n 15) geschossen. ohne daß es<br />

vorher bekanntgemacht worden wäre. Wenn auch in den letzten 200 Jahren.<br />

so fährt der Hofrat in seiner Klageschrift weiter fort. officiell kein Schießunfail<br />

bekanntgeworden sei. so sei er doch davon überzeugt. daß der Rat der Stadt<br />

sehr wohl wisse. daß manche Kugel überfliege. Ganz besonders zeigte sich<br />

Mencke darüber empört. daß der Magistrat der Stadt es nicht für nötig erachtet<br />

hätte. den Schützen das Schießen wenigstens so lange zu verbieten. wie seine<br />

Frau noch in Lebensgefahr schwebte. Am Schluß des Memorandums bat Mencke<br />

den Herzog dringend darum. den Schießplatz aus der Stadt verlegen zu lassen.<br />

Seinem Schreiben fügte er zwei Anlagen bei: ein Protokoll von Zeugenaussagen.<br />

11) Ebda.<br />

12) Akte S. 9.<br />

13) Ebda.<br />

14) A. a. O. S. 11.<br />

13) A. a. O. S. 12.<br />

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179


der Schafmeister Schrader aus der Neumark drohten wegen solcher Minderung<br />

ihres städtischen Pachtackers an der Masch nicht mehr die volle Pacht an die<br />

Stadtkasse zahlen zu wollen, was wiederum den Stadtkämmerer Leopold auf<br />

den Plan rief 26). So scheiterte also die Mission des Leutnants Haake. Die Folge<br />

davon war, daß es für die Helmstedter Schützenbrüderschaft von 1761 bis 1764<br />

weder das Vergnügen des wöchentlichen Scheibenschießens noch das traditionelle<br />

Schützenfest zu Pfingsten mit dem ngewöhnlichen Bürgerlichen Außzug" gab 27).<br />

Gleichwohl nahmen die Schützen das Schießverbot keineswegs gelassen hin. Mit<br />

immer neuen Eingaben, Petitionen und flehentlichen Gesuchen versuchten sie,<br />

die herzogliche Regierung umzustimmen. Wiederholt verwiesen sie auf ihr verbrieftes<br />

Recht an dem Schießstand am Schützenwall, der ihnen auf Anordnung<br />

des Herzogs Heinrich Julius im Jahre 1598 "auff ewig" vom Stadtmagistrat<br />

abgetreten worden war. Auch wollten sie das Schießen nicht nur als Vergnügen,<br />

sondern auch als vormilitärische Übung gewertet sehen; denn "es ist in gantz<br />

Deutschland, wenigstens in hiesigen Landen keine Stadt", in der nicht die<br />

Bürger angeleitet würden, mit dem Gewehr umzugehen, ja jeder Bauer sollte<br />

sogar eine Büchse haben, die er "bey den Landgerichten vorzeigen muß" 28).<br />

Herzog earl I. bestand aber unnachgiebig auf der Schießplatzverlegung und<br />

lehnte auch am 6. IlI. 1763 jenes Bittgesuch ab, in dem die Schützenmeister<br />

als "treu gehorsamste Diener" ihre Freude über den soeben be endeten Siebenjährigen<br />

Krieg und über die glückliche Heimkehr des Erbprinzen zum Ausdru.:k<br />

brachten 29).<br />

Aus dem Schriftwechsel zwischen der herzoglichen Regierung, der Schützenbrüderschaft<br />

und dem Helmstedter Magistrat geht hervor, daß ein überaus<br />

gespanntes Verhältnis zwischen den Bürgern der Stadt und den Angehörigen<br />

der Helmstedter Universität, den "Universitätsverwandten" , bestand. Die<br />

Schützen und der Magistrat glaubten nämlich nicht, daß das Schießverbot nur<br />

an der fehlenden Sicherheit des Schießgrabens liege, sie waren vielmehr der<br />

Meinung, daß der umstrittene Schuß auf die Hofrätin Mencke dem Landesherrn<br />

nur ein willkommener Anlaß gewesen wäre, das Scheibenschießen zu verbieten,<br />

um sich die Universitätsprofessoren geneigt zu machen. Aber die Schützen ließen<br />

sich nicht einschüchtern: sie meinten, "daß sold!es von dem Herrn HofRath<br />

Mencken erstlid! müßte bewiesen werden, daß der schädtliche Schuß vom<br />

Schützen Walle wäre gekommen" SO). Würde nicht auch sonst oft an der Stadtmauer<br />

geschossen? In Braunsruweig und Wolfenbüttel wären beim Scheiben-<br />

26) A. a. O. S. 57. "Gehorsamstes Pro Memoria" des Kämmerers Leopold vom<br />

9. V. 1761.<br />

") A. a. O. S.79.<br />

28) A. a. O. S.23.<br />

211) A. a. O. S. 74.<br />

<strong>10</strong>) A. a. O. S. 26.<br />

182<br />

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schießen auch schon "casus tragici" 31) vorgekommen, ohne daß es dort, wie in<br />

Helmstedt, gleich völlig verboten wurde; und wäre es wirklich ein so unbilliges<br />

Verlangen, wenn die Anwohner des SchützenwaIIes an einern Nachmittag in der<br />

Woche von April bis Oktober einmal nicht in ihre Gärten gingen? 82). Die<br />

Schützen erklärten sich schließlich bereit, den Universitätsangehörigen dadurch<br />

entgegenzukommen, daß sie anstatt in jeder Woche nur einmal im Monat<br />

schießen wollten. Sie baten, man möchte ihnen doch nicht jede "Freyheit"<br />

nehmen; denn das Schießen wäre die "eintzige Ergötzlichkeit der Bürgerschaft",<br />

einer Bürgerschaft, die sich wegen der Universität ungemein einschränken<br />

müsse. Auch der Magistrat betonte der herzoglichen Regierung gegenüber mit<br />

Nachdruck, daß von seiten der Stadt viel getan würde, um den Professoren und<br />

Studenten das Leben in Helmstedt angenehm zu machen. Erst kürzlich wären<br />

durch die Planierung der Wälle schöne Spazierwege geschaffen und neue Gärten<br />

angelegt worden. Trotz aller dieser Bemühungen nähmen aber die Universitätsverwandten<br />

"die nächste Gelegenheit" wahr, den .hiesigen Bürgern ihr<br />

eintziges, vielleicht nicht unnützes Vergnügen, das Scheiben Schießen zu entreißen"<br />

33).<br />

Da der Herzog bis dato alle Gesuche der Schützen um Wiederbenutzung<br />

ihres Schießstandes konsequent abgelehnt hatte, legten die Schützen in einem<br />

sehr ausführlichen Memorandum vom 24. 11. 1764 noch einmal eingehend ihre<br />

Lage dar und baten von neuem um die Erlaubnis, ihren alten Schießgraben am<br />

SchützenwaII wieder benutzen zu dürfen: Nein, so heißt es in dieser Bittschrift,<br />

sie könnten außerhalb der Stadt wirklich keinen geeigneten neuen Platz finden,<br />

"wißen wir keinen anderen Ort dazu in Vorschlag zu bringen" 34). Das Land<br />

um die Stadt herum gehöre größtenteils den Klöstern St. Ludgeri und St. Marienberg,<br />

die die Anlage eines Schießstandes nicht gestatten würden. Sie, die<br />

Schützen, hätten auch weder" Vrrath noch capitalia" für einen Schützenhausneubau,<br />

der nach eingeholtem Voranschlag 435 Taler kosten solle 35).<br />

Das damalige Schießhaus am SdlützenwaII, das an dem Platze des späteren<br />

"Schützenhofes", des heutigen Hauses Fehlig, stand, war ein Geschenk des<br />

Klosters St. Ludgeri an die Schützenbrüderschaft, die jetzt befürchtete, daß es<br />

möglicherweise bei einer Schießplatzverlegung vom Kloster zurückgefordert<br />

werden könnte. Am Schluß ihrer Eingabe baten die Schützen den Herzog, den<br />

Helmstedter Stadtsyndikus Cellarius und den Landvermesser Keßler zu beauf-<br />

31) A. a. O. S. 44.<br />

3') Ebda.<br />

33) A. a. O. S. 23.<br />

34) A. a. O. S. 86.<br />

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3lI) A. a. O. S. 35. "Ansdtlag Vor einen Neuen SdtieS Graben in Closihve der<br />

Materialien und arbeits Lohn vor schibe Karren und rüst Bretter".<br />

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183


tragen, den nunmehr stark gesicherten alten Schießstand am Wallgraben zu<br />

besichtigen 36).<br />

Am 28. 11. 1764 berichtete Cellarius nach <strong>Braunschweig</strong>, daß er von dem<br />

Antrage der Schützen gehört hätte, ihn mit der Untersuchung des Schützenstandes<br />

auf seine Sicherheit zu beauftragen. Er könnte sich zwar, so fuhr Cellarius<br />

fort, diesem Anliegen nicht versdJließen, aber er mische sich nur höchst<br />

ungern in "diese facheuse Sache" 37). Er selbst würde es im übrigen begrüßen,<br />

wenn den Schützen das ScheibensdJießen nicht wieder gestattet würde. Nach<br />

seiner Meinung halte es die Bürger nur unnötig von der Arbeit ab, störe die<br />

Universitätsprofessoren und die Studenten und sei an Schießtagen eine ständige<br />

Gefahrenquelle sowohl für die Spaziergänger auf den Wällen als auch für die<br />

Menschen in den Wallgärten. Der Herzog ließ daraufhin den Schützen mitteilen,<br />

daß sie ihn mit ihren Gesuchen nicht wieder behelligen sollten, bis sie<br />

"einen andern völlig sicheren Schützen-Stand vor der Stadt" gefunden hätten 88).<br />

Nach dieser endgültigen Absage waren die Helmstedter Schützen gezwungen,<br />

sich ernsthaft nach einem neuen Schießplatz umzusehen. Ihre Wahl fiel<br />

auf den Schwarzen Berg an der Marientaler Straße nach Emmerstedt zu, ein<br />

Gelände, das ihnen in jeder Beziehung als geeignet erschien. Es lag weitab von<br />

der Stadt, schmälerte das Weideland nicht, "da auf selbigem kein Graß, sondern<br />

bloße Heide" wuchs und bildete für die Menschen keine Gefahr, "inmaßen diejenigen<br />

Kugeln, welche die Scheibe verfehlten, notwendig in den Schwarzenberg<br />

hinein gehen müßten" 89).<br />

Da die Landbesitzer in der Nachbarschaft des Schwarzen Berges, die Vertreter<br />

der beiden Klöster, die Weideinteressentschaft, die Bürgerhauptleute und<br />

die "Schöppen" der Neumark gegen den neuen Schießplatz nichts einzuwenden<br />

hatten, bat die Schützenbrüderschaft am 18. VI. 1764 den Herzog um die Einwilligung,<br />

hier das Frei- und übliche Montagsschießen abhalten zu dürfen. Sie<br />

wurde drei Tage später unter der Bedingung erteilt, beim neuen Schießstand<br />

kein Schützenhaus zu bauen, sondern nur "portabile Buden", also Baracken<br />

aufzustellen 40).<br />

Endlich hatten die Schützen nun wieder einen Schießstand, doch damit war<br />

ihr Streit mit der Landesregierung noch nicht beendet. Denn jetzt forderten sie<br />

die Nachzahlung der seit altersher ausgesetzten Gelder und Prämien, die in den<br />

Jahren von 1761 bis 1764 nidlt gezahlt worden waren, also in der Zeit, in der<br />

das Scheiben- und Freischießen "auf Höchsten Befehl" nicht abgehalten werden<br />

durfte. Diese jährlichen Zuwendungen betrugen 36 Taler: 8 Taler zahlte die<br />

184<br />

18) A. a. O. S. 86.<br />

81) A. a. O. S. 88.<br />

88) A. a. O. S.8;.<br />

89) A. a. O. 5.91.<br />

<strong>10</strong>) Ebda.<br />

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Bibliographie zur braunschweigismen Landesgesmichte 1961<br />

A lIgemeil


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

72. M a r y M arg u a r i t e Butler RSM [amerikanische Ordensfrau): Hrotswitha­<br />

The Theatricality of her Plays. New York 1961. 234 S.<br />

73. Co r des. Gerhard: Norddeutsches Rittertum in der deutschen Dichtung des<br />

Mittelalters. In: Nicders. Jb. f. Landesgesch. Bd 33. 1961. S. 143-157.<br />

74. Eulenspiegel - Jahrbuch. Hrsg. vom Freundeskreis des Eulenspiegel - Museums zu<br />

Schöppenstedt e. V. <strong>Braunschweig</strong>-Sdlöppenstedt: Oeding (1961). 43 S. 8 ".<br />

IDarin u. a.: Da. neue EulenspiegelmuStum in Schöppensledt. S. 3-6. 1 Abb. - M e r I die ••<br />

Wilhelm: Eulenspiegel. der Kämpler I. Mensenenlreihe!t u. Mensd1enred1t. Zu CharIes de CO'lcr.<br />

Ulen'piegel. S. 7-14. - R n 1 0 I I. Ern.t AugusI: Eulenspiegel der Nieders.ense. S. 14-24. -<br />

Freunde.krels der Eulensplegel.tädte In Flandern u. Deut,d1land. S. 32-33.)<br />

75. Raabe. Wilhelm: Werke in 2 Bänden. München & Zürich: Droemer/Knaur<br />

(1961). 8°.<br />

76. (R a ab e. Wilhelm:) Das Ewige ist stilI.:. Ein Raabe - Hausbuch. Hrsg. u. mit e.<br />

Nachw. von Hermann Po n g s. Stuttgart: Kreuz-Ver!. (1960). 295 S. 8°.<br />

77. Raa be. Wilhelm: Unser Wilhelm Raabe. Ein Raabe - Büchlein f. die Jugend.<br />

Ausgew. u. bearb. von Friedrich K 0 e h I e r t. Wolfenbüttel: Wilhelm - Raabe­<br />

Schule (1961). 56 S. 8°.<br />

78. Raa b e. Wilhelm: Wilhelm Raabe im Urteil bedeutender Zeitgenossen. Briefe<br />

von u. an Wilhelm Raabe. ausgew. von Kar! Ho p p e. <strong>Braunschweig</strong> 1960<br />

(:Werkkunstschule). 62 S. 8 ° (Bibliophile Schriften. Bd 7.)<br />

79. Po n g s. Herrnann: Wilhelm Raabe. In: Die Aula. Jg. 11. F. 3. 1960. S. <strong>10</strong>--12.<br />

80. Po n g s. Herrnann: Das Raabebild im .. neuen Lidlt". In: Die Aula. o. J.<br />

81. Fa i r I e y. Barker: Wilhelm Raabe. An introduction to his novels. Oxford:<br />

Clarendon Press 1961. 275 S. 8 0.<br />

82. Fa i r I e y. Barker: Wilhelm Raabe [deutsch). Eine Deutung seiner Romane.<br />

(Aus dem Eng!. übertr. von Herrnann Boeschenstein.) München: Beck (1961).<br />

261 S. 8°.<br />

83. Mus ha k e. Rosemarie: WilheJm Raabes .. Eulenpfingsten". Versuch einer Interpretation<br />

unter besonderer Berücksichtigung des Komischen u. Grotesken.<br />

<strong>Braunschweig</strong> 1961. 11. 50 BI. 4 0 [Masdl.Schr.) <strong>Braunschweig</strong>. Kanthochschule.<br />

Prüfungsarbeit. [Im Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong> vorhanden.)<br />

84. Be r g f eid. Ernst: Besuch bei MlTgarethe Gerstäcker. - Im Wichernstift Hannover-Döhren.<br />

In: Der Freundeskrs. des Gr. Waisenhauses Brschwg. Jg. 11. 1961.<br />

H. 31. S. 1-3. 2 Abb .• H. 32. S. 5.<br />

85. Be r g f eId. Ernst: Margarete und Rudolf Huch. In: Freundeskrs. des Gr.<br />

Waisenhauses Brschwg. Jg. 11. H. 32. 1961. S. <strong>10</strong>--11. 1 Abb.<br />

86. H u eh. RudoIf: Der tolle Halberstädter. (111. von Ottokar Koeppen. Nachw.:<br />

Bemhard Mewes.) (<strong>Braunschweig</strong> 1961: Werkkunstschule.) 63 S. 8 0 (Bibliophile<br />

Schriften. Bd 8.)<br />

87. Ausgewählte Dichtungen von Wilhelm San d f u eh s zu seinem 70. Geburtstag.<br />

- Mol I e n hau er. Hein:: Wilhelm Sand fuchs. der ostfälische Mundartdichter.<br />

In: Brschwg. Heimat. Jg. 47. H. 2. 1961. S. 56-59. 1 Abb.<br />

88. Ehr ho rn. Manfred: Die Motettenkunst des Meisters M[elchior) V[ulpius)<br />

dargest. nach dem um 15 80 angelegten handschriftlichen Motettenband der Brüdernkirche<br />

zu <strong>Braunschweig</strong>. Hannover 1960. 11. 84 BI. 8 0 [Prüfungsarbeit. Fotokopie<br />

im Stadtarchiv <strong>Braunschweig</strong> vorhanden.)<br />

89. U I I r ich. Herrnann: Das Stammbuch der blinden Musikerin Maria Theresia<br />

Paradis. In: Bonner GeschichtsbI. Bd 15. 1961. S. 340-384. Abb. 18-20.<br />

IWährend der Kunatrei.e von 1783-1786 war die Künstlerin auen In Braun.enweig. Stammbudt.<br />

eintragung vom 25. 11. 1785 von J. W. Jeru.alem. Abt v. Riddal1.hau.en.]<br />

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191


90. Pie a san t s, Henry: The musical Journeys of Louis Spohr. Norman: University<br />

of Oklahoma Press (1961). XVII. 262 S. 8°.<br />

91. Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte. Bd 1. Köln: Seemann (1961).<br />

296 S. 4·.<br />

IDarin u. a.: Hai. eh. r. Uvo: Baugeschichtliche Nachprilfungen an der Kirche d .. Augustiner­<br />

ChorherrenotiEte. Riechenberg. S. 9-22. Abb. 1-5. - G r 0' z man n. Dleter: Da. Palmetten­<br />

Ringband-Kapitell. S. 23-56. Abb. 6-S3. - T h ö n e. Friedrich : Eine Zeichnung u. ein Altarri8<br />

de. 14. Jahrhundert. In einer deutschen Armenbibel zu Wollenbüttel. S. 139-144. Abb. <strong>10</strong>9-<br />

112. - F I n k. Augu.t: Der Wappenteppich der Adelheid von Bortleid. S. 169 - 186. Abb.<br />

123-1H. - BI er. lustu .. Eine dritte Zeichnung Tilmann Riemen,chneide ... S. 219-224. Abb.<br />

H7-164. - Re u t her. Hans: Die ehemalige StiEtskirche zu Grauhof u. Ihre Stellung In der<br />

mitteleuropäischen Barockarchitektur. S. 225-238. Abb. 165-174. - 0 • t • n • Gert von der: Zur<br />

Barockskulptur Im .üdlichen Nledersach.en. S. 239-258. Abb. 175-207.1<br />

92. Kr 0 0 5, Renate: Niedersächsische figürliche Leinen- u. Seidenstickereien des 12.<br />

bis 14. Jahrhunderts. Göttingen 1957. 192 gez BI. 4 0 [Masch.schr.] Göttingen.<br />

Phil. Diss. v. 1957. [Behandelt werden auch Stickereien in Helmstedt. Stift<br />

Marienberg.]<br />

93. La n ger. Kurt: Hans Witten von Cöln oder Hans Witten und Hans von Cöln?<br />

In: Sächsische Heimatbl. Jg. 7. H. 2. 1961. S. 65 -78. [Beidc Künstler stammen<br />

aus <strong>Braunschweig</strong>.]<br />

94. Hag e: .. Hans Witten von Cöln" hat nie gelebt. Erfolgreiche Goslarer Forschung<br />

um den Meister der Pieta in St. Jakobi. In: Aus der Heimat. Geschichtsbeil.<br />

des Salzgitter-Kuriers. Nr 6. 1961. 1 Abb.<br />

95. Mo der h a c k. Richard: Zur Gründung des <strong>Braunschweig</strong>ischen Geschichtsvereins<br />

vor 60 Jahren. In: Brschwg. Jb. Bd 42. 1961. S. 154-155.<br />

Volkskunde. Sprachgeschichte. Namenkunde. NaturscUutz<br />

96. F lee h s i g. Werner: Aus dem <strong>Braunschweig</strong>ischen Landesmuseum f. Geschichte<br />

u. Volkstum. Rückführung des im letzten Kriege ausgelagerten Sammlungsgutes.<br />

In: Brschwg. Heimat. Jg. 47. H. 4. 1961. S. 123-127.<br />

97. B ra n des, Friedrich: Windmühlenschicksale im <strong>Braunschweig</strong>er Lande nach<br />

dem letzten Weltkriege. In: Brschwg.Heimat. Jg.47. H.l. 1961. S.21-24. 1 Abb.<br />

98. Re c k leb e n. Friedrich: Vor bös Lü un Kriegsgebrus bewahr de leiwe Gott<br />

dit Hus. Alte Hausinschriften in Salzgitter. In: Aus der Heimat. Geschichtsbeil.<br />

des Salzgitter - Kuriers. Nr. 5. 1961.<br />

99. Bur g h a r d t. Werner: Das Osterfeuer und die ostfälischen Blockshorenberge.<br />

In: Brschwg. Heimat. Jg. 47. H. 2. 1961. S. 39-43.<br />

<strong>10</strong>0. Den eck e. Rolf: Walpurgisfeiern - Walpurgisspiele. In: Unser Harz. Nr 4.<br />

1961. S. 4-6. 2 Abb.<br />

<strong>10</strong>1. M a a ß b erg, Robert: Tauf- und Hochzeitsbräuche bei den niederdeutschen Kolonisten<br />

im mittelbrasilianischen Staat Espirito Santo und ihre ostfälischen Parallelen.<br />

In: Brschwg. Heimat. Jg. 47. H. 1. 1961. S. 12-18.<br />

<strong>10</strong>2. Kr i e ger. Heinz-Bruno: Reste heidnischen Götterglaubens in den Sagen des<br />

Elmgebietes. In: Brschwg. Heimat. Jg. 47. H. 4. 1961. S. 116-120.<br />

<strong>10</strong>3. Kr i e ger. Heinz-Bruno: Sagen aus Ingeleben. - Sagen aus Esbeck. - Sagen<br />

aus Hoiersdorf. In: Unsere Heimat. Schöningen. Jg. 9. Nr 2 u. 4. 1960. S. 20,<br />

41- 42. Jg. <strong>10</strong>. Nr 2 u. 6. <strong>10</strong>61. S. 16 -19. 65 - 68.<br />

<strong>10</strong>4. Kr i e ger, Heinz-Bruno: Wie man lästige Mieter loswerden kann. Ein Beispiel<br />

;f. Zauberglauben der Gegenwart. In: Brschwg. Heimat. Jg. "6. H. 1. 1960. S.l1-12.<br />

192<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

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193. Malkensen von Astfeld und Mackensen. In: Genealog. Handbuch der adeligen<br />

Häuser. Adelige Häuser B. Bd 5. 1961. S. 214-219.<br />

Raabe. Wilhelm s. Nr. 75-83.<br />

194. G run d n er - C u 1 e man n. A[lexander]: Carl Reuß - aus der Chronik einer<br />

Harzer Forstfamilie. In: Unser Harz. Nr 2-3.1961. S. 4-6. 8-<strong>10</strong>.4 Abb.<br />

Sandfudls, Wilhelm s. Nr. 87.<br />

195. Krieger. Heinz-Bruno: Die Familie Sattler in Königslutter am Elm. In:<br />

Norddt. Familienkunde. Jg. <strong>10</strong>. H. 4. 1961. S. 225-229.<br />

196. Me yen. Fritz: Konrad Arnold Sdlmid (1716-1789). Aus: Aus der Welt des<br />

<strong>Bibliothek</strong>ars. Festschrift f. Rudolf luchhoff zum 65. Geburtstag. [1961.] S. 333<br />

-354.<br />

197. 5 pie r. Heinrich: Martin Spier. Pastor zu Bettingerode und Westerode von<br />

1627 bis 1659. In: Zs. f. Nieders. familienkunde. Jg. 36, H. 5. 1961. S. 142-146.<br />

Spohr. louis s. Nr. 90.<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

198. B 0 den 5 i eck, Gustav K. H.: Autobiographie des Pastors August Theodor<br />

Toegel. (Geb. Gehrenrode. Krs. Gandersheim am 27. 4. 1786. gest. Gr. EIbe,<br />

Krs. Wolfenbüttel 1833.) In: Norddt. Familienkunde. Jg. <strong>10</strong>. H. 3. 1961. S. 204<br />

-208.<br />

199. We c h m a r, E.: Die Nach.- oder Sch.arfrichter. auch Abdecker der freien Reich.sstadt<br />

Mühlhausen in Thüringen. In: Familie u. Volk. Jg. <strong>10</strong>. H. 1 u. 6. 1961. S.<br />

272-280. 538-545. [5. 541: Johann Christian Vogel. Sohn des Sch.arfrichters<br />

Christoph Vogel zu Gandersheim.]<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042500<br />

199


<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> <strong>Braunschweig</strong><br />

Die erste Studienfahrt führte am Sonnabend. dem 27. Mai 1961. nach B run shau<br />

sen bei Gandersheim zur Besichtigung der unter Leitung von Dr. Goetting und<br />

Dr. Niquet auf dem früheren Klostergelände durchgeführten Grabungen. die wertvolle<br />

Aufschlüsse für die Frühgeschichte unserer Heimat erhoffen lassen. Dr. Go e t tin g<br />

erläuterte zunächst die Lage der Grahungsstelle auf dem das Durchbruchstal der<br />

Gande einengenden Sporn. auf dessen Westseite in früher Zeit die wichtige Straße von<br />

Frankfurt nach Hildesheim zog. die in ihrem weiteren Verlauf das alte Kloster Lamspringe<br />

und Salzdetfurth berührt. Auf diesem Talspom. der den Paß zwischen der<br />

Heberbörde im Norden. dem frühesten Sitz der Familie der Liudolfinger. und der Harzbörde<br />

im Süden beherrscht. stand die älteste klösterliche Niederlassung im südlichen<br />

Niedersachsen. Schon vor 785 stellten die Liudolfinger der Reichsabtei Fulda einen hier<br />

zu vermutenden Herrenhof zur Errichtung eines Missionsklosters zur Verfügung. Als<br />

dann der der gleichen Familie angehörende spätere Sachsenherzog Liudolf vor 850 das<br />

Familienstift und spätere Reichsstift Gandersheim gründete. fanden die Kanonissen<br />

hier bei dem älteren Fuldaer Missionskloster St. Bonifatii von 852 bis 881 eine vorläufige<br />

Unterkunft. Das im <strong>10</strong> Jh. an Gandersheim übergegangene Benediktinerkloster<br />

Brunshausen wurde um 1200 in ein Benediktiner-Nonnenkloster umgewandelt; die mit<br />

Benutzung älterer Anlagen in der Mitte deo 15. Jahrhunderts erbaute gotische Klosterkirche<br />

ist leider heute dem Verfall nahe.<br />

Die Ausgrabungen. die sich über mehrere Jahre erstrecken werden. wurden in der<br />

Nordwestecke des ehemaligen Klostergeländes im sogenannten .Großen Garten" angesetzt.<br />

Hier stieß Dr. N i q u e t auf die mörtellosen Grundmauern eines größeren. aus<br />

drei Räumen bestehenden Bauwerkes. dessen Zweck bestimmung noch nicht geklärt<br />

werden konnte. das aber sicher nicht kirchlichen Zwecken gedient hat. Wertvoll waren<br />

die hier und in mehreren ausgegrabenen Hütten und Abfallgruben gefundenen Scherben<br />

des 8. Jahrhunderts. einer in Niedersachsen bisher unbekannten Drehscheibenware.<br />

wie sie auch in den ältesten Horizonten der Fuldaer Grabungen und auf dem Büraberg<br />

vorkommt. Nach der Kaffeetafel am schön gelegenen Osterbergsee führten Pastor Dr.<br />

Kronenberg und Dr. Goetting die Teilnehmer durch die Gandersheimer Stiftskirche.<br />

wobei ersterer besonders auf die Zusammenhänge zwischen der Baugestaltung und der<br />

Ordnung des mittelalterlichen Gottesdienstes aufmerksam machte.<br />

Die zweite Studienfahrt am Sonntag. dem 20. August 1961. machte uns bei schönstem<br />

Sonnenschein mit dem Eie h s f eId bekannt. Schon die Anfahrt durch den Harz<br />

bot zwischen Langelsheim und Osterode eindrucksvolle Landschaftsbilder. nicht minder<br />

dann die R h u m e quelle. wo Dr. Th. M ü I I e r die Entstehung dieser größten deutschen<br />

Quelle aus der geologischen Gestaltung des westlichen Harzrandes erklärte.<br />

Zunächst aber wurde P ö h I d e erreicht. Auf dem Kirchplatz berichtete Dr. Go e t -<br />

tin g über die bewegte Geschichte der Kaiserpfalz. die hier einst stand. von der aber keine<br />

Baureste auf uns kamen. wenngleich auch hier die geplanten Grabungen sehr wahrscheinlich<br />

wertvolle Ergebnisse bringen werden. Als liudolfingischer Besitz wurde<br />

Pöhlde Reichsgut. Seit König Heinrich I. weilten viele deutsche Kaiser in dieser Pfalz.<br />

oft zur Feier des Weihnacht.festes. allein für Heinrich 11. ist neunmaliger Aufenthalt<br />

bezeugt. Dr. Goetting konnte auf eine ganze Reihe großer Ereignisse der Reichsgeschichte<br />

hinweisen. die sich in Pöhlde 3bgespielt haben. bis das Pöhlder Reichsgut am<br />

westlichen Harzrand in der bekannten Tauschaktion Friedrich Barbarossas 1154 an<br />

Heinrich den Löwen überging. Im Pfalzbezirk lag das von Heinrichs 1. Gemahlin Mathilde<br />

im <strong>10</strong>. Jahrhundert gegründete Benediktinerkloster Pöhlde. das mit großen Stiftungen<br />

ausgestattet wurde. Das spätere Prämonstratenserstift. das in den Bauernkriegen<br />

und nochmals im 30jährigen Krieg zerstört wurde. kam mit seinen Besitzungen<br />

ebenfalls in die Hände der Welfen. Eine Wanderung durch den hohen Buchenwald<br />

führte uns dann zu der auf der Höhe des Rotenbergs an einer früh geschichtlichen Straße<br />

gelegenen Burgstätte nKönig Heinrichs Vogelherd". Die von Dr. CI aus durchgeführten<br />

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Grabungen erbrachten hier eine Wehranlage. d.ie im <strong>10</strong>. Jh. im Anschluß an einen<br />

älteren Ringwall zum Schutze der Pfalz Pöhlde errichtet sein dürfte.<br />

Auf der weiteren Fahrt durch das Eichsfeld machte Dr. Müll e r auf die Oberflächengestaltung<br />

und die von der Realteilung bestimmte Agrarnutzung aufmerksam.<br />

Nach dem trefflichen Mittagsmahl in Duderstadt besichtigten wir die Stadt. die Hauptstadt<br />

der "Goldenen Mark". die als ursprüngliches Reichsgut von Kaiser Otto 11.<br />

an das Reichsstift Quedlinburg geschenkt wurde. d.:nn im 13. Jahrhundert an die<br />

Welfen und im 14. Jahrhundert an da; Erzbistum Mainz als Lehen kam. bei dem es<br />

bis zur Säkularisation 1803 verblieb. Die Stadt entstand sdlon früh an der Kreuzung<br />

mittelalterlicher Handelsstraßen; sie war mit <strong>Braunschweig</strong>er Stadtrecht ausgestattet.<br />

Die wirtschaftliche Bedeutung Duderstadts im ausgehenden Mittelalter spiegelt sich<br />

im wohl erhaltenen Stadtbild: dem eigenartigen Rathaus. den beiden mächtigen gotischen<br />

Hallenkirchen. den langen Zeilen buntbemalter Fachwerkhäuser. Ein Gang<br />

über den erhaltenen Stadtwail des 16. Jahrhunderts bot immer wieder überraschende<br />

Ausblicke auf das Häuser- und Dächergewirr der Altstadt. Den Abschluß dieser<br />

besonders abwechslungsreichen Fahrt bildete ein Besuch der Ru i n e S c h a r z fe I s<br />

am südlichen Harzrand. Nach recht mühsamem Aufstieg zu der auf steilem Fels<br />

thronenden Burg berichtete Dr. Go e t tin g anschaulich. von alten Plänen unterstützt.<br />

über die reiche und wechselvolle Geschichte dieser als uneinnehmbar geltenden<br />

Reichsburg. die im 14. Jahrhundert an die Grafen von Hohnstein und nach deren Aussterben<br />

1>93 in den Besitz des Welfenhauses gelangte. In der im 17. Jahrhundert als<br />

Staatsgefängnis benutzten Burg wurde auch die Vertraute der Kurfürstin Sophie Dorothea<br />

von Hannover. Eleonore v. d. Knesebeck. bis zu ihrer abenteuerlichen Flucht im<br />

November 1697 in Haft gehalten. Erst im 7jährigen Krieg wurde die Burg Scharzfels<br />

1761 von französischen Truppen zerstört. Doch geben noch d.ie Trümmer ein deutliches<br />

Bild dieser mächtigen Bergfeste.<br />

Die dritte Studienfahrt führte an einem sonnendurchleuchteten Herbsttag am<br />

Sonnabend. dem 16. September 1961. nach Alt e nc e 11 e. Auf dem hohen Wall der<br />

Nienburg. der den Blick in das breite Allertal freigibt. sprach Dr. Th. Müll e r über<br />

die Geschichte dieser längst verschwundenen Stadt. die ihre Entstehung und Entwicklung<br />

der im frühen Mittelalter so außerordentlich bedeutsamen Handelsschiffahrt auf<br />

Oker. Aller und Weser verdankte. Die auf einer einst von der Aller umflossenen<br />

Geestnase liegende Nienburg war möglicherweise ein fränkischer Königshof. Der 500 m<br />

nördlich von ihr unmittelbar am steilen Geestrand gelegene Rundwall stammt den<br />

Scherbenfunden nach aus dem <strong>10</strong>. Jahrhundert. In ihm errichtete der Brunone Bruno VI.<br />

um 986 eine feste Burg. die über Lothar von Süpplingenburg an die Welfen kam.<br />

Nördlich der Burg lag am Westufer der Aller eine Handelsniederlassung. deren Lage<br />

durch die heute weit außerhalb des Dorfes befindliche Gertrudenkirche. wahrscheinlich<br />

eine Stiftung Heinrichs des Löwen. angedeutet und durch zahlreiche Flurnamen wie<br />

Wort. Meßdor. Dorenstrate oder Neumarkt bestätigt wird. Durch Burg und Handelsplatz<br />

entwickelte sich Altencelle zum Vorort der Südheide. Als <strong>Braunschweig</strong> um d.ie<br />

Mitte des 12. Jahrhunderts das Recht der freien Schiffahrt zur Nordsee erhielt. wurde<br />

Celle als einziger Stapelplatz. Umschlag- und Zollstätte bestimmt. Damals besaß<br />

Celle auch das Münzrecht und damit wohl auch das Marktprivileg: Stadtrecht erhielt<br />

es vor 1249. Rücksichten auf die Schiffahrt waren es auch. die den Herzog Otto den<br />

Strengen bewogen. 1292 Burg und Stadt weiter flußabwärts nach dem heutigen Celle<br />

ZU verlegen und die Bürger aufzufordern. in die neue Stadt umzusiedeln. Als Residenz<br />

des Fürstentums Lüneburg wurde der neuen Stadt eine schnelle Entwicklung beschert.<br />

Wir unternahmen einen Rundgang durch die Altstadt. deren geschlossenes spätmittelalterliches<br />

Bild den empfänglichen Beschauer immer wieder auf das tiefste beeindruckt.<br />

Besonders erfreulich war die Feststellung. daß die Celler Stadtverwaltung einsichtsvoll<br />

und tatkräftig für die Erhaltung dieses in seiner Art einmaligen Stadtbildes eintritt<br />

und bisher erfolgreich störende Neubauten verhindern konnte.<br />

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Staatsbankpräsident i. R. Dr. Werner K ü ehe nt haI sprach am 17. November<br />

über .Die Dörfer Hedeper. Wetzleben und Semmenstedt" (483. Sitzung):<br />

Die älteste Original urkunde. in der Hedeper erwähnt wird. ist die Urkunde Friedrich<br />

Barbarossas von 11 8 8. in der das Dorf "Hadebere" genannt ist. dann folgt die<br />

zweite Originalurkunde aus dem Jahre 1189. in der das Dorf "Hathebere" heißt. Der<br />

Name ist dann vielfach verändert überliefert. Wetzleben wird in der Originalurkunde<br />

Ottos 111. von 994 "Viudisleuu" und in der Originalurkunde Kaiser Heinrichs IV.<br />

"Witesleib" genannt. Auch. dieser Name hat sich im Laufe der Jahrhunderte vielbch<br />

geändert. Semmenstedt wird in der Urkunde Heinrichs 11. von <strong>10</strong>22 in Verbindung mit<br />

einem späteren Güterverzeichnis .Zemmenstidde" und in dem Privileg des Papstes<br />

Leo IX. von <strong>10</strong>49 "Scemmenstede" genannt. Der Name ist auch hier vielfach Änderungen<br />

unterworfen gewesen.<br />

Bei dem Semmenstedter und Wetzleber Besitz hat es sich wohl allgemein und bei<br />

Hedeper nur zu einem kleinen Teil um alten Streubesitz. nämlich Allodial- oder Lehnsbesitz<br />

der Liudolfinger. gehandelt. die ihren Stammsitz im Tale der Gande bei Altgandersheim<br />

in der sog. Heberbörde hatten. Durch die Vereinigung des Hausgutes mit<br />

dem vorhandenen Königsgut wurde der Liudolfingerbesitz ebenfalls Königsgut und<br />

ging dann nach Aussterben der Ottonen auf die Salier über. so daß diese über Besitz<br />

in unserer Gegend. dem alten Derlingau. verfügen konnten.<br />

Der Vortragende schilderte die lage der drei Dörfer in der Nähe der Asse und des<br />

Großen Bruches sowie der an den Dörfern vorbeiziehenden Wege und Straßen. insbesondere<br />

der Halberstadt-<strong>Braunschweig</strong>er Heerstraße. der alten Goslarschen Heerstraße.<br />

die die erstgenannte bei Semmenstedt in der Richtung nach Schöppenstedt schnitt. sowie<br />

schließlich des Weges. den Karl der Große bei seinen Zügen von Ohrum aus nach Magdeburg<br />

über Schöppenstedt benutzt hat und der auf der Karte des Landes <strong>Braunschweig</strong><br />

im 18. Jahrhundert verfolgt werden kann und zwischen Semmenstedt und Remlingen<br />

als frühgeschichtlicher Weg vorbeigegangen ist.<br />

Fast überall in den Dörfern erhielten Klöster und Stifter Besitz durch Schenkungen<br />

aus Königsgut oder von Großen. dem sich dann Lehnsbesitz von Adligen zugesellte.<br />

Es befanden sich z. B.: in Hedeper Besitz der Klöster Riddagshausen. Wöltingerode.<br />

des Stiftes St. eyriaci. des Großen Waisenhauses in <strong>Braunschweig</strong>. in Wetzleben Besitz<br />

der Klöster Stötterlingenburg. St. Michaelis-Hildesheim und des Stiftes St. Blasii-<strong>Braunschweig</strong><br />

und des Stiftes 5t. Petersberg in Goslar. in Semmenstedt Besitz des Klosters<br />

St. Michaelis-Hildesheim. des Domstifte$ St. Simonis et Judae in Goslar und des Stiftes<br />

5t. Blasii in <strong>Braunschweig</strong>. Die örtlichen gei$tlichen Institute. wie die Kirchen. Pfarren.<br />

Ptarrwitwentümer. die Schulen. wurden gleichfalls dotiert. Der Zeitpunkt der Erbauung<br />

der drei Kirchen war nicht festzustellen. Interessant ist. daß als Patron der Kirche in<br />

Hedeper der Papst galt. I<br />

Es verdient festgehalten zu werden. daß sich in Hedeper schon seit 1426 der<br />

"Burghof" in den Händen der Familie BöteI befindet. Die vor dem Burghofe gelegene<br />

Kapelle. ein geistliches Lehen der Herren von der Asseburg. war nicht ver lehnt. sie ist<br />

später verfallen und ihr Raum mit zum Wohnhaus genommen. Weiterhin. daß Wetzleben<br />

etwa 400 Jahre Junkerdorf war. zunächst derer v. Sambleben und später derer<br />

von Schwarzkoppen. Schließlich. daß in 5emmenstedt die Namen zweier Fluren. unmittelbar<br />

östlich des Dorfes. nämlich .auf der Burg" und .Burgwanne" auf eine recht<br />

alte Burg hindeuten. daß es dort 2 Bergfriede gab. 3 caminatae lapideae. daß der<br />

Haupthof des Goslarer Domstifts später ein Meierhof wurde und daß auf der Hofstelle.<br />

heute Nr. ass. 32. der Landwirt U. Quidde sitzt.<br />

Von Bedeutung war. daß der zum Fürstentum <strong>Braunschweig</strong>-Wolfenbüttel gehörige<br />

Bezirk "Asseburger Gericht". zu dem lange Zeit Hedeper und 5emmenstedt und kurze<br />

Zeit auch Wetzleben gehörten. von 1331 an. mit einer Unterbrechung von 14 Jahren.<br />

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224 Jahre lang bis 1569 der Stadt <strong>Braunschweig</strong> überlassen war. Als Herzog Heinrich<br />

der Jüngere gegen Zahlung des Pfandschillings den Gerichtsbezirk bei der Stadt <strong>Braunschweig</strong><br />

einlösen wollte. lehnte diese die Rückgabe ab. Es kam zum Prozeß beim Reichskammergericht.<br />

das aber keine Entscheidung fällte. Heinrich der Jüngere verstarb. und<br />

erst Herzog Julius erwarb den Bezirk zurück. Die Stadt hatte behauptet. der Bezirk<br />

wäre nicht verpfändet gewesen und wäre ihr .Eigen" geworden.<br />

Ende des Jahres 1961 erschien Band 42 des B rau n s c h w e i gis ehe n J a h rb<br />

u c h s im vermehrten Umfang von 184 Seiten.<br />

Den ersten Vortrag Im neuen Jahr hielt Dozent Heinrich K e une - Giclde am 12.<br />

Januar 1962. Er behandelte das Thema "Vom alten Dorf zur landgemeinde. Ober die<br />

inneren Wandlungen ostfälischer Dörfer." (484. Sitzung):<br />

Das 20. Jahrhundert ist das Zeitalter größter Völkerwanderungen. Das Durcheinandergewürfeltwerden<br />

der Menschen in unserer Zeit läßt leicht eine große Wanderung<br />

ganz anderer Art in Mitteleuropa übersehen. die seit mehr als hundert Jahren einen<br />

bedeutenden soziologischen Wandel zur Folge hatte. nämlich die Umwandlung der Bevölkerung<br />

von der alten Agrargesellschaft zur modernen industriellen Massengesellschaft.<br />

Seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts sind einzelne Personen oder auch einzelne<br />

Familien aus ihren .. Urheimaten" in den Dörfern aufgebrochen und haben sich<br />

in größeren Wohngebieten 2'U neuen Gesellschaften formiert. Vor 1800 lebten mehr als<br />

80 Prozent der Menschen in Räumen. die auch ihre Vorfahren schon viele Jahrhunderte<br />

vorher ständig bewohnt hatten. Bei vielen alteingesessenen Familien unseres<br />

Gebietes kann man annehmen, daß ihre Blutlinien bis in germanische Zeiten zurückgehen.<br />

Größere Störungen durch Massenzuwanderung sind bei uns seit der Völkerwanderung<br />

nicht zu erkennen.<br />

Untersucht man diese alte Gesellschaft, so stellt m:m fest, daß mehr als 75 Prozent<br />

der Menschen in den Dörfern und zugleich mit der Nachbarschaft verwandt sind. Von<br />

erheblicher Bedeutung, ja geradezu die Grundlage des Zusammenlebens der Menschen,<br />

ist das Wissen um das Verwandtsein. Selbst das Geschichtsbewußtsein vollzieht sidt im<br />

Denken in Generationen, wobei bemerkt werden muß, daß unsere Vorfahren buchstäblich<br />

bis in das siebente Glied zurückdenken. Verwandtsdtaften erkennen konnten und<br />

sie audt pflegten. Wer nicht zu dieser Urverwandtschaft gehörte, blieb ein Fremder.<br />

Die Bindungen untereinander wurden noch verstärkt durch die Einheitlichkeit des<br />

Berufs. nämlich dem des landwirts. der alle anderen Berufe beherrschte. Heimtskreise<br />

und damit Schichtungen in der Bevölkerung sind kaum vorhanden. So finden wir Söhne<br />

und Töchter von größeren und großen Höfen audt auf kleineren und kleinsten wieder.<br />

Hier wirkte sich das unerbittliche Gesetz aus. daß im allgemeinen nur der heiraten<br />

konnte. der in eine Haus- oder HofsteIle einheiratete. Ehepartner wurden nach uralten<br />

Gesetzen von den Eltern und der Verwandtschaft bestimmt. Das Wissen um das<br />

Verwandtsein im alten Bauerntum trug alle alten Gesellschaftsformen. Sie fanden ihren<br />

Ausdruck in Sitte und Brauchtum. in Feiern und Festen. in Kleidung und Tracht. im<br />

einheitlichen Hausbau. im Erziehungswesen (das ganze Dorf erzog die Jugend), in<br />

Kirche und Schule, in der Bewahrung der Mundart und im Festhalten an vielen althergebrachten<br />

Formen. Nur diese Gesellschaft konnte auch eine echte Gemeinschaft entwickeln,<br />

von der man noch <strong>10</strong>0 Jahre später träumte. Die Romantik, mit der die Ausgewanderten<br />

diese ländliche Welt umgaben. hatte hier ihre tiefsten Grundlagen. Die<br />

Sehnsucht nach der alten Heimat hat eine Fülle von schöpferischen Werken auf vielen<br />

Gebieten (u. a. auch Volkslieder) hervorgcbracht.<br />

Das 19. Jahrhundert ist die revolutionäre Zeit des Dorfes. Mit dem Ablösen der<br />

alten lasten und Dienste kommt der landwirt zum Bewußtsein des Eigentums. Bis zu<br />

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Fulda in naher Beziehung gestanden. Es ist daher anzunehmen, daß dessen überragende<br />

Bedeutung als eines geistigen Zentrums von europäischem Rang, seine Verdienste<br />

um die handschriftliche Überlieferung antiken und christlichen Geistesgutes<br />

auch das Bonifatiuskloster Brunshausen berührt haben dürften, das noch Ende des 9.<br />

Jhs. eine blühende Schule besessen hat. Leider müssen dessen Archiv und <strong>Bibliothek</strong><br />

als verloren gelten. aber mögliche Brunshäuser Provenienzen werden künftig von der<br />

Handschriftenforschung in Betracht gezogen werden müssen. So kann vielleicht ein von<br />

Dr. Goetting 1947 in Wrisbergholzen. in unmittelbarer Nähe Brunshäuser Klosterbesitzes.<br />

aufgefundenes Handschriftenfragment in der für Fulda typischen angelsächsischen<br />

Schrift (vgl. Jahrbuch d. Ges t. nds. Kirchengeschichte 51. 1953, S. 3 H.) dem<br />

bisher unbeachteten Brunshausen zugewiesen werden. - Für die Gründung Brunshausens<br />

im einzelnen und seine weiteren Schicksale darf hier auf die Veröffentlichungen<br />

des Vortragenden in diesem Jahrbuch Bd. 31 (1950) S. 11 ff. und in der Harz-Zeitschrift<br />

Bd. 5/6 (1953/54) S. 9 H. verwiesen werden.<br />

Mit Hilfe ausgezeichneter Farblichtbilder machte dann der Ausgräber selbst. Dr.<br />

N i q u e t. mit den bisherigen Ergebnissen der archäologischen Untersuchungen nach<br />

der ersten Hauptgrabung bekannt. Diese erstreckte sich - nach erfolgversprechenden<br />

Probeschnitten im ganzen Bezirk - vor allem auf das westliche Vorgelände des<br />

Klosters. den sog. Großen Garten. Mit der Freilegung eines großen drei räumigen Gebäudefundamentes<br />

und insbesondere mit der Auffindung einwandfrei nach Hessen<br />

weisender Keramik des 8. Jhs. konnten die mit histOrischen Mitteln gewonnenen Ergebnisse<br />

über die Anfänge Brunshausens von der archäologischen Seite her bestätigt<br />

werden. Den geplanten weiteren Grabungen auf dem Klosterhof selbst und in der<br />

Kirche darf man mit Spannung entgegensehen. Ein zusammenfassender Zwischenbericht<br />

über die bisherigen Ausgrabungsergebnisse im einzelnen wird in Kürze an anderer<br />

Stelle veröffentlicht werden.<br />

Richard Moderhack Theodor Müller<br />

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