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WIKIPEDIA-Eintrag zu Erna Kronshage

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<strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong><br />

<strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> (* 12. Dezember 1922 in Senne II (heute Bielefeld-Sennestadt); † 20. Februar 1944 in<br />

der Anstalt Tiegenhof bei Gnesen (polnisch Gniezno)) war eine Verfolgte des NS-Regimes, die<br />

zwangssterilisiert und dann im Zuge der „Aktion Brandt“ ermordet wurde.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Leben<br />

Gedenken<br />

Siehe auch<br />

Literatur<br />

Weblinks<br />

Einzelnachweise<br />

Leben<br />

<strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> arbeitete nach der Schulzeit ab 1937 als Haustochter auf dem Bauernhof ihrer Eltern [1] in<br />

der damaligen selbstständigen Landgemeinde Senne II, Kreis Bielefeld (heute Bielefeld-Sennestadt). Als<br />

sie im Herbst 1942 plötzlich ihre Mitarbeit verweigerte, wurde sie am 24. Oktober 1942 nach einer<br />

amtsärztlichen Untersuchung polizeilich in die Provinzial-Heilanstalt Gütersloh eingewiesen, wo man eine<br />

Schizophrenie diagnostizierte, die dort durch Arbeitstherapie in Garten und Hauswirtschaft und eine<br />

Schocktherapie behandelt wurde. Aufgrund dieser (nach damaliger NS-Nomenklatur) Erbkrankheit stellte<br />

der Direktor der Heilanstalt den Antrag auf „Unfruchtbarmachung“ gemäß dem Gesetz <strong>zu</strong>r Verhütung<br />

erbkranken Nachwuchses von 1934, wogegen ihr Vater Adolf <strong>Kronshage</strong> als der Erziehungsberechtigte<br />

vehement Einspruch erhob und auch die Diagnose insgesamt bezweifelte.<br />

Das Erbgesundheitsobergericht in Hamm wies die Beschwerde des Vaters am 22. Juli 1943 gegen den<br />

Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Bielefeld vom 29. März 1943 auf „Unfruchtbarmachung“ endgültig<br />

<strong>zu</strong>rück. Die Zwangssterilisation erfolgte am 4. August 1943 in einem Gütersloher Krankenhaus.<br />

Wiederholte Aufforderungen des Vaters <strong>zu</strong>r Entlassung seiner Tochter aus der Provinzial-Heilanstalt<br />

wurden ignoriert.<br />

Stattdessen ging im Laufe der Luftschutzevakuierungen [2] der „Aktion Brandt“ <strong>zu</strong>r Schaffung von<br />

Bettenkapazitäten für Lazarett- und Krankenhauszwecke in der Heilanstalt Gütersloh am 12. November<br />

1943 [3] ein Transport von 50 Frauen und 50 Männern in die Gauheilanstalt Tiegenhof bei Gnesen im<br />

besetzten Polen, die unter dem mit den deutschen Besatzern kollaborierenden Anstaltsdirektor Victor Ratka<br />

eine Tötungsanstalt wurde. Nach Angaben der jetzigen Klinikleitung wurden dort mindestens 3.586<br />

Menschen verschiedener Nationalitäten im Zuge der NS-Euthanasie getötet. [4]<br />

Historiker gehen von einer hohen Dunkelziffer in Tiegenhof aus. Der Autor Enno Schwanke schätzt die<br />

tatsächliche Opferzahl auf ca. 5.000 Menschen. [5]


Dort verstarb <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> nach 100 Tagen Aufenthalt am 20. Februar 1944 an „vollkommener<br />

Erschöpfung“, wie es die dort ausgestellte Sterbeurkunde ausweist. Das war die damals übliche<br />

Umschreibung des gezielten Mordes durch eine fettlose Ernährung mit einer leichten Barbiturat-<br />

Überdosierung nach dem Luminal-Schema, das von Hermann Paul Nitsche entwickelt und propagiert<br />

wurde.<br />

Die Todesrate des Transportes vom 12. November 1943 von Gütersloh nach Gnesen betrug 90 Prozent bis<br />

Kriegsende. [6]<br />

Die sterblichen Überreste <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong>s fanden am 5. März 1944 in der Familiengruft auf dem Friedhof<br />

in Senne II ihre letzte Ruhestätte.<br />

Gedenken<br />

Vor dem Geburtshaus von <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> in Bielefeld-Sennestadt<br />

wurde am 6. Dezember 2012 ein „Stolperstein“ gelegt.<br />

„Orte des Erinnerns und des Gedenkens“ – in dieser Gedenkstätte<br />

für 1017 Opfer des Nationalsozialismus in der Provinzialheilanstalt<br />

Gütersloh wird auf einem Leucht-Namensband in der Kreuzkirche<br />

der LWL-Klinik Gütersloh „<strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong>“ genannt.<br />

2018 inszenierte das Jugendvolxtheater der Theaterwerkstatt Bethel<br />

das Theaterstück: „Ich will Leben – besonders anders“, mit der<br />

Geschichte <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong>s als Hintergrundhandlung. [7]<br />

Ausstellungsplakat und Stellwand-Präsentation in der Ausstellung<br />

„Krankenmorde und Deportationen aus Bielefeld und Bethel im<br />

Nationalsozialismus“ – Eine Ausstellung der Forschungsgruppe<br />

Bethel im Nationalsozialismus an der Fachhochschule Bielefeld,<br />

Präsenzausstellung u. a. in der VHS Bielefeld vom 6.01.2022 bis<br />

28.02.2022 – Digitale Ausstellung [8]<br />

Stolperstein <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong><br />

Ein Gedenkstein kennzeichnet seit Dezember 2022 die letzte Ruhestätte <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong>s auf dem<br />

inzwischen <strong>zu</strong>r öffentlichen Grünanlage modifizierten „Alten Friedhof“ in Bielefeld-Sennestadt.<br />

Siehe auch<br />

Liste der Stolpersteine in Bielefeld<br />

Literatur<br />

Lutz Kaelber: Virtual Traumascapes: The Commemoration of Nazi 'Children’s Euthanasia’<br />

Online and On Site. Digital Icons: Studies in Russian, Eurasian and Central European New<br />

Media4 (2010): 13–44.[1] (http://www.uvm.edu/~lkaelber/children/Kaelber-4.2c1.pdf)<br />

Lutz Kaelber: Kinderfachabteilungen („Special Children’s Wards“): Sites of Nazi „Children’s<br />

'Euthanasia'“ Crimes and Their Commemoration in Europe – Tiegenhof (http://www.uvm.ed<br />

u/~lkaelber/children/tiegenhof/tiegenhof.html)<br />

Claus Melter: Sevim Dik, Luisa Kuznik, Tim Linnemann, Nathalie Rehbaum (Hrsg.):<br />

Antisemitismus, Deportationen und Krankenmorde im Nationalsozialismus. Biografien und<br />

Ereignisse in Bielefeld und Bethel. Ein Begleitbuch <strong>zu</strong>r Ausstellung »Krankenmorde und


Deportationen aus Bielefeld und Bethel im Nationalsozialismus«, Beltz Juventa 2022, S.<br />

128–136.<br />

Weblinks<br />

erna-k-gedenkblog.blogspot.de (http://www.erna-k-gedenkblog.blogspot.de/) Gedenkblog<br />

Umfassende Informationen <strong>zu</strong> <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> und relevanten Themen auf einer privaten<br />

Website (https://www.eddywieand-sinedi.de)<br />

<strong>Eintrag</strong> über <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> (https://www.gedenkort-t4.eu/de/biografien/12-12-1922-20-02-<br />

1944-erna-kronshage-haustochter-bielefeld-senne-ii) auf gedenkort-t4.eu<br />

<strong>Eintrag</strong> über <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> (https://www.iaapa.de/il/46024/Claims.html) auf der<br />

israelischen Euthanasie-Opfer-Liste von Hagai Aviel – iaapa.org.<br />

Online-Bild/Doku/Fakten-Magazin <strong>zu</strong>m Opferschicksal <strong>Erna</strong>-<strong>Kronshage</strong> (https://www.yumpu.<br />

com/de/embed/view/Ay3N5znD9HUcpwKQ)<br />

Edward Wieand: Lebensbericht über <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong>. (http://ns-euthanasie.de/index.php/er<br />

na-kronshage) ns-euthanasie.de<br />

Komplett eingescannte Arbeitskopie der Original-Erbgesundheitsgerichtsakte (https://www.e<br />

ddywieand-sinedi.de/kopie-der-erbgerichtsakte-<strong>zu</strong>r-zwangssterilisation/) von <strong>Erna</strong><br />

<strong>Kronshage</strong> von 1943<br />

Abbildung des Stolpersteins und Graphic-Story <strong>zu</strong> <strong>Erna</strong> <strong>Kronshage</strong> auf stolpersteine.wdr.de<br />

(https://stolpersteine.wdr.de/web/de/stolperstein/8429)<br />

Einzelnachweise<br />

1. Redaktion: Horst R. H. Wasgindt, Sennestadt: Sennestadt – Geschichte einer Landschaft.<br />

Hrsg.: Sennestadt GmbH. 2. Auflage. Selbstverlag, Sennestadt 1980 (S. 294: Hof Nr. 6;<br />

S. 450–451: Kommentar und Abb.).<br />

2. Götz Aly: Aktion T4 1939–1945 – Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Hrsg.:<br />

Götz Aly. 2. erw. Auflage. Edition Hentrich, Berlin 1989, ISBN 3-926175-66-4, S. 174,<br />

Fußnote 21 (Wiederherstellung der Brauchbaren – Tötung der Unbrauchbaren).<br />

3. Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie 1914–1949: mit einer Topographie der<br />

NS-Psychiatrie. Lambertus, Freiburg im Breisgau 1998, ISBN 3-7841-0987-X, S. 410–411.<br />

4. Marian Drogowski: Historia, Okres okupacji hitlerowskiej 11.09.1939–21.01.1945. (https://dz<br />

iekanka.net/historia/) In: Website des Spitals Dziekanka - PL. Abgerufen am 6. Dezember<br />

2022 (polnisch).<br />

5. Enno Schwanke: Die Landesheil- und Pflegeanstalt Tiegenhof. In: Ina Ulrike Paul und Uwe<br />

Puschner (Hrsg.): Zivilisation & Geschichte. Band 28. Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main<br />

2015, ISBN 978-3-631-65236-7, S. 127.<br />

6. Bernd Walter: Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne. Geisteskrankenfürsorge in der<br />

Provinz Westfalen zwischen Kaiserreich und NS-Regime (= Forschungen <strong>zu</strong>r<br />

Regionalgeschichte). Schöningh, Paderborn 1996, ISBN 3-506-79588-0, Ausschnitt von<br />

Tabelle S. 945.<br />

7. Regie: Lotti Kluczewitz und Ganip Gündogdu: Jugendvolxtheater Bethel: Theaterstück "Ich<br />

will Leben - besonders anders". (https://www.eddywieand-sinedi.de/theaterst%C3%BCck-ic<br />

h-will-leben-<strong>zu</strong>-erna-kronshage/) Abgerufen am 13. Dezember 2022.<br />

8. Ausstellung „Krankenmorde und Deportationen aus Bielefeld und Bethel im<br />

Nationalsozialismus“ Eine Ausstellung der Forschungsgruppe Bethel im<br />

Nationalsozialismus an der Fachhochschule Bielefeld. (https://www.krankenmorde-deportati<br />

onen-bielefeld.de/) Abgerufen am 17. Oktober 2022.


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