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„PAPA“ KRONSHAGE KÄMPFT 1942/43<br />
GEGEN ZWANGSSTERILISATION &<br />
INTERNIERUNG<br />
SEINER JÜNGSTEN TOCHTER ERNA<br />
<strong>EINSPRUCH</strong><br />
„PAPA“ KRONSHAGE KÄMPFT 1942/43<br />
GEGEN ZWANGSSTERILISATION &<br />
INTERNIERUNG<br />
SEINER JÜNGSTEN TOCHTER ERNA
Die Großfamilie Adolf Kronshage aus Senne II<br />
um 1930<br />
Obere Reihe - von links nach rechts:<br />
Johanne *1913, Martha *1911, Frieda *1909, Emma *1906,<br />
Lina *1903, Heinrich *1905, Wilhelm *1917, Ewald *1919<br />
Untere Reihe - von links nach rechts:<br />
ERNA *1922, Anna *1902, Mama Anna *1879, Papa Adolf *1876,<br />
Adolf *1899<br />
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Erna Kronshage<br />
wird am 12. Dezember 1922 in<br />
Senne II, Kreis Bielefeld (heute<br />
Bielefeld-Sennestadt) als 11. und<br />
jüngstes Kind einer Großfamilie<br />
geboren, die dort eine kleine<br />
Landwirtschaft betreibt.<br />
Nach der Schulzeit, ab 1937,<br />
arbeitet sie dort als angestellte<br />
„Haustochter im elterlichen<br />
Betrieb“, wodurch sie dann auch<br />
zwingend „kriegsdienstverpflichtet“<br />
ist, denn die Landwirtschaft wird jetzt als „kriegswichtiger Betrieb“ eingestuft.<br />
Zusätzliche „Pflichtjahr-“ oder „Arbeitsdienst“-Aktivitäten werden ihr deshalb erlassen.<br />
Als Erna sich in diesen Kriegsturbulenzen ihren Dienstverpflichtungen widersetzt, wird<br />
sie deswegen von der NSV-Ortsfürsorgerin zu einer amtsärztlichen Untersuchung<br />
geschickt, um ihre Dienstfähigkeit abzuklären.<br />
Und hier nun begeht Erna den verhängnisvollen Fehler, den Amtsarzt selbst um eine<br />
Auszeit in der „Heil“anstalt in Gütersloh zu bitten: Erna‘s ältere Schwester Frieda hatte<br />
sie dazu angestiftet, die dort drei Jahre zuvor, nach einem akuten „Erregungszustand<br />
am Arbeitsplatz“, nach nur 4-wöchigem Aufenthalt erholt und vollständig genesen<br />
wiederhergestellt worden war. Genauso wünscht sich Erna das jetzt auch für sich – und<br />
provoziert deshalb - gegen den Willen der noch sorgeberechtigten Eltern - am 24.<br />
Oktober 1942 sogar ihre polizeiliche Einweisung in die Anstalt Gütersloh.<br />
Hier nun warten aber nicht die von Erna herbeigesehnten Auszeiten<br />
und Genesungsphasen: ihre Dienstverweigerungshaltungen werden von den NS-<br />
Psychiatern dort jetzt rein erbgesundheitlich mit einem extra erhobenen Familien-<br />
Stammbaum gedeutet: und wegen des Aufenthalts von Erna‘s Schwester Frieda 1939<br />
dort in Gütersloh wird nun ad-hoc für ihre Bummelei eine „Erbkrankheit“, eine<br />
Schizophrenie, diagnostiziert. Die physischen und psychischen Überforderungs- und<br />
Belastungssituationen jetzt im Krieg für die 19-jährige Erna – als noch einzig<br />
verbliebene feste Mitarbeiterin auf dem Hof zuhause – finden dagegen keinerlei<br />
Beachtung.
Die „Behandlung“ der Schizophrenie erfolgt durch „Arbeitstherapie“ in Garten und<br />
Hauswirtschaft – aber auch mit quälenden Schockthrapie-Serien, bei denen<br />
epileptische Krampfanfälle durch Cardiazol-Injektionen zur „inneren Entspannung“<br />
ausgelöst werden.<br />
Der Direktor der Heilanstalt Gütersloh, Dr. Hartwich, stellt den Antrag auf „Unfruchtbarmachung“<br />
wegen dieser Schizophrenie-Diagnose, gemäß dem „Gesetz zur<br />
Verhütung erbkranken Nachwuchses“, wogegen der Vater Adolf Kronshage als der<br />
Sorgeberechtigte der noch minderjährigen Erna vehement Einspruch erhebt und<br />
auchdie Diagnose insgesamt bezweifelt.<br />
Das Erbgesundheitsobergericht Hamm weist jedoch die Beschwerden des Vaters am<br />
22. Juli 1943 gegen einen Beschluss des Erbgesundheitsgerichts Bielefeld auf „Unfruchtbarmachung“<br />
endgültig zurück, so dass die Zwangssterilisation am 4. August<br />
1943 in einem Gütersloher Krankenhaus erfolgt.<br />
Wiederholte Aufforderungen des Vaters zur Entlassung seiner Tochter werden<br />
ignoriert: polizeilich „zwangseingewiesenen“ Patienten wird inzwischen per Erlass<br />
des Reichsinnenministers die Entlassung verwehrt, damit es „wegen der Unberechenbarkeit<br />
dieser geistig anbrüchigen Personen“ zu keinen „Unzuträglichkeiten“<br />
in den Luftschutzräumen usw. kommt – somit ist Erna jetzt regelrecht interniert.<br />
Stattdessen wird sie mit ausgewählt für einen<br />
Deportationstransport von 50 Frauen und 50<br />
Männern am 12. November 1943 in die<br />
Gauheilanstalt „Tiegenhof“ bei Gnesen im<br />
besetzten Polen – zwingend angeordnet für<br />
alle „überzähligen Patienten, die ihren Platz<br />
räumen müssen für die aus Berlin angeordnete „Aktion“ des Hitler-Leibarztes Dr.<br />
Brandt, zwecks Schaffung von inzwischen dringend benötigten Bettenkapazitäten<br />
für Lazarett- und Krankenhauszwecke überall in den Heilanstalten.
Die Anstalt „Tiegenhof“ ist jetzt unter dem mit den deutschen Besatzern<br />
kollaborierenden Anstaltsdirektor Dr. Victor Ratka eine der NS-Mordanstalten<br />
im deutsch besetzten Polen geworden – in der wahrscheinlich<br />
insgesamt ca. 5.000 Patienten getötet werden.<br />
Und hier verstirbt Erna Kronshage nach 100 Tagen Aufenthalt am 20. Februar 1944<br />
an „Vollkommener Erschöpfung“, wie es die dort ausgestellte Sterbeurkunde<br />
ausweist.<br />
Das ist die damals übliche Umschreibung des gezielten „Euthanasie“- Mordes<br />
durch eine fettlose Ernährung mit einer leichten Schlafmittel-<br />
Überdosierung nach dem sogenannten „Luminal-Schema“, das von Prof. Dr.<br />
Hermann Paul Nitsche extra zum allmählichen verdeckten Töten entwickelt wurde.<br />
Der Leichnam wird auf<br />
Antrag der Eltern 630 Bahn-<br />
Kilometer rücküberführt<br />
zum Bahnhof Kracks –<br />
direkt auf das Rangiergleis<br />
gleich neben dem Bauernhof<br />
der Kronshages...<br />
Und am 05.03.1944 findet die<br />
Beisetzung auf dem<br />
„Alten Friedhof“ statt in Senne II/<br />
heute Sennestadt.<br />
Am 06. Dezember 2012 wird an der Bahn-<br />
/Straßen-Kreuzung Verler Str./Sender Str./Krackser<br />
Straße in Bielefeld-Sennestadt ein Stolperstein<br />
gelegt – in unmittelbarer Nähe zum Elternhaus<br />
Erna Kronshages – dort wo sie vor jetzt 100<br />
Jahren geboren wurde …
6
Mit den folgenden kommentarlosen Aneinanderreihungen der<br />
Interventionen, Eingaben, Einsprüche und „Bittbriefe“ wird<br />
der Kampf von „Papa“ Adolf Kronshage 1942/43 gegen die<br />
„Unfruchtbarmachung“ seiner Tochter Erna und für die<br />
sofortige Entlassung aus der Provinzialheilanstalt Gütersloh<br />
dokumentiert , die dort wegen der fraglichen ad-hoc-<br />
Diagnose „Schizophrenie“ festgehalten ist. Die<br />
Schizophrenie galt damals als „Erbkrankheit“ im Sinne des<br />
„Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von<br />
1934.<br />
Erna ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig – und<br />
„Papa“ Adolf hat formal das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht.<br />
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„Papa“ Adolf Kronshage mit seiner Lieblingskuh – ca. um 1940
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Letztendlich<br />
Trotz aller Eingaben und Einsprüche wird Erna Kronshage nach dem<br />
Beschluss in 2. Instanz vom Erbgesundheitsobergericht Hamm<br />
am 4.August 1943 im Krankenhaus Gütersloh zwangssterilisiert.<br />
Zur Versorgung für die wegen der Kriegs-Bombardements und den an der<br />
Front verletzten Menschen werden ab August 1943 immer dringlicher<br />
Lazarett- und Krankenhaus-Bettenkapazitäten benötigt.<br />
Aufgrund der aus Berlin gesteuerten „Sonder-Aktion Brandt“ werden<br />
deshalb in Gütersloh über 600 Belegbetten umgewidmet. Brandt ist u.a. der<br />
Generalkommissar für das Gesundheitswesen und Begleitarzt Hitlers.<br />
Am 12.11.1943 geht deshalb ein Deportationstransport der Reichsbahn mit<br />
290 „überzähligen“ Patienten aus Gütersloh in östlich gelegene Anstalten –<br />
davon 50 Frauen und 50 Männer in die Gauheilanstalt „Tiegenhof“ bei<br />
Gnesen im besetzten Polen. Seit 1939 wird in dieser Anstalt massenhaft<br />
gemordet und Leben vernichtet.<br />
Erna Kronshage wird dort nach 100 Tagen am 20. Februar 1944 ermordet.<br />
Die Sterbeurkunde des „Sonder-Standesamtes“ vor Ort gibt eine<br />
„vollkommene Erschöpfung“ als Todesursache der gerade mal 21-jährigen<br />
an.<br />
„Papa“ Adolf Kronshage stirbt nur vier Monate später, am 28.Juni 1944, im<br />
Alter von 68 Jahren …<br />
Beide werden jeweils im damals neu eingerichteten Familiengrab auf dem<br />
Friedhof in Senne II beigesetzt.<br />
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Zusammengestellt von Edward Wieand 2022<br />
nach den Kopien aus der<br />
„Erbgesundheitsgerichts-Akte“ 1943 im<br />
Bestand des Stadtarchiv Bielefeld<br />
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