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Schraegstrich 2/2022

Das Magazin für Interessierte mit dem Themenschwerpunkt Liebe

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WISSENSWERT // Liebe

bin und einfach damit ‚aufhören‘ soll.

Da hat sich bei mir ein riesengroßer Knoten im Kopf gebildet, der mir jeden Tag einflüstert:

„Du bist zu schüchtern, du bist zu still, zu unsicher. Du musst mehr Interaktion suchen, du

musst mehr reden, du musst so sein wie die anderen“. Kurz: „Du bist nicht okay, so wie du

bist“.

Viele Male habe ich probiert, extrovertierter zu sein, kommunikativer zu sein, geselliger zu

sein, doch es klappt nicht. Schon seit ich ein Teenager war, habe ich es mit allen Mitteln

erzwingen wollen, bin viel fortgegangen und, zum Teil mit Alkohol, ging es dann auch, meine

Ängste zu überwinden. Doch was blieb, war ein leeres Gefühl. Das war einfach nicht ich.

Mit der Zeit habe ich es mir zurechtgelegt: Ich bin halt introvertiert. Eine introvertierte Künstlerpersönlichkeit

halt. Eigentlich recht klug und kreativ. Ein verkanntes Genie sozusagen.

Die anderen sind einfach nur oberflächlich und dumm. Somit hatte ich mir wieder ein verzerrtes

Selbstbild geschaffen und versucht, meinen Selbstwert zwanghaft zu erhöhen.

Doch das stimmt auch wieder nicht so ganz. Wie soll mich jemals jemand als Musikerin

anerkennen, wenn es mir von Herzen unangenehm ist, im Mittelpunkt zu stehen und jeder

Auftritt für mich eine Blamage darstellt?

Nun… Ich war also bei dieser Party heute und da dachte ich mir das, was sich schon seit

ein paar Wochen angebahnt hat: Was ist, wenn ich mich in Situationen begebe, in denen

ich mich unwohl fühle, weil ich eben so sein will, wie die anderen? Was ist, wenn ich nicht

‚falsch‘ bin als Person, nicht langweilig, nicht uninteressant, nicht unkommunikativ, sondern

ich mit vielen anderen Menschen einfach nicht auf derselben Wellenlänge bin? Es gibt nämlich

Menschen, bei denen springt sofort meine Begeisterung an und ich plappere wie ein

Wasserfall, wenn ich mich bei jemandem wohlfühle.

So gesehen ist Selbstliebe für mich synonym mit Selbstakzeptanz. Ich muss mich nicht

schlecht fühlen, weil ich so bin, wie ich bin. Ich muss mich aber auch nicht besser fühlen als

die anderen, weil ich so bin, wie ich bin. Wir sind alle verschieden und wir sind gut so, wie

wir sind.

Habe ich also nach dieser Erkenntnis plötzlich ein gesundes Selbstvertrauen, eine bedingungslose

Liebe zu mir Selbst, keine Angst mehr in sozialen Situationen? Nein. Aber ich

kann daran arbeiten. Das ist das Schöne an der ganzen Sache. Wie das Gefühl, wenn man

nach langer, harter Arbeit auf einem steinigen Weg zurück nach Hause kommt. Genau so

fühlt sich Selbstliebe für mich an. Mein Weg ist noch länger, doch der härteste Teil ist bereits

geschafft. Wenn ich so zurückdenke, weiß ich: Es ist eine Wanderung für uns alle. Die einen

starten vor einem riesigen, felsigen Berg, der unbezwingbar scheint, und für andere mag

der Weg von Anfang an leicht und eben erscheinen, doch auch sie müssen immer wieder

SCHRÆGSTRICH // SEITE 21

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