02/2023
Die Titelthemen im Februar: Gemeinsam geht mehr: Chancen und Herausforderungen von Mehrgenerationen-Teams in der Praxis // Spielerisch: Gamification in der Therapie
Die Titelthemen im Februar: Gemeinsam geht mehr: Chancen und Herausforderungen von Mehrgenerationen-Teams in der Praxis // Spielerisch: Gamification in der Therapie
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ZUKUNFT<br />
PRAXIS<br />
№ <strong>02</strong>/2<strong>02</strong>3<br />
Was Therapeut:innen jetzt bewegt<br />
SPIELERISCH TOPFIT<br />
Gamification in<br />
PRAXISnah zu Gast<br />
der Therapie<br />
in Hannover<br />
Jetzt auch<br />
per App<br />
www.optica.de/registrierungzukunft-praxis-app<br />
Gemeinsam<br />
GEHT MEHR<br />
Chancen und Herausforderungen von<br />
Mehrgenerationen-Teams in der Praxis
28. MÄRZ<br />
IHR START IN DIE TI:<br />
BEANTRAGUNG VON<br />
eHBA UND SMC-B<br />
DIE TI<br />
8<br />
Worauf kommt es bei den<br />
Ausweisen an?<br />
KOMMT!<br />
FRAGEN ZUR TI BEANTWORTET<br />
DIE WEBINAR-REIHE VON OPTICA<br />
ZUM WEBINAR ANMELDEN<br />
Mit elektronischem Heilberufsausweis (eHBA) und<br />
Institutions- und Praxisausweis (SMC-B) an der<br />
Telematikinfrastruktur (TI) teilnehmen.<br />
Was muss ich bei der<br />
Beantragung beachten?<br />
FOLGEWEBINARE — IHR START IN DIE TI<br />
25. April: Die Bedeutung einer Praxissoftware für die Nutzung der TI<br />
06. Juni: Sicherheit in der TI<br />
Anmeldung unter: optica.de/veranstaltungen<br />
Wofür benötige ich die<br />
Ausweise?<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser,<br />
„Talkin‘ ʼbout my generation“ heißt es in einem Welthit der<br />
Gruppe „The Who“ – aus den Sechzigern. Wer kennt den<br />
noch? Der kleine Test kann Aufschluss darüber geben, zu<br />
welcher Generation Sie gehören. Womit wir mitten im<br />
Titelthema der neuen ZUKUNFT PRAXIS wären: unterschiedliche<br />
Generationen und die Herausforderungen bei<br />
ihrer Zusammenarbeit.<br />
Dass Vielfalt Trumpf ist, gilt mittlerweile – zu Recht – als<br />
Konsens. Die Mühen des Alltags werden demgegenüber<br />
mitunter übersehen. Was tun, wenn der langjährige, verdiente<br />
Mitarbeiter keinen Draht zu den dringend benötigten<br />
Nachwuchskräften findet? Wie können alle im Team von<br />
den unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven profitieren?<br />
In unserer Titelgeschichte zeigen wir das Panorama<br />
von Babyboomern bis zur Generation Z – und wir gehen<br />
darauf ein, wie sich Gräben zwischen den Generationen<br />
überwinden lassen.<br />
Vielleicht kann auch ein neuer Trend in der Therapie dabei<br />
helfen, Teammitglieder spielerisch zusammenzubringen.<br />
Denn wer sich zum Wohl der Patient:innen mit Gamification<br />
(s. S. 14 und 15) befasst, wird sehen: Neueste Tech-Trends<br />
und Erfahrungsschatz in der Behandlung können zu Erfolgserlebnissen<br />
in der Therapie führen – und die setzt sich<br />
schließlich jede Generation als Ziel.<br />
Ihr Dr. Jochen Pfänder<br />
Optica-Geschäftsführer<br />
Inhalt<br />
4<br />
Kompakt<br />
News und Meldungen<br />
8<br />
Gut gemischt<br />
Worauf es bei der Zusammenarbeit unterschiedlicher<br />
Generationen ankommt.<br />
14<br />
Auf zum nächsten Level!<br />
Gamification: Digitale Therapiehelfer setzen<br />
auf die motivierende Wirkung von Spielen.<br />
Die Einsatzgebiete sind vielfältig.<br />
16<br />
Fragebogen: PRAXISnah<br />
Diesmal mit Sebastian Behrens, der in einem<br />
Fitness-Umfeld in Hannover einen eigenen<br />
Physiotherapie-Bereich aufgebaut hat.<br />
18<br />
Therapeut:innenwissen<br />
Atemlos nach Corona: Über die Wiederherstellung<br />
des physiologischen Atemmusters.<br />
19<br />
Information & Standards<br />
Wissenswertes aus der Welt der Abrechnung,<br />
Vorschau und Impressum<br />
Ausführliche Informationen zur TI gibt es unter optica.de/ti und unter optica.de/ti-faq.<br />
ZUKUNFT PRAXIS EDITORIAL3
999<br />
NICHT-ÄRZTLICHE HEILBERUF-<br />
LER:INNEN HABEN IM VIERTEN<br />
QUARTAL 2<strong>02</strong>2 AN EINER UM-<br />
FRAGE ZU IHRER WIRTSCHAFT-<br />
LICHEN LAGE UND ERWAR-<br />
TUNG TEILGENOMMEN. Dabei<br />
bewerteten über die Hälfte der<br />
Physiotherapeut:innen ihre Lage<br />
als befriedigend, rund ein Drittel<br />
als schlecht. Nur etwa 17 Prozent<br />
fanden ihre Lage gut.<br />
is.gd/wirtlage<br />
THERAPIE<br />
IN ZAHLEN<br />
52 Partner<br />
AUS NEUN EUROPÄISCHEN LÄNDERN BETEILIGTEN<br />
SICH AM EU-PROJEKT „TEF-HEALTH“, das innovative Ansätze<br />
aus der Künstlichen Intelligenz und der Robotik im<br />
Gesundheitswesen prüfen und zur Marktreife bringen will.<br />
Von 60 Millionen Euro Fördergeldern gehen zwei Millionen<br />
Euro an das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité.<br />
tefhealth.eu<br />
1.000<br />
Euro<br />
KÖNNEN ERGOTHERAPIEPRA-<br />
XEN SEIT 15. FEBRUAR ALS<br />
KOSTENPAUSCHALE BEANTRA-<br />
GEN, um für die Videotherapie<br />
geeignete Hard- und Software anzuschaffen.<br />
Die Vereinbarung<br />
zwischen dem GKV-Spitzenverband<br />
und den Ergotherapieverbänden<br />
gilt bis 31. Dezember 2<strong>02</strong>5.<br />
1. Januar 2<strong>02</strong>3<br />
SEIT DIESEM DATUM STEHT DAS NEUE FORMULAR 56 FÜR DIE<br />
VERORDNUNG VON REHASPORT ZUR VERFÜGUNG. Nachdem die<br />
neue Rahmenvereinbarung bereits seit Anfang 2<strong>02</strong>2 gilt, hat die Kassenärztliche<br />
Bundesvereinigung das Formular überarbeitet.<br />
38,4 Mio.<br />
HEILMITTELREZEPTE WURDEN 2<strong>02</strong>1 FÜR<br />
GKV-VERSICHERTE ABGERECHNET. Diese<br />
Verordnungen umfassten 46,8 Millionen<br />
Leistungen mit insgesamt gut 313 Millionen<br />
einzelnen Behandlungssitzungen.<br />
6. März<br />
2<strong>02</strong>3<br />
IST DER EUROPÄISCHE TAG<br />
DER LOGOPÄDIE, den die europäische<br />
Dachorganisation der nationalen<br />
Logopädieverbände ESLA<br />
unter das Motto „Speech and<br />
Language therapistsʼ roles in critical<br />
care and emergency medicine“<br />
gestellt hat. eslaeurope.eu<br />
10-15 Jahre<br />
DÜRFE DIE TRANSFORMATION<br />
DAUERN, danach sollten Physiotherapeut:innen<br />
nur noch akademisch<br />
ausgebildet werden,<br />
sagte Andrea Rädlein, Vorsitzende<br />
von Physio-Deutschland, auf<br />
der TheraPro 2<strong>02</strong>3 in Stuttgart.<br />
CHATGPT<br />
Digitaler<br />
Antwortgeber<br />
Kurz &<br />
Knapp<br />
Wissenschaftler:innen der Medizinischen<br />
Fakultät Mann heim<br />
der Universität Heidelberg und<br />
der SRH Hochschule Heidelberg<br />
haben ein zwölfwöchiges<br />
digitales Gesundheitsförderungs-<br />
und Präventionsprogramm<br />
für Long-Covid-Patient:innen<br />
entwickelt, das<br />
gleichzeitig einer Studie dienen<br />
soll: www.wieder-fit-nachcovid.de<br />
+++ Wer als Physiotherapieschüler:in<br />
oder -student:in<br />
die Selbstständigkeit als Physiotherapeut:in<br />
besser verstehen<br />
will, kann sich am IFK-Businessplan-Wettbewerb<br />
beteiligen<br />
und so Erfahrungen für die<br />
Gründung einer Praxis sammeln.<br />
is.gd/busiplan +++<br />
Bisher schien Künstliche Intelligenz eher abstrakt und stellte die Nicht-Fachwelt vor die<br />
Frage, was sie denn genau kann, diese KI. Nun lässt es sich mit ChatGPT selbst erleben.<br />
Auch auf komplexe Fragen reagiert der KI-basierte Service mit gut verständlichen Texten.<br />
Bei „heißen“ Themen bemüht sich das System sichtlich um Ausgewogenheit. Ein Beispiel:<br />
Auf die Frage „Sollten Physiotherapeuten besser bezahlt werden?“ antwortet ChatGPT:<br />
„Es gibt sicherlich eine Diskussion darüber, ob die Bezahlung von Physiotherapeuten fair<br />
ist, insbesondere wenn man bedenkt, dass sie eine wichtige Rolle bei der Rehabilitation<br />
von Verletzungen und bei der Prävention von Krankheiten spielen. Wie bei jedem Beruf<br />
hängt die Entlohnung auch von der Wertschätzung und Anerkennung der Gesellschaft für<br />
die Arbeit ab, die geleistet wird. Eine höhere Bezahlung könnte dazu beitragen, den Beruf<br />
attraktiver zu machen und die Verfügbarkeit von qualifizierten Physiotherapeuten in verschiedenen<br />
Bereichen zu verbessern.“<br />
chat.openai.com<br />
4 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT5
BOY’S DAY<br />
Jungs zu<br />
Therapeuten<br />
Um mehr Jungen für therapeutische<br />
Berufe zu begeistern,<br />
veranstalten zwei Bundesministerien<br />
gemeinsam mit<br />
einer Reihe von Partnern am<br />
27. April 2<strong>02</strong>3 den bundesweiten<br />
Boy’s Day. Die Koordinierungsstelle<br />
Boy’s Day ruft<br />
auch Inhaber:innen von therapeutischen<br />
Praxen dazu auf,<br />
Einblicke in ihren Berufsalltag<br />
zu geben und ihr Angebot kostenlos<br />
auf der Website<br />
www.boys-day.de einzutragen.<br />
Dort lässt sich auch<br />
weiteres Infomaterial einsehen<br />
und herunterladen.<br />
VIDEOSPRECHSTUNDE<br />
Bestimmte<br />
Leistungen zulässig<br />
Heilmittel, häusliche Krankenpflege und Leistungen<br />
zur medizinischen Rehabilitation können voraussichtlich<br />
ab Oktober 2<strong>02</strong>3 auch per Videosprechstunde<br />
verordnet werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss<br />
(G-BA) hat in seinen Richtlinien<br />
konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen das<br />
jeweils möglich sein wird. So muss es sich bei Heilmitteln<br />
oder häuslicher Krankenpflege beispielsweise<br />
um sogenannte weitere Verordnungen oder<br />
Folgeverordnungen handeln, nicht um eine erstmalige<br />
Verordnung. Die Änderungen treten in Kraft,<br />
wenn das Bundesministerium für Gesundheit sie<br />
rechtlich nicht beanstandet und der G-BA die Beschlüsse<br />
im Bundesanzeiger veröffentlicht hat. Anschließend<br />
prüft noch der Bewertungsausschuss<br />
der Ärzt:innen und Krankenkassen.<br />
is.gd/videosprech<br />
AKADEMISIERUNG<br />
Nur ein Ausbildungsweg<br />
Kürzlich beantwortete die Bundesregierung eine Kleine<br />
Anfrage der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion zur Ausbildungsreform<br />
in der Physiotherapie. Demnach soll es sowohl<br />
hochschulisch als auch fachschulisch ausgebildete<br />
Physiotherapeut:innen geben. Das Bündnis Therapieberufe<br />
an die Hochschule hat darauf reagiert und betont,<br />
dass dieses Nebeneinander von zweierlei Qualifikationen<br />
für einen Beruf weder dem Gesundheitswesen zuträglich<br />
noch für die Patient:innen nachvollziehbar sei.<br />
Das Bündnis setzt sich für eine berufsfachschulische<br />
Ausbildung der Masseur:innen und Medizinischen<br />
Bademeister:innen ein. Davon abzugrenzen sei der<br />
Beruf der Physiotherapeut:innen, der zukünftig vollständig<br />
hochschulisch ausgebildet werden sollte.<br />
is.gd/zweiqualis<br />
GESAGT<br />
Die Generation Z hat erlebt,<br />
dass sich die Träume der<br />
Vorgänger von Sinnhaftigkeit,<br />
Abwechslung und Selbstverwirklichung<br />
im Arbeitsleben<br />
nicht erfüllt haben.<br />
Prof. Dr. Susanne Böhlich, Internationale Hochschule Erfurt,<br />
über Unterschiede in Mehrgenerationen-Teams<br />
(s. a. die aktuelle Titelgeschichte ab Seite 8)<br />
RATGEBER RECHT<br />
Die Pflicht zur<br />
Arbeitszeiterfassung<br />
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden,<br />
dass Arbeitszeit grundsätzlich<br />
erfasst werden muss. Rechtsanwalt<br />
Dr. Dr. Thomas Ruppel gibt einen<br />
Überblick, was jetzt zu tun ist.<br />
Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts lässt<br />
sich ableiten, dass die geleistete tägliche Arbeitszeit<br />
der Arbeitnehmer:innen zu erfassen ist. Elektronische<br />
Systeme sind sicherlich von Vorteil, da<br />
sie besser auswertbar sind als papiergebundene.<br />
Wenig geeignet sind Excel-Tabellen und Word-<br />
Dokumente, da sie manipuliert werden können.<br />
Sollen neben der reinen Arbeitszeit auch mögliche<br />
Minusstunden oder Überstunden erfasst<br />
werden, steigen die Anforderungen an die einzusetzende<br />
Technik noch einmal, weil dann auch<br />
Urlaubstage, Fortbildungen usw. einzubeziehen<br />
sind. Bestenfalls kann auch Ihre Praxisverwaltungssoftware<br />
all dies abbilden, in Optica Viva ist<br />
dies beispielsweise möglich.<br />
Praxisinhaber:innen sind dagegen als Unternehmer:innen<br />
nicht zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet.<br />
Noch nicht geklärt ist, ob auch leitende<br />
Angestellte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung<br />
ausgenommen sind.<br />
Bußgelder sind bei Verstößen eher unwahrscheinlich,<br />
aber in arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen<br />
mit Mitarbeiter:innen, etwa um<br />
die Auszahlung von vermeintlichen Überstunden,<br />
dürfte ein möglicher Verstoß der Arbeitgeber:innen<br />
gegen die dargestellten Pflichten zur Arbeitszeiterfassung<br />
relevant werden.<br />
Den Beitrag in voller Länge finden Sie hier:<br />
is.gd/arbeitszeit<br />
6 ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT ZUKUNFT PRAXIS KOMPAKT7
Diversität im Team –<br />
auch in Bezug auf das<br />
Alter – kann eine große<br />
Bereicherung sein.<br />
Konfliktfrei bleibt eine<br />
solche Zusammenarbeit<br />
aber meistens nicht.<br />
TEXT: MARTIN SCHMITZ-KUHL<br />
MEHRGENERATIONEN-TEAMS<br />
Gut<br />
gemischt<br />
Matthias Mertens ist<br />
sauer. Der 61-jährige<br />
Physiotherapeut hatte<br />
über Jahrzehnte<br />
hinweg einen herausragenden<br />
Ruf.<br />
Patient:innen wollten<br />
unbedingt zu ihm, weil sie sagten, er habe<br />
„Zauberhände“, die die Schmerzen einfach so<br />
wegmassierten. Mertens versteht sich im<br />
Wortsinne als „Handwerker“. Seine Ausbildung<br />
zum Krankengymnasten machte er in den späten<br />
1970er Jahren – zu einer Zeit, als in der<br />
Bundesrepublik noch niemand von Physiotherapie<br />
sprach oder gar auf die Idee gekommen<br />
wäre, dass man dies vielleicht auch studieren<br />
könnte.<br />
Dass Mertens sauer ist, hat mit dem zuletzt<br />
stark verschlechterten Betriebsklima in der<br />
Praxis zu tun, in der er seit mehr als 30 Jahren<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL9
arbeitet. Und weil es nicht noch schlimmer<br />
werden soll, hat er darum gebeten, hier nicht<br />
mit seinem richtigen Namen genannt zu werden.<br />
„Die würden sich doch nur wieder das<br />
Maul über mich zerreißen“, sagt er und<br />
schimpft danach über die „Grünschnäbel“, die<br />
– mit dem Bachelorabschluss frisch in der Tasche<br />
– ihm jetzt erzählen wollten, wie er seinen<br />
Job zu machen habe. Anfangs seien sie ja in der<br />
Minderheit gewesen, doch heute fühlt sich<br />
Mertens auf verlorenem Posten: Fast alle in der<br />
Praxis sind inzwischen jünger als er, die neue<br />
Praktikantin ist so alt wie sein Enkel.<br />
In der Betriebswirtschaft spricht man in<br />
solchen Fällen von Mehrgenerationen-Teams.<br />
Und wie jede Form von Diversität im Team wird<br />
sie grundsätzlich sehr positiv gesehen, ohne<br />
die damit verbundenen Herausforderungen<br />
verschweigen zu wollen. Denn wie immer,<br />
wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen,<br />
Erfahrungen, Werten und Bedürfnissen<br />
zusammenkommen, kann es dabei auch<br />
gehörig knirschen. Und es ist nicht nur Aufgabe<br />
des Teams, sondern vor allem der Teamleitung,<br />
sich diesen Herausforderungen zu stellen<br />
und dafür zu sorgen, dass die unterschiedlichen<br />
Energien in gute Bahnen gelenkt werden.<br />
Zu wissen und zu verstehen, welche diversen<br />
Erwartungen, Ansprüche, Arbeitsstile und<br />
Zielsetzungen die verschiedenen Generationen<br />
in Bezug auf ihr Arbeitsleben haben, ist wesentlich,<br />
um Mehrgenerationen-Teams erfolgreich<br />
zu führen. Denn jede Generation ist anders.<br />
Sie streng nach Jahrgängen zu definieren,<br />
ist selbstverständlich schwierig, weil nicht alle<br />
Menschen einer Generation gleich und die<br />
Übergänge fließend sind. Und doch existiert<br />
eine sogenannte Intergenerationsdifferenz.<br />
Darunter verstehen Fachleute die Differenz,<br />
die Altersgruppen in ihren unterschiedlichen<br />
Werten, Umgangsformen und Zielen erkennbar<br />
trennt. Diese Differenz führt zu andersgearteten<br />
Sichtweisen auf die Welt, sich selbst,<br />
die Erwartungen an ein gutes Leben – und damit<br />
auch an die Arbeit, die schließlich einen<br />
großen Teil der Lebenszeit einnimmt.<br />
Unterteilt werden diese Generationen heute<br />
in die sogenannten Babyboomer, die Generation<br />
X, die Nachfolgegeneration Y und schließlich<br />
die noch jüngere Generation Z. Alle vier<br />
Altersgruppen bringen nicht nur ganz verschiedene<br />
Kompetenzen und Fähigkeiten in Mehrgenerationen-Teams<br />
ein, sondern unterscheiden<br />
sich grundlegend darin, was sie von Arbeit und<br />
Teamleitung erwarten (siehe Info-Box).<br />
Deutlich wird bei einer solchen Differenzierung<br />
auch, dass es in einem Mehrgenerationen-Team<br />
um weit mehr geht als nur um „Jung<br />
und Alt“. Denn genauso wie sich die Älteren –<br />
Babyboomer und Generation X – stark unterscheiden,<br />
gilt dies für die Jüngeren: „Auf den<br />
ersten Blick wirken die äußeren Bedingungen,<br />
die die Generationen Y und Z geprägt haben,<br />
Generationenübergreifend: Mit einem starken<br />
Miteinander lassen sich die Herausforderungen<br />
einer Praxis gut bewältigen.<br />
Wie Generationen ticken<br />
Menschen sollte man nicht in Schubladen stecken.<br />
Eine Typologisierung der Generationen kann jedoch helfen,<br />
sie besser zu verstehen.<br />
Die Babyboomer –<br />
Leben, um zu arbeiten<br />
*1955 – 1965<br />
Der Babyboom vom Wirtschaftswunder bis zum<br />
„Pillenknick“ gibt den Ältesten im Team ihren Namen.<br />
In Familie, Schule und Ausbildung herrschten<br />
strenge Hierarchien. Gleichzeitig wurde diese<br />
Generation geprägt vom Streben nach Aufstieg,<br />
Besitz und Prestige. Viele Babyboomer sind freiwillige<br />
Workaholics, die sich über Auszeichnungen,<br />
Verdienst und Status definieren. Von ihrem Arbeitsplatz<br />
erwarten sie Sicherheit und klar geregelte<br />
Verantwortlichkeiten. Sie sind teamorientiert und<br />
fügen sich gut in Hierarchien ein.<br />
Die Generation X –<br />
Arbeiten, um zu leben<br />
*1965 – 1979<br />
In Kindheit und Jugend der sogenannten Generation<br />
X veränderten sich klassische Familien- und Gesellschaftsstrukturen;<br />
die 68er-Bewegung brachte<br />
den Trend zu Freiheit und Selbstbestimmung. Die<br />
Generation wuchs in Frieden und Wohlstand auf,<br />
sie ist gut ausgebildet, zeigt sich ambitioniert und<br />
ehrgeizig. Doch gleichzeitig definiert sie sich nicht<br />
vor allem über Arbeit. Eine hohe Lebensqualität<br />
bei angemessener Work-Life-Balance wird für sie<br />
immer wichtiger. Als Generation unabhängiger Individualisten<br />
erwartet sie Freiräume in der Arbeitsgestaltung.<br />
Ihre Angehörigen sind eher antiautoritär<br />
und wünschen sich flache Hierarchien.<br />
Die Generation Y –<br />
Arbeiten, um sich<br />
zu verwirklichen<br />
*1980 – 1994<br />
Die Generation Y wurde teilweise überfürsorglich<br />
erzogen. Geprägt haben sie gesellschaftliche Megatrends<br />
wie Migration, Gleichstellung, globale Vernetzung.<br />
Als erste Generation sind sie „Digital Natives“,<br />
also mit der Digitalisierung groß geworden. Angehörige<br />
dieser Generation wollen sich im Job persönlich<br />
einbringen und streben nach Selbstverwirklichung.<br />
Sie fordern Teilhabe und Mitbestimmung, persönliche<br />
Entwicklung ist ihnen wichtiger als Aufstieg.<br />
Außerdem mögen sie keine starren, hierarchischen<br />
Strukturen und schätzen stattdessen eine familiäre,<br />
vertraute Atmosphäre sowie Team-Spirit.<br />
Die Generation Z –<br />
Trennung von Arbeit<br />
und Leben<br />
*ab etwa 1995<br />
Die Generation Z hat beim Aufwachsen globale<br />
Gefahren wie Klimawandel und Terror erlebt. Das<br />
hat zu einem starken Bedürfnis nach Sicherheit und<br />
Stabilität geführt. Der Job soll auch zu den persönlichen<br />
Werten passen. Selbstverwirklichung sucht<br />
diese Generation aber nicht im Arbeitsleben. Von<br />
ihrem Arbeitsplatz erwartet sie darum vor allem eine<br />
klare Trennung von Arbeits- und Berufsleben sowie<br />
verbindliche Freizeit-Regelungen. Vertreter:innen<br />
der Generation Z wünschen sich Kollegialität,<br />
Toleranz und Wertschätzung, brauchen aber keine<br />
freundschaftliche oder gar familiäre Atmosphäre.<br />
Sinnvolle Hierarchien akzeptieren sie gut.<br />
ZUKUNFT PRAXIS TITEL11
Altersgemischte<br />
Teams führen – bei<br />
allen Vorteilen –<br />
auch immer wieder<br />
zu Konflikten.<br />
Oft mangelt es an<br />
Respekt und Wertschätzung,<br />
ohne die<br />
eine Zusammenarbeit<br />
nicht funktionieren<br />
kann.<br />
Anke Günther, Praxisinhaberin aus Hamburg<br />
miteinander vergleichbar“, erklärt Prof. Dr.<br />
Susanne Böhlich von der Internationalen<br />
Hochschule Erfurt, die über die Generationenunterschiede<br />
in der Arbeitswelt geforscht hat.<br />
Zum Beispiel sei bei beiden Generationen der<br />
Erziehungsstil der Helikopter-Eltern ausgeprägt<br />
und beide seien als „Digital Natives“ permanent<br />
in sozialen Netzwerken unterwegs.<br />
Doch es gäbe auch deutliche Unterschiede. „Die<br />
Generation Z hat erlebt, dass sich die Träume<br />
der Vorgänger von Sinnhaftigkeit, Abwechslung<br />
und Selbstverwirklichung im Arbeitsleben<br />
nicht erfüllt haben. Sie ist auf dem harten<br />
Boden der Realität angekommen“, bringt es<br />
Böhlich auf den Punkt. In ihrer Studie schreibt<br />
sie, aber auch, die Generation Z passe oft in<br />
keine Kategorie und zeige widersprüchliches<br />
Verhalten.<br />
Aber wie bringt man dann alles unter einen<br />
Hut? Wie erreicht man, dass jede:r im Team die<br />
eigenen Stärken ausspielen und gewinnbringend<br />
einsetzen kann? Als wichtigster Punkt ist<br />
hier die Entwicklung einer offenen, „gesunden“<br />
Kommunikationskultur in der Praxis zu nennen.<br />
Denn ein gemeinsamer Austausch mit<br />
festen Regeln kann den wertschätzenden Umgang<br />
zwischen den Mitarbeiter:innen fördern.<br />
Alle Seiten müssen zum Beispiel lernen, dass<br />
die jahrelange Erfahrung mit Patient:innen<br />
ebenso wichtig ist wie die neuesten wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse an den Hochschulen<br />
– und dass nur eine Kombination von beidem<br />
die jeweilige Praxis tatsächlich weiterbringen<br />
kann. Genauso wie beide Seiten lernen müssen,<br />
dass die eigenen Werte, Bedürfnisse und<br />
Ansprüche nicht wichtiger oder wahrhaftiger<br />
sind als die der anderen – und dass auch hier<br />
der Blick über den eigenen Tellerrand durchaus<br />
bereichernd sein kann.<br />
Ebenso wichtig sind jedoch gemeinsame<br />
Praxisleitlinien. Sie geben den Rahmen vor,<br />
innerhalb dessen sich die unterschiedlichen<br />
Mitarbeiter:innen bewegen und entfalten können.<br />
Dieser Rahmen sollte kein Korsett sein,<br />
aber eben auch nicht dem Motto „anything<br />
goes“ folgen. Denn wenn alle machen können,<br />
was sie wollen, wird aus dem Mit- schnell ein<br />
Nebeneinander, das auch wieder zu einem Gegeneinander<br />
werden könnte.<br />
Noch einmal zurück zu Matthias Mertens:<br />
Gefragt, ob er denn die jungen Kolleg:innen<br />
ausschließlich kritisch sehen würde, überlegt<br />
er kurz und schüttelt dann den Kopf. Der eine<br />
oder die andere würden ihn schon hin und wieder<br />
auch um Rat fragen. Und auch er lernt<br />
dazu: So hätte er anfangs die ganze Digitalisierung<br />
für „unnützen Quatsch“ gehalten, inzwischen<br />
habe er sich jedoch nicht nur daran gewöhnt,<br />
sondern wolle sie auch nicht mehr<br />
missen. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich das<br />
wohl nie hingekriegt, wenn mir die Jugend<br />
nicht dabei geholfen hätte.“ —<br />
SCHAUFENSTER GEMATIK<br />
Sprecht<br />
mit uns!<br />
Tue Gutes und rede darüber: So in etwa ist<br />
die neue Dialog-Seite zu verstehen, auf der<br />
die gematik die vielen Kommunikationsangebote<br />
darstellt, die sie für Mitarbeiter:innen<br />
des Gesundheitssystems wie auch für<br />
interessierte Laien betreibt.<br />
TEXT: MICHAEL HASENPUSCH<br />
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens<br />
gehört zu den viel diskutierten Themen der<br />
Gegenwart. Kein Wunder, schließlich ist für<br />
eine Vielzahl von Menschen – von Anästhesist:innen<br />
über Physiotherapeut:innen bis<br />
zu Zahnärzt:innen – die Gesundheit ihrer Mitbürger:innen<br />
ein wesentlicher Lebensinhalt. Je nachdem, wie eng<br />
oder weit man die Definition des Gesundheitswesens<br />
fasst, sind in Deutschland zwischen 5,8 und 7,7 Millionen<br />
darin beschäftigt. Und da die Digitalisierung jeden betrifft,<br />
kann der Diskussionsbedarf nicht überraschen.<br />
Im Fokus der Aufmerksamkeit steht oft die gematik,<br />
die als zentrale Agentur im Auftrag der Politik das Thema<br />
in Deutschland vorantreibt. Ihre Expert:innen mit Sitz<br />
in Berlin beschäftigen sich mit der Telematikinfrastruktur<br />
(TI), den sogenannten Fachanwendungen wie dem<br />
E-Rezept oder der elektronischen Patientenakte (ePA). Sie<br />
arbeiten an der Sicherheit dieser Systeme und planen die<br />
zukünftige Weiterentwicklung, die mit der verfügbaren<br />
Technik und den steigenden Ansprüchen der Nutzer:innen<br />
Schritt halten soll.<br />
Wer sich als interessierter Laie in die vielen Themen<br />
einarbeiten will, fühlt sich mindestens heraus-, wenn<br />
nicht oft überfordert. Die Vermittlung der Ziele der digitalen<br />
Gesundheitspolitik, ihrer Möglichkeiten und Herausforderungen,<br />
gehört deshalb zu den wichtigsten Aufgaben<br />
der gematik. Um dem großen Kommunikationsbedürfnis<br />
zu begegnen, bündelt sie nun auf einer eigenen Dialog-<br />
Seite ihre mittlerweile zahlreichen Angebote.<br />
„Für einen echten Mehrwert in der Praxis orientieren<br />
wir unsere Produktentwicklung an den Bedürfnissen der<br />
Nutzerinnen und Nutzer. Dazu ist es notwendig, diese in<br />
die Produktentwicklung mit einzubeziehen“, lautet dort<br />
das Motto. Entscheidend sei der Dialog mit den Anwender:innen,<br />
beispielsweise mit dem medizinischen Fachpersonal<br />
oder den Versicherten, sagt die gematik, und das<br />
ist absolut richtig.<br />
Denn die Expertise derjenigen, die täglich in den<br />
Praxen, Krankenhäusern und Laboren arbeiten, sollte<br />
genutzt und die Fragen der Patient:innen gehört werden.<br />
So gibt es bei der gematik das Team „Healthcare<br />
Insights“, das genau diesen Austausch pflegt. Vorgestellt<br />
wird ein neues Erklär-Format „gefragt – geantwortet –<br />
gematik“, in dem gematik-Mitarbeiter:innen per Video<br />
Fragen beantworten, die über soziale Medien an sie<br />
herangetragen werden. Und in der „gemmunity“, der<br />
Community der gematik, können Nutzer:innen online<br />
einander Fragen stellen und beantworten. Dies sind nur<br />
wenige Beispiele. Schauen Sie es sich an, es lohnt sich:<br />
www.gematik.de/dialog.<br />
12 ZUKUNFT PRAXIS TITEL<br />
ZUKUNFT PRAXIS THEMA 13
GAMIFICATION<br />
Auf zum<br />
nächsten Level<br />
Digitale Therapiehelfer setzen auf die motivierende<br />
Wirkung von Spielen. Die Einsatzgebiete sind vielfältig.<br />
TEXT: STEFFEN ERMISCH<br />
Innovative Therapie-Ansätze lassen die<br />
Patient:innen in virtuelle Welten eintauchen.<br />
Vom Behandlungszimmer geht es direkt ins Weltall:<br />
Mit Hilfe von Datenbrillen tauchen Patient:innen<br />
in die virtuellen Welten ein, die Gamedesigner des<br />
Düsseldorfer Start-ups Cureosity kreiert haben. Im Weltraumspiel<br />
etwa finden sich die Nutzer auf einem Planeten<br />
wieder und sollen heranrasende Meteoriten mit den<br />
Händen einfangen. Dafür gibt es jedes Mal einen Punkt im<br />
Spiel – und in der realen Welt schreitet die Rehabilitation<br />
ein Stückchen voran: „Patienten trainieren spielerisch ihre<br />
motorischen Fähigkeiten fernab des klinischen Settings“,<br />
sagt Cureosity-Gründer Thomas Saur.<br />
Inzwischen 36 verschiedene Spiele für Virtual-Reality-<br />
Brillen hat das 2018 gegründete Start-up interdisziplinär<br />
zusammen mit klinischen Partnern entwickelt. Profitieren<br />
sollen unter anderem Patient:innen mit schlaganfallbedingten<br />
Lähmungen, neurodegenerativen Erkrankungen<br />
wie Parkinson oder auch Menschen, die nach einem operativen<br />
Eingriff zu alter Beweglichkeit kommen wollen. Eine<br />
VR-Umgebung sei als Medium besonders geeignet, weil<br />
man in der Therapie mehrere Sinne ansprechen könne,<br />
sagt Saur. Die Spiele selbst wiederum sorgten dafür, dass<br />
die vormals lästigen Übungen plötzlich Spaß machten.<br />
Spiele für verschiedene Fachgebiete<br />
Mit seinem Ansatz zielt das Düsseldorfer Unternehmen<br />
vor allem auf die Physio- und Ergotherapie. Doch auch<br />
bei anderen Heilmittelerbringer:innen kommen digitale<br />
Spiele zum Einsatz. Ein Anbieter entsprechender Apps<br />
für die Logopädie ist das Münchener Start-up Limedix,<br />
das unter dem Markennamen neolexon bekannt ist. Gamification<br />
– also die Integration spielerischer Elemente –<br />
sei keine ganz neue Idee, sagt Mitgründerin Mona Späth:<br />
„Bei Kindern arbeitet man zum Beispiel schon lange mit<br />
Memory-Karten.“ Doch das analoge Therapiematerial sei<br />
nur begrenzt an die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen<br />
anpassbar und könne zu Hause nur mit Hilfe<br />
eines Dritten genutzt werden.<br />
Zwei Apps hat Neolexon bisher entwickelt. Die eine<br />
richtet sich an Kinder mit Ausspracheproblemen und ist<br />
tatsächlich wie ein Computerspiel aufgebaut. Die andere<br />
soll Menschen helfen, die nach einer Hirnschädigung<br />
unter Sprachstörungen leiden (Aphasie). Diese App ist<br />
nüchterner gestaltet, arbeitet aber ebenfalls mit spielerischen<br />
Elementen. Beide Anwendungen können von<br />
den Therapeut:innen eingestellt und dann entweder in<br />
der Therapiestunde oder zu Hause genutzt werden. „Entscheidend<br />
für den Therapieerfolg ist es, regelmäßig zu<br />
üben“, sagt Sprachtherapeutin Späth.<br />
Dass Spiele-Elemente oft eine motivierende Wirkung<br />
haben, ist unbestritten. Zahlreiche Lern-, Sport- und<br />
Produktivitätsapps wollen die Nutzer mit Level-Aufstiegen,<br />
virtuellen Trophäen und Ranglisten begeistern. Die<br />
positiven Wirkungen bei Therapie und Reha hat ein Team<br />
der Universität Düsseldorf in einer 2018 veröffentlichten<br />
Literaturrecherche zusammengetragen. Die untersuchten<br />
Studien stellten fest, dass Gamification in der Regel<br />
die Motivation der Patient:innen steigert und zu besseren<br />
oder schnelleren Ergebnissen führt.<br />
Sowohl Cureosity als auch neolexon legen Wert darauf,<br />
die jeweils richtigen Gamification-Elemente je nach<br />
Nutzergruppe zu finden. So geht es nur bei einem Teil<br />
der von Cureosity entwickelten Spiele darum, Punkte zu<br />
sammeln oder Herausforderungen zu schaffen. „Kompetitive<br />
Anreize funktionieren zum Beispiel in der Sportreha<br />
sehr gut“, sagt Firmenchef Saur. „Menschen mit Demenz<br />
würde das aber stressen.“ Manche der Spiele hätten<br />
deswegen einen entspannenden Charakter. Neolexon hat<br />
in der Aphasie-App viel mit verschiedenen Gamification-<br />
Mitteln experimentiert – und einiges wieder gestrichen.<br />
„Wir haben festgestellt, dass sich Menschen mit Aphasie<br />
durch zu viele Spiele-Elemente zu stark abgelenkt fühlen“,<br />
erklärt Gründerin Späth.<br />
Anbieter ringen um die Kostenerstattung<br />
Cureosity und neolexon gehören zu den wenigen digitalen<br />
Therapiehelfern, die als Medizinprodukte zertifiziert<br />
sind. Bei neolexon werden die Kosten meist übernommen:<br />
Im Fall der Artikulations-App für Kinder hat das<br />
Unternehmen Direktverträge mit zahlreichen Krankenkassen<br />
abgeschlossen. Die Aphasie-App kann als Digitale<br />
Gesundheitsanwendung (DiGA) verschrieben werden.<br />
Allerdings ist die Listung im DiGA-Verzeichnis noch vorläufig.<br />
Aktuell sucht neolexon Probanden für eine klinische<br />
Studie, um eine dauerhafte Kostenerstattung durch<br />
die gesetzlichen Kassen zu ermöglichen.<br />
Die Kosten für das VR-System von Cureosity werden<br />
dagegen aktuell noch nicht von den Krankenkassen<br />
übernommen. Zum Einsatz kommen die Spiele bisher<br />
in mehr als 70 Kliniken und Praxen, die dafür selbst bezahlen.<br />
Nach Einschätzung von Thomas Saur lohnt sich<br />
das auch wirtschaftlich: „Wir entlasten damit Ergo- und<br />
Physiotherapeuten – Berufsgruppen, bei denen Krankheits-<br />
und Burnout-Raten sehr hoch sind.“ Die VR-Anwendungen<br />
seien zudem beim Ringen um Nachwuchskräfte<br />
hilfreich: „Der Beruf wird damit ein bisschen<br />
cooler.“ —<br />
14 ZUKUNFT PRAXIS THEMA ZUKUNFT PRAXIS THEMA 15
Elan Fitness ist im Großraum Hannover ein Big Player<br />
auf dem Fitnessmarkt. An einem Standort hat SEBASTIAN BEHRENS<br />
nun einen eigenen Bereich für Physiotherapie aufgebaut.<br />
Herr Behrens, was ist an Ihrer Praxis<br />
anders als in anderen Praxen?<br />
Wir sind ein Fitnessstudio, an das im<br />
vergangenen Jahr eine Physiotherapiepraxis<br />
angegliedert wurde. Meistens<br />
funktioniert das ja andersherum:<br />
also, dass sich eine Praxis so<br />
vergrößert, dass daraus irgendwann<br />
ein Fitnessstudio wird.<br />
Bei Ihnen gab es aber zuerst das<br />
Studio?<br />
Genau. Elan Fitness wurde vor 40<br />
Jahren gegründet, inzwischen haben<br />
wir vier Standorte in und um Hannover.<br />
Alle Studios sind Premiumklasse,<br />
mit großem Saunabereich, Garten,<br />
Kursräumen und einem riesigen Trainingsbereich.<br />
Drei der vier Studios<br />
haben sogar ein Schwimmbad.<br />
Wie kam es dann dazu, dass in einem<br />
der Studios – dem Stammhaus<br />
in Wennigsen – auch noch eine<br />
Physiotherapiepraxis integriert<br />
wurde?<br />
Der Gründer und Geschäftsführer<br />
Christian Giesecke wollte vielleicht<br />
einfach mal wieder was Neues machen<br />
(lacht). Aber im Ernst: In den<br />
letzten Jahren hat sich das Elan ohnehin<br />
mehr und mehr zu einem<br />
ganzheitlichen Gesundheitsanbieter<br />
entwickelt. Da war die Physiotherapie<br />
ein wichtiger weiterer Schritt innerhalb<br />
dieser Entwicklung.<br />
Profitiert die Praxis von der Nähe<br />
zum Studio?<br />
Unbedingt! Darüber hinaus ist es<br />
aber auch schön, die Patient:innen<br />
sehr viel häufiger zu sehen, als das<br />
in normalen Praxen der Fall ist – einfach,<br />
weil die meisten von ihnen<br />
Kund:innen im Studio sind. Inzwischen<br />
hat sich aber auch rumgesprochen,<br />
dass wir hier gute Arbeit<br />
machen: Rund ein Drittel unserer<br />
Patient:innen kommt mittlerweile direkt<br />
zu uns – wovon mittelfristig<br />
dann natürlich auch das Studio profitieren<br />
kann.<br />
Ist geplant, dass Angebot auf andere<br />
Standorte auszuweiten?<br />
Die Gründung hier in Wennigsen war<br />
ja erst vor einem Dreivierteljahr.<br />
Aber wir haben auf jeden Fall vor, zu<br />
expandieren und auch im Bereich<br />
Physiotherapie ein großer Name zu<br />
werden. Das ist unsere Vision!<br />
Was sind die größten Hürden, um<br />
diese Vision zu verwirklichen?<br />
Stichwort: Fachkräftemangel.<br />
Ja, das ist wohl tatsächlich die einzige<br />
große Hürde. Aber ich glaube,<br />
dass wir – allein schon wegen des<br />
Studios – ein sehr attraktiver Arbeitgeber<br />
sind, sodass wir vielleicht bessere<br />
Karten haben als andere Praxen.<br />
Sie selbst haben sich ebenfalls anstellen<br />
lassen, obwohl sie viele Jahre<br />
eine eigene Praxis hatten. Wie<br />
kam das?<br />
Ja, ich habe sechs Jahre eine eigene<br />
Praxis geleitet. Aber irgendwann<br />
musste ich erkennen, dass das<br />
nichts für mich ist. Für mich war es<br />
sehr belastend, dafür verantwortlich<br />
zu sein, dass am Ende des Monats<br />
nicht nur genug Geld auf meinem<br />
eigenen Konto ist, sondern, dass ich<br />
eben auch noch für meine Angestellten<br />
und deren Familien verantwortlich<br />
bin. Hinzu kam, dass ich schon<br />
damals davon geträumt habe, im<br />
Lotto zu gewinnen und mir von dem<br />
Gewinn eine große Praxis mit angeschlossenem<br />
Studio leisten zu können.<br />
Und genau das habe ich jetzt<br />
erreicht – ohne Lottogewinn.<br />
Was ist für Sie jetzt besser als in<br />
der Selbstständigkeit?<br />
Ich liebe meinen Beruf und stecke<br />
hier in die Praxis mein ganzes Herz<br />
rein, so als wäre es meine eigene.<br />
Heute kann ich<br />
wirklich sagen,<br />
dass der Beruf<br />
des Physiotherapeuten<br />
– die<br />
Arbeit mit Menschen<br />
– mein<br />
Traumberuf ist,<br />
der mich jeden<br />
Tag sehr erfüllt.<br />
Aber jetzt habe ich eben nicht die<br />
damit verbundene Last. Und ich<br />
muss mich um vieles auch einfach<br />
nicht kümmern und kann mich auf<br />
die Therapie selbst sowie auf die<br />
Leitung der Praxis konzentrieren. Für<br />
Dinge wie Buchhaltung und Rechnungswesen<br />
haben wir hier unsere<br />
eigene Abteilung.<br />
Wie digital ist Ihre Praxis?<br />
Von der Terminierung über das<br />
Schreiben der Rechnungen bis zu<br />
den Abrechnungen mit den Kassen<br />
läuft alles über Optica Viva. Anfangs<br />
hatten wir dafür noch ein anderes<br />
Programm, dass aber einfach nicht<br />
so rund lief. Ich habe gerade erst zu<br />
meinem Chef gesagt, dass der<br />
Wechsel zu Optica wie eine Gehaltserhöhung<br />
für mich war!<br />
Sie sagten eben, dass Sie Ihren Beruf<br />
lieben. Hätten Sie auch einen<br />
Plan B für Ihr Leben gehabt?<br />
Physiotherapie ist bereits mein Plan<br />
B! Nach dem Realschulabschluss<br />
habe ich erst einmal eine Lehre gemacht<br />
und wurde Heizungsbauer.<br />
Dann hatte ich aber einen kleinen<br />
Arbeitsunfall und habe selbst Physiotherapie<br />
bekommen. Das hat<br />
mich so fasziniert, dass ich mit 26<br />
Jahren noch einmal eine neue Ausbildung<br />
begonnen habe. Heute kann<br />
ich wirklich sagen, dass der Beruf<br />
des Physiotherapeuten – die Arbeit<br />
mit Menschen – mein Traumberuf ist,<br />
der mich jeden Tag sehr erfüllt. Ich<br />
will nichts Anderes machen!<br />
16 ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN ZUKUNFT PRAXIS FRAGEBOGEN 17
IN KOOPERATION MIT<br />
Atemlos nach Corona<br />
Die dysfunktionale Atmung ist eine mögliche respiratorische<br />
Auswirkung einer Covid-19-Infektion. Ein vorwiegend thorakal<br />
betontes Atemmuster kann eine Ursache für eine Belastungsdyspnoe<br />
und damit eine respiratorisch bedingte Belastungsintoleranz sein.<br />
Atemphysiotherapeutische Übungen und Techniken helfen das<br />
physiologische Atemmuster wieder herzustellen.<br />
Zunächst empfiehlt es sich ein<br />
Problemverständnis für das<br />
veränderte Atemmuster zu<br />
entwickeln. Die Edukation sollte Informationen<br />
zur natürlichen Atmung,<br />
zur Funktionsweise des Zwerchfells<br />
und zur Verbesserung der eigenen<br />
Atemwahrnehmung beinhalten.<br />
Im nächsten Schritt sollte der<br />
Thorax aus seiner unphysiologischen<br />
Inspirationsstellung auf ein physiologisches<br />
Niveau und das Atemzugvolumen<br />
aus dem inspiratorischen Reservevolumen<br />
in die Atemmittellage<br />
gebracht werden. Hier eignen sich<br />
Ausatemtechniken wie die dosierte<br />
Lippenbremse oder die Ausatmung<br />
durch ein Strohhalmstück zur Verlängerung<br />
der Exspiration. Zum Absenken<br />
des Thorax ist die Kombination<br />
mit einem manuellen Sternalschub in<br />
kaudale Richtung durch die Therapierenden<br />
möglich.<br />
Im Anschluss gilt es, die unwillkürliche<br />
Ansteuerung des Zwerchfells<br />
und damit die abdominale<br />
Atemexkursion zu verbessern. Als<br />
Ausgangsstellung eignen sich Positionen,<br />
in denen – zum Beispiel durch<br />
die Blockierung der Kostovertebralgelenke<br />
– das Anheben des Brust-<br />
Mit passendem Wissen und geeigneten<br />
Handgriffen kann die Atmung erleichtert<br />
werden.<br />
korbs in der Einatmung gebremst<br />
und dadurch die abdominale Atembewegung<br />
unwillkürlich begünstigt<br />
wird. Dazu empfehlen sich beispielsweise<br />
therapeutische Körperstellungen<br />
wie die Rückendrehdehnlage<br />
oder die C-Lage. Ein weiterer Effekt<br />
ist hierbei die Dehnung myofaszialer<br />
Strukturen der Bauchdecke und der<br />
Flanken, die sich durch detonisierende<br />
manuelle Gewebetechniken verstärken<br />
lässt und zur Verbesserung<br />
der abdominalen Atembewegung<br />
beitragen kann.<br />
Abschließend geht es darum, die<br />
aktive und willkürlich Ansteuerung<br />
des Zwerchfells aktiv zu trainieren.<br />
Dazu empfiehlt es sich zunächst,<br />
die Atemlenkung in Richtung Bauch<br />
aus der Rückenlage mit angestellten<br />
Beinen zu schulen. Um die Ventilationssteigerung<br />
bei abdominaler<br />
Atembewegung zu üben, eignet sich<br />
die Technik der Intervallatmung nach<br />
Dorothea Pfeiffer-Kascha.<br />
Einsatz von<br />
Führungswiderständen<br />
Zur Ergänzung der aktiven Ansteuerung<br />
des Zwerchfells können am<br />
Bauch Führungswiderstände durch<br />
leichte manuelle Widerstände oder<br />
Gewichtsmanschetten oder Sandsäcke<br />
eingesetzt werden. Die vorwiegend<br />
abdominale Atembewegung<br />
soll in den Alltag integriert werden<br />
und nach dem Erlernen in der Ruheatmung<br />
auch in vertikalen Positionen<br />
und unter moderater körperlicher Belastung<br />
beibehalten werden.<br />
Den kompletten Artikel lesen Sie<br />
in physiopraxis, Ausgabe 1/2<strong>02</strong>3:<br />
is.gd/physiopr0123<br />
Neue Preise in<br />
der Physiotherapie<br />
Ab 1. März gelten in der Physiotherapie neue Preise.<br />
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Telefon: 0711 99373-2000, Telefax: 0711 99373-2<strong>02</strong>5<br />
E-Mail: info@optica.de<br />
Optica-Redaktion: Fabian Maier (V.i.S.d.P.)<br />
Verlag: Fazit Communication GmbH,<br />
Pariser Straße 1, 60486 Frankfurt am Main<br />
Konzept: Jan Philipp Rost, Martin Schmitz-Kuhl,<br />
Michael Hasenpusch, Johannes Göbel<br />
Art Direktion: Oliver Hick-Schulz<br />
Produktion: Anabell Krebs<br />
Text: Martin Schmitz-Kuhl, Michael Hasenpusch, Steffen<br />
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Fotografie:<br />
Titel + S. 3: Wesley J/peopleimages.com/stock.adobe.com<br />
/ S. 3: Optica / S. 5: VectorMine/stock.adobe.com / S. 6:<br />
WavebreakmediaMicro/stock.adobe.com /<br />
S. 7: LIGHTFIELD STUDIOS/stock.adobe.com; privat /<br />
S. 8: FatCamera/iStock / S. 10: Caiaimage/Trevor Adeline/<br />
iStock / S. 12: HAUKE HASS FOTOJOURNALIST /<br />
S. 14 Cureosity / S. 16: privat / S. 17: privat / S. 18: mi-viri /<br />
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