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159_StadtBILD_Oktober_2016

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Neißeidyll um 1905, Ansichtskarte


Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

nicht nur Touristen und Neubürger werden angenehm<br />

berührt durch die beträchtliche Anzahl Görlitzer Straßennamen,<br />

die an deutsche Schriftsteller erinnern, deren<br />

Reihe von Luther und Melanchthon über Böhme,<br />

Lessing, Wieland, Goethe und Schiller sowie Arndt und<br />

Körner bis zu Reuter und Hauptmann reicht. Einige von<br />

ihnen lebten und wirkten in der Stadt, andere hatten<br />

nur kurze Begegnungen mit ihr (Goethe, Körner, Hauptmann).<br />

Und obwohl in politischen Umsturzzeiten siegestrunkene<br />

politische Radikalinskis mit massenweisen Umbenennungen<br />

wüteten, so 1918, 1933, 1945 und 1989,<br />

blieben hier erfreulicherweise die Dichternamen immer<br />

unberührt. Etwas anderes ist es allerdings, wie heute<br />

mit diesem Erbe umgegangen wird. Wir freuen uns<br />

darüber, daß die Stadtverwaltung eine Reihe von Schulen<br />

in einen vorbildlichen baulichen Zustand versetzen<br />

konnte. Nun darf man hoffen, daß in den sanierten Räumen<br />

der Deutschunterricht seinem Namen gerecht wird<br />

und die Absolventen der Oberschulen und Gymnasien<br />

kenntnisreich und mit dem Herzen die deutsche Sprache<br />

beherrschen und gebrauchen, daß sie die Geschichte<br />

der deutschen Literatur überblicken und die Leistungen<br />

deutscher Schriftsteller dankbar in sich aufgenommen<br />

haben. Viel vermögen dabei auch Bibliotheksbesuche,<br />

Theateraufführungen und frühe Anregungen im Elternhaus.<br />

Literarische Wettbewerbe zeigten erstaunliche<br />

Ergebnisse. Andererseits aber gibt es berechtigte Klagen<br />

von Einwohnern und Gästen unserer Stadt darüber,<br />

wie im öffentlichen Raum mit Denkmälern umgegangen<br />

wird. Man bewundert mit Recht das Denkmal unseres<br />

ersten Oberbürgermeisters Gottlob Ludwig Demiani<br />

von Johannes Schilling, das an seinem nunmehr vierten<br />

Standort zwischen Theater, Kaisertrutz und Reichenbacher<br />

Turm einen würdigen Platz gefunden hat und sorgsam<br />

restauriert wurde. Viele kennen spätere Werke des<br />

Dresdener Bildhauers wie das Niederwalddenkmal am<br />

Rhein sowie das Reiterstandbild von König Johann vor<br />

der Semperoper oder die Figurengruppen auf der Brühlschen<br />

Terrasse in Dresden, und man staunt nun über<br />

das gelungene und vorbildlich erhaltene Frühwerk des<br />

Künstlers. Leider aber bleibt das eine Ausnahme. Görlitz<br />

erlebte 1942 den massenweisen Abriß von Denkmälern<br />

und Kirchenglocken für Kriegszwecke und müßte nun<br />

um so mehr bemüht sein, das Verbliebene angemessen<br />

zu pflegen. Aber das Goethedenkmal von 1902 mit der<br />

Büste von Johannes Pfuhl (auch Kriegsverlust), 1949<br />

mit einer Büstenkopie nach Rauch ergänzt, bietet ohne<br />

Brunnenbecken und Blumenrabatten stark verschmutzt<br />

einen jammervollen Anblick. Das Schillerdenkmal von<br />

1855 mit der Büste nach Dannecker an der Promenade<br />

in Blockhausnähe wird von den vorüberbrausenden<br />

Fahrzeugen kaum noch wahrgenommen. Der Brunnen<br />

mit dem Jacob-Böhme-Denkmal von Johannes Pfuhl<br />

verschwand nach 1970 in eine dunkle Ecke im Stadtpark,<br />

die Brunnenschale mit Erde gefüllt und der frühere<br />

Wasserzufluß unbrauchbar, von nächtlichen Metalldieben<br />

bedroht, eine Schande angesichts der weltweiten<br />

Bekanntheit des berühmtesten Görlitzers. Besonders<br />

schlimm stellt sich die Bronzebüste des Görlitzer Kupferstechers<br />

und Schriftstellers Johannes Wüsten von Theo<br />

Balden am heutigen Standort Ecke Johannes-Wüsten-<br />

Straße/ Joliot-Curie-Straße dar. Tiefe Schrammspuren<br />

am Hals, Krakeleien am Sockel, umrahmt von einem<br />

Abflußrohr, einem Kellerfenster und einer dunkelgrauen<br />

Steintafel mit eingetieften dunkelroten Buchstaben<br />

(unleserlich), häufig von Passanten mit allerlei Schnickschnack<br />

verunziert, auch jetzt zu seinem 120. Geburtstag,<br />

von dem man in der Stadt wohl nicht einmal Notiz<br />

nimmt. Die Hauptschuld an diesen schändlichen Zuständen<br />

fällt auf die zuständigen Behörden, die sich nicht mit<br />

Geldmangel herausreden können. Während man eine<br />

ansehnliche Summe für das umstrittene Projekt „Görlitz<br />

ART“ abzweigen konnte, interessiert das kulturelle Erbe<br />

an restlichen Denkmälern der tatsächlichen „Görlitzer<br />

Kunst“ wohl kaum noch. Es bleibt Sache der Bürger von<br />

Görlitz, die Pflichtvergessenen das Laufen zu lehren. Das<br />

meint auch<br />

Ihr Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


Johannes<br />

120. Geburtstag von<br />

Wüsten<br />

Johannes Wüsten –<br />

Johannes Wüsten 1896-1943 (Foto: Hoinkes 1930)<br />

wie leider wohl kaum anders zu erwarten,<br />

wird vermutlich der 120. Geburtstag<br />

von Johannes Wüsten am 4. <strong>Oktober</strong><br />

in Görlitz unbeachtet bleiben. Noch<br />

immer gilt, was Kurt Tucholsky 1932 in<br />

der „Weltbühne“ schrieb: „Der Mann<br />

verdiente bekannter zu sein, als er es<br />

ist – in dem steckt etwas.“ Man begegnet<br />

heute in Görlitz seinem Andenken<br />

an verschiedenen Stellen. Die Johannes-<br />

Wüsten-Straße (vorher „Kahle“) bekam<br />

1948 seinen Namen, weil sich hier sein<br />

Elternhaus und an der anderen Straßenseite<br />

sein Atelier befunden hatten.<br />

Auf dem Städtischen Friedhof liegt auf<br />

der Urnengrabstelle eine Gedenktafel.<br />

An der Ecke Johannes-Wüsten-Straße/<br />

Joliot-Curie-Straße steht eine Büste, die<br />

leider oft von Dummköpfen verschandelt<br />

wird. Sein Geburtsort war Heidelberg,<br />

aber 1897 zog die Familie des Pfarrers<br />

einer freikirchlichen Gemeinde nach<br />

Görlitz. Dort wuchs Johannes mit seinen<br />

fünf jüngeren Geschwistern auf und<br />

lebte dort (mit Unterbrechungen durch<br />

Ausbildungen, Kriegsdienst und künstlerische<br />

Tätigkeit in Hamburg) bis zu seinem<br />

Wegzug ins Exil nach Prag und Paris<br />

seit 1923. Hier hatte er seine produktivsten<br />

Jahre als Künstler, vor allem mit der<br />

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4<br />

Geschichte


Johannes<br />

Er hat uns noch viel<br />

Wüsten<br />

zu sagen<br />

Johannes Wüsten im Exil um 1938<br />

Wiederbelebung des Kupferstichs mit<br />

über 70 Motiven. Seine von Erfolgen in<br />

zahlreichen Ausstellungen im In- und<br />

Ausland und durch die Ablehnung durch<br />

das Görlitzer Spießertum geprägten Jahre<br />

bis zu Verfolgung, Verurteilung wegen<br />

„Hochverrats“ und Tod im Zuchthaus<br />

Brandenburg-Görden 1943 können hier<br />

nicht geschildert werden. Ausführliche<br />

Berichte darüber liegen in mehreren Ausstellungskatalogen<br />

vor. Nach 1933 wurden<br />

mehrere seiner Werke als „entartete<br />

Kunst“ aus den Beständen des Görlitzer<br />

Museums entfernt. Wegen der kritischen<br />

Darstellung negativer Auswüchse der<br />

bürgerlichen Gesellschaft in mehreren<br />

Kupferstichen und seiner Ablehnung von<br />

Untertanengeist, Aufrüstung und Bigotterie<br />

erntete er Ausgrenzung und Unverständnis.<br />

Bei Kriegsende schien er längst<br />

vergessen zu sein. Nur treue Freunde<br />

aus der Arbeiterbewegung und dem liberalen<br />

Bürgertum bewahrten sein Andenken<br />

und seine Kunstwerke. Das änderte<br />

sich nach 1945. Die erste Ausstellung<br />

mit erhalten gebliebenen Werken gab es<br />

1948 im Kaisertrutz. An gleicher Stelle<br />

folgte 1966 eine Personalausstellung zu<br />

seinem 70. Geburtstag, nachdem in den<br />

frühen 1950er Jahren seine Kunst auch<br />

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Geschichte<br />

5


Johannes<br />

120. Geburtstag von<br />

Wüsten<br />

Johannes Wüsten –<br />

Selbstbildnis, Tuschzeichnung 1938<br />

ins Visier unduldsamer Kulturfunktionäre<br />

wegen eines angeblichen „Formalismus“<br />

geraten war. Eine Schülerforschungsgruppe<br />

der Frédéric-Joliot-Curie-Schule<br />

(Enweiterte Oberschule) veröffentlichte<br />

ebenfalls 1966 eine Broschüre mit den<br />

von jungen Leuten gesammelten Erinnerungsberichten<br />

früherer Weggefährten<br />

des Künstlers aus der Arbeiterschaft<br />

und dem Bürgertum. Insbesondere die<br />

früheren Kampfgefährten im Widerstand<br />

bekannten sich zum Andenken Johannes<br />

Wüstens. So bekamen ideologische<br />

Nörgler in Behörden und Parteibüros<br />

Druck von unten, dem sie nachgeben<br />

mußten. Schritt für Schritt kam nun das<br />

Vermächtnis Johannes Wüstens wieder<br />

an die Öffentlichkeit. 1971 erhielt die<br />

Schule am Klosterplatz den Namen des<br />

ehemaligen Schülers (1993 rückbenannt<br />

in Gymnasium Augustum). Diese neue<br />

Hinwendung zum Erbe von Johannes<br />

Wüsten fand ihren Höhepunkt in den<br />

Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag<br />

1976. Ein wissenschaftliches Symposium<br />

zu Leben und Werk des Künstlers vereinte<br />

hochrangige Gäste aus Wissenschaft,<br />

Kunst und Politik. Ein Protokollband erschien<br />

in der Schriftenreihe des Ratsarchivs.<br />

Eine ständige Ausstellung wurde<br />

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6<br />

Geschichte


Johannes<br />

Er hat uns noch viel<br />

Wüsten<br />

zu sagen<br />

Johannes Wüsten mit Ehefrau Dorothea<br />

im Haus Neißstraße 30 eröffnet, in deren<br />

Bestand zahlreiche Schenkungen<br />

und Leihgaben aus dem Familiennachlaß<br />

und von Weggefährten einflossen. Angeschlossen<br />

waren ein Johannes- Wüsten-Archiv<br />

und ein Raum für Vorträge,<br />

Diskussionen und Studioausstellungen.<br />

Im Auftrage der Stadt schuf der bekannte<br />

Berliner Bildhauer Theo Balden<br />

(1904-1995) eine bronzene Porträtbüste;<br />

er kannte Wüsten aus dem 0skar.Kokoschka-Bund<br />

im Prager Exil. Eine erste<br />

Fassung kam in die neue ständige Ausstellung,<br />

eine etwas veränderte zweite<br />

neben den Eingang der Johannes-Wüsten-Schule.<br />

Ein „Freundeskreis Johannes<br />

Wüsten“ im Kulturbund unter Leitung<br />

des Deutschlehrers Konrad Hanslik begleitete<br />

mit regelmäßigen Veranstaltungen<br />

(Vorträge, Führungen, Streitgespräche,<br />

Unterrichtsstunden)die Aktivitäten<br />

der neuen Johannes-Wüsten-Abteilung<br />

des Museums. Verschiedene Verlage<br />

veröffentlichten nun literarische Arbeiten<br />

von Johannes Wüsten, darunter der Verlag<br />

Volk und Welt mit einer dreibändigen<br />

Auswahl des Gesamtwerkes („Tannhäuser“<br />

1976, „Verrätergasse“ 1980, „Rübezahl“<br />

1982), redigiert von Heinz Dieter<br />

Tschörtner, dem dafür der Kunstpreis<br />

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Geschichte<br />

7


Johannes<br />

120. Geburtstag von<br />

Wüsten<br />

Johannes Wüsten –<br />

Porträtbüste, erste Fassung 1976 von Theo Balden<br />

der Stadt Görlitz verliehen wurde. Vorher<br />

hatte bereits der Greifenverlag Rudolstadt<br />

den Roman „Rübezahl“ 1963 und<br />

Porträtbüste, zweite Fassung, Zustand <strong>2016</strong><br />

1966 herausgebracht. Dort folgte 1972<br />

„Drei Nächte des Jan Bockelson und anderes<br />

aus dem Erzählwerk“. Der Tribüne-<br />

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8 Geschichte


Johannes<br />

Er hat uns noch viel<br />

Wüsten<br />

zu sagen<br />

Verlag brachte 1987 „Pseudonym Peter<br />

Nikl - Antifaschistische Texte und Grafik<br />

aus dem Exil“ heraus. Eine personengebundene<br />

Arbeitsstelle des Kulturamtes<br />

veröffentlichte dann noch vier Publikationen:<br />

„Heimatliche Miniaturen“ 1991,<br />

„Auf daß ich etliche gewänne“ 1991,<br />

„Pan geht nach Amerika – Sportglossen“<br />

1992 und „Die Görlitz-Triologie-Heimatspiele“<br />

1993. Die ständige Ausstellung<br />

wurde nach 1990 geschlossen, zunächst<br />

als Lagerraum für Baumaterial genutzt<br />

und dann ohne Hinzuziehung des fachlich<br />

Verantwortlichen leergeräumt, die<br />

Exponate magaziniert, die Leihgaben<br />

zurückgeführt, das Ausstellungsmobiliar<br />

vernichtet oder weitergegeben. Der<br />

Raum wurde umbenannt in „Johannes-<br />

Wüsten Saal“, in dem es bis heute nicht<br />

einmal ein Porträt des Namenspaten<br />

gibt. Am besten, man breitet des Mantel<br />

des Schweigens über die blamablen<br />

„Wende“-Aktivitäten. Gemälde und Grafiken<br />

sind nun seit Eröffnung der „Galerie<br />

der Moderne“ im Kaisertrutz zu sehen,<br />

im bunten Gemisch mit Werken anderer<br />

Künstler unterschiedlicher Stile, darunter<br />

Theo Balden (Mitte) am Vorabend der Übergabe<br />

seiner Johannes-Wüsten-Büste, 1976<br />

die erste Fassung der Porträtbüste von<br />

Theo Balden. Die zweite Fassung wurde<br />

in der Nacht vom Sockel vor der Schule<br />

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Geschichte<br />

9


Johannes<br />

120. Geburtstag von<br />

Wüsten<br />

Johannes Wüsten<br />

DDR-Ministerpräsident Horst Sindermann besichtigt die Büste am 6.7.1985<br />

gestohlen und im Geäst eines Baumes<br />

wiederendeckt. Wie ein ausgedientes<br />

Möbelstück steht sie an der bewußten<br />

Straßenecke, anklagendes Symbol der<br />

hiesigen Kulturpolitik. Der Prophet gilt<br />

nichts in seinem Vaterland. In Görlitz<br />

bestätigt sich das mit dem weithin geschätzten<br />

Lebenswerk von Jacob Böhme<br />

und von Johannes Wüsten. Es gab aber<br />

schon manche Beispiele, daß geschmähte<br />

und vergessene Genies durch spätere<br />

Generationen wiederentdeckt wurden.<br />

Die bornierten Meinungsmacher von<br />

heute dürfen kaum auf Nachruhm hoffen.<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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10<br />

Geschichte


Andreas<br />

400. Geburtstag<br />

Gryphius<br />

von Andreas Gryphius<br />

Zwischen Weinberghaus, ehemaligem<br />

Schützenhaus und Kreuzkirche tragen<br />

die Straßen Namen schlesischer Autoren<br />

(Martin Opitz, Holtei, Eichendorff, Paul<br />

Keller, Hauptmann), und man spricht<br />

scherzhaft vom „schlesischen Dichterviertel“.<br />

Den Kenner überrascht es allerdings,<br />

daß ein Name der „Schlesischen<br />

Dichterschule“ im 17. Jahrhundert fehlt,<br />

nämlich der von Andreas Gryphius. Er<br />

war immerhin neben Martin Opitz der<br />

bekannteste und wirkungsmächtigste<br />

dieser national bedeutsamen regionalen<br />

Gruppe von deutschen Schriftstellern,<br />

Wegbereitern der späteren literarischen<br />

Aufklärung, Klassik und Romantik in<br />

Deutschland. Dieser Tage, am 2. 0ktober<br />

<strong>2016</strong>, begehen die Literaturfreunde den<br />

400. Geburtstag von Andreas Gryphius.<br />

Die Görlitzer Kulturpolitiker scheinen<br />

auch dieses Jubiläum verschlafen zu haben,<br />

obwohl es sogar einen besonderen<br />

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Geschichte<br />

11


Andreas<br />

400. Geburtstag<br />

Gryphius<br />

von Andreas Gryphius –<br />

Andreas Gryphius (1616-1664)<br />

Anlaß gäbe, auch in unserer Stadt wieder<br />

einmal an Gryphius zu erinnern. Denn<br />

das Görlitzer Gymnasium Augustum,<br />

durch die zuständige Bürokratie mit dem<br />

Annen-Gymnasium unter dem Krampfnamen<br />

„Augustum-Annen-Gymnasium“<br />

zwangsfusioniert, zählt Gryphius mit<br />

Recht zu seinen berühmtesten ehemaligen<br />

Schülern. Damit hat es seine Richtigkeit.<br />

Als Sohn eines evangelischen<br />

Pastors am 2. <strong>Oktober</strong> 1616 in Glogau<br />

geboren, erlebte er schon als Kind die<br />

Schrecken des Dreißigjährigen Krieges.<br />

Bald nach Kriegsbeginn starb sein Vater,<br />

1628 auch die Mutter. Andreas wurde<br />

nach Görlitz geschickt, um dort nach<br />

dem häuslichen Privatunterricht nun<br />

seine schulische Bildung am bekannten<br />

Gymnasium Augustum aufzunehmen.<br />

Kriegshandlungen 1631 zwangen ihn jedoch,<br />

nach Glogau zurückzukehren und<br />

schließlich in Fraustadt die Schule zu besuchen.<br />

1634 bezog er das Gymnasium<br />

in Danzig. Er wirkte dort und später auch<br />

in Schlesien als Hauslehrer in wohlhabenden<br />

Familien, studierte und lehrte an<br />

der Universität Leiden, bereiste Italien<br />

und Frankreich und arbeitete danach 14<br />

Jahre in Glogau. wo er am 15. Juli 1664<br />

starb. Für die Literaturgeschichte zählen<br />

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12<br />

Geschichte


Andreas<br />

Görlitzer Spur in<br />

Gryphius<br />

seinem Lebenslauf<br />

traf damit das Lebensgefühl<br />

seiner Zeit. Sie<br />

stehen zugleich für das<br />

Bemühen um künstlerische<br />

Vollkommenheit der<br />

Lyrik, mit der Grundlagen<br />

für nachfolgende literarische<br />

Epochen geschafen<br />

wurden. Liest man heute<br />

seine poetischen Klagen<br />

über Kriegszerstörungen,<br />

moralischen Verfall und<br />

fragwürdige Zukunftsaussichten,<br />

wird man von<br />

deren heutiger Aktualität<br />

berührt. Auch für Görlitz<br />

lohnt sich eine Wiederentdeckung<br />

zu seinem<br />

Der Brand des Krieges. Radierung von Stefano della Bella (1610-1664) 400. Geburtstag, obwohl<br />

oder gerade weil ihn die<br />

insbesondere Sonette und später eine Kriegsnöte aus der Stadt und ihrer berühmten<br />

Schule vertrieben. Vielleicht<br />

Reihe von Dramen (von denen hier zwei<br />

besonders bekannte Sonette abgedruckt findet sich doch noch einmal eine Gelegenheit,<br />

in angemessener und bleiben-<br />

sind) zeichnete er auf der Grundlage<br />

seiner eigenen bitteren Erfahrungen mit der Form an ihn zu erinnern, den Dichter<br />

den Kriegsgreueln ein düsteres, skeptisches<br />

Bild der deutschen Zustände und<br />

Dr. Ernst<br />

der „Tränen des Vaterlandes“.<br />

Kretzschmar<br />

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Geschichte<br />

13


Carl Gottlob<br />

Gottlob<br />

Moráwek –<br />

Moráwek<br />

Am 15. August 1816 wurde dem Zittauer<br />

Bürger und Gärtner Christian Gottlob<br />

Moráwek, wohnhaft Burggasse 7, ein<br />

Sohn namens Carl Gottlob geboren.<br />

Die Mutter Christiana Rosina, geborene<br />

Richter, war die zweite Ehefrau des Vaters.<br />

Die Schreibweise des Familiennamens<br />

variiert in den alten Schriften zwischen<br />

Moraweck und Morraweck. Er selbst<br />

hatte bei seinen ersten Veröffentlichungen,<br />

soweit sie überhaupt namentlich<br />

gezeichnet waren, auch noch keine<br />

feste Namensschreibweise. Auch der<br />

Vorname variiert zwischen Carl Gottlob<br />

und Karl Gottlob. Erst später legte er<br />

sich auf die Schreibweise Carl Gottlob<br />

Moráwek fest. Seine Vorfahren väterlicherseits<br />

stammen von böhmischen<br />

Exulanten (Glaubensflüchtlingen) ab.<br />

Mit der Schreibweise seines Familiennamens<br />

Moráwek bekannte er sich zu<br />

seiner böhmischen Abstammung.<br />

Von Carl Gottlob Moráweks Kindheit wissen<br />

wir nur, was er später selbst überliefert<br />

hat.<br />

Am 4. Juli 1823 kam er in die Zittauer<br />

Stadtschule unter der Leitung von<br />

Direktor Carl Wilhelm Burdach. Nach<br />

siebenjähriger Schulzeit verließ Carl<br />

Gottlob Moráwek am 29. Juni 1830 die<br />

Stadtschule. Er arbeitete danach in der<br />

Gärtnerei seines Vaters mit.<br />

Der reichlich zwanzigjährige Moráwek<br />

musste sich am 5. Dezember 1836 zur<br />

Musterung für den Militärdienst in Löbau<br />

einfinden. Per Losentscheid wurde über<br />

seine militärische Verwendung entschieden.<br />

Die Losnummer 199 brachte ihm<br />

einen sechsjährigen Reservistendienst<br />

ein.<br />

Im Jahr 1837 erschien Moráweks erste<br />

heimatgeschichtliche Arbeit unter dem<br />

Titel „Die Johanniskirche in Zittau mit<br />

dem Festzuge am Tage nach der Einweihung<br />

den 24. Juli 1837“.<br />

Am 4. Juni 1840 heiratete Carl Gottlob<br />

Moráwek die uneheliche Johanne Christiane,<br />

Tochter der Johanne Christiane<br />

Fährmann, aus Olbersdorf.<br />

Im gleichen Jahr trat Moráwek in die<br />

städtische Kommunalgarde ein.<br />

Moráwek übernahm am 8. Januar 1841<br />

das elterliche Grundstücke Burggasse 7.<br />

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14<br />

Geschichte


Carl<br />

Ortshistoriker<br />

Gottlob<br />

in ZittauMoráwek<br />

erste größere Veröffentlichung von Moráwek (1847)<br />

1845 verkaufte Moráwek das elterliche<br />

Haus und Grundstück auf der Burggasse.<br />

Im Frühjahr 1846 ersteigerte er ein<br />

Wohnhaus in der Sandgrube (später<br />

Gartenstraße, heute Moráwekstraße).<br />

Moráwek veröffentlichte über die Jahre<br />

zahlreiche kürze heimatgeschichtliche<br />

Arbeiten in Zeitungen und Zeitschriften.<br />

Im Jahr 1847 kam seine erste große<br />

und bedeutende Arbeit heraus, die „Geschichte<br />

der böhmisch-evangelischen<br />

Exulantengemeinde in Zittau“. Auf der<br />

Titelseite des Buches bezeichnete er<br />

sich selbst als „potomek Ceskych wyhnancu“,<br />

d. h. als Nachkomme böhmischer<br />

Vertriebener.<br />

In den Jahren 1848/49 erschien<br />

Moráweks heimatgeschichtliches Hauptwerk<br />

„ZITTAVIA oder: Zittau in seiner<br />

Vergangenheit und Gegenwart. In Bildern<br />

dargestellt und herausgegeben<br />

von Moritz Gabriel, mit einem chronologisch-geschichtlichen<br />

Text begleitet von<br />

Carl Gottlob Moráwek“ in zwei Teilen.<br />

Das prachtvolle, mit zahlreichen interessanten<br />

Ansichten der Stadt Zittau und<br />

der Umgebung versehene Werk gehört<br />

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Geschichte<br />

15


Carl Gottlob<br />

Gottlob<br />

Moráwek –<br />

Moráwek<br />

Moráweks Hauptwerk „Zittavia“ (1848/49)<br />

auch nach fast 170 Jahren noch zu den<br />

Grundlagenwerken der Zittauer Geschichte.<br />

Moráwek hatte von seiner Frau in reichlich<br />

neunjähriger Ehe fünf Kinder geschenkt<br />

bekommen, alle fünf waren<br />

jung verstorben. Als wenn das nicht<br />

schon des Schicksals genug gewesen<br />

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16 Geschichte


Carl<br />

Ortshistoriker<br />

Gottlob<br />

in ZittauMoráwek<br />

Veröffentlichung zu den „Kreuz- und Denksteinen“ (1854)<br />

wäre, starb 7. März 1850 auch noch<br />

seine Ehefrau an Lungenschwindsucht.<br />

Sie wurde am 12. März in aller Stille auf<br />

dem Frauenkirchhof bestattet.<br />

Unter Moráweks gärtnerischer Arbeit<br />

darf man sich aber nicht nur die tägliche<br />

Garten- oder Feldarbeit zum Anbau von<br />

Obst, Gemüse oder Getreide vorstellen.<br />

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Geschichte<br />

17


Carl Gottlob<br />

Gottlob<br />

Moráwek –<br />

Moráwek<br />

Geschichte der Zittauer Klosterkirche „St. Petri- und Pauli“ (1882)<br />

Nein, Carl Gottlob Moráwek war vor allem<br />

Kunstgärtner. Seine Haupttätigkeit<br />

bestand darin, kunstvolle Gärten und<br />

prächtige Parks, sogenannte Lustgär-<br />

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18<br />

Geschichte


Carl<br />

Ortshistoriker<br />

Gottlob<br />

in ZittauMoráwek<br />

ten, für interessierte und wohlhabende<br />

Grundstücksbesitzer zu entwerfen und<br />

auszuführen. Nach eigener Auflistung<br />

legte Moráwek in rund 50 Jahren mehr<br />

als 100 Lustgärten in Zittau und der<br />

Umgebung an.<br />

Am 13. Februar 1851 heiratete er<br />

zum zweiten Mal, diesmal Magdalena<br />

Schramm, Tochter eines bereits verstorbenen<br />

Gartenbesitzers aus Dubrauka bei<br />

Baruth. Sie gebar ihm in den nächsten<br />

Jahren zwei Kinder, beide starben jung.<br />

1854 erschien Moráweks kleine Schrift<br />

„Einige Nachrichten über die in Zittau<br />

und der Umgebung befindlichen Kreuzund<br />

Denksteine“.<br />

Moráwek war mit zunehmendem Alter<br />

und Lebenserfahrungen offensichtlich<br />

immer mehr mit den herrschenden gesellschaftlichen<br />

und politischen Zuständen<br />

in Stadt und Land, wie auch mit der<br />

hierzulande vorherrschenden evangelisch-lutherischen<br />

Kirche unzufrieden.<br />

Dem neu gegründeten Arbeiterbildungsverein<br />

in Zittau trat Moráwek in diesem<br />

Jahr bei, 1874 wurde er sogar in den<br />

Vorstand berufen.<br />

Da er keine eigenen Nachkommen hatte,<br />

legte Moráwek im Jahr 1876 fest, dass<br />

nach seinem Tod seine Bibliothek an die<br />

Zittauer Stadtbibliothek fallen soll.<br />

1882 veröffentlichte er seine Arbeit „Die<br />

Kirche zu St. Petri und Pauli in Zittau“.<br />

1890 erschien Moráweks Publikation<br />

„Die Dreifaltigkeitskirche zu Zittau“.<br />

In jahrzehntelangem Schaffen schrieb<br />

Moráwek hunderte von Gedichten,<br />

Glückwunsch- und Gedenkschriften für<br />

Freunde, Bekannte und wohl auch jedermann,<br />

der es wollte.<br />

Am 18. November 1893, nachts gegen<br />

¾ 2 Uhr starb Moráweks zweite Ehefrau<br />

Magdalene im Alter von 72 Jahren.<br />

Zur am 16. Mai 1894 im Bürgersaal des<br />

Zittauer Rathauses stattfindenden 182.<br />

Hauptversammlung der Oberlausitzischen<br />

Gesellschaft der Wissenschaften<br />

zu Görlitz war Carl Gottlob Moráwek als<br />

Ehrengast eingeladen. Dies stellte eine<br />

Anerkennung seiner heimatgeschichtlichen<br />

Forschungen und Veröffentlichungen<br />

dar.<br />

Nach kurzer schwerer Krankheit verstarb<br />

Carl Gottlob Moráwek am Neujahrstag<br />

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Geschichte<br />

19


Carl Gottlob<br />

Gottlob<br />

Moráwek –<br />

Moráwek<br />

Porträt von Carl Gottlob Moráwek (1892)<br />

1896, einem Mittwoch,<br />

abends gegen 10 Uhr. Unter<br />

großer Anteilnahme der<br />

Zittauer wurde Carl Gottlob<br />

Moráwek am 6. Januar<br />

1896 nach deutsch-katholischem<br />

Ritus auf dem<br />

Frauenkirchhof bestattet.<br />

Moráwek war knapp 80<br />

Jahre alt geworden.<br />

Mit ihm verlor die Stadt<br />

Zittau einen ihrer bedeutendsten<br />

Geschichtsforscher.<br />

Viele seiner Veröffentlichungen<br />

sind auch heute<br />

noch, 200 Jahre nach seiner<br />

Geburt und 120 Jahre<br />

nach seinem Tod, Grundlagenwerke<br />

der Geschichtsforschung.<br />

Sein schriftlicher Nachlass<br />

befindet sich heute<br />

im Wissenschaftlichen und<br />

Heimatgeschichtlichen Altbestand<br />

der Christian-Weise-Bibliothek<br />

Zittau.<br />

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20<br />

Geschichte


Carl<br />

Ortshistoriker<br />

Gottlob<br />

in ZittauMoráwek<br />

Seine Grabstätte befindet<br />

sich noch immer auf<br />

dem Frauenkirchhof. Einen<br />

Gedenkstein gibt es<br />

auf dem Klosterhof, ein<br />

Denkmal mit einer Porträtbüste<br />

Moráweks steht<br />

in den Grünanlagen an der<br />

Ludwigstraße. Moráweks<br />

Wohnhaus an der einstigen<br />

Sandgrube bzw. Gartenstraße<br />

wurde im Frühsommer<br />

1903 abgebrochen,<br />

dafür steht dort jetzt ein<br />

Gedenkstein, und die Straße<br />

trägt seit <strong>Oktober</strong> 1903<br />

seinen Namen.<br />

Uwe und Daniela Kahl,<br />

Zittau<br />

Nachruf des Arbeiter-Bildungs-Vereins Zittau (1896)<br />

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Geschichte<br />

21


Blumenhaus Elsasser<br />

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110 Jahre ehemaliges Blumenhaus Elsasser –<br />

A<br />

Gründerin Martha Elsasser<br />

Von einer Tante beigebrachte Bindekunst,<br />

eröffnete am 6.10.1906 Martha Elsasser,<br />

Mutter von zwei Söhnen, die „Blumenhalle“<br />

Elsasser. So nannte sie ihr Geschäft<br />

Mittelplatz 4 mit einer 2-Raum-Wohnung<br />

daran. Dies war ein mutiger Schritt der<br />

Gründerin, denn über 40 Blumengeschäfte<br />

und viele Wochenmarktstände ließen<br />

ein Überangebot dieses Berufszweiges<br />

erkennen. 1927 verstarb die Gründerin<br />

Martha, leider viel zu früh. So musste<br />

der Ehemann mit einer angestellten Binderin<br />

den Betrieb über Wasser halten.<br />

Der plötzliche Tod von Martha Elsasser<br />

brachte auch wirtschaftliche Missstände<br />

in Form von Schulden. Sechs Jahre später<br />

heiratete der Kurt Elsasser seine Frau<br />

Charlotte, die 1933 den Beruf einer Blumenbindern<br />

noch erlernte und 1935 zur<br />

Meisterin gekürt wurde Von da an ging<br />

es wieder wirtschaftlich bergauf. Feiertag<br />

und besonders der Totensonntag waren<br />

damals die Hauptumsatzgeschäfte. So<br />

wurden grundsätzlich die Nächte zum<br />

Bußtag und Totensonntag durch gearbeitet.<br />

Dass kostete viel Kraft der Meisterin,<br />

zumal inzwischen 3 Kinder zur Familie gehörten.<br />

Aber Charlotte Elsasser schaffte<br />

es erfolgreich, bis sie mit 63 Jahren am<br />

1.2.1969 den Betrieb nach langer Überle-<br />

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22 Geschichte


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Blumenhaus<br />

heute Floristen-Atelier in<br />

Elsasser<br />

Görlitz<br />

Gründerin mit der Lehr-Tante, 1906<br />

gung in die Produktions-Genossenschaft<br />

einbrachte. Damit sicherte sie den Fortbestand<br />

des Unternehmens, da systembedingt<br />

die vorhandenen Gärtnereien<br />

großenteils auch Mitglieder in einer landwirtschaftlichen<br />

Genossenschaft waren<br />

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Geschichte<br />

23


Blumenhaus Elsasser<br />

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110 Jahre ehemaliges Blumenhaus Elsasser –<br />

A<br />

Bühnendekorationin der Stadthalle, 1996<br />

bzw. einer GPG angehörten. Nur wenige<br />

private Gärtner blieben übrig, die den<br />

Blumen- und Pflanzenbedarf für private<br />

Blumengeschäfte nicht decken konnten.<br />

Was nützt dann das meisterliche Können,<br />

wenn man kaum Ware hatte?<br />

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24 Geschichte


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Blumenhaus<br />

heute Floristen-Atelier in<br />

Elsasser<br />

Görlitz<br />

Ab Februar 1969 war dann die Tochter<br />

Jutta Schwabe Geschäftsführerin des<br />

Blumenhauses „Mitte“ Luisenstr. 14 in<br />

Görlitz. Frau Schwabe war zu dieser Zeit<br />

schon 3 Jahre Blumenbindemeisterin.<br />

Leider war die Abhängigkeit von der Warenlieferung<br />

der LPG Gärtnerei so stark,<br />

dass Ideen und Weiterentwicklungen des<br />

Meisterbetriebes abrupt von der LPG Leitung<br />

verworfen wurden. Die Warenqualität<br />

der Lieferer ließ nach, und es standen<br />

nur noch betriebswirtschaftliche Belange<br />

der Gewinnmaximierung im Vordergrund.<br />

Dann kam zum Glück des Betriebes die<br />

politische Wende. Nach kurzer Beratung<br />

im Familienrat beschloss 1990 Frau<br />

Schwabe, sich wieder zu privatisieren.<br />

Da der elterliche Laden zwischenzeitlich<br />

geschlossen war, begann aber nun ein<br />

Kampf um neue Gewerberäume mit dem<br />

zuständigen Gewerbeamt bei der Stadt<br />

Görlitz. Der damalige Leiter des Amtes<br />

ließ Frau Schwabe zwar wöchentlich<br />

nachfragen, vergab aber vorgeschlagene<br />

Objekte unter mysteriösen Umständen<br />

an andere Bewerber. So half damals<br />

Herr Joachim Rudolph, ein Mitglied vom<br />

Übergabe an die vierte Generation, 2004<br />

„Runden Tisch” in Görlitz, dass sie letztendlich<br />

das Objekt Hospitalstr. 10 mieten<br />

konnte. Nach enormen Investitionen und<br />

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Geschichte<br />

25


Blumenhaus Elsasser<br />

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110 Jahre ehemaliges Blumenhaus Elsasser –<br />

A<br />

Blumengesteck<br />

Baumaßnahmen konnte am 1.7.1991 das<br />

„Floristen-Atelier” eröffnen. Gleichzeitig<br />

feierte die Meisterin ihr 25 jähriges Meisterjubiläum.<br />

Nun konnte die 3. Generation<br />

der Firmengründerin Martha Elsasser<br />

wieder freischaffend und selbständig arbeiten.<br />

Neben cler täglichen Schmuckund<br />

Trauerbinderei waren die Bühnendekorationen<br />

zu Tanzturnieren und anderen<br />

Bällen in der Stadthalle eine besondere<br />

Herausforderung an die Blumenbindemeisterin.<br />

Aber auch andere soziale Projekte<br />

wurden durch die Firma unterstützt<br />

wie der Radsport, die Gewichtheber und<br />

als Sponsor der Tennisverein Görlitz sowie<br />

das Altenheim Bethanien. So wurde<br />

manche Nacht zum Tage bei der Bewältigung<br />

der Arbeitsaufgabe, wobei stets<br />

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26<br />

Geschichte


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Blumenhaus<br />

heute Floristen-Atelier in<br />

Elsasser<br />

Görlitz<br />

Heike, vierte Generation, auf dem Tippelmarkt<br />

die gestalterischen Ideen und Einfälle aus<br />

den Erfahrungen bei der lGA Erfurt nur so<br />

purzelten.<br />

Am 1. Juli 2004 wurde das Unternehmen<br />

an die mittlerweile vorhandene 4. Generation<br />

der Firmengründerin übergeben.<br />

Heike Bergmann, geborene Elsasser, ist<br />

heute Geschäftsinhaberin und führt das<br />

Unternehmen fort. Den wirtschaftlichen<br />

Notwendigkeiten folgend, wurde das Sortiment<br />

um den Handel mit Tee als weiteres<br />

Standbein erweitert. Damit dürfte das<br />

ehemalige Blumenhaus Elsasser eines<br />

der ältesten Blumengeschäfte der Stadt<br />

Görlitz sein und kann mit Görlitz auf eine<br />

lange Firmengeschichte zurückblicken.<br />

Altmeisterin Jutta Schwabe,<br />

geb. Elsasser, Görlitz<br />

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Geschichte<br />

27


Ratsarchivar<br />

Innungslade der Messerschmiede –<br />

Im Monat September kann ich Ihnen<br />

aus dem Ratsarchiv nicht nur einen<br />

Schatz, sondern sogar die dazugehörige<br />

Schatztruhe präsentieren, um es einmal<br />

im wahrsten Sinne des Wortes „messerscharf“<br />

zu formulieren. Denn in besagter<br />

Innungslade befand sich tatsächlich<br />

der schriftliche Nachlass des letzten<br />

Görlitzer Messerschmiedemeisters, des<br />

nun leider verstorbenen Fritz Lattka.<br />

Von 1952 bis 2007 führte er das Geschäft,<br />

die Schleiferei und die Messerschmiede.<br />

Wohl jeder Görlitzer kannte<br />

es. Bereits sein Großvater Anton Lattka<br />

hatte im Juni 1907 die Messerschmiede<br />

auf der Weberstraße 8 erworben. Allerdings<br />

befand sich schon damals dieses<br />

traditionsreiche Handwerk im Niedergang.<br />

Nur die Meister Hugo Bundschuh<br />

(Neißstraße 8) und Richard Kügler (Langenstraße<br />

36) fertigten neben ihm verhältnismäßig<br />

teure, aber absolut hochwertige<br />

Messer. Das Schleifereigeschäft<br />

wurde freilich immer bedeutsamer für<br />

deren Existenz. Denn Messer aller Art<br />

wurden seit dem 19. Jahrhundert zunehmend<br />

industriell und eben sehr viel<br />

preiswerter gefertigt. Im Mittelalter<br />

hatten sich die „Messerer“ aus dem Eisenschmiedehandwerk<br />

spezialisiert. Sie<br />

fertigten im Gegensatz zu den Klingenoder<br />

Waffenschmieden einschneidige<br />

Hieb- und Stichwaffen, Messer aller Art,<br />

besonders aber Dolche, Haumesser und<br />

Waidmesser. „Das Messer sei länger<br />

als der Tegen (der Dolch) und kürzer<br />

als das Swert“, heißt es in Thalhofers<br />

Fechtbuch. Frühe Zentren dieses Handwerks<br />

lagen in Nürnberg, Regenburg,<br />

Solingen und Steyr.<br />

Der erste nachweisbare Görlitzer Messerschmied<br />

ist ein Mann namens Noldener,<br />

welcher im Jahre 1420 das Görlitzer<br />

Bürgerrecht erwarb. Die hiesigen<br />

Messerschmiede produzierten wohl<br />

wesentlich für den regionalen Markt.<br />

Denn im gesamten 17. Jahrhundert<br />

erwarben lediglich 9 Messerschmiede<br />

das Bürgerrecht. Eine eigenständige<br />

Innung der Messerschmiede ist erst<br />

seit dem Jahre 1563 nachweisbar. Aus<br />

den überlieferten Innungsartikeln wird<br />

ersichtlich, wie lange es dauerte, um<br />

dieses komplizierte Handwerk zu erler-<br />

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28<br />

Geschichte


Ratsarchivar<br />

Schätze des Ratsarchivs<br />

Das kostbare Sammlungsobjekt<br />

nen und das Meisterrecht zu erwerben.<br />

Nach der Lehrzeit musste der Geselle<br />

wenigstens ein Jahr lang wandern und<br />

zwei Jahre bei einem Görlitzer Meister<br />

in der Werkstatt arbeiten. Dann sollten<br />

drei „Scheidenmesser“ sowie insgesamt<br />

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Geschichte<br />

29


Ratsarchivar<br />

Innungslade der Messerschmiede<br />

einhundert „Deutsche, Rheinische und<br />

Fusklingen“ als Meisterstücke vorgelegt<br />

werden. Wenige Jahre später erbat der<br />

Görlitzer Rat von der Stadt Dresden deren<br />

Handwerksordnung. Aus jener wird<br />

sehr deutlich ersichtlich, dass die Messerschleifer<br />

der Residenzstadt schon bei<br />

den Meisterstücken ein weitaus höheres<br />

handwerkliches Geschick nachzuweisen<br />

hatten. Denn sie fertigten besonders<br />

kunstvolle Stücke für den kurfürstlichen<br />

Hof und den repräsentationshungrigen<br />

Adel.<br />

Im Jahre 1730 kam es in der Görlitzer<br />

Zunft zu heftigen Streitigkeiten<br />

zwischen den nunmehr spezialisierten<br />

Messerschmieden und Schleifern.<br />

Die Ursachen lagen wohl wesentlich<br />

in persönlichen Animositäten, die aus<br />

übertriebenem Stolz und Eitelkeit resultierten<br />

und zur Trennung der beiden Gewerke<br />

führten. Immerhin erfahren wir<br />

aus der Akte, dass der Zunft lediglich<br />

11 Meister angehörten. Ihr politisches<br />

Gewicht war in der Stadt wohl deshalb<br />

sehr gering. So findet man ab 1849 die<br />

vereinigte Innung der Schleifer, Messer-<br />

und Zeugschmiede. Die Zeugschmiede<br />

produzierten Bohrer, Sägen, Zangen<br />

und andere Metallwerkzeuge.<br />

Fritz Lattka war übrigens von 1957 bis<br />

1975 Obermeister der Innung der Messerschmiede<br />

und Instrumentenschleifer<br />

des Bezirkes Dresden. Als er sich<br />

kritisch über die Handwerkspolitik der<br />

DDR, besonders die Preisbildung, äußerte,<br />

wurde er durch die Handwerkskammer<br />

dieses Amtes enthoben. Aber<br />

Schmiede waren immer schon stolze,<br />

ehrliche, oft auch politisch für die Obrigkeit<br />

unbequeme Männer. Dank sei<br />

an dieser Stelle seiner Familie gesagt,<br />

welche diese überaus wertvollen Zeugnisse<br />

seines Schaffens und dieses alten<br />

Handwerks dem Ratsarchiv übergab.<br />

Siegfried Hoche,<br />

Ratsarchivar<br />

Berichtigung. Im Vorwort zum Septemberheft<br />

kam es infolge eines Übertragungsfehlers zu einer<br />

falschen Schreibweise des Flußnamens „Queis“,<br />

dem ein „e“ angefügt wurde; dies bitten wir zu<br />

entschuldigen.<br />

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30<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

incaming media GmbH<br />

Geschäftsführer:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />

02826 Görlitz<br />

Ruf: (03581) 87 87 87<br />

Fax: (03581) 40 13 41<br />

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www.stadtbild-verlag.de<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Verantw. Redakteur:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

(Mitglied im Deutschen<br />

Fachjournalistenverband)<br />

Redaktion:<br />

Dr. Ernst Kretzschmar,<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />

Dr. Ingrid Oertel<br />

Anzeigen verantw.:<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Mobil: 0174 - 31 93 525<br />

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Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

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Auffassung des Herausgebers wider. Anzeigen<br />

und redaktionelle Texte können<br />

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Herausgebers verwendet werden<br />

Anzeigenschluss für die November-<br />

Ausgabe: 15. <strong>Oktober</strong> <strong>2016</strong><br />

Redaktionsschluss: 20. <strong>Oktober</strong> <strong>2016</strong><br />

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