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152_StadtBILD_Maerz_2016

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Bei unseren klassischen Dichtern, vielen jüngeren<br />

Zeitgenossen kaum noch bekannt, findet sich mancher<br />

Satz über die Bedeutung von Namen. „Name<br />

ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut“, so<br />

schrieb Goethe in seiner Faust - Dichtung. In seinen<br />

Gesprächen mit Sekretär Eckermann räumte er<br />

allerdings ein: „Ein Name ist nichts Geringes.“ In<br />

Schillers „Siegesfest“ lesen wir „Wenn der Leib in<br />

Staub zerfallen, lebt der große Name noch“. Um<br />

Namen von Straßen, Plätzen, Schulen und Orten<br />

gab es auch in Görlitz und Umgebung über die Jahrhunderte<br />

hinweg viel Hin und Her zwischen Dankbarkeit<br />

und Verletzung. Zuerst trugen Gassen und<br />

Plätze die Namen von Berufsgruppen (Zunftordnung),<br />

Kirchenheiligen oder Nachbarorten. Im 19.<br />

Jahrhundert folgten Namen von Landesherren und<br />

ihren Frauen, aber auch von verdienten Kommunalpolitikern<br />

und Unternehmern. Radikale Eingriffe<br />

mit einer Vielzahl von Umbenennungen gab es<br />

nach den politischen Umbrüchen von 1918, 1933,<br />

1945 und 1989. Die jeweiligen politischen „Sieger“<br />

empfanden dies allzu selbstsicher als Zeichen einer<br />

neuen Zeit. Nie wurde die Bevölkerung befragt.<br />

Betroffen waren nicht nur Straßen und Plätze, sondern<br />

ganze Ortschaften. Der radikalste Angriff auf<br />

historisch Gewachsenes und Ehrwürdiges war die<br />

Umbenennung von über 60 Orten in den Kreisen<br />

Görlitz, Hoyerswerda, Lauban und Rothenburg in<br />

der preußischen Oberlausitz, um slawische Spuren<br />

auszulöschen und die NS - Geschichtsaufassung<br />

durchzusetzen. Nach diesen unerfreulichen<br />

Erfahrungen verfolgen viele ältere Mitbürger den<br />

öffentlichen Meinungsstreit über den Namen „Berzdorfer<br />

See“. Immerhin erinnert das geflutete frühere<br />

Braunkohletagebaugebiet an einen Kernpunkt<br />

der historischen wirtschaftlichen Struktur. Die über<br />

hundertjährige Tradition unserer Industrie mit starkem<br />

Exportanteil von Spitzenerzeugnissen prägte<br />

bis 1990 das internationale Ansehen, die Bevölkerungsstruktur<br />

und die Einwohnerzahl von Görlitz.<br />

Generationen von Arbeitern, Angestellten, Ingeneuren<br />

und ihre Familien fanden hier gesicherte<br />

Arbeitsplätze und eine gesunde Infrastruktur. Mit<br />

den Eingriffen der „Treuhand“ wurde der Stadt das<br />

wirtschaftliche Rückgrat gebrochen. Massenarbeitslosigkeit<br />

und ein Rückgang der Bevölkerungszahl<br />

auf fast die Hälfte durch Wegzug hinterließen<br />

tiefe Spuren, und dieser Tage gibt es besorgte<br />

Gespräche über die Zukunft des einst berühmten<br />

Waggonbauwerkes. Wenn, wie von kapitalkräftigen<br />

Investoren gewünscht, sogar die Erinnerung an das<br />

Energiekombinat Hagerwerder/Berzdorf und damit<br />

auch an tausende Beschäftigte durch eine Umbenennung<br />

des Sees ausgelöscht, werden soll, ist<br />

das keine belanglose Fußnote der Stadtgeschichte.<br />

Das ausschließlich marktwirtschaftlich und profitorientiert<br />

begründete Vorgehen mißachtet Denken<br />

und Gefühle der hiesigen Bevölkerung und erinnert<br />

peinlich an die genannten früheren Eingriffe in das<br />

gewachsene historische Selbstverständnis durch<br />

die jeweiligen „Sieger“. Es wäre zugleich eine neue<br />

Auflage der zahlreichen Görlitzer Provinzpossen in<br />

jüngerer Vergangenheit. (Niemand in Berlin käme<br />

auf die Idee, Wannsee oder Müggelsee umzubenennen.<br />

Kein Konstanzer will den Stadtnamen auf<br />

den Bodensee übertragen.) Vor 70 Jahren wurden<br />

über zehn Millionen Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben.<br />

Wir fanden hier ein neues Zuhause. Wir<br />

wollen aber, nur einer winzigen Minderheit von Investoren<br />

zuliebe, nicht auch noch aus unserer Geschichte<br />

vertrieben werden. So empfindet es Ihr<br />

Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


100.<br />

Vor Jahren<br />

Kreuzkirche<br />

Behelfs-Gemeindehaus, Kunnerwitzer Straße 26, ehemals “Konkordiensaal”<br />

einer Tanzgaststätte um 1905 (Fotos: Robert Scholz)<br />

Bei schönstem Sonnenschein wurde am<br />

18. August 1913 der Grundstein für eine<br />

neue evangelische Kirche in der Görlitzer<br />

Südstadt gelegt. Ansonsten war es<br />

eine Zeit von strömendem Regen, bei<br />

dem auch der erste Spatenstich vollzogen<br />

werden musste. So schildert es<br />

Pastor Georg Bornkamm, der den Bau<br />

der Kreuzkirche bis zur ihrer Einweihung<br />

am 9. März 1916 begleitete. Das Wet-<br />

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4 Geschichte


100.<br />

wurde die<br />

Jahre<br />

Görlitzer Kreuzkirche eingeweiht<br />

Blick von der Südwestseite, 1916<br />

ter spiegelt gut die Zeit selber, in der<br />

das neue Gotteshaus entstand. Geplant<br />

wurde sie mit allem Aufwand der Kaiserzeit.<br />

Gebaut wurde sie am Vorabend<br />

des 1. Weltkriegs. Und am Kirchweihtag<br />

spricht Bornkamm in der Predigt über<br />

den Namen der Kirche: „Von einer Friedenskirche<br />

haben viele geträumt. Eine<br />

Kreuzkirche ist sie geblieben und soll sie<br />

bleiben.“ Nicht nur die Diskussionen um<br />

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Geschichte<br />

5


100.<br />

Vor Jahren<br />

Kreuzkirche<br />

Kreuzkirche noch auf freiem Feld, 1916<br />

die neue Kirche, sondern vor allem die<br />

Sehnsüchte und Nöte der Kriegsgeneration<br />

sind in diesem Satz verdichtet.<br />

Doch der Reihe nach: Die Südstadt<br />

war allein zwischen 1895 und 1897 um<br />

mehr als 10000 Einwohner gewachsen.<br />

Für die evangelischen Christen musste<br />

ein Gottesdienstort gefunden werden.<br />

Übergangsweise konnte ein Saal an<br />

der Kunnerwitzer Straße diese Aufgabe<br />

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6 Geschichte


100.<br />

wurde die<br />

Jahre<br />

Görlitzer Kreuzkirche eingeweiht<br />

übernehmen. Doch der Bau einer eigenen<br />

Kirche war das Ziel. Nach einiger<br />

Zeit der Vorplanungen konnte 1910 ein<br />

Ideenwettbewerb ausgeschrieben werden.<br />

Aus den 109 eingegangenen Entwürfen<br />

wurde schließlich das Konzept<br />

des Dresdner Architekten Rudolf Bitzan<br />

umgesetzt. Im Gegensatz zur wenige<br />

Jahre zuvor entstandenen Lutherkirche<br />

und zur katholischen Jakobuskirche<br />

plante er nicht in historistischem Stil,<br />

sondern verband gestalterisch den Jugendstil<br />

mit Neoklassizismus und Moderne.<br />

Zudem gestaltete er ein Ensemble,<br />

das neben dem eigentlichen Kirchengebäude<br />

auch zwei Pfarrhäuser mit Sälen<br />

und Küsterwohnung umfasst.<br />

Nach dem Baubeginn schritten die Arbeiten<br />

schnell voran, sodass schon<br />

1914 der Turm aus Beton fertiggestellt<br />

und die drei Stahlglocken aufgezogen<br />

werden konnten. Auch die Pfarrhäuser<br />

waren bereits bezugsfertig. Im ersten<br />

Kriegsjahr erfolgten dann die künstlerische<br />

Ausformung des Kirchenraumes<br />

sowie die Landschaftsgestaltung der<br />

Umgebung.<br />

Als 1916 das Gotteshaus feierlich seiner<br />

Bestimmung übergeben wurde, war ein<br />

weiter Raum entstanden, der über 1000<br />

Plätze bot. „Schlechte Plätze“ gibt es<br />

nicht, da die Halle pfeilerlos ist und die<br />

Bankreihe nach hinten leicht ansteigen.<br />

Für eine Kirche ungewöhnlich ist die Positionierung<br />

der Kanzel und der Orgel.<br />

Bitzan setzte den Ort der Predigt in die<br />

Mitte, direkt an die Altarstufen. Dahinter<br />

erhebt sich – wiederum durch Stufen<br />

erhöht – der ovale Altar aus grünem<br />

Marmor, überhöht von einem überdimensionalen<br />

weißen Marmorkreuz. Auf<br />

beiden Seiten sind die Pfeifen der Orgel<br />

angeordnet. Hinter dem Kreuz ist die<br />

Empore für den Chor angelegt, in deren<br />

Halbrund bunte Fenster das Morgenlicht<br />

durchlassen.<br />

Auf dieser Empore wurde 1972 die einzige<br />

größere Neuerung in der Kirche<br />

eingebaut: Eine neue Orgel. Während<br />

die Schauseiten der Sauer-Orgel von<br />

1916 erhalten blieben, versuchte Hans<br />

Eule aus Bautzen sein Instrument in<br />

schlichter Kreuzform einzupassen. Große<br />

Renovierungen fanden in den 1980er<br />

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Geschichte<br />

7


100.<br />

Vor Jahren<br />

Kreuzkirche<br />

Georg Bornkamm, erster Pfarrer der Kreuzkirche<br />

Jahren statt. Seit 2013<br />

wird das Ensemble mit<br />

dem Doppelpfarrhaus<br />

erneut saniert. 2014<br />

konnte der Holzwurm<br />

bekämpft werden, 2015<br />

hat die Kirche ein neues<br />

Dach bekommen. Diese<br />

Maßnahmen wurden<br />

dankenswerterweise<br />

durch Bund und Freistaat<br />

sowie durch die<br />

Altstadtstiftung Görlitz<br />

gefördert. So präsentiert<br />

sich die Kreuzkirche<br />

als außergewöhnliches<br />

Denkmal von hohem<br />

kunsthistorischem Wert.<br />

Sie ist seit 100 Jahren<br />

das geistliche Zentrum<br />

der Evangelischen<br />

Kreuzkirchengemeinde.<br />

Heute gehören zu ihr ca.<br />

1900 Gemeindeglieder,<br />

die zwischen Bahnhof<br />

und Landeskrone wohnen.<br />

Die Kreuzkirche ist<br />

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8 Geschichte


100.<br />

wurde die<br />

Jahre<br />

Görlitzer Kreuzkirche eingeweiht<br />

der Ort der Gottesdienste<br />

an allen Sonn- und<br />

Feiertagen sowie ein<br />

gefragter Konzertort in<br />

Görlitz.<br />

Wiewohl die Kirche<br />

unweit der Biesnitzer<br />

Straße mit der Straßenbahn<br />

liegt, spürt man<br />

an ihrem Ort, dass hier<br />

eine geplante Stadtentwicklung<br />

unterbrochen<br />

wurde. Eine Ausbreitung<br />

der Südstadt um die<br />

Kreuzkirche machte der<br />

1. Weltkrieg zunichte.<br />

So ist das Gotteshaus<br />

immer noch von drei<br />

Seiten durch Grünflächen,<br />

Kleingärten und<br />

den Kreuzkirchenpark<br />

umgeben, dessen 100.<br />

Jubiläum ebenfalls <strong>2016</strong><br />

gefeiert wird.<br />

Zum 100. Jubiläum des<br />

Kirchweihtages hat die<br />

Kreuzkirchengemeinde<br />

Turm und Eingangsbereich 1938 (Foto: Alfred Jäschke)<br />

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Geschichte<br />

9


100.<br />

Vor Jahren<br />

Kreuzkirche<br />

Südwestseite 1938 (Foto: Alfred Jäschke)<br />

einen Festreigen geplant. Dieser beginnt<br />

am 6. März <strong>2016</strong> mit einem Festgottesdienst,<br />

in dem Bischof Dr. Markus<br />

Dröge aus Berlin predigen wird. Die musikalische<br />

Gestaltung übernehmen der<br />

Görlitzer Bachchor, der durch die Oratorienaufführungen<br />

mit der Kreuzkirche<br />

verbunden ist, sowie der Posaunenchor<br />

der Gemeinde.<br />

Als „roter Faden“ führen die Kreuzkir-<br />

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10 Geschichte


100.<br />

wurde die<br />

Jahre<br />

Görlitzer Kreuzkirche eingeweiht<br />

Altarbereich der Kreuzkirche 1952<br />

chenmomente bis in den Sommer hinein.<br />

Bei diesen Andachten an sieben<br />

Sonnabenden wird die Kirche in ein besonderes<br />

Licht getaucht sein, und die<br />

Orte innerhalb des Raumes sind verschieden.<br />

So wird beispielsweise auf der<br />

Orgelempore oder auf dem Kirchturm<br />

gebetet und musiziert.<br />

Zahlreiche weitere Veranstaltungen sind<br />

eingebettet. Vorträge, ein Gospelwork-<br />

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Geschichte<br />

11


100.<br />

Vor Jahren<br />

Kreuzkirche<br />

Blick vom Kreuzkirchenpark 1955<br />

shop zum Mitsingen, der Kinder- und<br />

Jungschartag „kreuz+quer“ oder ein<br />

großes Gemeindefest rund um die Kirche<br />

im Sommer nutzen die Kreuzkirche<br />

aus Anlass des Jubiläums ganz intensiv.<br />

Zudem wird im März eine Festschrift erscheinen,<br />

die neben der Baugeschichte<br />

und der kunsthistorischen Einordnung<br />

auch Schlaglichter auf 100 Jahre Gemeindeleben,<br />

zu den Renovierungsar-<br />

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12<br />

Geschichte


100.<br />

wurde die<br />

Jahre<br />

Görlitzer Kreuzkirche eingeweiht<br />

beiten im Laufe der Zeit<br />

und zu den Orgeln bieten<br />

wird. Als Erinnerung<br />

an das Festjahr gibt die<br />

Gemeinde eine Zinnguss-Medaille<br />

heraus.<br />

Vor 100 Jahren wurde für<br />

viele evangelische Christen<br />

der Wunsch nach<br />

einer eigenen Kirche<br />

in der Südstadt erfüllt.<br />

<strong>2016</strong> lädt die Kreuzkirchengemeinde<br />

herzlich<br />

zur Mitfeier an den Ort<br />

ein, wo bis heute Menschen<br />

Trost erfahren,<br />

ihre Gebete sprechen<br />

können und aus Freude<br />

singen.<br />

Pfarrer<br />

Albrecht Bönisch,<br />

Görlitz<br />

Altar mit neuer Orgel, 1979 (Foto: Helmut Vogt)<br />

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Geschichte<br />

13


Leserbrief<br />

Der Leidensweg eines Görlitzer Jungen –<br />

Aus Dresden erreichte uns der folgende<br />

Leserbrief: Mit großer Ungeduld wartet<br />

mein Mann jeden Anfang des Monats auf<br />

„sein“ <strong>StadtBILD</strong>. Das kleine Heftchen<br />

ist die letzte zuverlässige Verbindung zu<br />

seiner Heimatstadt. Um diese Wichtigkeit<br />

zu verstehen, bedarf es einer Erklärung.<br />

Mein Mann wurde 1939 in Görlitz geboren,<br />

Er hatte noch vier Geschwister. Die<br />

zwei „Großen“ waren damals schon Soldaten.<br />

Sein Vater verstarb 1940. Nun mußte<br />

die Mutter die Familie durch die Kriegszeit<br />

bringen. Oft hielt sich mein Mann, damals<br />

vier-fünfjährig, bei seiner verwitweten<br />

Großmutter an der Bahnhofstraße auf.<br />

Ein großes warmes Bett und der Geruch<br />

von Biersuppe ist in der Erinnerung und<br />

wie die Panzer und Soldaten, die auf dem<br />

Bahnhof „verladen“ wurden. Aber bald<br />

wurde die Familie selbst verladen. Auf<br />

Lastautos verstaut, ging es heraus aus<br />

der Stadt wie viele Görlitzer 1945. Die<br />

Familie wurde getrennt, und er war mit<br />

seiner 75jährigen Oma allein. Sie erlebten<br />

eine furchtbare Zeit. Mein Mann erinnert<br />

sich an Feuer, Rauch, tote Menschen und<br />

hat Friedhofsgeruch in der Nase, denn<br />

sie versteckten sich unter den verwelkten<br />

Blumen und Kränzen auf den Friedhöfen.<br />

Manchmal erhielten sie ein Stück Brot.<br />

Der Hunger war neben der Angst wohl<br />

das Schlimmste. Ein kleiner Topf hing am<br />

Gürtel des Fünfjährigen. Er hörte etwas<br />

von Budysin, das klang so wie Pudding,<br />

und freute sich auf das gefüllte Töpfchen<br />

- aber leider umsonst. Die „Wanderung“<br />

der beiden ging weiter. Der kleine Junge<br />

erinnerte sich an ausgebrannte Schiffe<br />

und Häuser. Später erfährt er, dass sie sich<br />

in Wien-Neustadt befinden. Hier erkrankt<br />

seine Oma. Als er von einer „Essensuche“<br />

mit einem Stück Brot zurückkommt, ist<br />

seine Oma tot. Er will oder kann es nicht<br />

begreifen und wärmt seine Oma mit seinem<br />

Körper. Am nächsten Tage nehmen<br />

„Fremde“ die Oma mit. Seine Erinnerung<br />

ist nun nur noch ein schwarzes Loch. Sie<br />

beginnt wieder im Kloster Neuburg am<br />

Inn. Dort haben ehemalige schlesische<br />

Schwestern sich der Kriegswaisen angenommen.<br />

Seine Mutter hat von Görlitz aus<br />

versucht, Erfahrungen über den Verbleib<br />

ihrer Mutter und ihres Sohnes einzuziehen.<br />

Es dauert fast zwei Jahre, bis sie<br />

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14<br />

Leserbrief


Leserbrief<br />

zwischen Flucht 1945 und Heimkehr 1948<br />

Die Großmutter (links) mit der Mutter von Günther, 1917<br />

erfährt, ihr kleiner Sohn<br />

ist in Bayern in Neuburg/<br />

Inn. Viele Schwierigkeiten<br />

mußten aus dem<br />

Weg geräumt werden,<br />

damit sie ihr Kind nach<br />

Hause holen durfte. Ein<br />

großer Bruder holte ihn<br />

in Hof ab. Er war wieder<br />

zu Hause. Geblieben ist<br />

eine nicht verschlossene<br />

Wunde in seiner Seele.<br />

Schuldgefühle gegenüber<br />

seiner geliebten<br />

Oma sind immer wieder<br />

da. Gern würde er einen<br />

Strauß Blumen an das<br />

Grab legen, aber es ist<br />

nicht auffindbar. Sie ist<br />

verhungert und liegt in<br />

Wiener Neustadt im Massengrab.<br />

Auch eine Fahrt<br />

nach der Öffnung der<br />

Grenzen nach Neuburg<br />

brachte keine Auflösung<br />

seiner Fragen. Wir, mein<br />

Mann und ich, leben seit<br />

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Leserbrief<br />

15


Leserbrief<br />

Der Leidensweg eines Görlitzer Jungen –<br />

Kriegswaisen in Neuburg/Inn, Günther in der 2. Reihe (3. von links, mit gesenktem Kopf)<br />

1958 in Dresden, haben 1959 im Görlitzer<br />

Rathaus geheiratet. Sooft es geht, fahren<br />

wir nach Görlitz, früher zum Besuch, heute<br />

auf den Friedhof. Wir sehen die Veränderungen<br />

in Görlitz. Nicht alles macht<br />

uns glücklich. So furchtbare Dinge, wie sie<br />

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16<br />

Leserbrief


Leserbrief<br />

zwischen Flucht 1945 und Heimkehr 1948<br />

Zuzugsgenehmigung der Stadt Görlitz 1948<br />

mein Mann erleben mußte, wiederholen<br />

sich. Die maßlose Besitz- und Machtgier,<br />

der religiöse Fanatismus zerstören Kulturen<br />

und damit die Würde des Menschen.<br />

Geben wir gemeinsam Acht, und hoffentlich<br />

„schaffen wir das“.<br />

Brigitte Herrmannek, Dresden<br />

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Leserbrief<br />

17


Franz Grunert<br />

Grunert<br />

(1866 - 1940)<br />

Patentstein Firma Kirchner & Grunert<br />

Zu unserem Artikel aus der Jubiläumsausgabe<br />

über Franz und Fritz Grunert<br />

erreichten uns zahlreiche Zuschriften.<br />

Von den Görlitzer Heimatforschern um<br />

Herrn Bernhard kamen Hinweise zur<br />

Görlitzer Patentsteinfarbik Kirchner &<br />

Grunert.<br />

Das Bild oben zeigt einen Stein mit den<br />

Initialen R.K. & F.G. Görlitz - Robert<br />

Kirchner und Franz Grunert.<br />

Es handelt sich dabei um einen Kalksandstein.<br />

Leider konnte die Patentnummer<br />

auf der Rückseite noch nicht<br />

geklärt werden.<br />

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<br />

<br />

<br />

18<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Geschichte


Franz<br />

Leserzuschrift<br />

Grunert<br />

Die Erfindung geht auf den Baustoffchemiker<br />

Dr. Wilhelm Michaelis im Jahre<br />

1880 zurück. Er setzte einer wasserarmen<br />

Mischung aus Sand und Kalk<br />

Heißdampf zu und stellte somit einen<br />

verwendungsfähigen Kalksandstein<br />

her. Seine eingereichte Patentschrift Nr.<br />

14195 „Verfahren zur Erzeugung von<br />

Kunstsandstein“ gilt deshalb als eigentliche<br />

Geburtsstunde. Erst 1894 begann<br />

die maschinelle Produktion dieser Mauersteine<br />

und der neuen Ziegel breitete<br />

sich schnell in Deutschland aus. 1900<br />

schlossen sich 32 Hersteller zum „Verein<br />

der Kalksteinfabriken“ zusammen.<br />

Der weiße Stein setzte seine Erfolgsgeschichte<br />

fort, und bereits 1910 produzierten<br />

310 Kalksteinwerke rund 1,5 Milliarden<br />

Steine. In diese Zeit fallen auch<br />

die Aktivitäten der Görlitzer Patentsteinfabrik.<br />

Robert Kirchner ist eine der ältesten Baumaterialiengroßhandlungen<br />

in Görlitz.<br />

In den Adressbüchern steht folgende<br />

Werbung: „Erstes und ältestes Spezial-<br />

Geschäft der Branche am Platz - Spezialitäten:<br />

Portland-Zement, Baukalke,<br />

Rückseite des Patentsteines<br />

Tonröhren, Viehkrippen, Deckensteine,<br />

Dachsteine, Verblendsteine, Chamotten,<br />

Eisenklinker, Korksteinmaterialien, Gipsdielen,<br />

Dachdeckmaterialien, Schornsteinaufsätze.“<br />

Sie hat auch bis nach<br />

dem Krieg Bahnhofstraße 74 existiert.<br />

Heute steht hier ein modernes Parkhaus<br />

u.a. mit der Autovermietung Sixt.<br />

Wir danken für die vielen Zuschriften,<br />

die uns erreicht haben, und sind auch<br />

gern für weitere Hinweise über Franz<br />

und Fritz Grunert dankbar.<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

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Geschichte<br />

19


Lutz Jahoda<br />

Jahoda<br />

nimmt Abschied<br />

Im Kreise der Verehrer<br />

Ein DDR-Star nimmt Abschied von der<br />

Bühne. Alle kennen ihn, den stimmgewaltigen<br />

Lutz Jahoda und seinen Papagei<br />

Amadeus.<br />

Er war einer der Großen des DDR-<br />

Showgeschäftes. Nun, auch wenn es<br />

keiner glauben mag, zieht er sich als<br />

eingefleischter Rentner von der Bühne<br />

zurück. Die entsprechende Abschiedsveranstaltung<br />

zu organisieren, bekam<br />

das Unternehmen WalkoMedia ® aus<br />

Markersdorf den Auftrag, zusammen mit<br />

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20<br />

Geschichte


Lutz<br />

Wir sagen<br />

Jahoda<br />

danke!<br />

Erinnerungen, Erinnerungen...<br />

dem Tour- und Veranstaltungsservice<br />

Concerts aus Görlitz, der für den professionellen<br />

Ton und die Lichtstimmung<br />

zuständig war. Aufgezeichnet wurde die<br />

Show im „Alten Weinberg“ in Storkow<br />

bei Berlin.<br />

Diese TV-Produktion entwickelte sich<br />

schnell zum Klassentreffen bekannter<br />

TV-Stars aus dem Osten. Neben Uwe<br />

Jensen, Michael Hansen, Regina Thoss,<br />

Giso Weißbach, Dagmar Gelbke, Dagmar<br />

Frederic und Hans-Jürgen Beyer<br />

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Geschichte<br />

21


Lutz Jahoda<br />

Jahoda<br />

nimmt Abschied<br />

Es gibt viel zu erzählen<br />

kamen noch eine Reihe weitere der Großen<br />

nicht nur des DDR-TV-Geschäftes.<br />

Sie alle wünschten dem Star, der neben<br />

seinen Sendungen und Bühnenauftritten<br />

auch eine Reihe von Büchern schrieb, alles<br />

Gute für die ruhigere Zeit im Leben.<br />

Neben den Wünschen für die Zukunft<br />

wurde gesungen, und viele altbekannte<br />

und neue Songs erschallten durch den<br />

Berliner Vorort. Natürlich durften unsere<br />

regionalen Künstler wie Kümmel aus<br />

Niesky, Olli S. und Nicci nicht fehlen.<br />

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22<br />

Geschichte


Lutz<br />

Wir sagen<br />

Jahoda<br />

danke!<br />

Der Gastgeber mit bekannten Weggefährten<br />

Wir freuen uns, so Firmeninhaber Jens<br />

Walkowiak, dass dieses Event auch den<br />

Zuschauern auf euro-Regional-tv gezeigt<br />

werden kann. Der Sender ist per<br />

DVB-T, im Kabel und per Livestream im<br />

gesamten Bereich von Weißwasser bis<br />

Zittau und von Görlitz bis Bautzen zu sehen.<br />

Also, seien Sie gespannt auf: „Final<br />

für Lutz“, eine Sendung unter dem großen<br />

Namen „Unterwegs mit Musik“!<br />

Demnächst auf euro-Regional-tv.<br />

Jens Walkowiak, Markersdorf<br />

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Geschichte<br />

23


Görlitzer<br />

Die Kunst der Papierherstellung<br />

Ratsarchiv<br />

–<br />

Papiermacher<br />

Mit der Schließung der<br />

MAXROI-Druckerei verschwindet<br />

leider wieder<br />

ein sehr traditionsreiches<br />

Görlitzer Gewerbe nahezu<br />

völlig. Der seit 1530 erstmals<br />

in Görlitz nachweisliche<br />

Buchdruck erlebte mit<br />

der Gründung des Gymnasiums<br />

im Jahre 1565<br />

unter Ambrosius Fritsch<br />

seine erste Blütezeit. Das<br />

Rohmaterial für dieses<br />

Gewerbe ist bis heute<br />

wesentlich das Papier.<br />

Ohne diesen massenhaft<br />

herstellbaren und relativ<br />

preisgünstigen Beschreibstoff<br />

bleibt die rasante<br />

Entwicklung des frühmodernen<br />

Handels und des<br />

Finanzwesens undenkbar.<br />

Die mittelalterlichen Städte<br />

entwickelten sich immer<br />

schneller. Unter diesen<br />

Bedingungen wuchs<br />

bei den Bürgern, Kaufleu-<br />

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24<br />

Geschichte


Görlitzer<br />

einst einträgliches<br />

Ratsarchiv<br />

Gewerbe in Görlitz<br />

Papiermühle 1568<br />

ten, bei den Handwerkszünften<br />

und der Stadtgemeinde<br />

das Bedürfnis<br />

nach Rechtssicherheit.<br />

Das kaufmännische Kontor<br />

wurde zum Vorbild<br />

für die städtische Kanzlei.<br />

Rechnungen, Ratsbeschlüsse,<br />

Rechtsgeschäfte<br />

und Gerichtsurteile<br />

konnten auf Bergen von<br />

Papier festgehalten werden.<br />

Besonders die Görlitzer<br />

Kanzleiverwaltung<br />

gehörte seit Beginn des<br />

14. Jahrhunderts zu den<br />

bestorganisierten in Mitteldeutschland.<br />

Der Bedarf<br />

an Papier wuchs auch hier<br />

stetig. Die Papierherstellung<br />

hat ihren Ursprung in<br />

China und verbreitete sich<br />

im 8. Jahrhundert im arabisch-islamischen<br />

Raum.<br />

Die erste belegbare Produktionsstätte<br />

in Europa<br />

entstand bei Valencia in<br />

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Geschichte<br />

25


Görlitzer<br />

Die Kunst der Papierherstellung<br />

Ratsarchiv<br />

–<br />

Spanien. Im 14. Jahrhundert revolutionierten<br />

die oberitalienischen Papiermacher<br />

mit wasserkraftgetriebenen Stampfwerken<br />

und starren Sieben die Produktion. Der<br />

Nürnberger Fernhändler Ulman Stromer<br />

eröffnete endlich im Jahre 1390 die erste<br />

Papiermühle vor den Toren seiner Heimatstadt.<br />

Der Görlitzer Rat erwarb sein Papier<br />

von den Nürnberger und Augsburger Kaufleuten<br />

aus Italien, aber zunehmend auch<br />

aus Nürnberg, Ravensburg und Basel.<br />

Besonders mit der Entwicklung des Buchdrucks<br />

wuchs der Papierbedarf auch in<br />

Görlitz immens. Immer mehr Papiermühlen<br />

als nun rentable Produktionsstätten<br />

entstanden. So um das Jahr 1463 in Bautzen.<br />

Die Gründungsgeschichte der ersten<br />

Görlitzer Papiermühle nimmt ihren Anfang<br />

in Zittau. Am 23. Januar 1533 erreichte ein<br />

Schreiben des Zittauer Kartenmachers Merten<br />

Koberle den hiesigen Rat. Darin bat er<br />

jenen, hier an der Neiße eine Papiermühle<br />

zu errichten. Denn er habe einen jungen<br />

Meistersohn in seinem Haushalt, der dieser<br />

„Kunst Jugend nachgefolget“ sei. Koberle<br />

bürge für dessen Erfolg, und er sei auch<br />

selbst gewillt, einen bedeutenden Teil des<br />

Papiers selbst zu erwerben und weiter zu<br />

vertreiben. Der Gewinn für Görlitz bestünde<br />

im Vorhandensein preisgünstigsten Papiers<br />

und der zu zahlenden Mühlenpacht.<br />

Der Bürgermeister Paul Schneider vermerkte<br />

dann auch in seinem Diarium unter<br />

dem 24. Juni 1534, man habe „dy papir<br />

mole angefangen zu bawen“. Sie entstand<br />

bei der Konsulsmühle (Obermühle) neben<br />

dem Kupferhammer. Am 12. Juni 1537 erwarb<br />

der Papiermacher Hans Spörer aus<br />

Ravensburg das Bürgerrecht. Jener betrieb<br />

die Mühle bis zu seinem Tode im Jahre<br />

1555. Vermutlich ging sie im Folgejahr<br />

ein. Wohl erst 1609 entstand in der Niedermühle<br />

in Moys eine neue Papiermühle.<br />

Als Besitzer erscheint als Görlitzer Neubürger<br />

im Jahre 1621 der aus Hohenstein<br />

stammende Lukas Sommer. Der Wert der<br />

Mühle war beträchtlich. So verkaufte sie<br />

dessen Sohn Ambrosius Sommer 1644 an<br />

den Zittauer Papiermacher Jacob Göttel für<br />

2400 Mark Groschen. Das entsprach exakt<br />

dem Wert des prächtigen wie einträglichen<br />

Brauhofes Untermarkt 4 (Frenzelhof). Mit<br />

dem Besitz der Mühle verbunden war das<br />

überlebenswichtige Privileg des Hader-<br />

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26<br />

Geschichte


Görlitzer<br />

einst einträgliches<br />

Ratsarchiv<br />

Gewerbe in Görlitz<br />

Papiermühle mit Wasserantrieb 1493<br />

oder Lumpensammelns. Denn Alttextilien<br />

bildeten den Grundstoff für das ungeheuer<br />

haltbare, hochwertige Papier. Archivare<br />

kennen bis heute eine alte Binsenweisheit:<br />

Je älter, desto besser! Und in der Tat sind<br />

die in den Mühlen hergestellten Hadernpapiere<br />

viel alterungsbeständiger und<br />

leichter konservierbar als die seit Mitte des<br />

19. Jahrhunderts fabrizierten sauren, oft<br />

minderwertigen Holzschliffpapiere. Schön,<br />

dass man heute auch hierzulande wieder<br />

feines Büttenpapier erwerben kann. Darauf<br />

mit Feder in wohlgesetzten Buchstaben<br />

geschriebene Worte werden ihre Wirkung<br />

mit Sicherheit gerade bei der Liebsten nicht<br />

verfehlen.<br />

Siegfried Hoche,<br />

Ratsarchivar<br />

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Geschichte<br />

27


Osterreiter-Prozession in Wittichenau –<br />

Bei dem diesjährigen Osterreiten haben<br />

die hiesigen Kaufleute ein ausnahmsweise<br />

gutes Geschäft gemacht, sie setzten eine<br />

große Menge Zuckerkandis um. Namentlich<br />

die unverheirateten Teilnehmer hatten<br />

oftmals außer vollen Taschen noch ein<br />

großes Bündel mit solchen Zuckertüten<br />

auf dem Heimwege mit sich und warfen<br />

sie vom Pferde aus Freunden und Bekannten<br />

zu. Von den alten Wenden wurden<br />

diese süßen Gaben auch als „Jerusalemski<br />

Kamuschki“ (Jerusalemer Steinchen) bezeichnet.<br />

Die Sitte wird zurückgeführt in<br />

die Zeit, in der unsere Vorfahren von ihrer<br />

Pilgerreise aus dem Heiligen Lande kleine<br />

Steinchen den Bekannten zum Andenken<br />

mitgebracht haben. Aus den Steinchen<br />

wurde Zuckerkandis, der sich in den Tüten<br />

für die Herzallerliebste zu Pralinees<br />

verwandelt hat. Wer weiß für das Werfen<br />

von Zuckertüten eine andere Deutung?<br />

Vielfach ist man hier der Meinung, daß das<br />

Osterreiten sogleich nach den Kreuzzügen<br />

im Mittelalter entstanden ist. Es hätten<br />

damals die Ritter, nachdem dieselben mit<br />

Roß und Reisigen aus dem Orient wieder<br />

in die Heimat zurückgekehrt waren, ihren<br />

Vasallen und Untertanen erlaubt, sich auch<br />

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28<br />

Geschichte


Osterreiter<br />

Zeitungsbericht 1927<br />

jährlich einmal, und zwar am heiligen Osterfeste,<br />

auf ihren geschmückten Pferden<br />

zu Ehren des auferstandenen Heilandes<br />

öffentlich zu zeigen.<br />

Mit dem Osterreiten sind hier auch sagenhafte<br />

Volksüberlieferungen verknüpft.<br />

Die Prozession soll niemals, selbst in den<br />

schlechtesten Zeiten nicht, unterlassen<br />

worden sein.<br />

zur Osterzeit, so berichtet eine alte, in Salau<br />

befindliche handschriftliche Chronik,<br />

lagerten gerade Schweden in dieser Stadt.<br />

Infolge der vielen Plünderungen verarmt,<br />

besaß die einst blühende Gemeinde nur<br />

noch 4 oder 5 Pferde, mit denen man<br />

betrübt die Prozession unternahm. Der<br />

Führer der Schweden, der den sonderbaren<br />

Aufzug bemerkte, ließ ihn anhalten<br />

Während des furchtbaren Dreißigjährigen<br />

Krieges wurde auch die Gemeinde Wittichenau,<br />

die damals größer gewesen sein<br />

soll als heute, arg mitgenommen. Einst<br />

und über Zweck und Ziel befragt, stellte<br />

er, ergriffen von dem Mut und der Treue,<br />

mit denen man der alten frommen Sitte<br />

anhing, selbst eine Anzahl seiner besten<br />

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Geschichte<br />

29


Osterreiter-Prozession in Wittichenau –<br />

Osterspaziergang<br />

Pferde zur Verfügung und gewann dadurch<br />

die Herzen der Bedrängten. Auch im<br />

letzten Weltkriege sollte sie eingehen; da<br />

traten mehrere einflußreiche Personen für<br />

ihr Fortbestehen kräftig ein, und sie wurde<br />

weitergeführt. Mehrere Kriegsjahre hindurch<br />

mußten dann freilich die Reiter für<br />

ihr Pferd die Haferration selbst mitführen.<br />

Bis zum Jahr 1540 zogen die Wittichenauer<br />

Osterreiter über Keula, Dörgenhausen<br />

und Klein-Neida nach Hoyerswerda zum<br />

Gottesdienste, die Hoyerswerdaer aber<br />

über Groß-Neida und Keula nach Wittichenau.<br />

Die Reformation errichtete zwischen<br />

diesem nachbarlichen Austausch der religiösen<br />

Empfindungen eine Scheidelinie.<br />

Seit 1541 begibt sich die Wittichenauer<br />

Prozession nach dem sächsischen Pfarrdorfe<br />

Ralbitz, die Ralbitzer kommt nach<br />

Wittichenau. Als am 1. Osterfeiertag des<br />

Jahres 1530 die Wittichenauer Osterreiter<br />

nach Hoyerswerda zogen, verlor einer<br />

mündlichen Überlieferung zufolge im Keulaer<br />

Walde bei einem hölzernen Bildstocke<br />

das Pferd des Kreuzträgers das Glöcklein,<br />

welches diesem früher immer mit einem<br />

Lederriemen am Halse befestigt war. Als<br />

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30<br />

Geschichte


Osterreiter<br />

Zeitungsbericht 1927<br />

nach 10 Jahren, am 7. April 1540, die Wittichenauer<br />

Prozession das letztemal nach<br />

Hoyerswerda zurückritt, blieb das Pferd<br />

des Kreuzträgers plötzlich stehen, stampfte<br />

mit dem Hufe den Erdboden auf und<br />

brachte das verlorene Glöcklein wieder<br />

ans Tageslicht. Die evangelische Religion<br />

hatte Ostern 1540 in Hoyerswerda schon<br />

im geheimen viele Anhänger gefunden.<br />

Kaum ein Vierteljahr später, am Feste Johannis<br />

des Täufers, wurde in der dortigen<br />

Pfarrkirche bereits die erste evangelische<br />

Predigt gehalten. Die Aufnahme der Wittichenauer<br />

Osterreiterprozession war daher<br />

in diesem Jahr nicht so gastfreundlich wie<br />

früher. Die Teilnehmer sollen sogar bei vielen<br />

Hausbesitzern die Türen verschlossen<br />

vorgefunden haben. Infolge längerer Regenszeit<br />

waren die Wege in einem recht<br />

erbärmlichen Zustande. Notgedrungen<br />

mußte daher der Wittichenauer Reiterzug<br />

auf dem Heimwege bei Hoyerswerda über<br />

ein mit Winterweizen besätes Grundstück<br />

reiten. Der Besitzer, ein Hoyerswerdaer<br />

Bürger, erhob deshalb Klage auf Schadenersatz<br />

gegen die Wittichenauer Kirchgemeinde.<br />

Diese zahlte gutwillig den geforderten<br />

hohen Preis, behielt sich aber<br />

den Ertrag auf dem von den Pferden sehr<br />

zertretenen Teile des Ackers vor. Auf wunderbare<br />

Weise entwickelte sich der Weizen<br />

auf letzterem besonders üppig. Zur<br />

Zeit der Ernte brachte der Wittichenauer<br />

Anteil einen mehr als doppelten höheren<br />

als sonst üblichen Ertrag, während der<br />

Weizen auf einem großen, unbeschädigten,<br />

nebenanliegenden Ackerland des<br />

Hoyerswerdaer Bürgers des Abmähens<br />

nicht wert war.<br />

Solch religiöse Volksfeste haben einen dauernden<br />

Wert und eine tiefe Bedeutung; sie<br />

spiegeln so recht die echte Frömmigkeit<br />

des Lausitzer Volkes wieder. Mag dieser<br />

Sinn auch ferner dem Volke erhalten bleiben.<br />

Und aus den Volksfesten weht entschieden<br />

ein sinniger poetischer Hauch.<br />

Behalten wir also der Väter Brauch lieb,<br />

welche mit kleinen Gaben große Freude<br />

bereiten.<br />

Ein historischer Bericht aus<br />

der „Oberlausitzer Heimatzeitung“<br />

aus dem Jahr 1927,<br />

Christian-Weise-Bibliothek Zittau<br />

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Geschichte<br />

31


Helga<br />

Ausstellung<br />

Pilz<br />

„aquarell“ von Helga Pilz –<br />

Maria Sybilla Merian, Künstlerin des<br />

17./18. Jahrhunderts, brachte von ihren<br />

Reisen aus Surinam viele Skizzen und<br />

Zeichnungen von Pflanzen, Blüten und<br />

vor allen Dingen von Schmetterlingen,<br />

Käfern und anderem „Krabbelgetier“ mit<br />

nach Deutschland und fertigte davon eine<br />

Vielzahl von kolorierten Kupferstichen an<br />

und erhielt deshalb den Beinamen „die<br />

Falter- und Schmetterlingsfrau“.<br />

Da Helga Pilz viele, viele Ausstellungen<br />

mit ihren floralen Arbeiten, die kaum<br />

noch zu zählen sind, bisher bestückte,<br />

bezeichne ich sie als „die Blumenfrau“.<br />

Aber die Ausstellung hier im Landratsamt<br />

Görlitz ist nicht nur auf das florale Schaffen<br />

begrenzt. Architektur bis hin zur Abstraktion,<br />

illustrierte Porträts, Figürliches<br />

kombiniert mit Stadtlandschaften, bis hin<br />

zu den Blüten- und Blumenbildern. Einen<br />

Vorgeschmack bekommen wir hier schon<br />

in diesen Raum. Ein weiteres Novum hat<br />

diese Ausstellung: es sind zehn gemalte<br />

Hunde und eine Fliege zu sehen.<br />

Helga Pilz wurde 1943 in Varnsdorf geboren,<br />

besuchte in Löbau die Grundschule<br />

und nahm bereits mit 10 Jahren bei dem<br />

Helga Pilz <strong>2016</strong><br />

Löbauer Maler und Grafiker Hans Lindner<br />

Zeichenstunden.<br />

Auf dem Gymnasium wurde sie später<br />

von Alfred Gustav Müller weiterhin<br />

streng unterrichtet. Beide Künstler lehrten<br />

ein korrektes Naturstudium, gute Be-<br />

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32 Ausstellung


Helga<br />

Eröffnung im<br />

Pilz<br />

Landratsamt Görlitz<br />

obachtung, genaue Perspektive, schnelle<br />

Erfassung der Dinge bei Stilleben, Landschaft<br />

und Figur und forderten einen<br />

festen, sicheren Strich in der Zeichnung.<br />

Dieses Fundament zahlte sich beim Studium<br />

von 1962 bis 1967 an der Kunsthochschule<br />

Berlin-Weißensee aus, so<br />

dass beim Zeichnen nicht ewig nach der<br />

Linie gesucht werden musste. Sie hatte<br />

den schnellen, konkreten Zeichenstrich<br />

und konnte sich somit der thematischen<br />

Aufgabenstellung viel massiver widmen.<br />

Helga Pilz studierte TEXTIL, MODE und<br />

FARBE. Figürliches Zeichnen bei Prof.<br />

Arno Mohr, der einmal zu ihr sagte:<br />

„Wenn du einen Baum zeichnest, und<br />

wenn er auch nur noch ein Blatt hat,<br />

muss man erkennen, ob es eine Eiche<br />

oder eine Linde ist.“ Diese zur Disziplin<br />

geforderte Schule wurde zum Credo ihres<br />

späteren Schaffens.<br />

1967 schloss Helga Pilz das Studium als<br />

Diplom-Textildesignerin ab. Ausgestattet<br />

mit diesem Diplom und einem umfassenden<br />

allgemeinen künstlerischen und<br />

praktischen Rüstzeug, begann sie mit<br />

der Entwurfstätigkeit bei der Oberlausitzer<br />

Textilveredlung (später LAUTEX).<br />

Daraus wurde eine fast 40 Jahre andauernde<br />

gestalterische Tätigkeit in der<br />

Textilindustrie. Die große Spannbreite<br />

zwischen Natur und Abstraktion wurde<br />

hauptsächlich zeichnerisch und mit der<br />

Maltechnik des Aquarellierens erarbeitet.<br />

Durch die vielen Faktoren wie Papierart,<br />

Feuchtigkeitsgrad, Auftragsart der Farbe,<br />

chemische und mechanische Bearbeitung,<br />

konnte eine differenzierte Aussage<br />

erreicht werden. Beim Textilentwurf kam<br />

noch die Einarbeitung und Umsetzung<br />

historischer Stilepochen und deren technologische<br />

Umsetzung dazu.<br />

In der Praxis waren neben dem künstlerischen<br />

Grundwissen und Fertigkeiten das<br />

Marktinteresse und die Modetendenzen<br />

von Bedeutung. Trendthemen wie afrikanische,<br />

asiatische, südamerikanische<br />

sowie europäische Folklore mussten beherrscht<br />

und eingearbeitet werden.<br />

Von 1980 bis 2005 war Helga Pilz Lehrbeauftragte<br />

an der Kunsthochschule Berlin-<br />

Weißensee und nahm an internationalen<br />

Seminaren teil. Sie leitet heute noch Mallehrgänge<br />

an den Volkhochschulen. Sie<br />

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Ausstellung<br />

33


Helga<br />

Ausstellung<br />

Pilz<br />

„aquarell“ von Helga Pilz –<br />

ist Mitglied im Sächsischen Künstlerbund<br />

und im Oberlausitzer Kunstverein, Regionalgruppe<br />

Löbau, wo sie aktiv auch als<br />

Protokollantin mitarbeitet.<br />

Helga Pilz bestückte innerhalb von 30<br />

Jahren über 36 Personalausstellungen im<br />

In- und Ausland. Als Ausstellungsbeteiligungen<br />

sollen genannt werden: Berlin,<br />

Leipzig, Dresden, Görlitz, Löbau, Hoyerswerda,<br />

Weißwasser, Herrnhut, Göppingen,<br />

Villingen-Schwenningen, Wuppertal,<br />

Liberec und Zgorzelec. Besonders<br />

hervorheben möchte ich die Sonderausstellung<br />

zur Landesgartenschau 2012 in<br />

Löbau in der Blumenhalle mit dem Titel<br />

„Florales in Aquarell“ und im Frühjahr<br />

2014 im Palais im Großen Garten, Dresden,<br />

unter dem Leitmotiv „Aus Disziplin<br />

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34<br />

Ausstellung


Helga<br />

Eröffnung im<br />

Pilz<br />

Landratsamt Görlitz<br />

und Leichtigkeit“. Beide Ausstellungen<br />

wurden nicht aus dem unerschöpflichen<br />

Fundus bestückt, sondern es wurden<br />

spezielle Arbeiten passend zum Thema<br />

und den räumlichen Gegebenheiten entsprechend<br />

neu geschaffen. Dies trifft<br />

auch auf die Bilder dieser Ausstellung<br />

hier im Landratsamt zu.<br />

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass<br />

die Konzeption dieser Ausstellung bis hin<br />

zur Hängung der Bilder gemeinsam mit<br />

ihrem Gatten, Ullrich Pilz, akribisch vorbereit<br />

wurde. Man könnte auch sagen<br />

– wissenschaftlich ausgearbeitet, und<br />

ihm gebührt heute auch ein besonderer<br />

Dank. Als Titel der Ausstellung hier im<br />

Haus wurde die Bezeichnung „aquarell“<br />

in Kleinbuchstaben gewählt, nicht die<br />

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Ausstellung 35


Helga<br />

Ausstellung<br />

Pilz<br />

„aquarell“ von Helga Pilz –<br />

Mehrzahl Aquarelle. Das Wort aquarell<br />

bezieht sich auf das Machen, den<br />

Schaffensprozess, nicht auf das fertige<br />

Produkt. Durch die Bezeichnung soll die<br />

Vielseitigkeit der unerschöpflichen Möglichkeiten<br />

dieser malerischen Ausdrucksweise<br />

betont werden, die durch Farbe,<br />

Wasser, verschiedene Papierqualitäten<br />

als Bildträger zum fertigen Aquarell führen,<br />

um in ihrer ganzen Vielschichtigkeit<br />

zu repräsentieren.<br />

Selbst sagt Helga Pilz: „Nach dem Jahre<br />

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36<br />

Ausstellung


Helga<br />

Eröffnung im<br />

Pilz<br />

Landratsamt Görlitz<br />

2000 habe ich mich intensiv mit der Eigenständigkeit<br />

der Farbwirkung beschäftigt.<br />

Mit unterschiedlichen Farbfabrikaten<br />

im Vergleich habe ich experimentiert, um<br />

die Leuchtkraft zu analysieren, und dabei<br />

völlig neue Aspekte entdeckt. Meine Leidenschaft<br />

galt von jeher der Farbe und<br />

ihrer psychologischen Wirkung. Natur,<br />

Abstraktion und künstlerische Gestaltung<br />

werden zu meinem lebenslangen<br />

Betätigungsfeld. Mit wachsamen Augen<br />

betrachte ich unsere Umwelt, die Menschen,<br />

den Alltag. Dadurch entstanden<br />

in den vielen Jahren Skizzen, Studien<br />

und erzählende Geschichten.“<br />

Beispiel: Helga Pilz skizzierte jahrelang<br />

in öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem<br />

Weg zur Arbeit nach Neugersdorf, und<br />

auf dem Beifahrersitz im Auto wird heute<br />

noch skizziert.<br />

Des Weiteren wurden Aquarellpapiere<br />

verschiedener Hersteller auf ihre Tauglichkeit<br />

getestet. Ein neutrales Motiv für<br />

die heutige Einladung und das Ausstellungsplakat<br />

mit dem Titel „Weitsicht“<br />

oder „Am Bachlauf“ nimmt der Ausstellung<br />

nichts vorweg. Es ist ein dynamisches,<br />

farbstarkes Blatt mit einer Farbpalette<br />

von gelborange bis ultramarin<br />

und dunkelblau, verlaufend, flüssig,<br />

den Wasserlauf gebändigt, die Struktur<br />

des Papieres wirken lassend. Es wurden<br />

fremde Elemente, wie sandiger Krapp,<br />

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Ausstellung 37


Helga<br />

Ausstellung<br />

Pilz<br />

„aquarell“ von Helga Pilz –<br />

eingearbeitet.<br />

Helga Pilz versteht es meisterhaft, entstehende<br />

Zufälligkeiten zu nutzen, aber<br />

auch zu bändigen und geschickt in das<br />

Motiv mit einzubeziehen. Das Aquarell in<br />

seiner Vielfältigkeit, seiner Eleganz und<br />

Schwerelosigkeit soll der Grundtenor<br />

diese Ausstellung sein.<br />

Im Foyer begegnen uns freie Architekturmotive,<br />

die an Industrie-, Alt- und Großstädte<br />

erinnern und architektonische<br />

Farbenspiele sind. Geometrisch, kubistisch<br />

aufgelöst, in einzelne Farbformen<br />

zergliedert und wieder zusammengefügt.<br />

Die Abstraktion gipfelt im Farbspektrum,<br />

bestehend aus ineinander geschachtelten<br />

Dreiecken, dem Farbkreis von J. W.<br />

von Goethe nachempfunden.<br />

Es werden Flächigkeit gegen freie Form,<br />

Dreiecke gegen Quadrate, geschwungene<br />

Formen gegen eckige, hell gegen<br />

dunkel bis zur möglichen gebauten historischen<br />

und modernen Architekturkulisse<br />

zusammengesetzt. Erkennbar sind<br />

Elemente der Städte Bautzen, Görlitz,<br />

Löbau und auch von Wien. Einen besonderen<br />

Platz beansprucht das Aquarell<br />

Ausstellungseröffnung<br />

„Wie weiter Karstadt?“, das fotorealistisch<br />

ausgeführte Aquarell der Kuppelsituation<br />

im einst historischen Kaufhaus,<br />

ein reines Jugendstilmotiv mit Bühnenbildcharakter,<br />

in Blau gehalten.<br />

Die figürlichen Aquarelle mit Schilderun-<br />

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38<br />

Ausstellung


Helga<br />

Eröffnung im<br />

Pilz<br />

Landratsamt Görlitz<br />

gen von einfachen alltäglichen Begebenheiten<br />

sind Ergebnis einer besonderen<br />

Beobachtungsgabe und Lebenserfahrung,<br />

abgesehen von der absoluten technischen<br />

Perfektion. Schöpfend aus dem<br />

flüssigen, laufenden Farbwasserspiel bis<br />

hin zum zeichnerisch konkreten Detail<br />

dieser illustrierten und karikaturhaften<br />

zum Teil ironisch gefassten Blätter, sind<br />

die Bildtitel dazu sehr treffend. Die Rahmen<br />

„Lesezeit I - IV“ zeigen eine hochkonzentrierte<br />

Literaturvertiefung, die<br />

man heute in der überfrachteten Computerzeit<br />

selten findet. Die beiden Bilder<br />

„Was macht der da?“ und „Wie mach ich<br />

das?“ zeigen die „Beobachterin“ und den<br />

ungeschickten „Macher“ in verdrehter<br />

anatomischer Haltung. Charakterstücke<br />

in gleicher hervorragender Qualität<br />

sind: „Das habe ich vergessen“ – „Wie<br />

weiter“ – „Einsam mit Fisch“ und „Durchwurschteln“.<br />

„Görlitz und seine Bürger<br />

– einsam und doch nicht allein“ diese<br />

Serie umfasst fünf Spaziergänge durch<br />

Seitenstraßen, kleine Gassen von Görlitz<br />

mit ganz konkreter architektonischer Beziehung.<br />

Betrachtet wird das Ausführen<br />

Helga Pilz in der Ausstellung<br />

der Stubenhunde, zu zweit, einander begegnend,<br />

alle Bilder mit Details, die es zu<br />

entdecken lohnt – eine angebaute eiserne<br />

Fluchttreppe, ein kleines rotes Herz,<br />

ein Verkehrsschild, eine Gaslaterne uvm.<br />

Sonntagmorgen in der Görlitzer Altstadt,<br />

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Ausstellung<br />

39


Helga<br />

Ausstellung<br />

Pilz<br />

„aquarell“ von Helga Pilz –<br />

noch menschenleer an der Ochsenbastei,<br />

bekannte Görlitzer Stadtmotive mit Nikolaiturm<br />

und Blick zur Peterskirche bis hin<br />

zur herbstlich romantischen Stadtmauer.<br />

Die Reihe figürlicher, porträthafter Arbeiten<br />

setzt sich im Rahmen Nr. 26 fort.<br />

Dort sind vier Aquarelle mit dem Titel<br />

„Freizeit I – IV“ zu sehen. Sie charakterisieren<br />

das Sitzen, Lümmeln, Faulenzen<br />

und Dösen auf den Stadtbänken. Die<br />

hervorragend erfassten Physiognomien<br />

„Zu später Stunde“ und „In Versuchung“<br />

sprechen das Alkoholproblem an. Stark<br />

und fachlich bedingt sind die Darstellungen<br />

der Gruppenbilder „In Vorbereitung“<br />

und „Vernissage“. „So ein Theater“ war<br />

das Motto der Jahresausstellung 2015<br />

der Regionalgruppe Löbau des OKV im<br />

Arkadenhof. Helga Pilz schuf mit abgewandeltem<br />

Thema „Macht nicht so‘n<br />

Theater“ mehrere psychologisch, ironisch<br />

tiefgehende Illustrationen: Macht<br />

nicht so‘n Theater um die Werbung – ich<br />

kann es nicht mehr sehen – ich kann es<br />

nicht mehr hören. Macht nicht so‘ n Theater<br />

um die deutsche Rechtschreibung –<br />

um ein Wehwehchen – um die Fliege an<br />

Helga Pilz mit Kulturamtsleiter J. Mühle<br />

der Wand. Bedeutet dies doch, welche<br />

Aufregungen werden manchmal um eine<br />

Nichtigkeit heraufbeschworen, ein entgleister<br />

Gesichtsausdruck, das Geräusch<br />

des nahenden Unheils erwartend. (Die<br />

Fliege ist so realistisch gemalt, dass man<br />

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40<br />

Ausstellung


Helga<br />

Eröffnung im<br />

Pilz<br />

Landratsamt Görlitz<br />

glaubt ihr Surren zu hören.)<br />

Beim Floralen kommen wir zurück zur<br />

„Blumenfrau“ und ihren Bildschöpfungen.<br />

Der Schaffenskreis spannt sich von<br />

realistischen, naturnahen, abstrakten<br />

bis hin zu weit aufgelösten Blättern. Bei<br />

allen Arbeiten zeigt sich die sichere Beobachterin<br />

und Zeichnerin, faszinierend<br />

die Beherrschung der Anatomie, jede<br />

Pflanze, Blüte oder Blattform ist anders<br />

und individuell. Vom einfachen Schneeglöckchen<br />

über Pfingstrosen, Anemonen,<br />

Hortensien bis hin zum Weihnachtsstern,<br />

die Vielzahl der Feld- und Wiesenblumen<br />

nicht vergessen, wird alles meisterhaft<br />

beherrscht. Damit ist auch die<br />

Voraussetzung zur späteren Abstraktion<br />

von Pflanzen, Blüten gegeben, wodurch<br />

jedes Detail noch erkennbar ist. Nicht<br />

nur Blumen, Blüten und Blätter sondern<br />

auch Früchte wie Schneeball, Hagebutte,<br />

Holunder, Apfel, Birne und Weintrauben<br />

werden zum Modell ihrer Aquarelle.<br />

Seit 2003 entstand jährlich ein Kalender<br />

im A3-Format mit je 13 Kalenderblättern.<br />

Also wurden in 14 Jahren 182 Arbeiten<br />

mit floralen Motiven reproduziert<br />

und veröffentlicht. Zur Auswahl kommen<br />

Motive, die thematisch und farblich dem<br />

Jahreskreis zugeordnet werden können.<br />

Das Titelblatt für den Kalender <strong>2016</strong><br />

„Blütenteppich“ ist ein Farbenrausch in<br />

hellgelb, orange, graublau Tönen bis zu<br />

violett. Da die gesamte Bildfläche gefüllt<br />

ist mit Farben, Blütenformen, Blättern,<br />

Stielen und Halmen, ergibt sich ein großes<br />

Ensemble eines Farborchesters. Der<br />

Bildtitel „Blütenteppich“ könnte auch<br />

einen Bezug zur beruflichen Tätigkeit<br />

von Helga Pilz, ein gewebter Teppich,<br />

darstellen. Diese Kalender haben einen<br />

festen Freundeskreis gefunden, der noch<br />

ständig wächst.<br />

Hier in der Görlitzer Ausstellung werden<br />

23 große Blumenaquarelle präsentiert,<br />

meist vollgefüllte Arrangements von<br />

Einzelblüten, farbig abwechslungsreich<br />

und mit phantasievollen Titeln versehen:<br />

„Blüten jung und frisch“ – „impulsivtraumhaft“<br />

– „lebendig und bewegt“ u.a.<br />

Die Bilder Nr. 50 und 51 „Im Botanischen<br />

Garten“ zeigen über der aquarellierten<br />

Grundfläche in zarten Konturen florale<br />

Formen abstrakt aufgelöst.<br />

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Ausstellung 41


Helga<br />

Ausstellung<br />

Pilz<br />

„aquarell“ von Helga Pilz<br />

Besonders möchte ich auf die Bilder<br />

36, 37 und 38 hinweisen, die die Titel<br />

„Blütenteppich“, „Blüten in Pastell“ und<br />

„heiter-sensibel“ tragen. Es sind ganz<br />

gefüllte, dichte Bilder, wie der Kalendertitel<br />

<strong>2016</strong>. Es sind Blütenteppiche in einer<br />

technischen Perfektion, die eine intensive<br />

und wiederholte Betrachtungsweise<br />

erfordern, um all das im Bild festzuhalten.<br />

Es sind Bilder mit Tiefe, Farbkontrasten<br />

von weiß, gelb, blau bis hin zu<br />

dunklen Rot- und Brauntönen – mit der<br />

Musik verglichen sind es Sinfonien.<br />

Schließen möchte ich meine Ausführungen<br />

mit dem Hinweis auf die drei großen<br />

Aquarelle im schmalen Hochformat, zwei<br />

davon mit realistischen Feld- und Wiesenblumen,<br />

das dritte ausgeführt in Fläche<br />

und Form als Ornament in rot und<br />

grün auf weißem Grund.<br />

Da uns täglich in dieser hektischen Zeit<br />

irgendwelche Horrormeldungen erreichen,<br />

tun diese Bilder Auge, Geist und<br />

Seele gut. Danke, Helga Pilz!<br />

Michael Voigt, Neusalzer-Spremberg<br />

Laudatio in der<br />

Eröffnungsveranstaltung<br />

Michael Voigt<br />

Ausstellung „aquarell“ von Helga Pilz<br />

vom 04.02.-29.04.<strong>2016</strong><br />

im Landratsamt Görlitz<br />

Bahnhofstraße 24; 02826 Görlitz<br />

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42<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

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Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />

02826 Görlitz<br />

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Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Verantw. Redakteur:<br />

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(Mitglied im Deutschen<br />

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Redaktion:<br />

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Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />

Dr. Ingrid Oertel<br />

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Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Mobil: 0174 - 31 93 525<br />

Teile der Auflage werden auch kostenlos<br />

verteilt, um eine größere Verbreitungsdichte<br />

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Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

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Auffassung des Herausgebers wider. Anzeigen<br />

und redaktionelle Texte können<br />

nur nach schriftlicher Genehmigung des<br />

Herausgebers verwendet werden<br />

Anzeigenschluss für die April-Ausgabe:<br />

15. April <strong>2016</strong><br />

Redaktionsschluss: 20. April <strong>2016</strong><br />

Wir arbeiten mit<br />

Stadtwerke Görlitz AG<br />

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Ausstellung


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