Im Tal der BroklandSau
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IM TAL DER BROKLANDSAU
Wenn Blaue Feder frei hatte, wie konnte es anders sein als am
Frei-Tag, zog sie ihre Runden durch das Tal der BroklandSau.
Sie fühlte sich eins mit dem Land und hatte große Freude
daran, ihre Eindrücke von ihren Spaziergängen mit anderen zu
teilen. Sie liebte diesen Landstrich, der ihr Zuhause war. Für
sie, war der erste Schritt sich wieder mit der Natur und dem
Land zu verbinden, regelmäßig allein in der Natur zu sein,
einfach dort, wo sie lebte. Im Wald zu sein, auf einer Wiese, an
einem Bach zu verweilen und zu fühlen, wie es war allein in der
Natur zu sein. Anfangs kamen oft Gefühle von Einsamkeit und
Traurigkeit hoch. Sie nahm diese Gefühle in ihr Herz auf. Mit
der Zeit stellte sich Freude ein und eine liebevolle
Verbundenheit.
Manchmal wachte sie am Morgen mit einem Gedanken auf und
ging mit diesem Saat-Gedanken auf ihre Runde. Hin und
wieder hatte sie eine Frage, die sie auf der Schwelle der
Haustür stellte und schaute dann, wie die Natur sie
beantwortete. Sie ließ sich einfach beeindrucken, von dem was
ihr begegnete. Unter der Woche schaute sie dann, wie der
Eindruck seinen Ausdruck fand. Oft vertiefte sich das Erlebte
im Laufe der Wochen noch.
‚Im Tal der BroklandSau‘ ist eine Sammlung von Samen.
Blaue Feder hatte ein Jahr lang ihre Kamera mitgenommen und
ihr Sein in der Natur dokumentiert. Vielleicht waren Dir ihre
Geschichten ja eine Anregung, Dich selbst wieder mehr mit der
Natur zu verbinden und Dich auf Deine eigene Forschungsreise
zu begeben.
Viel Freude wünscht Dir, Blaue Feder
INHALTSVERZEICHNIS
1. Die Hagebuttenfrau_______________________
2. Panta Rhei – alles fließt____________________
3. Am Alten Feuer ___________________________
4. Das Mutterkraut _________________________
5. Ein fließender Übergang ___________________
6. ‚Der Wind in den Weiden‘ ____________________
7. Das Grab der Túatha Dé Danann ___________
8. ‚Die mit den Reihern tanzt‘ _________________
9. Die Menschen haben das Warten verlernt _____
10. Kuhle Nr. 13 ______________________________
11. Trost der Wintergold-Hähnchen _____________
12. Büsumer Wintersonnenwende _______________
13. Kingfishers Secret ________________________
14. Den Rehen auf der Spur ____________________
15. Crazy Speed 13 __________________________
16. Die BroklandSau __________________________
17. Die Quelle im Norderwohld __________________
18. Die ErdApfelSau _________________________
19. Die CocoaSau _____________________________
20. ‚Ophelia‘_________________________________
21. Emma __________________________________
22. Ein Tag am Meer_________________________
23. Die RegenbogenSau _______________________
24. Sew Along________________________________
25. Die KräuterSau ___________________________
26. Der Marienkäfer__________________________
27. Den Frühling begrüßen ____________________
28. Bei den Störchen __________________________
29. Ein irisches Abenteuer ____________________
30. Die Graue vom Großen Mondsee ____________
31. Alles hat seine Zeit _______________________
32. Das Schwalbenkraut_______________________
33. Wilde Tulpen ______________________________
34. Salomonsiegel ____________________________
35. Küstensteine ___________________________
36. Der Urkraft begegnen ____________________
37. Rot wie Mohn und blau wie Kornblumen_______
38. Die Regebogenschlange ____________________
39. ‚Voll das Leben‘ ____________________________
40. ‚In a Summer Garden‘ _____________________
41. Auf den Spuren des Sommermädchens ______
42. Die wilde Sau im Garten ___________________
43. ‚Augenbraue der Venus‘ ____________________
44. ‚Home is where your heart is ‘_______________
45. Der Seerosen-Karpfen _____________________
46. Frei wie ein Kiebitz _______________________
47. Die Braut der Sonne ______________________
48. Ein schottischer Traum ___________________
49. Das Mädchen und der Drache _______________
50. Perlentaucher ____________________________
51. ‚Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm…‘ _______
52. Runde um Runde __________________________
1. DIE HAGEBUTTENFRAU
‚Keiner wusste, woher sie kam und wer sie war.
Sie stand einfach da in den Hagebutten.
Klein war sie und ihr Haar leuchtete rot, wie die
Hagebutten, die sie pflückte.
Durch ihre große, dicke Nickelbrille schaute sie
Blaue Feder an.
Sie sagte nicht viel – nur so etwas wie: ‚Soso…‘
An einem Septembermorgen erwachte Blaue Feder aus ihren
Träumen mit dem Satz:
Leben ist Veränderung
Ayla, die Dorfeiche bekam gerade einen neuen Zaun. Sie
hatte einen Stamm abgeworfen und damit das ganze Dorf
erschüttert. Die Sorge um ‚ihre‘ Dorfeiche war groß. Der
Baumdoktor wurde gerufen. Es war ein trockener Sommer
und sie wurde fleißig gewässert. Dann wurde sie mit
Stahlseilen gesichert. Damit nun nicht jeder über die Seile
stolperte, bekam sie einen Zaun.
Blaue Feder träumte vage von einem neuen Projekt. Der
KunstGriff war vorüber und ging ihr noch nach. Es waren
wenige Besucher in ihrer Ausstellung gewesen. Meist
verbrauchten sie ihren ganzen Urlaub für die Vorbereitung,
machten sie sich immer viel Arbeit. Die wenige Resonanz
enttäuschte sie. Daher entschieden sie, im kommenden Jahr
einfach einmal drei Wochen Urlaub machen.
In Blaue Feder schwang die Frage nach, wie es mit ihrer
Kunst weitergehen würde. Sie fragte sich, ob ihre Kunst nur
für sie gedacht war und sie sich selbst genug sein konnte.
Oder gab es noch unbekannte Wege ihre Kunst an die Frau
und den Mann zu bringen? Wie ging ihre Reise weiter? Was
wollte sie mitnehmen und was ließ sie zurück?
Sie hatte die Idee bekommen, einen ‚Geschichten-Blog‘
einzurichten. War es die Veränderung in ihrem Leben?
Manches Mal hätte sie gerne jemanden gehabt, der sie an die
Hand nahm und ihr sagte, wie es weiter ging. Doch hatte sie
den Eindruck, sie wurde vom Leben selbst an die Hand
genommen und unterrichtet. Manchmal wohnte auch dem,
was sie nicht bekam, eine Entwicklungsmöglichkeit inne. Sie
lebte in der Fülle und hatte alles, was sie brauchte, wenn auch
der Erfolg mit ihrer Kunst sich nicht einstellte.
Vielleicht gab es einen Sinn dahinter? Auf diese Weise
überlegte sie sich immer wieder neue Wege. Sie liebte die
Stille, die ihr half, alles mit Liebe und Hingabe zu
durchdringen. Die Stille gab ihr Kraft.
Einst hatte sie in einem Buch von der ‘Geweihten Feder‘
gelesen. Blaue Feder schrieb gerne und könnte so ihre
Erfahrungen weitergeben.
Sie war etwas verschnupft, nahm ein Rosmarin-Bad und ging
dann eine Runde, weil die Sonne schön schien. Derweil
musste sie draußen gut aufpassen, weil die Bäume gerade
gerne mit ihren Nüssen nach ihr schmissen. Ob Walnuss,
Eichel oder Kastanie, die Bäume waren gerade lustig
unterwegs.
Sie ging die Eichenallee hinauf und sah eine Katze liegen, die
sich ihr Fell leckte. Sie musste grinsen, denn es sah für sie
wenig nach Veränderung aus, oder täuschte sie sich? Ein
Vogel sang ein schönes Lied. Das Lied erzählte vom frischen
Wind, vom Genießen und vom Erholen. Auf dem Weg lagen
zarte Daunenfedern und sie hörte eine zarte Stimme in ihrem
Herzen sagen:
‚Sei sanft mit Dir!‘
Sie schaute in eine Viehtränke, wie in einen heiligen Kessel.
Was sah sie im Kessel? Am Boden lag eine goldene Eichel.
Als Blaue Feder zum Ringreiterplatz kam, sah sie eine Frau
mitten in den Hagebutten stehen. Ihre Haare waren ebenso
rot wie die Hagebutten, die sie pflückte. Sie trug eine dicke,
große Nickelbrille und hatte einen zartrosafarbenen Mantel an
mit einem Rosenmuster. Fasziniert stand Blaue Feder da und
beobachtete die Hagebuttenfrau, die sie hier noch nie
gesehen hatte.
Wer war diese Frau?
Blaue Feder ging weiter ihre Runde und die Hagebutten-Frau
ging ihr in ihren Gedanken nach. Sie schaute sich noch einmal
das Waldstück an, wo ein junger Mann aus dem Dorf die
Weiden gefällt hatte. Er fühlte sich wohl von ihr ertappt und
hatte wie ein Kind zu ihr gesagt, er würde neue Bäume
pflanzen und er hatte sein Wort gehalten und Apfelbäume
gepflanzt. Der Wald war mittlerweile wieder zugewachsen, sie
hatte sich unnötig aufgeregt.
Sie ging bei den Schafen vorbei. Ein Bock sagte: Ei, geh
weiter… und sie ging weiter, denn mit ihm wollte sie sich nicht
anlegen. Sie kam zum Schlangensee und beobachtete die
Wasserläufer und Libellen, die im Sonnenlicht spielten. Sie
schlüpfte auf das abgesperrte Grundstück. Es war gerodet
und sie konnte ohne Mühe zum Teich gelangen. Dort saß die
Graue in Seelenruhe, und Blaue Feder schaute sich die kleine
neue Apfelplantage an. Der Wilde Wald rief sie. Die Birken
sprachen von etwas Neuem. Bewegung kam ins Spiel. Schon
stand sie am Eingang zum Weißdorn-Hain.
Alles war niedergerodet, eine Furt war bis zum Weißdorn
geschlagen. Die Brombeerbüsche, die Jelängerjelieber, alle
Hecken waren weggeschnitten und viele Weiden gefällt. Es
war merkwürdig, ihr geliebter kleiner wilder Wald war gerodet,
aber es störte Blaue Feder nicht so sehr. Sie sah den
Weißdorn unverletzt stehen, umringt von Fliegenpilzen, denen
auch nichts passiert war. Im Weißdorn lag eine Feder von
einem Graureiher.
Verwundert schaute sie sich alles an. Vielleicht würde die Wut
später in ihr aufflammen? Sie fragte sich nur, wofür diese
Veränderung gut war. Würden nun mehr Menschen zum Alten
Weißdorn gehen und sich einen Rat holen? Sich durch die
Brombeeren zu kämpfen, wie der Prinz zu seinem
Dornröschen, traute sich nicht jeder. Vielleicht wurde etwas
Verborgenes sichtbar. Sie ging tiefer in den Wald hinein und
fand dort einen weiteren Weißdorn auf einer kleinen Lichtung
umringt von Lichtnelken, und es schien ihr alles in Ordnung zu
sein. Sie setzte sich noch eine Weile auf die Bank zu der Alten
vom Weißdorn. Die bot ihr eine Pfeife mit Fliegenplilzen an.
Ne, ne, lass mal stecken, sagte sie und lachte. Das war ihr
denn doch eine Nummer zu heftig. Aber sie bat die Alte um
eine neue Medizin und bekam eine kleine Schlange in die
Hände gelegt.
Habe keine Angst vor Deiner Kraft - sagte die Alte.
Als Blaue Feder nach Hause ging, wunderte sie sich noch. Da
spürte sie plötzlich den Faden in ihrer Hand - einen neuen
Faden.
2. PANTA RHEI – ALLES FLIESST
Kurz nach dem September-Vollmond
Blaue Feder schrieb an den Morgenseiten, als der zarte
rosafarbene Himmel sie hinaus lockte. Sie war mit ihrer Venus
im Widder schnell zu begeistern und entflammbar. So
schnappte sie sich ihre Kamera und ging eine Runde. Die
Mondin stand noch am Himmel, groß und schön. Krähen flogen
über das Land. Sie schlug den Weg zum Schlangensee ein. Die
Sonne färbte den Himmel langsam golden. Auf dem Weg lag
ein rotweiß kariertes Tuch. Wer es wohl verloren hatte? Wollte
sie es mitnehmen oder liegen lassen? Sie steckte es ein und
später in die Waschmaschine. Bis heute war es ihr Zauber-Mal-
Tuch und erinnerte sie an diesen Tag.
Am Schlangensee tauchte sie in den Sonnenaufgang. Dieser
spiegelte sich im Wasser. Alles floss ineinander. Oben und
Unten waren ausgeglichen. Als sie so am See stand, bildeten
sich immer wieder Kreise auf dem Wasser. Alles entwickelt sich
in Kreisen, wenn wir durch den Jahreskreis wandern. Die Graue
kam, setzte sich auf einen Baum und begrüßte mit ihr
zusammen den neuen Tag. Reiher und Panta Rhei und Rhea
klangen alle ähnlich. Rhea war der Name, den sie sich selbst
einst gegeben hatte - die Fließende. Vielleicht liebte sie deshalb
die Reiher so, weil sie den gleichen Namen trugen. Da hätte sie
auch eher darauf kommen können - doch hatte wohl alles seine
Zeit.
Blaue Feder war ausgezogen, von den Tieren zu lernen - von
ihren geflügelten Freunden, wie von den Tieren im Wald, in
den Wiesen und die im Wasser nicht zu vergessen. Sie wollte
von den Pflanzen lernen, den großen Bäumen und den
kleinen Kräutern und den bunten Blumen. Sie wollte von den
Steinen lernen und ihrem stillen Lied. Sie wollte in die
Elemente tauchen und ihr Wesen erfahren.
Dabei wollte sie sich Zeit lassen wie die Schnecke, die auch
ans Ziel kamen. Sie wusste, die Brennnessel war scharf darauf,
ihre Bekanntschaft zu machen. Was würde ihre Schwester, die
Taubnessel davon halten? Welche Geschichte würden ihr wohl
die Fetten Hennen erzählen? Sie suchte nach einem neuen
Ausdruck für ihre Erfahrungen. Es würde sich zeigen. Sie
würde zunächst mal die Hagebuttenfrau malen und dem neuen
Faden nachspüren.
Auf dem Weg lag ein Gruß von der Wollsammlerin. Hatte sie
schon einmal die Geschichte von der Wollsammlerin erzählt?
Das Land träumt immer noch seine Geschichten und Blaue
Feder wollte sie gerne erzählen, wie sie es erlebte.
Sie sagte immer, sie hätte die Maus im Dritten Haus. Das
kommende Jahr würde Merkur regieren und sie ging in die
Dritte Runde mit der Progressiven Mondin. Der Herbst hatte
begonnen und ihr Lebensherbst auch.
Zeit, ihre Geschichten zu erzählen
3. AM ALTEN FEUER
Von Zeit zu Zeit hörte Blaue Feder einen Ruf in sich. Dann
wurde der kleine Blaue Koffer gepackt und sie ging auf eine
Reise. Das ‚Alte Feuer‘ rief und es rief alle, die den Ruf hörten.
Von überall her würden sie kommen, um gemeinsam am Alten
Feuer im Kreis zu sitzen. Sie freute sich auf die Reise und die
gemeinsame Zeit am Feuer; sich auszutauschen, zu lachen, zu
weinen und gestärkt wieder heimzukehren. Sonst denkt frau
auch, sie würde vielleicht etwas seltsam. Wenn andere auch
seltsam waren, dann war frau nicht so allein.
Am Tag der Abreise regnete es, sie war erkältet und die lange
Reise stand ihr bevor. So war es oft. Erst freute sie sich und
wenn es dann losging, kamen Widerstände. Warum konnte sie
nicht einfach hierbleiben, war es hier doch auch schön. Kennst
Du das? Auch hatte sie nicht geschaut, wohin der Ruf sie führte.
13 Stunden würde sie in der Bahn hocken. Sie war aufgeregt,
wie Eine eben aufgeregt war, wenn sie eine Reise ins
Unbekannte unternahm. Sie schaute aus dem Fenster. Noch
war ihr die Landschaft vertraut. Sie sah sich selbst im Fenster.
Was hatte sie denn für komische Klamotten an? War sie das?
So ganz in Schwarz. Sie fühlte sich nackig. Schwarz wie ein
Stück Kohle. Unsichtbar – ein Nichts.
‚Soso, hörte sie eine Stimme, ist das so? Dann sei ein Stück
Kohle. Was hast Du zu verlieren? Lass Dich in den Prozess
fallen. Du bist schon nackig, was soll Dir passieren? Lasse Dein
Herz die Worte finden. Folge dem Stern der Freude.
Folge der Leichtigkeit. Die Weiden unterstützen Dich und
zuweilen auch die Gartenzwerge. Manchmal auch Frauen mit
Roten Haaren. Schaffe Dir Räume für die ‚Blaue Feder‘ –
Zeiten zum Schreiben. Trinke ab und zu auch mal ein Bier. –
Soso‘ Wo kam die Stimme her? Doch bevor sie es fassen
konnte, schloss sie schon wieder die Augen. Das monotone
Geräusch der Bahn lullte sie ein, und sie ging auf eine Reise.
Sie fand sich wieder auf einer Hochebene und stand vor einer
Jurte. Die Landschaft war ihr bekannt. Drinnen brannte ein
Feuer. Menschen saßen um das Feuer. Blaue Feder ging
hinein und setzte sich in den Kreis. Ihr gegenüber saß eine Alte
Weise und schaute Blaue Feder tief in die Augen und in ihr
Herz. Dann sprach sie:
‚Schau meine Liebe, wie wunderbar Du bist. Du bist durch so
viele Täler gewandert, auf Berge geklettert, tief ins Meer
getaucht und weit über die Wolken geflogen. Du bist den
Sternen gefolgt, dem Ruf der Göttin und hast tiefe
Seelenlandschaften durchwandert. Manchmal hast Du
gedacht, es ginge nicht weiter. Doch hast Du aus der Kraft
Deines Herzens einen Weg gefunden. Du hast die Liebende
Mutter in Dir entdeckt und den weiten Raum. Du bist durchs
Feuer gegangen und zur Kohle geworden. Schwarz,
schwärzer und noch schwärzer! Langsam ist Vertrauen in Dir
gewachsen. Das Vertrauen, es geht irgendwo immer weiter.
Sei gewiss, ich bin immer bei Dir. Denn Du bist ich und ich bin
Du - immerdar und zu aller Zeit!
Als Blaue Feder die Augen öffnete, saß sie bereits am Alten
Feuer. Alle erzählten ihre Geschichten. Das Feuer brannte
langsam herunter und die Asche erlosch. Aus der Asche nahm
Blaue Feder ein Stück Kohle und malte ihr Bild. Dann war es
an der Zeit zu gehen. Noch einmal versammelten sich alle im
Kreis. Gab es ein Wort, einen Satz, der ihre Erfahrungen
beschrieb, die sie mitnahm? ‚Butter bei die Fische‘ - Es war
eine Redewendung aus ihrer Heimat. Es bedeutete, zum
Wesentlichen zu kommen. Nun wurde sich umarmt, ein paar
Tränen flossen und eine gute Reise wurde gewünscht. Blaue
Feder nahm ihr Bild und stieg wieder in die Bahn. Sie hoffte, sie
könne sich ein bisschen ausruhen. Doch weit gefehlt. An einem
See stieg eine alte Dame zu. Weiß war ihr Haar, ihr Alter
fortgeschritten. Sie hatte wunderbar strahlende blaue Augen.
Blaue Feder sprach sie an und fragte, wie der See hieße, an
dem sie gerade vorbeifuhren. Es war der Ammersee. Blaue
Feder fragte weiter, woher sie käme und wohin sie ging. Sie
kam von einem Seminar, doch würde sie davon erzählen,
würde Blaue Feder sie wohl für verrückt halten. Blaue Feder
erwiderte, auch sie käme von einem solchem Seminar. So
reisten gemeinsam von Sirius bis hin zu Saturn. Blaue Feder
fragte die Alte, wie sie ihr Wissen vermitteln würde. Sie sagte,
sie verstehe sich als Übersetzerin. Den Ansatz fand Blaue
Feder spannend. Das fanden auch zwei Jungen, die ihrem
Gespräch gelauscht hatten, ein junger Philosophiestudent und
sein kleiner Bruder. Nun stellten die Jungen Fragen und die Alte
und Blaue Feder versuchten zu übersetzen. Gemeinsam
reisten sie weiter zur Venus, tauchten in die Liebe, denn darin
waren sich alle einig, die Liebe verbindet.
‚Liebe verbindet‘
In Augsburg trennten sich die Wege. Die Alte gab Blaue Feder
eine Visiten-Karte, auf der ein Graureiher abgebildet war und
sie musste schmunzeln. Ein bisschen schwindelig war ihr
schon von der Sternenreise, hatte am Morgen verschlafen und
noch nicht gefrühstückt. Sie holte sich eine Kleinigkeit zu essen
und stieg in den nächsten Zug. Eine junge Frau setzte sich zu
ihr - bildschön mit langem lockigem Haar - ein zauberhaftes
Wesen. Sie war eine Heilkundige auf dem Weg zu ihrer ersten
festen Anstellung nach dem langen Studium der Medizin. Blaue
Feder ahnte, sie war im Saturn-Return und hatte Angst, ihr
Leben würde nun in festen Bahnen etwas langweilig
weiterlaufen. Blaue Feder konnte sie beruhigen und versprach
ihr, es würde noch vieles geschehen, was sie jetzt noch nicht
ahnte.
‚Leben ist Veränderung‘
Während sich die beiden unterhielten, war Unruhe vor ihnen
aufgekommen. Eine ältere Dame saß auf dem verkehrten Platz
und ein junger Mann beanspruchte den Platz. Blaue Feder, die
sich selten einmischte, sagte ihm, er könne sich doch auf den
Platz der älteren Dame setzen, dann müsse sie nicht mit ihrem
ganzen Gepäck umziehen und er war einverstanden. Nach
einer Weile stieg die junge Frau aus und Blaue Feder holte die
ältere Dame zu sich. Sie lachten viel und waren wie zwei alte
Freundinnen, die sich nach langer Zeit wiedergetroffen haben.
Sie war eine Tänzerin und eine Yoga-Kundige. Tanzen war ihr
Leben. Gemeinsam fuhren sie heim und tauschten ihre
Adressen aus. Auf diese Weise verflog die Rückreise wie im
Fluge.
‚Tanze mein Herz‘
4. DAS MUTTERKRAUT
Blaue Feder war in diesem Jahr viel unterwegs gewesen und
hatte ihren Kräutergarten sehr vernachlässigt. Einige Kräuter
hatte das wohl nicht gestört und so wuchs anstelle des Rasens
der Spitzwegerich. Auch das Mutterkraut hatte sich sehr
ausgebreitet und die Kapuzinerkresse fühlte sich wohl. Sie
räucherte erst einmal ihr Atelier mit Artemisia. Ihr war nach
einem vertrauten Geruch. Während sich der Duft im Raum
ausbreitete, kam ihr die Idee, sich einfach einmal zu den
Kräutern zu setzen, die sie nicht kannte. Sie holte sich ihren
Holzschemel, ging in den Garten, schob ihn neben das
Mutterkraut und schaute, was passierte.
Ein kleiner weißer Pflanzengeist flog in die Höhe mit einem
rotweißen Tuch um den Kopf, so eines wie sie es auf dem Weg
gefunden hatte. Der Pflanzengeist sagte, sie sei die
Putzfrau unter den Blumengeistern. Zuerst putzte sie Blaue
Feder nun mit dem Tuch das Dritte Auge, damit sie besser
sehen konnte. Dann putzte sie ihr die Ohren, damit sie besser
hören konnte. Dann war die Nase dran. Das kitzelte
ordentlich. Dann sollte sie den Mund aufmachen und
offenlassen. Sie putzte den Belag weg und reinigte den
Rachen. ‚Jaja, ganz schön viel Belag‘, stellte sie fest. Dann
öffnete sie noch die Türen zu ihrem Herzstübchen und
murmelte was von: ‚Oh je, ganz schön Durcheinander hier‘ und
räumte auf. Ja, sie sei die Putzfrau unter den Elfen und stets
zu Diensten.
Blaue Feder sollte 9 Blüten mitnehmen und einen Tee
aufbrühen eine Viertelstunde. Ja, Neun sei gut – 3 x 3 – nicht
mehr und nicht weniger.‘
Blaue Feder bedankte sich, pflückte die Blüten ab und spürte,
dass das auch für die Pflanze nicht ganz angenehm war.
‚Reiß doch nicht so‘, hörte sie eine zarte Stimme. Dann machte
sie sich den Tee und trank ihn. Irgendwie hatte sie sehr viel
Respekt vor den Pflanzen. Sie nahm nicht so gerne etwas ein,
was ich nicht kannte. Naja, mal sehen.
‚Liebe Leserin, lieber Leser, alles was Blaue Feder jetzt so
über Pflanzen schrieb, war auf ihrem Mist gewachsen. Es
war ihre Wahrnehmung. Für Dich kann es ganz anders sein.
Der Umgang mit den Pflanzen war wohl sehr individuell. Ihre
Erfahrungen können Dir lediglich eine Anregung sein, Dich
selbst auf die Reise zu begeben -auf Deine eigene Reise in die
Natur.‘
Blaue Feder ging mit den Pflanzen, die ihre Aufmerksamkeit
suchten, so wie an diesem Tag das Mutterkraut und sie machte
ihre Erfahrungen. Viel Erfahrung hatte sie noch nicht, weil sie
so vorsichtig war. Vielleicht konnte sie sich im kommenden Jahr
mehr den Pflanzen zuwenden und malen, was sie erlebte, wie
mit dem Mutterkraut. War es das Mutterkraut, das sie klarer
sehen ließ oder hatte sich in ihrem Herzen etwas sortiert?
5. Ein fließender Übergang
Die zweite Mondprogression
Ab und an erzählte Blaue Feder eine Sternengeschichte und
versuchte sie zu übersetzen, so gut sie es vermochte. In jener
Nacht hatte sie einen spannenden Traum.
Im Traum hatte sie zusammen mit einer anderen Frau Gänse
eingesammelt. Die Gänse setzten sich in die Bäume und
wurden selbst zum Nest für ihre Kinder. Sie lösten sich dann
auf. Ein komisches Bild. Sie wuchsen wie Pilze auf den Bäumen.
Die Frau schützte sie vor sich selbst.
Gab es etwas, wovor sie sich selbst schützen musste, etwas, wo
sie sich selbst aufgab?
Es war dieser besondere Tag und Blaue Feder fühlte sich gar
nicht besonders. Sie hatte von ihrer einstigen Lehrerin geträumt.
Ihre erste Mondprogression mit 27 Jahren war recht dramatisch
verlaufen. Damals hatte sie vieles aufgegeben, ihr Atelier
aufgelöst und war ihrer großen Liebe gefolgt. Doch zerschlug
sich diese Beziehung und sie kehrte wieder heim. Damals
entschied sie sich einen spirituellen Weg zu gehen und schloss
sich einer Meditationsgruppe an. Mittlerweile floss ihr Leben in
ruhigeren Bahnen und doch hatte sie immer Respekt vor solchen
Übergängen und etwas Angst, was nun kommen würde.
Vermutlich war es eine alte Angst, denn schaute sie in den
Spiegel, sah sie eine Frau, die ihr Leben gelebt hatte und der
man nicht mehr so viel vormachen konnte.
Wie der Mond am Himmel in der 11. Mondphase, kurz vorm
Vollmond, so hatte sie ihre Lebensmitte überschritten.
Ein Buntspecht kam in den Garten und Freude stieg in ihr Herz.
Sie wollte ihr So-Sein annehmen, wie es war und ganz in ihre
Herzenskraft eintauchen. Geborgenheit fand sie nur in sich
selbst. Jedes Jahr und jeder Tag waren anders. Dieser Tag
schien ihr ein Rotkehlchen-Tag, sangen sie schon den ganzen
Morgen: Folge Deinem Herzen
Am Eingang zum Moor auf einer Wiese begrüßten sie der Weiße
und der Graue Reiher. Blaue Feder ging zum Großen Mondsee
und tauchte in die Weite. Manchmal löste sie sich in der Natur
einfach auf. So störten sich die Rehe nicht an ihr. Bussarde
zogen ihre Kreise. Es fühlte sich alles lebendig an.
Vogelschwärme waren unterwegs: Gänse, Wacholderdrosseln
und am Ende tauchte sie in einen Schwarm Schwanzmeisen, die
sie sehr mochte. Sie sah auch Plätze, wo ein Vogel gerupft
worden war. Leben und Tod standen oft nahe nebeneinander.
Die Sonne schien warm. Sie fand einen Steinpilz und viele
Fliegenpilze. Einsam fühlte sie sich in der Natur nie. Alles war
belebt. Wenn sie auch die feinen Wesen nicht sehen konnte,
spürte sie ihre Anwesenheit: die Elfen, Feen und was sonst noch
unterwegs war. Sie setze sich auf die Bank unter den tanzenden
Birken und tauchte in die lebendige Stille. Ein paar Libellen und
Schmetterlinge tanzten um sie herum und es blühten noch ein
paar Cosmea.
So war es ein fließender Übergang.
6. ‚DER WIND IN DEN WEIDEN‘
Samhain
Eine Amsel lud Blaue Feder ein, in das unwirtliche Nass draußen
vorzudringen. Sie zog sich warm und regensicher an. Die Amsel
scheint etwas unscheinbar, und doch ist sie eine Vermittlerin
zwischen den Welten.
‚Wässere die Blume der Amsel‘, sagen die Buddhisten und
meinen, fühle Dich ein in die Amsel. Deine Seele weiß, alles
beginnt mit der feinen inneren Stimme, mit dem Lauschen auf
Deine inneren Impulse, die manchmal eigenartig unvertraut
klingen und doch deine innere Wahrheit intuitiv offenbaren.
Blaue Feder freute sich in diesem Jahr über jede Amsel, die nicht
von jenem Virus befallen war. Die Amseln bekamen von ihr
Äpfel, die sie sehr liebten.
Ein Blatt in einer Pfütze sah aus wie ein Jahreskreis mit seinen
vier Jahreszeiten. Als sie auf die freie Flur trat, wehte der Wind
ordentlich in den jungen Weiden. Es erinnerte Blaue Feder an
das Kindertheaterspiel, dessen Bühnenbilder sie im Theater
Wedel gemalt hatte: ‚Der Wind in den Weiden‘. Ein Mädchen
tauchte in die Welt der Tiere und erlebte die Abenteuer von
Ratte, Maulwurf, Dachs und Kröterich. Wie oft hatte sie sich
als junge Frau verbogen, wie die jungen Weiden, nur um zu
gefallen.
Die Krähen riefen sie zum Krähenwald. Blaue Feder ging an den
Sieben Pappelschwestern vorbei und landete auf einer
Brachlandschaft. Sie schaute sich die verdorrten Pflanzen an,
die eine eigene Schönheit entfalteten. Sie fühlte sich wohl auf
dem Brachland. Ein Land, das Sabbat macht – sich eine Auszeit
nahm – sich erholen konnte. Sie spürte Ruhe in sich. Da
entdeckte sie einen alten Korb. Einen alten ausgedienten
Weidenkorb. Ihr Herz hüpfte. Es machte sie fröhlich zu sehen,
wie sie eingebunden war – wie alles miteinander verflochten und
verwoben ist – wie sie selbst eingebunden war.
Sie ging die Stufen zum Fuchsloch hoch und setzte sich auf ihren
Platz unter der Eiche. Sie schaute über das Land und sah die
Kühe auf der Wiese liegen. Bei den Kühen konnte sie sich
entspannen. Sie fühlte sich wie eine alte Nomadin, die ihre Yaks
und das Feuer hütete. Als sie die Graue bei den Kühen sah,
erinnerte sie sich der Worte einer alten Frau:
‚Die Menschen haben das Warten verlernt.‘
Wie recht sie hatte. Immer sollte alles sofort, höher, schneller,
weiter sein. Dabei brauchen manche Dinge ihre Zeit zu reifen. In
der Natur fand Blaue Feder langsam zu ihrem ureigenen
Rhythmus zurück. Vielleicht konnte sie das Warten von den
Kühen lernen. Diese Geduld oder sich an dem zu laben, was
wirklich satt machte.
Welche Milch macht satt?
Blaue Feder ging den Weg der Alten Weiden. Sie dachte bei
sich, es war gut, älter zu werden. Wie die alten Weiden, ließ sie
sich nicht mehr so verbiegen. Was hatte sie alles getan für ein
bisschen Liebe, als sie jung war.
Sie kam zu dem Schlehengang, der wie ein Tor in eine andere
Welt dalag. Es gibt Orte, da stehen Weißdorn und Schwarzdorn
beisammen. In Irland wird gesagt, wo Weißdorn und Schlehe
beieinanderstehen, sei ein heiliger Raum und man könne
hier Feen und Elfen entdecken.
Der Stab der alten Cailleach war aus Schlehenholz. Der Stab,
der nun von der liebenden Mutter Modron weitergereicht wurde
zur alten Cailleach, die ihn wiederum im Frühling der jungen
Brigid überreichte. Wenn die alte Cailleach mit dem Stab gegen
die Erde schlug, erschuf sie den Frost und der Winter zog übers
Land.
‚Wer durch mich geht, kommt nicht mehr zurück.‘
Blaue Feder hörte diesen Satz in sich und erschrak etwas. Sie
hatte ihn auch nicht verstanden. Sie fragte noch einmal nach, wie
es gemeint war. Wer durch das Tor der Schlehen geht,
verwandelt sich und geht zur Winterkönigin. Sie könne ruhig
hindurchgehen, weil sie sich bereits gewandelt hatte. Sie sei
schon eine Winterkönigin.
Wenn wir durch Schlehen und Weißdornhecken gehen, dann
lassen wir immer etwas zurück. An den Dornen bleibt alles Alte
hängen, was wir nicht mehr brauchen. Wir kommen immer
verändert heraus. Es tut gut, ganz bewusst durch eine
Schlehengang zu gehen.
Sie nahm ihren Mut zusammen und ging mit Herzklopfen durch
den Schlehengang. In den Schlehen sah sie eine Amsel sitzen.
Ein Schlehenzweig war abgebrochen und Blaue Feder nahm ihn
auf. Sie würde ihn auf ihren Altar stellen. Achtsam ging sie durch
den Gang. Die Beifuß-Pflanzen auf der angrenzenden Wiese
bezeugten es. Auf der anderen Seite hörte sie Meisen singen
und sie tanzten um sie herum.
Sie war sehr erleichtert. Es war doch etwas unheimlich. Doch
nun fühlte sie sich wie befreit. Als sie aus dem Wald heraustrat
flog der Weiße Reiher direkt auf sie zu. Das Glückgefühl, das in
ihr hochstieg, konnte sie mit Worten nicht beschreiben.
Auf dem Heimweg sah sie wieder eine Amsel. Es war ihr, als
hätten die Amseln sie begleitet und sie bedankte sich bei ihnen.
‚Wässere die Blume der Amsel‘, hörte sie die Stimme in Herzen
sagen. Fühle Dich ein und folge Deinen inneren Impulsen.
7. DAS GRAB DER TÚATHA DÉ DANANN
Anfang November
In der Nacht träumte Blaue Feder vom Grab der Túatha Dé
Danann. Sie stand an ihrem Grab, eine Kerze brannte und sie
sah ein keltisches Symbol. Manchmal träumte sie solche Dinge.
Da wussten dann ihre Seele oder ihre Ahnen mehr als sie. Sie
wusste nicht viel über die Túatha Dé Danann.
‚Dana, Danu oder auch Anu war die Große Göttin der keltischen
Mythologie. Sie galt als Urmutter des Göttergeschlechtes der
Tuatha Dé Danann, dem Volk der Göttin Danu. Dana war
selbst die große Mutter Erde. Brigid - die Jungfrau, Danu - die
Mutter und Anu - die Greisin, bilden die Göttinnen-Trinität. In
der Nähe von Killarney gab es zwei Hügel ‚An Da Chich Annan,‘
die als die ‚Brüste der Dana‘ gelten. Dana erscheint hier als
Landschaftsgöttin, deren Körper das Land formt und an ihren
Brüsten die Menschen nährt.
Blaue Feder fühlte sich mit Irland sehr verbunden, wohl auch,
weil ihr Bruder dort lebte. Schon am Morgen riefen sie ihr Atelier
und ihre Wintergeschichte. Die Nacht war sternenklar und ein
bisschen Sternenstaub war in ihr Atelier gerieselt. Sie malte ein
neues Bild für ihre Wintergeschichte und es gefiel ihr.
Es hörte auf zu regnen und sie hatte den Impuls, den
Weißdornhain aufzusuchen. In Irland wurde und wird der
Weißdorn sehr verehrt und war ein Sinnbild für die Göttin. Das
Wäldchen mit dem alten Weißdorn war verkauft worden und
jemand versuchte es aufzuräumen. Sprich, im Weißdornhain
wurde ordentlich abgeholzt. Normalerweise reagierte Blaue
Feder allergisch auf alle Männer mit Kettensägen. Aber
irgendwie stört es sie nicht so sehr, wie sonst. Sie fand einen
Rehbockschädel und überlegte, was sie mit ihm machen wollte.
Sie mochte den Schädel nicht offen rumliegen lassen.
Mitnehmen mochte sie ihn auch nicht. Knochen gehörten für sie
in die Erde. Also begrub sie ihn am Fuße des Weißdornes bei
einem Fliegenpilz. Damit fühlte sie sich wohler. Manchmal kam
sie sich albern vor, bei solchen Aktionen, aber wie im Traum,
hatte sie den Eindruck, ihre Seele wusste einfach manchmal
mehr als sie. Oft erfuhr sie erst später, warum sie manche Dinge
tat, wie sie sie tat. Wie im Traum stand sie nun an einem Grab.
Sie dachte an den Hirsch, der nun in die Unterwelt ging, bis er
im Frühjahr wieder ans Licht zurückkam. Nun fiel ihr ein, es war
der Todestag ihres Vaters. Vieles war schief gelaufen in ihrer
Beziehung zu Lebzeiten. Mit dem Hirschkopf übergab sie es
Mutter Erde und dem Weißdorn. Sie würden wandeln, was zu
wandeln war. Hinterher saß sie noch eine Weile auf der Bank
und paffte mit der Alten vom Weißdorn eine Pfeife.
8. DIE MIT DEN REIHERN TANZT
November Vollmond
Im Traum fand Blaue Feder große Federn und sammelte sie
ein. Es waren Frauen um sie herum, die fanden das
merkwürdig. Blaue Feder scherte es nicht. Sie fragte sich
nur, von welchem Vogel die Federn wohl waren?
Schon am Eingang des Moores tanzten zwei weiße Reiher. Im
leichten Nebelfeld hörte Blaue Feder die Reiher im Moor
schreien. Überall hörte sie die krächzenden Stimmen. Als wollten
sie ihr etwas sagen – so etwas wie:
‚Noch nicht – hast Du in Ruhe geschaut – hast Du alles
liebevoll bedacht – lass es noch ruhen – gib ihm die richtige
Würze – gehe in die Stille‘
Blaue Feder wollte Ihre Wintergeschichte veröffentlichen. Sie
ging zur Grünen Bank wie in ihrem Buch ‚Die Winterkönigin‘
und kam an neuen Muschelbänken vorbei. Sie setze sich auf die
Bank am kleinen Birkensee, lauschte in die Stille und versuchte
hinein zu tauchen. Ein weißer Reiher setzte sich ein paar Meter
neben sie. Sie schloss die Augen und sah die Weiße neben sich
auf der Bank sitzen. Sie machte erst einen Joke, als wenn sie
Blaue Feder beißen wollte.
Na, hast Du Angst vor mir?
Sie war Jene, die Herzen heilt, die Weiße Frau, die Heilerin.
Was ist, wenn nichts im Außen ist? Wie fühlt sich das an –
unsicher – unruhig? Gar nicht so einfach loszulassen und zu
vertrauen. Was ist, wenn Du Dich im Nichts auflöst?
Blaue Feder öffnete die Augen und versuchte den weißen Reiher
neben sich zu fotografieren, aber sie flog weg. Sie versuchte es
noch einmal und die Kameralinse beschlug.
Was willst Du festhalten?
Sie ging um den See herum und stand an einem alten Feuer. Sie
ging zurück und quetschte sich durch die Birken. Es war ein
schmaler Weg – ein Birkentor. Dann erblickte sie den weißen
Reiher durch das Schilf auf der Wiese zur Gänsekuhle. Sie und
die Weiße waren eins.
Jeder heilt sich selbst
Vielleicht musste sie, was sie schrieb, erst einmal selbst
erfahren. Manchmal schrieb sie von Dingen, die sie selbst noch
gar nicht verstand und lebte. Ihre eigene Reise offenbarte sich,
während sie es malte, webte und schrieb. Auf diese Weise
wurden ihr die Dinge bewusst. So war es mit der Heilung. Sie
geschah, während sie Erfahrungen machte und sie konnte
immer wieder neu etwas probieren, bis es sich stimmig anfühlt.
Blaue Feder ging weiter und fand sich wieder in einem Schwarm
von Schwanzmeisen. Sie freute sich über ihre Lebendigkeit. Eine
Alte kam des Weges mit einem freundlichen Gesicht. Die beiden
Frauen unterhielten sich eine Weile über die Vögel. Die Alte war
besorgt, weil die Vogelzahlen immer weiter zurückgingen. Blaue
Feder dachte, es wird alles gut, aber sie sagte nichts, weil sie es
nicht sicher wusste. Sie wollte es gerne glauben. Sie wollte auch
keine Angst vor dem Tod haben, der ja nur eine Reise in eine
andere Welt war, aber sie hatte Angst. Sie schaute der Alten
hinterher und sie bewunderte sie, wie sie da so sportlich ihre
Runden zog. Eigentlich wollte sich Blaue Feder auch mehr um
ihren Körper kümmern. Sie hatte es sich versprochen. Tat sie
immer, was sie schrieb? Warum wollte sie ihr Buch so schnell
veröffentlichen. Warum so schnell – anstatt sich Zeit zu nehmen
und es in Ruhe fertig zu machen? Sie tauchte in einen Schwarm
Wintergoldhähnchen. Irgendetwas geschah mit ihr.
Sie war nicht mehr die Alte, die alles überspielte.
Sie wollte sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es ging
nicht um ’schön‘, sondern um den Inhalt.
Es ging nicht um ’schnell‘, sondern darum, sich Zeit zu lassen.
Auch, wenn das Buch erst im kommenden Jahr fertig sein würde,
machte es nichts – ihre Kunst war zeitlos.
Sie hörte ihre Schwestern rufen. Die Graugänse kamen und
flogen ein paar Runden um Blaue Feder und luden sie ein zu
einem Flug. Runde um Runde verstehen wir mehr - lassen los
und landen immer mehr im Sein. Sterben tausend Tode, immer
und immer wieder und lachen über unsere kleinen Dramen.
Blaue Feder sah die Alte wieder laufen. Bei ihrem Auto
angekommen, machte sie Leibesübungen. Die beiden Frauen
lachten sich wieder an. Die Alte erzählte, sie hätte einen
Schwarm Gimpel gesehen und Blaue Feder erzählte von den
Wintergoldhähnchen.
Es gibt immer welche, die laufen voraus. Sie sind mutig. Oft
werden sie nicht verstanden und manchmal auch belächelt.
Auf ihrem Heimweg sah sie noch einmal die Weiße fliegen und
bedankte sich. Das alte Jahr hatte mit Schwanzmeisen
begonnen und nun endete es mit Wintergoldhähnchen. Es
begann etwas Neues und achtsam wollte Blaue Feder
weitergehen. Sie selbst war es, die ihre Kunst manchmal nicht
ernst nahm. Sie selbst dachte, es sei doch alles Nichts. Liebevoll
wollte sie noch einmal auf das schauen, was sie geschaffen
hatte, schauen, welche Worte sie in ihr Buch schrieb. Und ein
Rotkehlchen sang:
Höre auf Dein Herz
9. DIE MENSCHEN HABEN DAS WARTEN
VERLERNT
Ende November
Sie waren in diesem Jahr früh dran mit ihrer Weihnachtsfeier in
diesem Jahr. Weihnachtsstimmung wollte nicht aufkommen.
Nach der Weihnachtsfeier saß Blaue Feder bedröppelt in der
Firma und entschied, nach Hause zu fahren. Je älter Blaue Feder
wurde, desto länger brauchte sie, sich von einer Feier zu
erholen, auch wenn diese sehr schön war.
Sie machte sich auf den Heimweg. Der Bus fuhr ihr vor der Nase
weg. Also ging sie zu Fuß zur U-Bahn und wartete auf die Bahn
zur Sternschanze. An der Sternschanze musste sie wieder
warten. Ob sie ihre Bahn kriegen würde? – Nein, sie bekam sie
nicht. Auf der Anzeigetafel sah sie, die nächste Bahn fuhr ab
Elmshorn und so entschied sie sich mit dem Bummelzug nach
Elmshorn zu fahren.
Pinneberg – Prisdorf -Tornesch – Elmshorn
Nun musste sie auf den Zug nach Itzehoe warten. Sie nutzte die
Zeit, um in die Stadt zu gehen. Elmshorn kannte sie nicht. Sie
kaufte sich ein Stück Gebäck, ging zurück und sah dann, dass
der Zug auf einem anderen Gleis abfuhr. Sie stieg dann in den
nächsten Bummelzug nach Itzehoe.
Herzhorn - Glückstadt- Krempe – Kremperheide – Itzehoe
Ihr fielen die schönen Namen der Haltestellen auf. Irgendwann
würde sie wieder einmal mit dem Bummelzug fahren, an jeder
Station aussteigen und die Gegend erkunden. Nun musste sie
auf das stille Örtchen und bezahlte dafür einen Euro im
thailändischen Restaurant. Danach saß sie eine Weile in der
Wartehalle. Auf dem Bahnsteig traf sie eine ältere Dame, die sich
auf dem Weg nach St. Peter-Ording befand. Sie erzählte, ihr Zug
nach Westerland hätte nicht gewartet, weshalb sie auch den Zug
nach Heide nahm. Blaue Feder zog ihr kleines neues Buch ‚Der
Blaue Weg‘ aus dem Rucksack und begann darin zu lesen.
Wilster – Burg - St. Michaelisdonn – Meldorf – Heide
Beim Aussteigen traf sie die ältere Dame wieder. Sie sagte:
„Die Menschen haben das Warten verlernt. Alles schon so früh
– im September gibt es schon Spekulatius und Lebkuchen.
Überall stehen schon geschmückte Weihnachtsbäume. Zu ihrer
Zeit gab es nur ein Buch zu Weihnachten und darauf hatte sie
sich sehr gefreut.“
Die ältere Dame war wohl 20 Jahre älter als sie selbst. Blaue
Feder hatte ein Gefühl, als hätte sie jetzt fünf Wochen frei. Dem
war nicht so, aber die langsame Bahnfahrt hatte etwas mit ihr
gemacht - Ruhe war eingekehrt.
Es störte sie auch nicht mehr, in Heide auf den Bus zu warten.
Fünf Stunden hatte sie für den Heimweg gebraucht, der sonst
zwei Stunden dauerte. Es hatte eine Zeit gegeben, da gingen die
Menschen zu Fuß. Was waren da schon fünf Stunden Bahnfahrt.
Außerdem hatten sie es warm gehabt in den Zügen.
Die alte Frau hatte schon recht, die Menschen hatten verlernt zu
warten. Immer sollte alles schnell, schnell gehen. Dabei
brauchten gute Ding ihre Weile. Blaue Feder hatte sich Zeit
genommen für ihre Wintergeschichte.
Das Warten lernte Blaue Feder nach und nach von den Reihern,
die Meister der Meditation waren. Lange stehen sie still auf
einem Bein bis zu einem geeigneten Moment, in dem sie
blitzschnell ihren Fisch fangen.
Die Adventzeit stand bevor und das große Warten auf die Geburt
des Neuen Lichtes begann. Blaue Feder wartete auch. Sie hatte
eine Nachricht bekommen, ihr Buch sei unterwegs. Sie hatte
eine Winter-Geschichte ‚Das Lied der Winterkönigin‘ gemalt,
geschrieben und drucken lassen. Nun erwartete sie voller
Vorfreude das Eintreffen ihres Buches.
10. KUHLE NR. 13 - Halkyonische Tage
Blaue Feder war auf dem Weg zur Grünen Bank beim Kleinen
Birkensee. Die Birken im Moor waren oft mit Moos bewachsen
und schienen etwas dunkel. Aber auf dem Weg zum Kleinen
Birkensee leuchtete sie Weiß und Schwarz.
Es gab eine Schranke an dem Weg und sie fragte, ob sie
eintreten durfte. Dieses Land gehörte wem. Wenn sie diesen
Weg ging, hörte sie Kinderlachen aus einstigen Tagen. Die
Kinder hatten hier gespielt und ein Floß gebaut, es mit einer
Schnur über den kleinen See gehangelt. Jetzt diente es den
Reihern als Ruheplatz. Überall lagen Teichmuscheln. Woher
kamen bloß die vielen Muscheln, die Blaue Feder im Moor fand?
Mal wieder so eine Frage, die ihr nachging. Es musste schon ein
großer Vogel sein, der sie herbrachte. War es überhaupt ein
Vogel? Sie wusste es nicht, aber vielleicht würde sie es mit der
Zeit ja herausfinden.
Der Weg erzählte nicht nur von Kinderlachen. Er erzählte auch
vom Tod. Blaue Feder fand das Gerippe einer Schlange und
viele Rupf-Plätze. Hier hatte es eine Ente erwischt, dort einen
anderen Vogel. Weiß und Schwarz, Leben und Tod, wie bei den
Birken verband sich die Jugend mit dem Alter. Blaue Feder liebte
seit Kindheitstagen die Birken. Sie erinnerten sie an die endlosen
Wälder in Finnland, in die sie gereist waren. Dort hatte sie sich
einen Löffel aus Birkenholz geschnitzt. Wo der wohl geblieben
war? Als junge Frau besuchte sie einen Birkenbaum in der
Nordheide. Er spendete ihr Trost, wenn sie traurig war.
Sie ging zu ihm, wenn sie Fragen hatte. Oft saß sie an seien
Stamm gelehnt, malte und träumte von den Geschichten, die dort
stattfanden.
Oft stiegen alte Bilder in ihr auf, wenn sie in Heide-Landschaften
unterwegs war. Sie wusste nicht, woher die Bilder kamen. Es
waren wohl Bilder aus vergangen Zeiten. Doch was war mit den
Bildern jetzt? Mutter Erde veränderte sich und vielleicht mit ihr
auch die Geschichten. Was erzählte die Erde jetzt für
Geschichten? Blaue Feder wollte diesen Geschichten lauschen.
Was erzählte ihr das Land? Was erzählten ihr die Birken?
Mit den Birken fing immer etwas Neues an. Blaue Feder spürte,
wie etwas Neues begann. Ihr Herz spürte es. Sie würde
versuchen, die Geschichten ihres Landes zu schreiben. Sie
würde versuchen, was sie empfand in Worte zu fassen. Sie
würde sich nach und nach immer mehr mit Land vertraut machen
und eins werden mit ihm. Vielleicht würde sie ihre Furcht vor dem
Fremden fallen lassen und eintauchen in die Welt dahinter.
Für sie gab es mehrere Welten nebeneinander. Manchmal
erhaschte sie einen Blick in eine andere Welt. Dann ging sie
ganz beseelt nach Hause. Dort, wo die grüne Bank stand,
leuchteten die Birken besonders. Ein Glanz lag hier über dem
kleinen See. Vielleicht, weil die Menschen, denen dieses Stück
Land gehörte, sich um die Tiere sorgten.
Es gab hier Futterstellen. An diesem Ort standen viele
Weißdorne, hübsche kleine Bäume mit roten Früchten. Die
Birken spiegelten sich im Wasser. Blaue Feder sah wieder den
weißen Reiher dort sitzen. Nicht weit von ihr entfernt. Die Reiher
begleiteten sie. Sie kamen jetzt sogar manchmal ins Dorf
geflogen. Flogen über Blaue Feder Haus. Sie tanzte mit den
Reihern.
Sie hatte heute auch einen Beutel mit Vogelfutter dabei. Als sie
wieder auf dem Libellenweg war, sah sie in der Ferne einen
großen Vogel sitzen - einen Bussard vielleicht? Sie kam zum
Schwanensee. Hier hatten die Menschen im Sommer neue
Bäume gepflanzt und ein wenig aufgeräumt. Der Schwanensee
lag leer und verlassen da. Den Weg hierher hatten Möwen Blaue
Feder begleitete. Es waren viele Möwen im Binnenland.
Vielleicht war ein Sturm an der Nordsee. Wenn sie Möwen sah,
hatte sie auch den Eindruck, etwas Neues stand vor der Tür.
Blaue Feder ging zur Gänsekuhle und schon aus der Ferne sah
sie die Vögel auf dem Wasser. Ihr Herz hüpfte. Waren die Gänse
gekommen. Sie ging den kleinen Weg durch alte Baumstümpfe.
Dann sah sie einen ganzen Trupp Gänsesäger in Braun und
Schwarzweiß. Sie freute sich. Sie sah einige weiße Silberreiher
und Graue Reiher. Eine Gänsesäger Dame hatte sie das erste
Mal im vergangenen Jahr auf dem Schlangensee gesehen.
Vielleicht waren die Gänsesäger Wintergäste. Dann beobachtet
sie, wie die weißen Reiher in ein Waldstück links neben der
Gänsekuhle flogen. Ob sie dort ihren Rückzugsplatz hatten?
Währenddessen hörte sie das klopfende Geräusch der alten
Dame, die mit ihren Gehstöcken des Weges kam, wie schon am
vergangenen Freitag. Die beiden Frauen, die sich freitags immer
trafen, lachten sich an und sprachen ein bisschen über Sport.
‚Ja, sie mache viel Sport‘, sagte die Alte und sie schaute sich
das farbverschmierte Shirt von Blaue Feder an. Bei dem Wort
‚Sport‘ hatte sie wieder ein schlechtes Gewissen, weil sie so faul
war.
Sie kam zur Kuhle Nr. 13. An dieser Kuhle wurde es für sie meist
etwas verrückt, glitt sie hinüber in eine andere Welt. Der
Buntspecht und die alte Dame hatten es schon angekündigt.
Blaue Feder hatte Herzklopfen. Sie war noch nie näher an die
Kuhle 13 gegangen. Sie fasste sich ein Herz und ging. Die Sonne
schien warm. Es war heute warm und der Wind hatte sich gelegt.
Ein richtig schöner Tag, wie die beiden Frauen feststellten.
Als Blaue Feder am Seeufer stand erblickte sie rechts einen
Weg, den sie ihn ein Stück entlang ging. Dann lagen Wellbleche
über einen feuchten Abschnitt und sie traute sich nicht
hinüberzugehen. Wenige Meter vor sich erblickte sie die
Silhouette eines weißen Reihers, ja noch ein weiterer schien dort
zu sitzen. Hier hatten sie etwas abgelegen einen Rückzugsort
gefunden. Sie blieb ruhig stehen, sie wollte sie nicht stören, ging
schließlich leise zurück. Sie kam sich vor, wie ein Eindringling.
Auch sie brauchte ihre Rückzugsorte, wo sie ungestört war. Das
kannte sie gut und respektierte es.
Das Klopfen eines Buntspechtes ließ sie weitergehen. Oben in
den Birken saß er und schlug die Trommel.
So setzte sie sich ans Ufer von Kuhle 13 und genoss die Sonne.
Das Moos war nass, aber es störte sie nicht. Es war warm und
lauschig. Wie aus dem Nichts sah sie einen blauen Schatten
über den See fliegen. Ein blauer Eisvogel glitt über das Wasser
und setzte sich gegenüber ans Ufer. Lange hatte sie keinen
Eisvogel mehr gesehen. Im Graben auf ihrer Runde waren die
Eisvögel verschwunden. Vermutlich, weil die Gräben immer
wieder ausgebaggert wurden. Hier hatte auch er einen
Rückzugort gefunden.
Blaue Feder freute sich. Es war ein schöner Tag - ein wahrer
‚Halkyone Tag‘. Als sie wieder zuhause war, recherchierte sie
über den Eisvogel. Dann las sie von der griechischen Sage von
‚Halkyone und Keyx‘ und den ‚Halkyonischen Tagen‘ rund um die
Wintersonnenwende.
Sieben Tag brauchte der Eisvogel, um sich ein Nest zu bauen
und sieben Tage, um sein Ei auszubrüten. In diesen Tagen war
es windstill, damit der Vogel in Ruhe brüten konnte. Wie es so
war, nahm Blaue Feder den Ordner mit dem Kurs von Sharon
aus Irland, einem Kurs zur weisen Frau, zur Hand. Auch hier las
sie über die Halkyone Tage. Sie hatte einen Halkyonischen Tag
erlebt und die Wintersonnenwende stand bevor.
Sie würde diese Tradition fortführen oder ausprobieren, was es
damit auf sich hatte. Sie würde sieben Tage lauschen, wie
Halkyone ihr Nest baute und sieben Tage lauschen, wie sie ein
Ei bebrütete. Was würde herausschlüpfen? Blaue Feder war so
aufgeregt über ihre Entdeckung, dass sie gar nicht einschlafen
konnte den Abend. Sie lag lange wach und ihr Herz hüpfte.
Es wurde erst ruhiger, als sie sich versprach ihre Erfahrungen
aufzuschreiben. Nun hatte sie eine neue Fährte die Halkyone
Tage. Was würde sie erleben? Sie entschied nichts zu planen für
das nächste Jahr bevor nicht die Winterpause vorbei war.
Vielleicht blieb sie das kommende Jahr daheim und schrieb auf,
was sie erlebte, malte Karten vom Moor. Es gab viel zu
entdecken. Das Land wollte Blaue Feder ihre Lieder singen und
sie wollte sie aufschreiben, so gut wie sie halt konnte. Vielleicht
war es von Vorteil, dass sie nichts wusste. So war sie offen und
begegnete allem vorurteilsfrei. Immer wieder stellte sie fest, wie
sie geführt wurde - wie ihre Geisthelfer ihr halfen.
Sie war hier am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und sie ging mit
dem, was sich ihr zeigte. Als sie zurückging, sah sie die Weißen
Reiher, drei an der Zahl. Am Ende sah sie noch einmal den
Bussard, der sie schon den ganzen Tag begleitet hatte. Der ihr
einen groben Überblick gab, was auf sie zu kam. Sie wollte die
Zusammenhänge erfahren. Das konnte sie nur, wenn sie
eintauchte. Eintauchte in die Geschichten ihres Landes. Wenn
sie ihren Forscherinnenhut aufsetzte und losmarschierte. Sie
lernte über die eigenen Erfahrungen und sie hatte Zeit.
Zeit ihr Land zu erkunden
Sie musste noch viel lernen. Das Land würde ihr alles
beibringen. Wichtig war sich gut um die Tiere zu kümmern.
Überall sah sie Meisenknödel im Moor - viele Menschen
kümmerten sich. Das war ein schönes Gefühl. Zuhause
angekommen strich ihr die kleine Tigerin um die Beine. Sie war
noch vorsichtig, aber eine neue Freundschaft nahm ihren
Anfang.
11. TROST DER WINTERGOLD-HÄHNCHEN
Dezember Neumond
Es war Neumond und Blaue Feder hatte Kopfschmerzen. Es
schüttete und windete, sie wartete auf den Heizungsmenschen.
Sie ging ihr Atelier aufräumen und das Jahr ausklingen lassen.
Sie wollte schauen, ob noch etwas abgeschlossen werden
wollte. Dann kam der Monteur war und reparierte die Heizung.
Blaue Feder hatte aufgeräumt und nun ging sie eine kleine
Runde. Die ganzen Abholzungen hoben ihre Stimmung nicht.
Sie dachte, die Knicks würden unter Naturschutz stehen, aber
sie wurden wie wild abgeholzt. In ihrem kleinen Wäldchen kamen
zwei Wintergoldhähnchen geflogen und setzten sich einen
halben Meter von ihr auf die Zweige. Es war ihr, als würden sie
sie trösten: ‚Sei nicht traurig. Mach einfach weiter. Die Natur
holt sich alles wieder zurück.‘ Dieser Vogel war so winzig und
doch ein König. Blaue Feder kam sich manchmal so
bedeutungslos vor. Was konnte sie schon bewirken? Fanden
ihre Geschichten überhaupt einen Anklang?
Im Traum hatte sie kurz einen Blick ins Paradies erhascht.
Sie sah einen Baum mit wunderschönen bunten Vögeln.
Das Paradies war jederzeit da. Auch im abgeholzten Wald waren
diese Wintergoldhähnchen mit ihrer Liebe. Es war alles da! Es
war vielleicht manchmal nicht in ihrem Denken, aber in ihrem
Herzen. Öffne Dein Herz, dann ist das Paradies überall. Was
willst Du noch haben? Du lebst im Paradies. Verbinde Dich mit
der Liebe und lass sie fließen.
Mach aus Scheiße Gold und alles wandelt sich. Es gibt viele
Welten nebeneinander.
Es war eine Frage, wie sie die Dinge betrachtete. Entweder
leuchten die Kerzen am Baum oder sie sind aus. Das Paradies
war immer gegenwärtig. Ob wir uns dafür öffnen, liegt an uns.
Lass Deinen Baum leuchten, egal wo Du bist - ob in der Stadt,
auf dem Land. Wo Du bist, da ist die Liebe und die Liebe heilt
alle Wunden. Sie ist einfach da und fließt. Wer in Liebe geht,
hinterlässt Spuren - Spuren aus Licht. Diesem Licht können
andere folgen. Nichts geht verloren. Manchmal sehen wir nicht,
was wir tun. Fühlen uns klein und unbedeutend, aber einfach
indem wir sind, wie wir sind, hinterlassen wir Spuren. Sei
einfach da und leuchte. Auch der kleinste Vogel kann ein König
sein und Du eine Königin in Deinem Reich. Sei dankbar für all
das, was Du schon entdeckt hast und gehe einfach weiter. Es
gibt noch vieles mehr zu entdecken. Lass die Forscherin Dich
führen. Setze Deinen Forscherinnenhut auf und betrachte die
Welt mit den Augen des Kindes, das den Zauber sieht. Den
Zauber der Weihnacht, wo Wünsche wahr werden, wenn man an
sie glaubt. Es gibt immer Momente, wo wir zweifeln. Dann
stehen wir wieder auf und machen weiter. Wie der Kater auf
der Pirsch. Er hat so viele Misserfolge, fängt eher selten eine
Maus. Aber gibt er auf? Nein, er macht einfach weiter und
Blaue Feder machte auch einfach weiter.
12. BÜSUMER WINTERSONNENWENDE
In der Mütternacht hatte Blaue Feder einen Traum:
Im Traum schnappte sie sich ihr Kind, gab ihm einen Kuss auf die
Nase und dann mussten sie mit einem Schiff über einen Kanal setzen.
Das Schiff war alt und leck. Die Frauen auf dem Schiff eingepfercht
wie Schafe. Aber sie schafften die Überfahrt und Blaue Feder
sammelte ihre Sachen zusammen. Sie hatte einen Kamm für
Dauerwellen dabei. Als sie ihre Haare damit kämmte, vielen die
Dauerwellenhaare aus und darunter kam eine silberne glatte Frisur
zum Vorschein. Noch die Ohren freischneiden und die Frisur war
perfekt.
Interessant war das Bild mit den alten Dauerwellen. Vielleicht
beruhigte sich jetzt die See. Am schönsten war der Kuss auf die
Nase und der Blick des Kindes, das sich freute.
Es ging nach Hause und auf zu neuen Ufern. War das ein
Widerspruch? Es war ihr nicht mehr so wichtig, ob sie verstanden
wurde. Sie wollte es auch nicht mehr allen recht machen. Sie
wollte ihrem wilden Kind folgen, auch auf die Gefahr hin sich mal
zu verlieren oder nicht verstanden zu werden. Oft fiel es ihr
schwer, ‚Nein‘ zu sagen. Aber jedes ‚Nein‘ war ein ‚Ja‘ für sie
selbst.
Brauner Bär überraschte sie mit einem Ausflug nach Büsum.
Lustig wie Beide mit den Automaten für die Fahrscheine nicht
klarkamen. Der erste schluckte das Geld, spuckte aber keine
Fahrkarte raus. Also fuhr Blaue Feder ohne Karte.
Dann standen sie in Büsum vor einem Bilderladen und Blaue
Feder fiel gleich das Meer-Bild mit den Wellen ins Auge. Es
erinnerte sie an ihren Traum. Büsum gefiel Blaue Feder nicht so
wirklich. Das Meer wurde mit großen Häusern zugebaut. Alles
war so zubetoniert und überall englischer Rasen. Der
Spaziergang durch die bunten Krabbenkutter war aber schön. Es
war windstill und das Wasser wie ein Spiegel. Der Moment auf
der Kaimauer mit dem aalglatten Meer und dem Nebel war
überirdisch schön.
Eintauchen in die Weite des Nichts.
Dieser Vollmond hatte sehr viel Liebe im Gepäck – eine
bedingungslose Selbst-Liebe.
Selbstliebe kann eine Seelenaufgabe sein.
Das hatte Blaue Feder irgendwo gelesen – wie spannend. Wenn
es in uns ruhig wird, sich die Wellen legen, dann werden wir
selbst zu einem Spiegel. Als es anfing zu regnen, suchten sich
die Beiden ein Café und fuhren dann mit dem Bummelzug
zurück. Auch die Automaten in der Bahn funktionierten bei ihnen
nicht. Blaue Feder zog eine Karte für 1,35 € von Heide nach
Heide. Blauer Bär bekam keine Karte aus dem Automaten. Sie
lachten. Diesmal fuhr Brauner Bär schwarz. Sie setzten sich in
die Nähe des Automaten, falls ein Schaffner kam. Junge Leute
stiegen ein und hatten keine Probleme mit den Automaten. – Ja,
ja, sie wurden wohl älter. Am Abend saßen sie zusammen am
Feuer, naschten Pfefferkuchen und freuten sich über den
schönen Tag.
13. KINGFISHERS SECRET
Ein Freitag im Januar
Die Begegnung mit dem Eisvogel erinnerte sie an die Sage von
‚Halkyone und Keyx‘. Einer Geschichte aus dem alten
Griechenland. Einer Geschichte über die Wandlung durch Liebe.
Einer Geschichte aus den Metamorphosen von Ovid.
Blaue Feder fing an, ein Bild zu gestalten und es war ein längerer
Prozess. Mit Perlen in den Farben Griechenlands wollte es
bestickt werden. Sie fand eine alte Kette mit Kaurischnecken und
unbekannten Samen. Auch die wollten ins Bild gewebt werden
wie auch ein paar Muscheln von der Nordsee und ein paar grüne
Glassteine mit Libellen darauf. Sie schnitt einige Schablonen zu,
um einen Stoff zu bedrucken.
Aus den Schablonen-Resten formte sich ein kleines Märchenbild
und sie sah darin den Blauen Vogel fliegen. Immer mal wieder
gibt es diese schönen halkyonischen Momente. Momente der
Stille und Glückseligkeit. Dann fängt der Wind wieder an zu
wehen. Mal aus dem Osten, mal aus dem Süden, dem Westen
oder dem Norden.
Der Ostwind erzählt vom Neubeginn. Denn dort geht die Sonne
auf und werden die Träume geboren.
Der Südwind öffnet das Herz für die Welt des Kindes. Er
erzählt vom Vertrauen in das Unbekannte.
Der Westwind bringt die Leichtigkeit. Mit ihm wird alles
abgelegt, was für die Reise hinderlich ist. Er schaut tief nach
Innen.
Mit dem Nordwind weht das Lied der alten Weisen herüber und
der Mut, weiter den eigenen Weg zu gehen.
Ab und zu gibt es auch mal einen richtigen Sturm.
Davon singt die Sturmmöwe ein Lied.
Blaue Feder ist ihr im Sommer begegnet und sie hat ihr ein paar
Federn mit auf den Weg gegeben.
‚Wie die Sturmmöwe im Wind
die Flügel ausbreiten
und sich tragen lassen‘
Was der kleine Blaue Vogel in seinem Goldenen Ei ausbrütet,
wird sich wohl mit der Zeit zeigen. Welche unbekannten Samen
sie wohl ins Bild gewebt hat?
Blaue Feder hatte längst nicht alle Facetten dieser Geschichte
erforscht. Sie würde weiter dem Wind lauschen und all den
Federn, die sie im letzten Jahr gesammelt hat. Nach und nach
lernte sie vielleicht die Federn zu lesen.
14. DEN REHEN AUF DER SPUR
Kurz vor dem Vollmond im Januar
Schon seit einiger Zeit hatte Blaue Feder ein kleines Loch in ihrer
Manteltasche. Aber der Schlüsselbund war zu dick, als dass er
durch das Loch fallen konnten. Blaue Feder war schon in der
Früh aufgebrochen, um den Sonnenaufgang im Moor zu
genießen. Sie musste vorsichtig gehen. Es hatte in der Nacht
geschneit, gefroren und ihre Schuhe waren rutschig. Sie machte
sich manchmal Stress, am richtigen Ort zu sein, um ein schönes
Foto zu machen. Dabei kam alles zu ihr, wenn sie so weit war.
Sie versuchte loszulassen und achtsam den Weg zu gehen. Sie
ging zum Großen Mondsee und folgte dann den Rehspuren im
Schnee. Sie führten zum See der Reiher. Ab und an brach sich
die aufgehende Sonne ihre Bahnen. Sie ging über die kleine
Brücke, glitt aus und landete auf ihrem Po. Hier, wo sie auf ihrem
Allerwertesten gefallen war, stand ein Schild, das ein wenig über
das Ostroher Moor erzählte. Es stand dort geschrieben, wie das
Moor mit dem Wasser der Broklandsau gespeist wurde. Blaue
Feder fragte sich, ob dieser kleine Fluss wohl die BroklandSau
war. Sie folgte dem fließenden Gewässer. Doch der Weg endete
bald. Blaue Feder hatte auf dem Schild statt Broklands-Au –
Brokland-Sau gelesen - so war die Idee von der Brokland-Sau
geboren.
Sie wollte noch einmal zur Gänsekuhle gehen und schauen, ob
sie noch offen war. Dort angekommen, sah sie einen weißen
Reiher sitzen - ein weißer Reiher im weißen Schnee, welch ein
schönes Bild. Als sie näherkam, entdeckte sie die drei Schwäne
auf dem See. Im weißen Schnee konnte sie die Schwäne von
Weitem nicht sehen. Sie war mal wieder verzaubert. Auf dem
Rückweg begegneten sie wieder den Rehen und folgte ihnen auf
ihrem Weg, den sie schon am Morgen gegangen war. In der
Tasche klimperten ihre Schlüssel. Sie dachte bei sich, sie mache
viel zu viel Lärm. Als sie nach Hause kam, merkte sie, sie hatte
den Schlüssel verloren. Es gab zum Glück einen
Ersatzschlüssel, und so frühstückte sie erst und ging dann noch
einmal los.
Dreimal ging sie dann den ‚Weg der Rehe‘. So hatte sie den Weg
nun getauft. Sie folgte ihren eigenen Spuren im Schnee. Am
Anfang war sie noch voller Zuversicht, weil sie ein Bild in sich
hatte, wo sie den Schlüssel wohl verloren hatte. Aber sie fand
ihn dort nicht. In der zweiten Runde meldete sich die
Verzweiflung bei ihr. Sie machte sich Vorwürfe. Sie strengte sich
immer so an, alles richtig zu machen, anderen gerecht zu
werden. In der dritten Runde kriegte sie sich wieder ein. Sie
setzte sich an den Großen Mondsee, weinte eine Weile und
entschied, es waren einfach nur drei Schlüssel und sie konnte
sie nachmachen lassen. Ihr kam die Geschichte ‚Die drei
Schlüssel‘ in den Sinn. Jene Geschichte handelt von Drei
Schlüsseln zum Himmelreich. Sie erzählt vom Mitgefühl, vom
Mitgefühl mit den Menschen, vom Mitgefühl mit den Tieren und
vom Mitgefühl mit den Pflanzen. Innerlich nahm sie sich selbst in
den Arm und dachte. ‚Entspanne Dich! Erfreue Dich einfach an
der Natur. ‘
Da brach der Himmel auf und spiegelte sich Blau im Wasser des
Großen Mondsees. Auf dem Heimweg flogen drei Schwäne an
ihr vorbei und das Herz von Blaue Feder war wieder leicht.
15. Crazy Speed 13
Mond in der Waage im Januar
Es war kalt im Tal der BroklandSau. Die Temperaturen lagen um
den Gefrierpunkt, aber gefühlt war es kälter. Es wehte ein leicht
böiger Wind aus Südwest. Blaue Feder heizte am Morgen erst
einmal die Küche ein. Dann begrüßte sie ihre neue Freundin, die
kleine Tigerin von nebenan. Sie war genauso ängstlich wie Blaue
Feder. Aber sie kam schon ins Haus und untersuchte alles
vorsichtig. Bei jeder Bewegung schreckte sie zusammen. Sie
waren jetzt schon gute Freunde und hatten wohl ähnliche
Themen.
Blaue Feder sann darüber nach, was für sie eigentlich
Freundschaft war. Sie hatte eine enge Freundin und sie hatte in
Brauner Bär den besten Freund. Freundschaft hatte für sie viel
mit Freiheit zu tun. So wie die kleine Tigerin nicht eingesperrt
sein mochte, mochte auch Blaue Feder nicht eingesperrt ein. Sie
brauchte ihre Freiräume. Zum Beispiel ihre Frei-Tage, wo sie tun
und lassen konnte, was sie wollte. Sie fühlte sich auch innerlich
mit einigen Frauen verbunden, die alle ihren eigenen Weg
gingen. Blaue Feder hatte viele Freunde in der Natur: die Vögel,
die Tiere, die Bäume, die Pflanzen und das Land war ihr eine
Freundin geworden. Hier fühlte sie sich nie allein. Es gab so viele
Wesen, die sie zwar nicht sehen konnte, und doch sprach die
Natur mit ihr auf ihre Weise.
Am Morgen war der Eichelhäher im Garten, auch ein lieber
Freund. Die Amsel sprach davon, nach innen zu gehen.
Wenn Blaue Feder zu sehr nach Außen ging, dann verlor sie sich
manchmal und hatte dann das Gefühl ihr fehle etwas. Wenn sie
so mit sich hier war, dann hatte sie alles. Sie ging los. Die kleine
Tigerin strich ihr um die Beine. Der Ostroher Tannenbaum stand
noch, als wäre die Zeit stehen geblieben. Auf den Wiesen
entdeckte Blaue Feder zwei Kormorane. Die großen Vögel
suchten wohl die Gräben auf, die noch nicht zugefroren waren.
Als Blaue Feder die beiden beobachte, machte von hinten ein
weißer Reiher lautstark auf sich aufmerksam. Er war mittlerweile
auch ein guter Freund von Blaue Feder. Sie begrüßte das Land
und die Schafe in ihrem dicken Fell.
Der Fuchsloch rief sie. Es war ein kleiner Berg, wo es neun
Stufen hochging. Berge gab es hier nicht so viele. Auch dieser
war mehr ein kleiner Hügel. Doch hatte sie von dort einen
schönen Blick auf das Land. Wieder waren Männer mit
Kettensägen unterwegs gewesen und überall auf den Wegen
lagen die die abgesägten Bäume.
Schon von Weitem sah Blaue Feder, dass es auch die Sieben
Pappelschwestern erwischt hatte. Es standen nur noch Fünfe
von den Schwestern. Sie war traurig und wütend. Wenn man sich
so mit dem Land anfreundete, wie sie, dann fühlte sie auch mit
dem Land und den Bäumen, die da abgeholzt wurden. Sie ging
zur alten Eiche und setzte sich auf ihren Platz am Stamm. Die
alte Eiche tröstete sie und erzählte ihr von dem Kreislauf des
Lebens und dass nichts verloren geht, wenn es stirbt.
Wenn das Holz verbrannt wird, gibt es seine Liebe ab und die
Menschen wärmen sich daran und die Asche kehrt zurück zu
Mutter Erde. Auch wenn wir sterben, geht nichts verloren.
Was bleibt, war die Dankbarkeit für dieses Leben, das wir leben
durften. Wandel alles in Liebe. Liebe erzeugt Liebe. Wut
erzeugt Wut.
Als Blaue Feder diesen Kreislauf sah, war sie etwas
ausgesöhnter. Auch sie freute sich bei diesen eisigen
Temperaturen, wenn sie nach Hause kehrte und ein Feuer im
Ofen brannte. Auch sie verbrannte Holz und freute sich daran.
Was sie machen konnte, war dankbar zu sein für das Holz, das
ihr seine Liebe gab. Sie nahm wahr, wie eine goldene Energie
sich in ihr ausbreitete und sie ließ die Energie einfach durch sich
fließen, und sie breitete sich über das Land aus. Als sie die
Augen öffnete entdeckte sie ein kaputtes Rennauto. Vielleicht
hatte ein Kind die Nr. 13 Speed liegen gelassen. Blaue Feder
verstand, wenn sie ihr Leben entschleunigte und sich Zeit nahm,
dann verstand sie besser, wie die Dinge verwoben waren. Es war
wichtig sich Zeit zu nehmen und genau hinzulauschen.
Sie ging weiter und besuchte noch die alten Weiden, ging an der
Beifuß-Weide mit den alten Pferden vorbei und wurde dabei von
einem Rotkehlchen begleitet, das sang:
Wandel in Liebe
In den Büschen saß eine Amsel und war es zufrieden. Blaue
Feder ging zurück und traf einen alten Mann, den sie öfters traf.
Einer, der wie sie die Natur liebte. Er sah aus wie ein alter Tibeter
mit vielen Lachfalten im Gesicht. Er erklärte ihr, dass die Bauern
die Bäume fällen mussten, weil die Mähdrescher immer größer
werden und nicht mehr durch die Wege passen. Der Alte erklärte
ihr, wie sie die Wege umgehen konnte und wünschte ihr eine
gute Fahrt und lachte.
‚Eine gute Fahrt‘ – Blaue Feder wunderte sich etwas.
Dann kam sie in ihr altes Wäldchen. Es war nicht
wiederzuerkennen. Es glomm noch die Glut von drei Feuern. Der
neue Besitzer hatte wohl drei Feuer gemacht und das Unterholz
verbrannt. Wieder kochte die Wut hoch. Doch Dinge verändern
sich. Vielleicht nicht immer so, wie sie es sich wünschte, aber es
war wichtiger in Liebe hier ihren Weg zu gehen, als wütend durch
die Gegend zu stampfen. Sie konnte vieles, was hier geschah
nicht verändern. Sie musste es so annehmen, wie es war. Die
sieben Pappelschwestern lebten in ihrer Geschichte von der
Winterkönigin weiter. Leben ist Veränderung. Auf dem Rückweg
traf Blaue Feder noch einmal den Weißen Reiher, sah die
Kormorane und ein Rotkehlchen. Während Blaue Feder ihre
Geschichte aufschrieb, saß die ganze Zeit eine kleine Freundin
vor ihrem Fenster, ein Rotkehlchen, und lachte ihr zu.
Höre auf Dein Herz und wandle in Liebe.
Es ging wohl darum, alles, was ihr begegnete, was ihr widerfuhr,
in Liebe zu wandeln.
Mach aus Scheiße Gold!
Der Tod ist immer gegenwärtig, aber nichts geht verloren, es
wandelt sich nur.
16. Die BroklandSau
Wo Kraniche fliegen
Es war die Zeit um Lichtmess oder Imbolc herum und der
Neumond stand bevor. Am Morgen hatte Blaue Feder das
Gefühl, etwas Neues, nehme seinen Anfang. Sie hatte gerade
einen großen Berg Schulden abgetragen und es fühlte sich gut
an. Nun konnte etwas Neues kommen. Sie war müde von der
Woche, etwas bedrückt und fühlte sich leer. Eine kleine Runde
würde ihr guttun und so gagelte sie los. Sie wollte den inneren
Raum öffnen und das Neue aufsteigen lassen.
Es wehte ein kräftiger, kalter Wind. Das Eis im Moor knackte
manchmal laut. Es war wie eine Welle, die sich durch das Eis
zog - kraftvoll und etwas unheimlich. Der Moorboden vibrierte.
Blaue Feder ging in den Sonnenaufgang und traf einen Freund,
der auch gerne fotografierte. Sie sprachen eine Weile über das
schöne Morgenlicht. ‚Pass gut auf Dich auf‘, sagte er zu
fürsorglich zu ihr. Auf dem Eis waren manchmal Tierspuren. Wer
dort wohl langgelaufen war? Kurz stand sie vor einer gedrehten
Birke. Ein Stenz bildet sich, wenn sich ein Geißblatt um einen
jungen Baum wickelt. Wächst der Baum weiter, wird er durch das
Geißblatt verzwirbelt. Plötzlich hörte sie unbekannte Geräusche
- tiefe Vogelstimmen über ihr. Ein paar große Vögel flogen über
sie hinweg. Es waren Kraniche. Noch nie hatte sie hier Kraniche
gesehen. Was machten sie hier um diese Jahreszeit? Flogen sie
schon wieder zurück? Vielleicht waren sie die ersten Boten des
Frühlings. Sie entschied sich die große Runde zu gehen. Sie
fühlte sich wie belebt, und auch im Moor war das Leben zu
spüren. Sie sah viele Vögel, tauchte in Schwärme von
Schwanzmeisen, piependen Wintergoldhähnchen und Gimpeln.
Hach, es fühlte sich schön an und ihr Körper fing an zu kribbeln.
Als sie nach Hause kam, war die Tigerin wieder da und sie blieb
lange und es wurde ausgiebig gekuschelt. Blaue Feder freute
sich über ihre neue Freundin. Dann ging sie in ihr Atelier. Ihr war
die BroklandSau nachgegangen und sie hatte im Stall einen
Müllbeutel mit alten Jutesäcken gefunden. Nach und nach stieg
die Idee in ihr auf, aus einem der Jutesäcke eine Sau zu nähen.
Sie suchte sich einen Sack aus, fing an zu weben und zu sticken.
Wild tanzte sie durch den Raum. Es tat gut! Sie war entrüstet,
weil die Dänen gerade eine Grenze, angeblich einen
Wildschweinzaun bauten. Sie mochte keine Grenzen – auch
wenn es manchmal wichtig war, auf die eigenen Grenzen zu
achten. Die Wut, die sie spürte, brachte sie ins Hier und Jetzt.
Sie spürte ihren Körper. Wenn sie viel in den Sozialen Medien
war, verlor sie den Boden. Eine gute Erdung war wichtig. Mit
ihrem ersten Wildschwein war sie sehr zufrieden.
Die BroklandSau war geboren.
Auf dem Sack unten stand 'Made in Soviet Union'. Brauner Bär
erzählte beim Frühstück von den Bauern, die vor ihnen auf dem
Schwalbenhof gewohnt hatten. Sie waren so arm, dass sie mit
den Säcken die Wände und das Dach isoliert hatten. So alt
waren diese Säcke also schon. In China wurde gerade das ‚Jahr
des Erdschweines‘ eingeläutet. Blaue Feder fragte sich, wie es
um ihre eigene Wildsauen-Kraft, ihre Lebendigkeit bestellt war.
Konnte sie die Wilde Sau in sich sich spüren; konnte sie die wilde
Sau rauslassen? Wo sie die Reise mit der BroklandSau wohl
hinführte?
17. DIE QUELLE IM NORDERWOHLD
Neumond im Februar
Die Broklandsau hat zwei Quellflüsse, die Wierbek und die
Osterau. Diese beiden Auen vereinen sich zu einer Au der
Broklands-Au. Sie versorgt das Tal und das Ostroher Moor mit
Liebe und mit Wasser.
Blaue Feder wachte am Morgen mit dem Wort auf: ‚Lausche‘.
Den Quellen zu lauschen, heißt der Stimme der Seele zu
folgen.
Mehr und mehr verband sich Blaue Feder mit dem Land.
Brauner Bär und sie wollten an diesem Tag die Quellen der
Broklandsau suchen. So fuhren sie zum Norderwohld, wo die
Wierbek und die Osterau ihren Ursprung nahmen. Die Sonne
schien und das Herz klopfte.
Auf einem Schild stand: ‚Dree-Dörperhuss‘. Ein paar Pfauen
begrüßten sie. Es gab ein Informationshaus, das völlig desolat
aussah. Der Waldlehrpfad war abgesperrt und sah aus, als
kümmerte sich schon lange keiner mehr um ihn.
Solche Bilder zeigten sich den Beiden öfters, wenn sie hier
unterwegs sind. Manchmal schreckte es sie ab und manchmal
tauchten sie tiefer und erlebten etwas Anderes. Manchmal war
es ratsam, den Weg zu verlassen und in den Wald hinein zu
tauchen. Dann erzählt uns die Natur ihre Geschichte.
Es war eine Geschichte geprägt vom Missbrauch durch den
Menschen. Es war auch eine Geschichte von der Seele der
Natur, die sich nicht zerstören lässt und die uns immer wieder
mit Mut und Hoffnung den Weg weitergehen lässt.
Jeder von uns kann dazu beitragen, das Bewusstsein der
Menschen zu verändern. Jeder dort, wo sie oder er waren, mit
den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Blaue Feder und
Brauner Bär war die Kunst in die Wiege gelegt. So hat jede und
jeder eine ganz eigene Sprache.
Sie gingen um den Wald herum und dann rief der Wald sie
hinein. So fanden sie einen Quellfluss. Sie folgten seinem Lauf
in die Stille und lauschten der Quelle. Es war ein feiner Singsang,
so wie das Quellwasser sanft dahinfloss. Blaue Feder war
glücklich, glücklich, weil sie in den Wald hineingegangen waren.
Hier nahm die BroklandSau ihren Ursprung. Sie kamen nicht
direkt zur Quelle. Sie lag wohl auf der anderen Straßenseite,
aber sie war nicht weit entfernt. Das Wasser war klar und frisch.
Die Quelle hatte ihr Herz berührt. Sie gingen dann noch einen
anderen Weg, folgten dem Wegweiser der Eule und fanden noch
einen zweiten Quellfluss.
Ihre Stimmung hatte sich verändert. Liebe schwang mit und sie
waren froh, dass sie in den Norderwohld hineingegangen waren.
18. Die ErdApfelSau
Der Blaue Handschuh
Es war der Freitag nach dem Neumond. Es stürmte und goss es
in Bächen. Blaue Feder wollte trotzdem eine Runde gehen, um
nach einer merkwürdigen Woche tief durchzuatmen und sich ein
bisschen erden. Im Gebüsch sah sie die ersten
Schneeglöckchen, ein Stück weiter die ersten Krokusse und
dann einen Blauen Handschuh. Er erinnerte sie an Fatimas
Hand. Ein Wintergoldhähnchen machte auf sich aufmerksam.
Das Wintergoldhähnchen war der König des Winters oder die
Königin. Er oder sie trug den Geist des alten Jahres. Dieser
kleinste Vogel Europas wurde auch König der Vögel genannt
wegen seiner kleinen gelben Krone. Doch bevor das neue Jahr
kam, musste das alte Jahr sterben. Der Schnee war schon
getaut und nun schmolz auch das Eis auf den Seen. Blaue Feder
entdeckte, auch die kleine ‚Erle‘ aus ihrer Rotkehlchen-
Geschichte war gefällt und viele andere Bäume. Sie nahm einen
Zweig des gefällten Baumes, der schon Knospen hatte, mit nach
Hause. Es machte sie traurig. Sie ging zum Weißdorn, der nun
weit sichtbar dastand. Im Weißdorn steckte nun ein Nagel.
Früher lag der Weißdornhain versteckt hinter Geißblattranken
und Brombeerbüschen. Was früher verborgen war, war nun ans
Licht gezerrt worden. Sie setzte sich zum Weißdorn und schloss
die Augen. Die Weißdornfrau sagte, es sei viel im Umbruch, sie
solle versuchen im Herzen zu bleiben und einfach schauen, was
geschah, ohne es zu bewerten. Als Blaue Feder aus dem Wald
heraustrat, sah sie ein Reh. Ein vertrauter Gruß, der ihr Mut
machte. Der Wind wehte heftig und es regnete immer mehr. So
ging sie nach Hause. Sie schaute noch einmal bei den sieben
Pappelschwestern vorbei, von denen nur noch fünf standen.
Überall waren die Knicke herunter geschnitten, waren die Bäume
gefällt. Alles sah kahl aus und nicht sehr einladend.
Auch der wilde Apfelbaum war reichlich beschnitten worden und
stand nackt da. Auf der Wiese sah sie einen Schwarm
Wacholderdrosseln. Die stimmten sie etwas froher. Wenn auch
das, was Blaue Feder gesehen hatte, nicht so erfreulich war, so
hatte ihr doch die frische Luft gutgetan. Sie war bis auf die Haut
durchgeregnet und ihr Körper freute sich. Eigentlich braucht es
keine Bücher, tragen wir alles Wissen in uns. Es braucht nur
einen Körper, der wahrnimmt. Als Blaue Feder diesen Text
schrieb, saß ein tropfnasser Eichelhäher auf der Walnuss vor
ihrem Fenster und wärmte sich im Schein ihrer Lampe. Sie ging
in ihr Atelier und setzte sich an die zweite Sau. Sie nahm einen
Kartoffelsack jüngeren Datums, der nicht so dreckig war. Die
anderen Säcke mussten erst einmal gewaschen werden – Sau
hin oder her. So wurde die ErdApfelSau geboren.
Sie aß gerne Kartoffeln. Das konnte Blaue Feder gut verstehen,
liebte auch sie Kartoffelgerichte. Die ErdApfelSau suhlte sich
gerne im Matsch und sang gerne lauthals ihre Lieder. Die Beiden
würden sich wohl gut verstehen. Blaue Feder hatte den Eindruck,
die ErdApfelSau würde ihr noch viel erzählen, wovon sie keine
Ahnung hatte. Vielleicht würden sie zusammen den Löffel
schwingen. Viele Redewendungen kreisen um den Löffel…
Lirum, larum Löffelstiel…, die Suppe auslöffeln…, einen großen
Schöpflöffel voll von etwas…, die Weisheit mit Löffeln
gefressen…, mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt
gekommen…, der Rotzlöffel…, die Löffel spitzen…, Steck
deinen Löffel nicht in andrer Leute Töpfe…. ich bin's so satt, als
hätt' ich's mit Löffeln gegessen… und am Ende wird der Löffel
abgeben. An diesem Tag, als die ErdApfelSau kam, gab es
Kartoffelpuffer mit Apfelmus zu Mittag.
19. DIE CACOASAU
Valentinstag
Was rottet sich denn da zusammen? Was für ein wilder Haufen!
Nun trudelte die dritte Wildsau ein. Eine lange Reise hatte sie
hinter sich. Ganz aus Afrika war sie angereist und hatte die
Kakaobohne im Gepäck. Nun begannen sich die Wildschweine
angeregt auszutauschen. Da stand eine Frage im Raum:
‘Macht allein Schokolade glücklich oder gibt es da noch etwas
Anderes?‘
So fragte die Cacao Sau die anderen Säue, was sie denn
glücklich machte. Die BroklandSau überlegte und antwortete:
‚Mich macht es glücklich, wenn ich durch die Natur streife. Die
Natur begeistert mich. All die schönen Pflanzen, die Blumen,
die Bäume und die Tiere, die kleinen und die großen. Wenn alles
so lebendig ist um mich herum, dann bin auch ich glücklich.‘
Die anderen Säue nickten und konnten das gut verstehen. Nun
schauten alle neugierig die ErdApfelSau an.
Wieder nickten die anderen anerkennend.
‚Und Du?‘ Nun schauten sie verheißungsvoll die CocoaSau an
und wollten wissen, was sie glücklich macht.
‚Oh, ich reise gerne ein bisschen durchs Land, treffe mich mit
Freunden aus aller Welt und halte hier und dort ein
Schwätzchen. Ich tausche mich gerne aus. So wie mit Euch
jetzt. Das finde ich spannend und freut mich, dann bin ich
glücklich.
Das bringt mich auf Ideen, mal was ausprobieren, was ich noch
nie gemacht habe.‘
– Und so standen die drei Säue noch lange beieinander und
tauschten sich aus, über das, was sie liebten, was sie gerne
machten, und man hörte sie noch lange vergnügt grunzen.
Blaue Feder hatte den Eindruck, die CocoaSau hatte die Reisen
im Gepäck, die kleinen und sie großen.
‚Ich bin glücklich, wenn ich mich bewege, wenn ich meinen
Körper spüre. Ich suhle mich gerne im Matsch und grunze
lauthals Schweinelieder. Naja, und ich liebe Erd-Äpfel, sonst
wäre ich nicht die ErdApfelSau.‘
20. ‚OPHELIA‘
Die CocoaSau nahm sie gleich mit auf eine kleine Reise. Es war
ein sonniger Tag, und Blaue Feder und Brauner Bär pirschten
durch das Tal der BroklandSau. Sie genossen die Sonne. Ein
Haufen Hölzer sah aus, als hätten Riesen damit Mikado gespielt.
Sie lauschten den Meistersängern, die überall in den
Baumwipfeln ihre Lieder sangen und probierten neu Wege aus.
Es zog sie in einen Pappelwald. Dort fanden sie einen
Torfgraben. Blaue Feder spiegelte sich in dem Wasser mit
seinen Laubblättern. Sie begannen ein bisschen zu spielen, mal
spiegelte sich Bauner Bär, mal Blaue Feder. Die Szenerie
erinnerte sie an ein Gemälde, das sie in London in der Tate
gesehen hatte. Es hieß ‚Ophelia‘ von John Everett Millais. Diese
Gemälde faszinierte sie, und kurzerhand schlüpfte sie in die
Rolle der Ophelia. Ophelia war eine Frauenfigur aus der
Tragödie ‚Hamlet‘ von Shakespeare. Das Gemälde zeigt sie vor
dem Ertrinken. Vor allem die Blumen, in denen Ophelia
schwamm, haben in dem Gemälde einen hohen symbolischen
Gehalt, da sie in Bezug stehen zu den Liedern der Theaterszene:
‚Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
mit welchem sie phantastisch Kränze wand
von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Purpurblumen,
die lose Schäfer gröblicher benennen,
doch zücht’ge Mädchen sagen Totenfinger.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
an den gesenkten Ästen aufzuhängen,
zerbrach ein falscher Zweig, und niederfielen
die rankenden Trophäen und sie selbst
ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
verbreiteten sich weit und trugen sie
sirenengleich ein Weilchen noch empor,
indes sie Stellen alter Weisen sang,
als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
wie ein Geschöpf, geboren und begabt
für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
das arme Kind von ihren Melodien
hinunterzogen in den schlamm’gen Tod. ‘
Die Geschichte der Ophelia war ein starker Faden in jener
Tragödie. Als junge Frau, umgeben von mächtigen Männern,
versuchte sie, es allen recht zu machen. Sie war Tochter,
Schwester, Geliebte und Mitglied des königlichen Gefolges. In
jeder ihrer Rollen wurde sie entweder ausgenutzt, missbraucht.
In ihrer Verwirrung und Not ertränkte sie sich.
Ein Kleiner Fuchs umschwirrte sie und sie lösten sich aus ihrem
Spiel. Auf dem freien Land sahen sie einen großen Schwarm
Kiebitze. So viele Kiebitze hatte Blaue Feder hier noch nie auf
einmal gesehen. Überhaupt hatte sie im vergangenen Jahr das
erste Mal ein Kiebitz-Paar hier brüten sehen. Sie lösten in ihr ein
Gefühl von Freiheit aus.
Vielleicht gehörten derlei Tragödien eher ihrer Vergangenheit an.
War es dies, was ihr die CocoaSau mit ihrem Ausflug hatte
sagen wollen?
-
.
21. EMMA
Kurz vor dem Vollmond in den Fischen
‚Irgendwann weiß sie, dass sie angekommen ist‘
Blaue Feder hatte gerade ein Buch von Cambra Skadé zu Ende
gelesen: Die Wanderin im Grenzland
Ein wunderbares Buch, das vom Aufbrechen, Wandeln und
Ankommen in der Heimat erzählt. War sie wo angekommen?
Wie sah ihr Grenzland aus? Nachdem sie sieben Mal sieben
Jahre gewandert war, kam ein etwas holperiger Übergang vom
Werden ins Sein. Angekommen zu sein im Herzen hieß für sie
aber kein Stillstand. Sie war auch jetzt nicht nur glücklich. Aber
wenn sie sich öffnete, dann spürte sie dieses Eins-Sein. Ein
Eins-Sein mit dem Land, den Tieren, den Pflanzen den Bäumen.
Das Sternenkind hatte hier unten auf Mutter Erde seine Heimat
gefunden, ihr kleines Paradies. War sie immer auf der Suche
nach dem mythischen Reich Shambhalla, hatte sie es hier mitten
in ihrem Leben in ihrem Herzen gefunden. Es war nicht mehr
wichtig, irgendwo hinzugelangen, sondern in dieses
Bewusstsein zu tauchen, hier zu sein und die Freude zu spüren
in dem, was sie grade machte. Ob sie nun schrieb, kochte, putze,
nähte oder malte. Sie fühlte sich eingebunden, aufgehoben und
versorgt mit allem, was sie brauchte. Sogar eine Katze hatte sie,
die sie besuchte.
Eine Hexe brauchte eine Katze und ein paar Hühner. Alles war
da, ohne ihr Zutun, und das Rotkehlchen saß vor ihrem Fenster.
Die Reise durch ihr Grenzland war nicht einfach gewesen. Da
war das Feuer am Anfang - das Feuer der Wechseljahre. Dann
kam der Ruf der Steine. Dann war sie mit den Winden gegangen
und nun riefen sie die Quellen. Es war wie eine neue Geburt. Sie
hatte Angst diese Energie in ihr Herz zu lassen, doch als sie es
tat, kam mehr Ruhe ins Spiel. Jetzt, mit ein bisschen Abstand,
konnte sie sich die Wege anschauen. So war es mit dem
Älterwerden. Es fühlte sich gut an - eine runde Sache.
Sie hatte eine Heimat in sich und im Tal der BroklandSau
gefunden. Nun spielte sie mit wilden Säuen. Stickte eine Sau
nach der anderen. Ob es irgendwann ein Ende hatte?
Kurz vor dem Vollmond kam Emma mit eleganten Schritten des
Weges. Eine Sau aus Oldenrade, wie Du unschwer erkennen
kannst.
Emma war eine ganz Feine und Zarte. Sie war aus einem feinen
alten Wäschesack gewebt und trug die ‚Erinnerungen‘ im
Gepäck. Die Erinnerungen an ihre Heimat, auch ihre
Seelenheimat. Emma erzählte gerne Geschichten aus dem
Nähkästchen, und sie liebte Sternengeschichten über alles. Sie
verstand sich auch aufs Träumen.
Träume weben unser Leben, pflegte sie zu sagen.
Sie gab der Blauen Feder einen Satz mit auf den Weg:
Hol Dir die Zeit ins Boot
22. Ein Tag am Meer
Eine Krähe weckte sie aus ihren Träumen. Als sie die Gardinen
öffnete, saßen bereits zwei Elstern im Garten, das
Eichhörnchen, ein Zaunkönig stimmte ein Lied an und eine
Singdrossel sang mit - alle Vögel waren schon da, ihr ein
Liedchen zu singen. Sie war noch etwas zerknautscht, waren
sie den Tag zuvor doch auf einer Beerdigung. Ihr Schatz hatte
schon den Frühstückstisch gedeckt. Er überraschte sie mit
einem Tag am Meer. Es war wohl Emma, die ihm diesen
Vorschlag zugeflüstert hatte. Emma liebte das Meer und Blaue
Feder auch.
An ihrem Geburtstag wünschte sie sich immer einen Tag am
Meer. Ans Meer zu fahren, war wie Nachhausekommen. Mag
sein es lag an den Sternen. Blaue Feder war eine Fische-
Geborene und Fische fühlen sich nun mal im Wasser wohl. Ein
bisschen blauer Himmel war schon zu sehen. Ihre Stimmung
klarte sich langsam auf. Am Meer tauchten sie in die Weite und
lachten mit den Lachmöwen. Sie genossen die frische Luft und
tauchten in den gleichmäßigen Rhythmus der Brandung. Blaue
Feder begrüßte die Meermutter und die Meermutter begrüßte
sie. Sie tauchte ins Meer und schaute ein wenig zurück auf ihr
vergangenes Lebensjahr, sah sie sich viel reisen. Es war
erstaunlich, konnte sie doch schlecht laufen. Im Frühjahr hatte
sie in den Wiesen gebadet und war mit Luisa Francia und ein
paar Frauen fett, frech und fröhlich in ihren Körper gereist. Im
Sommer war sie im Tal der Sprudelnden Quellen und an den
Externsteinen. Dann war sie mit ihrem Schatz im Land der
Schwäne und im Herbst hatte sie sich mit ein
paar Frauen und Cambra am Alten Feuer gewärmt. Ihr Garten
war währenddessen verwildert.
Dann schaute sie ein wenig in das kommende Jahr und ihr kam
der, Begriff ‚Konsolidierung‘ in den Sinn. Sie kannte diesen
Begriff im medizinischen Sinne, wenn ein Knochen gebrochen
war und wieder zusammenwuchs, sich verdichtete und
stabilisierte. Noch wusste sie nicht, was es für sie die bedeuten
würde, aber sie würde es herausfinden. Mittlerweile konnte sie
wieder laufen, aber ihr war so gar nicht nach Reisen. Sie wollte
lieber daheimbleiben, durch das Tal der BroklandSau pirschen,
die Wege erkunden, sich in Moorkuhlen suhlen, weiter den
Vögeln lauschen, an wilden Kräutern schnüffeln. Sie sah sich in
ihrem Atelier den Pinsel schwingen oder die Nähnadel und das
Erlebte in Farbe und Form bringen. Nur ins Land der Schwäne
wollten sie noch einmal, weil es ihnen dort so gut gefallen hatte.
Nach ihrem Besuch am Strand von St.Peter war es Brauch in
ihr Lieblingslokal Andresen achtern Diek in Katingsiel zu fahren.
In dem friesischen Langhaus befindet sich eine Kachelstube mit
Delfter Fliesen. Bis zur Deckenhöhe bedeckten einheitliche
Fliesen mit nur einem Muster die Wände. Das Muster wurde als
‚Sonne, Mond und Sterne‘ bezeichnet. Vielleicht fühlte sich
Blaue Feder deshalb hier so wohl, liebte sie
Sternengeschichten, wie Emma. Vielleicht lag es ab er auch an
dem leckeren Eierkrog und dem selbstgebackenen Kuchen.
Dort saßen sie gemütlich, und in den Öfen bollerte das Feuer.
Hinterher gingen sie noch auf dem Deich spazieren. tauchten in
ein Meer von Nonnengänsen und begrüßten kleine neue
Deichbewohnern. Blaue Feder war selig. Es war ein gelungener
Start in ihr neues Lebensjahr.
23. SEW ALONG
‚Liebe braucht keine Worte‘
So könnte der Titel ihres kleinen Stickbuches lauten. War es so?
- Worte können berühren, Worte können verletzten, Worte
können etwas klären und für Mistverständnisse sorgen.
Manchmal war es gut, das Wort zu erheben und manchmal
besser zu schweigen. Wenn Blaue Feder schrieb, wurden ihr oft
Dinge bewusst, die sie so noch nicht gesehen hatte.
Die englische Textil-Künstlerin Kim Edith rief zu einem ‚Sew
Along‘ auf. ‚Sew Along‘ ‘ heißt übersetzt ‚Miteinander-nähen‘. So
trafen sich einige Frauen im Kreis und nähten gemeinsam ein
Stickbüchlein. Alle Teilnehmerinnen bekamen von Edith die
gleichen Grundformen an Blättern und Blumen und gestalteten
ein Stickbuch. Der ‚Sew Along‘ fand online statt.
Blaue Feder hatte sich ein paar bunte Stoffe ausgesucht. Sie
hatte von einem Inneneinrichter Muster-Kollektionen in
verschiedenen Farben von einem Muster. Diese eigneten sich
gut für kleine Textil-Bücher. Es lachten sie Stoffe an, deren
Blumen wie gemalt aussahen. Alle Teilnehmer bekamen
einfache Schablonen für kleine und große Blumen und kleine
und große Blätter, die sich auf den Seiten immer wiederholten.
Weil Blaue Feder verschiedenfarbige Stoffe nahm, wurde es
lebendig.
Auf ihrer Reise nach Wiesbaden begegnete sie ihnen wieder,
als sie in den Wiesen badete. Auf einer Platane saßen viele
grüne Halsbandsittiche. Sie hatte einige Fotos mitgebracht, die
sie als Vorlage für ihre Stickereien nehmen konnte. Ein paar
andere kleine Tiere fanden auch noch ihren Weg in das
Büchlein. Blaue Feder arbeitet gerne mit alten Dingen, denen
sie ein neues Leben einhauchte. Oft bekam sie Sachen
geschenkt oder fand Dinge in der Natur. In ihrem Atelier hing
ein kleines Motto:
Tu, was du kannst, mit dem was du hast, wo immer du bist.
Das Motto stammte wohl von Theodore Roosevelt und sie
mochte es.
Als sie mit der Arbeit an ihrem Buch begann, stürmte und regnete
es. Es war ein guter Tag, das Atelier einzuheizen und ein
bisschen zu nähen. Ihr Herz hüpfte vor Freude. Die Näherinnen
tauschten sich während des Sew Along auf einer internen Face-
Book Seite aus. Es war zauberhaft, wie unterschiedlich das
Thema umgesetzt wurde.
Blaue Feder nannte ihr kleines Stickbuch:
‚Land of Enchantment.
Bei einem Besuch in Kew Garden, hatte sie das erste Mal die
grünen Halsbandsittiche gesehen.
24. DIE REGENBOGENSAU
Nach dem farbenfrohen ‚Sew Along‘ war es wohl nur eine Frage
der Zeit und die RegenbogenSau trudelte ein. Sie war ein wenig
wortkarg.
Mit ihr kamen die Farben ins Spiel. Sie war sich sicher, die
Liebe brauchte nicht viele Worte, aber die Farben des
Regenbogens. Wie glücklich bist Du, wenn Du einen
Regenbogen erblickst? Es wird gemunkelt, am Fuße des
Regenbogens sei ein Schatz verborgen.
Bestimmt waren es eine Staffelei, Pinsel, Leinwände und viel
schöne Farben.
‚Tauche mit mir in die Farben des Regenbogens‘
Mehr musste sie nicht erzählen, waren alle Geschichten mit den
Farben des Regenbogens durchwirkt. Blaue Feder ahnte, sie
würde sich gut mit der RegenbogenSau verstehen, auch ohne
Worte.
Die RegenbogenSau lebte auf ihre Weise und hatte ihr eigenes
Motto:
Tanze ein wenig.
Male ein wenig.
Singe ein wenig.
Schreibe ein wenig.
Lache ein wenig.
Tag für Tag.
Sei einfach da
Wenn sie auch nicht viel sprach, so war sie trotzdem gerne mit
anderen zusammen. Sie genoss es, mit anderen zu sein. Das
Füreinander und Miteinander war ihr wichtig. Sie liebte es, wenn
sich die verschiedenen Farben zu einem bunten Teppich
verwebten. Wenn jede Sau lebte, was ihr am Herzen lag und sie
es im Kreis miteinander teilten, war sie glücklich.
25. DIE KRÄUTERSAU
Nach dem Vollmond im März
Es war eine stürmische Nacht, die volle Mondin stand noch am
Himmel, als die KräuterSau eintrudelte. Sie hatte keine Eile.
Sie war lieber durch den Wald und durch die Wiesen gestreunt
und hatte mal hier und mal dort geschnüffelt und geschaut, was
schon an Kräutern unter dem alten Laub bereits hervorlugte. Mit
ihr kam ein warmer Duft von Kräutern in die Runde. Die anderen
Säue nahmen sie gleich in ihren Kreis auf - die Kräuterkundige
Schon erzählten sie der Kräutersau, wo es zwickte und zwackte,
und fragten sie nach einem Rat, welches Kraut wohl helfen
konnte.
Wenn ihr mögt, dann nehme ich Euch mit in den Wald und in
die Wiesen. Dann könnt ihr selbst schauen, welches Kraut
mit Euch sprechen möchte. Wenn ihr still werdet und
lauscht, dann könnt ihr ihre zarten Stimmen hören. Dann
erzählen Euch die Pflanzen selbst ihre Geschichte und
wenn ihr in ihrem Duft verweilt, kann sich schon, das eine
Zwick oder Zwack in Luft auflösen. Es nützt wenig, wenn
ich Euch davon erzähle. Wichtig ist, was Ihr erfahrt.
Vertraut Eurer eigenen Wahrnehmung, dafür haben wir
doch einen so großartigen Wildsauen Körper, um mit allen
Sinnen zu schnüffeln, zu schmecken, uns in der Erde zu
suhlen, zu lauschen und zu schauen.
Nun war die Schweinbande komplett. Blaue Feder konnte Nadel
und Faden beiseitelegen. Sie hatte vermutet, es würden zwölf
oder dreizehn Säue. Doch hatte sie nach der KräuterSau den
Eindruck, die sechs Säue beinhalteten alles, worum es ging. Sie
war gespannt, wie es nun weiterging. Der Frühlingsanfang stand
bevor. Nun ging es wohl darum, auf das zu horchen, was ihr die
Säue erzählten. Jede Sau hatte ein anderes Thema mit im
Gepäck.
Gehe mit den Säuen und fange an, die Landschaften zu
gestalten.
Es ist Dein Weg, mit Nadel und Faden zum Wesentlichen
zu kommen.
Erinnere Dich, was Dich glücklich macht – in der Natur
zu sein und Geschichten zu schreiben.
Es war an der Zeit, die zukünftige Gesundheit ihres
Königreiches sicherzustellen.
Blaue Feder zog nun mit ihren wilden Säuen durch das Tal der
BroklandSau und durch das Land Drumherum. Mit der Zeit
bekam sie ein Gefühl dafür, welches Schwein ihr gerade ein
Geschichte erzählte. Manchmal war es nicht so eindeutig. Da
waren dann vielleicht mehrere Säue mit ihr losgezogen oder
gar die ganze Bande.
26. DEN FRÜHLING BEGRÜSSEN
Frühlings-Tagundnachtgleiche
Am Morgen wurde Blaue Feder von den Krähen geweckt. Sie
fühlte sich zerschlagen, alles tat ihr weh. Sie machte sich ein
warmes Getränk und setzte sich wieder ins Bett und schaute
dem Treiben der Vögel zu. Es war diesig und feucht draußen,
noch gar nicht so frühlingsmäßig. Die BroklandSau rief sie. Es
gab einen Weg durch die Felder, den sie noch nicht gegangen
war. Die kleine Tigerin kam und es wurde ein Runde gekuschelt.
Nun war Blaue Feder bereit für ihre Runde. Sie traf einen Freund
beim Nordic Walken. Er erzählte von den Silberreihern, die auf
den Feldern waren und wünschte gutes Licht zum Fotografieren.
Als sie auf das freie Land kam, sah sie gleich die Silberreiher. In
der Ferne sah sie noch zwei weiße Flecken, die sahen aber eher
aus wie Schwäne. Sie ging den Weg, den sie beim letzten
Spaziergang mit Brauner Bär entdeckt hatte. Er führte direkt zur
BroklandSau. Überall erschienen die Kätzchen wie auf Sammet
Pfoten. Einige Krähen saßen auf den Wiesen und viele Gänse.
Eine Krähe blieb so lange sitzen, bis blaue Feder den Weg
einschlug zu dem Weißdornwäldchen. Es war spannend, welche
Vögel auf der freien Flur unterwegs waren. Sie hörte Kiebitze
rufen und tastete sich vorsichtig immer näher an die Schwäne
heran. Sie liebte diese Entdeckungstouren. Sie liebte es neue
Wege zu gehen. Die Erde am Rande der BroklandSau war
tiefschwarz und rissig. Wieder fand sie viele Muscheln und eine
gelbblühende Pflanze, den Huflattich. Wie ein junges
Frühlingsfeuer brach sich der Huflattich seine Bahnen. Auf der
dunklen Moor Erde strahlten seine gelben Blüten wie Sonnen
und hoben sich vom Untergrund ab. Beim Huflattich blühen erst
die Blüten und erst später kommen die herzförmigen Blätter zum
Vorschein. Oft werden die gelben Huflattich Blüten mit
Löwenzahn verwechselt, doch beim genaueren Hinschauen
erkennst Du die Unterschiede. Er wird auch Märzenblumen
genannt und sein Tee ist ein klassischer Brusttee, der bei Husten
hilft und die Lunge stärkt. Der Huflattich wächst gerne an
Übergängen, wie hier am Ufer der BroklandSau. So ist er eine
Pflanze für Übergangssituationen.
Blaue Feder befand sich an einem solchen Übergang. Auf der
einen Seite wusste sie, war der Weg stimmig, den sie
eingeschlagen hatte, und doch stiegen immer wieder Bedenken
auf, ob der eigene Weg auch für andere interessant war. Sie
fühlte sich ein bisschen wie eine Pionierin hier im Tal der
BroklandSau. Sie lauschte noch ein wenig dem Fließen der Au,
dem Gesang der Rohrammern und ging dann über die Wiesen
zurück zu dem Weißdornhain. Vor Kurzem wusste sie noch nicht
einmal, wie eine Rohrammer aussah, und jetzt konnte sie schon
das Männchen vom Weibchen unterscheiden. So lernte sie nach
und nach alle Tiere und Pflanzen kennen. Sie ging durch das
Moor zurück. Im Wald sangen alle Vögel bunt durcheinander. Da
konnte sie nur die Augen schließen. Es war wie eine
Klangtherapie. Alle Töne brachten den Körper wieder in
Einklang. Blaue Feder erinnerte sich an die Stille im Winter. Nun
war wieder Leben in der Bude und alle sangen durcheinander.
Zum Abschluss saß Blaue Feder noch eine Weile auf der Bank
am großen Mondsee, beobachtete die Haubentaucher, die
Gänse und die Gänsesäger. Eine Singdrossel saß hinter ihr in
den Buchen und sang ein Lied. Ein Lied von einem neuen
Lebensabschnitt. Auf dem Heimweg sah sie die ersten
Sternenblümchen blühen.
27. DER MARIENKÄFER
Maria Verkündigung
Der Frühling war da, die Sonne schien, der Garten rief und die
KräuterSau. Blaue Feder eröffnet die Gartensaison. Mit
ungestümer Kraft legte sie gleich los. Sie jätete und grub die
Erde um. Da erblickte sie einen Marienkäfer und freute sich -
welch ein Glück.
Der Marienkäfer lud sie ein, innezuhalten in ihrem wilden Tun.
Da saß sie nun auf ihrem Po in der aufgewühlten Erde und der
Marienkäfer erzählte ihr etwas von der Achtung gegenüber
jedem Lebewesen. Im vergangenen Jahr hatten sich einige
Kräuter wild über den Rasen ausgesät. Nun schaute Blaue Feder
erst einmal, was hier wuchs. Sie sah den kleinen
Storchenschnabel, das Ferkelkraut und den Wegerich. Der
kleine Marienkäfer lud sie ein, bevor sie etwas tat, erst einmal
hinzuspüren. Blaue Feder wurde bewusst, wie wenig Ahnung sie
von den Pflanzen hat. Vielleicht taten ihr gerade die Kräuter gut,
die sie gerade rausreißen wollte oder sie bildeten zusammen mit
anderen Pflanzen eine Gemeinschaft. Ein neues Forschungsfeld
tat sich auf.
Die KräuterSau wollte ihr wohl die Pflanzen näherbringen. So
gestoppt in ihrem Eifer, fing sie erst einmal an wahrzunehmen,
wie es gerade in ihrem Garten aussah. Blaue Feder machte eine
Runde durch ihren Garten. Da kam schon die Artemisia, der
Beifuß, zart und grün aus dem Boden und würde ihr beistehen.
Die Alte Wilde Holunder-Dame schlug auch schon aus. Sie
würde ihr sicherlich mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Die Kamelie, die blühte, wann sie möchte, gab ihr den Rat: Mach
einfach Dein Ding. Dann waren da noch die Blaumeisen, die
wieder hinten an der Milchkammer eingezogen sind. Sie sangen:
Geh es spielerisch an. Vielleicht nahm sie die nächsten Wochen
einmal ihr Skizzenbuch mit in den Garten und zeichnete die
Kräuter, die sie nicht kannte - das wäre eine Annäherung. Die
Tigerin schaute ihrem Treiben aufmerksam zu.
Blaue Feder machte eine Pause und ging eine Runde spazieren.
Sie sah das junge Pärchen, das Bäume in dem kleinen wilden
Wald rodeten. Sie dachte bei sich, ich mache es nicht anders in
meinem Garten. Ich bin halt wie ein Wildschweinferkel – wild und
ungestüm und habe noch viel zu lernen. Sie traf eine Bekannte
mit ihrem Hund Pelle. Sie erzählte von ihrem Erlebnis mit einer
Fledermaus. Blaue Feder freute sich, dass sie hier nun schon ein
paar Leute kannte, die sie immer wieder auf ihren Runden traf.
Sie tauschten sich über Pflanzen- und Tiererlebnisse aus und
dann ging sie wieder ihres Weges. Sie besuchte noch den alten
Weißdorn und rauchte mit der alten Weißdorn-Dame auf der
Bank eine Pfeife. Kommt Zeit – kommt Ruhe. Blaue Feder
würde schon ihren Weg mit dem Wegerich finden. Der
Storchenschnabel würde ihr helfen loszulassen und sich zu
entspannen. Das Ferkelkraut machte ihr bewusst, sie war noch
keine alte KräuterSau, sondern eher ein kleines
Wildschweinferkel - etwas wild und ungestüm, aber mit dem
Herzen am richtigen Fleck. Welch ein Glück, dass sie einen
Garten hatte, wo sie viele Erfahrungen sammeln konnte. Es gab
viel zu lernen und sie freute sich darauf, in diesem Jahr mehr Zeit
in ihrem Garten zu verbringen. Auf diese Weise feierte Blaue
Feder Maria Verkündigung in ihrem Garten.
‘.
28. BEI DEN STÖRCHEN
März-Ausklang
Ein warmer Süd-Westwind bescherte Blaue Feder und Brauner
Bär einen wunderbaren sonnigen Tag. Sie waren nach St. Peter
gefahren und hatten eine Freundin besucht, die dort zur Reha
war. Sie hatte Blaue Feder gesagt, sie solle die Kamera
mitbringen, und als sie ankamen empfingen sie sechs
Storchenpaare, die ihre Nester auf dem Parkplatz der Klinik in
den Kopfweiden gebaut haben. Neben der Klinik war ein kleiner
Zoo, wo die Störche einst aufgezogen worden sind, weshalb sie
nun jedes Jahr wieder hierher zurückkamen. Störche haben
etwas Zauberhaftes. Es war schön zu sehen, wie zärtlich sie
miteinander umgingen und wie sie klapperten, was das Zeug
hielt, wenn der Partner zurück ins Nest geflogen kam. So möchte
doch jeder begrüßt werden, mit einem Freudentanz.
Blaue Feder dachte, St. Peter sei ein schöner Ort zum Heilen.
Nicht umsonst haben sich hier so viele Kurkliniken angesiedelt.
Was sie nicht wusste, dass St. Peter auch über eine heiße
Schwefelquelle verfügt. Auch hatte sie sich gefragt, warum St.
Peter ‚St. Peter‘ heißt und war bei Petrus gelandet, der den
Himmel aufschließt. Wenn man in St. Peter am Strand spazieren
ging, dann fühlte sie sich zuweilen, wie im Himmel an, weil es oft
überirdisch schön war. Über den Schlüssel landete Blaue Feder
beim Chiron, der nach einer langen Zeit in den Fischen, in den
Widder gewechselt war und nun eine neue Runde einläutet.
Vielleicht waren deshalb alle gerade mit der Heilung unseres
Planeten beschäftigt. Blaue Feder las gerade ein wunderbares
Buch von Joanna Macy und Molly Brown: Darin fand sie eine
Vision von Susa Silvermarie:
‚1000 JAHRE DER HEILUNG‘
WOHER MEINE HOFFNUNG AUCH IMMER KOMMEN MAG, ICH
WEISS ES NICHT. ES SEI DENN, SIE WÄCHST IN DEN ZELLEN
MEINER HAUT. IN DEN MYSTERIEN MEINER HÜLLE HÖRE ICH
IHR SUMMEN.
IN DIESEM MANTEL, DER ERDHÜLLE SO ÄHNLICH, RAUNT SIE
MIR ZU. UNTER WEHKLAGEN UND DEN DISSONANZEN IN DER
WELT WÄCHST DAS LIED DER HOFFNUNG, BIS ICH SICHER BIN,
DASS MIT DIESER WENDE WIR EIN ZERBROCHENES ZEITALTER
ZUR RUHE BETTEN.
WIR, DIE WIR AN SOLCH EINEM SCHEITELPUNKT LEBEN,
LEITEN NUN EIN ZEITALTER EIN TAUSEND JAHREN HEILUNG!
GEFLÜGELTE UND VIERBEINIGE, GRÄSER UND BERGE UND
JEDER BAUM, ALL IHR WESEN IN DEN GEWÄSSERN,
SOGAR WIR, DIE ARGWÖHNISCHEN ZWEIBEINIGEN,
SUMMEN UND RUFEN UND GESTALTEN DAS LIED DES WANDELS.
WIR ERSCHAFFEN UNSERE BEZIEHUNGEN NEU.
WIR VERBINDEN UNSEREN GEIST MIT DER ERDE.
IN DIESER ZEIT DES WANDELS LASSEN WIR UNSERE STIMMEN
ENDLICH ERKLINGEN;
UND SIE SINGEN UNSERE VISION VOM GROSSEN ZAUBER,
INDEM WIR EINS WIR WERDEN.
WIR SIND DER ANFANG EINER NEUEN LEBENSWEISE, DIE SICH
VOLL FREUDE ENTFALTETFÜR TAUSEND JAHRE DER HEILUNG.
In diesem Sinne lasst uns einstimmen in das Lied der Hoffnung
und ordentlich Klappern wie die Störche!
29. EIN IRISCHES ABENTEUER
Karfreitag
Am frühen Morgen beobachtet Blaue Feder eine Singdrossel im
Garten. Dann machte eine Gans auf dem Reetdach des
Nachbarn Radau und sie ging raus. Die Tür zum Garten des
Nachbarn stand offen und Blaue Feder luscherte hinein. Dort war
eine große Grube ausgehoben. Welche Leiche sollte denn dort
begraben werden? Am Rand lag altes Reet. An diesem Tag
wollte sich wohl ein Krimi entspannen. Blaue Feder hatte sich
das erste Mal in diesem Jahr am frühen Morgen rausgesetzt. Es
war noch kühl, aber bald würde die Sonne um die Ecke schauen.
Es kreisten sogar schon ein paar Schwalben über den Hof. Sie
waren sehr früh dran in diesem Jahr. Ob auf dem Schwalbenhof
wieder welche nisten würden?
Brauner Bär kam auch irgendwann raus und die Beiden
frühstückten in der schönen Sonne draußen und zwei Krähen auf
dem Dach leisteten ihnen Gesellschaft.
Nach dem Frühstück setze sich Blaue Feder ihren Irischen
Sonnenhut auf und Brauner Bär seine Grüne John Deere Mütze.
Schon waren sie middenmang in einem irischen Abenteuer. So
gingen sie los und kamen an einem Haus im Dorf vorbei, das
hatte eine irische Fahne gehisst.
Éirinn go brách - ‚Irland für immer‘
Die Dorfbewohner waren in dieser Hinsicht sehr kreativ. Es nahm
seien Anfang mit einem Haus am Rande des Dorfes. Seine
Bewohner hatten wohl Fahnen aus allen Ländern dieser Welt.
Mittlerweile hatte viele Bewohner im Dorf außergewöhnliche
Fahnen. Das gefiel Blaue Feder.
Ein Buchfink saß in der Sonne und sang. Auf dem Weg zum
Moor trafen die Beiden Gutes Herz, die mit dem Fahrrad eine
Runde drehte. Sie gingen ein Stück gemeinsam. Wie es Brauch
war in Ostrohe, hing schon ein Rotes Osterei am Ortschild. Es
war Karfreitag und die Volle Mondin verteilte ihre Energien über
die Erde.
Ein Weidenlaubsänger sang ein Lied für seine Angebetete und
sie antwortete. Sie setzten sich auf die Bank am Großen
Mondsee und beobachteten den Haubentaucher beim
Fischfang. Überall sprießte es in zartem Frühlingsgrün.
Besonders die Birken waren schön anzusehen. Gutes Herz
verabschiedete sich. Blaue Feder und Brauner Bär gingen weiter
zur kleinen Brücke. Sie gingen den Geheimen Weg, der schon
lange nicht mehr geheim war. Mittlerweile kannten viele den
Alten Rundweg und jemand hatte den Weg um den See
freigeschnitten. War es ein gutes Zeichen, dass nun viele die
Alten Wege gingen? Blaue Feder und Brauner Bär wurden vom
Alten Moosvolk begrüßt. Es war immer zauberhaft, ihrem
wuseligen Treiben zuzuschauen.
Dann ging es weiter auf dem Hinteren Weg. Es waren viele
Angler unterwegs. Auf dem Hinteren Weg fühlte es sich an wie
auf der Mönckebergstraße in der Großen Stadt. Leider fuhren
auch viele Autos heute durch das Moor und hinterließen nichts
als Staubwolken. Blaue Feder ärgerte es. Wenn sie wenigstens
langsam fahren würden. Sie war gerne allein in der Natur. Dort
fühlte sie sich auch nie allein. Dort gab es so viel Gesellschaft
wie sie wollte. Da war zum Beispiel die Felsenbirne zu begrüßen.
Sie kannte jetzt schon so viele Pflanzen beim Namen und alle
wollten begrüßt werden und hier und dort gab es etwas zu
erzählen. Wieder tauchte die Singdrossel auf und saß auf dem
Stein mit der Nr. 28.
‚Sing Dein Lied!
Später würde Blaue Feder ihr noch einmal im Garten begegnen
und sie würden einfach eine Weile still beieinanderstehen.
Überall strahlte das Frühlingsgrün auch in dem Auenwald.
Eigentlich wollten sich Brauner Bär und Blaue Feder am
Schwanensee küssen. Hier, wo sie sich das erste Mal geküsst
hatten. Aber die Bank war von einem anderen Paar besetzt. Sie
waren nun schon zehn Jahre zusammen und genossen jeden
Tag miteinander. Dann lockte ein Reiher sie zur Bank bei den
Tanzenden Birken. Kaum saßen Blaue Feder und Brauner Bär,
begann ein großer Tumult. Die Graugänse waren sehr aufgeregt
und flogen kreuz und quer. Dann entdeckten auch Blaue Feder
und Brauner Bär den Grund der Aufregung. Ein großer
Raubvogel am Himmel. War es ein Bussard? Dafür war er
eigentlich zu groß. Er wurde von zwei Krähen attackiert. Was die
sich immer trauen. Er landete dann hinter der Gänsekuhle auf
einem Baum. Blaue Feder dachte bei sich, dass es ein Seeadler
sei. Und es war einer. Ob die Seeadler aus der Lundener
Niederung manchmal rüberkamen bei ihrer Futtersuche? Blaue
Feder hatte schon vor zwei Wochen einen Seeadler gesehen.
Als sie ihren Kollegen in der Firma davon erzählte, hatten die
müde gelächelt. Blaue Feder kannte dieses Gefühl gut, wenn sie
etwas erzählte und ihr keiner glaubte. Es erinnerte sie an
Kindertage. Wie oft war sie belächelt worden, angesichts ihrer
blühenden Fantasie.
Doch sie selbst wusste, wie sich ihr Leben entsponnen hatte und
wie schön es heute war. Sie verdankte es ihrer blühenden
Fantasie, die alles wandeln konnte. Vielleicht war das Grab am
Morgen für diese beschämenden Gefühle. Sie übergab sie
Mutter Erde und sie würde sie transformieren. Langsam bekam
sie immer mehr Vertrauen in ihre Wahrnehmung und träumte ihr
Leben. Es gab halt keine Sicherheit auf diesem Weg.
Blaue Feder war oft unsicher, wenn sie einen neuen Weg
beschritt. Sie kannte sich mit vielem nicht gut aus, aber die Natur
war ihre Lehrerin und die Begeisterung war ihr eine
unerschöpfliche Quelle, die sie nährte. Die Gänse beruhigten
sich langsam. Blaue Feder und Brauner Bär machten sich auf
den Heimweg. Blaue Feder zeigte Brauner Bär die
Kanadagänse, die sie in der vergangenen Woche entdeckt hatte.
Am Wegesrand stand eine einzelne kleine Sternmiere im
Sonnenlicht und Blaue Feder musste lächeln. Manchmal
kämpfen wir unser ganzes Leben darum, gesehen zu werden.
Und dann war es uns nicht mehr so wichtig und die Sonne
leuchtete ganz von allein durch uns.
Einst gab die Frühlingsgöttin Ostara Ostrohe ihren Namen.
Ostrohe könnte auch heißen der Wald im Osten. Doch das war
eine andere Geschichte und die Feuerwanzen lachten.
30. Die Graue vom Großen Mondsee
Ostersonntag
Die Sonne lockte Blaue Feder raus. Es wehte ein sehr kühler
Ostwind. Am vergangenen Wochenende hatte das Thermometer
schon 20 Grad in der Sonne angezeigt und sie konnten das erste
Mal draußen auf dem Hof sitzen. Nun fror es wieder.
Sie ging erst eine Runde durch den Garten und sah, das
Stiefmütterchen, welches sich ins Kräuterbeet versäht hatte,
hatte nun schon drei Blüten. Blaue Feder ging durchs Dorf,
grüßte den Dorfstein und ging dann weiter ins Moor. Bis zum
Schwanensee wollte sie heute gehen und wieder zurück. Es ging
mal wieder um die Frage, ob die Liebe Worte brauchte.
Ein kleiner etwas unscheinbarer Zilpzalp sang sein Chiff-Chaff
und lockte Blaue Feder an den Großen Mondsee. Sie freute sich,
dass sie nun auch schon einen Weidenlaubsänger erkannte. Auf
dem See schwammen Haubentaucher. Die Sonne spiegelte sich
so schön auf dem Wasser. Überall blühten die Weidenkätzchen
und die Erdhummeln brummten durch die Gegend. Als Blaue
Feder auf den See schaute, hörte sie die Graue rufen. Der Ruf
kam vom kleinen Birkensee, wo die Grüne Bank stand. Also ging
Blaue Feder in diese Richtung. Dabei kam sie an dem
Eisvogelsee vorbei und sie hörte ein paar Gänse rufen. So
machte sie noch einen Abstecher an den Eisvogelsee. Der See
schimmerte wunderschön in den Farben des Himmels. Die
Seerosenblätter waren schon zu sehen und sie leuchtete in
einem strahlenden Frühlingsgrün. Hier hatte Blaue Feder im
Winter den Eisvogel beobachtet. Dieser Seerosenteich war
immer besonders schön.
Blaue Feder begrüßte die Graugänse und freute sich darüber,
was sie hier schon alles erlebt hatte. Sie ging ihren Weg weiter,
und als sie auf der kleinen Brücke stand, die über einen
Ausläufer der BroklandSau führte, lauschte sie dem fließenden
Wasser und sie dachte bei sich, dass die Liebe fließen möchte.
Nun ging Blaue Feder zu dem kleinen Birkensee. Als sie durch
das kleine Birkentor trat, flog die Graue auf. Sie hatte dort am
Ufer gesessen und gewartet. Blaue Feder ging zur Grünen Bank,
setzte sich und schloss die Augen und lauschte. So blieb sie eine
Weile sitzen. Um sie herum sprießte das junge Birkengrün. Es
war so schön, wieder draußen zu sein. Wieder hörte sie die
Gänse rufen. Die Graugänse hatten sich über das ganze Moor
in den Kuhlen verteilt. Als sie an der Kuhle mit der Insel stand,
sah sie am gegenüberliegenden Ufer zwei Kanadagänse – groß
und schön. Sie schlich sich ran. Doch war sie wohl nicht
vorsichtig genug und die großen schönen Gänse flogen weg. Es
tat ihr leid. Manchmal wollte sie einfach zu viel oder war
geblendet von dem Großen und Schönen.
Dann ging Blaue Feder über die Grenzen der anderen und auch
über ihre eigenen. Ja, ja, das richtige Maß zu finden, war
manchmal gar nicht so einfach. Manchmal reichte auch der
Anblick eines einzelnen kleinen Buschwindröschens, um die
Liebe zu erfahren. Heute bei der Kälte öffneten nur wenige
Buschwindröschen ihre Kelche und es roch verdächtig nach
Schnee. Blaue Feder hatte noch viel zu lernen. Sie ging zum
Schwanensee. Dort tanzten die Gänseblümchen ihren Reigen
und lachten sie an. Blaue Feder setzt sich zu ihnen. Manchmal
war sie geblendet von dem Großen Schönen und sah das kleine
Blümchen am Straßenrand nicht mehr.
Auch kleine unscheinbare Vögel können singen
Vielleicht hatte ihr der Weidenlaubsänger das sagen wollen?
Sind es nicht oft die kleinen Dinge, die uns im Alltag berühren?
Hier ein liebes Wort, dort ein Lächeln oder eine nette Geste.
Zeigt sich die Liebe nicht oft versteckt in den kleinen Blümchen?
Am Schwanensee blühten schon die neu gepflanzten
Bäumchen. Blaue Feder fand ein geöffnetes Ei unter einem
Busch. Wer war wohl hier aus dem Ei geschlüpft? Sie ging
langsam zurück und auf dem Weg lag ein Stein, der sah aus wie
ein Haus mit sieben Fenstern. Auf dem Rückweg kam Blaue
Feder wieder am Großen Mondsee vorbei. Und als sie
zurückschaute sah sie die Graue am anderen Ufer
entlangschreiten. Blaue Feder musste lachen. Schnell lief sie
zum Rand des Sees, aber nun war diese schon wieder
verschwunden.
Blaue Feder musste innerlich lachen und sagte etwas forsch:
‚Zeig Dich‘ und ihrem Herzen erhielt sie eine Antwort.
‚Ich bin immer da!
Wenn Du die Natur schaust, schaust Du mir in die Augen.
Wenn Du in meine Augen schaust, schaust Du in meine
Seele.
Wenn Du in meine Seele schaust, erkennst Du meinen
Geist.
Mein Geist ist erfüllt von Liebe.
Diese Liebe durchströmt alles, vom kleinsten Lebewesen
bis zum Größten.
Sie fließt auch durch die Menschen und zeigt sich in allem,
was sie machen.
Lass die Liebe fließen Blaue Feder, und mache auch mal
Pausen.
Mach eins nach dem anderen.
Und vergiss nie, die Liebe fließt auch durch die kleinsten
Blümchen.‘
31. Alles hat seine Zeit
Das Storchendorf Bergenhusen – Mond im Steinbock
Wenn Engel reisen, scheint die Sonne. Eine milde Brise aus
Nordost wehte Brauner Bär und Blaue Feder durch das Tal der
BroklandSau bis über die Eider in die Flusslandschaft von Eider-
Treene-Sorge. Sie fuhren durch blühende Löwenzahnwiesen.
Kurz vor den Berge begrüßte sie die Grau. Dann ging es in die
Berge. Wer meint oben im Norden sei alles platt, der täuscht
sich. Hier wirkt das Land lieblich wie im Allgäu. Mit dem Mond im
Steinbock wollten sie das Storchendorf Bergenhusen besuchen.
Sie besuchten erst die Kirche mit den schönen Engeln. Sie
wurde gerade renoviert. Blaue Feder zündete eine Kerze an, für
den Freund, der gerade gegangen war und gedachte seiner. Sie
zündete eine zweite Kerze an für das Neue, das geboren würde.
Brauner Bär und Blaue Feder gingen erst die ‚Rote Runde‘.
Vereinzelt saß ein Storch im Nest. Die Partner waren oft
ausgeflogen. Die Störche waren schon am Brüten. Sie besserten
ihre Nester aus, waren auf Futtersuche und mit der
Gefiederpflege beschäftigt. Es war wie bei ihnen. Momentan
standen viele Schönheitsreparaturen am Haus an. Der Garten
rief und das Wohl des eigenen Körpers war ihr wichtig. Nach dem
Winter musste man erst einmal wieder in Schwung kommen.
Blaue Feder beruhigte es. Sie hatte das Gefühl ihre Blog-
Geschichte hatte auch noch Zeit. Sie konnte noch ein bisschen
darüber brüten, bis die kleinen Störche geboren waren. Wann
kommen sie eigentlich auf die Welt? Im Auto hörten sie ein Lied
‚Clever Born‘ von Kat Frankie und es gefiel ihr sehr.
Nach der ‚Roten Runde‘, folgten die Beiden nun den Blauen
Pfeilen und verliefen sich erst einmal, landeten in den Schlehen.
Dann fanden sie den Weg zum Lüttensee. Wenn sie den See
auch nicht fanden, dann doch ein wunderbare Alte Sau. Sie
erinnerte Blaue Feder an die BroklandSau. Sie kam, wedelte mit
dem Schwanz und freute sich. Sie war wohl schon sehr alt und
hatte viel gesehen. Das Laufen fiel ihr schwer.
‚Lass Dir Zeit‘, sagte sie zu Blaue Feder. ‚Du bist frei. Es ist
egal was andere sagen. Nimm Dir die Zeit, die du brauchst.
Alles hat seine Zeit. Momentan ist das Haus dran. Es braucht
auch seine Pflege, damit es Euch gut schützt. Pflanze Deine
Blümchen und mach alles schön.‘
Im Sonnenlicht auf einer Löwenzahnwiese stand eine alte
Esche. Es gab Traditionen, da war der Weltenbaum eine Esche.
Als Kind hatten Blaue Feder die Abenteuer der fünf Freunden
fasziniert. Sie hatte die Bücher von Enid Blyton geliebt. Ihr
Lieblingsbuch war: Der Zauberwald. Drei Kinder steigen jeden
Tag auf einen Baum und landen in verschiedenen Welten und
erleben ihre Abenteuer mit Mondgesicht, mit Seidenhaar, dem
Kesselflicker und Madame Waschsoviel. Die Bäume fragen: ‚Wo
sind Deine Wurzeln und wohin möchtest Du wachsen?‘
Sie gingen den Weg zur Mühle hoch. Die alte Margaretha war
eine Perle. Das Haus mit der Nr. 4. – Sie wohnten auch in der
Nummer 4 und ihr Haus war auch eine Perle. Der Stress fiel von
ihren Schultern. Als sie zuhause ankamen, war schon der liebe
Nachbar da, der ihnen den Schornstein reparierte. Der
Schwalbenhof strahlte und es war gut so.
32. Das Schwalbenkraut
Rund um den Schwalbenhof, da wuchs ein Kraut.
Blaue Feder wusste, wenn es seine sonnengleichen gelben
Blüten öffnet, dann kehren die Schwalben im Frühling von ihrer
Reise aus dem Süden zurück. Mit der herbstlichen Rückreise der
Zugvögel endete seine Blütezeit, daher wurde es im Volksmund
Schwalbenkraut genannt. Besser bekannt war es unter seinem
Namen Schöllkraut. Pflanzenfreunde wissen um den gelben
Milchsaft, der Warzen verschwinden lassen soll. Blaue Feder
hatte sich in einem Schwimmbad Dornwarzen eigefangen.
Vielleicht konnte ihr das Kraut helfen. Die Warzen müssen nur
wenige Tage, aber regelmäßig, dreimal am Tag, mit dem Saft
betupft werden. So bekam es auch den Namen Warzenkraut.
Blaue Feder fand es immer spannend, welche volkstümlichen
Namen einem Kraut gegeben wurden, ließen sie Schlüsse zu auf
seine Heilwirkung. So wurde es auch Augenkraut, Lichtkraut
und Ogenklar genannt. Es wurde beobachtet, dass
Schwalbenmütter ihren blinden Küken den Saft in die Augen
träufelte und so ihre Sehkraft zurückkehrte. Die gelbe
Blütenfarbe bedeute den Alchemisten, dass mithilfe seiner
Wurzel Gold herzustellen sei. So wurde es Goldwurz genannt.
Auch Gelbsucht und andere Leberleiden wurde mit dieser
Pflanze behandelt. Es gab ein Gemälde von Albrecht Dürer vom
Schöllkraut. Er hatte es für seinen Arzt gemalt, der seine
Leberprobleme mit Schöllkraut behandelt hatte. Als
Leberpflanze vertreibt es die Laus, die über die Leber gelaufen
war. Das Kraut mit den gelben Blüten half dort, wo Gifte
produziert wurden. Eine Blütenessenz vertrieb Melancholie und
Traurigkeit. Es trotzt auch Umweltverschmutzungen und wächst
vermehrt mitten in der Großen Stadt.
Seine Wurzeln sondern ein Säure ab die Steine erweichen kann.
Auf dem Schwalbenhof wuchs es entlang jeder Mauer und in
jeder Ritze. Früher hatte Blaue Feder das Kraut genervt, das sich
überall in ihrem Garten ausbreitete und sie hatte es ausgerissen.
Doch nun durfte überall wachsen, wo es wollte.
Ganz zaghaft fragte nun die RegenbogenSau, ob Blaue Feder
nicht Lust hätte, in den Garten zu gehen und dieses wunderbare
Kraut zu zeichnen. Sie hatte sich bisher zurückgehalten, doch
nun bot sich ihre Chance. Blaue Feder holte ihre Stifte, ihr
Skizzenbuch und ihren Schemel und schon saß sie im Garten
und tauchte in die Gegenwart dieses Himmelsgeschenkes, das
sie zu innerer Ausgeglichenheit führen wollte. Blaue Feder war
jedenfalls nach dem Zeichnen tiefenentspannt und machte erst
einmal ein Nickerchen. Später las sie, es gehörte zu den
Mohngewächsen. Nun wunderte sie sich nicht mehr, dass ihr
nach dem Zeichnen die Augen zufielen.
- Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber es kreisten
einige Schwalben über dem Hof und sie hatten eine sonnige
Woche. Seit das Dach des Schwalbenhofes erneuert wurde,
hatte keine Schwalbe mehr auf dem Hof genistet. Es konnte aber
auch an den trockenen Sommern liegen. Zum Nestbau
brauchten die Schwalben Lehm und den fanden sie an feuchten
Stellen. Vielleicht waren diese Stellen zu weit vom Hof entfernt.
Blaue Feder nahm ihre Skizze als Vorlage für ein weiteres Bild.
Sie schwang den Pinsel, da freute sich die RegenbogenSau,
strahlte ihr Bild in schönen Farben. Schöllkraut soll unabhängig
machen, sowohl von Applaus als auch von Ablehnung. Seine
Antwort heißt Liebe und die brauchte bekanntlich nicht viele
Worte.
33. Wilde Tulpen
Maifeiertag
Am Morgen erwachte sie aus belebten Träumen. Als sie sich
einen Kaffee machte, sah sie die Kohlmeisen, das Haar holen.
Sie hatte Brauner Bär draußen die Haare geschnitten. Blaue
Feder trank in Ruhe ihren Kaffee, machte sich fertig und zog los.
Die Linden bekamen Blätter. Blaue Feder pflückte sich einige.
Sie liebte frische Lindenblätter. Habt Ihr schon einmal
Lindenblätter gegessen? Probiert sie mal. Ihre herzförmigen
zartgrünen Blätter schmecken sanft und nussig, als würde man
die Liebe selbst verspeisen. Am Rande des Dorfes auf dem Weg
zur Broklandsau, da stand ein kleines Holzhaus. Alle naselang
weht am Fahnenmast dieses Hauses eine neue Fahne. Die
Bewohner müssen wohl Fahnen aus allen Ländern haben.
Manchmal sind es diese kleinen Dinge, die den Unterschied
ausmachen. Eine Frau kam aus dem Haus und strahlte Blaue
Feder an. Manchmal treffen sich Frauen und lächeln sich an, wie
Frauen sich eben anlächeln, wenn sie sich treffen. Dann ging sie
ihres Weges und Blaue Feder den ihren. Es war windstill, die
Fahne hing lautlos am Mast und Blaue Feder kannte sie nicht.
Also ließ sie sich auf ein Abenteuer ein, ohne zu wissen, wohin
es sie führt. Sie tauchte in ein Land ‚Irgendwo im Nirgendwo‘.
Sie ging über ein Hochplateau. Am Wegesrand hörte sie leise
tausend kleine Glöckchen klingen. Dieser Klang war ihr sehr
vertraut. Irgendwie fiel sie aus Zeit und Raum. Es gab wenig, was
ihre Aufmerksamkeit ablenkte. So horchte sie nur auf ihr Herz.
Tiefe Canyons taten sich auf in der trockenen schwarzen Erde.
Ein Fluss schlängelte sich an ihrem Grund. Der Fluss sang sein
Lied, ein Lied für alle ‚Eingeborenen‘.
War sie so eine ‚Eingeborene‘? Ein Kind von Mutter Erde, in
dessen Herzen es keine Grenzen gab. Am Wegesrand lachten
sie ein paar Blumen an. Sie hatte sie hier noch nie gesehen.
Wilde Tulpen, dachte sie bei sich und freute sich über diese
Neuland-Entdeckung.
Im Moor blühte zart-rosa ein wilder Apfelbaum und ein Rehbock
blickte sie an. Blaue Feder saß eine Weile am Großen Mondsee
und sah der Grauen beim Fischfang zu. Langsam ging sie
zurück. Im Garten der Nachbarin erblickte sie eine Tulpe. Dann
stand sie am Fuße der Dorfeiche, dort wo alle ihre Reisen
beginnen und enden.
Und siehe da, unter der Eiche blühten auch ein paar Wilde
Tulpen. Ein Lächeln strahlte über ihr Gesicht. Ein Lächeln wie
‚Eingeborene‘ eben lächeln. So ‚beliebt‘ konnte sie in die neue
Woche starten.
Später las Blaue Feder, dass Tulipa sylvestris die einzige in
Deutschland wild vorkommende Tulpenart war, und sie stand
unter Naturschutz.
34. Das Salomonsiegel
Tag der Großen Mutter
Blaue Feder hatte etwas länger geschlafen und wachte bei
Sonnenschein auf. Die KräuterSau rief und wollte mit ihr durch
das Moor streifen. Sie beeilte sich, zog sich rasch an, aß eine
Kleinigkeit und schon ging die Reise los. Sie stromerte Richtung
Gänsekuhle – in der Hoffnung den Adler wiederzusehen. Der
Westwind wehte den Regen vor sich her. Die Schwalben
umkreisten Blaue Feder. Sie hatte Glück und der Regen flog an
ihr vorbei. Sie ging zum Großen Mondsee und beobachtet die
Haubentaucher. Ab und zu wie sie einmal abtauchen, tat gut.
Eine Moormeise sang für sie: ‚Lass los. Du würdest gerne den
Adler sehen. Doch tauche in das Jetzt und nicht in das, was
sein könnte.‘ Blaue Feder ließ los und tauchte in die Blumen am
Wegesrand und in die Wiesenschaumwiese. Sie konnte sich
vorstellen, wie die kleinen Elfen tanzten. Am See mit der Insel
wurde sie in den Birkenwald gezogen. Hier standen sieben
Birken beieinander und tanzten. Ein Hexenbesen hing in den
Zweigen. Die Birken tanzen oft abseits, dort wo sie nicht gesehen
und auch nicht gestört werden. Sie tanzen ihren Tanz, wo der
Eichelhäher zuhause war. Sie setzte sich auf einen Birkenthron
und schloss die Augen: ‚ Gehe mehr nach innen. Öffne Dein
Herz. Der wahre Reichtum liegt in Deinem Herzen. Ihn kannst
Du im Außen nicht finden – noch zeigen.‘ Blaue Feder
entspannte sich und bedankte sich bei den Birken. Sie ging
weiter zur Gänsekuhle und sah keinen Adler weit und breit. Dort
wo eine Birke abgeholzt wurde, standen ein paar
Salomonssiegel. Sie wuchsen gerne dort, wo viel abgeholzt
wurde. Auch bei ihrem kleinen Wald und auf dem Fuchsloch
hatte sie das Salomonsiegel gesehen. Sie begegnete dem
Salomonsiegel jetzt zum dritten Mal und sie hatte sehr viel
Respekt vor dieser Pflanze. Sie strahlte sehr viel Kraft aus. Blaue
Feder kannte sie nicht und näherte sich ihr langsam. Sie setzte
sich zu den Pflanzen. Vor ihrem inneren Auge erschien eine
weiße Frau, die Samen aus einer Schüssel verstreute.
Blaue Feder hatte den Eindruck, die Natur streute ihre Blumen
und Pflanzen dorthin, wo sie gebraucht wurden, von der Natur
selbst, wie auch von den Menschen. Auch in ihrem Garten
wuchsen die Kräuter, die ihr guttaten. Blaue Feder wusste nichts
von Salomon, aber ihr schien diese Blume die weiblichen und die
männlichen Energien auszugleichen, in Einklang zu bringen und
in Frieden. Vielleicht wünschte sich Blaue Feder Erfolg, doch
wusste sie, der wahre Reichtum war nicht im Außen zu finden.
Sie fand ihn nur in ihrem Herzen. Je mehr sie sich für die inneren
Welten öffneten, desto mehr veränderte sich auch ihre äußere
Welt. Darum war es wohl wichtig, sich zu entspannen. Sie konnte
sich Zeit lassen und mit allen Sinnen in die Welt der Pflanzen
eintauchen. Riechen, schmecken, wahrnehmen und fühlen mit
allen Sinnen eintauchen. Blaue Feder ging noch zu einem Ort,
den sie Tierfriedhof nannte. Am Großen Mondsee setzte sie sich
auf die Bank und die Frau vom See setzte sich zu ihr. Sie triefte
vor Wasser und Algen hingen an ihr runter. Sie setzte sich zu
Blaue Feder und nahm sie in den Arm. Es gab nichts, was es
nicht gab. Die ganze Welt war belebt. So saßen sie eine Weile
zusammen. Dann bedankte sie sich und als sie ging, flog ein
Kormoran fort. Als Blaue Feder aus dem Moor kam, fiel ihr der
Himmel auf. Die Wolken strahlten weiß in alle Richtungen. Das
sah schön aus. Die Graue flog an ihr vorbei. Sie hatte auch
anfangs wieder auf dem Feld gesessen, aber Blaue Feder hatte
sie nicht gesehen.
35. Küstensteine
Das Land Dazwischen
Steine erzählen sehr alte Geschichten. Habt Ihr schon
einmal einen Stein in die Hand genommen und gelauscht? Habt
Ihr schon einmal auf einem Stein gelegen und seid eins mit
ihm geworden?
Es war die Zeit der Blumen-Mondin. Fast rund stand sie am
Abend am Himmel. Blaue Feder rief es an die BroklandSau und
Emma flüsterte ihr zu: ‚Tauche in den Fluss des Lebens‘.
Am Tag zuvor hatte ihr eine Freundin von den Küstensteinen
erzählt. Es gab Menschen, die bemalten Steine und legten sie
irgendwo in die Natur oder in die Stadt und schwupps, fand sie
einen Küstenstein - einen hübschen mit Blümchen. Es war eine
schöne kleine Idee, die ihr ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.
Einst reiste Blaue Feder ins Land der Steine und entdeckte ihre
Liebe zu den Steinen wieder. Schon als Kind hatte sie einen
großen Stein an der Ostsee, der sie tröstete, wenn sie mal traurig
war. Stunde um Stunde saß sie auf dem Stein. Die Wellen
plätscherten um sie herum und sie schaute auf das Meer hinaus.
Getröstet ging sie dann wieder nach Hause. Blaue Feder ließ
den Stein liegen, damit er noch mehr Wanderer verzaubert.
Sie hing gerade irgendwo dazwischen. Das Alte funktioniert nicht
mehr und das Neue war noch nicht richtig da. In dem Raum
Dazwischen war alles etwas unscharf - nicht so fokussiert. In der
Weite öffnete sich ihre Wahrnehmung für das Neue.
Am Mast des kleinen Holzhauses wehte eine alte argentinische
Fahne. Blaue Feder tauchte in ein Land ein, in dem die Sonne
lachte. Die Sonne spielte mit Licht und Schatten. Sie tauchte in
das Land Dazwischen, einem Land, indem es nichts zu tun gab.
Sie konnte einfach sein und mit den Energien fließen, sich
treiben lassen und die Weite genießen. Sie kam zu Großmutter
Holunder und begrüßte sie. Sie stand an einem Ausläufer der
Broklandsau. Der Löwenzahn brach sich seinen Weg durch die
Straße. Blaue Feder ging nicht ins Moor, sondern über die Felder
an dem kleinen Schuppen vorbei. Vielleicht kam sie hier auch an
die Broklandsau. So war es und sie tauchte in den Fluss des
Lebens und fühlte sich geborgen. Einige Rohrammern,
Feldlerchen und Rohrsänger begleiteten sie. Sie sah Muscheln
und Seerosenblätter auf der Broklandsau. Als sie den Weg
zurück ins Moor einschlug, flog ein großer Schwarm Möwen über
sie hinweg. Sie brachten das Neue mit sich - Leichtigkeit.
Plötzlich wurde alles lebendig um sie herum Feder.
Schmetterlinge und Libellen umschwirrten sie.
Mach es Dir leicht!
Mit den Möwen verflog die Schwere und Blaue Feder tanzte mit
den zarten grünen Birkenblättern im Wind. Sie spürte einen
tiefen Frieden in sich. Das Land Dazwischen fühlte sich noch
etwas ungewohnt an. Sie musste sich nicht immer so
anstrengen. Nun durfte sie es sich leichter machen. Sie würde
sich Zeit lassen. Ihre Ruhe und Zufriedenheit würden in die Welt
strahlen und nicht der Stress.
36. Der Urkraft begegnen
Am Morgen sah Blaue Feder in ihren Sonne- und Mondkalender
und ihr wurde bewusst, Brauner Bär und sie würden heiraten,
wenn Lilith auf seinem Mond und auf ihrer Sonne stand. Da
würde auch ein schwarzes Hochzeitskleid passen. Egal, wie sie
es anstellte, sie griff immer zu schwarzen Kleidern. Sie befragte
die Freundinnen, welches Kleid sie tragen sollte und jede sagte
etwas Anderes. Sie würde letztendlich entscheiden, in welchem
Kleid sie sich wohl fühlte. Sie hatte von einem Kleid geträumt.
Sie hätte es sich nähen können. Doch wollte sie es sich einmal
leicht machen. Erst kurz vor der Hochzeit würde sie das Kleid
aus ihrem Traum mit gestickten Blumen am Ausschnitt finden
und dann sicher sein, es war perfekt und es war schwarz.
Lilith war für Blaue Feder die Urkraft, die Urschamanin. Blaue
Feder wachte an diesen Morgen mit Schmerzen auf. Sie kannte
es, in Zeiten der Veränderung, reagierte sie mit Schmerzen.
Früher hatte sie sich Sorgen gemacht und sich untersuchen
lassen. Aber es wurde nie etwas gefunden und irgendwann
lösten sich die Schmerzen wieder auf. Lilith war für sie die wilde
und ungebundene Frau. Blaue Feder würde sich binden. Stand
es im Widerspruch? Würde sich etwas verändern in dem
Verhältnis von Brauner Bär und Blaue Feder. Sie lebten eine
sehr freiheitliche Beziehung, in der sie beide ihren Freiraum
hatten, sich zu entwickeln.
Vermutlich würde sich etwas verändern. Sie sagten ‚Ja‘
zueinander, nahmen sich in Liebe so an, wie sie waren, so
unterschiedlich wie sie waren, so unterschiedlich wie ihre Ringe.
Wohl jeder Hochzeit wohnt ein Zauber inne. Ihren
Hochzeitszauber würden sie noch erst erfahren.
Es war schön draußen. Die Sonne schien und lud Blaue Feder
zu einer Runde ein. Die erste Mohnblüte war erblüht und im
hinteren Garten blühten Kornblumen. Sie selbst trug heute Blau
und Rot. Sie liebte diese Farben, wie sie Mohn und Kornblumen
liebte. Der Duft der ersten zarten Holunderblüten wehte zu ihr
herüber. Es war warm und ein erfrischender Wind wehte. Sie
ging erst zu den Pferden. Windpferd begrüßte sie und für einen
Moment war sie in Tibet und ritt mit ihm über eine Hochebene.
In einem Land, in dem sie leiblich noch nie gewesen war und
welches ihr trotzdem ein Gefühl von Heimat gab. Blaue Feder
brach auf ins Tal der BroklandSau. Auch dieses Land gab ihr ein
Gefühl von Heimat. Sie traf gleich zwei bekannte Gesichter –
zwei Künstlerfreunde. Sie tauschten sich kurz aus und dann ging
jeder seines Weges. Am Ortsausgang hing bei dem kleinen
Holzhaus eine jamaikanische Fahne mit Bob Marley drauf und
‚Freedom‘ stand unter seinem Bildnis. Blaue Feder dachte über
den Begriff Freiheit nach.
Die Begrenzungen des irdischen Lebens anzunehmen,
führt in die Freiheit. Sie liebevoll anzunehmen, macht
frei.
Auf dem Moor-Info-Häuschen sang ein Buchfink und fragte
Blaue Feder: ‚Wirst Du davon erzählen? ‘ Sie versprach es,
ohne zu wissen, was sie heute erleben würde. Blaue Feder ließ
sich einfach treiben. Eine Kutsche fuhr an ihr vorbei. Die
Hochzeitkutsche, hihi…
Sie ging zum Großen Mondsee und begrüßte die
Haubentaucher. Sie kam sich vor wie bei den Wollsammlern. Die
Löwenzahnsamen hatten interessante Gebilde geformt. Sie fand
eine Pose, eine Schnaps-Buddel und anderen Müll. Die Angler
hatten wieder einiges zurückgelassen. Die Disteln fingen an zu
blühen und die Schwertlilien. Wieder hörte sie das Traben der
Pferde und die Kutsche fuhr vorbei. Blaue Feder lächelte in sich
hinein. Blaue Feder ging den Weg der Rehe und setzte sich in
eine Wiese ans Wasser.
Es fiel ihr heute schwer loszulassen, sich hinzugeben, war sie
innerlich unruhig. Manchmal fühlte es sich so an, wenn etwas
Neues in ihr Leben trat. Sie setzte sich ins feuchte Gras und
beobachtete die Libellen. Einer schaute zu lange in die Augen.
Irgendetwas war, aber sie wusste nicht was. Als sie aufstand,
raschelte es in einem Busch. Eine schwangere Moor-Eidechse
saß unter einem Busch. Beide waren still, keine bewegte sich
und sie sahen sich einfach eine Weile an. Das war ein
wundersamer Moment. Blaue Feder fühlte sich in Ur-Zeiten
zurückversetzt und konnte es kaum in Worte fassen.
Die Eidechse erinnerte sie an Tuatara, die Brückenechse aus
dem Buch ‚Die Weisheit der vier Winde‘. Daheim las sie noch
einmal den Text.
‚Ich bin Tuatara.
Ich geleite dich durch das Reich der Sterne hin zu Welten uralten
Wissens, damit sich dir Tore jenseits des Sichtbaren öffnen,
durch die sich dein Geist erheben kann.
Ich behüte wundersame spirituelle Pfade, die meinem dritten
Auge klar ersichtlich sind.
Mein ist der Weg der uralten Wahrheit, das Geschenk des
Regenbogenhimmels.
Inmitten des wütenden Sturmes bin ich an deiner Seite.
Ich vernehme deinen Wunsch nach Kraft.
Denen, die ratlos und einsam sind, zeige ich den Himmelspfad, den
Weg nach Hause. Ich bin das Tor zu den Sternen.
Vertraue der sanften Stimme jenseits von Raum und Zeit.
Vertraue dem inneren Auge und erkenne das verspielte Kind im
Inneren.
Vertraue deinem Lied, der Einzigartigkeit des Weges, den du
gewählt hast.
Vertraue deiner eigenen Schönheit und all dem, was es für dich
noch zu erreichen gibt.
Vertraue – und in diesem Vertrauen finde ewige Freiheit.‘
Blaue Feder ging weiter und öffnete ihr Herz und machte es
weit und nahm ihre Schmerzen hinein. So ging sie zu den
Teichmummeln. Hingabe und Vertrauen waren die Worte, die
sich in ihr formten. Sie ging noch einmal zum Salomonsiegel.
Es sah aus, als hätte es die Masern. Lauter Flecken waren auf
den Blättern. Vielleicht nahmen die Pflanzen Schmerzen und
Gifte auf und wandelten sie. Alles war miteinander verbunden
wie die Wurzeln des Salomonsiegels. Wenn wir uns verändern,
dann wirkt es sich auf das ganze System aus. Sie war immer
noch angespannt. Eine Wiese mit gelbem Ferkelkraut lachte sie
an und lud sie ein, sich hineinzulegen. So lag sie zwischen den
gelben Blüten, die warme Erde unter sich und der blaue
Himmel über ihr. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie
ihre Schmerzen in die Erde flossen. Mutter Erde nahm sie und
verwandelte. Verwandelte sie in goldenes Licht, das wie durch
Wurzeln wieder in ihren Körper zurückfloss.
Ferkelkraut war sehr nährend für kleine Brokland-Ferkel, wie sie
eines war. Es wuchs auch in ihrem Garten und war ihr vertraut.
Sie lag in der Sonne auf dem trockenen Boden und ließ den
Schmerz in die Erde fließen und nahm frische Energie auf. Das
könnte sie ruhig öfters mal machen. Hinterher fühlte sie sich
erfrischt und schon viel leichter.
Auf dem Heimweg hörte sie die Eichelhäher und dachte bei sich,
wenn sie eine Blaue Feder fand, dann würde sie ihre
Geschichten veröffentlichen. Es fing wohl mit dem ‚Alten Feuer‘
an und ging dann rückwärts. Daheim blieb sie noch eine Weile
im Garten und goss die Pflanzen. Das Hausrotschwanzweibchen
machte mächtig auf sich aufmerksam. Sie hatte drei Küken, war
dabei, sie zu füttern und Flugübungen mit ihnen zu machen.
Dann setzte Blaue Feder sich an den Computer und gestaltete
die Einladungen für ihre Hochzeit.
Da kam ihr in Erinnerung, dass sie in ihrem Büchlein ‚Land of
Enchantement‘ auch eine Eidechse genäht hatte, eine Spinne
und eine Schlange. Begegnete ihr nun als nächstes einer
Schlange? Auch erinnerte sie sich, dass Lilith-Transite einen
Neunjahres-Rhythmus haben wie bei einer Schwangerschaft.
Sie befragte dann noch einmal in die Sterne, wann Lilith ihre
Sonne besucht hatte und welche Themen damit verbunden
waren. Als sie die Jahreszahlen sah, kamen ihr gleich
Erinnerungen. Sie erinnerte sich an eine Reise in das Land der
Schwäne aus Kindertagen, wo Eidechsen direkt am Haus
wohnten.
Am Nachmittag zog die Lokomotive Emma mit den Kindern durch
das Dorf. Sie erinnerte sich, wie sie als junge Frau den Drachen
‚Frau Mahlzahn‘ in Jim Knopf gespielt hatte. Sie war damals
tausend Tode gestorben, weil sie auf der Bühne sprechen
musste. Damals stand Lilith auf ihrer Sonne und sie war über
ihren Schatten gesprungen. Vielleicht kommt mit Lilith die Kraft,
neue Dinge anzugehen, die sie sich vorher nicht getraut hätte
wie eine ‚Trau-ung‘.
Die Tiere in ihrem Buch stellten vielleicht die Schatten-Themen
dar, in denen Kraft gebunden war. Die Eidechse wollte sie an
ihre Träume erinnern, die sie noch umsetzen wollte. Wollte sie
mit ihrer Urkraft verbinden und sie einladen, vollkommen zu
ihrem Sein und Wesen ‚Ja‘ zu sagen. Die Moor-Eidechse würde
wohl bald ihre Jungen bekommen. Was würde Blaue Feder
gebären?
Wenn wir kreativ tätig sind, wenn wir etwas Neues versuchen,
dann schwanken wir oft zwischen Anspannung, Freude,
manchmal Frustration, auch Aggression und Entspannung, bis
wir eine Lösung gefunden haben. Da kann sich der Körper schon
mal verspannen.
Ein Bad im Ferkelkraut konnte ihr helfen, Entspannung zu finden
und zu ihrem Sein und Wesen ‚Ja‘ zu sagen.
37. Rot wie Mohn und Blau wie Kornblumen
An diesem Tag witterte die RegenbogenSau ihre Chance. Es
hatte geregnet und die Blütenblätter des Mohns waren
abgefallen. Schon immer einmal wollte Blaue Feder mit
Pflanzenfarben experimentieren. Sie sammelte die Mohnblätter
ein und kochte daraus einen Farbensud. Sie wollte gerne
Farben aus Kornblumen und Mohnblumen machen und dann
die Blumen damit malen. Die roten Blütenblätter wurden früher
zum Färben von Wein und Sirup benutzt und zur Herstellung
roter Tinte. Sie war überrascht, dass die Saftfarbe, die sie
durch einfaches Zermörsern der Blütenblätter erhielt oder durch
Kochen, eher Purpur-Violett war. Das lag wohl an dem PH-
Wert und an der dunkelblauen Mitte des Mohns. Fügte sie ein
paar Tropfen Seifenlauge in den violetten Mohn, veränderte
sich die Farbe nach Blau. Fügte sie ein paar Tropfen
Essigsäure, wurde der Farbton rot. Die Saftfarbe vermalte sie
direkt auf dem Papier.
Sie versuchte ihr Glück auch mit den blauen Kornblumen,
erhielt beim Mörsern aber nur einen sehr zarten Blau-Ton. Sie
gab etwas Alaun dazu, aber viel intensiver wurde die Farbe
dadurch nicht. In ihrem Garten wuchsen viele Pflanzen, die sie
einluden, mit ihnen sie experimentierte. Ein sattes Gelb erhielt
sie, wenn sie Löwenzahnblüten 15 Minuten mit Alaun köchelte.
Auch ein Farbensud aus Zwiebeln ergab ein leuchtendes Gelb.
Ein sattes Gelb erhielt sie auch von frischen Apfelbaum-
Zweigen.
Um Orange zu gewinnen, eignete sich das Schöllkraut. Alle
Pflanzenteile des Schwalbenkrautes sonderten einen
orangefarbenen Saft ab. Brennnesseln 30 Minuten mit Alaun
geköchelt ergaben einen zarten Gelbgrün-Ton. Die meisten
Farbstoffe waren in den frischen Pflanzen im April enthalten.
Für ein mystisches Blau oder Violett eigneten sich natürlich die
reifen Holunderbeeren. Doch waren sie noch nicht reif. Mit
ihnen ließ sich ein kräftiger Farbensaft herstellen, wenn man
sie kurz mit Wasser aufkochte und durch ein feinmaschiges
Sieb presst. Die Farbtöne changierten zwischen Purpurrot und
Violett. Ein tiefes Violett-Rot erhielt sie auch bei Versuchen
mit den Malven. Hibiskusblüten 15 Minuten mit Alaun geköchelt
ergaben ein Purpur bis Blau-Ton. Um Braun zu bekommen
eignete sich besonders die Walnuss. Die frischen, grünen
Fruchtschalen hackte sie klein und weichte sie über Nacht in
Wasser ein. Dann kochte sie die Schalen unter Zugabe von
Alaun eine Stunde aus und seihte den Saft ab. Je länger sie die
Schalen mit Alaunlösung köchelt, umso tiefer wurde das Braun.
Aus der Rinde der Eiche konnten Braun bis Schwarz-Töne
gewonnene werden. Die Zubereitung war wie bei der Walnuss.
Wegen der Gerbstoffe war die Rinde auch für Tinte geeignet.
Mit allen Farben ließen sich auch Papiere, Stoffe und andere
Naturmaterialien wie Holz einfärben.
Unter Zugabe von Gummiarabikum konnte sie in Muscheln
Aquarellfarben herstellen.
Die RegenbogenSau war glücklich, als sie mit Blaue Feder in
der Küche in alle Farben des Regenbogens tauchte.
38. Die Regenbogenschlange
Neumond im Juni
Die Moor-Eidechse hatte Blaue Feder erinnert, wie sie als Kind
gerne Dinosaurier abgezeichnet hatte und mit Mustern
versehen. Stundenlang saß sie konzentriert und zeichnete. Im
Wohnzimmerschrank stand ein großes Buch: ‘ Die Welt, in der
wir leben‘. Es war die Naturgeschichte unserer Erde und war mit
wunderbaren, farbenprächtigen Illustrationen ausgestattet.
Wann immer sie Zeit hatte, schnappte sie sich das Buch,
zeichnete die Tiere und Pflanzen ab und malte Muster hinein.
Vielleicht war es ihre Art des Meditierens in jungen Jahren. Sie
besorgte sich das Buch von 1956 antiquarisch und fand es
immer noch genauso faszinierend.
Blaue Feder blieb in der Traumzeit, der Zeit der
Regenbogenschlange. Im Schöpfungsmythos der Traumzeit der
Aborigines erschuf die Regenbogenschlange den Himmel und
die Erde. Ihre Regenbogenschlange fristete ihr Dasein als
Opernpailletten-Täschchen verstaubt in einer Schublade. Schon
lange nicht mehr benutzt, sah sie nur das Licht, wenn Blaue
Feder mal die Schublade öffnete. Sie nahm gerne etwas Altes
und erschuf daraus etwas Neues. Die Krähen stifteten noch ein
paar Federn. Die Pailletten erzählten aus alten Zeiten von
farbenprächtigen Opern und wunderschönen Gesängen. Es war
das Operntäschchen ihrer Mutter, die gerne in die Welt der
Opern getaucht war. Sie selbst war in jungen Jahren auch viel in
der Oper, doch liebte sie den Tanz mehr. Als Kind hatte sie
geträumt, in die Ballettschule von John Neumeier zu gehen.
Jetzt wohnte sie in der Großen Stadt neben eben dieser
Ballettschule. Ab und an mischte sie sich unter die Eleven und
flog mit ihnen über die Straßen. Blaue Feder war keine Elevin
mehr, eher eine kleine kugelrunde Elfe. Aber sie flog gerne,
besonders in ihren Träumen und so flog auch ihre
Regenbogenschlange. Die Schlange erinnerte sie an die Shakti
Energie. Die Shakti Energie manifestiert sich im Körper als
Schlangenkraft, auch Kundalini genannt. Herkules kämpft auf
seiner Heldenreise mit der Schlange oder der Hydra. Er kann sie
erst überwinden, als er sie in die Luft hebt. Es bedeutet, er hebt
sie ins Bewusstsein. Meditierende erwecken durch ihre Praxis
die Kundalini-Energie. Diese steigt in der Wirbelsäule auf.
Erreicht sie das Kronen Chakra, sprechen wir von Erleuchtung.
Die Kundalini kann aber auch spontan erwachen ohne
Meditationspraxis. Die Schlange ins Licht heben, heißt sich der
Dinge bewusstwerden werden. Den Schatten erkennen und
annehmen. Nach ihrem Studium arbeitete Blaue Feder an der
Staatsoper, aber hinter der Bühne, als Kostümdesignerin. Ihr
wurde sogar eine feste Stelle angeboten. Sie merkte bald, dass
ihr die stressige Arbeit dort nicht gut bekam, zog weiter und folgte
ihrem eigenen Ruf. Auch davon erzählt die
Regenbogenschlange.
Dieser Tage riefen sie die Berge des Schiefergebirges. Der
Rucksack war gepackt und der irische Sonnenhut wollte mal
wieder auf eine kleine Reise gehen. Das Skizzenbuch und ein
paar farbige Stifte waren eingepackt. Blaue Feder wollte in die
Stille des bergischen Landes eintauchen und ihrem Lied
lauschen.
39. ‚Voll das Leben!‘
Sommersonnenwende
Tags zuvor saß Blaue Feder in der Großen Stadt in der S-Bahn
und war umringt von jungen Mädchen, die alle Rucksäcke bei
sich trugen, auf denen stand:
‚Voll das Leben!‘
Darunter war ein Fisch und ein Laib Brot abgebildet. Es war
Fronleichnam und die jungen Menschen fuhren wohl zu einer
Kirchentags-Veranstaltung.
An diesem Tag erwachte Blaue Feder von dem Klopfen eines
Spechtes. Sie war müde und der Kopf brummte noch etwas von
der Arbeitswoche. Es war Sommersonnenwende, aber sie fühlte
sich nicht besonders. Die Zeiten in der Großen Stadt strengten
sie oft an und sie war froh, dass sie hier auf dem Land ihre Oase
hatte, wo sie wieder auftanken konnte. Auf ihrem Teppich vor
dem Bett lag eine weiße Daunenfeder und erinnerte Blaue Feder
an ihren Deal mit der Feder. Sie hatte sich innerlich ein
Versprechen gegeben: wenn sie eine ‚Blaue Feder‘, sprich eine
Feder vom Eichelhäher fände, würde sie den Geschichten-Blog
veröffentlichen.
Auf diese Weise zog sie los. Es wehte ein frischer Westwind mit
leichten Böen und es waren auch einige dunkle Wolken am
Himmel.Die kolumbianische Fahne war bei dem kleinen
Holzhaus am Ortsausgang gehisst. Was Blaue Feder wohl heute
entdecken würde?
Sie war etwas traurig, weil sie im Alltag manchmal das
spielerische Entdecken aus den Augen verlor. Nun, es waren
intensive Zeiten, die Allen viel abverlangten.
‚Voll das Leben!‘
Es zog sie heute zur BroklandSau. Als sie auf das freie Feld
hinaustrat, sah sie zwei Graureiher und auch eine Rehmutter mit
ihrem Kitz. Einige Bauern waren unterwegs und mähten die
Wiesen. Die Vögel hofften auf ein paar Leckerbissen. Blaue
Feder schlug den Weg zur Broklandsau ein. Sie sah einige
Hasen über die Felder huschen. Alles fühlte sich so lebendig an.
‚Voll das Leben!‘
Eine Frau in Pink lief ihre Runde und die Frauen grüßten sich.
Eine andere Lady in Pink stand hinterm Futterhaus. Hier gab es
also auch pinke Mohnblumen und noch weitere pinke Blümchen
lachten Blaue Feder entgegen. Kurz vor der BroklandSau lag
eine große schwarze Feder auf dem Weg – Schwarz mit ein
bisschen Grau.
Es war und ist wohl eine Storchenfeder. Im Storchen-Dorf hatte
sie sich überlegt, den Blog zu öffnen, wenn die Störche ihren
Nachwuchs haben.
– Vielleicht war dies ein Storchengruß. Kündigte ein Storch nicht
den Beginn von etwas Neuem an? Nun, es war keine Feder des
Eichelhähers, aber eine sehr schöne und große Storchenfeder.
Wie schön sie in der Hand lag. Wie sie sang, wenn Blaue Feder
sanft über sie hinwegstrich. Am Großen Mondsee wollte sie sich
setzen und lauschen, was ihr die Feder zu erzählen hatte.
Blaue Feder ging erst einmal an der BroklandSau entlang und
schreckte eine Entenmutter mit ihren Kindern auf. Die Enten
stoben auseinander. Es tat ihr leid. Sie hatte viel Nachwuchs –
wie schön. Auf der abgemähten Wiese fand sie eine zweite
Feder. Eine graue Feder eines Graureihers. Sie fühlte sich den
Graureihern sehr verbunden. Schon flog einer an ihr vorbei
hinüber zum Moor. Aber mochte sie nicht alle Vögel?
Ihr ging der Satz durch den Kopf:
‚Ich bin alle Vögel.‘
Was wollte ihr dieser Satz sagen? Mit dem Herzen verstand sie
ihn, aber nicht mit dem Verstand. Das Mädesüß blühte und
verströmte seinen Duft. Sie stand noch eine Weile bei den
Viechern. Wieder hatte sie nichts zum Knabbern dabei und die
Viecher kommentierte es mit einem beifälligen ‚Jaja!‘
Ein Nachbar fuhr mit seinem Trecker vorbei und hatte ‚die‘
Holzleiter für den Badesee hinten drauf. Jedes Jahr brachte er
die Leiter im Sommer zur Moorkuhle. Blaue Feder freute das.
Manchmal sind es so die kleinen Dinge, die das Herz erfreuen.
Nun war die Badesaison eröffnet. Blaue Feder war nicht danach,
in den kalten See zu springen. Die Kuhle Nr. 49 brauchte immer
sehr lange, bis sie sich aufwärmte. Sie war tief und kalt. Deshalb
brauchte man auch die Leiter, um rein und rauszukommen. Ein
paar Wasserläufer eröffneten die Saison und sie konnte schon
die Kinder, Groß und Klein, schreien hören, wenn sie ins Wasser
sprangen. Blaue Feder liebte ihr kleines Bullerbü. Hier war alles
etwas übersichtlicher als in der Großen Stadt und jeder hatte so
seinen Job. Sie war die, die mit der Kamera durch die Gegend
lief, so wie andere ihren Hund ausführten. Sie mochte ihr Leben.
Es war vielleicht manchmal etwas anders, als sie es sich dachte,
aber irgendwie lebendig – so wie der Tag heute. Sie setzte sich
an den Großen Mondsee und meditierte mit der Storchenfeder
in der Hand so vor sich hin, als eine ganze Horde von
Graureihern einfiel. Blaue Feder beobachtet sie und dachte
wieder bei sich:
‚Ich bin alle Vögel. Ich bin alle Blumen und Bäume. Ich bin
alle Tiere. Ich bin die Natur. Ich bin die Liebe und ich bin das
Leben. Ich bin in allem und fließe durch alles.‘
Sie ließ los und gab sich dem Fluss des Lebens hin. Das Leben
berührte sie mal wieder tief und ein paar Tränen kullerten die
Wangen herunter. Manchmal müssen auch die Tränen fließen.
Bei ihr wohl etwas öfters, als bei anderen. Das lag vermutlich an
den Sternen.
Ja, sie würde ihren Geschichten-Blog öffnen, so wie er eben war,
weil das Leben ebenso war wie das Leben eben war auch ohne
eine ‚Blaue Feder‘. Sie machte sich auf den Heimweg. Kurz
wurde sie noch einmal an den See gelockt. Sie pflückte ein paar
Stängel des wohlriechenden Mädesüß. Sie liebte ihren Geruch.
Sie würde sich das Mädesüß ans Fenster hängen und trocknen
für schöne Träume. Da erblickte sie eine kleine völlig zerzauste
Feder im Gras. Sie wollte sie erst gar nicht aufheben. Doch dann
nahm sie sie auf und strich sie glatt und musste lachen. Du
kannst es Dir schon denken - es war und ist eine Feder des
Eichelhähers. Da kullerten wieder die Tränen – war und ist das
Leben nicht wundervoll?
‚Voll das Leben!‘
40. In a Summer Garden‘
Kurz nach der Sommersonnenwende
Als Blaue Feder durch ihren Sommergarten ging, erinnerte sie
sich an die junge Frau, die sie einst war.
Mit 18 Jahren tanzte sie in einem kleinen Theater das Mädchen
‚In a Summer Garden‘. Eine Fantasie von Frederick Delius, die
er 1908 komponierte, inspiriert wohl von einem Gedicht von
Dante Gabriel Rossetti.
‚Alle sind meine Blüten; und alle süßen Blüten der Liebe.
Zu dir gab ich, während Frühling und Sommer sangen.‘
Blaue Feder tanzte eine junge Frau, die von ihrer Fantasie in ein
anderes Land getragen wurde. Mit diesem Gefühl tanzte sie
auch heute durch ihren Sommergarten, in dem es summte und
brummte und erinnerte sich ihrer Träume. Sie erinnerte sich, was
sie alles werden wollte. Als Kind wollte sie werden wie die Oma.
In der Schule wollte sie werden wie die Lehrerin. Sie wollte
Abenteuerromane schreiben wie Enid Blyton. Später wollte sie
tanzen wie Pina Bausch. Sie wollte singen wie Patti Smith und
malen wie Frida Kahlo. Sie wollte herausfinden, wie man heilt
und sie wollte wie Jane Goodall die Natur erforschen. Sie wollte
schon immer wissen, was hinter den Dingen steckt und wie sich
ein glückliches Leben anfühlt. Nun schaute sie zurück auf ein
volles Leben.
Wenn sie tanzte, war sie eine Tänzerin.
Wenn sie sang, eine Sängerin.
Wenn sie malte, eine Künstlerin.
Wenn sie in die Natur ging, war sie eine Forscherin.
Und während sie diese Zeilen schrieb, fragte sich Blaue Feder
selbst:
‚Was ist anders, wenn Du schreibst?‘
Manchmal probieren wir etwas Neues aus und sind unsicher.
Widerstände tauchen auf. Der Wind frischt auf. Themen der
Vergangenheit wehen herüber. Der Sturm legt sich irgendwann
wieder und dann erstrahlt die Welt in einem neuen Licht.
Manchmal half es ihr, mit dem Blick des zukünftigen Ich liebevoll
zurückzuschauen. Was würde sie dann sehen?
41. Auf den Spuren des Sommermädchens
Am Morgen frühstückte Blaue Feder mit dem Kater Max. Er war
genauso ängstlich wie die Tigerin, aber so langsam fasste auch
er Vertrauen. Sich richtig zu entspannen, schaffte er nicht. Immer
wieder gab es etwas, das seine Aufmerksamkeit erhaschte.
Blaue Feder ging es ähnlich. Auch sie tigerte herum und kam nur
langsam zur Ruhe. Am leichtesten fiel es ihr, wenn sie spazieren
ging und so ging sie ihre Runde.
Zu Johanni war sie auf einer Kräuterwanderung an der Elbe
gewesen. Jede Frau band sich einen kleinen Kräuterstrauß mit
den Kräutern, die sie ansprach. Den würde sie trocknen und er
würde sie in der kalten Zeit an die wärmende Kraft der Sonne
erinnern. Blaue Feder hatte auch einen kleinen Zweig
Johanniskraut in ihren Strauß gebunden. Heute wollte sie mal
Ausschau halten, ob Im Tal der BroklandSau auch Johanniskraut
wuchs. Gleich zu Beginn machten ein paar Pfeile auf sich
aufmerksam. Sie folgte den Pfeilen und tauchte ein in die
Zeichnungen des Sommermädchens. Ihr gefielen die
Kreidezeichnungen auf der Straße sehr. Besonders das lange
Mädchen mit dem vollen Bauch und der Blume, die noch aus
dem lachenden Gesicht wuchs. Blaue Feder ging beseelt weiter
und die Pfeile führten sie weiter. So ging sie heute mal
andersherum. Sie ließ sich auf die Kreidepfeile ein und änderte
ihren Plan. Sie folgte den Spuren des Sommermädchens.
Überall blühte es rosa.
Die Wicken begannen zu blühen, auch die Lichtnelken, die
Weidenröschen und die Heckenrosen. Sie folgte den Pfeilen und
plötzlich stand am Ortausgang ‚Stop‘ mit einem ‚p‘.
Eine schöne Allee aus Eichen, Birken und Pappeln tat sich vor
ihr auf. Rechts von ihr war die Schule zu sehen. Schon tags
zuvor fuhr sie in der Bahn einer Horde von Kindern aufs Land.
Sie war gerne unter Kindern. Auf dem Baum war wieder ein Pfeil
und er zeigte zu einem Kleiber, der gerade den Baum rauf lief.
Kleiber standen gerne mal auf dem Kopf und schauen sich die
Welt aus einer anderen Perspektive an. Sie ging heute ihre
Runde auch mal andersherum. Das machte sie gerne einmal,
einfach einen anderen Weg ausprobieren.
Das machte sie wacher und brachte Bewegung ins Spiel. Mal
sehen, wie die Welt anders herum aussah.
Der Weg gabelte sich und Blaue Feder nahm den Weg in der
Mitte. Es war der Weg, der an dem Geheimen See vorbeiführte.
Dann entdeckte sie einen Pfad in den Wald. Nun verließ sie den
bekannten Weg und betrat Neuland. Sie war dann immer etwas
aufgeregt. Die Zeichen waren nicht mehr so eindeutig.
Brombeeren versperrten den Weg und sie musste viele
beiseiteschieben. Dann fing es auch noch an zu stinken.
Stinkmorcheln standen am Wegesrand. Doch neben der
Stinkmorchel fand sie eine schöne Feder, wohl von einem
Sperber. Sie hörte einen Bussard und er erinnerte sie an ihre
Reise ins Bergische Land und an die Leichtigkeit. Blaue Feder
ging weiter. Der Weg wurde lichter. Sie kam auf eine Wiese und
dort leuchtete gelb das Johanniskraut. Der Kreis schloss sich.
Sie ging über die Sommerwiese und kam bei den Kräuterweiden
raus und hier blühte die Schafgarbe. Hier kannte sie sich wieder
aus und fühlte sich zuhause. Sie pflückte einen Stängel für einen
Tee und ging auf das Fuchsloch. Sie wurde herzlich begrüßt und
setzte sich an ihren Platz bei der alten Eiche. Hier war alles
schön zugewachsen. Von hier hatte sie einen schönen Ausblick
auf das Land. Als sie so in Ruhe saß, fing es in ihrem Kopf an zu
rattern, was sie noch alles machen wollte. Da flog ein
Kohlweißling auf die Schafgarbe und eine Stimme in ihr sagte:
‚Es hat keine Eile. Genieße den Augenblick.‘
Langsam kam sie runter, schloss die Augen und öffnete ihr Herz.
Sie blieb einfach eine Weile sitzen und die Sonne schien sanft
durch das Blätterdach. Dann ging sie wieder und grüßte
freundlich das Salomonsiegel, das nun Früchte trug. Sichtlich
erleichtert ging sie noch an alt vertraute Plätze. Sie begrüßte die
Pappelschwestern, den Artemisia-Strauch und den alten
Weißdorn. Dort saß sie eine Weile mit der Alten vom Weißdorn
und dachte an die Bilder von Inge Löök. Wie die zwei alten
Frauen auf ihren Bildern, so saßen die Weißdorndame und sie
hier auf der Bank und klatschten sich auf die Schenkel.
Die Alte sagte zu ihr: ‚Du wirst schon noch dahinterkommen.‘
Was sie wohl meinte? - Blaue Feder ließ los und baumelte mit
de Beene. Sie verabschiedete sich von der Alten vom Weißdorn
und ging noch zum Schlangensee und tanzte mit den Libellen.
Als sie zurückkam, grüßte sie das Sommermädchen. Jetzt
verstand sie, warum dem Sommermädchen eine Blume aus dem
Kopf wuchs. Sie bedankte sich für die schöne Erfahrung. Was
für eine schöne Runde. Nun freute sie sich auf ihren
Schafgarbentee.
42. Die wilde Sau im Garten
Zur Neuen Mondin im Krebs träumte Blaue Feder von einer
jungen Wildsau in ihrem Garten. Am Morgen lachte sie das
goldgelbe Ferkelkraut in ihrem Garten an. Das Ferkelkraut sah
ähnlich aus wie Löwenzahn, nureben etwas anders. Es wurde
Ferkelkraut genannt, weil es früher den Ferkeln unters Futter
gemischt wurde – vielleicht als Kraftfutter. Eine Lupine hatte ihre
Blüte geöffnet und winkte ihr freudig zu. Blaue Feder setzte sich
trotz des Regens eine Weile zum Ferkelkraut.
Was alles so auf einer Wiese wuchs: Klee, Schafgarbe,
Storchenschnabel, Gänseblümchen, Sauerampfer,
Breitwegerich und vieles mehr. Die Ringeltaube, die immer
versuchte, ins Futterhäuschen zu gelangen, hatte eine Feder
hinterlassen. Blaue Feder legte sich gerne auf Wiesen mit
Ferkelkraut. Das gab ihr Kraft. So gestärkt trabte sie los. Sie ging
durch das Dorf und bei dem Rosenhaus sah sie einem
Schwalbenküken bei seinen ersten Flugversuchen zu. Die
Wolken hingen regennass überm Tal der BroklandSau. Eine
unbekannte Fahne hing am Mast. Auf dem freien Feld lachten
ein paar Lachmöwen. Es zog Blaue Feder zum Großen
Mondsee. Die Hochlandrinder dösten auf der Weide. Bei den
Kühen blühte ein hübscher Teppich aus blauen Sumpf-
Vergissmeinnicht. Das Feengras wehte im sanften Nordwind.
Sie setze sich an den See neben eine weiße Schönheit, eine
Sumpf-Schafgarbe. Blaue Feder schloss die Augen und lauschte
den Geräuschen. Dem Wind, dem Regen, der sanft auf ihren Hut
fiel. Sie hatte nasse Füße vom Regengras, aber es war warm.
So saß sie eine Weile versunken im Duft von Mädesüß und
Blutweiderich, als ein Seeadler vorbeiflog unter den Protesten
der Trauerseeschwalben. Blaue Feder hörte Schritte von hinten
und ein Angler kam des Weges. Sie grüßten sich und Blaue
Feder überließ ihm dem Platz am See. Es gab noch mehr schöne
Plätze im Moor. Obwohl es regnete, fühlte sich der Tag heute
Sonnengelb an mit ein bisschen Lila durchmischt. Eine schöne
Kombination Gelb und Lila. Es blühte der Hornklee, der
Blutweiderich, die Butterblume, der Gelbweiderich, die
Mariendistel und der Frauenflachs.
Es zog sie zur Grünen Bank. Sie ging den kleinen Weg hinter der
Brücke und eine Maus querte ihren Weg. Sie ging einen Schritt
weiter und ein Frosch hüpfte über den Weg. Sie dachte: ‚Nun
fehlt nur noch eine Schlange‘. Sie ging sie zum Kleinen
Birkensee und freute sich über die schönen Seerosen. Ihr Herz
hüpfte. Irgendetwas passierte gerade. Sie ging durch das Birken
Tor und eine Schlange querte ihren Weg. Blaue Feder lachte.
Das waren die Medizingaben gewesen, die sie die letzten Jahre
begleitet hatten – die Maus, die Kröte und die Schlange. Dieses
Jahr hatte sie es mit den Wildsäuen. Sie setzte sich auf die
Grüne Bank und ihr war ganz feierlich zu Mute. Eine kleine
Schnecke im Gras leistete ihr Gesellschaft. Sie ging heim und
noch lange konnte man sie vergnügt grunzen hören. Daheim
wurde sie von den ‚Glorreichen Dreien‘ begrüßt und das
Ferkelkraut leuchtete goldgelb. Ihr kam der Gedanke, dass sie
selbst die Wildsau war. Klamm-heimlich hatte sich die
Wildsauen-Kraft in ihr Leben geschlichen. Noch vor einem Jahr
konnte sie mit dieser Kraft nichts anfangen. Sie fühlte sie nicht.
Nun konnte sie sie spüren – diese Lebendigkeit. Manchmal
wusste sie noch nicht, wie mit ihr umzugehen war, mit dieser
wilden Kraft. Sie war halt noch ein junges Wildschwein. Blaue
Feder wurde bewusst, dass alle Wesen, denen sie begegnete,
Anteile von ihr waren - Energien, Kräfte, die auch in ihr
schlummerten. Manche mehr, manche weniger deutlich. Wenn
sie sie wahrnehmen konnte, dann waren sie auch da.
43. ‚Augenbraue der Venus‘
Immer wieder machte die Schafgarbe auf sich aufmerksam. Sie
wuchs in der Wiese direkt vor ihrem Fenster und fing gerade an
zu blühen. Blaue Feder hatte Angst, dass ihre ‚Jungs‘ bald
wieder mit dem Rasenmäher kamen und so grub sie einige
Schafgarben aus. Sie wusste nicht, ob die Schafgarben
woanders anwachsen würden. Sie hatte gehört, sie wuchsen nur
dort, wo sie wollten.
Beim Ausgraben fiel ihr auf, dass die Schafgarben untereinander
verbunden sind. Botanisch gesehen war es wohl so, dass eine
Mutterpflanze Ausläufer bildet. Manche Ausläufer werden etwas
dicker, färben sich Violett-Rot und an ihrem Ende entspringt eine
neue Pflanze oder manchmal auch nur ein Blättertrieb. Blaue
Feder erinnerte es an ein Netz – wie Menschen, die sich
miteinander verbinden und gegenseitig stärken. Ihre Wurzel
dringt nicht tief in das Erdenreich ein. Sie wurde in der Literatur
auch als ‚Heil aller Welt‘ bezeichnet, weil ihre Heilkraft in viele
Bereiche geht. So wirkt sie sich auch heilend für das Erdenreich
aus. Es scheint so, als ob sie heilende Energien und
Lebenskräfte anziehen kann und ans Erdenreich weitergibt. Im
Garten stärkt sie so andere Pflanzen. Auch auf Blaue Feder hatte
sie diesen Einfluss. Schon bei der ersten Kräuterwanderung, als
Blaue Feder die jungen Schafgarbenblätter probierte, freute sich
ihre Seele. Die Schafgarbe wurde ‚Augenbraue der Venus‘
genannt, weil ihre Blätter gefiedert waren wie Augenbrauen.
‚Garwe‘ hieß der althochdeutsche Gesundmacher, hatten die
Schäfer beobachtet, wie die Schafe Schafgarben fraßen, um
sich damit zu heilen. Ihr lateinischer Name ‚Achillea‘ verwies auf
Achilles, der an der Ferse verletzt wurde. Die Göttin Aphrodite
empfahl ihm, seine Wunde mit Schafgarbe zu heilen. Blaue
Feder spürte zwei Qualitäten – zum einen das sanfte, wärmende
und krampflösende Element und zum anderen, der starke
Stängel in der Mitte, der aufrecht und unbeugsam dastand.
– Ihre ganze Erscheinung spiegelte ihr etwas Ausgleichendes,
das wohl mehr auf seelischer Ebene wirkte.
Später erfuhr Blaue Feder, dass aus Schafgarben ein
azurblaues ätherisches Öl gewonnen werden kann, das Azulen.
Die Pflanze war durchdrungen davon und wirkte stark auf
seelischer Ebene.
‚Wasser des Lebens bin ich‘, war der Satz der Blaue Feder kam,
als sie bei ihr saß. Es zog sie gerade sehr zu den Schafgarben.
In ihrem Sommerstrauß war auch eine Schafgarbe. Vielleicht
würde sie noch ein bisschen mit der Schafgarbe gehen und
lauschen, was sie ihr sagen wollte.
44. ‚Home is where your heart is‘
Nach dem Juli -Vollmond
Blaue Feder war eine Brücken-Gängerin. Sie lebte sowohl auf
dem Land als auch in der Stadt. Die Nord-Ostsee-Brücke
verband ihre beiden Welten. Manchmal waren die Wechsel
zwischen Stadt und Land für sie anstrengend.
An diesem Tag wurde sie von den Wilden Möhren getröstet. Es
wurde gesagt, sie würden überall wachsen. In den letzten
Wochen hatte sie staunend zugeschaut, wie die riesigen
Doldengewächse gen Himmel wuchsen. Überhaupt stellte sie
fest, dass in diesem Jahr viele Pflanzen gen Himmel strebten.
In den großen Doldennestern bildete sich in der Mitte eine
einzelne, manchmal auch zwei, wie passend – purpur- bis
schwarz-farbene Blüte, die Mohrenblüte, die der Möhre ihre
Namen gab. Das unterschied die Wilde Möhre zu anderen
weißblühenden Doldengewächsen. Die Wilde Möhre galt als
eine Mutter unserer Speisemöhre. Ihre Wurzel war jedoch hell
und nur im ersten Jahr genießbar, wenn die Wilde Möhre noch
nicht blüht.
Die kleine dunkle Blüte zog viele Insekten an, weil sie dachten,
es sitzt schon eine Fliege auf der Dolde – da gibt es Nahrung. –
Großartig, was sich die Natur so einfallen ließ. Die Wilde Möhre
war auch ein bevorzugter Ablageplatz für die Larven des
Schwalbenschwanzes. Doch hatte sie noch keinen in ihrem
Garten gesehen. Blaue Feder gaben die Doldennester ein
heimeliges Gefühl und sie gaben ihr den Satz mit auf den Weg
gegeben:
45. Der Seerosen-Karpfen
‚Home is where your heart is‘
Jetzt kommen die Fische zu Wort
Vor gar nicht langer Zeit, die Sonne war in den Löwen
weitergewandert, saß Blaue Feder am kleinen Birkensee. Es war
die Zeit der Seerosenblüte. Blaue Feder liebte Seerosen –
vielleicht waren es sogar ihre liebsten Blumen und ihr
anverwandt. Sie wollte die Seerosen malen. Sie hatte alles
dabei, ihren Schemel, ihre Stifte und ihr Skizzenbuch. Die Sonne
schien warm und neben ihr blühte das Blaue Sumpfhelmkraut.
Blaue Feder atmete den frischen Duft des Krautes ein. Ihr Herz
öffnete sich. Dann saß sie einfach da und schaute. Eine Braune
Libelle flog über den kleinen Birkensee. Vielleicht war sie die
Wächterin des Teiches. Überall schaute sie, ob auch alles in
Ordnung war. Sie verjagte auch andere Libellen aus ihrem
Reich.
Die Seerosen waren weiß erblüht mit goldgelber Mitte. Blaue
Feder fiel ein wenig aus der Zeit. Sie schaute auf das Wasser.
Wie schön sich die Sumpfschachtelhalme darin spiegelten. In
den Spiegelungen tauchte eine Flosse auf und winkte ihr zu. Ein
Fisch machte auf sich aufmerksam. Er schwamm direkt auf
Blaue Feder zu und blieb mit ein wenig Abstand vor ihr im
Wasser stehen und ließ sich treiben im dunklen Moor-See. Er
war groß, ein stattlicher Karpfen und seine Schuppen
schimmerten golden. Er begrüßte Blaue Feder und stellte sich
ihr als der Seerosen-Karpfen vor. Blaue Feder grüßte zurück und
freute sich über die Bekanntschaft. Sie kamen ins Gespräch und
der Seerosen-Karpfen erzählte Blaue Feder ein wenig von
seinem Leben in dem kleinen Birkensee. Nicht oft kam ein
Wanderer vorbei und noch seltener wurde er gesehen, zeigte er
sich nur denen, die mit dem Herzen schauten. Nicht für jeden
war so ein Leben in einem kleinen See die Wahl der Wahl. Doch
er liebte seinen Seerosenteich. Es war seine Heimat und er
konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Er wusste von den
Fischen im Großen Meer. Seine Freundin, die Braune Libelle,
hatte ihm davon erzählt. Doch hatte er hier alles, was er zum
Glücklich sein brauchte. Jeden Tag gab es spannende
Abenteuer zu erleben. Könnte er schreiben, so würde er mit
seinen Geschichten Bücher füllen. Doch er war ein Fisch und mit
Flossen ließ es sich schlecht schreiben und wahrlich gut
erzählen konnte er auch nicht. Wenn er sprach, stiegen
Blubberblasen an die Wasseroberfläche.
Doch Du, sagte er zu Blaue Feder – Du bist gesegnet mit Füßen,
die Dich überall hintragen, wohin Du gehen möchtest. Dir
wurden Hände gegeben zum Malen und zum Schreiben.
Du hast einen Mund, der Geschichten erzählen kann und Du
hast die Gabe mit Farben, Stoffen und Allerlei schöne Bilder
zu zaubern und ein Herz, das sehen kann. Wäre ich Du und wäre
mit Deinen Gaben gesegnet, dann würde ich dem Land lauschen
und nicht eher Ruhe geben, bis alle Geschichten meiner
Seelenheimat gemalt, gewebt und erzählt sind. Denn, was gibt
es Schöneres. Doch was erzähle ich Dir, ich bin nur ein dicker
Karpfen in einem dunklen Moorteich. Ihr Menschenkinder habt
so viele Möglichkeiten, da ist es wohl manchmal schwer sich zu
entscheiden.
Doch egal, was Du tust, lacht Dein Herz dabei und strahlen
Deine Augen, dann blühen die Seerosen in Dir.
Er gab Blaue Feder eine seiner goldenen Schuppen. Blaue
Feder legte sie sanft in ihre Hand, schaute hinein und sah sich
selbst in dem Spiegel. Ihr Herz freute sich. Bewahre sie gut,
sagte der Seerosen-Karpfen, sie bringt Dir Glück. Blaue Feder
steckte sie vorsichtig ein. Nun war es an der Zeit zu gehen. Sie
verabschiedeten sich und Blaue Feder bedankte sich für das
Geschenk. Welch schöne Begegnung und welch schöner Tag.
Blaue Feder ging ein Stück und als sie zurückschaute, war da
nichts, als ein kleiner Birkensee mit vielen Seerosen – kein Fisch
weit und breit – nur das goldene Glitzern der Sonne auf dem
Wasser.
Sie ging beseelt heim. Als sie zuhause angekommen war, wollte
Blaue Feder vorsichtig die Schuppe aus ihrer Tasche holen.
Als sie in die Tasche griff, fielen lauter goldene Schuppen
heraus. Sie sammelte sie alle auf – eine ganze Handvoll. Sie
nahm die goldenen Schuppen mit in ihr Atelier. Dort fand sie in
einer der Schubladen einen schönen seidenen Stoff. Einst war
es ein Lieblingskleid gewesen, doch die Ärmel waren
zerschlissen. Es wartete schon lange auf eine neue Aufgabe. Sie
fand auch eine alte Gardine mit Rosenmuster und die Seerosen
lachten sie schon an. Sie hatte auch noch schöne Perlen – das
Geschenk einer Freundin.
Knöpfe mit Ankern kamen ihr in den Sinn. Als sie die alten
Knöpfe aus der Schatzkiste raus kramte, fiel ihr auf, dass in
einem Bündel ein anderer Knopf eingeflochten war – ein Knopf
mit einer Krone. Sie freute sich. Der bekam wohl einen
besonderen Platz. Im Garten hatte sie viele Federn von
Konstantin gefunden, dem Hahn von nebenan und in der
Spielzeugkiste lachte ihr eine Braune Mosaikjungfer entgegen.
Eins kam zum anderen und sie werkelte so vor sich hin. Wie
hatte sie das vermisst. Sie tauchte ab in den Seerosenteich,
unterhielt sich wieder mit dem Seerosen-Karpfen.
Seine Worte klangen in ihr nach. Sie ließ sich treiben, vergaß die
Zeit, folgte ihren Impulsen und war einfach sehr glücklich. Was
ist es für ein Glück, das machen zu dürfen, was sie am meisten
liebte. Als sie wieder auftauchte, war ein kleines Bild entstanden.
Es gefiel ihr. Die Schuppen glänzten golden im Sonnenlicht,
Im Glanze der Schuppen sah sie sich selbst. Sie sah, wie ihre
Augen strahlten und in ihrem Herz blühte eine schöne Seerose.
46. Frei wie ein Kiebitz
Neumond im August - Lammas
Blaue Feder hatte die Neumondzeit genutzt, um ein bisschen
zurückzuschauen, wie sie die ersten Monate ihren Weg durch
den Jahreskreis gegangen war. Dabei halfen ihr all die
Geschichten, die sie schon geschrieben hatte. So entdeckte sie
den Roten Faden, der sich überall durchzog.
Viele feiern jetzt das Schnitterinnen Fest oder Lammas. Diesem
Fest gegenüber liegt im Februar das Lichtmess Fest oder Imbolc,
dort wo die Visionen aufsteigen. Zu Imbolc hatte Blaue Feder
angefangen die Wilden Säue zu nähen. Schon in ihrer
Wintergeschichte zur Wintersonnenwende tauchte eine junge
Wildsau auf. Den ersten Impuls, sich mit den Wildsauen Kraft zu
beschäftigen, kam durch eine Geschichte von Cambra Skadé.
Cambra schrieb eine Sage über die ‚Wildsau von Sachsenrieder
Forst‘.
Damals konnte Blaue Feder die Wildsauen Kraft nicht so in sich
spüren. Sie wusste aber, sie war irgendwo in ihr verborgen. Auf
ihrem Regal saß ein kleines Stoffschwein, die Emma, die sie
schon lange begleitete. Sie nahm Emma mit ins Atelier. Diese
Kleinigkeit hatte viel verändert. Im Winter wurde ihr dann klar,
dass der Fluss, der durch ihr Tal fließt, Broklands-Au hieß. Sie
hatte aber Brokland-Sau gelesen und so war die BroklandSau
geboren. Ihr kam der Impuls, sieben Schweine zu nähen. Es
wurden dann aber nur sechs Schweine. – Nun war sie
dahintergekommen, dass sie wohl selbst die BroklandSau war.
Sie sammelte die Federn ein und dachte bei sich, mal ein
schönes Bild mit einem Kiebitz und seinen Federn zu nähen. Sie
fand dann auf dem Rückweg noch mehr Federn, wohl von einem
Rebhuhn, vielleicht auch vom Sperber und eine vom Graureiher.
Der Kleine Fuchs flog ihr wieder um die Füße und sie bedankte
sich bei ihm und auch bei den Schafgarben. Mit der BroklandSau
hatte sie ihre Lebendigkeit entdeckt. In ihrer Wintergeschichte
‚Das Lied der Winterkönigin‘ war auch die Rede davon, dass
etwas Neues geboren würde – ein kleiner blauer Vogel – ein Kind
der Liebe und es trollten wilde Schweine durch das Tal.
Im Nachhinein, dachte sie, es könnte vielleicht ihr Geschichten-
Blog ‚Blaue Feder‘ sein. Sie schrieb in erster Linie so für sich,
aber vielleicht konnte die eine oder andere Geschichte auch
andere inspirieren, so wie sie sich durch eine Geschichte von
Cambra auf eine künstlerisch-poetische Forschungsreise mit der
BroklandSau begeben hatte. So füllte sich nun ihr kleiner
Geschichten-Blog mehr und mehr.
Sie wollte für sich einen neuen Weg finden. Ein neuer Weg
erschloss sich am besten, wenn wir ihn gehen. Ihre Impulse
kamen ihr oft etwas merkwürdig vor, aber im Nachhinein
verstand sie manches. Das Vertrauen und die Hingabe an diesen
Weg wurden mit der Zeit immer größer, auch wenn es immer
wieder Unsicherheiten gab.
An diesem Tag ging sie nun wieder hinaus. Sie hatte noch keine
Idee und ließ sich treiben. Es zog sie auf das freie Feld, auch
wenn ihr die Vorstellung, durch die abgemähten Wiesen zu
gehen, nicht so prickelnd vorkam. Ein Flugzeug flog über das Tal
und schreckte einen Schwarm Vögel auf. Blaue Feder sah, es
war ein größerer Schwarm Kiebitze. Sie schlich sich vorsichtig
an die Wiese heran und versteckte sich hinter den Brennnesseln.
So konnte ein paar Fotos machen. Sie liebte Kiebitze. Sie
vermittelten ihr ein Gefühl von Freiheit.
Sie ging weiter und der Blutweiderich machte auf sich
aufmerksam. Mit seinen purpurroten Blüten war er nicht zu
übersehen. Der Blutweiderich war eine wichtige Insektenweide
und in der Natur eine wichtige Zeigerpflanze. Wenn im
Spätsommer die Gräben am Feldweg purpurrot leuchten, dann
war es ein Hinweis dafür, dass hier ein Lebensraum für viele
Tier- und Pflanzenarten bestand.
Die Schafgarben luden sie ein, den Weg zur BroklandSau
einzuschlagen. Der Weg sah sehr öde aus, aber in seiner Mitte
blühten überall Schafgarben und im Graben daneben die
Schwestern, die Sumpf-Schafgarben. Blaue Feder befand sich
also in feiner Gesellschaft.
Dann lud sie ein Kleiner Fuchs ein, innezuhalten. Sie schloss die
Augen und ließ sich den sanften Südostwind um die Nase
streichen. Ihr Herz öffnete sich, der weite Raum tat sich auf – im
Außen, wie im Innen. Sie hatte den Satz in sich: Du bist frei.
Sie sprach ihn mehrmals innerlich und ließ ihn sich auf der Zunge
zergehen. Er schmeckte gut und tat ihr wohl. Er schmeckte süß,
wie die Brombeeren, die sie später noch finden sollte. Mit diesem
weiten Gefühl ging sie weiter durch den Weißdornhain, und der
öde Weg verwandelte sich in einen Schmetterlingsweg. Erst
begrüßte sie ein Admiral und dann ein Distelfalter. Hinterm
Weißdornhain erblickte sie auf der Wiese einen noch viel
größeren Schwarm Kiebitze - Kiebitze, soweit das Auge reichte.
Wieder kam das Flugzeug angeflogen und die Kiebitze flogen
auf und Blaue Feder flog mit ihnen auf und davon in die Freiheit.
Es war wunderbar mit ihnen zu fliegen. Doch nach einer Weile
kehrte sie zurück, weil sie einfach diesen kleinen Landstrich hier
sehr liebte, der er ihr Zuhause war. Als sie auf der Wiese wieder
landete, hatten die Kiebitze ihr zur Erinnerung ein paar Federn
zurückgelassen. Sie nahm dann den Weg durchs Moor, ging den
Brombeerweg und fand schon einige süße Beeren. Unter den
Büschen fand sie ein paar Zaubernüsse. Wie die wohl
hierhergekommen waren.
Gestärkt ging sie heim. Bevor sie das Moor verließ, entdeckte
sie eine große Blutweiderich-Wiese mit vielen Schmetterlingen.
Dort verweilte sie eine Weile und ging dann frohen Herzens
heim. Sie sah noch einmal den Schwarm Kiebitze und bedankte
sich für all die Geschenke. In ihrem Vorgarten war der Hibiskus
erblüht. Sie setzte sich auf die Wiese und schauten sich ihr
Funde an. Welch eine Fülle für einen so kargen Weg. Nun zog
ein Gewitter auf und sie hatte etwas Zeit zum Schreiben. Den
Garten gießen musste sie wohl heute nicht.
47. Die Braut der Sonne
Blaue Feder frühstückte am Morgen draußen. Es war still. Nur
die Schwalben flogen über den Schwalbenhof. Ein vertrautes
Geräusch. Nach dem Frühstück schlenderte sie durch den
Garten und begrüßte die Alte Holler, die nun schon grüne
Früchte trug.
‚Na, bist Du schon aufgeregt?‘, fragte die Alte Holler. Das
Schwalbenkraut grinste sie an und auch das Johanniskraut. Eine
kleine Feder, die sich im Mohn verfangen hatte, lachte. Alle
wussten Bescheid. Alle wussten, wie es in ihr aussah, wie ihr das
Herz hüpfte und koppheister schoss. Hinten im Garten etwas
versteckt, ringelten sich ein paar Blumen aus dem Klee über den
Weg. Sie leuchtete wie kleine Sonnen im Grün. Blaue Feder
setzte sich im Morgentau zu den Ringelblumen, die gerade
erblüht waren.
Die Ringelblume trägt viele Namen. Sie wird ‚Morgenröthe‘
genannt, weil sie am Morgen ihre Blüte gen Osten öffnet, die
dann dem Lauf der Sonne folgt und sich zur Nacht wieder gen
Westen schließt. Sie wird auch ‚Summerlowe‘ genannt, weil sie
ausschaut wie ein Löwe mit wallendem goldgelbem
Kopfschmuck im Sommer. Ihren Namen erhielt sie jedoch von
ihren geringelten Samen, die wie ein Ring in einem Körbchen
liegen. Sie sehen aus wie kleine Mondsicheln. Deshalb werden
Ringelblumen auch ‚Mondknöpfe‘ genannt. So vereinen sich
Sonne und Mond in ihr. Sie trägt auch den schönen Namen
‚Sonnenbraut‘. Viele Pflanzen aus der großen Familie der
Korbblütler tragen diesen Namen, wie das Gänseblümchen, die
Kamille, der Löwenzahn und die Wegwarte. Alle diese Pflanzen
richten sich nach der Sonne. Sonnenbräute wurden auch Frauen
genannt, die Sonnen- und Mondfeste feierten. Ihnen wurden die
Blumen geweiht, die zur Zeit der Feste blühten. Das
Gänseblümchen blüht schon zur Zeit des Frühlingspunktes, das
Johanniskraut zur Sommersonnenwende, die Wegwarte und die
Ringelblumen blühen noch zur Zeit der Herbst-
Tagundnachtgleiche. Auch für die Wintersonnenwende gab es
eine Pflanze, die grün geblieben war, die Mistel. Viele der alten
Sonnenbrautblumen wurden später weiter weiblichen Göttinnen
geweiht wie Freya und Maria. So trägt die Ringelblume auch
noch den englischen Namen ‚Marygold‘.
Die Ringelblume war immer eine Pflanze der Frauen und der
Liebe. Da sie lange blühen und scheinbar nie welken, waren sie
ein Sinnbild für die Liebe eines Menschen zu einem anderen, die
nie endet, sondern immer wieder neue Blüten treibt.
Auch Blaue Feder würde bald eine Braut sein. In zwei Wochen
würden Brauner Bär und sie ihre Hochzeit feiern. Ihre Liebe
feiern, die immer wieder neue Blüten trug.
War sie aufgeregt? – Ja, sie war sehr aufgeregt. Sie blieb noch
lange bei den Ringelblumen sitzen und holte sich ein paar
Ratschläge, so von Braut zu Braut. In sich hatte sie einen Satz:
‘Der Schwestern sind wir Dreie.‘
Sie ließ ihn einfach im Raum ihres Herzes stehen. Sie musste
nicht gleich alles verstehen. Dann sah sie noch eine
Krönchennatter sich gemächlich von ihrem Sonnenplatz auf dem
Kompost unterm Holler wegringeln.
‚Ringel, Ringel, Reihe,
wir sind der Kinder dreie,
wir sitzen unter’m Holderbusch
und machen alle husch, husch, husch.‘
Ein paar schöne Anregungen für den Text hatte Blaue Feder in
dem wunderbaren Buch von Rosemarie Gebauer ‚Jungfer im
Grünen und Tausendgüldenkraut – Vom Zauber alter
Pflanzennamen‘ gefunden. Das Buch erzählt bezaubernd über
die Herkunft der Pflanzennamen. Blaue Feder nahm es gern zur
Hand.
48. Ein schottischer Traum
Maria Himmelfahrt
Manchmal fragte sich Blaue Feder, warum sie ihre Kunst
machte. Könnte sie auch einfach im Nichts-Tun verweilen? Eine
Weile ging das, doch dann kamen wieder Impulse und dann die
Freude bei der Umsetzung dieser Ideen.
Sie kam für sich zu der Erkenntnis, dass es die Begeisterung
selbst sein müsse, die einen Künstler nährt – diese
unerschöpfliche Quelle der Begeisterung. Dieses auf die Pirsch
gehen, etwas erforschen und zu eigenen Erkenntnissen
gelangen.
Diese Kreativität, war so wild und unberechenbar wie die kleine
Maus, die sich am Wochenende in die Küche verlaufen hatte.
Sie versuchten sie mit einer Lebendfalle einzufangen, doch war
sie viel zu klein und leicht, als dass sie die Falle ausgelöst hätte.
Sie kletterte immer wieder auf die Rampe, holte sich die leckere
Nussnougat-Creme und düste wieder ab. Mäuse lieben
Schokoladencreme. Die Schokoladencreme der KünstlerInnen
war wohl die Begeisterung.
Blaue Feder versuchte mit der Maus zu reden, machte ihr klar,
wenn sie nicht verschwände, wohl eine der Katzen sie holen
würde. Vielleicht hatte sie es verstanden. Jedenfalls war sie am
nächsten Morgen verschwunden und die Katzen gingen leer aus.
Nicht gänzlich leer, es wurde viel gekuschelt.
Nach dem Frühstück gingen Blaue Feder und Brauner Bär eine
große Runde. Es stürmte.
Der Wind kam wie aus allen Richtungen – vielleicht war es ein
drehender Wind. Eine schottische Fahne wehte hart an einem
Mast - ein weißes Kreuz auf Blauen Grund. Auf dem Weg lagen
schon die ersten Bucheckern.
Im Moor zeigte Blaue Feder Brauner Bär die schöne Wiese mit
dem Blutweiderich. Dort ließen die Disteln ihre Wollsamen
fliegen. Es erinnerte Blaue Feder an die Wollsammlerin, und ein
heimatliches Gefühl stellte sich bei ihr ein. Es erinnerte sie auch
an Schottland, war die Distel doch die Blume ihres Landes.
Dann fanden sie eine Feder vom Mäuse-Bussard wie passend
zu der Maus. Am Großen Mondsee plätscherten die Wellen und
das Schilf bog sich im Wind.
Eine Eber-Esche in ihrem leuchtendroten Gewand winkte ihnen
zu und lud sie ein in den kleinen Buchenwald. Der Weg war mit
Farnwedeln grün bedeckt. Sie gingen über den Martins Steg und
hinein in das hohe Schilf. Einen Weg gab es nun nicht mehr. Es
machte Spaß durch das Schilf zu pirschen. Am kleinen Martins
Weiher standen wieder viele Disteln, die im Nu umringt waren
von Distelfaltern. Es war einfach zauberhaft zwischen all den
Schmetterlingen. Ihnen wurde leicht ums Herz. Blaue Feder
erblickte eine große grüne Libelle. Brauner Bär hatte ihr viel von
Schottland vorgeschwärmt. Sie selbst war nie dort gewesen.
Doch heute konnte sie die Farben Schottlands fühlen. Es war ihr,
als wäre sie dort. Es fühlte sich wild und frei an. Weiter ging es
auf dem Geheimen Weg, der das Moor im Westen mit dem Moor
im Osten verband. Heute waren sie hier allein.
Eine Krönchennatter lag direkt vor ihren Füßen. Wie schön, nun
begegneten sie der Krönchennatter noch einmal zu zweit. Sie
blieben eine Weile stillstehen. Dann schlängelte sich die
Ringelnatter davon und sie gingen weiter ihren Weg. Es war
schön, gemeinsam die Natur zu erforschen. Auf einem der
hinteren Moorkuhlen saßen gleich vier Graureiher
nebeneinander.
Noch immer ganz beseelt von all den Eindrücken der Natur,
gingen die Beiden zum Schwanensee. Im letzten Jahr wurde hier
ein kleiner Bienengarten neu gepflanzt und nun wuchsen schon
drei Birnen an einem kleinem Birnbaum. Sie setzten sich auf die
Bank, und als sie so beieinandersaßen, flog ein blauer Eisvogel
über den See und fing sich einen kleinen Fisch. Sie schauten
ihm eine Weile zu und konnten ihr Glück kaum fassen. Der
Eisvogel erinnerte Blaue Feder an die Halkyonischen Momente
im Winter. Für einen Moment hörte der Wind auf zu wehen. Die
Sonne schien warm. Stille senkte sich in beide Herzen und
Freude. Alles war gut, so wie es war. Sie erwachten aus ihren
Träumen als die Graue wie zum Abschied über den
Schwanensee flog. Hand in Hand gingen Blaue Feder und
Brauner Bär glücklich heim.
49. Das Mädchen und der Drache
Die Hochzeit ward gefeiert. Blaue Feder und Brauner Bär
verlebten einen zauberhaften Tag mit ihren Freunden. Wie in
jeder Hochzeit lag wohl auch ihrer Hochzeit ein Zauber inne. Den
kommenden Tag packten Blaue Feder und Brauner Bär ihre
Sieben Sachen und reisten in das Land der Schwäne. Sie waren
gerne dort und so wollten sie in diesem Land ihre Honigwoche
verbringen.
Das Wetter war zauberhaft und sie hatten wunderschöne Tage. Blaue
Feder mochte nicht alles erzählen, was sie dort erlebten, doch eine
Geschichte ging ihr nach, die sie mit Dir teilen möchte.
50. Das Mädchen und der Drache
Es war an einem Morgen zum Ende ihrer Honigwoche. Blaue
Feder stand schon in der Früh auf und begrüßte gemeinsam mit
einer Assel und einer Ameise die Sonne auf ihrer Düne. Dann
stromerte sie eine Weile durch die Heidelandschaft und lauschte
dem Gesang des Schwarzkehlchens. Sie hatte noch nie eines
gesehen.
In der Nacht war eine Familie in das Haus nebenan eingezogen.
Sie kamen weit her aus Frankreich. Als Blaue Feder und Brauner
Bär frühstückten, sahen sie ein Mädchen mit schwarzen Zöpfen,
das zusammen mit ihrem Vater versuchte einen Drachen steigen
zu lassen. Doch in den Dünen gestaltete sich das schwierig, so
dass sie irgendwann aufgaben.
Blaue Feder und Brauner Bär gingen nah dem Frühstück an das
Meer. In den Dünen begegneten sie einem Grashüpfer. Es wird
wohl eine grasgrüne Grashüpfer Geschichte. Der Wind hatte die
Wellen wieder mitgebracht. Die letzten Tage war es windstill
gewesen und sehr heiß. Der Strand hatte sich verändert, und die
Wellen formten den Sand in eine Küstenlandschaft. Sie gingen
eine Weile den Strand entlang, als eine Mutter mit ihren Kindern
sie heranholten. Eine junge Schlange war in die Brandung
geraten und wurde immer wieder von den Wellen erfasst und
fortgespült. Die Kinder fragten, was es wohl für eine Schlange
war. Blaue Feder meinte, es sei wohl eine junge Kreuzotter, war
sich aber auch nicht ganz sicher. Brauner Bär ging zu einem
größeren Mädchen mit Schaufel und Eimer und fragte sie, ob sie
eine Schlange retten wollte. Es war ein beherztes Mädchen und
sie sagte sofort ja.
Sie kam, und mit einem ebenfalls beherzten Spatenstich nahm
sie die Schlange auf und legte sie in ihren Eimer. Die Kinder
zogen los, die Schlange in den Dünen auszusetzen. Blaue Feder
und Brauner Bär zogen weiter, beobachteten die Kinder von
Weitem und fanden noch ein paar Schlangensteine.
Auf dem Rückweg sahen Blaue Feder und Brauner Bär wie das
Mädchen, welches die Schlange gerettet hatte, sich schon in
einem neuen Projekt befand. Sie grub eine Kuhle bis zum
anderen Ende der Erde. Sie begegneten auch der Familie aus
dem Haus von nebenan. Das kleine Mädchen war mit ihrer Oma,
der großen Schwester und den Eltern am Strand. Die
Großmutter lachte Blaue Feder an und Blaue Feder lachte
zurück. Das Mädchen hüpfte vergnügt am Strand. Brauner Bär
und Blaue Feder nahmen dann noch ein Bad mit Kormoranen.
Am Strand fand Blaue Feder einen Stein. Darauf war eine
Geschichte geschrieben. Es war die Geschichte, die sie Euch
gerade erzählt, denn es war ein Geschichten-Stein. Sie durfte
ihn mitnehmen und er würde ihr noch viele Geschichten
erzählen.
Geschichten aus dem Meer der Geschichten
Als Blaue Feder und Brauner Bär heimkamen, sahen sie wieder
das Mädchen mit ihrem Drachen. Am kommenden Morgen war
sie mit ihrer Familie abgereist.
51. Perlentaucher
Freitag nach dem September-Neumond
Blaue Feder erwachte am frühen Morgen. Das Licht der
Morgensonne brach sich seine Bahnen durch die kleine
Eichenallee. Wer weiß wie lange noch. Seit ein paar Tagen
regnete es wie aus Eimern. Die Natur konnte das Wasser gut
brauchen, um ihre Reservoirs wieder zu füllen. Brauner Bär und
Blaue Feder bauten den Hof weiter aus. Die Schlafkojen für die
Gäste, die Bibliothek und noch einen unbekannten Raum.
Diesen Morgen musste Blaue Feder einmal raus in die Natur.
Irgendetwas arbeitete in ihr. Es ging um das Thema Er-folg.
Irgendwie wussten die Beiden momentan nicht so genau, warum
sie noch mehr Räume auf dem Hof ausbauten. Sie selbst
brauchten nicht mehr Platz. Manchmal machten sie etwas und
wussten nicht so genau warum. Neue Ideen entwickeln sich oft
erst beim Gestalten. Blaue Feder würde im Oktober ihre Kräuter-
Ausbildung beginnen und tiefer eintauchen in die Welt der
Pflanzen. Darauf freute sie sich.
Was heißt denn eigentlich Er-Folg?
Blaue Feder führte ein schönes Leben. Sie wusste, woher sie
gekommen war und wie es ihr jetzt ging. War dieser Heilungsweg
nicht der eigentliche Er-folg ihres Lebens. Manchmal war Blaue
Feder wütend und dann bewertete sie alles negativ und machte
gedanklich alles zunichte.
Dann war ‚Alles‘ nur ein großer Haufen ‚Mist‘. Oft war sie dann
einfach erschöpft und brauchte eine Pause. Da half nur eines –
in die Natur gehen. Die Natur urteilt nicht. Sie ist einfach da. Da
stehen der weiße Schwan und die Nacktschnecke
nebeneinander und jeder hatte seine Berechtigung. Es gab
weiße Schwäne und schwarze Kormorane, aber aus sich heraus
hatten die Farben keine Bedeutung.
Mit der Frage, was es mit dem Er-folg auf sich hat, ging Blaue
Feder über die Schwelle. Sie waren im Land der Schwäne
gewesen, hatten Tipperne besucht, ein Vogel-schutz-Gebiet in
Dänemark, und hatten dort die vielen Schwäne bewundert.
Vielleicht würde Blaue Feder an diesem Tag die beiden Schwäne
im Moor finden. Sie waren immer woanders - vielleicht hatte sie
Glück. Am Ortsausgang begegnete ihr eine Frau in Rot mit
einem schwarzen Hund. Sie grüßten sich und Blaue Feder
schlug den Weg zum Schwanensee ein. Die reifen roten Früchte
vom Weißdorn lachten sie an. Der Große Mondsee rief sie. Die
Morgensonne spiegelte sich auf dem Wasser. Es war schön
einfach hier zu stehen und in die Ruhe und Weite einzutauchen.
Blaue Feder ging weiter. Sie hatte den Ruf der Grauen
vernommen. Er klang herüber vom Kleinen Birkensee. Im
Unterholz hörte sie ein Reh und sah es auch einen Moment. Sie
folgte seinem Weg auf eine Lichtung und bewunderte ein
Spinnennetz. Wie unermüdlich die Spinnen ihr Zaubergarn
weben. Das Reh blieb verborgen. Ein Johanniskraut stand am
Wegesrand und lächelte Blaue Feder beruhigend zu. Sie hörte
wieder den Ruf der Grauen, sah sie zur Großen Gänsekuhle
fliegen und folgte ihr. Die Birken tanzten am Wegesrand in
grünen Farnwedeln.
Ein großer Haufen Mist lag auf der Wiese. – Ein großer Haufen
Mist, ist einfach ein großer Haufen Mist. Wenn wir uns dem
Haufen mit unserem Forscherhut nähern, dann fällt die
Bewertung weg und wir untersuchen ihn einfach. – Aha, ein
großer Haufen Mist. Wie spannend – was gibt es denn da zu
entdecken? Zum Beispiel zwei weiße Flecken, die im
Hintergrund auftauchen. Sie hatte die beiden Schwäne entdeckt
und freute sich. Sie schaute ihnen eine Weile zu und freute sich
an ihrem Anblick. Das war es, was sie liebte. Sie ging los. Und
dann entdeckte sie etwas, das ihr Herz klärte.
Es wurde wieder weit und öffnete sich. Darum ging es, sich zu
öffnen, für das was ist. Nicht zu urteilen, sondern mit dem
offenen Herzen zu schauen. Als sie sich umdrehte, zogen
dunkle Wolken auf. In einem Graben auf der Wiese wuchsen
kaum sichtbar kleine blaue Blümchen, eine Nacktschnecke
kreuzte ihren Weg. In der Natur hat alles seinen Platz und
seinen Sinn. Sie sah eine kleine einzelne Eichel. So fühlte sie
sich gerade, wie eine kleine grüne Eichel. Doch konnte aus
einer kleinen Eichel ein großer Baum wachsen. Blaue Feder
hatte nasse Füße. Das war nichts neues, sie holte sich öfters
nasse Füße.
Es war wieder an der Zeit Stiefel anzuziehen, wenn die Wiesen
nass waren. Sie saß noch eine Weile am Schwanensee. Als es
leicht zu regnen begann, machte sie sich auf den Rückweg. So
entschied sie sich nach Hause zu gehen. Sie war wieder
glücklich – glücklich draußen zu sein. Das Moorschild sah alt und
verblichen aus – wie eine Schatzkarte. Die Risse sahen aus wie
Wege. Wege, die Blaue Feder für sich im Tal der BroklandSau
entdeckt hatte und Wege, die sie noch gehen würde. In der Natur
bekam sie wieder Abstand zu den Dingen. Konnte die Wege von
oben betrachten. Manches Mal wurde dann aus einem Haufen
‚Scheiße‘ – ‚Gold‘.
Auf dem Heimweg setzte sie sich noch auf die Bank bei den drei
Birken. Sie beobachtete eine kleine Libelle, die Schwierigkeiten
hatte, sich im Wind auf einem Blatt zu halten.
Blaue Feder hatte am Anfang ihres Weges eine Plastiktüte und
ein Gummiband gefunden. Sie hatte sie mitgenommen. Die Tiere
steckten gerne mal neugierig ihre Köpfe in Plastiktüten und
kamen nicht wieder raus – jedenfalls taten ihre Katzen das
gerne. Die Tüte erwies sich als praktisch, um unterwegs einigen
Müll einzusammeln. Sie entsorgte den Müll im Mülleimer. Es war,
als würde sie mit dem Müll auch ihren Müll entsorgen, der sich
angesammelt hatte.
Als sie hier so saß, hörte sie hinter der Hecke ein wildes
Plantschen. Na, wer da wohl am Wirbeln war. Sie pirschte sich
noch einmal an den Großen Mondsee, und entdeckte einen
Kormoran. Sie beobachtete ihn eine Weile durch das Blätterwerk
einer Erle. Immer wieder tauchte er ab. Er schwamm hinaus auf
den Großen Mondssee und aus der Ferne sah es aus, als würde
er eine Lichtspur im Wasser hinterlassen.
‚Bewerte nicht und tauche tiefer‘
Diesen Satz nahm Blaue Feder mit sich.
Bewerte nicht, nehme nur wahr und tauche tiefer hinter die
Dinge.
Sie machte sich auf den Heimweg und zum Abschied flog der
Kormoran noch ein paar Runden um sie herum.
Es flog ein Buntspecht auf den Weißdorn, den Blaue Feder
schon am Anfang bewundert hatte. Nun waren alle Farben
komplett – Weiß, Rot und Schwarz. Sie beobachtete ihn eine
Weile, hörte sein Klopfen und ging heim. Als sie ins Dorf
zurückkehrte, leerte der Gemeindearbeiter gerade die Gullis. Sie
grüßten sich. Wenn er die Gullis nicht leeren würde, würden sie
bei dem vielen Regen überlaufen. Jede Aufgabe war wichtig im
großen Ganzen. So wie wir vielleicht manchmal unsere Gullis
leeren müssen, damit die Sonnenblume in uns wieder strahlen
kann. Blaue Feder fand noch einen kleinen Lampion und brachte
ihn Brauner Bär mit. Sie fühlte sich wieder aufgeräumt. Ihr
Herzen leuchtete wie der kleine Lampion. Nun konnte es
weitergehen. Es war eben heute ein Großreinemachtag.
Er-Folg hat wohl etwas damit zu tun, dem eigenen Weg zu
folgen. Den inneren Impulsen zu folgen. Wie schön, dass es die
Natur gab und, mit Antworten auf alle ihre Fragen.
52. „Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm“
Freitag, der 13. - ein September Vollmond
Heute war Freitag der Dreizehnte. Sie hatte im Zusammenhang
mit der 13 von Luisa Francia geträumt und die Tage noch einmal
ihr Buch über die ‚13‘ gelesen.
Großmutter Holler hatte sie am Morgen angelacht, und sie hatte
sich einen Korb Beeren gepflückt für einen Saft. Die Tage
wurden kühler und man konnte gut etwas gebrauchen, was die
Abwehr stärkte.
War es der Tag oder war es die Mutter mit Kind die Blaue Feder
einluden, Kinderspiele zu spielen. Als Kind war man einfach
rückwärtsgelaufen oder hatte ‚Ein Hut, ein Stock, ein
Regenschirm‘ gespielt. „Und 1* und 2* und 3* und 4* und 5* und
6* und 7* und 8, ein Hut, ein Stock, ein Re – gen – schirm*, und
vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran…“
Sie erinnerte sich der Spiele aus Kindertagen und war gespannt,
was sie sah, wenn sie rückwärtslief. Sie sah die fünf
Pappelschwestern. In ihrem Herzen standen dort immer noch
Sieben Schwestern. Was nicht ist, sieht man mit dem Herzen
gut. Für Blaue Feder würden hier immer Sieben Bäume stehen.
Die Pappeln begrüßten Blaue Feder und ihre Blätter raschelten
im Wind. Blaue Feder hatte einen Lieblingsspruch, der lautete:
‚Irgendetwas ist immer‘.
Blaue Feder hatte ihr Handy im Büro liegen gelassen und fühlte
sich wie befreit. Mehr musste sie dazu wohl nicht sagen.
Es kam ihr in den Sinn, zu fragen, was nicht ist oder nicht mehr
ist. Wie die alte Eiche im Dorf, hatte Blaue Feder im letzten Jahr
viel Ballast abgeworfen. Sie hatte viel aussortiert. Sie hatte sogar
viele ihrer Bücher wegegeben. Irgendwie brauchte sie sie nicht
mehr. Sie würde auch weiterhin Bücher lieben. Doch las sie jetzt
mehr und mehr in der Natur, im Leben selbst, schrieb mehr und
mehr ihre eigenen Geschichten auf.
Die Schwalben waren noch da. Vielleicht flogen sie wieder mit
der vollen Mondin. Dann wurde es von einem zum anderen Tag
still. Heute ging es um das Nichts, die Stille und die Leere. Die
Glockenblumen klangen leise wie Zimbeln, die eine Meditation
einläuten. Es zog Blaue Feder zum Fuchsloch. Vor dem
Fuchsloch stand ein einzelner Steinpilz. Schön war er
anzusehen, wie er da im grünen Moos stand.
Auf dem Fuchsloch sah Blaue Feder einen toten Hasen. Sein
Tod berührte sie und sie stand einfach eine Weile dort. Sie
begrüßte das Salomonsiegel und setzte sich auf ihren Platz unter
der alten Eiche. Die Sonne schien durch das Blätterwerk. Alles
war so schön zugewachsen.
Sie spürte eine Angst in sich. Hatte sie Angst, sich auf die Leere
einzulassen? Sie wusste nicht, was es für eine Angst war. Sie
nahm sie in ihr Herz und atmete in die Leere. Immer wieder
öffnete sie die Augen, weil es irgendwo knackte. Wovor hatte sie
Angst – sich in der Leere zu verlieren? War es nicht umgekehrt,
dass sie sich in ihr fand? So, wie sie sich in der Natur
eingebunden fühlte. Wenn sie auf das Jahr zurückblickte, hatte
sie einige Kräuter kennengelernt und alles, was sich ihr zeigte,
stand irgendwie in einem Zusammenhang. Alles bezog sich
aufeinander. Das Schwalbenkraut und die Schwalben, die jetzt
bald fliegen würden. Der Schmetterlingsflug im Land der
Schwäne und die Kräuter, die mit dem Distelfalter und Admiral in
Verbindung standen.
Alles war miteinander verwoben wie das Netz einer Spinne –
ein Netz des Lebens.
War es da verwunderlich, dass sie einen Admiral sah, als sie
den Fuchsloch verließ und später noch ein Distelfalter. Sie
verstand nicht immer alles, was die Natur ihr sagte, aber sie
spürte diese Zusammenhänge, die sie bereicherten. Sie spürte
diese Freude, wenn ihr Zusammenhänge bewusstwurden.
Wenn sie zurückschaute und alles einen Sinn ergab -einen
Sinn ergab für sie. Sie war in eine Welt eingetaucht, die sich ihr
nach und nach enthüllte und in die sie sich eingebunden fühlte.
Sie besuchte den Schlangenbaum. Eine Schlange häutet sich
mehrmals im Leben. Blaue Feder hatte den Eindruck sie stünde
gerade an einem Punkt, wo sie etwas hinter sich ließ. Etwas in
ihr fühlte sich rund an.
Sie war im letzten Herbst gestartet, allein mit ihrer Kamera in die
Natur des Tales der BroklandSau zu gehen und kleine
Geschichten zu schreiben. Sie wollte dieses Thema vertiefen,
die schönsten Geschichten raussuchen und ein Buch für sich
und ihre Freunde zaubern. Sie ließ die Leere sich in ihrem
Herzen ausbreiten und ging zu den Kräuterweiden. Auf dem Weg
dorthin erblickte sie kurz einen Grünspecht. Was für eine Freude.
Sie freute sich auch auf die Kräuter-Ausbildung. Sie ging zum
Schlehengang. Hier standen Weiß- und Schwarzdorn
beieinander. Für sie war es ein besonderer Ort.
Für andere war es einfach ein Weg entlang einer Weide. Sie ließ
immer etwas zurück, wenn sie durch diesen Gang ging. Es war
wie das Abstreifen einer alten Haut. In Irland gab es die Tradition,
durch eine Weißdornhecke zu schlüpfen, um sich von allem
Fremden zu reinigen und zu heilen. Die Schlehen waren schon
reif, aber sie brauchten noch den Frost, damit sie das Bittere
verloren. Blaue Feder probierte eine. Alles zog sich in ihr
zusammen. Sie pflückte eine Handvoll. Sie konnte sie einfrieren
und dann verarbeiten. Sie ging langsam durch die Schlehen an
der Beifuß-Weide entlang. Sie liebte den Beifuß. Sein Geruch
war der Geruch ihrer Heimat. Auf der anderen Seite hüpften
lauter Grashüpfer um sie herum. Leichtigkeit umfing sie. Ein
Distelfalter setzte sich vor ihre Füße. Es war befreiend. Die erste
Blume, die sie sah, war eine Fette Henne, die Blaue Feder zum
Lachen brachte. Die Fetten Hennen verfolgten sie regelrecht.
Dann hörte sie den Ruf von Bussarden über sich. Gleich drei
flogen am Himmel und wieder kam ihr der Satz:
Wir sind der Schwestern Dreie
In ihrem Herzen fand er einen Anklang. Dann wurde Blaue
Feder von einem fremden Schmetterling verzaubert. Er saß auf
den verblühenden Schafgarben. Wie wohl sein Name war?
‚Großer Feuerfalter‘
Was für ein großer Name für einen kleinen Schmetterling. Blaue
Feder fühlte sich frei. Es lag in ihrer Hand, wie sie ihr Leben
gestaltete – es war ihre Verantwortung. Sie entsorgte wieder
einigen Müll, den sie unterwegs aufgelesen hatte. Dann ging sie
am Brachland vorbei. Ein Fasan machte lautstark auf sich
aufmerksam. Das Brachland war eingezäunt. Der Fasan lief
aufgeregt am Zaun entlang. Blaue Feder dachte bei sich,
irgendwann würde er herausfliegen. So war es auch. Fasane
sind nicht so gute Flieger, aber er nahm Anlauf und flog mit
lautem Getöse über den Zaun.
Manchmal begrenzen wir uns selbst, dabei sind wir schon lange
frei. Blaue Feder ging nach Hause den Holunderbeeren-Saft zu
kochen und die Schlehen einfrieren. Dann erfüllte sie sich noch
einen Wunsch. Schon das ganze Jahr hatte sie unterm
Sternenhimmel schlafen wollen. Sie bereitete sich ein Lager im
Garten. Sie war aufgeregt wie ein Kind. Um Zehn herum ging sie
mit ihrem Schlafsack ins Freie. Die volle Mondin stand schon am
Himmel. Es war hell und sternenklar.
So lag sie unterm Sternenhimmel und verlor sich nicht. Es war
wie nach Hause kommen. Es war, als würden ihr die Sterne
einen Namen zurufen:
‚Sternenjägerin‘
Er klang schön in ihrem Herzen. Was für ein großer Name für
einen kleinen Stern.
Sie blieb nicht die ganze Nacht draußen. Leider war der
Schlafsack nicht warm genug. Im Dorf wurde ein Fest gefeiert.
Es war laut und sehr hell in der vollen Mondinnennacht. Aber sie
genoss die Zeit unterm Sternenzelt, ihre Angst hatte sich
verloren und der Freude Platz gemacht.
53. Runde um Runde
Lange Zeit dachte Blaue Feder, sie hätte sich die Hagebuttenfrau
im vergangenen Jahr nur eingebildet. Doch es gab sie wirklich.
Sie wohnte, wie soll es anders sein, in dem Haus hinter den
Hagebutten. Jeden Tag lief sie ihre Runde mit ihrem Rollator,
und manchmal sah Blaue Feder sie an ihrem Fenster
vorbeigehen.
Ihre rotgefärbten Haare waren herausgewachsen und das weiße
Haar strahlte hervor. An diesem Tag stand nun Blaue Feder in
den Hagebutten, so wie die Hagebuttenfrau einst, und pflückte
die reifen Hagebutten. – Wer weiß, vielleicht wurde auch sie
beobachtet und jemand wunderte sich, was sie da wohl in den
Hagebutten anstellte.
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So trägt sich das Wissen weiter …
Runde um Runde
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Impressum
Text und Fotos Blaue Feder
alias Susanne Linnig
Ostrohe 2019
slinnig@web.de
blauefeder.home.blog