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Eher schlau als klug - des Fachgebiets Methodologie und ...

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Musahl (2001): <strong>Eher</strong> <strong>schlau</strong> <strong>als</strong> <strong>klug</strong> – psychologische Hemmnisse vorausschauenden Handelns 2<br />

bei der eine Instandsetzung oder ein Teileaustausch unabhängig vom tatsächlichen Komponentenzustand<br />

nach definierter Nutzungszeit erfolgt (Beispiele: Zündkerzen von Verbrennungsmotoren,<br />

Leuchtkörper in Hallen). Eine Variante dieser prophylaktisch orientierten Instandhaltungsstrategie<br />

ist die zustandsabhängige Instandhaltung: Dabei wird der Abnutzungsvorrat von Anlagenteilen<br />

durch Inspektion festgestellt, um notwendige Maßnahmen treffen zu können, falls ein<br />

Ende <strong>des</strong> Abnutzungsvorrats innerhalb <strong>des</strong> kommenden Arbeitsabschnitts zu erwarten ist.<br />

Aufgabenstellung <strong>und</strong> Strategien der Instandhaltung umfassen demnach das Wahrnehmen<br />

<strong>und</strong> Erkennen von Störungen in komplexen Mensch-Maschine-Systemen, deren Analyse, Vermeiden<br />

<strong>und</strong> Bewältigung – all dies sind Aspekte moderner sicherheitspsychologischer Forschung.<br />

Detektion – im Sinne <strong>des</strong> Wahrnehmens <strong>und</strong> Erkennens - <strong>und</strong> Analyse von Störungen<br />

sind unmittelbare Funktion kognitiver Prozesse, die ihrerseits mit Lernvorgängen verknüpft sind.<br />

Bevor wir uns aber mit der Frage nach typischen Formen <strong>und</strong> Regelwerken menschlichen<br />

Denkens, der „kognitiven Ergonomie“, auseinander setzen, soll zunächst in einem Exkurs der<br />

Begriff „System“ definiert werden. Denn die geläufige Forderung nach „systemischem“ oder<br />

auch „ganzheitlichem“ Denken übersieht vermutlich die Grenzen intuitiver menschlicher Denkprozesse.<br />

Genau das muss aber beachtet werden, wenn wir die Entstehung von Schäden aufgr<strong>und</strong><br />

unzureichender Instandhaltung besser verstehen <strong>und</strong> in Zukunft vermeiden wollen.<br />

Exkurs: Was ist ein System? Ludwig von Bertalanffy, der Begründer der Allgemeinen Systemtheorie,<br />

definiert Systeme <strong>als</strong> „sets of elements standing in interrelation“ (Bertalanffy, 1973, p.<br />

37). Bei einem System handelt es sich demnach um ein organisiertes Ganzes aus einer definierbaren<br />

Menge von Elementen oder Variablen, <strong>des</strong>sen „organisierte Komplexität“ aus den Wechselwirkungen<br />

seiner Komponenten entsteht.<br />

Ein „System“ liegt <strong>als</strong>o nicht dann vor, wenn viele Komponenten gegeben sind, sondern wenn aus ihrem<br />

spezifischen Zusammenwirken etwas Neues entsteht: Erst aus dem Zusammenspiel von Instrumenten, Musikern,<br />

den Noten <strong>als</strong> Arbeitsleistung eines Komponisten <strong>und</strong> einem koordinierenden Dirigenten entsteht – Musik. Diese<br />

Wechselwirkungen („Interaktionen“) sind nicht-triviale, mathematisch nonlineare (multiplikative) Effekte wechselseitiger<br />

Einflüsse der Einzelkomponenten <strong>des</strong> Systems, sie sind daher nur aus dem Zusammenwirken der Einzelkomponenten<br />

erklärbar; Wechselwirkungen sind die stets multikausale Quelle der „organisierten Komplexität“ <strong>des</strong><br />

Systems. Rückmeldungsschleifen sind demgegenüber keine typischen Kennzeichen eines dynamischen Systems<br />

(Bertalanffy, 1973, p. 170ff), da sie in ihrer Richtung stets eindeutig definiert sind <strong>und</strong> wechselseitige Einflussnahmen<br />

ja gerade ausschließen.<br />

Für die Modellierung <strong>des</strong> aktuellen Zustands eines dynamischen Mensch-Maschine-Systems heißt das: Zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt (Situation) wirken die technischen Gegebenheiten (Maschine), die nach dem Regelwerk<br />

gültige organisatorische Bestimmtheit (Organisation) sowie individuelle Merkmale <strong>und</strong> Informationsverarbeitungsprozesse<br />

<strong>des</strong> Bedieners (Person) im Sinne einer Wechselwirkung 3. Ordnung (SxMxOxP) zusammen. Der „Situations"-<br />

Faktor modelliert dabei die Einmaligkeit <strong>des</strong> aktuellen Zusammenwirkens <strong>und</strong> gestattet es, alle zeitkorrelierten<br />

Veränderungen der einzelnen Komponenten zu berücksichtigen: Das könnten Verschleiß oder Wartungszustand<br />

der technischen Anlage sein, für die Systemkomponenten „Organisation“ <strong>und</strong> „Person“ die durch<br />

Lernen entstandenen Veränderungen.<br />

Der aktuelle Systemzustand ist demnach aus der Wechselwirkung aller vier Komponenten<br />

zu erklären, nicht aus der zeitlichen Aneinanderreihung ihrer relativen Einflüsse; auch die in<br />

Fehlerbäumen zumeist intuitiv angenommene gerichtete Kausalkette ist zum Verständnis komplexer<br />

systemischer Effekte unzureichend, meistens sogar „f<strong>als</strong>ch“. – Prozesse innerhalb dynamischer<br />

Systeme mit geeigneten Methoden zu analysieren ist anspruchsvoller, <strong>als</strong> es die schlagwortartige<br />

Forderung nach systemischem Denken vermuten lässt.<br />

Kognitive Ergonomie – Wahrnehmung <strong>und</strong> Denken folgen Regeln<br />

Wechselwirkungen in komplexen Systemen zu verstehen, Störungen nicht einer einzelnen Systemkomponente<br />

zuzuschreiben – Beispiel: „menschliches Versagen“ <strong>als</strong> Pseudoerklärung – stellt<br />

hohe Ansprüche an das Denken <strong>und</strong> das Vorstellungsvermögen; dies ist einer der Gründe,<br />

warum die kognitionspsychologische Forschung eher Zweifel an der menschlichen Fähigkeit zu<br />

„systemischem“ oder ganzheitlichem Denken anmeldet.<br />

Diese Skepsis gilt auch für den Aspekt der Wahrnehmung, definiert <strong>als</strong> „perzeptiv-kognitive<br />

Informationsintegration“: Wahrnehmung ist ein Prozess, in dem wir äußeren Reizen, die

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