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Eher schlau als klug - des Fachgebiets Methodologie und ...

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Musahl (2001): <strong>Eher</strong> <strong>schlau</strong> <strong>als</strong> <strong>klug</strong> – psychologische Hemmnisse vorausschauenden Handelns 5<br />

195). Lernen ist ein explikatives Konstrukt, mit <strong>des</strong>sen Hilfe wir Veränderungen <strong>des</strong> Verhaltens<br />

post hoc erklären.<br />

Drei Formen <strong>des</strong> Lernens sind zu unterscheiden:<br />

Beim „Assoziations-Lernen“ wird ein ursprünglich neutraler Reiz mit einem anderen Reiz verknüpft<br />

(„assoziiert“), der eine bedeutsame Reaktion auslöst. Es handelt sich <strong>als</strong>o um einen Prozess der „Reiz-Substitution“.<br />

Die „klassische Konditionierung“ (Pawlow, 1916, 1923), bei der neutrale Reize mit (biologisch) bedeutsamen Reiz-<br />

Reaktions-Beziehungen (Reflexen) verknüpft werden, ist ein typisches Beispiel für diese Lernform.<br />

Das „Erfolgs-Lernen“ beruht auf dem Effektgesetz (Thorndike, 1898): Verhaltensweisen werden in ihrer<br />

künftigen Auftretenshäufigkeit durch ihren bisherigen Erfolg bestimmt. Der Lernende interpretiert den einer<br />

Reaktion folgenden Reiz <strong>als</strong> <strong>des</strong>sen Konsequenz <strong>und</strong> bewertet ihn nach seinem subjektiven (!) Erfolg. Verhalten <strong>und</strong><br />

Folge bilden eine „Kontingenz“ <strong>und</strong> die Reaktionswahrscheinlichkeit verändert sich. Diese Lernform ist zentral mit<br />

der Theorie der operanten Konditionierung von Skinner (1953, 1978) verb<strong>und</strong>en.<br />

„Modell-Lernen” (oder „Imitations-Lernen“) führt zum Erwerb neuer Verhaltensmuster aufgr<strong>und</strong> der Beobachtung<br />

anderer: Verhaltensweisen eines „Modells“ oder Vorbilds werden übernommen (Bandura, 1976).<br />

Diese drei unterschiedlichen Lernformen sind keine konkurrierenden Theorien, sondern<br />

sie erklären jeweils unterschiedliche Prozesse: Assoziationslernen erklärt die durch Erfahrungsbildung<br />

erfolgende Verknüpfung bisher neutraler mit bedeutsamen Reizen, die operante Konditionierung<br />

erklärt die Veränderung der Häufigkeit von Reaktionen mit deren subjektivem Erfolg<br />

<strong>und</strong> das Modell-Lernen führt zur Übernahme neuer komplexer Verhaltensmuster durch die Imitation<br />

erfolgreicher Verhaltensmodelle <strong>und</strong> sog. Vorbilder. Für unseren Zusammenhang – das<br />

Verständnis psychologischer Hemmnisse vorausschauenden Handelns – ist das Erfolgslernen<br />

von besonderer Bedeutung; seine Paradigmen nützen dem Verständnis dafür, dass sich Menschen<br />

mit dem bei der Instandhaltung geforderten vorausschauenden Handeln so schwer tun.<br />

„Negative Verstärkung“ oder: Wenn Sanktionen ausbleiben. - Ausgangspunkt <strong>des</strong> Erfolgs-<br />

Lernens ist die subjektive Bewertung <strong>des</strong> auf ein willkürlich oder zufällig ausgeführtes Verhalten<br />

folgenden Ereignisses <strong>als</strong> <strong>des</strong>sen Konsequenz; diese Folge von Verhalten <strong>und</strong> Konsequenz bildet<br />

eine „Kontingenz“. Diese subjektive Ereignis-Folge-Erwartung bewirkt eine Verstärkung oder<br />

eine Abschwächung der jeweiligen Verhaltenswahrscheinlichkeit.<br />

Verhaltensweisen werden seltener, wenn ihre Folge subjektiv unerfreulich ist: Auf eine Handlung folgt ein <strong>als</strong><br />

aversiv bewertetes Ereignis (Abschwächung, „Bestrafung“) oder ein erwarteter appetitiver Reiz bleibt aus<br />

(Löschung, „Extinktion“). Also: Strafe <strong>und</strong> der Entzug von Vergünstigung wirken in die gleiche Richtung.<br />

Verhaltensweisen werden hingegen häufiger, wenn ihre Folge subjektiv erfreulich ist: Der Reaktion folgt ein<br />

appetitiver Reiz (positive Verstärkung, „Belohnung“) oder – <strong>und</strong> das ist in unserem Zusammenhang besonders<br />

wichtig (s. hierzu Musahl, 1999) – die ohnehin unerwünschte aversive Konsequenz tritt nicht ein (negative Verstärkung,<br />

Vermeidung oder Ausbleiben einer Sanktion); dabei scheint es für den Lernerfolg gleichgültig, ob der<br />

aversive Reiz einfach nur ausbleibt oder durch eigenes Tun vermieden wird.<br />

Die Wirkung der Kontingenzen ist von ihrer Stärke, Häufigkeit <strong>und</strong> zeitlichen Verteilung abhängig.<br />

Je variabler eine bestimmte Konsequenz eintritt, <strong>des</strong>to nachhaltiger ist der Lerneffekt;<br />

aperiodische Verstärkungsprogramme sind nur sehr schwer zu löschen. Und das heisst für die<br />

negative Verstärkung: Verharmloste Regelverstöße, unerkannte Beinahe-Unfälle, übersehene<br />

Mängel, latente Krankheitsursachen oder Umweltschädigungen behalten aufgr<strong>und</strong> aperiodischer,<br />

seltener oder verzögert auftretender Kontrollen, Unfälle oder Schäden ihren Verstärkungs-<br />

Charakter; denn der unmittelbare Misserfolg bleibt aus, der angekündigte oder erwartete<br />

Schaden tritt nicht ein. Negative Verstärkung - man tut das Verbotene oder unterlässt das<br />

Gebotene, aber die erwartete Sanktion bleibt aus - ist daher für unseren Zusammenhang von<br />

überragender Bedeutung.<br />

Der subjektive Gewinn bei der „negativen“ Verstärkung besteht <strong>als</strong>o nicht darin, dass der Handelnde einen<br />

Vorteil bekommt – dies wird häufig fälschlich mit Verweis auf die „Bequemlichkeit“ oder Schnelligkeit sicherheitswidrigen<br />

Verhaltens behauptet – sondern dass der erwartete Nachteil nicht eintritt; genau dies bezeichnet der<br />

Begriff „negativ“! Wenn der Handelnde darüber hinaus tatsächlich etwas erhält - das bezeichnet der Begriff<br />

„positiv“ – dann folgt der negativen zusätzlich eine positive Verstärkung. Beide Prozesse sind theoretisch <strong>und</strong><br />

experimentell deutlich voneinander zu unterscheiden. – Diese doppelte Verstärkung, bei der einer negativen noch<br />

eine positive Verstärkung folgt, ist in sozialen Systemen immer dann bedeutsam, wenn die Bewältigung von Gefahr<br />

oder die Nichteinhaltung von Regeln den sozialen Status mitbestimmen – das „l'état c'est moi!“ <strong>des</strong> Louis XIV. oder<br />

die römische Sentenz „Quod licet Iovi, non licet bovi“ („Was Jupiter darf, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt“)<br />

beschreiben genau diese Tatsache: Dem Regelverstoß folgt (a) keine Sanktion <strong>und</strong> (b) der Handelnde gewinnt an<br />

sozialem Ansehen – ein typischer Vorgang im Sozialisationsprozess vom Jugendlichen zum Erwachsenen.

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