G+L 04/2023
Stadt-Spezial Teil I - Wohnen in der Stadt
Stadt-Spezial Teil I - Wohnen in der Stadt
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20|<strong>04</strong><br />
23<br />
STÄDTE FÜR<br />
MORGEN<br />
MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR<br />
UND STADTPLANUNG<br />
WOHNEN IN<br />
DER STADT
EDITORIAL<br />
Die Kubushäuser in Rotterdam von Piet<br />
Blom zählen inzwischen zu den<br />
Der Druck auf Bundesbauministerin Klara Geywitz steigt. Von einer<br />
Krise im deutschen Wohnungsbau ist die Rede. Neuste Zahlen des<br />
Statistischen Bundesamtes bestätigen die prekäre Situation. Demnach<br />
brach die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen zum Jahresbeginn<br />
so stark ein wie seit fast 16 Jahren nicht mehr. Der Grund: die<br />
gestiegenen Zins- und Materialkosten. Weder Kommunen noch<br />
Privatpersonen können es sich inzwischen noch leisten zu bauen.<br />
Architekturikonen des europäischen<br />
Wohnungsbaus. Vielleicht können sie für<br />
uns eine kleine Erinnerung sein, wie<br />
wirkungsvoll außergewöhnliche Ideen<br />
sein können, aber auch, dass andere<br />
Länder – zum Beispiel die Niederlande –<br />
ähnlich wie wir mit Herausforderungen<br />
im Wohnungsbau kämpfen.<br />
Mehr zu den<br />
Klara Geywitz kämpft seit ihrem Amtsantritt um Veränderung, das<br />
muss man ihr lassen. Sie rief Anfang 2022 das Bündnis Bezahlbare<br />
Wohnungen ins Leben und entwickelte hiermit ein Maßnahmenpaket<br />
zur „Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive“. 400 000<br />
neue Wohnungen möchte das Bundesministerium laut dem Paket<br />
künftig pro Jahr bauen – 100 000 davon Sozialwohnungen. Der<br />
Wechsel zur Hybrid-Heizung soll kommen ebenso wie der digitale<br />
Planungs- und Projektantrag und ein Gesetz für die „neue Wohngemeinnützigkeit“,<br />
das Unternehmen steuerlich begünstigt, wenn sie<br />
dauerhaft günstige Mieten anbieten.<br />
Kubushäusern<br />
lesen Sie hier.<br />
Im Übrigen: Vielleicht haben Sie das kleine „Stadt-Spezial“-<br />
Logo auf dem Cover entdeckt? Diese <strong>G+L</strong> ist die erste Ausgabe<br />
des diesjährigen Stadt-Spezials. Das machen wir inzwischen seit<br />
mehreren Jahren. In drei Ausgaben beschäftigen wir uns mit drei<br />
besonders akuten Themen, denen sich unsere Städte aktuell<br />
stellen müssen. Dieses Jahr im Fokus: Wohnen im April, Parken<br />
im Mai und Hitze im Juni. Viel Spaß dabei!<br />
STÄDTE FÜR<br />
MORGEN<br />
Coverbild: Mike van den Bos via Unsplash; Grafik: Laura Celine Heinemann<br />
Wir haben Lioba<br />
Lissner und Eike Richter<br />
gebeten, Stellung<br />
zu beziehen. Ihre<br />
Standpunkte lesen<br />
Sie ab Seite 48.<br />
Erreicht werden die Ziele aber vorerst nicht. Das bestätigte auch<br />
Bundesbauministerin Geywitz im Gespräch mit dem Newsportal<br />
web.de im Januar <strong>2023</strong>. Von 2024 ist die Rede. Aber auch das<br />
zweifeln zahlreiche Kritiker*innen an. IW-Experte Ralph Henger<br />
bezeichnet die politische Situation im deutschen Wohnungsbau gar<br />
als „katastrophal“. Die Bundesregierung müsse dringend mehr Geld<br />
in die Hand nehmen, um ihre Ziele zu erreichen. Weitere appellieren<br />
für weniger Bürokratie und weniger Bauvorschriften. Andere<br />
stellen die Sinnhaftigkeit der 400 000 Wohnungen grundsätzlich<br />
infrage. Denn faktisch liegt in Deutschland keine Wohnungsnot vor.<br />
Das bestätigt uns auch Ingo Malter, Geschäftsführer des Berliner<br />
Wohnungsunternehmens STADT UND LAND, in dieser <strong>G+L</strong>.<br />
In der vorliegenden <strong>G+L</strong> wollen wir wissen, wo denn nun genau<br />
das Problem beim Wohnen in der Stadt liegt, wer hierfür die<br />
Verantwortung trägt. Vor allem aber untersuchen wir, wer das wie<br />
drehen kann und welche Rolle wir Planer*innen dabei spielen<br />
müssen. Denn: Das Problem ist alles andere als neu, und wir<br />
brauchen dringend eine Lösung.<br />
THERESA RAMISCH<br />
CHEFREDAKTION<br />
t.ramisch@georg-media.de<br />
Unsere Autorin Julia<br />
Treichel hat sich mit<br />
Ingo Malter<br />
unterhalten. Ihren<br />
Text lesen Sie ab<br />
Seite 42.<br />
<strong>G+L</strong> 3
INHALT<br />
AKTUELLES<br />
06 SNAPSHOTS<br />
08 NEWS<br />
09 MOMENTAUFNAHME<br />
Flauschiges Entree<br />
10 SPEZIAL<br />
Startschuss BUGA Mannheim<br />
WOHNEN IN DER STADT<br />
14 3-ZIMMER SOUTERRAIN, 1 800 EURO KALT<br />
Wie sich die deutsche Wohnungskrise darstellt und was Städte tun sollten<br />
18 WOHNEN IN EUROPA<br />
Hier Gentrifizierung, da Paradebeispiel – ein Blick auf Europas Städte<br />
24 GANZ SCHÖN SCHRÄG<br />
MVRDV in Bordeaux: Mit zahlreichen Schrägen zu Luft und Sonne<br />
26 VOM HOFFEN UND SCHEITERN BEIM WOHNEN<br />
Welche Verantwortung die deutsche Politik beim Thema Wohnen trägt<br />
30 WOHNEN IN SCHNECKENHÄUSERN<br />
BIG in Nye: Spirale mit See und Grünräumen<br />
34 ZUSAMMEN WOHNT MAN WENIGER ALLEIN<br />
Welche Vorteile und Grenzen gemeinschaftliches Wohnen haben kann<br />
40 VIER WÜRFEL MIT TEXTUR<br />
SMAQ in Hannover: Spannende Ziegelfassaden und großzügige Freiräume<br />
42 „DIE STADT HAT MAN UNS NUR GELIEHEN“<br />
Ingo Malter von der STADT UND LAND im Gespräch<br />
46 FJORDBLICK INKLUSIVE<br />
Vandkunsten in Oslo: Brückenschlag im Quartier Bispevika<br />
48 DIE LANDSCHAFTSARCHITEKTUR MUSS ZUR LEITPLANUNG DER<br />
ZUKUNFT WERDEN<br />
Landschaftsarchitekt Eike Richter zur Verantwortung der Planung<br />
52 „DEN MEHRWERT UNSERER FREIRÄUME VERMITTELN“<br />
Lioba Lissner von hochC und Eike Richter von LA.BAR im Gespräch<br />
PRODUKTE<br />
Herausgeber:<br />
Deutsche Gesellschaft<br />
für Gartenkunst und<br />
Landschaftskultur e.V.<br />
(DGGL)<br />
Pariser Platz 6<br />
Allianz Forum<br />
10117 Berlin-Mitte<br />
www.dggl.org<br />
58 LÖSUNGEN<br />
Licht<br />
RUBRIKEN<br />
62 Impressum<br />
62 Lieferquellen<br />
63 Stellenmarkt<br />
64 DGGL<br />
66 Sichtachse<br />
66 Vorschau<br />
<strong>G+L</strong> 5
SNAPSHOTS<br />
LAURA PUTTKAMER ÜBER DEN …<br />
GROSSEN MARKT IN SAARLOUIS<br />
Im Ideenwettbewerb<br />
für den Großen Markt<br />
in Saarlouis kürten<br />
zwei Jurys den<br />
Vorschlag von HDK<br />
Dutt & Kist mit<br />
Architekturbüro<br />
Wandel Lorch Götze<br />
Wach und Tobias<br />
Link Lichtplanung<br />
zum Gewinner.<br />
AUTORIN<br />
Laura Puttkamer ist<br />
freie Journalistin<br />
mit einem Fokus auf<br />
innovative Lösungen<br />
für mehr Nachhaltigkeit<br />
in Städten weltweit.<br />
Sie hat einen<br />
Master in „Global<br />
Urban Development<br />
and Planning“ von<br />
der University of<br />
Manchester. Sie lebt<br />
in London und<br />
bloggt auf www.<br />
parcitypatory.org.<br />
Die saarländische Stadt Saarlouis hat<br />
derzeit einen Parkplatz als Stadtherz.<br />
Früher diente der Große Markt als<br />
Exerzierplatz, heute stehen dort Pkws.<br />
Schon seit den 1990er-Jahren versucht<br />
die Stadt, den Großen Markt umzugestalten<br />
und ihm wieder mehr öffentliche<br />
Bedeutung zu verleihen. Aber erst 2021<br />
rief die schwarz-grün-gelbe Mehrheit im<br />
Stadtrat von Saarlouis einen europaweit<br />
offenen Ideenwettbewerb aus. Es gab<br />
neun anonym eingereichte Entwürfe,<br />
wobei zwei Jurys den Vorschlag von<br />
HDK Dutt & Kist mit Architekturbüro<br />
Wandel Lorch Götze Wach und Tobias<br />
Link Lichtplanung, alle aus Saarbrücken,<br />
zum Sieger wählten.<br />
HDK Dutt & Kist beschreiben die Ziele<br />
ihres Entwurfs damit, den „horror vacui“<br />
zu überwinden und die historisch-räumliche<br />
Qualität des Platzes zu betonen.<br />
Dabei verzichten sie auf überfrachtete<br />
Möblierung und Orchestrierung. Vielmehr<br />
geht es um Entsiegelung, stadtklimatische<br />
Aktivierung und eine Begrünung der<br />
Ränder. Der Entwurf sieht vor, den Platanenbestand<br />
um zwei Reihen nach innen<br />
zu erweitern. Zugleich sollen die Bäume<br />
noch oben hin freier wachsen dürfen<br />
als bisher, damit sich das Volumen ihrer<br />
Kronen multiplizieren kann.<br />
Auf der inneren Platzfläche soll es künftig<br />
eine lange Stufe geben, die eine barriere-<br />
frei erreichbare Sitzbank mit Orientierung<br />
zur Platzmitte darstellt. Regenwasser soll<br />
auf dem Platz versickern können, alternativ<br />
fließt es in ein dezentrales System<br />
aus Rückhaltespeichern. Daneben sollen<br />
an heißen Tagen Überflurhydranten<br />
und frischwassergespeiste Trinkbrunnen<br />
für Abkühlung sorgen. Und die neuen<br />
Gebäude wie Kioske sollen grüne<br />
Dächer erhalten.<br />
Das Preisgericht lobte die leere Mitte des<br />
Platzes, die der barocken Stadtplanung<br />
durch den Erhalt der axialen Verbindung<br />
zwischen der Kirche St. Ludwig und der<br />
barocken Kommandantur Rechnung trägt.<br />
Dabei verstärkt die subtile Kunstlichtführung<br />
diese Wirkung. Eines der Elemente,<br />
das laut Preisgericht bei der Umgestaltung<br />
noch mehr Berücksichtigung finden sollte,<br />
ist die Barrierefreiheit des Platzes. Dafür<br />
arbeitet die Stadt eng mit dem zuständigen<br />
Beirat zusammen und wird den<br />
finalen Entwurf entsprechend anpassen.<br />
Der vielfältige Entwurf von HDK Dutt &<br />
Kist zeigt laut Jury eine „stringente Orientierung<br />
am barocken Stadtgrundriss“ und<br />
bewahrt „in hohem Maße die atmosphärische<br />
Qualität des Großen Marktes“.<br />
Die Umsetzung des Entwurfs ist phasenweise<br />
möglich und besteht aus wenigen<br />
Eingriffen. Diese würden laut Preisgericht<br />
die Platzstruktur des Großen Marktes<br />
noch besser wahrnehmbar machen.<br />
Die präsentierten Entwürfe aus dem<br />
Wettbewerb sind zunächst nicht bindend.<br />
Nach eigenen Angaben möchte die<br />
Stadt Saarlouis vor allem Ideen für eine<br />
mögliche spätere Umsetzung erhalten.<br />
Dabei wird der Gewinner-Entwurf für den<br />
Großen Markt Saarlouis vermutlich als<br />
wesentliche Inspiration dienen. Bis Ende<br />
2022 waren die fünf Gewinner-Entwürfe<br />
im Empfangssaal des Rathauses ausgestellt.<br />
Das wichtigste Ziel der Umgestaltung<br />
des Großen Marktes soll die<br />
Stärkung des Platzes als Kommunikationssowie<br />
Handelsfläche sein. Zudem möchte<br />
die Stadt die Umwelt- und Aufenthaltsqualität<br />
auf dem Großen Markt verbessern.<br />
Wann die Umsetzung beginnt, ist<br />
derzeit noch unklar. Konkrete Schritte sind<br />
noch nicht geplant.<br />
Rendering: HDK Dutt & Kist GmbH, Saarbrücken, Wandel Lorch Götze Wach WL Architekten GmbH, Saarbrücken<br />
6 <strong>G+L</strong>
AKTUELLES<br />
SNAPSHOTS<br />
LAURA PUTTKAMER ÜBER …<br />
MVRDVS ENTWURF FÜR<br />
VANCOUVERS KÜSTE<br />
Nach den Vorschlägen von MVRDV, die den<br />
möglichen Anstieg des Meeresspiegels berücksichtigen,<br />
könnte das neue Hafenviertel in<br />
Vancouver im Jahr 2100 so aussehen.<br />
Visualisierung: ©MVRDV<br />
Das niederländische Architekturbüro<br />
MVRDV hat eine Studie veröffentlicht,<br />
die Lösungen für die Stadtplanung im<br />
Hinblick auf den Meeresspiegelanstieg<br />
bieten soll. Im Mittelpunkt dieser Studie<br />
steht die Neugestaltung des Hafenviertels<br />
von Vancouver. Als Teil der Vancouver<br />
Sea2City Design Challenge liefert der<br />
aus der Studie resultierende Katalog neue<br />
Ideen für Anpassungslösungen.<br />
Nach Angaben des IPCC könnte der<br />
Meeresspiegel bis 2100 um bis zu zwei<br />
Meter ansteigen, was für die zahlreichen<br />
Großstädte an den Küsten der Welt viele<br />
Probleme mit sich bringen würde. MVRDV<br />
ruft zu neuen, innovativeren Ansätzen zum<br />
Schutz der Küstengebiete auf. Zu den<br />
vorgeschlagenen Lösungen gehören<br />
Stelzen, modernisierte Versorgungseinrichtungen,<br />
der Bau von Gebäuden auf<br />
dem Wasser und der Abriss bestimmter<br />
Gebäude. Die Ansätze reichen von der<br />
Anpassung bereits bestehender Strukturen<br />
bis hin zu Modernisierungen und Neubauten.<br />
Wichtig ist, dass die Anpassung<br />
an den Meeresspiegelanstieg in jeder<br />
Stadt anders aussehen wird. Eine<br />
bestimmte Kombination aus Rückzug,<br />
Schutz und Anpassung wird unter allen<br />
Umständen funktionieren. Manchmal<br />
kann es sogar sinnvoll sein, sich auf das<br />
Wasser zuzubewegen.<br />
Die in der Studie beschriebenen Pilotprojekte<br />
sind für den sofortigen Einsatz<br />
gedacht. Vancouver ist dabei der<br />
wichtigste Testfall. Hier gestaltet MVRDV<br />
die Uferpromenade entlang des False<br />
Creek neu und fordert eine widerstandsfähigere<br />
Architektur. Die enge Zusammenarbeit<br />
mit der Stadt hat zu einer Vision<br />
für die nächsten 100 Jahre geführt,<br />
die andere Städte in ähnlicher Lage<br />
inspirieren könnte.<br />
Das Prinzip des „rewilding“ ist im Fall<br />
von Vancouver von zentraler Bedeutung.<br />
Das bedeutet, dass das Land in seinen<br />
natürlichen, unkultivierten Zustand<br />
zurückversetzt und wilde Tiere wieder<br />
angesiedelt werden. Der Blick auf die<br />
Natur und auf die Geschichte ist entscheidend.<br />
MVRDV hat bei seinem Vorschlag<br />
für Vancouver großen Wert auf die<br />
Einbeziehung der Bevölkerung gelegt.<br />
Durch die Konsultation lokaler Gruppen<br />
und insbesondere von Beratern der<br />
örtlichen First Nations könnte eine andere<br />
Beziehung zwischen der Stadt und dem<br />
Hafengebiet möglich werden.<br />
MVRDV schlägt in seinen Studien ein<br />
neues Hafenviertel für Vancouver bis<br />
2100 vor. Die derzeitigen Deiche und<br />
Mauern, die den Wasserspiegel blockieren,<br />
werden bis dahin nicht mehr tragfähig<br />
sein. Auf der Grundlage der Prinzipien<br />
des Katalogs hat MVRDV eine Reihe von<br />
Pilotstrukturen für die subtidalen Bereiche<br />
des False Creek entwickelt. Dazu gehört<br />
eine schwimmende Insel, die als Zufluchtsort<br />
für Tiere dienen soll. Von dort aus<br />
würde ein schwimmender Pavillon in<br />
Richtung Ufer führen, der mit dem Kajak<br />
erreichbar ist. Er könnte eine Wasserüberwachungsstation<br />
beherbergen und den<br />
Zugang zur Stadt ermöglichen.<br />
Der Pavillon würde auf dem derzeitigen<br />
Deich stehen, der in Zukunft häufiger<br />
überflutet werden wird. Er würde auch als<br />
Gemeinde- und Kulturzentrum dienen. Ein<br />
bewaldetes Gebiet soll dem Vorschlag<br />
zufolge dann als Puffer zwischen dem<br />
Pavillon und der bestehenden Infrastruktur<br />
dienen. Eine Reihe von Fußwegen über<br />
dem Wasser würde die Verbindung<br />
aufrechterhalten. Dieses neue Hafenviertel<br />
für Vancouver soll schrittweise bis 2100<br />
errichtet werden. Dabei wird das sogenannte<br />
„Backshore“, das Land zwischen<br />
Ebbe und Flut, vergrößert, um Überschwemmungen<br />
und extreme Wetterereignisse<br />
besser auffangen zu können.<br />
Der gemeinschaftliche Gestaltungswettbewerb<br />
Sea2City lief über einen Zeitraum<br />
von zwölf Monaten. Die nächste Phase<br />
wird dann die Entwicklung eines Klimaanpassungsplans<br />
sowie eines Küstenanpassungsplans<br />
sein.<br />
<strong>G+L</strong> 7
1 800 EURO<br />
3-ZIMMER<br />
SOUTERRA<br />
KALT<br />
Deutschland befindet sich inzwischen seit<br />
vielen Jahren in einer Wohnkrise. Nun spitzt<br />
sie sich zu und stabilisiert ironischer Weise<br />
eine krisengebeutelte Bauindustrie. Warum in<br />
Deutschlands Städten jede dritte Familie auf<br />
zu engem Raum wohnt, wieso die Maßnahmen<br />
der Ampelkoalition nicht reichen, und<br />
was deutsche Städte gerade jetzt dringend<br />
tun sollten, das lesen Sie hier.<br />
THERESA RAMISCH<br />
14 <strong>G+L</strong>
WOHNEN IN DER STADT<br />
3-ZIMMER SOUTERRAIN, 1 800 EURO KALT<br />
IN,<br />
Laut empirischen Untersuchungen der<br />
Humboldt-Universität Berlin und der<br />
Goethe-Universität Frankfurt fehlten<br />
bereits im Jahr 2018 in 77 deutschen<br />
Großstädten fast zwei Millionen bezahlbare<br />
Wohnungen, darunter insbesondere<br />
1,4 Millionen günstige Apartments unter<br />
45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte.<br />
Wenig überraschend: Laut der<br />
Studie bestand 2018 besonders großer<br />
Mangel in Städten mit vielen<br />
Niedrigverdiener*innen (wie Berlin,<br />
Leipzig, Dresden) und in Großstädten mit<br />
hohem Mietniveau (wie München,<br />
Stuttgart, Düsseldorf). Die aktuellen<br />
Zahlen des Bundesamtes für Statistik<br />
bestätigen, dass sich die Situation in den<br />
vergangenen Jahren weiter verschärft hat.<br />
Der Wohnungsbestand ist seit 2018 bis<br />
2021 um insgesamt knapp 850 000<br />
Wohnungen gewachsen. Im gesamten<br />
Bundesgebiet. Die Lücke von zwei<br />
Millionen fehlenden Wohnungen in den<br />
Großstädten konnte nicht geschlossen<br />
werden. Das bestätigt auch eine jüngere<br />
Studie des Pestel-Instituts in Hannover im<br />
Auftrag des Bündnisses „Soziales<br />
Wohnen“. Demnach fehlen zum Zeitpunkt<br />
Januar <strong>2023</strong> mehr als 700 000 Wohnungen<br />
in ganz Deutschland – insbesondere<br />
Sozialwohnungen und bezahlbare Mietwohnungen.<br />
Das Bündnis spricht von<br />
der größten Wohnungsnot seit mehr als<br />
20 Jahren und fordert ein Sondervermögen<br />
von 50 Milliarden Euro von Bund<br />
und Ländern (drei Viertel vom Bund, den<br />
Rest von den Ländern), um den Wohnungsbau<br />
anzukurbeln.<br />
Besonders betroffen vom der Wohnungsmangel<br />
in Städten sind Familien und<br />
Menschen mit Migrationshintergrund. Das<br />
meldete das Institut für Deutsche Wirtschaft<br />
(‚IW‘) im Januar <strong>2023</strong>. Demnach<br />
leben jede dritte Familie und ein Fünftel<br />
der Menschen mit Migrationshintergrund<br />
in einer zu kleinen Wohnung. Das IW geht<br />
hierbei von der Definition von Eurostat aus<br />
und somit, dass eine Wohnung überbelegt<br />
ist, wenn nicht für jede Person im Haushalt<br />
rechnerisch ein Raum zur Verfügung steht.<br />
Der Wohnungsmangel kommt aber auch<br />
mehr und mehr in der Mittelschicht an.<br />
Dies bestätigte der Caritas-Berater Tobias<br />
Bellinghausen 2022 im Gespräch mit der<br />
Süddeutschen Zeitung.<br />
WOHNKOSTEN BELASTEN BESONDERS<br />
MIETER*INNEN, EINPERSONENHAUS-<br />
HALTE SOWIE ALLEINERZIEHENDE<br />
Von 2,0 auf 1,9 – so habe sich laut dem<br />
Bundesamt für Statistik die Zahl der<br />
Personen pro Wohnung von 2011 bis 2021<br />
verringert. Die Anzahl der Einpersonenhaushalte<br />
nimmt kontinuierlich zu. Zudem<br />
seien laut dem Statistischen Bundesamt die<br />
Nettokaltmieten in Großstädten inzwischen<br />
im Schnitt 30 Prozent höher als auf dem<br />
Land (Stand Dezember 2022). Veränderte<br />
Haushaltsstrukturen bei gleichbleibenden<br />
Wohnungen, höhere Nettokaltmieten allgemein<br />
und eine erhöhte Nachfrage nach<br />
Wohnungen besonders in der Stadt – dass<br />
Wohnen dabei auch noch teurer wird,<br />
überrascht nicht.<br />
Bei einer Wohnkostenbelastung von über<br />
40 Prozent des Haushaltseinkommens<br />
gelten Haushalte offiziell als überbelastet.<br />
Im Jahr 2020 traf dies auf 10,7 Prozent<br />
der Bevölkerung zu. Der Durchschnitt der<br />
Wohnkosten pro Haushalt lag laut Bundesamt<br />
für Statistik im Jahr 2021 bei 23,3<br />
Prozent des Haushaltseinkommens. Von den<br />
höheren Wohnkostenbelastungen seien<br />
tendenziell Mieter*innen, Einpersonenhaushalte<br />
sowie Alleinerziehende betroffen, so<br />
das Bundesamt für Statistik. Eine wirkliche<br />
Besserung ist nicht in Sicht: Auch wenn sich<br />
die Nettokaltmieten in Deutschland von Juli<br />
2021 auf Juli 2022 um „nur“ 1,7 Prozent<br />
erhöht haben, stiegen sie seit 2015 bis 2021<br />
um insgesamt 8,5 Prozent. Hinzu kommen<br />
die hohen Verbraucherpreise. Diese stiegen<br />
von Juli 2021 bis Juli 2022 um 7,5 Prozent.<br />
Die Nettokaltmiete sei laut dem Bundesamt<br />
für Statistik eine bedeutende Verbrauchsausgabe.<br />
Sie mache einen sehr großen Teil<br />
des Haushaltsbudgets aus, und sei damit in<br />
der Kasse der privaten Haushalte deutlich<br />
spürbar. Bei einer angenommenen<br />
Nettokaltmiete von 1 000 Euro läge<br />
folglich der monatliche Mehrbetrag durch<br />
die aktuelle Teuerungsrate durchschnittlich<br />
bei 17 Euro und summiere sich über das<br />
Jahr hinweg auf über 200 Euro.<br />
DÜSSELDORF ALS GÜNSTIGSTE<br />
GROSSSTADT<br />
Dass die Wohnkosten bald wieder sinken,<br />
ist aktuell unwahrscheinlich. Laut IW<br />
<strong>G+L</strong> 15
KOMMENTAR<br />
VOM HOFFEN<br />
UND SCHEITERN<br />
BEIM WOHNEN<br />
AUTOR<br />
Tobias Hager ist<br />
Journalist und<br />
Digitalisierungs-<br />
Experte. Seit 2020<br />
leitet er als Chief<br />
Content Officer die<br />
Medienmarken von<br />
Georg Media und ist<br />
dort ebenfalls für<br />
alle digitalen<br />
Themen zuständig.<br />
Wer sich den deutschen Wohnungsmarkt<br />
ansieht, erkennt schnell das Grauen. In<br />
vielen Metropolen ist es für weite Teile<br />
der Stadtbewohner*innen kaum noch<br />
möglich, eine passende und bezahlbare<br />
Wohnung zu finden. München führt hier<br />
sicher eine Art Negativliste an. Doch<br />
selbst in Städten, in denen es bis vor<br />
Kurzem zumindest auf dem Papier noch<br />
machbar schien, eine bezahlbare<br />
Wohnung zu finden, wie in Berlin,<br />
Stuttgart oder Köln, ist die Wohnungssuche<br />
für viele Menschen ein Ding der<br />
Unmöglichkeit geworden.<br />
Der Wohnungsmarkt ist enorm belastet.<br />
Deutschland scheitert nicht nur an der<br />
faktischen Integration von Einwander*innen,<br />
sondern bereits an der Frage,<br />
wo und wie diese denn wohnen sollen.<br />
Durch den Ukrainekrieg verschärft sich<br />
die Situation in den Metropolen nochmals.<br />
Vergessen sollten wir aber nicht, dass<br />
auch vor dem Ausbruch des Krieges ein<br />
eklatanter Notstand an bezahlbarem<br />
Wohnraum zu verzeichnen war. Nachdem<br />
Bundesbauministerin Klara Geywitz<br />
(SPD) ankündigte, für jährlich 400 000<br />
neue Wohnungen zu sorgen, entbrannte<br />
die Diskussion erneut. 400 000 neue<br />
Wohnungen für die Bundesrepublik<br />
Deutschland klingt erstmal ambitioniert,<br />
aber zumindest nach einer Lösung. Wer<br />
allerdings Branchenexpert*innen zuhört,<br />
lernt schnell, dass diese Anzahl an neuen<br />
Wohnungen pro Jahr weder genug noch<br />
realistisch umsetzbar ist. Abgesehen von<br />
nicht zu verachtenden Fördermaßnahmen<br />
der Bundesregierung, scheint der Wohnungsmarkt<br />
von der Politik allein gelassen<br />
zu werden. 100 000 Sozialwohnungen<br />
sollen in den 400 000 geplanten<br />
Wohnungen beinhaltet sein. Der soziale<br />
Wohnungsbau wird entsprechend massiv<br />
vom Bund gefördert, aber irgendwie spürt<br />
man nirgendwo Linderung und sieht erst<br />
recht keine Erfolge.<br />
HINDERNISSE FÜR DIE DEUTSCHE<br />
WOHNUNGSBAUPOLITIK<br />
2021 schaffte man es, nur 290 000<br />
Woh nungen fertigzustellen. Obgleich die<br />
Bedingungen damals erheblich bessere<br />
als heute waren. Man kann also nicht<br />
alles auf den Ukrainekrieg oder die<br />
Energiekrise schieben. Klara Geywitz<br />
räumte im Oktober 2022 gegenüber dem<br />
Deutschlandfunk ein, dass Deutschland<br />
aktuell grundsätzlich nicht die Kapazitäten<br />
habe, um 400 000 Wohnungen pro<br />
Jahr zu bauen. An diesem Punkt möchte<br />
sie mit ihrem Ministerium ansetzen. Doch<br />
worin liegen die aktuell größten Hindernisse<br />
für den deutschen Wohnungsbau?<br />
26 <strong>G+L</strong>
WOHNEN IN DER STADT<br />
KOMMENTAR: WOHNUNGSBAUPOLITIK<br />
400 000 neue Wohnungen will die neue Regierung unter<br />
Führung von Klara Geywitz künftig pro Jahr bauen. Davon<br />
100 000 Sozialwohnungen. Digitale Bauanträge sollen<br />
außerdem kommen. Aktuell sind diese Ziele kaum zu<br />
erreichen. Das bestätigt auch Bundesbauministerin Geywitz.<br />
Der Blick in die Gegenwart und Zukunft des deutschen<br />
Wohnungsmarktes lässt Immobilienfachleute, Bauwirtschaft<br />
und Mieter*innen ratlos zurück. Welche Verantwortung die<br />
deutsche Politik daran trägt und was jetzt zu tun ist.<br />
TOBIAS HAGER<br />
1. Tagesaktuelle Probleme<br />
Der Wohnungsbau ist sicher einer der<br />
Bereiche, der unter nahezu allen anderen<br />
Krisen leidet und besonders stark betroffen<br />
ist. Dennoch scheint in unserer Regierung<br />
zu wenig politischer Wille vorhanden zu<br />
sein, um für Linderung zu sorgen. So<br />
dämpfen steigende Zinsen, Energiekrise,<br />
Lieferkettenprobleme und politisch<br />
motivierte Hürden für den gesamten<br />
deutschen Mittelstand die Bauvorhaben.<br />
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes<br />
der Wohnungswirtschaft GdW,<br />
attestierte <strong>2023</strong> im Tagesspiegel: „Beim<br />
bezahlbaren Wohnungsbau liegen<br />
Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander<br />
wie kaum jemals zuvor. 400 000 neue<br />
Wohnungen werden jährlich mindestens<br />
gebraucht, weil zu dem ohnehin hohen<br />
Wohnungsbedarf viele Zuwanderer und<br />
Flüchtlinge, immer mehr Singlehaushalte<br />
und eine älter werdende Gesellschaft<br />
hinzukommen. Die Politik hat das zwar<br />
erkannt, handelt aber vollkommen konträr.“<br />
Er fordert ein auskömmliches und verlässliches<br />
Fördersystem von rund zehn Milliarden<br />
Euro jährlich. So sollen Kostenexplosionen<br />
vom Staat abgefangen werden.<br />
2. Fachkräfte- und Handwerkermangel<br />
Der Fachkräftemangel zieht sich in<br />
Deutschland durch alle Branchen und<br />
Bereiche. Die Baubranche trifft es<br />
besonders hart. Es fehlen dort nicht<br />
nur hochqualifizierte Planer*innen,<br />
Statiker*innen und Betriebswirt*innen,<br />
sondern allen voran auch Handwerker*innen<br />
und Bauspezialist*innen.<br />
Das in Kombination mit den enormen<br />
Lieferkettenschwierigkeiten und explodierten<br />
Kosten für Holz, Stahl und andere<br />
Baustoffe sorgt für Verzug beim Bau.<br />
Dadurch gibt es für Bauherr*innen kaum<br />
noch Planungssicherheit, und staatlich<br />
wird von dem Risiko wenig aufgefangen.<br />
So sprach Bundesbauministerin Geywitz<br />
2022 beim Deutschlandfunk von „… über<br />
840 000 Wohnungen im Bauüberhang.<br />
Das heißt, die sind genehmigt, aber noch<br />
nicht gebaut.“<br />
3. Fehlende Rendite, extreme Steuerbelastungen<br />
und Unwirtschaftlichkeit<br />
Wenn man als Unternehmen vor der<br />
Wahl steht, ob man ein Bürogebäude<br />
oder einen Wohnungskomplex baut,<br />
entscheidet man sich vermutlich meistens<br />
für das Bürogebäude. Kein Wunder,<br />
nachdem der Mietmarkt per Panikreaktion<br />
vollkommen überreguliert wird.<br />
Dadurch sinkt die Rendite von Wohnungsbauprojekten.<br />
Wenn mal<br />
ein Wohnbau entsteht, dann vorzugsweise<br />
im hoch preisigen Luxussegment. Dort<br />
<strong>G+L</strong> 27
ZUSAMMEN<br />
WOHNT MAN<br />
WENIGER ALLEIN<br />
Viele Menschen schließen sich zusammen, um ein Haus zu kaufen oder zu<br />
bauen – und dann gemeinsam dort zu wohnen. Ein Grund dafür können die<br />
Kosten sein, ob für das Gebäude oder die Mieten. Gemeinschaftliches Wohnen<br />
kann auch andere Vorteile haben, sei es fürs Wohnen im Alter oder für<br />
die ganze Stadtgesellschaft. Aber das Ganze hat auch seine Grenzen.<br />
ANNA MARTIN<br />
AUTORIN<br />
Anna Martin<br />
studierte Kunstgeschichte<br />
in München.<br />
Sie ist Editorial<br />
Trainee bei Georg<br />
Media.<br />
Noch ist auf dem fast quadratischen<br />
Grundstück in Ramersdorf, im Münchner<br />
Südosten, nicht viel zu sehen. An der<br />
Kante zur Straße ein Zaun und zwei<br />
Bäume. Weiter hinten ein rechteckiger<br />
Abdruck auf dem Boden, hier stand<br />
früher ein Haus. Ein Grundstück, auf<br />
dem länger niemand mehr gewohnt<br />
hat – so schildert es Mike. Das wird<br />
sich jetzt ändern: Mike, der beim<br />
Vornamen bleiben möchte, gehört zu<br />
einer Gruppe von neun Personen. Sie<br />
werden hier ein Haus bauen und, vor<br />
allem, gemeinsam wohnen. Ihr Wohnprojekt<br />
„Görzer128“ – benannt nach<br />
der Adresse – ist Teil des Mietshäuser<br />
Syndikats, einem bundes weiten Projektverbund.<br />
Das Syndikat hat ein Konzept<br />
entwickelt, wie sich gemeinschaftliche<br />
Wohnprojekte finanzieren und rechtlich<br />
organisieren können. Und die Projekte<br />
des Verbundes unterstützen sich gegenseitig,<br />
etwa durch Erfahrungsaustausch.<br />
EIGENE WOHNUNG – PLUS<br />
GEMEINSCHAFTSBEREICH<br />
Die Görzer128 ist ein Beispiel für ein<br />
Projekt, in dem Menschen gemeinschaftlich<br />
wohnen (oder wie hier wohnen<br />
werden). In ganz Deutschland gibt es<br />
gemeinschaftliche Wohnprojekte. Das<br />
FORUM Gemeinschaftliches Wohnen<br />
e.V., ein bundesweites Netzwerk, schätzt<br />
ihre Zahl auf 4 000 bis 5 000. Genaue<br />
Zahlen gibt es keine – nicht zuletzt, weil<br />
es nicht die eine Definition von gemeinschaftlichem<br />
Wohnen gibt, sagt Romy<br />
Reimer, Projektleiterin beim Forum. Es<br />
sei aber durchaus ein zunehmendes<br />
Interesse an gemeinschaftlichen Wohnprojekten<br />
zu beobachten.<br />
Auch in München scheint das Interesse<br />
da zu sein. Als die Stadt Mitte 2020<br />
das Grundstück in der Görzer Straße<br />
ausschrieb, fand sich die Gruppe, der<br />
Mike angehört. Im Frühling 2021 sagte<br />
ihnen die Stadt das Grundstück im Erbbaurecht<br />
zu. Anderthalb Jahre später<br />
reichten sie den Bauantrag ein; die<br />
Baugenehmigung konnten sie inzwischen<br />
bei der Stadt abholen.<br />
Für das Hausprojekt gründeten sie den<br />
Verein „Schwarmstimmung“ – benannt<br />
nach Honigbienen, die im Schwarm<br />
ausfliegen und eine neue Behausung<br />
suchen. „Drei aus unserem Team imkern“,<br />
erzählt Mike. Der Hausverein wiederum<br />
gründete mit dem Mietshäuser Syndikat<br />
die GmbH „Görzer128“, der das Haus<br />
34 <strong>G+L</strong>
WOHNEN IN DER STADT<br />
GEMEINSCHAFTLICHES WOHNEN<br />
gehören wird. Diese Struktur einer GmbH<br />
mit zwei Gesellschafter*innen – dem<br />
Verein und dem Syndikat – ist üblich für<br />
das Mietshäuser Syndikat. Sie soll einen<br />
zukünftigen Hausverkauf verhindern,<br />
denn dem müssten beide Gesellschafter*innen<br />
zustimmen.<br />
Finanzieren wird die Gruppe ihr Projekt<br />
durch Förderdarlehen, Bank- und Direktkredite.<br />
Die Mieten sollen niedrig sein,<br />
höchstens 11,50 Euro pro Quadratmeter<br />
– so die Auflage der Stadt München, die<br />
das Grundstück vergab. Die Wohnungen<br />
fördert die Stadt im Programm „München<br />
Modell-Genossenschaften“. Die Gruppe<br />
plant einen dreigeschossigen Holzbau mit<br />
Clustern für 14 Bewohner*innen: Neben<br />
einzelnen Wohneinheiten, mit eigenem<br />
Bad und Teeküche, sind Gemeinschaftsräume<br />
und -küchen geplant. Einen<br />
großen, halböffentlichen Raum im Erdgeschoss<br />
soll auch die Nachbarschaft<br />
nutzen können.<br />
VON 21 AUF ÜBER 4 000 MITGLIEDER<br />
Ein gemeinschaftliches Wohnprojekt: Das<br />
kann ein Mietshäuser-Syndikat-Projekt wie<br />
die Görzer128 sein, aber auch ein Projekt<br />
für Wohnen im Alter eines kommunalen<br />
Wohnungsunternehmens. Oder man baut<br />
als Gruppe Eigentumswohnungen und<br />
lebt anschließend gemeinschaftlich dort.<br />
Welche Rechtsformen möglich sind, wie<br />
sich ein Projekt finanziert, wer es verwaltet,<br />
wem ein Haus gehört, wer wie viel<br />
mitbestimmen kann – dafür gibt es viele<br />
Möglichkeiten. Als gemeinsamen Nenner<br />
sieht Romy Reimer in den Projekten das<br />
Nachbarschaftliche: Man lebt zusammen,<br />
hat regelmäßige Kontakte im Alltag.<br />
Darüber hinaus wirken die Projekte meist<br />
auch in die Stadtviertel hinein, erklärt<br />
sie. Und klar, auch in einer Studenten-<br />
WG wohnt man zusammen. Aber bei<br />
den Wohnprojekten ist es üblicherweise<br />
so, dass es abgeschlossene Wohnungen<br />
gibt und darüber hinaus gemeinsam<br />
genutzte Räume.<br />
Szenenwechsel in München: Etwas nördlicher<br />
gelegen, am Rande des neuen<br />
Quartiers Prinz-Eugen-Park, findet sich<br />
wagnisPark. Es ist das sechste Projekt<br />
der Wohnbaugenossenschaft wagnis.<br />
Insgesamt sieben hat sie bereits errichtet,<br />
ein anderes ist im Bau, und zwei weitere<br />
sind geplant. In den zwei Gebäuden<br />
im Prinz-Eugen-Park befinden sich 75<br />
unterschiedlich große Wohnungen. Die<br />
Holz-Beton-Hybridbauten plante das<br />
<strong>G+L</strong> 35
„DIE STADT HAT<br />
MAN UNS NUR<br />
GELIEHEN“<br />
Berlin ist nicht die einzige Stadt, die immer weiter wächst – doch wo sollen alle<br />
wohnen? Wir haben nachgehakt, bei Ingo Malter Geschäftsführer der STADT<br />
UND LAND und ihn zur Verantwortung von Wohnungsbaugesellschaften<br />
befragt. Warum er Berlin für günstig hält und und wie die STADT UND LAND<br />
Herausforderungen begegnen will – von steigenden Mietpreisbelastungen bis<br />
hin zu Deutschlands Klimaneutralität.<br />
JULIA TREICHEL<br />
Ingo Malter, Geschäftsführer<br />
der STADT UND<br />
LAND Wohnbauten-<br />
Gesellschaft mbH,<br />
kennt den Berliner<br />
Wohnungsmarkt<br />
gut – und hält die Stadt<br />
für günstig, wenn man<br />
die richtige Vergleichsgruppe<br />
wählt.<br />
Foto: © Jesco Denzel<br />
42 <strong>G+L</strong>
WOHNEN IN DER STADT<br />
WELCHE VERANTWORTUNG HABEN WOHNUNGSBAUGESELLSCHAFTEN?<br />
AUTORIN<br />
Julia Treichel<br />
absolvierte an der<br />
TU München den<br />
Bachelor und Master<br />
in Landschaftsarchitektur.<br />
Sie<br />
ist seitdem bei<br />
Valentien+Valentien<br />
tätig und engagiert<br />
sich nebenbei in<br />
Theorie und Praxis<br />
zu sozialen und<br />
gestalterischen<br />
Fragen der Umwelt.<br />
Berlin wächst. Im Jahr 2022 lebten dort<br />
so viele Menschen wie noch nie seit<br />
Beginn der Zählungen nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg. Bald wird die Hauptstadt vier<br />
Millionen Einwohner*innen fassen. Es ist<br />
eine Stadt, die viele anzieht. Eine attraktive<br />
Stadt, die große Freiheit und viele<br />
Angebote verspricht. Und eine günstige<br />
Stadt. Das sagt zumindest Ingo Malter,<br />
Geschäftsführer der STADT UND LAND<br />
Wohnbauten-Gesellschaft mbH. Die<br />
städtische Gesellschaft bewirtschaftet<br />
derzeit mehr als 51 000 Wohnungen<br />
im eigenen Bestand und über 10 000<br />
weitere Wohnungen im Auftrag Dritter.<br />
Hinzu kommen Gewerbeobjekte. Bereits<br />
seit 1924 gestalten sie so den Wohnungsmarkt<br />
in Berlin mit. Ingo Malter selbst ist<br />
nun seit über 30 Jahren in der Berliner<br />
Wohnungswirtschaft beschäftigt. Wenn<br />
jemand den Berliner Wohnungsmarkt<br />
kennt, dann er. Und er hält die Stadt<br />
für günstig – wenn man die richtige<br />
Vergleichsgruppe zu Rate ziehe. Andere<br />
europäische Großstädte wie Madrid oder<br />
Paris seien weitaus teurer. Tatsächlich<br />
zahlt man in Spaniens Hauptstadt im<br />
Durchschnitt rund 20 Euro pro Quadratmeter<br />
und in der französischen Metropole<br />
gar über 30. Es sind erschreckende<br />
Summen und Entwicklungen, die auch<br />
in Berlin Ängste schüren.<br />
WO KEINE RENTABILITÄT, DA AUCH<br />
KEINE INVESTITION<br />
Und so treten neben die positiven Attribute,<br />
die Ingo Malter der Stadt zuschreibt,<br />
auch neue, weniger frohe Schlagwörter.<br />
Wohnungsnot. Mietwahnsinn. Es sind<br />
Begriffe, die im derzeitigen Diskurs um<br />
die Immobiliensituation in der Hauptstadt<br />
unumgänglich scheinen. Malter hält nicht<br />
viel von dieser „sprachlichen Aufrüstung“:<br />
„Echte Wohnungsnot gibt es in Kriegsoder<br />
Erdbebengebieten. Das sind<br />
Begriffe, die nicht in Berlin zu platzieren<br />
sind. Ich würde mir wünschen, dass wir<br />
da dezidierter hinsehen“, sagt er. Es ist<br />
eine Forderung, nach der er sich in vielen<br />
Aspekten sehnt. Beispielsweise auch bei<br />
der Betrachtung nüchterner Zahlen auf<br />
dem Berliner Wohnungsmarkt. Vieles<br />
gehe im Moment durcheinander.<br />
Angebots- und Bestandsmietenpreise<br />
müssten getrennt betrachtet und dann<br />
sehr sorgfältig verglichen werden. Im<br />
Jahre 2022 lagen die Angebotsmieten<br />
für Wohnungen in Berlin bei durchschnittlich<br />
etwa 12,78 Euro pro Quadratmeter<br />
im Monat. Für Bestandsmieten betrug die<br />
Nettokaltmiete im Durchschnitt 6,52 Euro<br />
pro Quadratmeter im Monat. Es sind<br />
diese Mietpreise, auf die Ingo Malter<br />
verweist, wenn er von günstigem<br />
Wohnraum in Berlin spricht. Trotzdem<br />
ist er sich der Herausforderungen der<br />
Stadt bewusst.<br />
Da ist zum einen natürlich die hohe<br />
Inflationsrate. Diese trifft vor allem<br />
Menschen mit geringem Einkommen<br />
hart. Weiterhin hemmen die gestiegenen<br />
Bau- und Materialkosten bei gleichzeitig<br />
gestiegenen Zinsen die Branche. Bei<br />
einem Neubauprojekt sei die Investition<br />
erst nach rund 30 Jahren wieder<br />
eingenommen, sagt Malter. Dann<br />
müssten jedoch diese Bestände in<br />
Teilen schon wieder erneuert werden.<br />
„Es ist sozusagen ein Fass ohne Boden.<br />
Und auch wir städtische Unternehmen<br />
leben nicht von Steuergeldern, wie<br />
viele glauben“, erklärt Malter. Auf eine<br />
einfache Wechselbeziehung heruntergebrochen<br />
folgt also: Wo keine Rentabilität,<br />
da auch keine Investition. Und<br />
es gibt weitere Faktoren, welche die<br />
Preise beeinflussen.<br />
<strong>G+L</strong> 43
KOMMENTAR<br />
DIE LANDSCHAFTS-<br />
ARCHITEKTUR MUSS<br />
ZUR LEITPLANUNG<br />
DER ZUKUNFT<br />
WERDEN<br />
Klima, Nachhaltigkeit, Sicherheit, Energie – wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Und<br />
dazu kommt eine Krise des Wohnens. Wie können Planer*innen dazu beitragen, diese<br />
zu bewältigen? Und welche Verantwortung kommt der Landschaftsarchitektur beim Thema<br />
Wohnen in der Stadt zu? Diesen Fragen und mehr geht Landschaftsarchitekt Eike<br />
Richter nach.<br />
EIKE RICHTER<br />
48 <strong>G+L</strong>
WOHNEN IN DER STADT<br />
KOMMENTAR: WELCHE VERANTWORTUNG HAT DIE PLANUNG?<br />
AUTOR<br />
Eike Richter ist<br />
Landschaftsarchitekt,<br />
Partner im<br />
Berliner Büro LA.BAR<br />
Landschaftsarchitekten<br />
bdla, Mitglied im<br />
Arbeitskreis<br />
Nachhaltigkeit von<br />
Freianlagen der FLL<br />
und Koordinator<br />
BNB-Außenanlagen.<br />
Seit 2016 ist er<br />
Vorsitzender der<br />
Landesgruppe<br />
Berlin/Brandenburg<br />
des bdla und<br />
stellvertretender<br />
Vorsitzender des<br />
Arbeitskreises<br />
Stadtentwicklung<br />
und Partizipation<br />
der Architektenkammer<br />
Berlin.<br />
„Wohnen in der Stadt“ ist sicher eines der<br />
Themen, mit denen sich die Landschaftsarchitektur<br />
am intensivsten beschäftigt hat:<br />
Während es in der ersten Hälfte des<br />
20. Jahrhunderts um die Bewohnbarkeit<br />
der rasant gewach senen Städte ging und<br />
zum Beispiel die Volksparkidee geschaffen<br />
wurde, lag nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg der Wiederaufbau der Städte<br />
im Fokus. Später wurde deren Sanierung<br />
von städtebaulichen Fehlern aktuell, wie<br />
der autogerechten Stadt oder der Stadt<br />
der Moderne, unter dem Motto „Vom<br />
Abstandsgrün zum Gemeinschaftsgrün“.<br />
Parallel dazu entdeckten Städte und<br />
Bauträger*innen den Wert gut gestalteter<br />
Wohnquartiere, die wahlweise als<br />
„Wohnpark“ oder „Wohnen am Park“<br />
beworben wurden. In der Covid-19-<br />
Pandemie schließlich war das unmittelbare<br />
Wohnumfeld wichtiger denn je, wollte<br />
man als Stadtbewohner*in, in Ermangelung<br />
von Reisemöglichkeiten und sonstiger<br />
Zerstreuungen, vermeiden, dass einem<br />
„die Decke auf den Kopf“ fällt. Aktuell<br />
bekommt der Freiraum und das unmittelbare<br />
Wohnumfeld angesichts der sich<br />
verschärfenden Klimakrise eine neue<br />
Bedeutung darin, die Städte klimafest und<br />
anpassungsfähig zu machen: Ohne quasi<br />
flächendeckende Gebäudebegrünung<br />
und ökologische Konzepte, wie die<br />
Schwammstadt, wird ein „Wohnen in der<br />
Stadt“, wie wir es kennen, in Zukunft nicht<br />
mehr möglich sein.<br />
RASEN LÄSST DIE „ZWEITE MIETE“<br />
STEIGEN<br />
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen:<br />
Neben der erwähnten Klimakrise, der<br />
schon länger andauernden Nachhaltigkeitskrise,<br />
bei der vielfältige Belastungen<br />
auf zukünftige Generationen verschoben<br />
werden, und der teils unterschätzten<br />
Biodiversitätskrise, haben wir gerade<br />
erst die Coronakrise überwunden. Um<br />
uns nun in einer Sicherheits- und Energiekrise<br />
wiederzufinden?<br />
Begleitet und verstärkt werden diese<br />
Krisen durch eine ungewohnt hohe<br />
Inflation, was in Summe zu einer Wirtschaftskrise<br />
führen kann. Und in dieser<br />
Gemengelage, das soll hier Thema sein,<br />
haben wir offensichtlich eine „Krise<br />
des Wohnens“. Zuerst in den Ballungsräumen,<br />
nun aber vermehrt auch in<br />
Klein- und Mittelstädten: Zeichen dieser<br />
Krise sind stark steigende Mieten und<br />
Immobilienpreise für Grundstücke und<br />
Gebäude. Während es für einige<br />
aufgrund hoher Preise und geringem<br />
Angebot fast unmöglich ist, angemessenen<br />
Wohnraum zu finden, steigt der<br />
Pro-Kopf-Wohnflächenverbrauch und<br />
die Flächenversiegelung stetig. Was ist<br />
also zu tun, und was können wir als<br />
Planer*innen bewirken?<br />
Durch den interdisziplinären und integralen<br />
Ansatz der Landschaftsarchitektur<br />
sehe ich eine der wichtigsten Aufgaben<br />
<strong>G+L</strong> 49
„DEN MEHRWERT<br />
UNSERER FREIRÄUME<br />
VERMITTELN“<br />
Kostengünstiger Wohnungsbau – da können manchen Landschaftsarchitekt*innen schon einmal<br />
wenig qualitätvolle und schlecht ausgestattete Freiräume in den Kopf kommen. Dass das<br />
aber nicht sein muss und wie die Landschaftsarchitektur zu bezahlbarem Wohnraum beitragen<br />
kann, darüber unterhielten sich Lioba Lissner, hochC, und Eike Richter, LA.BAR.<br />
LIOBA LISSNER & EIKE RICHTER<br />
AUTORIN<br />
Lioba Lissner ist seit<br />
2017 Partnerin bei<br />
hochC Landschaftsarchitekten,<br />
wo sie<br />
seit ihrem Studium<br />
an der TU Berlin<br />
tätig ist. Sie hat<br />
einen Lehrauftrag an<br />
der Berliner Hochschule<br />
für Technik,<br />
ist seit Herbst 2022<br />
Vorstandsmitglied<br />
im bdla Berlin-<br />
Brandenburg und<br />
regelmäßig im<br />
hochC-eigenen<br />
Podcast „Let’s<br />
Talk Landscape“<br />
zu hören.<br />
Lioba Lissner und Eike Richter haben<br />
sich im Büro LA.BAR getroffen – einem<br />
passenden Ort für ein Gespräch zum<br />
Thema Wohnungsbau in Berlin. Denn<br />
hier, in der Springsiedlung in Berlin-<br />
Kreuzberg, wurde eine Wohnsiedlung<br />
aus den 1960er-Jahren als Vorzeigeprojekt<br />
für sorgfältig entworfene, dem<br />
Ort angemessene und zukunftsfähige<br />
Außenanlagen erneuert.<br />
Das Büro hochC hat modellhaft für einen<br />
großen Vermieter aus dem mittleren<br />
Preissegment gezeigt, welcher Mehrwert<br />
aus den Freiflächen zwischen den<br />
Wohnblocks generiert werden kann.<br />
Eyecatcher ist das auf die Loggien der<br />
Gebäude abgestimmte Farbkonzept aus<br />
Pastelltönen, welches sich in Plattenbelag<br />
und Ausstattungselementen konsequent<br />
wiederfindet. Trotz Fokus auf das<br />
Design ist die Anlage gezielt auf die<br />
Bedürfnisse der Bewohner*innen<br />
ausgerichtet und so robust, dass sie<br />
auch starken Nutzungsdruck aufnehmen<br />
kann. Im Sommer nutzen die Kinder die<br />
eigens für die Siedlung entworfenen<br />
Spielplätze rege, die großzügigen<br />
Grünflächen werden zum erweiterten<br />
Wohnraum. Um die Pflege der Freiflächen<br />
überschaubar zu halten, entwickelten<br />
die Planer*innen extensive<br />
Wiesenbereiche.<br />
Das Büro LA.BAR hat seinen Sitz in einem<br />
der zur Springsiedlung gehörenden<br />
Gebäude, einer ehemaligen Apotheke.<br />
Schon vor Fertigstellung der Freianlagen<br />
gab es einen regen kollegialen Austausch<br />
zwischen beiden Büros, insbesondere zur<br />
Gestaltung des Vorplatzes, auf den man<br />
vom Büro LA.BAR aus blickt.<br />
LL Wir sitzen hier an einem passenden<br />
Ort zusammen, um uns über Freiräume<br />
und kostengünstigen Wohnungsbau zu<br />
unterhalten. Ihr bearbeitet ja im Büro auch<br />
Wohnungsbauprojekte, immer wieder und<br />
seit Jahren.<br />
ER Ja, und dabei arbeiten wir in ganz<br />
unterschiedlichen Auftraggeberstrukturen.<br />
Das sehe ich auch als Herausforderung<br />
für die Landschaftsarchitektur:<br />
sich immer wieder auf neue Kontexte<br />
einzustellen.<br />
LL Was Wohnungsbauvorhaben eint, ist,<br />
dass unglaublich viele Funktionen auf<br />
meist kleiner Fläche untergebracht werden<br />
52 <strong>G+L</strong>
WOHNEN IN DER STADT<br />
WELCHE VERANTWORTUNG HAT DIE PLANUNG?<br />
Eike Richter vom Büro<br />
LA.BAR und Lioba<br />
Lissner von hochC<br />
unterhielten sich für<br />
dieses Heft darüber,<br />
welche Rolle die<br />
Landschaftsarchitektur<br />
bei kosten günstigem<br />
Wohnungsbau<br />
einnehmen kann.<br />
Foto: hochC/Claus Herrmann<br />
müssen. Das macht die Projekte oft ganz<br />
schön kompliziert. Fahrradständer, teils<br />
überdacht, Müllplätze mit kurzen Wegen,<br />
Spielplätze, Feuerwehrzufahrten, Ersatzpflanzungen,<br />
und alles barrierefrei und<br />
sicher beleuchtet.<br />
Es ist oft anspruchsvoll, das alles auf<br />
der Fläche unterzubringen und dabei<br />
gleichzeitig einen qualitätsvollen Freiraum<br />
zu schaffen.<br />
ER Und dann sind auch ökologische<br />
Funktionen zu beachten: Biotopflächen<br />
berechnen, Versickerungsanlagen planen<br />
oder die Fotovoltaik mit einer Dachbegrünung<br />
kombinieren. Oft muss man diese<br />
Themen im Projekt durchkämpfen – das<br />
macht es aber auch spannend.<br />
LL Wir wollen uns ja mit kostengünstigem<br />
Wohnungsbau beschäftigen: Viele<br />
Kolleg*innen, haben, wenn sie das<br />
Stichwort kostengünstig hören, wenig<br />
qualitätvolle und schlecht ausgestattete<br />
Freiräume vor Augen. So heranzugehen<br />
ist aber nicht nachhaltig: mit billigen<br />
Materialien zu bauen, wenn nachher<br />
womöglich der Unterhalt teuer und der<br />
gebaute Freiraum unattraktiv ist.<br />
ER Oft ist der Kostendruck auf die Freianlagen<br />
in der Gesamtschau wenig effektiv.<br />
Aus unserer Erfahrung sind Einsparpotenziale<br />
eher im Gesamtprojekt zu finden,<br />
Stichwort Nature-based Solutions.<br />
LL Richtig: Was Du bei Freianlagen<br />
sparen kannst, ist im Vergleich zum<br />
Gesamtvolumen meist wenig. Du wirst<br />
aber die Qualität des Freiraums empfindlich<br />
mindern.<br />
ER Da ist es eher sinnvoll, sich die<br />
späteren Unterhaltskosten genauer<br />
anzusehen. Wenn diese hoch sind, treibt<br />
das später die Nebenkosten, die sogenannte<br />
zweite Miete, nach oben. Da kann<br />
es zum Beispiel ein Weg sein, Pflanzungen<br />
zu planen, die nicht die klassische<br />
Hausmeisterpflege benötigen, sondern<br />
größere naturnahe Flächen anzulegen.<br />
LL Und damit schafft man auch biodiverse<br />
Freiräume. Wir haben als Freiraumplaner*innen<br />
einige Instrumente in der<br />
Hand, die Folgekosten zu senken: Wir<br />
versickern das Regenwasser und senken<br />
damit, neben anderen positiven Aspekten,<br />
die Abwassergebühr. Fassadenbegrünung<br />
<strong>G+L</strong> 53