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FN-Ausgabe-April-2023-web

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Till Mayer<br />

Putins Russland steht<br />

für einen aggressiven<br />

Nationalismus, der<br />

keine Grenzen achtet.<br />

„Es gibt keinen Frieden ohne Freiheit“<br />

Der Bamberger Fotograf Till Mayer über seine Arbeit in der Ukraine<br />

Fotos: Till Mayer<br />

Der gepackte Rucksack liegt<br />

im Wohnzimmer. Oben<br />

drauf der Schutzhelm mit<br />

dem Aufdruck „Press“. Till<br />

Mayer zieht wieder einmal<br />

in den Krieg. Mit dem Bus<br />

geht es in die Ukraine. Der<br />

Bamberger Kriegs- und Krisenfotograf,<br />

vielfach ausgezeichnet<br />

und für deutsche<br />

Tageszeitungen an der Front<br />

und im geschundenen Land<br />

unterwegs, will diesem Angriffskrieg<br />

mit seinen leidenden<br />

Menschen ein Gesicht<br />

und Gesichter geben. Seit<br />

Jahren warnt er schon vor<br />

der Ausweitung der Kampfhandlungen.<br />

Jetzt befürchtet<br />

er im <strong>FN</strong>-Interview einen<br />

europaweiten Krieg.<br />

„Stell dir vor, es ist Krieg und<br />

keiner geht hin“, hat Berthold<br />

Brecht mal gesagt. Du gehst hin<br />

- warum?<br />

Till Mayer: Weil das russische Militär<br />

die Ukraine heimsucht und<br />

terrorisiert. Wenn ein Land ein anderes<br />

überfällt, dann wehren sich<br />

angegriffene Menschen. Darüber<br />

berichte ich. Außerdem geht es<br />

um die Zukunft von Europa. Wenn<br />

Putin nicht gestoppt wird, werden<br />

wir in Deutschland in drei Jahren<br />

einen Krieg erleben.<br />

Eine düstere Prognose!<br />

Putin setzt auf einen republikanischen<br />

Sieg bei der Präsidenten-<br />

Wahl in den USA. Seine Trolle werden<br />

dafür in den sozialen Medien<br />

zu Hochform auflaufen. Führende<br />

Republikaner sprechen sich bereits<br />

klar gegen ein Engagement in Europa<br />

aus. Sie sind gegen eine US-<br />

Unterstützung der Ukraine. Putin<br />

hofft, dass bei einem republikanischen<br />

Präsidenten die USA ihren<br />

Nato-Verpflichtungen nicht mehr<br />

nachkommen. Dann wird er das<br />

Baltikum und Polen angreifen. Wird<br />

er in der Ukraine nicht geschlagen,<br />

macht sich seine Soldateska zuvor<br />

über Moldawien und Georgien her.<br />

Putin will ein russisches Imperium<br />

schaffen. Es geht nicht nur um die<br />

Ukraine. Es wird Zeit, dass wir Europäer<br />

das verstehen und besser für<br />

unsere eigene Sicherheit sorgen.<br />

Was macht der Krieg aus<br />

Menschen?<br />

Der 24. Februar 2022 hat das Leben<br />

aller Ukrainerinnen und Ukrainern<br />

völlig auf den Kopf gestellt. Millionen<br />

flohen vor dem Krieg. Im Osten<br />

und Süden verläuft die umkämpfte<br />

Front. Die Menschen im Westen<br />

des Landes erleben dennoch Raketeneinschläge.<br />

Keine Stadt ist vor<br />

Raketen- und Drohnenangriffen<br />

sicher. Kinder haben Angst vor dem<br />

täglichen Geheul der Sirenen. Ziel<br />

von Putins Angriffskrieg ist es, das<br />

ganze Land zu terrorisieren. Doch<br />

die Menschen verstehen, dass sie<br />

keine Alternative zum Kampf haben.<br />

Es gibt keinen Frieden ohne<br />

Freiheit. Dort, wo Russland als Besatzungsmacht<br />

herrscht, entstehen<br />

Foltergefängnisse, werden Zivilisten<br />

brutal ermordet. Es geht nicht darum,<br />

welche Fahne über dem Rathaus<br />

weht. Es geht um die Freiheit.<br />

Die Menschen der Ukraine wollen<br />

kein faschistisches Putin-Regime.<br />

Beschreibe das Arbeitsprofil<br />

eines Kriegsreporters...<br />

Jeder Journalist hat wohl sein eigenes<br />

Profil. Oft berichte ich über<br />

Kriege, die drohen, in Vergessenheit<br />

zu geraten. So war es auch mit<br />

der Ukraine. Der Krieg im Donbas<br />

geriet in Deutschland völlig aus<br />

dem Blickfeld. Ich dokumentiere<br />

ihn nun seit vielen Jahren als Langzeitprojekt.<br />

Dann begann 2022 die<br />

großangelegte russische Invasion.<br />

Mit langem Atem zu berichten,<br />

das ist mir wichtig. Seit 2007 mache<br />

ich das im Fall der Ukraine. So<br />

verdient man sich Vertrauen. Die<br />

Portaitierten erlauben mir, sie in<br />

ihrem Leben im Krieg zu begleiten.<br />

Manche von ihnen kennen mich<br />

seit vielen Jahren. Respekt ist der<br />

Schlüssel.<br />

Kannst du durchschlafen?<br />

Ich schlafe recht gut. Wenn man<br />

eine solche Aufgabe übernimmt,<br />

muss man eine gewisse Distanz<br />

wahren. Das heißt nicht, dass ich<br />

nicht emphatisch bin. Ein Arzt der<br />

Kinder-Onkologie beispielsweise<br />

hat einen fünfjährigen Patienten,<br />

der bald sterben wird. Er muss dem<br />

Kind beistehen. Aber eben auch<br />

zuhause die Tür zuziehen können,<br />

um für die eigene Familie da<br />

zu sein. Schafft er das nicht, wird<br />

seine Arbeit zu einer schwer ertragbaren<br />

Bürde. In der Ukraine ist für<br />

mich eine emotionale Distanz nicht<br />

leicht, weil viele Porträtierte Freun-<br />

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