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Eröffnungskonzert - 12. Int. Johannes-Brahms-Chorfestival und Wettbewerb

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DEUTSCH<br />

wie Rothko sie angeordnet hat, schuf eine ungebrochene Kontinuität.« Um einen der<br />

Malerei ebenbürtigen dramatischen Ausdruck zu erzielen, unterteilte Feldman das<br />

Werk in kontrastierende Teile: »Während es bei den Gemälden möglich war, Farbe <strong>und</strong><br />

Abstufung zu wiederholen <strong>und</strong> doch dramatischen Ausdruck zu bewahren, fühlte ich,<br />

dass die Musik eine Reihe äußerst gegensätzlicher Abschnitte brauchte […]: 1. eine<br />

ziemlich lange deklamatorische Eröffnung; 2. ein mehr gleich bleibender ›abstrakter‹<br />

Abschnitt für Chor <strong>und</strong> Glocken; 3. ein motivisches Zwischenspiel für Sopran, Viola <strong>und</strong><br />

Pauken; <strong>und</strong> 4. ein lyrischer Abschluss für Bratsche mit Vibraphonbegleitung, dem sich<br />

später der Chor mit einem Collage-Effekt anschließt.«<br />

Als Nonplusultra der Vokalpolyphonie gilt die Motette Spem in alium von Thomas<br />

Tallis, dem Hoforganisten der Tudors: ein faszinierendes Raumklang-Experiment,<br />

dessen Singularität nur dadurch eingeschränkt wird, dass es die direkte Antwort auf<br />

eine Komposition des italienischen Diplomaten <strong>und</strong> Komponisten Alessandro Striggio<br />

gewesen zu sein scheint, der London 1567 besucht hatte <strong>und</strong> bei dieser Gelegenheit<br />

eine 40-stimmige Motette aufführen ließ. Anschließend stellte der Duke of Norfolk<br />

öffentlich die Frage, ob denn keiner unserer »Englishmen« in der Lage wäre, »so good<br />

a songe« zu schreiben, worauf Tallis mit der Vertonung von Spem in alium antwortete –<br />

ebenfalls für vierzig Stimmen, genauer: für acht fünfstimmige Chöre, die, in Anlehnung<br />

an die venezianische Mehrchörigkeit den Raum akustisch erschließen, der zum Symbol<br />

des göttlichen Kosmos’ wird. Der Duke ließ das Werk vermutlich in seinem Landhaus<br />

Nonsuch Palace aufführen, in dem es einen achteckigen Speisesaal mit vier Emporen<br />

gab – ein Raum, in dem Tallis seine 40 Musiker ideal hätte aufstellen können, um die<br />

raffinierte Klangdramaturgie voll zu entfalten. Denn die Klänge scheinen spiralförmig zu<br />

rotieren (zunächst rechts herum <strong>und</strong> ab »qui irasceris« links herum) <strong>und</strong> korrespondieren<br />

antiphonal miteinander: in vier Gruppen zu zwei Chören, in zwei Gruppen zu vier<br />

Chören sowie in allen möglichen Abstufungen. Nach dieser kaleidoskopartigen Vielfalt<br />

faszinierender Klang- <strong>und</strong> Raumeffekte sorgen nach einem kurzen Moment der Stille<br />

alle Beteiligten für einen imposanten dramatischen Höhepunkt, der den Hörer auch<br />

heute noch ins Zentrum des klingenden Universums rückt.<br />

Das Gloria von Jan Sandström ist Teil der Missa a La Casa de la Madre y el Nino, die<br />

in der Zeit von 1992 <strong>und</strong> 1995 für Erik Westbergs Vokalensemble entstand. Bei dem<br />

besonderen Zusatz im Titel handelt es sich um den Namen eines Waisenhauses in<br />

Bogotá, in dem der schwedische Komponist ein Waisenkind adoptiert hat. Die Idee zum<br />

Gloria kam Sandström, wie er selbst bekannte, in einem Traum, den er so beschrieb:<br />

»In einer Kirche auf einem Berg hoch über Bogotá wiederholte ein Kinderchor<br />

ununterbrochen das Gloria, während mal das eine, mal das andere Kind mit dem Ausruf<br />

›Gloria in excelsis‹ aus der Menge heraustrat.« Diesen Wechsel zwischen Chor <strong>und</strong><br />

Vorsänger findet sich auch in der Komposition – realisiert mit Hilfe mehrere Sopran<strong>und</strong><br />

Tenorsoli, die wie einzelne entrückte Engelstimmen samt Echo wirken <strong>und</strong> die<br />

Raumwirkung durch eine dem Chor gegenüber gestellte Positionierung verstärken.

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