Erfolg Magazin Ausgabe 04-2023

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Wissen Arbeitet hart an ihrem perfekten Aussehen: Kim Kardashian 2006 und 2023. sodass unser Verständnis entsprechend begrenzt ist. Je mehr wir zu konkretisieren versuchen, was Perfektionismus ist, desto klarer wird uns, dass er ein multidimensionales und kompliziertes Konstrukt ist, das ganz individuelle Formen annimmt. In den letzten Jahrzehnten wurde erforscht, welche Befähigungsfaktoren dazu führen, dass es manchen perfektionistischen Menschen ausgesprochen gut geht, während andere leiden. Das Ergebnis war eine nicht ganz unumstrittene Zweiteilung in den adaptiven Perfektionismus »Perfektionismus« von Katherine Morgan Schafler 400 Seiten Erschienen: Mai 2023 kailash ISBN: 978-3-424-63227-9 (bei dieser Variante wird der Perfektionismus auf eine gesunde Art zum eigenen Vorteil genutzt) und den maladaptiven Perfektionismus (das ist die ungesunde Variante des Perfektionismus). Die Forschung zeigt, dass der adaptive Perfektionismus – im Gegensatz zum maladaptiven – mit einer ganzen Reihe von Vorteilen verbunden ist, unter anderem mit einer höheren Selbstachtung, einem stärkeren Engagement bei der Arbeit, einem höheren psychischen Wohlbefinden und weniger gefühlten persönlichen Misserfolgen. Statt in ein negatives Bewältigungs- verhalten wie Rumination (Wiederkäuen) oder Konfliktvermeidung zu verfallen, gehen adaptive Perfektionisten auf eine problembezogene und lösungsorientierte Weise mit Stress um. Verglichen mit den maladaptiven Perfektionisten zeigen sie eine höhere Motivation, Ziele zu erreichen. Außerdem sorgen sie sich weniger und sind optimistischer, was zukünftige Leistungen betrifft. Vielleicht liegt das daran, dass der adaptive Perfektionismus sich als ein signifikanter Prädiktor für das Auftreten von »Flow«-Zuständen erwies – das sind Zustände einer intensiven, aber mühelosen Konzentration auf eine Aufgabe oder ein Ziel. Der Psychologieprofessor und Forscher Dr. Joachim Stoeber ist ein führender Perfektionismus-Experte. Er veröffentlichte das wegweisende Werk The Psychology of Perfectionism: Theory, Research, and Applications, in dem er einen umfassenden Überblick über die Perfektionismus-Forschung gab, und untersuchte zusammen mit der angesehenen Psychologieprofessorin und Forscherin Dr. Kathleen Otto die Arten, auf die adaptive Perfektionisten erfolgreich sind. Interessanterweise verglichen Stoeber und Otto dabei adaptive und maladaptive 32 www.erfolg-magazin.de . Ausgabe 04/2023 . ERFOLG magazin
Wissen Bilder: IMAGO / Picturelux (Ima Kuroda) / ZUMA Wire (Photo Image Press), Depositphotos / Syda_Productions, Cover: kailash Perfektionisten nicht nur miteinander, sondern auch mit Nicht-Perfektionisten. Von diesen drei Gruppen schnitten die adaptiven Perfektionisten beim Selbstwertgefühl und bei der Kooperationsfähigkeit am besten ab. Zudem zeigten sie eine geringere Neigung zu Prokrastination, Defensivität und maladaptivem Bewältigungsverhalten und hatten weniger zwischenmenschliche Probleme und somatische Beschwerden. Weitere Studien, in denen adaptive Perfektionisten, maladaptive Perfektionisten und Nicht-Perfektionisten befragt und miteinander vergleichen wurden, ergaben, dass die adaptiven Perfektionisten am meisten Sinnhaftigkeit, subjektives Glück und Lebenszufriedenheit empfanden. Wie bereits frühere Studien zeigten, sind adaptive Perfektionisten zudem weniger selbstkritisch und am meisten daran interessiert, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Weil von den drei untersuchten Gruppen die adaptiven Perfektionisten die geringste Neigung zu Ängsten und Depressionen zeigten, wurden weitere Studien durchgeführt, um herauszufinden, ob der adaptive Perfektionismus als Schutzfaktor gegen Ängste und Depressionen dienen kann oder nicht. Kann der adaptive Perfektionismus die emotionale Sicherheit erhöhen und das Wohlbefinden fördern? Wie sich herausstellte, kann er das tatsächlich. Im Mainstream-Diskurs über den Perfektionismus kommt der adaptive Perfektionismus gar nicht vor. Stattdessen wird das gesamte Spektrum des Perfektionismus immer wieder auf die negativen Aspekte reduziert und pauschal verdammt. Das heißt, dass es in den allermeisten Diskussionen über den Perfektionismus eigentlich nur um den maladaptiven Perfektionismus geht. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Wellnessbranche differenzierte Schemata zu einem grob verallgemeinerten Konzept verkürzt. Wer erinnert sich nicht an den Low-Fat-Wahn der Neunzigerjahre? Damals wurde alles Fett als schlecht und ungesund betrachtet. Es wurde nicht zwischen ungesättigten Fetten (zum Beispiel in Avocados) und Transfetten (zum Beispiel in Doughnuts) unterschieden. Fett war schlecht. Fettarm war gut, fettfrei am besten. Da unser Verständnis des Perfektionismus wächst, werden einseitige Sichtweisen des Konstrukts mit der Zeit aufgegeben werden. Bisher hat die Auffassung, dass Perfektionismus schlecht ist, aber noch einen festen Platz in der modernen Psyche. Wir denken, wenn wir unseren Perfektionismus nur irgendwie loswerden könnten, wie die vielen Selbsthilfebücher es uns lehren, dann würde unser Leben in jeder Hinsicht besser. Oder anders ausgedrückt, wenn wir es uns nur ein für alle Mal abgewöhnen könnten, perfektionistisch zu Das gesamte Spektrum des Perfektionismus wird immer wieder auf die negativen Aspekte reduziert und pauschal verdammt. Maladaptiver Perfektionismus ist für viel Betroffene purer Stress. sein, und lernen würden, eine andere Version (insbesondere eine »ausgeglichenere« Version) von uns selbst zu werden, dann könnten wir endlich verschnaufen, glücklich sein und unser Leben wirklich genießen. Schön wär’s. Abgesehen davon, dass die pauschale Pathologisierung des Perfektionismus eine grobe Falschdarstellung dieses viel umfassenderen Konstrukts ist, ist der Ausmerzungsansatz (so wirst du deinen Perfektionismus los) schlicht zum Scheitern verurteilt. Perfektionistische Menschen aufzufordern, nicht mehr perfektionistisch zu sein, ist so, als würde man wütende Leute auffordern, sich zu beruhigen. Das hat in der Geschichte der Menschheit noch nie funktioniert. Doch obwohl wir es besser wissen müssten, versuchen wir weiterhin hartnäckig, perfektionistische Menschen dazu zu bringen, sich in das Mittelmaß zu verlieben. Das wird nicht passieren. Wenn jemand sich als perfektionistisch betrachtet, ist das ein dauerhaftes Identitätsmerkmal. Wir reden nicht nur phasenweise von unserem Perfektionismus, weil wir ihn nicht nur phasenweise erleben. Zum Beispiel könnte jemand sagen: »Nach dem College machte ich eine depressive Phase durch.« Aber wir machen keine perfektionistische Phase durch. Wir erleben unseren Perfektionismus instinktiv, als einen tiefsitzenden und festen Bestandteil unserer Persönlichkeit, also ganz anders als eine äußere Erfahrung. Perfektionistische Menschen nehmen ihr Leben lang die Kluft zwischen der Wirklichkeit und dem Ideal wahr und verspüren stets den Impuls, diese Kluft aktiv zu überbrücken. Der Perfektionismus ist also eine psychische Konstante. Für Menschen, die sich als perfektionistisch empfinden, ist das ein bleibender Teil ihrer Identität. Das stellte ich bei meiner Arbeit immer wieder fest. Auch in der Forschung besteht inzwischen Einigkeit darüber, dass »perfektionistisch sein« ein dauerhafter Identitätszustand ist. Jeder Versuch, deinen Perfektionismus loszuwerden, ist so sinnlos als würdest du versuchen, den Wind mit einem Besen aufzuhalten. Der Perfektionismus ist zu mächtig, um ihn auszumerzen. Wenn du versuchst, ihn wie eine schlechte Angewohnheit abzulegen, um dir etwas Gutes zu tun, vergeudest du lediglich Energie. Perfektionismus soll nicht zerstört, sondern gesteuert werden. (Übrigens soll er auch genossen werden, aber dazu kommen wir später). Um etwas erfolgreich steuern zu können, muss man fähig sein, es sowohl in seinen Anfängen als auch in seinen fortgeschrittensten Stadien zu erkennen – und in allen Zwischenstadien ebenfalls. Zunächst müssen wir besser verstehen, was Perfektionismus ist. ERFOLG magazin . Ausgabe 04/2023 . www.erfolg-magazin.de 33
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