VdK-RhPfalz_JuliAug_2023
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Gesundheit Zeitung Juli/August <strong>2023</strong> 7<br />
Das Alter ist oft nur eine Zahl<br />
Sportwissenschaftler Dr. Dr. Michael Despeghel erklärt, was das biologische Alter ist und wie man sich verjüngen kann<br />
Foto: despeghel & Partner<br />
Die Altersangabe im Pass entspricht<br />
oft nicht dem tatsächlichen<br />
körperlichen und geistigen Zustand<br />
eines Menschen. Senioren mit<br />
grauen Haaren und Falten im Gesicht<br />
können leistungsfähiger sein<br />
als junge Menschen im besten Alter.<br />
Wie man sein sogenanntes biologisches<br />
Alter verjüngen kann, erfuhr<br />
die <strong>VdK</strong>-ZEITUNG vom Sportwissenschaftler<br />
und Ernährungsexperten<br />
Michael Despeghel.<br />
Herr Despeghel, was versteht man<br />
unter dem biologischen Alter?<br />
Das biologische Alter sagt aus, wie<br />
alt man wirklich ist, bezogen zum<br />
Beispiel auf Leistungsfähigkeit,<br />
Gesundheit, Kreativität oder darauf,<br />
wie ich mich im Alltag einbringe.<br />
Das kalendarische Alter,<br />
das in meinem Pass steht, muss<br />
nicht mit meiner Leistungsfähigkeit<br />
übereinstimmen. Ich kann<br />
daran nicht ablesen, wie ich mit<br />
meinem Körper umgegangen bin.<br />
Um wirklich herauszufinden, wie<br />
alt man ist, müsste man den Menschen<br />
aufschneiden und sich die<br />
Gefäße anschauen. Im Alter verengen<br />
sich die Arterien, es kann<br />
beispielsweise zu einer Arteriosklerose<br />
kommen, die zu einer<br />
Verengung und Versteifung der<br />
Blutgefäße führt. Die meisten Todesfälle<br />
in Deutschland sind auf<br />
Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
Michael Despeghel veröffentlicht<br />
Bücher zu Gesundheitsthemen.<br />
Körperliche Nähe und soziale Kontakte sind wichtig für die Gesundheit. Foto: picture alliance/Westend61/Emma Innocenti<br />
zurückzuführen. Es gibt 50-Jährige,<br />
deren Blutgefäße sind noch<br />
blitzsauber, und es gibt 50-Jährige,<br />
da sind die Arterien schon richtig<br />
verlegt. In welchem Stadium ich<br />
mich befinde, hängt zum einen von<br />
der Genetik ab, das macht circa 20<br />
Prozent aus. Der Rest ist die Qualität<br />
des Lebensstils. Im Durchschnitt<br />
sind die Menschen in<br />
Deutschland sieben Jahre älter, als<br />
es in ihrem Pass steht. Studien<br />
haben ergeben, dass das biologische<br />
Alter etwa bei 40-Jährigen<br />
zwischen 28 und 61 liegen kann.<br />
Es gibt viele Tests zur Bestimmung<br />
des biologischen Alters. Welche<br />
eignen sich besonders?<br />
Es gibt Tests, die viele medizinische<br />
Daten abfragen. Das ist dann<br />
natürlich hochindividuell. Aber<br />
das führt eigentlich zu weit. Ich<br />
habe für mein Buch „So senken Sie<br />
das biologische Alter“ mit der<br />
Justus-Liebig-Universität Gießen<br />
einen Test entwickelt, der gut<br />
durchführbar ist, aber keine hundertprozentige<br />
Garantie auf wissenschaftliche<br />
Genauigkeit erhebt.<br />
Im Wesentlichen geht es eher darum,<br />
anhand der Testergebnisse zu<br />
erkennen, dass es einige Dinge in<br />
meinem Leben gibt, die ich verändern<br />
sollte. Eigentlich ist jeder Test<br />
gut, der mich motiviert, meine<br />
Problemfelder anzugehen.<br />
Bewegungsmangel lässt sich zum<br />
Beispiel mit einem Schrittzähler<br />
gut ausgleichen. Mittlerweile kann<br />
man mit fast jedem Smartphone<br />
die Schritte zählen. Wenn es mir<br />
gelingt, 2000 Schritte täglich zu<br />
machen, habe ich ein um elf Prozent<br />
geringeres kardiovaskuläres<br />
Risiko. Komme ich auf 6000<br />
Schritte täglich, wenn ich über 65<br />
Jahre bin, ist das gut. Wenn ich<br />
unter 60 bin, sollten es 10 000 sein.<br />
Wenn ich mich über Monate daran<br />
halte, kann ich mir in meiner biologischen<br />
Altersbewertung drei<br />
Jahre gutschreiben. Ein weiterer<br />
Aspekt ist guter Schlaf, damit die<br />
Regeneration gelingt. Wenn der<br />
Körper keine ausreichenden Erholungsphasen<br />
bekommt, in denen er<br />
vom Kopf bis bis Fuß regenerieren<br />
kann, führt das zu einer veränderten<br />
Zellregeneration. Der Körper<br />
muss jede Nacht viele Milliarden<br />
Zellen erneuern. Bösartig entartete<br />
Zellen können besser von einem<br />
gesunden Immunsystem erkannt<br />
und zerstört werden. Auch Sexualität,<br />
körperliche Nähe und soziale<br />
Interaktion tragen zu körperlicher<br />
und geistiger Gesundheit entscheidend<br />
bei.<br />
Wie wichtig ist die Ernährung?<br />
Sie ist zentral. Die Ernährung sollte<br />
mediterranen Charakter haben,<br />
ein gutes Öl, entweder Olivenöl<br />
oder Leinöl, und nach Möglichkeit<br />
sollten zwei Stücke Obst und 400<br />
Gramm Gemüse an vier bis fünf<br />
Tagen in der Woche auf dem Speiseplan<br />
stehen. Darüber hinaus<br />
kann man in Maßen das naschen,<br />
was man für das innere Glücksgefühl<br />
braucht, zum Beispiel mal<br />
Chips oder Schokolade.<br />
Wichtig sind auch Ballaststoffe.<br />
Sie helfen, Darmkrebs vorzubeugen.<br />
Die Mehrzahl der Menschen<br />
in Deutschland nimmt pro Tag nur<br />
drei bis fünf Gramm davon zu sich,<br />
wir brauchen aber 30 bis 40<br />
Gramm. Das kann ich ausgleichen,<br />
indem ich Müsli esse, Obst, Gemüse<br />
oder Vollkornprodukte.<br />
Laut einer aktuellen Studie haben<br />
die Menschen in Deutschland im<br />
Vergleich zu ihren westeuropäischen<br />
Nachbarn eine geringere<br />
Lebenserwartung. Was machen wir<br />
falsch?<br />
Ich habe mich auch gewundert,<br />
dass die Lebenserwartung bis zu<br />
drei Jahre niedriger ist als etwa in<br />
Spanien. Eigentlich ist Deutschland<br />
ein reiches Land und sollte<br />
ein Gesundheitssystem haben, das<br />
vieles abfangen kann. Aber es fehlt<br />
oft an guten Zugängen zu Vorsorgemaßnahmen.<br />
Bei der Umsetzung<br />
seiner Möglichkeiten hat Deutschland<br />
viel nachzuholen. Das fängt<br />
an in der Schule. Inhalte, die sich<br />
mit Gesundheit, Ernährung und<br />
Lebensführung befassen, gehören<br />
auf den Stundenplan.<br />
Ein weiterer Aspekt ist die Kaufkraft.<br />
Wer gut verdient, kann sich<br />
ausgewogener und gesünder ernähren.<br />
Gute Öle, Früchte, Fisch,<br />
Nüsse sind teuer. Viele können<br />
sich das leider nicht leisten. Da<br />
sehe ich die Politik in der Pflicht.<br />
Was raten Sie jenen, die ihr biologisches<br />
Alter zurückdrehen wollen?<br />
Man sollte nicht versuchen,<br />
gleich sein ganzes Leben auf den<br />
Kopf zu stellen. Wenn ich etwas<br />
dauerhaft verändern will, dann<br />
muss das Schritt für Schritt gehen.<br />
Denn Veränderungen sind für alle,<br />
aber gerade für ältere Menschen,<br />
die absolute Herausforderung. Es<br />
lohnt sich, zuerst etwas zu verändern,<br />
das einem leichter fällt.<br />
Interview: Jörg Ciszewski<br />
Mangelernährung bleibt oft unbehandelt<br />
Untergewicht oder einseitige Ernährung erhöhen Risiko bei Operationen<br />
In deutschen Krankenhäusern werden<br />
die Auswirkungen einer Mangelernährung,<br />
etwa auf Krankheitsverlauf<br />
und den Erfolg von<br />
Operationen, nach Auffassung von<br />
Prof. Dr. Thomas Frieling, Chefarzt<br />
der Medizinischen Klinik II der Helios<br />
Privatklinik Krefeld, unterschätzt.<br />
Fast 30 Prozent der Neuaufnahmen<br />
in deutschen Krankenhäusern<br />
weisen eine Mangelernährung<br />
auf. Das ist das Ergebnis einer<br />
deutschlandweiten Studie aus dem<br />
Jahr 2006, die laut dem Gastroenterologen<br />
Prof. Dr. Thomas Frieling<br />
durch neuere Studien bestätigt<br />
wird. Unter Mangelernährung<br />
versteht man eine nicht ausreichende<br />
oder einseitige Ernährung.<br />
Am häufigsten wird sie bei Patientinnen<br />
und Patienten mit geriatrischen<br />
oder gastroenterologischen<br />
Krankheitsbildern sowie an<br />
Krebs erkrankten Menschen festgestellt.<br />
Ein besonderes Risiko<br />
bilden beispielsweise Tumorerkrankungen<br />
wie Speiseröhrenkrebs,<br />
Magen-Darmkrebs oder<br />
chronisch entzündliche Darmerkrankungen.<br />
Höheres Infektionsrisiko<br />
Frieling wies im Rahmen der<br />
Jahrespressekonferenz der Deutschen<br />
Gesellschaft für Gastroenterologie,<br />
Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten<br />
darauf hin,<br />
dass Mangelernährung insbesondere<br />
ein Problem vor größeren<br />
Operationen darstellt. Studien<br />
würden zeigen, dass die Häufigkeit<br />
von Komplikationen wie Infektionen,<br />
Wundheilungsstörungen und<br />
auch die Wahrscheinlichkeit zu<br />
sterben mit Mangelernährung zunimmt.<br />
In bestimmten Fällen sei es<br />
wichtig, den Ernährungsstatus zu<br />
verbessern, bevor eine geplante OP<br />
durchgeführt wird, so Frieling<br />
Als Problem nannte er, dass eine<br />
professionelle Ernährungsberatung<br />
in deutschen Krankenhäusern<br />
im Gegensatz zu anderen<br />
Ländern kaum stattfindet. Ernährung<br />
spiele nach wie vor in deutschen<br />
Krankenhäusern eine untergeordnete<br />
Rolle, obwohl sie eine<br />
große Bedeutung für Prognose,<br />
Komplikationen, Verweildauer<br />
und Kosten bei vielen Erkrankungen<br />
habe.<br />
Es sei ein Skandal, so Frieling,<br />
dass es keine Struktur für eine<br />
systematische Erfassung von Mangelernährung<br />
gibt. Mit qualitativen<br />
und standardisierten Bögen ließe<br />
sich der Ernährungsstatus bei<br />
Neuaufnahmen etwa durch Befragung,<br />
Erfassung von Gewicht,<br />
Größe sowie zusätzlichen Blutuntersuchungen<br />
gut feststellen und<br />
gegebenenfalls durch Ernährungsteams<br />
verbessern. Die Investition<br />
in professionelle Ernährungsteams<br />
würde durch eine Verringerung<br />
von Komplikationen mehr als<br />
kompensiert, sagte Frieling. Er<br />
forderte eine stärkere gesundheitliche<br />
Aufklärung in Kliniken und<br />
eine verpflichtende Feststellung<br />
des Ernährungsstatus bei Neuaufnahmen.<br />
Jörg Ciszewski