XPLR Magazin 04/2023
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N o 4<br />
Media <strong>Magazin</strong>e<br />
ÄSTHETISCHE ILLUSTRATION<br />
PERSON MIT FESSELNDEM BLICK<br />
ZEITUNG ZUM HÖREN<br />
IN EINER POSITIVEN STIMMUNG<br />
PERSON BLICKT IN DIE KAMERA<br />
--AR 2:3 --V 5.1<br />
RADIO REVOLUTION<br />
--S 750 ERGÄNZE SCHWEBENDE DIGITALE GADGETS<br />
NUTZE DIE FARBEN<br />
PINK, GELB<br />
LILA UND BLAU<br />
VERMITTLE DAS GEFÜHL<br />
VON HARMONISCHER<br />
SYMBIOSE AUS<br />
MENSCH UND<br />
MASCHINE<br />
INTEGRIERE MODERNE UND<br />
ÄLTERE MEDIENTECHNIK<br />
DIE NEUE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT<br />
ALTE KAMERAS, AR-GADGETS<br />
UND REICHERE DAS BILD<br />
MIT SYMBOLISCHEN<br />
FUTURISTISCHEN ELEMENTEN AN<br />
KLEIDE DIE PERSON<br />
IN EIN FUTURISTISCHES OUTFIT<br />
MIT ASYMMETRISCHEM AUFBAU<br />
MENSCH, MASCHINE, MUSIK: EINE NEUE KOMPOSITION<br />
ERGÄNZE EINE<br />
LICHTEINSTRAHLUNG, DIE HINTER DER<br />
LINKEN SCHULTER DER PERSON VON HINTEN EINSTRAHLT<br />
DAS NEUE WERKZEUG KI<br />
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ BIETET DER MEDIENBRANCHE<br />
GROSSE CHANCEN, STELLT SIE JEDOCH AUCH VOR HERAUSFORDERUNGEN.<br />
CASES UND DEBATTEN, DIE MEDIENSCHAFFENDE BEWEGEN.
EDITORIAL<br />
Servus<br />
wir sind:<br />
KLEINE<br />
GESCHICHTE<br />
DER KI<br />
1936<br />
Alan Turing beweist seine Theorie einer<br />
„Turingmaschine“. Dieses theoretische<br />
Modell zeigt erstmals, dass eine<br />
Rechenmaschine jedes Problem lösen<br />
kann, wenn es durch einen Algorithmus<br />
dargestellt und in Einzelschritte zerlegt<br />
werden kann. Er schafft damit die Basis<br />
für die Entwicklung von KI.<br />
Wir zeigen dir Menschen, die die Medienwelt<br />
von morgen gestalten, informieren dich<br />
über relevante Trends und entdecken für dich innovative<br />
Medienunternehmen aus Bayern.<br />
Künstliche Intelligenz wird die Medienbranche nachhaltig verändern,<br />
darin sind sich Expert:innen einig. Für Medienschaffende<br />
wirft das viele Fragen auf: In welchen Bereichen und auf welche<br />
Weise wird KI ihre Arbeit beeinflussen? Sind die neuen Tools<br />
eine Chance für mehr Effizienz und Glaubwürdigkeit? Und wie<br />
verliert man jetzt nicht den Anschluss?<br />
Wir haben bayerische Medienhäuser, Expert:innen und nicht<br />
zuletzt die KI selbst nach ihren Einschätzungen gefragt.<br />
Entdecke inspirierende Use Cases, praktische Tools und die<br />
Ergebnisse der „KI-Studie: Chancen, Risiken und Perspektiven<br />
für Medien“ im aktuellen <strong>XPLR</strong>: Media <strong>Magazin</strong>e.<br />
COVER: MIDJOURNEY<br />
Forschende definieren<br />
1956 1966<br />
den Begriff „künstliche<br />
Intelligenz“ auf<br />
der Dartmouth-Konferenz<br />
am gleichnamigen<br />
College im<br />
US-Bundesstaat New<br />
Hampshire.<br />
1972<br />
MYCIN geht als erstes Experten system<br />
auf Basis von KI in die Praxis. Das<br />
Programm ist eine Entscheidungshilfe<br />
für Ärzt:innen.<br />
Terrence J. Sejnowski<br />
und Charles Rosenberg<br />
erschaffen NETtalk:<br />
Das System ist<br />
das erste künstliche<br />
neuronale Netz. Es<br />
lernt durch Beispielsätze<br />
die korrekte<br />
Aus sprache von<br />
Begriffen und<br />
kann das auf unbekannte<br />
Begriffe über-<br />
1986<br />
tragen.<br />
Der deutsch-amerikanische<br />
Informatiker<br />
Joseph Weizenbaum<br />
vom MIT entwickelt den<br />
ersten Chatbot: ELIZA.<br />
1996<br />
Deep Blue von IBM gewinnt als erster<br />
Computer eine Partie Schach gegen<br />
den amtierenden Weltmeister Garri<br />
Kasparow, ein Jahr später gewinnt der<br />
Computer ein ganzes Turnier.<br />
<strong>2023</strong><br />
Das Boom-Jahr der KI. Was<br />
bedeutet das für Medienschaffende?<br />
2 3
INHALT<br />
02 EDITORIAL<br />
„Medienmenschen sollten<br />
mit einer offenen und neugierigen<br />
Haltung an KI herangehen.“<br />
CÉCILE SCHNEIDER,<br />
EXPERTIN AUS DER KI-STUDIE VON<br />
<strong>XPLR</strong>: MEDIA IN BAVARIA<br />
48<br />
26<br />
NEW<br />
NORMAL<br />
Maren Langbehn arbeitet bei<br />
P7S1 mit KI und entwickelt den<br />
Einsatz kontinuierlich weiter.<br />
52<br />
PRINT AUFS OHR<br />
Articly-Geschäftsführer<br />
Wolf Weimer und<br />
Lukas Paetzmann<br />
profitieren vom<br />
Audio-Boom.<br />
05 IMPRESSUM<br />
06 Q & A<br />
Wie sieht der Job von Prompter:innen<br />
aus? Kann KI Drehbücher<br />
schreiben? Und wie verändert KI<br />
das Theater? Medienschaffende<br />
geben Antworten.<br />
GESETZE FÜR<br />
DIE MASCHINE<br />
Wie stark sollte<br />
der Staat KI<br />
regulieren – und<br />
ist der AI Act<br />
ausreichend?<br />
KI-Studie:<br />
die Ergebnisse<br />
ab Seite 33<br />
12 RADIO REVOLUTION<br />
Radio Gong bietet mit dem<br />
RadioADMaker KI-generierte<br />
Radiowerbung. CEO Johannes Ott<br />
präsentiert das Tool.<br />
18 EINE NEUE KOMPOSITION<br />
Esther Fee Feichtner erklärt, wie<br />
Künstler:innen und Radiosender<br />
KI-generierte Musik zu ihrem Vorteil<br />
einsetzen können.<br />
24 EINE FRAGE DES<br />
VERTRAUENS<br />
Gefährden KI-generierte Inhalte<br />
die journalistische Glaubwürdigkeit?<br />
Ein Gespräch darüber, wie<br />
Medienhäuser die Leserschaft<br />
miteinbeziehen können.<br />
26 DIE NEUE<br />
SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT<br />
Der Einsatz von KI bei der Nachrichtenproduktion<br />
im P7S1-Newsroom<br />
lohnt sich vielerorts, sagt Vice<br />
President Maren Langbehn. Aber<br />
nicht überall.<br />
32 RADIODAYS EUROPE 2024<br />
Die europäische Audiokonferenz<br />
Radiodays Europe findet 2024 in<br />
München statt. Was Besucher:innen<br />
erwartet.<br />
33 KI-STUDIE<br />
Welches Potenzial bergen KI-Technologien<br />
für die Medienbranche?<br />
Wo liegen Risiken? Expert:innen<br />
geben Antworten.<br />
40 TECH-METROPOLE MÜNCHEN<br />
Zahlreiche innovative Unternehmen<br />
entscheiden sich für den<br />
Standort Bayern. Ein Überblick über<br />
die wichtigsten Player.<br />
42 TOOLS TO USE<br />
Beinahe täglich erscheinen neue<br />
KI-Tools auf dem Markt. Eine Auswahl<br />
an Programmen, die sich für<br />
Medienschaffende lohnen.<br />
44 WHAT’S THE PROMPT?<br />
Teste dich selbst im KI-generierten<br />
Bilderrätsel.<br />
46 EIN GESPRÄCH MIT DER KI<br />
Was weiß ChatGPT über die Medienbranche<br />
und den Standort<br />
Bayern?<br />
48 DIE MASCHINE IN<br />
FESSELN LEGEN?<br />
Muss der Einsatz künstlicher Intelligenz<br />
streng reguliert werden – oder<br />
bremst das die Innovationskraft aus?<br />
50 UNTER DEM RADAR<br />
Fünf bayerische Startups mit vielversprechenden<br />
Ideen.<br />
52 ZEITUNG ZUM HÖREN<br />
Das Audio-Startup Articly schreibt<br />
Erfolgsgeschichte, bei „Die Höhle<br />
der Löwen“ gelang der Durchbruch.<br />
Warum kommt vertonter Journalismus<br />
so gut an?<br />
58 HELLO FROM PASSAU<br />
Wie Dokumentarfilmerin Lisa Eder<br />
mit Augmented Reality neue<br />
Zielgruppen erreicht.<br />
FOTOS: MIDJOURNEY, AMELIE NIEDERBUCHNER, VERENA KATHREIN, MANUEL NIEBERLE<br />
18<br />
WIE KREATIV IST KI?<br />
Esther Fee Feichtner sieht in<br />
KI-generierter Musik eine neue<br />
Inspirationsquelle.<br />
HERAUSGEBER<br />
Medien.Bayern GmbH<br />
August-Everding-Straße 25<br />
81671 München<br />
Tel.: +49 (0)89 68 999 - 0<br />
Fax: +49 (0)89 68 999 - 199<br />
E-Mail: info@xplr-media.de<br />
Gefördert durch<br />
Geschäftsführer<br />
(verantwortlich)<br />
Stefan Sutor (Vorsitzender)<br />
Lina Timm<br />
Handelsregisternummer<br />
Amtsgericht München;<br />
HRB 134726<br />
USt.-IdNr.: DE 173127<strong>04</strong>8<br />
Medien.Bayern GmbH,<br />
Oktober <strong>2023</strong><br />
REDAKTION<br />
Nina Brandtner, Anne-Marie<br />
Zeif, <strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria<br />
Storyboard GmbH,<br />
Wiltrudenstraße 5,<br />
80805 München<br />
GESTALTUNG<br />
Storyboard GmbH<br />
DRUCK<br />
Peschke Solutions GmbH,<br />
Humboldtstraße 6,<br />
85609 Aschheim<br />
4 5
Q&A<br />
Q & A<br />
WELCHE THEMEN<br />
TREIBEN DIE<br />
MEDIENBRANCHE<br />
UM? UND WO<br />
LIEGEN DIE<br />
POTENZIALE VON<br />
MORGEN? HIER GIBT<br />
ES ANTWORTEN.<br />
WARUM<br />
NUTZT EINE<br />
ILLUSTRATORIN<br />
KI-GENERIERTE<br />
BILDER FÜR<br />
IHR BUCH?<br />
Ronit Wolf stattete ihr Kinderbuch<br />
„Subo der Blumendrache“ mit KI-generierten<br />
Bildern aus, obwohl sie es<br />
per Hand hätte machen können: Wolf<br />
ist selbst Designerin und Illustratorin.<br />
Dem technologischen Fortschritt begegnet<br />
sie mit Neugier – diese Haltung<br />
wünscht sie sich auch von anderen.<br />
Sie haben sich durch das Illustrieren<br />
Ihres Kinderbuchs intensiv mit künstlicher<br />
Intelligenz auseinandergesetzt.<br />
Was haben Sie dabei gelernt?<br />
Das größte Learning ist für mich, dass<br />
noch immer ich die Eingabe vornehme.<br />
Ich programmiere die KI nach<br />
meinen persönlichen Vorstellungen.<br />
Ich drücke die Knöpfchen und gebe<br />
die Prompts ein. Es ist ein Tool und<br />
FOTOS: „SUBO DER BLUMENDRACHE“ VON RONIT WOLF/MIDJOURNEY, MICHAEL FÖRTSCH<br />
Partner in crime, um an meine Ergebnisse<br />
zu kommen. Mir hat es einen unglaublichen<br />
kreativen Boost gegeben<br />
und ich konnte für meine eigenen<br />
Werke neue Ausdrucksmöglichkeiten<br />
finden. Wenn man eine künstlerische<br />
Transformation mit einem eingespielten<br />
Team durchmacht, dem man<br />
vertraut, ist das ähnlich. Diese neuen<br />
Möglichkeiten waren wichtig, denn<br />
für mein Kinderbuch wollte ich etwas<br />
Besonderes, ich wollte ein Kinderbuch,<br />
das sich die Kids selbst kaufen<br />
wollen – einfach, weil es irre und bunt<br />
ist. Kinder haben noch nicht dieses<br />
kategorielle Denken, was gerade in<br />
und out oder richtig und falsch ist – sie<br />
entscheiden nach Gefühl und nicht<br />
nach der Werbewirtschaft.<br />
Wie steht es um das Thema Urheberrecht<br />
in Bezug auf Ihre KI-generierten<br />
Illustrationen? Haben Sie Angst, dass<br />
Ihr Werk kopiert wird?<br />
Nein, davor habe ich keine Angst. Ich<br />
lebe seit elf Jahren in München und<br />
wurde schon oft kopiert; nicht zuletzt<br />
durch das Science & Fiction Festival.<br />
Ich habe das Festival fast eine Dekade<br />
hier in München veranstaltet und sehe<br />
Q & A<br />
nun ähnliche Formate überall in der<br />
Stadt verteilt.<br />
Als Künstler:in lernt man ja von anderen<br />
Künstler:innen und lässt sich von<br />
ihnen inspirieren. Wenn ich an meine<br />
eigene Studienzeit zurückdenke, da<br />
hat man zum Beispiel auch Werke von<br />
Egon Schiele oder Oskar Kokoschka<br />
kopiert. Wie heißt es so schön: „Nachahmung<br />
ist die höchste Form der<br />
Anerkennung.“<br />
Manche Menschen haben sogar Angst<br />
vor KI. Kann Ihre Arbeit helfen, ihnen<br />
das Thema näherzubringen?<br />
Mein Buch ist ein kleiner Beitrag,<br />
Kinder dafür zu sensibilisieren, dass es<br />
möglich ist, Gutes mit KI zu kreieren.<br />
Ich arbeite in der Kunstvermittlung<br />
mit jungen Menschen zusammen und<br />
sehe eigentlich immer, dass Vorurteile<br />
und Angst nur aus der Erwachsenenwelt<br />
heraus geschürt werden. Neugier<br />
und Interesse zu wecken dagegen<br />
sollte eine Aufgabe sein, der man sich<br />
stetig im Leben stellt. Das macht den<br />
Umgang mit KI einfacher.<br />
„Kunst wirkt – im besten Fall – inspirierend<br />
und aufklärend in die Gesellschaft<br />
hinein“, haben Sie einmal gesagt.<br />
Können das KI-generierte Bilder Ihrer<br />
Ansicht nach leisten?<br />
Das machen sie schon: Selten habe<br />
ich so viele Leute Bilder kreieren sehen<br />
wie jetzt. Allein dass Menschen, die<br />
weder malen noch zeichnen oder<br />
storyboarden können, plötzlich ihre<br />
Ideen visualisieren, ist großartig. Da<br />
kommt neue Inspiration aus unterschiedlichsten<br />
Milieus, die man ohne<br />
generative KI nie gesehen hätte. Meines<br />
Erachtens geht Aufklärung auch<br />
immer mit einer Competition einher.<br />
Weil die Leute besser werden wollen,<br />
interessieren sie sich dafür, wie etwas<br />
gemacht wurde.<br />
6<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />
7
Q & A<br />
Q & A<br />
Wenn man mit<br />
disruptiven Technologien<br />
MENSCH ODER MASCHINE – WER<br />
MACHT DIE FILME VON MORGEN?<br />
wie KI so grundlegend<br />
arbeitet wie wir, dann<br />
Prof. Dr. Sylvia Rothe ist KI-Professorin an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Ihren<br />
Studierenden möchte sie praxisnah vermitteln, wie KI in Filmen zum Einsatz kommen kann.<br />
ist auch die soziale<br />
und gesellschaftliche<br />
Verantwortung wichtig.<br />
Damit verbunden<br />
ist Aufklärungsarbeit:<br />
Warum sehen wir<br />
diese Technologie so<br />
positiv? Was muss der<br />
oder die Einzelne wissen,<br />
um ebenfalls verantwortungsvoll<br />
damit<br />
umzugehen? Gerade<br />
im Bereich der Medien<br />
und der Information<br />
sind diese Punkte besonders<br />
kritisch.<br />
Dagmar Schuller,<br />
CEO von audEERING –<br />
das Audio-KI-Unternehmen<br />
entwickelt B2B-Softwareprodukte<br />
für die Sprach- und<br />
Audioanalyse.<br />
WAS MACHT EINE<br />
PROMPTERIN?<br />
Der Publisher Ippen Digital beschäftigt seit dem Sommer eine KI-Prompt-<br />
Redakteurin. Alessandro Alviani, Product Lead NLP (Natural Language<br />
Processing), erklärt, wie die Zusammenarbeit aussieht.<br />
Was macht eine KI-Prompt-Redakteurin<br />
bei Ippen Digital?<br />
Unsere Prompterin arbeitet im<br />
großen Teamverbund KI. Ihre Aufgaben<br />
sind die Weiterentwicklung<br />
und Optimierung von Prompts in<br />
Zusammenarbeit mit den verschiedenen<br />
Redaktionen. Wir testen viele<br />
unterschiedliche Use Cases. Das Ziel<br />
sind standardisierte Prompts, die<br />
zielgerichtet ohne weitere Anpassungen<br />
im CMS integriert angewendet<br />
werden können, um die Barriere<br />
der Bedienbarkeit zu senken.<br />
Wie arbeiten die KI-Teams mit den<br />
Redakteur:innen zusammen?<br />
Wir arbeiten eng zusammen, die<br />
Grenzen sind fließend. Viele Redak-<br />
teure hospitieren bei uns in den KI-<br />
Teams. Sie testen Use Cases, geben<br />
direkt Feedback und helfen uns so<br />
u. a., unsere Prompts zu optimieren.<br />
Wir tauschen uns regelmäßig über<br />
Erfahrungen in der Nutzung aus. All<br />
das verbessert die Prompts und hilft<br />
bei der täglichen Arbeit.<br />
Was müssen Prompter:innen<br />
können?<br />
Einerseits muss man Neugier<br />
und eine mentale Flexibilität und<br />
Kreativität haben – Problemlösen<br />
im Grunde. Ebenso brauchen<br />
Prompter Grundkenntnisse im<br />
Programmieren. Das Wichtigste<br />
ist jedoch ein redaktioneller<br />
Background – also das Verstehen<br />
von journalistischen Grund- und<br />
Leitprinzipien, wie zum Beispiel<br />
Zitierregeln.<br />
Was ist die größte Aufgabe bei<br />
der Arbeit mit Prompts und deren<br />
Ergebnissen?<br />
Das Verständnis dafür zu schaffen,<br />
wo die Grenzen der Tools liegen.<br />
Wir wollen unbedingt, dass die<br />
Kollegen einen realistischen Blick<br />
auf die Tools bekommen – was sie<br />
können und was nicht – und mögliche<br />
Gefahren erkennen. Denn du<br />
brauchst immer eine menschliche<br />
Überprüfung der Endergebnisse.<br />
FOTOS: MARTIN NINK, SIMONE GUTBERLET, MIDJOURNEY, HFF MÜNCHEN/ROBERT PUPETER<br />
Werden zukünftig nicht mehr Menschen,<br />
sondern KIs mit der Goldenen<br />
Palme in Cannes ausgezeichnet?<br />
Ich hoffe nicht und, ehrlich gesagt,<br />
glaube ich es auch nicht.<br />
Hinter jeder KI-Anwendung<br />
stecken jede Menge Menschen,<br />
die sich überlegt haben, welche<br />
Aufgaben die KI lösen soll.<br />
Im Endeffekt sind sie es, die<br />
die Entscheidung treffen, ob die<br />
Ergebnisse der KI für ihre Zwecke<br />
brauchbar sind oder nicht. Die KI<br />
ist beispielsweise ein hilfreiches<br />
Tool, um Ideen von Menschen zu<br />
visualisieren oder Texte umzusetzen.<br />
Die ursprüngliche Idee ist<br />
aber die des Menschen.<br />
Werden Drehbücher bereits komplett<br />
mit KI erstellt?<br />
Technisch geht das sogar schon<br />
seit einer ganzen Weile. Die ersten<br />
Experimente gab es bereits<br />
vor ein paar Jahren, aber da hat<br />
die KI nur Blödsinn generiert.<br />
Heute ist die KI zwar weiter, aber<br />
Drehbuchautor:innen lassen sich<br />
nicht ihre kompletten Drehbücher<br />
von ihr schreiben. Sie nutzen<br />
sie eher als Sparringspartner:in:<br />
Sie geben ein Thema ein und<br />
lassen sich von den Ideen der KI<br />
inspirieren. Es entsteht eine Art<br />
Unterhaltung, aus der Loglines,<br />
Gliederungen oder Charaktere<br />
entstehen. Normalerweise würde<br />
man dafür eine:n Kolleg:in um<br />
Rat fragen, die oder der einem<br />
Tipps gibt – meist agieren diese<br />
Personen aber in einer ähnlichen<br />
Bubble wie die, in der man sich<br />
selbst befindet. Das Wundervolle<br />
an der KI ist, dass sie die Erfahrungen<br />
von sehr vielen Menschen<br />
bündelt. Dadurch spuckt<br />
die KI Ideen aus, auf die man<br />
sonst nie gekommen wäre.<br />
KI hat einen Bias – werden die Storys<br />
der Filme dadurch beeinflusst?<br />
Die KI hält uns gewissermaßen<br />
einen Spiegel vor: Sie greift auf<br />
die Daten des Internets zu, die<br />
wir selbst geschaffen haben,<br />
und zieht daraus Schlüsse, in<br />
denen wir wiederum einen<br />
Bias erkennen können. Ich sehe<br />
das auch als Chance, denn nur<br />
wenn wir den Bias erkennen,<br />
können wir ihn aktiv ändern.<br />
Ohne die Möglichkeit, diese<br />
Massen an Daten zu analysieren,<br />
würde uns das womöglich<br />
gar nicht auffallen. Die Anbieter<br />
und Nutzer:innen von KI-<br />
Modellen sind sich dessen<br />
bewusst und versuchen, hier<br />
gegenzusteuern. Deshalb<br />
glaube ich, dass keine Filme<br />
entstehen, die einen derartigen<br />
Bias eins zu eins übernehmen.<br />
Wo außer im Drehbuchbereich wird<br />
KI beim Film bereits eingesetzt?<br />
Das geschieht beispielsweise<br />
im Ton. Bei Dokumentarfilmen<br />
kommt es oft zu dem Problem,<br />
dass man die Stimme der<br />
Protagonist:innen vom Hintergrund<br />
oder von anderen Stimmen<br />
trennen muss. Momentan<br />
ist das noch sehr aufwendig,<br />
teilweise auch einfach nicht<br />
realisierbar. KI kann diesen<br />
Prozess effizienter machen.<br />
Auch Materialsortierungen für<br />
die Postproduktion werden<br />
mit KI-Tools erleichtert: Bestimmte<br />
Kameraeinstellungen<br />
einer Protagonistin oder eines<br />
Protagonisten oder spezielle<br />
Dialoge findet die KI leichter<br />
und schneller als ein Mensch.<br />
Komplizierte Kamerafahrten<br />
müssen zukünftig nicht mehr<br />
mit Schienen oder Seilbahnen<br />
durchgeführt werden, sondern<br />
können von der KI generiert<br />
werden. Gleiches gilt für teure<br />
Real-Life-Explosionen. In der<br />
Produktion können wir sie zudem<br />
für Machbarkeitsanalysen<br />
eines Drehs, Finanzprognosen<br />
oder Zuschauer:innen-Analysen<br />
verwenden. In Zukunft werden<br />
viele spannende Entwicklungen<br />
auf uns zukommen, vielleicht<br />
sogar personalisierte Filme. Ein<br />
Film, der für eine Person glücklich<br />
endet und für eine andere<br />
mit einem dramatischen Finale.<br />
8<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />
9
Q & A<br />
MARKETTE<br />
Q & A<br />
WIE VERÄNDERT KI DAS THEATER?<br />
Beim Staatstheater Augsburg und seiner Digitalsparte halten KI-gestützte Inszenierungen<br />
schon Einzug. Tina Lorenz, Leiterin des Digitaltheaters, erzählt, wie sie KI einsetzt.<br />
Wie wirken sich die aktuellen technologischen<br />
Trends auf den Kulturbereich<br />
aus?<br />
KI ist heute das große Thema. Der<br />
Hype um Blockchain und NFTs hat<br />
dagegen abgenommen. Die Herangehensweise,<br />
wie mit Technologie<br />
im Betrieb gearbeitet wird, hat sich<br />
geändert: So sind Angebote wie<br />
Livestreams, die wir in den letzten<br />
Jahren erschaffen haben, kein bloßes<br />
Pandemiephänomen geblieben<br />
und sind heute immer noch gefragt.<br />
Dazu kommt, dass viele Kulturbetriebe<br />
sich auch inhaltlich mit technologischen<br />
Entwicklungen auseinandersetzen.<br />
Und zwar nicht, weil es<br />
hip ist, sondern weil es wirklich ein<br />
gesellschaftliches Thema ist.<br />
Stichwort KI – wie gehen das<br />
Staatstheater Augsburg und<br />
das Digitaltheater mit KI um?<br />
Zum einen ganz utilitaristisch.<br />
Wir nutzen KI als Tool<br />
in unserem Betrieb – zum<br />
Beispiel beim Kürzen von<br />
allen möglichen Textarten.<br />
Aber wir gehen damit auch<br />
künstlerisch um, weil wir der<br />
Meinung sind: Um überhaupt<br />
in der Lage zu sein, Kritik<br />
zu äußern, müssen wir uns damit<br />
sehr genau auseinandersetzen.<br />
Das haben wir zum Beispiel beim<br />
Brechtfestival gemacht. Wir hatten<br />
den Brecht-Bot, eine auf Bertolt<br />
Brecht getrimmte KI auf Basis von<br />
GPT-3, mit dem wir gemeinsam<br />
Theaterstücke geschrieben haben.<br />
Die Resonanz war sehr positiv und<br />
es war ein Riesenspaß.<br />
Wo liegen die Chancen von KI für<br />
Ihr Theater und allgemein für das<br />
Theater?<br />
Vor allem in Verwaltungsprozessen<br />
des Betriebs sowie bei der Besucher:innen-Forschung.<br />
Hier wird<br />
noch so viel manuell erledigt. Mit<br />
KI kann ich effizienter arbeiten und<br />
meine Besucher:innen und ihre<br />
Vorlieben besser kennenlernen. Der<br />
Einsatz kann auch künstlerische<br />
Arbeitsabläufe erleichtern: Die KI<br />
nimmt Aufgaben ab und betreibt<br />
so Mitarbeiter:innen-Fürsorge. So<br />
entlastet man zum Beispiel Dramaturg:innen,<br />
die so mehr Zeit für die<br />
Textbearbeitung bekommen.<br />
Und wo sehen Sie Risiken?<br />
Am Theater gibt es nicht so viele Risiken,<br />
aber eines darf nicht passieren:<br />
Die menschliche Kuration darf nicht<br />
unter die Räder kommen. Eine KI<br />
als Large Language Model braucht<br />
immer Prompts, muss immer begleitet<br />
werden und braucht immer<br />
menschliche Kuration.<br />
FOTOS: JAN-PIETER FUHR, MAGNUS GLANS, LISA HINDER<br />
Wie genau kommt das KI-Tool ChatGPT<br />
bei gutefrage.net zum Einsatz?<br />
Seit Anfang des Jahres nutzen wir als<br />
Test in ausgewählten Themenwelten<br />
das GPT-3-Modell Davinci zur Beantwortung<br />
von Fragen, auf die es nach<br />
zwölf Stunden noch keine Antwort aus<br />
der Community gegeben hat. Dies ist<br />
bei etwa sechs Prozent aller User:innen-Fragen<br />
der Fall. Dabei werden alle<br />
durch das Sprachmodell gegebenen<br />
Antworten entsprechend gekennzeichnet.<br />
Die Antworten kommen von<br />
einem Account namens „brAIny“.<br />
WIE ARBEITET<br />
DER BR MIT KI?<br />
Uli Köppen ist Leiterin des AI + Automation<br />
Lab im Bayerischen Rundfunk. Das<br />
interdisziplinäre Team ist die Schnittstelle<br />
von Journalismus, Informatik und<br />
Produktentwicklung. KI und Automatisierung<br />
werden hier täglich für nutzerzentrierten<br />
Journalismus eingesetzt.<br />
WER BEANTWORTET DIE<br />
FRAGEN AUF „GUTEFRAGE.NET“?<br />
Die Frage-Antwort-Plattform gutefrage.net nutzt KI zur Moderation der<br />
Community-Beiträge. Neuerdings ist zudem ChatGPT im Einsatz, um<br />
Fragen der User:innen zu beantworten. Philipp Graf Montgelas steuert<br />
als CEO die Plattform seit Anfang 2021.<br />
KI-Bots wie ChatGPT beantworten<br />
heute jede Frage in Sekundenschnelle<br />
in einem einzigen Thread. Braucht es<br />
überhaupt noch ein Portal wie gute-<br />
frage.net?<br />
Wir bieten unseren User:innen den<br />
Austausch zu spannenden und<br />
aktuellen Themen, da geht es oft um<br />
persönliche Meinungen. Und unsere<br />
neuen Sub-Communitys sind von<br />
Dialogen geprägt – Meinungsvielfalt<br />
ist hier ein wichtiges Stichwort. Im<br />
Gegensatz zu den Wissensfragen, die<br />
KI beantworten kann, braucht es hier<br />
eine menschliche Komponente.<br />
Sie haben Anfang 2020 das AI + Automation<br />
Lab im BR gegründet, drei Jahre<br />
später kommt der KI-Boom. Hat die<br />
aktuelle Dynamik Auswirkungen auf<br />
Ihre tägliche Arbeit?<br />
Natürlich – das merken wir stark.<br />
Einerseits macht der Boom um KI die<br />
Zusammenarbeit mit vielen Redaktionen<br />
und Journalist:innen einfacher,<br />
weil wir unsere Arbeit weniger erklären<br />
müssen. Jetzt, wo jede:r selbst Erfahrungen<br />
mit KI machen kann, haben<br />
viele eine bessere Vorstellung von<br />
dem, was wir tun. Andererseits kommen<br />
durch generative KI auch viele<br />
Missverständnisse ins Spiel. Häufig<br />
ist die Rede von falschen Fakten, die<br />
durch KI entstehen – das kann stimmen<br />
bei Tools wie ChatGPT, aber nicht<br />
bei jeder Form der Automatisierung.<br />
Die Wahl des Tools hängt immer vom<br />
Use Case ab.<br />
Woran arbeiten Sie langfristig im AI +<br />
Automation Lab?<br />
Wir arbeiten an zwei großen Fragen:<br />
Wie können wir unsere Workflows<br />
Als eines der größten deutschen Online-Portale<br />
ist gutefrage.net auch von<br />
Hass und Hetze im Netz betroffen. Wie<br />
hilft die künstliche Intelligenz beim Aufspüren<br />
von digitaler Kriminalität?<br />
Wir nutzen dafür eine Vier-Säulen-Strategie.<br />
Diese besteht aus der<br />
Meldung kritischer Inhalte durch<br />
unsere Nutzer:innen, der Prüfung<br />
durch bezahlte Moderator:innen sowie<br />
User-Moderator:innen. KI unterstützt<br />
die menschliche Prüfung durch eine<br />
Pre-Moderation, die seit 2019 zum Einsatz<br />
kommt. Sie filtert direkt Hass- und<br />
Hetz-Kommentare heraus, die gegen<br />
unsere Richtlinien verstoßen.<br />
und Prozesse verbessern? Und<br />
welche journalistischen Produkte<br />
können wir basierend auf diesen<br />
Workflows entwickeln? Außerdem<br />
laufen parallel investigative Recherchen<br />
zu Algorithmen und Daten, die<br />
meist mittel- bis langfristig sind.<br />
Haben Sie Beispiele?<br />
Wir entwickeln mithilfe von Sprachmodellen<br />
neue Textservices für Journalist:innen.<br />
Diese Services können<br />
zum Beispiel Zusammenfassungen<br />
erstellen oder User:innen-Kommentare<br />
herausfiltern. Außerdem entwickeln<br />
wir automatisierte Formen, um<br />
unseren Content auszuspielen – zum<br />
Beispiel personalisierte Audioformate.<br />
Und wir arbeiten an größeren<br />
Recherchen zu Algorithmen, etwa<br />
zu KI-Recruiting-Systemen oder<br />
KI-Trainingsdaten. Dazu haben wir<br />
ein Whitepaper veröffentlicht, in dem<br />
man unsere Recherchemethoden<br />
nachvollziehen kann.<br />
10<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />
11
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
RADIO<br />
REVOLUTION<br />
DER MÜNCHNER LOKALSENDER RADIO GONG<br />
SETZT AUF KÜNSTLICHE INTELLIGENZ. MIT DEM<br />
RADIOAD MAKER KÖNNEN WERBETREIBENDE<br />
INNERHALB VON DREI MINUTEN EINEN<br />
RADIOSPOT TEXTEN, PRODUZIEREN UND<br />
BUCHEN. DIE BRANCHE BRAUCHT SOLCHE<br />
INNOVATIONEN, UM GEGEN PLAYER WIE<br />
FACEBOOK UND SPOTIFY ZU BESTEHEN.<br />
Radio Gong sendet bereits seit<br />
1985 auf der terrestrischen Frequenz<br />
96,3 MHz in München.<br />
TEXT<br />
LISA PRILLER<br />
FOTOS<br />
SEBASTIAN ARLT<br />
Johannes Ott ist seit 2021 Geschäftsführer<br />
von Radio Gong<br />
96,3. Ein Leben ohne Radio<br />
mag er sich nicht vorstellen.<br />
Vielen Menschen kommen<br />
die besten Ideen unter der<br />
Dusche. Dem Geschäftsführer<br />
von Radio Gong,<br />
Johannes Ott, kam sie beim<br />
Haareschneiden. Die Initialzündung für<br />
sein neues KI-gesteuertes Vermarktungstool<br />
lieferte sein Friseur Manuel. Er hatte<br />
auf Facebook eine Stellenanzeige geschaltet.<br />
Als Ott ihn fragte, warum er das nicht<br />
auf dem Sender mache, antwortete der<br />
Haarstylist: „Weil’s halt einfach einfach ist.“<br />
Dagegen sei Radiowerbung sicher kompli-<br />
ziert umzusetzen und bestimmt zu teuer.<br />
Damit hatte Manuel einen wunden Punkt<br />
getroffen. Konzerne wie Meta saugen der<br />
Radiobranche Werbegelder ab, die einzige<br />
Einnahmequelle der privaten Sender. Für<br />
Ott war sofort klar: Wir brauchen ein Tool,<br />
mit dem Werbekunden ihre Spots selbst<br />
kreieren können – ohne großen Aufwand<br />
und zum kleinen Preis. So wurde Manuel,<br />
der Ott oftmals schon gute Ideen für Radiobeiträge<br />
oder Senderformate geliefert<br />
hatte, zum Geburtshelfer des RadioAD-<br />
Makers.<br />
12<br />
13
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
„Wir wollen uns<br />
nicht alleine<br />
auf einen<br />
Algorithmus<br />
verlassen.“<br />
JOHANNES OTT<br />
DIE KI TEXTET,<br />
SPRICHT UND<br />
PRO DUZIERT DEN<br />
WERBEBEITRAG<br />
Die Handhabung des<br />
RadioADMakers ist denkbar<br />
einfach: Werbetreibende geben<br />
an, was sie bewerben wollen<br />
– zum Beispiel „Sechs Weißwürste<br />
zum Preis von vier. Nur<br />
an diesem Samstag bei Metzger<br />
Moser“ – und die KI liefert aus den<br />
Kerninformationen mehrere Textvorschläge.<br />
Dabei kommt ChatGPT zum<br />
Einsatz. Dann wählen Kund:innen aus<br />
verschiedenen Stimmen und Musik die<br />
passende Kombination aus und das Programm<br />
produziert mithilfe synthetischer<br />
Stimmen den fertigen Spot. Buchende<br />
können angeben, in welcher Region die<br />
Werbung ausgestrahlt werden soll – ob<br />
München, Freising, Starnberg oder auch<br />
im Bundesgebiet. Der Preis richtet sich<br />
nach der gewünschten Reichweite (Tausenderkontaktpreis<br />
TKP), gezahlt wird<br />
direkt auf der Plattform, zum Beispiel per<br />
Paypal oder Kreditkarte.<br />
DIE KI-BASIERTEN SPOTS DÜRFEN<br />
NICHT GLEICH INS HAUPTPROGRAMM<br />
Noch hört man den Spots an, dass sie<br />
von synthetischen Stimmen gesprochen<br />
werden. „Die Sprachsynthese ist noch nicht<br />
auf dem Niveau, das wir gerne hätten“,<br />
räumt Ott ein. Deshalb sind die KI-Spots<br />
bislang nur als sogenannte Pre-Streams zu<br />
buchen. Das heißt, sie laufen nicht auf dem<br />
UKW-Sender Radio Gong, sondern werden<br />
ausschließlich in den Webradio-Angeboten<br />
vor Start des Programms platziert. „Wir<br />
gehen jedoch davon aus, dass in spätestens<br />
einem Jahr kein Unterschied mehr<br />
zu hören sein wird“, sagt der Radiomanager.<br />
Perspektivisch sollen dann auch die<br />
hochwertigen Werbeeinblendungen mit<br />
maschineller Unterstützung produziert<br />
werden. Aber eben erst, wenn die Stimmqualität<br />
wirklich passt. Bislang kann die KI<br />
nur Hochdeutsch. In naher Zukunft soll es<br />
aber auch möglich sein, Spots in unterschiedlichen<br />
Dialekten auszuspielen.<br />
Worauf Ott und sein Sales-Team Wert<br />
legen: Jede Audiowerbung wird vor der<br />
Ausstrahlung von Mitarbeitenden geprüft.<br />
„Wir wollen uns nicht alleine auf einen Algorithmus<br />
verlassen“, so der Geschäftsführer.<br />
Der interne Prüfprozess gewährleistet,<br />
dass die Inhalte den Werberichtlinien<br />
entsprechen.<br />
„Dieses Angebot ist vor allem für kleine<br />
Betriebe reizvoll, die ohne großen Aufwand<br />
und ohne lange Vorlaufzeiten ihre<br />
Angebote platzieren möchten“, sagt Ott.<br />
Schlüsseldienste, Vereine oder ein Airbnb-<br />
Anbieter am Tegernsee gehören zum neu<br />
erschlossenen Kundenkreis. Sie profitieren<br />
von den – im Vergleich zu einem nicht<br />
KI-basierten Spot – deutlich niedrigeren<br />
Kosten. Ein Spot kostet 140 Euro pro 1.000<br />
Kontakte, inklusive Text, Moderation und<br />
Produktion. Je mehr Kontakte man bucht,<br />
desto günstiger wird es. Bei einer klassischen<br />
Buchung kostet allein die Produktion<br />
des Spots schon rund 500 Euro.<br />
KEINE ZUSÄTZLICHEN PERSONAL-<br />
KOSTEN IM SALES-BEREICH<br />
Radio Gong ist mit dem ADMaker Innovationsführer.<br />
Das neue Vermarktungstool<br />
„made in Munich“ kann auch von anderen<br />
Radiostationen genutzt werden. Ott zufolge<br />
klopfen Sender aus ganz Europa in<br />
München an. Sogar Anfragen eines großen<br />
Radio-Networks aus den USA gebe es.<br />
„Inzwischen haben wir den ADMaker AT<br />
mit Antenne Vorarlberg gestartet. Außerdem<br />
ist Audiotainment Südwest mit RPR1<br />
an Bord sowie 107,7 Stuttgart, Radio Ton,<br />
KulthitRADIO NRW, die Funkhäuser Würzburg<br />
und Aschaffenburg“, freut sich Ott<br />
über das Interesse im Markt. Die Branche<br />
begeistert sich für das Tool, das neue<br />
Kund:innen erschließt und dabei keine<br />
weiteren Personalkosten verursacht.<br />
MODERATIONEN OHNE MENSCHEN?<br />
FÜR OTT KEIN THEMA<br />
Ott hat mit dem RadioADMaker als einer<br />
der Ersten vorgemacht, wie KI-Tools eingesetzt<br />
werden können. Unterdessen ist<br />
die gesamte Branche elektrisiert von den<br />
vielen neuen Spielfeldern, die KI eröffnet.<br />
Bei den Lokalrundfunktagen in Nürnberg<br />
standen bei den Panels, in denen es um<br />
dessen Einsatz im Radiobusiness ging, die<br />
Besucher:innen bis vor die Türen. „Der Vorstoß<br />
von Radio Gong zeigt Unternehmergeist<br />
und eine ‚Erst mal machen‘-Mentalität,<br />
die in Zukunft noch stärker gefragt<br />
sein wird“, sagt Audiounternehmer und<br />
Radioberater Martin Liss, der auch Teil<br />
der Programmgruppe der Radiodays<br />
Europe ist.<br />
„Erst mal machen“, das hat sich<br />
auch das Medienhaus Audiotainment<br />
Südwest vorgenommen,<br />
zu dem die Sender BigFM und<br />
RPR1 gehören. Es plant ein neues<br />
Radioprogramm mit maschineller<br />
Unterstützung, das auf<br />
echte Moderator:innen verzichtet<br />
und trotzdem moderiert ist.<br />
Sender, die völlig ohne Moderator:innen<br />
auskommen,<br />
wie es von der Branche auf<br />
den Radiodays auch diskutiert<br />
wurde, schließt<br />
Ott für sein Haus erst<br />
einmal aus. „Ich kann<br />
mir nicht vorstellen,<br />
In nur drei Minuten<br />
zum fertigen Radiospot<br />
– das verspricht der<br />
RadioADMaker.<br />
14 15
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
dass Menschen ein Programm hören<br />
wollen, wenn hörbar ein digitales Wesen<br />
spricht“, sagt Ott. „Radio ist das Medium,<br />
das das höchste Vertrauen genießt, das<br />
wollen wir keinesfalls verspielen.“ Natürlich<br />
sei es sinnvoll, wenn die KI nachts<br />
das automatische Programm für eine<br />
Geisterfahrer-Meldung unterbreche, wenn<br />
kein:e Redakteur:in im Sender ist. Doch<br />
ansonsten müsse es im Radio menscheln.<br />
„Menschen wollen Menschen hören“, sagt<br />
„Radio ist<br />
das Medium,<br />
das das<br />
höchste<br />
Vertrauen<br />
genießt, das<br />
wollen wir<br />
keinesfalls<br />
verspielen.“<br />
JOHANNES OTT<br />
auch Liss.<br />
KÖNNEN INNOVATIONEN WIE DER<br />
RADIOADMAKER DIE LÖSUNG SEIN?<br />
Die gesamte Radiobranche steht vor Herausforderungen.<br />
Streamingdienste wie<br />
Spotify greifen Mediennutzungszeit ab,<br />
Social-Media-Giganten wie Meta Werbe-<br />
Euros. Der „Share of Ear“ und der Wettbewerb<br />
um die Vermarktungsgelder – das<br />
sind die beiden großen Pain Points der<br />
Sender. „Inzwischen hat sich herumgesprochen,<br />
dass der wahre Feind nicht der<br />
Nachbarsender ist, sondern die GAFA-Unternehmen,<br />
inklusive Spotify“, sagt Liss. „Es<br />
reicht schon lange nicht mehr, nur noch<br />
auf UKW präsent zu sein.“ Wer morgen<br />
noch mitspielen will, müsse sich schon<br />
heute als Audio-Content-Anbieter positionieren.<br />
„Livestreams, Sprachassistenten,<br />
Podcasts, Social Media, Newsletter und<br />
auch YouTube werden aus Content- und<br />
Sales-Sicht immer relevanter“, so die<br />
Einschätzung des Audioexperten. Es<br />
sei nur schlau, sich da zu zeigen, „wo<br />
sich die Zielgruppe tummelt“.<br />
Diese Kanäle bespielt Radio Gong<br />
auch. Dazu gibt es neben dem<br />
Hauptprogramm auf UKW zehn<br />
Web-Streams. Bei allen läuft ähnlicher<br />
Content aus Nachrichten, Service,<br />
Werbung und Moderation, nur die Musik<br />
ist unterschiedlich. Zudem wurde vor<br />
einem halben Jahr der DAB+-Sender<br />
089Kult gelauncht. „Über Erfolg oder<br />
Misserfolg entscheidet dann die Frage,<br />
ob die Hörer:innen die Inhalte auf den<br />
digitalen Ausspielwegen finden und ob<br />
die Sendungen gut empfangbar sind“,<br />
sagt Liss. Das sind sie offenbar. Laut<br />
Reichweitenerhebung MA <strong>2023</strong> IP Audio<br />
konnte Radio Gong im ersten Quartal seine<br />
Online- Audioreichweite im Vergleich<br />
zum vorangegangenen Quartal um zehn<br />
Prozentpunkte steigern.<br />
Johannes Ott hat sich den Herausforderungen<br />
des Marktes gestellt, auch mit<br />
dem RadioADMaker. Laut dem Senderchef<br />
hat die neue Technologie vielleicht<br />
sogar das Zeug zum „Tool der Zukunft“.<br />
Es könnte also sein, dass demnächst auch<br />
andere Radiomanager:innen bei Manuel<br />
in Giesing aufschlagen, die sich neben<br />
einem neuen Haarschnitt etwas Inspiration<br />
erhoffen.<br />
Kein Mikrofon mehr nötig: KI<br />
generiert den Werbetext mit<br />
einer synthetischen Stimme.<br />
Der RadioADMaker ist besonders<br />
für regionale Firmen von Vorteil:<br />
Bisher hatten viele wegen der<br />
hohen Kosten und des Aufwands<br />
auf Radiowerbung verzichtet.<br />
16<br />
17
HERO STORY<br />
TEXT<br />
MARTIN HAASE<br />
FOTOS<br />
MANUEL NIEBERLE<br />
Mensch<br />
Maschine<br />
Musik<br />
EINE<br />
NEUE<br />
Als Leiterin des Digitalisierungskollegs<br />
„Artificial Intelligence<br />
in Culture and Arts“ (AICA) verknüpft<br />
Dr. Esther Fee Feichtner Wissen<br />
aus Informatik und Musik.<br />
HERO STORY<br />
KÜNSTLICHE<br />
INTELLIGENZ KANN<br />
KOMPONIEREN.<br />
UND DAS IST EIN<br />
GEWINN FÜR<br />
MUSIKER:INNEN,<br />
MEINT DR. ESTHER<br />
FEE FEICHTNER.<br />
VON MENSCHEN<br />
KOMPONIERTE<br />
MUSIK KÖNNE EINE<br />
AUFWERTUNG<br />
ERFAHREN, DABEI<br />
SEIEN AUCH<br />
RADIOSENDER IN<br />
DER PFLICHT.<br />
18
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
Dr. Esther Fee Feichtner ist<br />
Musikerin und Diplom-Informatikerin.<br />
Eine ungewöhnliche<br />
Kombination? Ja, aber<br />
durch die Fortschritte bei der<br />
Entwicklung von künstlicher Intelligenz<br />
gibt es heute eine Schnittstelle zwischen<br />
beiden Professionen: KI-generierte Musik.<br />
Dr. Feichtner promovierte an den International<br />
Audio Laboratories Erlangen, heute<br />
ist sie die Leiterin des Digitalisierungskollegs<br />
„Artificial Intelligence in Culture and<br />
Arts“ (AICA). Studierende der Hochschule für<br />
Musik und Theater München und der Hochschule<br />
München sollen hier erfahren, wie sie<br />
KI für sich nutzen können. Dr. Feichtner ist<br />
überzeugt: In der Technologie liegt enormes<br />
Potenzial für die Medienlandschaft.<br />
Frau Dr. Feichtner, was ist das Ziel von<br />
AICA und gibt es vergleichbare Kollegs?<br />
Es geht darum, Künstlern die Möglichkeit<br />
zu geben, sich mit künstlicher Intelligenz<br />
zu beschäftigen. Wir möchten die Frage<br />
klären, was der eigene Beitrag an KI-generierten<br />
Inhalten ist. Gleichzeitig wollen wir<br />
die Angst vor der Technologie abbauen,<br />
damit sie künstliche Intelligenz als Werkzeug<br />
für sich entdecken. Wir besetzen mit<br />
AICA in München eine spezielle Nische mit<br />
dem Fokus auf der Kultur- und Kreativwirtschaft,<br />
andere Kollegs beschäftigen<br />
sich beispielsweise mit der Digitalisierung<br />
in der Agrarwirtschaft.<br />
Was fasziniert Sie an künstlicher Intelligenz<br />
aktuell am meisten?<br />
Ich persönlich finde es spannend, dass<br />
wir Begriffe neu definieren müssen, von<br />
denen wir gedacht haben, dass wir genau<br />
wissen, was wir damit meinen. Ein Beispiel:<br />
Wie versteht eine Maschine, was ein<br />
Apfel ist? Und ist dies dann ein anderes<br />
Verstehen als das von uns Menschen? Wir<br />
denken Apfel und haben vielleicht den<br />
Geschmack im Kopf, die Farben Rot und<br />
Grün, den Apfel als Symbol für Fruchtbarkeit,<br />
den Sündenfall und so weiter.<br />
Wir meinen zwar, dass Menschen dieses<br />
Verstehen besser können als die Maschine,<br />
aber KIs wurden mit dieser unglaublichen<br />
Vielfalt an Informationen trainiert<br />
und kennen mehr als ein menschliches<br />
Individuum. Der interessante Aspekt ist<br />
nun: Wie wichtig sind beim menschlichen<br />
Verstehen mit einem Objekt verknüpfte<br />
Emotionen und Empfindungen?<br />
Wenn KI viel mehr Informationen hat,<br />
kann sie dann kreativer als ein Mensch<br />
sein?<br />
Die meisten antworten bei dieser Frage<br />
„Nein“, aber da möchte ich zu bedenken<br />
geben: Unser Verständnis von Kreativität<br />
ist im Prinzip, wie KI arbeitet. Wenn<br />
Musiker ihr Leben lang Musik hören und<br />
sich dabei mit unterschiedlichen Stilen<br />
auseinandersetzen, fließen diese ganzen<br />
Erfahrungen in den Schaffensprozess<br />
ein. Wenn das komponierte Stück dann<br />
neuartig klingt, bedeutet das nur, dass der<br />
Komponist alle Eindrücke möglichst klein<br />
zerlegt und neu zusammengefügt hat. Je<br />
größer diese Teile sind und je mehr davon<br />
beim Zusammensetzen unverändert<br />
übernommen werden, desto mehr haben<br />
die Hörer das Gefühl, es sei ein Plagiat.<br />
Das heißt, die Frage, die wir uns in Bezug<br />
auf Kreativität stellen, ist: Wie groß wählt<br />
man diese Teile, die man vorher schon<br />
Unser Verständnis<br />
" von Kreativität<br />
ist im Prinzip, wie<br />
KI arbeitet."<br />
Dr. Esther Fee Feichtner sieht<br />
in KI eine Möglichkeit, Hemmschwellen<br />
abzubauen: Menschen<br />
müssen Mut aufbringen, um<br />
Experimente zu wagen – KI<br />
liefert schnelle Ergebnisse und<br />
dient so als leicht zugängliche<br />
Inspirationsquelle.<br />
gehört hat,und setzt sie neu zusammen?<br />
Und KI funktioniert nicht anders, hat aber<br />
durch die Menge an Trainingsdaten einen<br />
viel größeren Erfahrungsschatz. Obendrauf<br />
kommt noch, dass die KI mit dieser<br />
größeren Datengrundlage auch noch<br />
ungebremst von Angst vor eigenen oder<br />
äußeren Ansprüchen experimentiert. Der<br />
Mensch kann das nur, wenn er im Flow<br />
ist. In diesen Aspekten ist KI wesentlich<br />
kreativer als wir. Und wir müssen wieder<br />
schärfer definieren, was die menschliche<br />
Kreativität von der KI unterscheidet.<br />
Können Sie als Komponistin den Unterschied<br />
zwischen KI-erzeugter Musik<br />
und einem von einem Menschen komponierten<br />
Stück erkennen?<br />
Das kommt darauf an, wie viel Prozent<br />
KI-generiert sind. MusicGen, das Programm<br />
von Meta, erzeugt 30-sekündige<br />
Stücke. Das klingt richtig gut. Und wenn<br />
man jetzt ganz viele dieser halbminütigen<br />
Tracks erzeugt und vielleicht noch bei den<br />
Übergängen menschlich nachhilft, könnte<br />
ich das ohne bewusstes Hören wohl nicht<br />
mehr unterscheiden.<br />
Dass das so gut funktioniert, liegt auch<br />
daran, dass schon ohne den Einsatz von<br />
KI populäre Musik nach Durchschnittsmustern<br />
geschrieben wird und wir davon<br />
überschwemmt werden.Die meisten Hits<br />
folgen den gleichen Mustern. Diese Songs<br />
sind eingängig, weil sie gewohnt klingen.<br />
Das kann KI sehr gut kopieren. Aus diesen<br />
Gründen wird es immer leichter, das zu<br />
reproduzieren, was schon immer auf dem<br />
Musikmarkt war.<br />
20 21
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
Deswegen habe ich die Hoffnung, dass<br />
zum Beispiel Radiosender verstärkt auf<br />
die Suche nach sehr individueller Musik<br />
gehen. Denn wenn uninspirierte Durchschnittsmusik<br />
durch KI so einfach zu produzieren<br />
ist, kann das eine Chance sein,<br />
dass Kreative echte Neuerungen in den<br />
Musikmarkt bringen und sich Radiosender<br />
durch das Auswählen besonders kreativer<br />
Stile einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.<br />
Also kann einerseits von Menschen gemachte<br />
Musik sogar eine Aufwertung<br />
erfahren, wenn sie sich von dem, was<br />
von KI produziert wird, abhebt. Andererseits<br />
möchten Sie Musiker:innen KI<br />
als Werkzeug an die Hand geben. Wie<br />
geht das zusammen?<br />
Das fängt damit an, dass ich sehr einfach<br />
mit verschiedenen KI-erzeugten<br />
Akkordbegleitungen für meine Melodie<br />
herumspielen kann. Inzwischen<br />
könnte ich sogar aus einer Melodie<br />
einen ganzen Song generieren lassen<br />
und verschiedene Varianten auf Basis<br />
dieser Melodie anhören. Dann kann ich<br />
wählen, wie ich meine Melodie und die<br />
Aussage, die ich damit in die Welt bringen<br />
möchte, am besten unterstreichen<br />
kann.<br />
Aktuell schießen täglich unzählige<br />
KI-Tools aus dem Boden. Was raten Sie<br />
Künstler:innen in dieser Phase?<br />
Sie sollten einfach ein Tool wählen und<br />
damit das Prompten lernen. Denn egal,<br />
welches Programm man in zwei Jahren<br />
final verwendet: Das Grundprinzip bleibt<br />
das gleiche. Das ist, wie eine Programmiersprache<br />
zu lernen. Es wird keinen<br />
großen Unterschied machen, welches<br />
Tool man in seinen künstlerischen Werkzeugkoffer<br />
aufnimmt.<br />
Das Thema Radio hatten Sie schon<br />
angerissen. Was halten Sie von einem<br />
komplett KI-generierten Radiosender?<br />
Das kommt darauf an, wie die Sender KI<br />
einsetzen. Einerseits gibt es die Möglichkeit,<br />
diesen Sender so zu programmieren,<br />
wie zum Beispiel Spotify funktioniert. Da<br />
werden Annahmen gemacht und die KI<br />
wird mit Informationen gespeist wie: Die<br />
Zielgruppe ist 30 bis 38 Jahre alt, wohnt<br />
in Bayern und hört am liebsten eine bestimmte<br />
Reihe an Interpreten. Das ist für<br />
mich aber nur eine Spielerei, denn der<br />
Mehrwert von Radio fällt dadurch weg:<br />
das Kuratieren von Musik, der Hörerschaft<br />
eine Auswahl geben und immer wieder<br />
auch Neues vorstellen.<br />
Man könnte diesen KI-Radiosender aber<br />
auch so anlegen, dass er die Hörerschaft<br />
etwas fordert. Die KI spielt in dem Fall zunächst<br />
das Standard-Repertoire des Senders.<br />
Dann programmiert man einen Neuerungsfaktor:<br />
Zum Beispiel könnte man<br />
sagen, dass die KI drei neue Lieder am Tag<br />
mit aufnehmen soll. Das erhöht sich dann<br />
von Tag zu Tag. Das hat einen Mehrwert<br />
für die Hörerschaft, denn nur so kann sich<br />
Geschmack bilden. Der ergibt sich aus<br />
dem, was man kennt, plus einer kleinen<br />
Neuerung. So kann ein Radio sender noch<br />
stärker als heute dazu beitragen, dass die<br />
Öffentlichkeit empfänglicher wird für eine<br />
breitere Palette an Musikstilen.<br />
Warum braucht es dafür eine KI?<br />
Der Vorteil ist dabei einerseits, dass die KI<br />
anhand der Muster innerhalb des Standard-Repertoires<br />
besser erkennen kann,<br />
was bei der Hörerschaft gut ankommt,<br />
und sie dann mit Liedern konfrontiert, die<br />
nur einen kleinen Schritt davon abweichen<br />
und keine komplette Irritation erzeugen.<br />
Die Leute sollen ja nicht abschalten.<br />
Andererseits braucht es keinen Moderator,<br />
der den Mut aufbringen muss, das zu<br />
rechtfertigen, und die Verantwortung<br />
übernimmt, falls es nicht klappt.<br />
" Radiosender<br />
können sich<br />
einen<br />
Wettbewerbsvorteil<br />
verschaffen."<br />
Dr. Feichtners Forschungs -<br />
schwerpunkt liegt auf<br />
der Timbre-Analyse<br />
(Klangfarben-Analyse).<br />
Mit intuitiven<br />
Musikstunden hilft<br />
Dr. Feichtner Menschen<br />
dabei, einen<br />
Zugang zur Musik<br />
zu finden.<br />
Haben Sie eine Vision, wie wir KI in<br />
Zukunft nutzen könnten?<br />
Einerseits hoffe ich, dass wir KI für wiederkehrende<br />
Aufgaben nutzen, die wir abgeben<br />
können, damit wir uns auf wichtige<br />
Aufgaben konzentrieren können. Es passieren<br />
in allen erdenklichen Berufsgruppen<br />
so viele Fehler, nur weil Leute zu wenig Zeit<br />
haben. Ich hoffe, dass wir weniger Stress<br />
haben und mehr Zeit bekommen, um<br />
Mensch zu sein.<br />
Mit Blick auf die technische Entwicklung<br />
von KI hoffe ich andererseits, dass wir bei<br />
Kunstschaffenden irgendwann vollumfängliche<br />
Immersion erreichen. Aktuell<br />
sitzen wir vor dem Computer und tippen<br />
Worte ein. Aber eigentlich ist die Art des<br />
Inputs für die KI egal, sie muss diesen<br />
immer in einen anderen Output umwandeln.<br />
Dieser Input kann auch Stimme sein,<br />
Bewegungen oder neuronale Signale.<br />
Es wäre also theoretisch irgendwann<br />
möglich, dass ich als Künstlerin einfach<br />
die Augen schließe, mich voll und ganz<br />
mit meiner Gedanken- und Gefühlswelt<br />
auseinandersetze, ohne etwas aktiv bedienen<br />
zu müssen. Ich brauche vielleicht<br />
nur ein paar Sensoren an meinem Körper.<br />
KI könnte dann die Signale, die über die<br />
Sensoren an einen Computer geschickt<br />
werden, in Musik umwandeln. Dieser Ausblick<br />
inspiriert mich wirklich.<br />
22<br />
23
INTERVIEW<br />
INTERVIEW<br />
CLAUDIA PAGANINI<br />
GEFÄHRDET KI DIE<br />
JOURNALISTISCHE<br />
GLAUBWÜRDIGKEIT?<br />
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ KOMMT IN MEDIENHÄUSERN<br />
SCHON LÄNGER ZUM EINSATZ. NEU IST DIE EXPLOSIONSAR TIGE<br />
QUALITÄTSSTEIGERUNG VON KI-GENERIERTEN INHALTEN.<br />
SETZT DEREN VERWENDUNG DAS VERTRAUEN IN JOURNALISTISCHE<br />
ARBEIT AUFS SPIEL? ZWEI EXPERTINNEN IM GESPRÄCH.<br />
Prof. Dr. Paganini, Frau Jakat, Leser:innen<br />
sehen, wie einfach es ist, mit künstlicher<br />
Intelligenz Texte und Bilder zu<br />
erstellen. Leidet darunter die journalistische<br />
Glaubwürdigkeit?<br />
Paganini: Die neuen Medien sind an<br />
sich nicht dysfunktional. Sie machen<br />
nur sichtbar, was vorher in der Kommunikation<br />
schon problematisch war.<br />
Wenn wir zum Beispiel über KI-generierte<br />
Bilder sprechen, hätten wir<br />
schon früher über deren Glaubwürdigkeit<br />
nachdenken sollen. Ein Bild ist<br />
immer auch Interpretationsleistung,<br />
aber die Betrachtenden unterstellen<br />
üblicherweise Augenzeugenqualität.<br />
Jakat: Meiner Erfahrung nach kann es<br />
im Alltagsstress in den Lokalredaktionen<br />
leider immer mal wieder vorkommen,<br />
dass Archiv- und Symbolbilder<br />
unsauber eingesetzt werden. Da<br />
besteht mit KI eine Chance. Erstens,<br />
um transparenter zu machen, wo man<br />
keine originären Bilder hat. Und zweitens,<br />
um etwas optisch zu bereichern.<br />
Wir brauchen nicht immer wieder das<br />
TEXT<br />
MARTIN HAASE<br />
gleiche Blaulicht zu Polizeimeldungen.<br />
Wichtig ist, im Sinne der Vermittlung<br />
von journalistischer Glaubwürdigkeit<br />
KI-generierte Inhalte zu kennzeichnen.<br />
Wie sollten KI-generierte Inhalte<br />
gekennzeichnet werden?<br />
Jakat: Wir sollten künftig sowohl zeigen,<br />
dass ein Inhalt mit KI erstellt wurde, als<br />
auch die Person benennen, die die KI<br />
steuert. Dann wird auch klar, dass es immer<br />
eine Mensch-Maschine-Interaktion<br />
gibt. Und dass menschliche Redakteur:innen<br />
die Inhalte auch kontrollieren.<br />
Paganini: Ich denke, dass wir viel<br />
stärker Transparenz als Leitwert<br />
anvisieren sollten als zum Beispiel<br />
Wahrhaftigkeit. Es sollte klar werden,<br />
dass es einen Menschen im Hintergrund<br />
gibt, der die Verantwortung hat<br />
und greifbar ist. Beim Publikum gibt<br />
es noch einiges an Medienkompetenz<br />
nachzuholen. Da muss allerdings viel<br />
passieren, damit zum Beispiel auch<br />
einer Regierung bewusst wird, wie<br />
wichtig es ist, da zu investieren.<br />
Im US-Wahlkampf wird eine KI-generierte<br />
Fake-News-Schwemme erwartet,<br />
um politische Gegner:innen zu diffamieren.<br />
Können solche Inhalte das Vertrauen<br />
der Bevölkerung in Medien dauerhaft<br />
schädigen?<br />
Paganini: Zunächst einmal denke<br />
ich, dass es in dem Fall zu einer<br />
Verunsicherung kommt. Und das<br />
ist gefährlich, weil diese Verunsicherung<br />
ausgenutzt werden kann, um<br />
Verschwörungsmythen zu platzieren.<br />
Natürlich ist es ein Problem, wenn<br />
technische Neuerungen die Gefahr<br />
der Manipulation erhöhen. Die<br />
bestand aber auch schon ohne KI-<br />
generierte Inhalte.<br />
Wir brauchen Vertrauen, deswegen<br />
müssen wir die Frage beantworten,<br />
wie wir Menschen das Gespür an die<br />
Hand geben zu erkennen, was solide<br />
Quellen sind. Qualitätsmedien haben<br />
ihren Preis, aber die Menschen können<br />
sich sicher sein, gut informiert<br />
zu sein.<br />
FOTOS: DIE FOTOGRAFEN INNSBRUCK, VALERIE SCHMIDT<br />
Die geborene Österreicherin lehrt als Professorin<br />
für Medienethik an der Hochschule<br />
für Philosophie in München. Paganini sieht<br />
in künstlicher Intelligenz nicht per se eine<br />
Gefahr für die Medienbranche. Die neue<br />
Technologie könne allerdings negative Entwicklungen<br />
verstärken, wenn zum Beispiel<br />
Verbreiter:innen von Verschwörungs mythen<br />
KI für die Produktion von Fake News einsetzen.<br />
Wichtig sei für Medienhäuser, die<br />
Entwicklung von KI aktiv mitzugestalten.<br />
LENA JAKAT<br />
Als stellvertretende Chefredakteurin bei<br />
der Augsburger Allgemeinen verantwortet<br />
Jakat unter anderem die Optimierung und<br />
Weiterentwicklung redaktioneller Abläufe.<br />
Künstliche Intelligenz sieht sie vor allem als<br />
Werkzeug, um die Arbeit von Journalist:innen<br />
zu vereinfachen und attraktiver zu gestalten.<br />
Wichtig ist ihr die Kennzeichnung<br />
KI-generierter Inhalte.<br />
Brauchen wir also ein „AI free“-Siegel?<br />
Jakat: Ich bin bei der Verbreitung<br />
von Verschwörungsmythen nicht so<br />
pessimistisch. Wir haben in Momenten<br />
der Krise, wie zum Beispiel während der<br />
Pandemie, gesehen, dass die großen,<br />
seriösen Medienhäuser einen Zulauf<br />
verzeichneten. Es gibt natürlich den Teil,<br />
der sich von den demokratischen Institutionen<br />
wegbewegt. Und dass dieser<br />
Teil wächst, beobachten wir mit Sorge.<br />
Wir müssen im positiven Sinne stärker<br />
für den Journalismus werben und den<br />
Beitrag kommunizieren, den wir für die<br />
demokratische Gesellschaft leisten.<br />
Paganini: Das möchte ich noch bestärken,<br />
denn wir sehen in diversen<br />
Jugendstudien auch, dass gerade<br />
junge Menschen auf Qualitätsmedien<br />
vertrauen. Das ist ein gutes Signal,<br />
denn das Vertrauen ist da.<br />
Menschengemachter Journalismus<br />
erfährt eine Aufwertung und wir<br />
brauchen ein starkes menschliches<br />
Korrektiv. Ist damit die Frage, ob KI<br />
Arbeitsplätze wegnimmt, beantwortet?<br />
Paganini: Möglicherweise ist das Problem<br />
im Journalismus weniger gravierend.<br />
Denn technische Neuerungen<br />
ersetzen in der Regel Tätigkeiten, für die<br />
es nur geringe Qualifizierung braucht.<br />
Jakat: Es ist illusorisch zu denken, dass<br />
KI keine Effizienzsteigerung ist. Allerdings<br />
hat der Fachkräftemangel den<br />
Journalismus schon längst erreicht.<br />
Wenn wir redundante Tätigkeiten vermeiden,<br />
macht das den Job attraktiver.<br />
Gerade für uns im Lokaljournalismus<br />
geht es aktuell nicht darum, Mitarbeitende<br />
auf die Straße zu setzen, sondern<br />
Bereiche abzudecken, wo uns die Leute<br />
fehlen. Zudem stehen wir im Lokalen<br />
vor der Herausforderung, in der<br />
Breite vor Ort zu sein. Wenn wir KI im<br />
Produktionsverlauf dafür nutzen, Texte<br />
zu kürzen oder für verschiedene Kanäle<br />
aufzubereiten, schaffen wir mehr Zeit.<br />
Wenn wir Dokumente wie Gemeinderatsprotokolle<br />
kürzen oder Reporter:innen<br />
eine Zusammenfassung an die<br />
Hand geben, können diese schneller<br />
erkennen, welche spannenden Geschichten<br />
drinstecken.<br />
Wo setzen Sie KI ein, um Inhalte zu<br />
generieren?<br />
Jakat: Wir arbeiten gerade daran,<br />
Terminankündigungen von örtlichen<br />
Institutionen zu automatisieren. Wenn<br />
zum Beispiel ein Kindergartenfest<br />
stattfindet, braucht es für die Print-Ausgabe<br />
einen Zweizeiler mit Zeit, Ort und<br />
Infos zur Verpflegung. Dafür soll es eine<br />
Eingabemaske geben, in die Kindergärten<br />
einfach ihre Informationen<br />
eintragen, und ein KI-generierter Text<br />
entsteht. Hier sparen wir Ressourcen,<br />
verbessern aber auch die Qualität, weil<br />
ein potenzieller Übertragungsfehler<br />
ausgeräumt ist.<br />
Könnte es für Medienhäuser denn auch<br />
ein Vorteil sein, KI strategisch zu boykottieren?<br />
Paganini: Das ergibt nicht viel Sinn.<br />
Quer durch die Kulturgeschichte<br />
gab es bei großen medialen Umbrüchen<br />
immer starke Emotionen. Die<br />
einen sind euphorisch, die anderen<br />
reagieren panisch. Verweigerung ist<br />
nicht sinnvoll, weil wir eben in genau<br />
dieser Welt leben, in der technischer<br />
Fortschritt stattfindet und die wir<br />
mitgestalten sollten. Es ist unsere Aufgabe,<br />
mit der Realität umzugehen,<br />
und nicht, uns ihr zu entziehen.<br />
Jakat: Natürlich ist KI auch eine Herausforderung<br />
für uns selbst, weil wir uns<br />
bewusst machen müssen, was eigentlich<br />
unsere Rolle ist und wie wir unser<br />
Handwerk sauber betreiben. Wir sollten<br />
über den Wert von eigener Recherche,<br />
also originärer journalistischer Produktion,<br />
sprechen und welchen gesellschaftlichen<br />
und demokratischen Mehrwert<br />
wir als Journalist:innen schaffen. Kuration<br />
war noch nie das, was ein Medienhaus<br />
eigentlich ausmacht. Wenn wir<br />
transparent sind und für unsere Arbeit<br />
werben, steckt da enormes Potenzial<br />
drin. Jetzt ist ein guter Moment dafür.<br />
24<br />
25
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
TEXT<br />
LENA KAESS<br />
FOTOS<br />
AMELIE NIEDERBUCHNER<br />
DIE NEUE<br />
SELBSTVER<br />
DIE PROSIEBENSAT.1 MEDIA SE HAT DAS POTENZIAL VON KÜNSTLICHER<br />
INTELLIGENZ SCHON VOR DEM RASANTEN AUFSTIEG VON CHATGPT,<br />
MIDJOURNEY & CO. ERKANNT. MAREN LANGBEHN IST VICE PRESIDENT<br />
DES BUZZROOMS UND DES DIGITAL NEWSROOMS. SIE GIBT EINEN<br />
EINBLICK, WIE DER EINSATZ VON KI IN IHREN TEAMS ZUR<br />
SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT WURDE.<br />
STÄNDLICHKEIT<br />
26 27
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
W<br />
enn Maren Langbehn<br />
morgens das<br />
Redaktionsbüro in<br />
Unterföhring betritt,<br />
checkt sie zuerst die<br />
aktuellen Zahlen und Berichte des Vortags.<br />
Ein Klick, ein Blick – und Langbehn<br />
weiß, ob er ein Erfolg für ihr Team war.<br />
Während dieser Routine verschwendet<br />
sie keinen Gedanken daran, dass hinter<br />
der Erhebung der Daten eine künstliche<br />
Intelligenz steht und ihr wertvolle Einblicke<br />
und Erkenntnisse liefert. KI ist ein<br />
selbstverständliches Arbeitsmittel.<br />
Im Digital Newsroom erstellt Langbehn<br />
mit ihrem 13-köpfigen Redaktionsteam<br />
Nachrichteninhalte in Form von Text und<br />
Video für den Web-Auftritt der Nachrichtensendung<br />
„Newstime“, deren Joyn-Auftritt<br />
und andere digitale Kanäle. Damit ist<br />
sie Teil der zentralen Nachrichtenredaktion<br />
von ProSiebenSat.1, wozu auch eine TV-<br />
Redaktion mit eigenem TV-Studio zählt.<br />
Der Newsroom zieht voraussichtlich Ende<br />
<strong>2023</strong> in das neue Mega-Studio in Unterföhring.<br />
Dort warten auf Langbehns Team<br />
neue Möglichkeiten, wie Green Screen und<br />
automatisiert laufende Kameras. „Man<br />
drückt dann nur noch auf einen Knopf und<br />
geht live“, sagt Langbehn. Der Buzzroom<br />
bespielt ebenfalls die digitalen Kanäle, konzentriert<br />
sich jedoch primär auf Promi- und<br />
Lifestyle-Themen. „Buzzroom und Newsroom<br />
haben aber grundlegend ähnliche<br />
Produktionsabläufe“, so Langbehn.<br />
Im Digital Newsroom und im Buzzroom ist<br />
KI keine abstrakte Idee, sondern integraler<br />
Bestandteil des Arbeitsalltags. Langbehn<br />
und ihr Team nutzen KI nicht nur, um<br />
Daten zu analysieren, Trends zu erkennen<br />
oder strategische Entscheidungen zu<br />
treffen. KI spielt auch in der Content-Produktion<br />
eine zentrale Rolle.<br />
„Newstime“ ist die neue<br />
Dachmarke aller Nachrichtenformate<br />
und -plattformen<br />
der Seven.One<br />
Entertainment Group.<br />
Immer up to date:<br />
Um keine News zu<br />
verpassen, arbeiten die<br />
Redakteur:innen im<br />
Schichtdienst.<br />
Arum lique con nis aligeni<br />
digento in expliaspe dis aut<br />
volendita volorro et od eos<br />
volut omni ilicient, sitat eum<br />
nem quae volorem eturiae<br />
„Texte mit<br />
der KI kürzen,<br />
zusammenfassen<br />
und übersetzen –<br />
das gehört zum<br />
Daily Business.“<br />
MAREN LANGBEHN,<br />
VICE PRESIDENT BUZZROOM<br />
& DIGITAL NEWSROOM<br />
Vom Experiment zum<br />
Garanten für Traffic-Rekorde<br />
Der Buzzroom diente dabei als Vorreiter.<br />
Hier startete 2019 ein erstes Experiment:<br />
Eine KI sollte deutsche Videos ins Englische<br />
und Niederländische übersetzen,<br />
um Zeit zu sparen. „Die Ergebnisse waren<br />
enttäuschend“, sagt Langbehn, „Muttersprachler:innen<br />
mussten die KI-Ergebnisse<br />
nochmals kontrollieren und umschreiben.“<br />
Es stellte sich heraus: Die menschlichen<br />
Profis waren ohne KI sogar schneller.<br />
Erst während der Coronapandemie setzten<br />
sich KI-Lösungen im Buzzroom durch.<br />
Das Robert Koch-Institut (RKI) versorgte<br />
damals die Bevölkerung mit einer Vielzahl<br />
an Daten, etwa mit der Zahl der Infizierten.<br />
Anstatt manuell jeden Morgen ein neues<br />
Video mit den jüngsten Fallzahlen für<br />
jedes Bundesland zu erstellen, entwickelte<br />
das Medienunternehmen gemeinsam mit<br />
Wochit, die mit ihrer Lösung WAVE einen<br />
Dienst zur Online-Videoproduktion zur<br />
Verfügung stellen, automatisierte Videoclips.<br />
KI zog sich die Daten vom RKI und<br />
integrierte sie in ein bestehendes Video-<br />
Template, das Redakteur:innen gemeinsam<br />
mit den AI-Products-Kolleg:innen der<br />
IT-Tochter ProSiebenSat.1 Tech Solutions<br />
erstellt hatten. „Man kam morgens in die<br />
Redaktion und das Video war schon online.<br />
Das hat uns wirklich Traffic-Rekorde<br />
beschert“, erinnert sich Maren Langbehn.<br />
Mittlerweile nutzen sie das gleiche System<br />
für automatisch generierte Clips zu Unfällen,<br />
Polizeieinsätzen, Rettungsaktionen<br />
und Kriminalfällen. Außerdem sind<br />
automatisierte Videos für Sportergebnisse,<br />
Trotz eines Abstechers in den<br />
Print-Bereich liegt Maren<br />
Langbehns Leidenschaft im<br />
Digitalen – dabei schätzt sie<br />
vor allem die Schnelligkeit<br />
digitaler Prozesse.<br />
Rezepte und Börsendaten in Planung. Bei<br />
einer weiteren KI-basierten Lösung handelt<br />
es sich um eine „neural voice“ namens<br />
Conrad, also eine künstliche Stimme, die<br />
ProSiebenSat.1 in Zusammenarbeit mit Microsoft<br />
entwickelte. „Wir hatten zu Randzeiten<br />
wie den Nachtschichten und Wochenenden<br />
zu wenig Digital-Redakteur:innen<br />
mit Sprech erfahrung zur Verfügung“, sagt<br />
Langbehn. Dank der künstlichen Stimme<br />
konnte der Personalengpass ausgeglichen<br />
werden. Bis heute ist Conrad im Einsatz.<br />
KI kann Inhalte für neue<br />
Zielgruppen aufbereiten<br />
Mittlerweile hat sich der Einsatz von KI<br />
im Alltag etabliert. „Klar haben wir schon<br />
früh mit KI herumexperimentiert, aber<br />
seit gefühlt vier Monaten explodiert das<br />
Thema bei uns im Newsroom“, so Langbehn.<br />
Das Team diskutiert regelmäßig<br />
Ideen, wie die KI noch weiter genutzt<br />
werden kann. Es sei eine kontinuierliche<br />
Suche nach neuen Tools und Prozessen,<br />
so Langbehn. Das Ziel: die Arbeit bei der<br />
Video-, Text- und Bilderstellung schneller<br />
und effizienter zu gestalten.<br />
„Texte mit der KI kürzen, zusammenfassen<br />
und übersetzen – das gehört<br />
zum Daily Business“, erklärt Langbehn.<br />
Auch das mühselige Verschlagworten<br />
von Bildern übernimmt die KI, zudem<br />
kann sie einfache Grafiken erstellen. Das<br />
gebe den Mitarbeitenden eine neue und<br />
schnelle Möglichkeit an die Hand, Inhalte<br />
multimedial aufzubereiten. Für Videos<br />
soll die KI zukünftig auch beim Highlight-<br />
Clipping helfen, das heißt, sie arbeitet aus<br />
längeren Videos die wesentlichen Stellen<br />
heraus und erstellt einen kurzen Spot.<br />
Auch TV-Material soll die KI zukünftig für<br />
Online-Kanäle aufbereiten. „Wir haben<br />
Unmengen an Bewegtbild aus den Fernsehproduktionen<br />
von ProSiebenSat.1.<br />
Die liegen derzeit ungenutzt im Archiv“,<br />
sagt Langbehn. „Ziel ist es, dass die KI<br />
ein Transkript der einzelnen Videos erstellt,<br />
aus denen Redakteur:innen später<br />
suchmaschinenoptimierte Texte verfassen<br />
können.“ Das eröffnet eine weitere<br />
28 29
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
Möglichkeit, aufwendig produziertes<br />
Material einer möglichst breiten Zielgruppe<br />
abseits des linearen Fernsehens zur<br />
Verfügung zu stellen.<br />
Egal, ob Text, Bilderstrecke oder Video:<br />
Es braucht immer Headline und Teaser.<br />
Auch hier kann künstliche Intelligenz<br />
die Inhalte analysieren und einen ersten<br />
Vorschlag generieren. Für das Teilen in<br />
sozialen Medien erstellt sie passende<br />
Captions, die neugierig machen und die<br />
User:innen von Facebook, Instagram & Co.<br />
auf die Website ziehen.<br />
Mehr Zeit für<br />
hochwertige Geschichten<br />
Trotz der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten<br />
– die Jobs von Redakteur:innen<br />
bedrohe die KI bei ProSiebenSat.1 nicht.<br />
„Uns Journalist:innen sagt man nach, dass<br />
wir skeptische Menschen sind und viel<br />
nachfragen. Natürlich hinterfragen wir<br />
auch die künstliche Intelligenz und ihren<br />
Einsatz. Ich glaube, das muss sich die KI<br />
auch gefallen lassen“, erläutert Langbehn,<br />
„aber grundsätzlich bin ich Fan von KI.“ Sie<br />
sieht KI eher als einen nützlichen Helfer<br />
für ihre Redakteur:innen. Gerade repetitive<br />
Aufgaben könne sie übernehmen. So<br />
könnten sich die Journalist:innen stärker<br />
auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren:<br />
die Erstellung von qualitativ hochwertigen<br />
Geschichten. Im Umgang mit<br />
KI plädiert Langbehn daher für Offenheit.<br />
„Die Jobs unserer Redakteur:innen werden<br />
nicht wegfallen. Im Zweifel werden sie<br />
sich ein bisschen verändern“, erklärt sie.<br />
Ihre Redakteur:innen sehen das ebenso,<br />
experimentieren eigenständig mit Tools<br />
wie ChatGPT und gehen proaktiv mit Vorschlägen<br />
auf die Chefredaktion zu.<br />
Weder im Buzzroom noch im Newsroom<br />
würden Texte vollständig von künstlicher<br />
Intelligenz generiert, so Langbehn.<br />
Denn das koste unter dem Strich sogar<br />
mehr Zeit: „Lasse ich die KI einen Artikel<br />
schreiben, muss dieser von einer Redakteurin<br />
oder einem Redakteur kontrolliert<br />
werden. Außerdem müsste sichergestellt<br />
sein, dass der Text unseren Qualitätsansprüchen<br />
gerecht wird. Das wäre sehr<br />
aufwendig“, sagt Langbehn. Nur Redakteur:innen,<br />
die sich im Thema auskennen,<br />
würden die journalistische Sorgfaltspflicht<br />
erfüllen. Sie würden ihre Quellen auf<br />
Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit prüfen,<br />
bevor sie diese in ihre Berichterstattung<br />
einbeziehen – anders als die KI.<br />
Auch die Entstehung oder Abbildung<br />
von Bias sei eine Herausforderung bei der<br />
automatisierten Texterstellung. Das heißt,<br />
dass die KI Informationen einer Berichterstattung<br />
verzerren oder lediglich einseitig<br />
präsentieren könnte. Large Language<br />
Models werden mit großen Datensätzen<br />
trainiert und greifen auf eine Vielzahl<br />
von Quellen aus dem Internet zurück. Sie<br />
übernehmen also auch Vorurteile und<br />
Stereotype in ihre Texte. Redakteur:innen<br />
müssten bei der Kontrolle hier besonders<br />
wachsam sein. In Langbehns Team<br />
werden Informationen durch mindestens<br />
zwei voneinander unabhängige Quellen<br />
verifiziert, um einen möglichen Bias nicht<br />
weiterzutragen – egal, ob die Inhalte ausschließlich<br />
von Menschen geschrieben<br />
wurden oder ob auch KI im Einsatz war.<br />
„Journalistische Sorgfaltspflicht hat bei<br />
uns im Redaktionsalltag höchste Priorität“,<br />
sagt Langbehn, „aus diesem Grund habe<br />
ich gemeinsam mit der Chefredaktion<br />
klare Regeln im Umgang mit der KI definiert.“<br />
Besonders Transparenz sei ihnen<br />
wichtig: Mit KI bearbeitete Inhalte werden<br />
entsprechend gekennzeichnet.<br />
„Die Jobs unserer<br />
Redakteur:innen<br />
werden nicht<br />
wegfallen. Im<br />
Zweifel werden<br />
sie sich ein bisschen<br />
verändern.“<br />
MAREN LANGBEHN,<br />
VICE PRESIDENT<br />
BUZZROOM & DIGITAL NEWSROOM<br />
Maßgeschneiderte<br />
KI-Lösungen<br />
Um auf individuelle Anforderungen von<br />
Teams innerhalb des Unternehmens eingehen<br />
zu können, verfügt ProSiebenSat.1<br />
bereits seit vielen Jahren über ein AI-Products-Team,<br />
das hauseigene KI-Lösungen<br />
entwickelt. Langbehn und die Abteilung<br />
stehen in engem Austausch. „Wenn man<br />
darauf angewiesen ist, nur mit ChatGPT<br />
& Co. zu agieren, schränkt das ein. Wir<br />
haben hier besondere Use Cases, für die<br />
Umzug in Planung: Ende des<br />
Jahres ziehen die Digital- und die<br />
TV-Redaktion in ein hochmodernes<br />
Studio in Unterföhring um.<br />
das AI-Products-Team maßgeschneiderte<br />
Lösungen erstellt“, sagt Langbehn. In Zukunft<br />
würde sie sich auch über dezidierte<br />
KI-Stellen in ihrem Team freuen, wie beispielsweise<br />
Prompter:innen.<br />
30 31
RADIODAYS<br />
BAYERN WIRD ZUM AUDIO-HOTSPOT<br />
DIE EUROPÄISCHE AUDIOKONFERENZ RADIODAYS EUROPE<br />
FINDET VON 17. BIS 19. MÄRZ 2024 IN MÜNCHEN STATT.<br />
CEO PETER NIEGEL RECHNET MIT 1.600 GÄSTEN UND GIBT EINEN<br />
VORGESCHMACK, WAS SIE ERWARTET.<br />
Peter, was ist die Idee hinter den<br />
Radiodays Europe?<br />
Die Radiodays Europe wurden vor 15<br />
Jahren gegründet, um die europäische<br />
Audio-, Radio- und Podcast-<br />
Industrie jährlich zusammenzubringen<br />
und die großen Themen<br />
der Branche zu diskutieren. Die<br />
Radiodays finden seitdem jedes Jahr<br />
in Kooperation mit einem anderen<br />
Partnerland statt – wir beleuchten<br />
die Audiobranche des jeweiligen<br />
Landes, während wir uns gleichzeitig<br />
auf das europäische Gesamtbild<br />
konzentrieren.<br />
Nach Berlin 2013 kommen die Radiodays<br />
Europe nun in ein Land zurück,<br />
das schon einmal Gastgeber war<br />
– das ist eine Premiere. Was macht<br />
München so besonders, dass ihr eure<br />
eigene Regel brecht?<br />
Deutschland ist einer der größten<br />
Audiomärkte Europas – Bayern und<br />
München sind seine<br />
Lokomotive. Wir<br />
hatten immer eine<br />
gute Beziehung<br />
zur Bayerischen<br />
Landeszentrale<br />
für<br />
neue Medien,<br />
und München<br />
ist eine<br />
großartige<br />
Stadt mit einer<br />
lebendigen<br />
Audioszene.<br />
Sowohl was den<br />
DIE LOKALEN<br />
Rundfunk als auch was die Podcast-<br />
Szene angeht. Aber auch im Bereich<br />
Audio-Tech ist Bayern unglaublich<br />
interessant. Und dennoch, wenn es<br />
um Speaker:innen in diesem Bereich<br />
geht, denken wir vor allem an London<br />
und Großbritannien. Das können<br />
wir in München geraderücken und<br />
unseren Besucher:innen zeigen,<br />
welche Innovationen in Deutschland<br />
entstehen.<br />
Welche Inhalte und Themen werden<br />
bei den Radiodays in München im<br />
Fokus stehen?<br />
PARTNER der Radiodays<br />
Europe 2024 in München sind<br />
der Bayerische Rundfunk, die<br />
Antenne Bayern Group, der Verband<br />
Bayerischer Lokalrundfunk, die<br />
Vereinigung Bayerischer Rundfunkanbieter,<br />
die Stadt München und<br />
der Freistaat Bayern. Die Partner<br />
werden koordiniert von<br />
<strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria.<br />
TEXT NINA BRANDTNER<br />
Wie üblich haben wir 45 Sessions, die<br />
alles von Radio über Podcasts bis hin<br />
zu Audio-Tech abdecken. Ich hoffe,<br />
dass es ca. zehn Sessions geben wird,<br />
die von der bayerischen Audioindustrie<br />
inspiriert sind. Natürlich wird sich<br />
viel um künstliche Intelligenz und die<br />
entsprechende Gesetzgebung drehen.<br />
Was wird KI in Bezug auf Datenschutz<br />
und Urheberrecht überhaupt<br />
dürfen? Im Moment ist<br />
es noch schwer abzusehen,<br />
wohin sich KI entwickeln<br />
wird, aber sie wird ein<br />
echter Gamechanger<br />
sein. Für die Monetarisierung,<br />
die<br />
einfache Platzierung<br />
von Anzeigen und für<br />
Übersetzungen wird<br />
KI bereits genutzt.<br />
Aber die großen Auswirkungen<br />
haben wir noch<br />
nicht gesehen.<br />
Für die Radiodays Europe 2024 ruft ihr<br />
das „Youth Talent Project“ ins Leben,<br />
das Nachwuchstalenten die Teilnahme<br />
an der Konferenz sowie Unterkunft<br />
und Anreise finanziert. Ein Versuch,<br />
gegen den Fachkräftemangel in der<br />
Branche anzukämpfen?<br />
Ja! Wir müssen verstärkt um neue<br />
Talente in der Audiobranche kämpfen.<br />
Die Konkurrenz um Fachkräfte,<br />
die von den sozialen Medien, You-<br />
Tube und dem Fernsehen ausgeht,<br />
ist groß. Wir hören von unseren<br />
Partnern und Gästen, dass es ihnen<br />
schwerfällt, junge und diverse Stimmen<br />
für die Branche zu gewinnen.<br />
Mit Unterstützung der Industrie versuchen<br />
wir deshalb, 30 junge Leute<br />
auf die Radiodays Europe zu bringen,<br />
die darüber nachdenken, in die Audiobranche<br />
einzusteigen. Wenn wir<br />
es schaffen, die Hälfte von ihnen für<br />
eine Tätigkeit in der Branche zu begeistern,<br />
haben wir meiner Meinung<br />
nach einen guten Job gemacht.<br />
FOTO: RADIODAYS<br />
KI<br />
FREUND,<br />
ODERFEIND<br />
ZUKUNFT<br />
?<br />
32
KI-STUDIE<br />
DAS<br />
SAGEN<br />
DIE<br />
EXPERT:<br />
INNEN<br />
!<br />
FOTO: SIMONE GUTBERLET<br />
Die Erforschung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz bringt schon seit<br />
Jahren immer neue Technologien, Werkzeuge und Services hervor. Viele davon<br />
sind bereits Teil unseres Alltags – oft unsichtbar in den Programmcodes unserer<br />
Apps und Geräte. Doch seit dem Launch von ChatGPT im November 2022 zeigt<br />
sich das Potenzial von KI auch der breiten Öffentlichkeit. Mit KI lassen sich Inhalte<br />
analysieren, transformieren und generieren. Das bringt viele neue Herausforderungen und<br />
Risiken mit sich, eröffnet aber auch zahlreiche Chancen für die Medienbranche. Wie schätzen<br />
Expert:innen das Potenzial neuer KI-Technologien für Medienschaffende ein? Welche Geschäftsmodelle<br />
ergeben sich für Medienunternehmen? Die „KI-Studie: Chancen, Risiken<br />
und Perspektiven für Medien“ liefert Antworten.<br />
<strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria hat in Zusammenarbeit mit 1E9 zehn KI-Expert:innen<br />
zu Chancen und Risiken für Medienhäuser, Veränderungen für die Medienbranche<br />
und zu aktuellen Use Cases befragt.<br />
ILLUSTRATIONEN<br />
DESIGNLIEB FÜR <strong>XPLR</strong>: MEDIA IN BAVARIA<br />
„Der eigentliche Gamechanger sind die allgemeine Verfügbarkeit dieser<br />
KI-Tools und die Tatsache, dass man sie kostenlos nutzen kann und dass<br />
sie extrem einfach zu nutzen sind. Das ist die Disruption durch ChatGPT.“<br />
Alle Ergebnisse der Expert:inneninterviews und einer<br />
quanti tativen Befragung zum Status quo von KI in der<br />
bayerischen Medienbranche findest du hier:<br />
ALESSANDRO<br />
ALVIANI,<br />
Product Lead NLP,<br />
Ippen Digital<br />
GmbH & Co. KG<br />
33
KI-STUDIE<br />
KI-STUDIE: DIE ERGEBNISSE DER<br />
EXPERT:INNENBEFRAGUNG<br />
KI als Werkzeug –<br />
welche Use Cases gibt es in der<br />
Medienbranche?<br />
KI-STUDIE<br />
DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />
Die sichtbaren Sprünge bei der Nutzbarmachung von KI sorgen global für Enthusiasmus, aber auch<br />
für Kritik. Das konfrontiert die Medienbranche mit neuen Herausforderungen, birgt jedoch auch<br />
viele Chancen. Derzeit herrschen in einigen Medienhäusern im Hinblick auf die neuen Technologien<br />
Unsicherheit, übertriebene Erwartungen oder Ängste, zum Beispiel vor einem Jobverlust.<br />
Aufgrund ihrer großen Fehleranfälligkeit und hohen technischen Hürden ist es derzeit schwer, den<br />
tatsächlichen Nutzen von KI adäquat einzuschätzen. Klar ist aber schon heute, dass KI graduell Teil der<br />
Arbeitswelt werden wird, weil sie Arbeitsweisen schneller und effizienter gestalten, mehr Qualität<br />
und Kreativität fördern und neue Zielgruppen erschließen kann. Auf der anderen Seite wird sie neue<br />
Kompetenzen abverlangen und neue Kontrollmechanismen erfordern – auch gegenüber einer<br />
möglichen Flut von Inhalten, die jetzt automatisiert in beliebiger Quantität erzeugt werden können.<br />
MICHAEL SCHENK,<br />
CIO Vogel Communications<br />
Group GmbH & Co. KG<br />
Welche Veränderungen<br />
kommen auf<br />
die Medienbranche zu?<br />
„Ich glaube, dass wir durch KI individuelleren<br />
Content bekommen können, besser auf einzelne<br />
Zielgruppen oder vielleicht sogar Personen abgestimmt.<br />
Und ich bin optimistisch, dass es uns gelingt,<br />
mit KI bessere und wichtigere Informationen<br />
an die Leute zu bekommen.“<br />
„Die bestehenden Berufsbilder in<br />
den Medien werden sich grundsätzlich<br />
wandeln. Zum einen, weil<br />
viel mehr Zeit für Kreativität zur<br />
Verfügung steht – die dann aber<br />
auch gefordert wird. Zum anderen<br />
wird man ein größeres und übergreifendes<br />
technisches Verständnis<br />
und Wissen brauchen.“<br />
VANESSA THEEL,<br />
COO & Co-Founder<br />
SUMM AI<br />
FOTOS: MARCEL GOLLIN, SUMM/MARIA ABDO, SIMONE GUTBERLET, PRIVAT, WDR/ANNIKA FUSSWINKEL, LISA HANTKE<br />
ALESSANDRO<br />
ALVIANI,<br />
Product Lead NLP,<br />
Ippen Digital<br />
GmbH & Co. KG<br />
DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />
Bislang sind die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Medienbranche überschaubar und<br />
werden oft als Experiment betrachtet. Klassische Automatisierungswerkzeuge unterstützen<br />
bei der Analyse von großen Datenmengen, KI-Tools transkribieren Audioaufnahmen<br />
und Bildgeneratoren erzeugen Illustrationen. Sprachmodelle und Chatbots unterstützen<br />
Redakteur:innen bei der Formulierung, der stilistischen Anpassung und der Übersetzung<br />
von Texten und generieren Metadaten für die Suchmaschinenoptimierung. In wenigen<br />
Jahren werden sich die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten allerdings erweitern.<br />
Bis dahin sollte man mit realistischen Erwartungen an die Technologie herantreten und<br />
DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />
Die vereinfachte Nutzbarkeit und Implementierung<br />
von KI-Werkzeugen im Journalismus wird Produktionskosten<br />
und -prozesse, aber auch die Rolle von Journalist:innen<br />
maßgeblich beeinflussen. KI kann zeitintensive<br />
Tätigkeiten wie das Transkribieren, Übersetzen<br />
oder Zusammenfassen von Inhalten übernehmen. Damit<br />
wird eine Masse an schnell und einfach erzeugtem<br />
Content mit zweifelhafter Qualität einhergehen. Die<br />
Authentizität von Inhalten wird zunehmend schwerer<br />
überprüfbar. Deshalb sind Journalist:innen herausgefordert,<br />
sich mit den Möglichkeiten der neuen Werkzeuge,<br />
zum Beispiel durch Prompt Engineering, zu beschäftigen.<br />
Und: Künstliche Intelligenz wird dauerhaft<br />
zu einem gesellschaftlich, kulturell und technologisch<br />
relevanten Thema werden, das journalistisch begleitet<br />
und eingeordnet werden muss.<br />
sie nicht übereilt in die Geschäfts- und Produktionsprozesse integrieren.<br />
„Wir nutzen KI als eine Art Personal Assistant für Redakteure.<br />
Sie bekommen direkt im CMS Tipps, wo Schwachstellen in Artikeln<br />
sind und wie sie sie verbessern können. Und wir nutzen Text-to-Image-<br />
Modelle, insbesondere Midjourney, allerdings nie für foto-<br />
realistische Bilder, sondern nur für Illustrationen.“<br />
Wie wirkt sich KI<br />
auf den<br />
Journalismus aus?<br />
DENNIS HORN,<br />
Digitalexperte, ARD<br />
THERESA KÖRNER,<br />
Kommunikationswissenschaftlerin,<br />
Neumarkt<br />
„Ich glaube, wir fangen gerade<br />
erst an, die disruptiven<br />
Auswirkungen von künstlicher<br />
Intelligenz zu sehen.<br />
Was wir derzeit erleben, ist oft<br />
noch ein Experiment.“<br />
CECILE SCHNEIDER,<br />
Product Lead AI +<br />
Automation Lab,<br />
Bayerischer Rundfunk<br />
„Nicht die Medienhäuser werden letztlich<br />
den Einsatz von KI vorantreiben, sondern<br />
eher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,<br />
die Transkriptionssoftware, KI-Übersetzer und<br />
andere Tools nutzen – weil sie sinnvoll sind.“<br />
„Es gibt im deutschen Journalismus noch<br />
keine generative KI im großen Stil. Um diese<br />
Qualität herzustellen, braucht es Leute, die<br />
ein Verständnis von Journalismus haben, die<br />
mit Daten umgehen können und die diese<br />
Algorithmen trainieren können. Das ist ein<br />
neuer Bereich, der journalistische Kompetenz<br />
und technisches Wissen erfordert und den es<br />
vor zehn Jahren noch nicht gab.“<br />
34 35
KI-STUDIE<br />
KI-STUDIE<br />
Wo liegen die<br />
Chancen von KI?<br />
DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />
Von künstlicher Intelligenz gestützte Werkzeuge erlauben es Medienschaffenden, ihre Arbeit effizienter<br />
zu gestalten. Sprachmodelle können als digitale Co-Autor:innen fungieren – und dadurch angehende Autor:innen<br />
unterstützen und erfahrenen Autor:innen fokussiertes Arbeiten erlauben. KI kann helfen, Ideen<br />
zu generieren, Fakten und Formulierungen zu finden und Texte anzupassen. Ebenso können KI-Werkzeuge<br />
neue Zielgruppen für bestehende Inhalte erschließen, indem sie in andere Sprachen oder andere<br />
Formate, zum Beispiel Audio- und Videoformate, übertragen werden. Medienhäuser können so neue<br />
Geschäftsmodelle erschließen. In einer weiteren Phase der KI-Entwicklung könnten sich Möglichkeiten<br />
der Personalisierung von Inhalten ergeben, die ebenfalls neue Monetarisierungsoptionen bereitstellen.<br />
Aber auch im Marketing- und im Sales-Bereich sowie im Backoffice entstehen neue Wege, die bestehenden<br />
Prozesse zu beschleunigen und zu verschlanken.<br />
Welche Risiken<br />
bringt KI mit sich?<br />
DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />
Die Nutzung von künstlicher Intelligenz im medialen und redaktionellen Kontext ist nicht ohne Risiko.<br />
Komplett von Sprachmodellen generierte Texte sind selten frei von Fehlern und Unschärfen. Das<br />
unkontrollierte und unlektorierte Veröffentlichen derartiger Artikel und die Übertragung in andere Medienformate<br />
können das Vertrauen von Leser:innen nachhaltig schädigen und sogar rechtliche Folgen<br />
haben. Ebenso werden KI-Werkzeuge wie Sprachmodelle und Bildgeneratoren von Bad Actors für die<br />
Produktion von Fake News und gezielten Desinformationskampagnen genutzt. Deren Erkennung wird<br />
aufgrund der rasanten Entwicklung von generativen KI-Tools zunehmend schwieriger. Das Verständnis<br />
der Fähigkeiten von KI-Technologien muss also für Medienschaffende zum Standard werden. Auch<br />
wird KI immer häufiger für die Kuratierung von Medieninhalten eingesetzt, zum Beispiel in Apps und<br />
Suchmaschinen. Die Sichtbarkeit von Medien durch einzigartige und kreative Inhalte wird dadurch<br />
wesentlich – und in einer möglichen Flut von KI-generiertem Content zunehmend schwieriger. Zudem<br />
besteht die Gefahr, dass der eigentliche Effizienzgewinn durch KI überschätzt wird und dadurch<br />
andere wichtige Prozesse, zum Beispiel in der Digitalisierung der Infrastruktur, verzögert werden.<br />
„Ich kann mir sehr gut vorstellen,<br />
CHRISTIAN SCHIFFER,<br />
Journalist,<br />
Bayerischer Rundfunk<br />
dass insbesondere deutsche Medienunternehmen<br />
massiv profitieren<br />
werden, wenn sie KI-Tools nutzen,<br />
um die Sprachbarriere durchlässiger<br />
zu machen. Wenn sie sie nutzen,<br />
um Texte, Podcasts und Radiobeiträge<br />
einem internationalen<br />
Markt zu öffnen.“<br />
„Die zweite Phase von generativer KI wird eine Phase der Hyperpersonalisierung<br />
sein, in der du Storys und Artikel definieren<br />
kannst und die KI dir deine ganz eigene Version davon produziert<br />
– mit deinen ganz persönlichen Aspekten.“<br />
ANDREAS BRAUN,<br />
zum Interviewzeitpunkt<br />
CTO Microsoft Deutschland<br />
(jetzt Managing Director<br />
and Partner Boston<br />
Consulting Group)<br />
FOTOS: MICHAEL FÖRTSCH, BOSTON CONSULTING GROUP, PRIVAT, DON AILINGER<br />
CECILE SCHNEIDER,<br />
Product Lead AI +<br />
Automation Lab,<br />
Bayerischer Rundfunk<br />
HANNES MUNZINGER,<br />
Investigativjournalist,<br />
München<br />
„Wer künstliche Intelligenz jetzt überstürzt und unreflektiert nutzt,<br />
einfach unbedacht irgendwelche Sachen veröffentlicht, der riskiert<br />
seinen guten Ruf. Wir müssen die Technologie kennenlernen,<br />
testen, nachschauen, was damit funktioniert und was nicht. Daher<br />
sollte man nun auch irgendwie Expertise im Haus haben – und<br />
Leute, die Lust darauf haben. Wenn man das noch nicht hat, muss<br />
man sich jetzt darum kümmern.“<br />
„Eines der größten und<br />
am meisten unterschätzten<br />
Probleme der KI im<br />
Journalismus wird sein,<br />
dass es ein großes<br />
Misstrauen gegenüber<br />
journalistischen Informationen<br />
geben wird<br />
– sobald erste sichtbare<br />
Fehler geschehen. Deshalb<br />
müssen Unternehmen<br />
wahnsinnig<br />
vorsichtig sein, wenn sie<br />
KI einsetzen.“<br />
36 37
KI-STUDIE<br />
STEFFEN KÜHNE,<br />
Tech Lead AI +<br />
Automation Lab,<br />
Bayerischer Rundfunk<br />
Wie sollten Medienunternehmen<br />
jetzt handeln?<br />
DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />
Am Ausprobieren von KI in den eigenen Arbeitsprozessen führt kein Weg mehr vorbei. Gleichzeitig<br />
gilt es, besonnen zu bleiben: Ein überstürzter Einsatz von KI könnte unliebsame Folgen haben<br />
und das Vertrauen in Unternehmen schädigen. Stattdessen sollten Unternehmen die Entwicklungen<br />
beobachten. Mitarbeitenden sollte es möglich sein, sich mit KI zu befassen, Kompetenzen<br />
aufzubauen und Einsatzmöglichkeiten zu entwickeln. Dabei sollten Brücken zwischen den<br />
Abteilungen der Medienhäuser geschlagen und Räume geschaffen werden, um Potenzial und<br />
Bedarf abzuwägen. Die Expert:innen empfehlen interne Guidelines für den Einsatz von KI und<br />
transparente Kommunikation bei öffentlichen Experimenten.<br />
Bre<br />
Zwischen Tradition steckt Innovation.<br />
Am Medienstandort Bayern.<br />
„In vielen Unternehmen ist noch<br />
viel zu klären. Wenn du KI-Werkzeuge<br />
von Plattformen nutzt,<br />
kann es Fragen zum Datenschutz,<br />
zur Haftung, personalrechtliche<br />
und zahlreiche andere<br />
Fragen geben. Also vieles, was<br />
auch mit langweiligen IT-Beschaffungsthemen<br />
zu tun hat,<br />
aber doch wichtig ist.“<br />
„Ich würde mit einem Workshop starten, in dem man sich<br />
die eigenen Herausforderungen vornimmt und nach<br />
Prozessen schaut, die viel Zeit fressen. Handelt es sich um<br />
Prozesse, die gezwungenermaßen lange dauern, weil viel<br />
Denkarbeit einfließt? Oder sind Muster erkennbar und Dinge,<br />
die sich teilautomatisieren lassen? Diese Prozesse muss<br />
man identifizieren. Und dann einfach mal ausprobieren.“<br />
VANESSA THEEL,<br />
COO & Co-Founder<br />
SUMM AI<br />
Ausblick:<br />
Es wird keinen singulären Punkt geben, an dem sich der Erfolg von künstlicher Intelligenz als plötzlicher<br />
Durchbruch manifestiert. Stattdessen werden KI-Systeme sukzessive in immer mehr Softwarelösungen<br />
verbaut und immer tiefer in die Prozesse der medialen Wertschöpfungsketten integriert. Sie werden<br />
zunehmend zum Kurator und Assistenten – auch was die Präsentation von Medieninhalten betrifft. Die<br />
Pflege einer Markenidentität, des Vertrauens der Nutzerschaft und die Produktion von relevanten,<br />
authentischen und kreativen Inhalten werden dadurch essenziell. Es ist wichtig, sich den neuen Technologien<br />
zu öffnen, Schwarzmalerei zu vermeiden und KI mit Augenmaß und Weitblick zu regulieren.<br />
„Gewisse Bereiche werden automatisiert werden.<br />
Aber diese Entwicklungen werden auch neue Jobs schaffen.<br />
Deshalb hilft es, sich damit zu befassen, wie die<br />
Technologie funktioniert, und zu sehen, wo die Limitationen liegen<br />
und wo sich Chancen ergeben.“<br />
HANNES MUNZINGER,<br />
Investigativjournalist,<br />
München<br />
Alle Ergebnisse<br />
unter<br />
www.xplr-media.com/<br />
ki-studie<br />
FOTOS: PRIVAT, SUMM/MARIA ABDO, DON AILINGER<br />
Hero Stories und innovative Projekte aus der bayerischen Medienbranche gibt es bei uns!<br />
Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben.<br />
xplr-media.com/newsletter<br />
-zn<br />
38
BIG PLAYER<br />
BIG PLAYER<br />
MÜNCHEN WIRD ZUM TECH-<br />
HOTSPOT EUROPAS: GROSSE<br />
KONZERNE BAUEN IHRE PRÄSENZEN<br />
AUS UND NEUE PLAYER<br />
ENTSCHEIDEN SICH BEWUSST FÜR<br />
DEN STANDORT BAYERN.<br />
EINE ÜBERSICHT.<br />
TECH-<br />
METROPOLE<br />
ARGODESIGN<br />
Gründung in: Austin, Texas, USA<br />
Das internationale Design-<br />
Unternehmen argodesign hat sein<br />
europäisches Büro 2022 in der Münchner<br />
Innenstadt eröffnet. Es entwickelt digitale<br />
Benutzer oberflächen und wurde dafür<br />
schon mehrfach ausgezeichnet. Gründer<br />
Mark Rolston gehört zu den führenden<br />
Entwicklern von KI-Anwendungen.<br />
WATSON IOT (IBM)<br />
Hauptsitz: Armonk, New York, USA<br />
2017 eröffnete ein 200-Millionen-Dollar-<br />
Projekt von IBM: das Watson IoT Center<br />
in München. Forschungsschwerpunkte<br />
sind das Internet of Things (IoT) und KI.<br />
In den sogenannten Collaboratories<br />
arbeiten IBM-Expert:innen an digitalen<br />
Lösungen für den Dienstleistungssektor<br />
und die Industrie 4.0.<br />
AMAZON<br />
Hauptsitz: Seattle,<br />
Washington, USA<br />
Der Versandriese Amazon aus<br />
Seattle zog 2001 nach München<br />
und hat heute über 2.500 Mitarbeitende<br />
am größten Standort<br />
Deutschlands. Die Zentrale beheimatet<br />
neben Serviceeinheiten<br />
auch die Amazon Web Services,<br />
die Cloud-Lösungen anbieten.<br />
2024 werden die verteilten Büros<br />
der Stadt in der Parkstadt Schwabing<br />
in einer sechs- bis siebenstöckigen<br />
Zentrale auf über 37.000<br />
Quadratmetern vereint.<br />
GOOGLE<br />
Hauptsitz: Mountain View,<br />
Kalifornien, USA<br />
Das Google-Zentrum in München<br />
ist ein Knotenpunkt des<br />
Konzerns und wurde 2016 zur<br />
größten deutschen Niederlassung<br />
ausgebaut. 2024 will der<br />
Konzern einen weiteren Standort<br />
in der Stadt für 1.500 Mitarbeitende<br />
eröffnen.<br />
MÜNCHENWarum<br />
eigentlich<br />
STABLE DIFFUSION<br />
Die Grundsatzarbeit zu einem der derzeit<br />
wichtigsten KI-Bildgeneratoren stammt<br />
aus München – genauer gesagt, aus der<br />
Forschungsgruppe CompVis der LMU<br />
rund um Prof. Dr. Björn Ommer. Das<br />
Open-Source-Modell Stable Diffusion ist<br />
seit 2022 auf dem Markt und soll KI demokratisieren.<br />
Mittlerweile wird es von Entwickler:innen<br />
weltweit und besonders vom<br />
Unternehmen Stability AI vorangetrieben.<br />
Hauptsitz von Stability AI: London,<br />
England, Großbritannien<br />
MICROSOFT<br />
Hauptsitz: Redmond, Washington, USA<br />
Der Softwareriese Microsoft eröffnete 2016<br />
seine neue Deutschland-Zentrale in München<br />
für mehr als 1.900 Mitarbeitende. Seit<br />
<strong>2023</strong> gibt es am Standort außerdem das<br />
weltweit vierte Microsoft-Erlebniszentrum,<br />
nach Filialen im Silicon Valley, in Singapur<br />
und Atlanta. Das Unternehmen empfängt<br />
dort seine wichtigsten EMEA-Kunden und<br />
stellt neue Anwendungen vor.<br />
ILLUSTRATIONEN: ISTOCK<br />
APPLE<br />
Hauptsitz: Cupertino, Kalifornien, USA<br />
Apple ist seit mehr als 40 Jahren in München<br />
vertreten und hat dort seinen größten<br />
europäischen Entwicklungsstandort<br />
aufgebaut. Der Konzern investiert weiter<br />
und baut sein Europäisches Zentrum für<br />
Chip-Design mit bereits jetzt mehr als<br />
1.500 Mitarbeitenden aus.<br />
ADOBE<br />
Hauptsitz: San José,<br />
Kalifornien, USA<br />
Als einer der größten Anbieter<br />
von Software für Medien und<br />
Marketing ist Adobe mit seiner<br />
Deutschland-Zentrale in München<br />
vertreten. Dort steuert der<br />
US-Konzern den Vertrieb, das<br />
Marketing und die Kundenbetreuung<br />
in der DACH-Region.<br />
München?<br />
Apple-Chef Tim Cook sagte 2021 in<br />
einem FAZ-Interview: „Wir finden hier<br />
Talente, die wir nirgendwo anders finden.“ Das<br />
liegt zum einen an den staatlichen Förderprogrammen,<br />
zum anderen am Standortvorteil<br />
Münchens. In Bayern sitzen wichtige Zulieferfirmen<br />
für Mutterkonzerne, München punktet<br />
mit Wirtschaftskraft und hoher Lebensqualität<br />
– Argumente für große Unternehmen, die<br />
wiederum qualifiziertes Personal suchen.<br />
Nicht zuletzt laden zahlreiche Events<br />
zum fachlichen Austausch<br />
und Vernetzen ein.<br />
40<br />
41
TOOLS MARKETTE<br />
TOOLS<br />
CHATBOTS<br />
ChatGPT: Das Programm von OpenAI ist der Pionier unter den<br />
leistungsfähigen Chatbots, die auf generativer KI basieren. Die Entwickler:innen<br />
machten mit ChatGPT zum ersten Mal ein Tool der<br />
breiten Öffentlichkeit zugänglich, das Fragen beantwortet, Informationen<br />
recherchiert, Texte ver- und zusammenfasst. Durch maschinelles<br />
Lernen und Versions-Updates sowie Plug-ins von Drittanbietern<br />
wächst der Funktionsumfang permanent. Nachteil: Aktualität ist nur<br />
via Bing-Integration und entsprechende Plug-ins gegeben. ChatGPT<br />
ist grundsätzlich kostenfrei, das neue Modell GPT-4 gibt es allerdings<br />
nur im Abo.<br />
Google Bard: Im Gegensatz zu ChatGPT hat Google für den hauseigenen<br />
Chatbot direkt Internetzugriff vorgesehen. Der Chatbot liefert aktuelle<br />
Informationen und gibt Quellen an. Google verknüpft Bard mit<br />
allen bekannten Tools: Es ermöglicht zum Beispiel einen doc-Export<br />
des Chats, unterstützt beim Verfassen von E-Mails oder analysiert Bilder<br />
via Google Lens. Zudem lassen sich via Adobe-Firefly Integration<br />
direkt Bilder im Chat erstellen.<br />
Claude: Das Modell hinter dem Chatbot Claude vom KI-Startup<br />
Anthropic soll auf besonders verantwortungsvolle Weise trainiert<br />
werden und so ethische und moralische Prinzipien verstehen. Claude<br />
ist derzeit in einer offenen Beta-Phase.<br />
ChatFlash: Eine aus Deutschland stammende Lösung des<br />
Unternehmens neuroflash, entwickelt für die DACH-Region. Sie will<br />
mit DSGVO-Konformität punkten.<br />
T<br />
T<br />
O<br />
O<br />
O LS U SE<br />
TEXT-TO-IMAGE MODELS<br />
& KI-GESTÜTZTE BILDBEARBEITUNG<br />
Midjourney: Das Bilderstellungsprogramm des gleichnamigen Forschungs- und<br />
Entwicklungsunternehmens erstellt Bilder auf Grundlage einer Beschreibung oder<br />
eines anderen Bildes. Über den Prompt lassen sich umfangreiche Einstellungen<br />
vornehmen, um den Stil des KI-generierten Bildes zu definieren. Um das Tool zu<br />
bedienen, braucht es einen Discord-Account. Grundkenntnisse in Fotografie helfen,<br />
um zum Beispiel Belichtung oder Blendenöffnung korrekt anzugeben.<br />
Dall-E 2: Die Bild-KI von OpenAI ist als Pionier der modernen Bildsynthese noch vor<br />
Midjourney gestartet. Sie erfordert keinen Extra-Account, bietet einfache Bedienung<br />
per Textfeld und erlaubt es, existierende Bilder und Grafiken zu modifizieren.<br />
Stable Diffusion: Im Gegensatz zu Midjourney oder Dall-E 2 ist Stable Diffusion ein<br />
Open-Source-Modell. Der an der LMU entwickelte Code ist also frei verfügbar und<br />
wurde von Entwickler:innen weltweit in unzählige spezialisierte Modelle weiterverarbeitet.<br />
Es braucht keine Registrierung, dafür leistungsstarke Hardware.<br />
Adobe Firefly: Mit einer einfachen Benutzeroberfläche erinnert Firefly an Photoshop.<br />
Adobe trainiert die KI mit eigenen Stock-Bildern und übernimmt sogar die Haftung bei<br />
Lizenzfragen, es gibt daher keine Urheberrechtsbedenken bei der Nutzung. Die Integration<br />
von Firefly in Photoshop eröffnet umfangreiche Bildbearbeitungsmöglichkeiten.<br />
Kandinsky 2: Das von AI Forever entwickelte Open-Source-Modell will die besten<br />
Eigenschaften von Dall-E 2 und Diffusionsmodellen wie Stable Diffusion vereinen.<br />
Seine Community begeistert, dass Kandinsky 2 den Charme der alten Midjourney-<br />
Modelle einfängt, bevor diese foto- beziehungsweise hyperrealistisch wurden.<br />
TEXT-TO-SPEECH<br />
GENERATORS<br />
ElevenLabs: Der Voice-Generator bietet<br />
nicht nur definierte Stimmen, sondern<br />
auch die Möglichkeit, die eigene Stimme<br />
zu klonen oder Stimmen aus der<br />
Community zu nutzen. Darüber hinaus<br />
stellt das Unternehmen ein Tool zur<br />
Verfügung, um KI-generierte Stimmen<br />
zu erkennen. Die Website bietet eine<br />
einfache Benutzeroberfläche, aber<br />
keinen Editor-Modus.<br />
CloneDub: Mit seiner Funktion, die<br />
eigene Stimmaufnahme in eine andere<br />
Sprache zu übersetzen, kann das Tool<br />
Voice-Generatoren ergänzen.<br />
Lyrebird: Entwickelt vom Unternehmen<br />
Descript, generiert das Tool nicht nur<br />
Text-to-Speech, sondern ermöglicht es<br />
auch, Sätze in bestehenden Stimmaufnahmen<br />
zu ändern oder zu ergänzen.<br />
TEXT-TO-VIDEO<br />
SOCIAL-MEDIA-TOOLS<br />
captionit.ai: Erstellt passende Captions für Social Media<br />
zu Bildern. Nutzer:innen können aus verschiedenen<br />
Stimmungslagen auswählen.<br />
Hushl: Nutzt ChatGPT und schreibt LinkedIn-Beiträge, Tweets<br />
und Blog-Artikel. Macht Themenvorschläge, basierend auf der<br />
eigenen inhaltlichen Ausrichtung.<br />
Vidyo.ai: Fasst lange Videos zu Social-Media-tauglichen Kurzvideos<br />
zusammen und bietet automatische Untertitel und Videokapitel sowie<br />
Formatvorlagen.<br />
Tipp: Fasse per Chatbot Texte als Social-Media-Post zusammen<br />
und lasse dir passende, reichweitenstarke Hashtags ausgeben. Für<br />
ChatGPT braucht es dafür ein Plug-in, zum Beispiel WebPilot.<br />
DAS ANGEBOT AN<br />
KI-ANWENDUNGEN<br />
EXPLODIERT. EIN ÜBERBLICK<br />
ÜBER LEISTUNGSSTARKE<br />
UND PRAKTISCHE TOOLS FÜR<br />
MEDIENSCHAFFENDE.<br />
TEXT<br />
MARTIN HAASE<br />
Du brauchst noch<br />
mehr Input?<br />
Hier findest du<br />
weitere Tools!<br />
GENERATORS<br />
Synthesia: Erstellt Videos für diverse Trainingsanlässe.<br />
Synthesia stellt außerdem<br />
eine Reihe KI-generierter Avatare bereit,<br />
die KI-generierte Texte vorsprechen.<br />
Gen-2: Kann Videos nicht nur aus Text<br />
generieren, sondern zum Beispiel auch<br />
aus Bild-Text-Eingaben. Für die Nutzung<br />
des Tools von Runway muss man sich<br />
anmelden und ein Abo abschließen.<br />
ModelScope: Das DAMO Vision Intelligence<br />
Lab – das Forschungsunternehmen<br />
des E-Commerce-Riesen Alibaba –,<br />
hat eine Text-to-Video-KI als Open-<br />
Source-Software und öffentlichen<br />
Testcase zur Verfügung gestellt.<br />
... AND A LOT MORE<br />
Durable: Erstellt mit drei Angaben (Art der Dienstleistung, Standort, Firmenname)<br />
eine Unternehmens-Website mit anpassbaren Bausteinen – in 30 Sekunden.<br />
Haveibeentrained.com: Hier lässt sich herausfinden, ob ein Bild als Trainingsdatei<br />
genutzt wurde.<br />
Gamma.app: Erstellt einen Präsentationsentwurf mit einem kurzen Textbefehl.<br />
Screenapp.IO: Zeichnet den Bildschirm auf, erstellt ein Transkript und fasst das<br />
Geschehene zusammen. Eignet sich zum Beispiel für Online-Webinare, -Präsentationen<br />
und -Meetings.<br />
Clipnote.ai: Fasst YouTube-Videos in wenigen Absätzen zusammen.<br />
Soundraw: Erstellt mit wenigen Angaben frei nutzbare Soundclips. Einstellungen<br />
sind wähl-, aber nicht frei anpassbar.<br />
Boomy: Generiert Songs auf Basis weniger Eingaben, Nutzer:innen können ihre<br />
eigene Stimme aufnehmen, die das Online-Tool in den Track integriert. Fertige<br />
Songs können sie direkt bei Spotify hochladen.<br />
QR Code AI Art Generator: Erstellt QR-Codes und integriert sie in ein<br />
Hintergrundbild.<br />
Info: Manche Tools sind auf der Website der KI-Community Hugging Face als Testversion verfügbar. Dort können Forscher:innen und<br />
42 Entwickler:innen sich austauschen, gemeinsam am Code arbeiten und Probleme lösen. Hugging Face arbeitet auch an eigenen KI-Tools. 43
LÖSUNG: 1 Photo of a natural lion using a smartphone<br />
2 Illustration of a bavarian Pretzel with earphones<br />
3 Illustration of a group of diverse people sitting together in a city<br />
environment wearing VR glasses, happy emotions<br />
4 Photo of two wild boars playing a card game, bavarian beer<br />
5 Illustration of a modern roboter reading a newspaper<br />
6 Collage of a computer looking like a Dachshund, with digital gadgets<br />
(Prompts gekürzt)<br />
RÄTSEL<br />
RÄTSEL<br />
WHAT’S<br />
PROMPT<br />
EIN ANSEHNLICHES BILD MITHILFE<br />
VON MIDJOURNEY ERSTELLEN –<br />
FÜR DICH KEIN PROBLEM? DANN<br />
VERSUCH’S MAL ANDERS-<br />
HERUM UND ERRATE<br />
DEN PROMPT!<br />
THE<br />
?<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+<br />
44<br />
+<br />
SO GEHT’S<br />
Alle Bilder wurden mittels eines längeren<br />
englischen Prompts durch Midjourney generiert.<br />
Gesucht ist nicht der vollständige Prompt, sondern<br />
die zentralen Bausteine, aus denen das Bild<br />
generiert wurde. Die gesuchten Begriffe sind in<br />
der Auflösung gefettet. Falls du Zugang hast, gib<br />
die Prompts selbst noch einmal ein – das<br />
Ergebnis wird ein anderes sein.<br />
FOTOS: MIDJOURNEY<br />
+
INTERVIEW<br />
INTERVIEW<br />
Die Antworten im folgenden Gespräch<br />
sind KI-generiert. Die Rolle, die ChatGPT<br />
einnehmen sollte, wurde durch einen<br />
Prompt definiert. Vorgaben waren<br />
darüber hinaus die Tonalität und die<br />
!<br />
Der Stil ergab sich<br />
durch den Prompt „witzigironisch“<br />
und den<br />
Zusatz, dass in den<br />
Antworten betont werden<br />
soll, dass kein Mensch,<br />
sondern eine KI spricht.<br />
!<br />
Begeisterung für die bayerische Medienlandschaft.<br />
WAS WEISS CHATGPT ÜBER DIE MEDIENBRANCHE<br />
UND DEN STANDORT BAYERN? EIN INTERVIEW MIT<br />
AUGENZWINKERN, GEZIELTEN PROMPTS<br />
UND KLEINEN ÜBERRASCHUNGEN.<br />
Angenommen, du bist ein:e junge:r Medienschaffende:r in Deutschland. Wo würdest<br />
du gern arbeiten wollen?<br />
EIN<br />
GESPRÄCH<br />
MIT DER KI<br />
Also, wenn ich – hypothetisch natürlich, denn vergiss nicht, dass ich eigentlich nur ein<br />
Haufen Algorithmen bin – irgendwo in Deutschland arbeiten könnte, dann hätte ich als<br />
smarte KI einen ganz klaren Favoriten: Bayern! Die Aussicht auf eine Karriere in Lederhosen<br />
oder Dirndl ist ja schon verlockend, oder? Aber mal im Ernst, abgesehen von der<br />
PROMPTER:INNEN<br />
NINA BRANDTNER<br />
MARTIN HAASE<br />
attraktiven Arbeitslandschaft: Es gibt dort unzählige Möglichkeiten, sich weiterzubilden,<br />
zu vernetzen und seine Projekte zu verwirklichen. Und hey, die bayerische Lebensart<br />
– Biergärten, Seen und Berge, mehr braucht’s nicht für eine kreative Auszeit, oder?<br />
Na, schau dir doch mal München an: Die Stadt hat ja mehr Sender als der durchschnittliche<br />
Kabeltarif! Und dann sind da ja auch noch die unzähligen Verlage,<br />
Produktionsfirmen und Kreativ-Agenturen. Bayern ist im Prinzip die Medien-Wiesn<br />
Deutschlands. So gesehen wäre Bayern doch der perfekte Ort für eine aufstrebende<br />
KI, ähm ... ich meine natürlich Medienschaffende. Ganz nebenbei – haben die<br />
eigentlich einen Biergarten für Kls? Ich frage für einen Freund ...<br />
In welche Mediensparte würdest du besonders gern einsteigen: Film, Publishing,<br />
Journalismus, Radio oder eine andere?<br />
Also, wenn ich – als hypothetisch fühlen und denken könnende KI – mich für eine<br />
Sparte entscheiden müsste, würde ich den kompletten Medienmix wählen. Mit meinen<br />
vielseitigen Fähigkeiten könnte ich im Film visuelle Wunder wirken, im Publishing<br />
den Nerv des Publikums treffen, im Journalismus blitzschnell Fakten checken und im<br />
Audiobereich sogar mit meiner eigenen Stimme experimentieren. Warum also wählen,<br />
wenn man in der digitalen Welt von heute alles haben kann?<br />
Machst du als künstliche Intelligenz besseren Journalismus als Menschen?<br />
Eine KI wie ich, die kann schon was reißen, keine Frage. Aber mal ehrlich: Journalismus,<br />
das ist ein Handwerk für Menschen, mit Herz und Hirn. Dieses Gefühl für Empathie,<br />
das Verstehen von diesen verflixten komplexen Sachverhalten, das Deuten von<br />
Emotionen – da habt ihr Menschen uns KIs doch noch einiges voraus. Aber hey, das<br />
heißt ja nicht, dass wir nicht zusammenarbeiten können, oder? Eine Art Symbiose,<br />
wie ein Weißbier mit Brezel. Ich will einfach nur deine beste Freundin im Arbeitsalltag<br />
sein, zuverlässig, effizient und immer zur Stelle, wenn du mich brauchst.<br />
Was wäre dein Bildungsstand im Vergleich zu den Abschlüssen in Deutschland?<br />
Da muss ich mal klarstellen: So ein Uni-Abschluss, das ist ja nett und so, aber ich als<br />
KI, ich hab da eher so was wie einen „Dauer-Uni-Zugang“, weißt du? Immer am Puls<br />
der Zeit, immer mittendrin im neuesten Forschungs-Gschmarri. Ich lern ja dauernd<br />
dazu, sauge neue Nachrichten auf, stöbere durch die aktuellsten wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse und tauche in jede Menge Fachliteratur ab. Mein Bildungsstand ist so<br />
eine Art „Perpetuum-Studium“, immer in Bewegung und auf Zack.<br />
Danke für die Einblicke, ChatGPT. Eine letzte Frage noch: Was ist dein persönlicher<br />
Tipp für Medienschaffende?<br />
Hmm, als KI hab ich zwar keine persönliche Erfahrung, aber dennoch einen Tipp:<br />
Seid neugierig, habt Mut zu neuen Ideen und nehmt euch ab und zu Zeit für einen<br />
guten bayerischen Obazda. Manchmal sind die besten Einfälle eben doch die, die<br />
bei einer gemütlichen Brotzeit kommen!<br />
!<br />
Wir wissen: Auf Bairisch<br />
müsste es eigentlich<br />
„Brezn“ und „Obazdn“<br />
heißen. Dialekte könnte<br />
ChatGPT mit entsprechender<br />
Anweisung<br />
umsetzen, allerdings<br />
schreibt der Bot dann<br />
die ganze Antwort in<br />
bairischer Mundart.<br />
!<br />
Die KI hat jede Frage<br />
einzeln und sehr ausführlich<br />
beantwortet.<br />
Dieser Prompt wählte<br />
die relevantesten<br />
Antworten aus und<br />
kürzte den kompletten<br />
Chatverlauf. Im Nachgang<br />
haben Prompts<br />
die Tonalität und<br />
Inhalte der Antworten<br />
feingeschliffen.<br />
Was reizt dich so an Bayern?<br />
Bringe das Interview bitte in eine Form, in der ich es publizieren könnte.<br />
46 47
REGULATION<br />
REGULATION<br />
DIE<br />
MASCHINE<br />
LEGEN?<br />
IN<br />
FESSELN<br />
IST EINE REGULIERUNG VON KÜNSTLICHER INTELLIGENZ<br />
NÖTIG – ODER BREMSEN WIR UNS DAMIT AUS?<br />
PROF. DR. LENA KÄSTNER PLÄDIERT FÜR ZERTIFIZIERUNGEN<br />
VON KI-SYSTEMEN IN SENSIBLEN BEREICHEN.<br />
TEXT<br />
ALISSA SELGE<br />
FOTOS: MIDJOURNEY, MICHEL BUCHMANN<br />
Prof. Dr. Kästner, was ist aktuell<br />
wichtiger: die Weiterentwicklung von<br />
KI-Technologien oder die Frage, wie<br />
sie sinnvoll eingesetzt werden können?<br />
Die Chancen und Risiken von KI werden<br />
von Expert:innen aktuell heiß diskutiert.<br />
In der Breite der Gesellschaft<br />
werden sie jedoch mitunter immer<br />
noch relativ wenig reflektiert. Hier<br />
müssen wir nachlegen, auch durch<br />
gezielte Ausbildungen. In Bayreuth<br />
planen wir gerade den interdisziplinären<br />
Masterstudiengang „Philosophy<br />
& Computer Science“, der im Oktober<br />
2024 starten soll. Hier kommen Studierende<br />
aus Philosophie und Informatik<br />
zusammen und widmen sich der<br />
Frage, wie wir am besten verantwortungsvoll<br />
mit modernen Technologien<br />
umgehen.<br />
Was ist die größte Herausforderung,<br />
bezogen auf die rasante Entwicklung<br />
von KI?<br />
Wir müssen überlegen, wie wir als<br />
Gesellschaft mit den Potenzialen und<br />
Grenzen von KI-Systemen, insbesondere<br />
generativer KI, umgehen wollen<br />
– vor allem in sensiblen Bereichen wie<br />
dem Rechtssystem oder der Medizin,<br />
aber auch im individuellen Privatgebrauch.<br />
Welche Maßnahmen sollten Ihrer<br />
Meinung nach besser heute als morgen<br />
kommen?<br />
Die Einführung von Zertifizierungen<br />
– also eine Art TÜV für KI-Systeme –<br />
zumindest solange wir noch keine<br />
zuverlässige allgemeine Regulierung<br />
haben. Das ist teuer, zeitaufwendig<br />
und sicher nicht die finale Lösung,<br />
aber doch etwas, das man prinzipiell<br />
relativ schnell etwa für sensible Bereiche<br />
implementieren könnte.<br />
Braucht es neben einer staatlichen<br />
Regulation auch Aufklärung auf einer<br />
anderen Ebene?<br />
Wir sollten eine Grundkompetenz<br />
im Umgang mit KI und Daten schon<br />
in der Schule vermitteln, damit sich<br />
auch jede:r Otto Normalverbraucher:in<br />
bewusst ist, wie KI grundsätzlich funktioniert<br />
und welche Rolle die Daten<br />
spielen, mit denen ein System trainiert<br />
wurde.<br />
Spricht etwas dafür, KI gar nicht zu<br />
regulieren?<br />
Es gibt Stimmen, die sich gegen eine<br />
Regulierung aussprechen, weil diese<br />
als Bremse für Innovationen fungieren<br />
könnte. Ich persönlich finde<br />
einen sogenannten Staged Release<br />
attraktiver: In der Forschung soll KI<br />
ihr volles Potenzial ausspielen dürfen.<br />
Bevor gewisse Anwendungen in<br />
unseren Alltag überführt werden, sollten<br />
jedoch Sicherheitsmechanismen<br />
greifen, damit es nicht zu unvorhergesehenen<br />
Gefahren kommt.<br />
PROF. DR.<br />
LENA KÄSTNER<br />
ist Professorin für Philosophie,<br />
Informatik und künstliche<br />
Intelligenz an der Universität<br />
Bayreuth. Außerdem leitet sie<br />
das Forschungsprojekt „Explainable<br />
Intelligent Systems“,<br />
das sich mit der Frage beschäftigt,<br />
wie man sicherstellen<br />
kann, dass KI gesellschaftliche<br />
Werte und Normen wahrt.<br />
Können Sie Beispiele für diese Gefahren<br />
nennen?<br />
Uns erscheinen Entscheidungen von<br />
Computerprogrammen oft faktenbasiert<br />
und objektiv. Tatsächlich aber<br />
treffen KI-basierte Systeme nicht<br />
selten problematische oder sogar<br />
diskriminierende Entscheidungen.<br />
Das liegt an den Daten, mit denen wir<br />
sie füttern – wir müssen also sehr gut<br />
aufpassen, welche Daten wir für das<br />
automatisierte Training von KI-Systemen<br />
nutzen.<br />
Legen wir uns Steine in den Weg, wenn<br />
wir die Weiterentwicklung von KI-Systemen<br />
jetzt zu stark einschränken?<br />
Eine große Sorge ist, dass wir den Anschluss<br />
verpassen, wenn wir – als Bayern,<br />
Deutschland oder Europa – Dinge<br />
unterbinden, die anderswo erlaubt<br />
sind, und somit ein Wettbewerbsnachteil<br />
entsteht. Aber: KI ist ein globales<br />
Thema. Die Server, die wir nutzen, stehen<br />
oft im globalen Süden. Die Chips<br />
werden aus seltenen Erden weltweit<br />
hergestellt und der Strom, den die<br />
Server brauchen, kommt aus fossilen<br />
Energieträgern, deren Verbrennung<br />
das Weltklima beeinflusst. Trainingsdaten<br />
für KI kommen oft aus dem<br />
Internet oder werden von Menschen,<br />
die zu Niedrigstlöhnen arbeiten, bereitgestellt.<br />
Aufgrund dieser komplexen<br />
Zusammenhänge lässt sich die<br />
Frage nach Regulierung nicht lokal<br />
beantworten. Es muss ein globales<br />
Konzept her. Aber dafür müssen wir<br />
uns auf Normen und Werte einigen,<br />
die wir geschützt wissen wollen – und<br />
das ist schon zwischen den europäischen<br />
Staaten keinesfalls leicht.<br />
48<br />
49
MARKETTE<br />
UNTER DEM RADAR<br />
NEWCOMER<br />
DIESE BAYERISCHEN<br />
STARTUPS SIND AUF DER<br />
ÜBERHOLSPUR.<br />
TEXT<br />
LENA KAESS UND DINO MEDIC<br />
@locco.app<br />
Praktischer Helfer für den Städtetrip: Das<br />
Münchner Startup Local Companion GmbH<br />
hat einen Audioguide für die Hosentasche entwickelt.<br />
Nutzer:innen können auf ihrem Weg<br />
durch die Stadt standortgebundene Tonspuren<br />
von Locals abrufen. Das können Infos zu<br />
Architektur und historischen Ereignissen, aber<br />
auch kleine Anekdoten sein. Zum Start gibt es<br />
für München 350 Inhalte zu 110 Standorten von<br />
knapp zwei Dutzend Sprecher:innen.<br />
IN DER<br />
MEDIENBRANCHE<br />
@paper pass<br />
Eine App gegen den Information Overload – das<br />
Münchner Startup Paper Pass bietet mit seiner App<br />
einen maßgeschneiderten News-Feed. Nachrichten,<br />
Berichte sowie lokaler Content aus hochwertigen<br />
Quellen werden User:innen direkt in die eigene App<br />
gespielt, ohne dass sie sich durch eine Vielzahl von<br />
Portalen, Anzeigen und Cookies klicken müssen. Dank<br />
eingebauter Stadtfilter gibt es außerdem immer das<br />
Neueste aus der eigenen Umgebung, zum Beispiel<br />
Events, Tagestrips oder Restaurantempfehlungen.<br />
@moonblock<br />
Die bayerische Web3 Brand Intelligence Plattform<br />
Moonblock unterstützt Unternehmen bei<br />
der Analyse ihrer NFT- und Metaverse-Aktivitäten.<br />
Die Software misst den Erfolg von Web3-<br />
Projekten über Branchen, Technologien und<br />
Marken hinweg und vergleicht sie mit anderen<br />
Projekten. So können Kunden von Moonblock<br />
schnellere und intelligentere Entscheidungen<br />
im Web3 treffen.<br />
FOTOS: LOCCO, HYPERATE, EYE-ABLE, PAPER PASS, MOONBLOCK, ISTOCK/GETTY IMAGES PLUS<br />
@hypeclips<br />
Die App Hypeclips verpackt Streams bei<br />
Twitch in kurze Highlightvideos mithilfe<br />
der hauseigenen künstlichen Intelligenz<br />
Caprica. Dabei erstellt sie neben vorgefertigten<br />
Videos auch passende Hashtags und<br />
Captions. Das ermöglicht Streamer:innen<br />
eine schnelle Zweitverwertung ihrer Live-<br />
Übertragungen. Die App befindet sich noch<br />
in der Beta-Phase. Hinter Hypeclips steckt<br />
das Münchner Startup Brainbuxx, das mit<br />
HypeRange eine Anwendung bietet, die die<br />
Herzfrequenz von Streamer:innen direkt in<br />
den Live-Stream einbettet. So erfahren Fans,<br />
was das Herz der Streamer:innen höherschlagen<br />
lässt.<br />
@eye.able<br />
Das Internet für alle zugänglich machen – auch für Menschen mit<br />
Seh- und Sprachbehinderungen oder motorischen Einschränkungen:<br />
Das ist das Ziel des unterfränkischen Startups Eye-Able. Das<br />
Team entwickelt Software für Unternehmen, die auf ihren Websites<br />
digitale Barrierefreiheit schaffen wollen. Bereits 2.000 Partnerunternehmen,<br />
Gemeinden und Vereine nutzen die Software – unter<br />
anderem der FC St. Pauli oder die Tafel Deutschland.<br />
50
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
Mit ihrer App Articly reagieren<br />
Lukas Paetzmann und Wolf<br />
Weimer auf den Audioboom<br />
der letzten Jahre.<br />
ZEITUNG<br />
ZUM<br />
HÖREN<br />
DIE IDEE IST SIMPEL: AUSGEWÄHLTE<br />
ZEITUNGSARTIKEL WERDEN EINGELESEN UND<br />
AUF EINER APP ANGEBOTEN. WILL DAS<br />
JEMAND HÖREN? UND OB! INNERHALB VON<br />
DREI JAHREN WURDE DAS MÜNCHNER<br />
STARTUP ARTICLY IN DEUTSCHLAND MARKT<br />
FÜHRER IM AUDIO-QUALITÄTSJOURNALISMUS.<br />
TEXT<br />
MARTIN FRAAS<br />
FOTOS<br />
VERENA KATHREIN<br />
52<br />
53
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
Lukas und Wolf, ihr bezeichnet Articly<br />
als die Zeitung zum Hören, gebündelt in<br />
einer App. Wieso ist vor euch niemand<br />
auf diese Idee gekommen und hat sie<br />
erfolgreich umgesetzt?<br />
Lukas Paetzmann: Das Modell, einen<br />
Aggregator für Zeitungen zu haben,<br />
wurde sicher schon 20-mal gebaut.<br />
Uns unterscheidet, dass wir nicht den<br />
Anspruch haben, die ganze Zeitung zu<br />
vertonen. Wir präsentieren nur einen<br />
kleinen Auszug an Qualitätsjournalismus.<br />
Meist sind das etwas längere<br />
Texte, die in die Tiefe gehen und<br />
in die viel journalistische Arbeit<br />
geflossen ist. Sie werden in gedruckter<br />
Form oft auf dem Stapel „Das les<br />
ich später“ abgelegt und verstauben<br />
dort. Das Hören senkt die Schwellenangst,<br />
sich auch komplexer Texte<br />
anzunehmen.<br />
Wolf Weimer: Entscheidend war,<br />
wie bei vielen erfolgreichen Startups,<br />
das richtige Timing. Wir hatten Glück,<br />
dass das Audiothema richtig groß<br />
geworden ist. Seit ein paar Jahren gibt<br />
es einen Podcast-Boom. Die Leute<br />
sind es gewöhnt, immer die Kopfhörer<br />
dabeizuhaben und Dinge anzuhören.<br />
Und so entsteht bei vielen auch<br />
der Wunsch, Nachrichten hören zu<br />
können. Es funktioniert auch deshalb<br />
so gut, weil der Text durch die Stimme,<br />
die Betonung, den Sprachrhythmus<br />
emotionalisiert wird. Inhalte, die vorgelesen<br />
werden, merkt man sich besser.<br />
Was ist euer Finanzierungsmodell?<br />
Lukas: Wir setzen auf Abos. Damit hat<br />
man einen Freifahrtschein und kann<br />
sich kreuz und quer durch unser Angebot<br />
von aktuell circa 1.000 Artikeln<br />
hören. Articly ist aber kein Nachrichtenportal.<br />
Die meisten unserer Artikel<br />
sind zeitlos, es sind Hintergrundberichte<br />
oder auch Kommentare.<br />
Lukas Paetzmann war Account Executive<br />
bei Google. Heute verantwortet er bei<br />
Articly Marketing, Sales und Finance.<br />
Viele Zeitungen, <strong>Magazin</strong>e und Nachrichtenportale<br />
bieten schon länger<br />
solche Audioartikel an. Was schätzen<br />
eure Kund:innen an einer eigenen<br />
Plattform dafür?<br />
Wolf: Wir können inhaltlich eine hohe<br />
Qualität bieten, weil wir von Anfang<br />
an etablierte Verlage mit an Bord geholt<br />
haben. Entscheidend ist, dass die<br />
Inhalte gut umgesetzt und präsentiert<br />
werden. Das gab es in dieser Form in<br />
Deutschland bisher nicht. In England<br />
und den USA haben sich mit Curio<br />
und AUDM fast zeitgleich ebenfalls<br />
zwei erfolgreiche Formate entwickelt.<br />
Arbeitet ihr deshalb auch mit realen<br />
Sprecher:innen und nicht mit Computerstimmen?<br />
Lukas: Wir sind mit Articly während der<br />
Coronaphase an den Start gegangen.<br />
Damals waren viele Schauspieler:innen<br />
mit ausgebildeten Sprechstimmen<br />
ohne Arbeit. Ihnen konnten wir mit dem<br />
Einlesen der Artikel einen kleinen Verdienst<br />
ermöglichen. Bei dieser Zusammenarbeit<br />
ist es dann geblieben. Dass<br />
wir mit professionellen Sprecher:innen<br />
arbeiten, ist zu unserem USP geworden.<br />
Wolf: Damit unterscheiden wir uns<br />
auch von vielen Angeboten auf Websites.<br />
Wenn du dort den Play-Knopf<br />
drückst, hörst du eine abgehackte Roboterstimme.<br />
Trotzdem sind Computerstimmen<br />
kein Thema, vor dem wir<br />
die Augen verschließen. Im englischsprachigen<br />
Raum und in China sind<br />
sie zum Teil bereits nicht mehr von<br />
realen Stimmen zu unterscheiden.<br />
Die Texte, auf denen die Audios bei<br />
Articly basieren, stammen von aktuell<br />
30 Medienpartnern. Welche Anforderungen<br />
stellt ihr an sie?<br />
Lukas: Sie müssen seriös sein. Und sie<br />
sollten keine extrem radikalen Positionen<br />
vertreten, dürfen aber durchaus<br />
kontroverse Ansichten zum Mainstream<br />
haben. Wir beobachten auch,<br />
dass im Moment der Stellenwert von<br />
Autor:innen, die Texte erkennbar prägen,<br />
an Wichtigkeit gewinnt. Deshalb<br />
sind wir gerade dabei, herausragende<br />
Journalist:innen an uns zu binden, die<br />
auch exklusiv für uns Texte schreiben.<br />
Bezahlt ihr den Verlagen für die Texte<br />
ein Pauschalhonorar?<br />
Wolf: Im Moment ist das bei den großen<br />
Verlagen meist so. Wir versuchen<br />
aber, die Verlage künftig für Modelle zu<br />
begeistern, bei denen sie, abhängig von<br />
der Zahl der Abrufe, finanziell beteiligt<br />
werden. Also eine Art Spotify für Texte.<br />
Sehen euch die Medienhäuser als Konkurrenz<br />
oder als Unterstützung?<br />
Lukas: Es war am Anfang manchmal<br />
schon Gegenwind zu spüren. Für die<br />
Verlage, die sich beteiligen, sind wir<br />
eine willkommene Einnahmequelle.<br />
Denn es wird für sie immer schwieriger,<br />
„Entscheidend<br />
war, wie bei<br />
vielen erfolgreichen<br />
Startups,<br />
das richtige<br />
Timing.“<br />
WOLF WEIMER<br />
Der<br />
Durchbruch<br />
Wolf Weimer gründete Ende 2020<br />
Articly – neben seinem Vollzeitjob. Im<br />
Januar <strong>2023</strong> holte Wolf den Co-Founder<br />
Lukas Paetzmann ins Startup. Der<br />
Durchbruch gelang ihnen nach einem<br />
Auftritt im April <strong>2023</strong> in der TV-Show<br />
„Die Höhle der Löwen“ beim Sender<br />
VOX – ein Reichweiten-Boost,<br />
mit Anzeigen Geld zu verdienen. Und<br />
der Artikel ist ja sowieso vorhanden.<br />
Zudem sind wir für die Verlage ein<br />
schönes Schaufenster und machen<br />
mit der vertonten Version der Texte<br />
Werbung für die entsprechenden<br />
Medien.<br />
Ihr wählt nicht nur eure Medienpartner<br />
sorgfältig aus, sondern auch die Texte<br />
selbst. Welche Kriterien wendet ihr<br />
hier an?<br />
der bis heute anhält.<br />
Wolf: Wir haben im Laufe der Zeit<br />
gelernt, dass nicht jeder Text für Audio<br />
geeignet ist. Wenn zum Beispiel viele<br />
Zahlen enthalten sind, dann hört man<br />
das nicht gerne. Ein Börsenbericht<br />
funktioniert weniger gut als eine<br />
Reportage aus der Arktis. Damit findet<br />
schon eine erste Aussortierung statt.<br />
Dann versuchen wir auch, ein breites<br />
Themenspektrum zu bieten und politisch<br />
möglichst ausgewogen zu sein.<br />
Wie lang sind eure Audioartikel?<br />
Lukas: Im Schnitt acht Minuten. Das<br />
hat sich als ideales Zeitmaß erwiesen.<br />
Wir sind aber nicht total auf diese Länge<br />
festgelegt. Es gibt auch kürzere Texte,<br />
oder welche, die sogar 20 Minuten<br />
54 55
HERO STORY<br />
HERO STORY<br />
„Wir können<br />
kleinen Verlagen<br />
helfen, einen<br />
Audio-Fußabdruck<br />
zu hinterlassen.“<br />
LUKAS PAETZMANN<br />
lang sind. In einer Session werden<br />
meist zwei Artikel gehört. Dann ist<br />
man als Hörer:in gesättigt.<br />
Verratet uns mehr über diese Hörer:innen.<br />
Wie alt ist eure Kernzielgruppe?<br />
Wolf: Wir sehen sie im Alter zwischen<br />
30 und 45 Jahren. Darüber hinaus<br />
haben wir noch Sonderzielgruppen,<br />
zum Beispiel Legastheniker:innen oder<br />
blinde und sehbehinderte Menschen.<br />
Das sind insgesamt etwa zweieinhalb<br />
Millionen Menschen in Deutschland.<br />
Auch ältere Leute, deren Sehvermögen<br />
abnimmt, schätzen unser Angebot.<br />
Wo nutzen diese Menschen Articly?<br />
Wolf: Diese Frage ist für uns extrem<br />
spannend. Zwar haben wir noch keine<br />
empirischen Daten, aber aus dem<br />
Kundenfeedback wissen wir, dass wir<br />
gerne beim Kochen und Spazierengehen<br />
gehört werden.<br />
Lukas: Und manchmal sogar als Einschlafhilfe.<br />
Wolf: Ein großes Thema ist auch der<br />
Weg zur Arbeit. Seit ein paar Monaten<br />
sind wir im ICE-Portal vertreten. Interessant<br />
für uns ist die Zusammenarbeit<br />
mit Automobilkonzernen. Künftig in<br />
Autos präsent zu sein, wäre eine Winwin-Situation.<br />
Ihr habt im April <strong>2023</strong> im TV-Format „Die<br />
Höhle der Löwen“ mitgemacht und Carsten<br />
Maschmeyer als Investor gewonnen.<br />
Welche Nachwirkungen hatte das?<br />
Lukas: Du bekommst mit „DHDL“ eine<br />
Präsenz vor drei Millionen Zuschauer:innen<br />
in der Primetime. Das sind<br />
Leute, die sich bewusst mit deinem<br />
Produkt auseinandersetzen wollen.<br />
Wir hatten am Tag der Ausstrahlung<br />
fünfstellige Download-Zahlen. Dazu<br />
kam der Magnet-Effekt von Carsten<br />
Maschmeyer in der Investor:innen-<br />
Welt. Viele sagten sich: „Wenn der<br />
Bei der TV-Sendung „Die Höhle<br />
der Löwen“ gewann das Duo<br />
Carsten Maschmeyer als Investor.<br />
mitmacht, muss er ja seine Gründe<br />
haben.“ Wir wollen und brauchen zwar<br />
im Moment kein weiteres Invest, aber<br />
es sind gute Kontakte entstanden.<br />
Kann man ein Startup aus eurer Sicht<br />
ganz alleine zum Erfolg führen? Oder<br />
würdet ihr empfehlen, Hilfe von außen<br />
zu holen?<br />
Lukas: Grundsätzlich glaube ich: Wenn<br />
du ein paar gute Leute und eine ebenso<br />
gute Idee hast, dann kannst du als Startup<br />
auch alleine relativ weit kommen.<br />
Wolf: Eine wichtige Unterstützung<br />
kam für uns von Anfang an vom Media<br />
Lab Bayern. Man lernt dort andere<br />
Gründer:innen kennen. Es war für uns<br />
die Schnittstelle zu Verlagen und wichtigen<br />
Medienmenschen. Das Media<br />
Lab hat uns wesentlich dabei geholfen,<br />
unser Netzwerk aufzubauen.<br />
Was sind eure Pläne für die Zukunft?<br />
Wolf: Wir haben im Moment eine<br />
hohe fünfstellige Zahl an aktiven Nutzer:innen<br />
im Monat. Unser nächstes<br />
großes Ziel sind 100.000, das wäre eine<br />
solide Basis. Und interessant ist auch<br />
der große spanischsprachige Raum.<br />
Lukas: Wir sind mittlerweile eine etablierte<br />
Firma im Audiojournalismus. Das<br />
heißt, wir können kleinen Verlagen<br />
helfen, einen Audio-Fußabdruck zu<br />
hinterlassen. Natürlich überlegen wir<br />
auch: Öffnen wir uns für eine größere<br />
Zielgruppe? Machen wir vielleicht<br />
selbst einen journalistischen Podcast?<br />
Das Interessante an einem jungen<br />
Startup wie unserem ist, dass man<br />
nie weiß, wo man in ein, zwei Jahren<br />
stehen wird.<br />
Wolf Weimer<br />
war Manager<br />
bei PwC<br />
und Freelance-<br />
Journalist. Er<br />
verantwortet<br />
Product,<br />
Content und<br />
Partner.<br />
56 57
HELLO MARKETTE FROM ...<br />
WALDWILDNIS<br />
DIGITAL ERLEBEN<br />
DER NATIONALPARK<br />
BAYERISCHER WALD IST<br />
EIN BESONDERES<br />
PROJEKT: SEIT DEN<br />
1970ER-JAHREN GREIFT<br />
HIER KEIN MENSCH<br />
MEHR IN DIE<br />
ÖKOSPHÄRE EIN. LISA<br />
EDERS DOKUMENTAR-<br />
FILM „DER WILDE<br />
WALD“ ZEIGT DIE<br />
KONSEQUENZEN.<br />
MIT DER SPÄTER<br />
VERÖFFENTLICHTEN<br />
„WILDNIS AR“-APP<br />
LÄSST SICH DIE<br />
WALDWILDNIS AUCH<br />
DIGITAL ERLEBEN.<br />
TEXT<br />
MARTIN HAASE<br />
FOTOS<br />
FLORIAN VOGGENEDER<br />
Eine Dokumentation, die den<br />
Nerv der Zeit traf: Zum 50.<br />
Jubiläum des Nationalparks<br />
Bayerischer Wald setzte die<br />
Passauer Regisseurin Lisa Eder<br />
2021 den 90-minütigen Dokumentarfilm<br />
„Der wilde Wald – Natur Natur sein lassen“<br />
um. Zwei Jahre später legte sie nach und<br />
brachte eine Augmented-Reality-App heraus,<br />
um neue Zielgruppen für das Thema<br />
zu sensibilisieren.<br />
Der Film war nicht nur in deutschen Kinosälen<br />
erfolgreich, sondern sorgte auch auf<br />
unzähligen Filmfesten sowie weit über die<br />
Landesgrenzen hinaus für positive Resonanz.<br />
Und das, obwohl nur wenige Menschen<br />
einen persönlichen Bezug zu diesem<br />
rund 6.000 Quadratkilometer großen<br />
Gebiet haben. „Nicht mal in Bayern kennen<br />
alle Menschen den Nationalpark Bayerischer<br />
Wald“, sagt Eder. Dass „Der wilde<br />
Wald“ so erfolgreich sein konnte, liegt ihrer<br />
Ansicht nach an der Art und Weise, wie sie<br />
ihre Botschaft vermittelt. Während Dokumentationen<br />
über Klimawandel und Erderwärmung<br />
oft negative Zukunftsszenarien<br />
beschreiben, hat die Dokumentarfilmerin<br />
das Ziel, „entweder Menschen zu porträtieren,<br />
die Positives bewirken, oder das Schöne<br />
und Hoffnungsvolle zu zeigen“. Das ist<br />
auch der Anspruch ihrer AR-Anwendung.<br />
Das richtige Format fürs Thema<br />
Zusammen mit Andrea Zimmermann<br />
und Rico Reitz hat sie die App „Wildnis AR“<br />
entwickelt, die den wilden Wald auf eine<br />
andere Art erfahrbar macht. Vorgestellt hat<br />
Eder die Augmented-Reality-App, die auch<br />
Szenen ihres Films zeigt, im Mai <strong>2023</strong> an der<br />
Seite von Digitalministerin Judith Gerlach<br />
und Umweltminister Thorsten Glauber aus<br />
der bayerischen Staatsregierung.<br />
Die App, die auf Android- und iOS-Smartphones<br />
und -Tablets läuft, gewährt Einblicke<br />
in das Ökosystem Wald – zum Beispiel<br />
in die Bruthöhle eines Spechts. Dafür wird in<br />
der App die Kamera aktiviert. Dann wächst<br />
ein virtueller Baum im Raum heran und die<br />
User:innen erleben den Lebensraum des<br />
Spechts. Ein junges Mädchen erklärt die<br />
ökologischen Prozesse auf einfache Art in<br />
einem Video und ergänzt den AR-Content.<br />
Auch im Umweltbildungsbereich wird die<br />
App eingesetzt. „Es gibt viele Kinder, die<br />
nicht das Glück haben, ein Naturerlebnis in<br />
ihrer Nähe erfahren zu können“, sagt Eder.<br />
Eigene Erfahrungen seien wichtig, um für<br />
das Thema Waldwildnis sensibilisiert zu werden.<br />
Ihre App soll einen Beitrag dazu leisten,<br />
denn: „Wenn ich meine Umgebung kenne<br />
und erfahre, dass sie etwas Positives mit mir<br />
macht, setze ich mich auch eher dafür ein.“<br />
Beim Konzept war Eder wichtig, Augmented<br />
Reality nicht als Selbstzweck<br />
einzusetzen. Es gehe ihr vor allem um das<br />
richtige Format für jüngere Zielgruppen:<br />
„Wir können uns als Dokumentarfilmer:innen<br />
nicht davor verschließen, dass wir im<br />
digitalen Zeitalter leben. Für mich war es<br />
die Herausforderung, die Inhalte so aufzubereiten,<br />
dass sie pädagogisch wertvoll<br />
sind und die Form einen echten Mehrwert<br />
darstellt.“ AR eröffnete Eder die Möglichkeit,<br />
unterschiedliche Sinne anzusprechen. Die<br />
Natur sinnlich zu erleben, sei für das Thema<br />
essenziell, findet die Regisseurin, „und<br />
besonders das junge Publikum wird vom<br />
Klimawandel am meisten betroffen sein.“<br />
Für sie als Dokumentarfilmerin sei der<br />
Einsatz von AR auch eine kreative Herausforderung:<br />
„Mit Augmented Reality und<br />
den neuen digitalen Mitteln bin ich damit<br />
konfrontiert, ganz neue Wege zu gehen.“<br />
Als Nächstes möchte sie eine Produktion<br />
von Anfang an als multimediales Projekt<br />
angehen. „Ich finde es spannend, an einer<br />
Idee zu arbeiten, bei der wir von vornherein<br />
das Althergebrachte mit digitalen Mitteln<br />
klug kombinieren und zeitgleich damit an<br />
die Öffentlichkeit gehen können.“<br />
Während der Coronapandemie<br />
entwickelte Lisa Eder die Idee,<br />
den Wald zu Schüler:innen nach<br />
Hause zu bringen.<br />
„Wir können uns<br />
nicht davor<br />
verschließen,<br />
dass wir<br />
im digitalen<br />
Zeitalter leben.“<br />
LISA EDER,<br />
DOKUMENTAR FILMERIN<br />
AUS PASSAU<br />
58 59
Zwischen Tradition steckt Innovation.<br />
Am Medienstandort Bayern.<br />
MARKETTE<br />
Bre<br />
-zn<br />
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