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XPLR Magazin 04/2023

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N o 4<br />

Media <strong>Magazin</strong>e<br />

ÄSTHETISCHE ILLUSTRATION<br />

PERSON MIT FESSELNDEM BLICK<br />

ZEITUNG ZUM HÖREN<br />

IN EINER POSITIVEN STIMMUNG<br />

PERSON BLICKT IN DIE KAMERA<br />

--AR 2:3 --V 5.1<br />

RADIO REVOLUTION<br />

--S 750 ERGÄNZE SCHWEBENDE DIGITALE GADGETS<br />

NUTZE DIE FARBEN<br />

PINK, GELB<br />

LILA UND BLAU<br />

VERMITTLE DAS GEFÜHL<br />

VON HARMONISCHER<br />

SYMBIOSE AUS<br />

MENSCH UND<br />

MASCHINE<br />

INTEGRIERE MODERNE UND<br />

ÄLTERE MEDIENTECHNIK<br />

DIE NEUE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT<br />

ALTE KAMERAS, AR-GADGETS<br />

UND REICHERE DAS BILD<br />

MIT SYMBOLISCHEN<br />

FUTURISTISCHEN ELEMENTEN AN<br />

KLEIDE DIE PERSON<br />

IN EIN FUTURISTISCHES OUTFIT<br />

MIT ASYMMETRISCHEM AUFBAU<br />

MENSCH, MASCHINE, MUSIK: EINE NEUE KOMPOSITION<br />

ERGÄNZE EINE<br />

LICHTEINSTRAHLUNG, DIE HINTER DER<br />

LINKEN SCHULTER DER PERSON VON HINTEN EINSTRAHLT<br />

DAS NEUE WERKZEUG KI<br />

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ BIETET DER MEDIENBRANCHE<br />

GROSSE CHANCEN, STELLT SIE JEDOCH AUCH VOR HERAUSFORDERUNGEN.<br />

CASES UND DEBATTEN, DIE MEDIENSCHAFFENDE BEWEGEN.


EDITORIAL<br />

Servus<br />

wir sind:<br />

KLEINE<br />

GESCHICHTE<br />

DER KI<br />

1936<br />

Alan Turing beweist seine Theorie einer<br />

„Turingmaschine“. Dieses theoretische<br />

Modell zeigt erstmals, dass eine<br />

Rechenmaschine jedes Problem lösen<br />

kann, wenn es durch einen Algorithmus<br />

dargestellt und in Einzelschritte zerlegt<br />

werden kann. Er schafft damit die Basis<br />

für die Entwicklung von KI.<br />

Wir zeigen dir Menschen, die die Medienwelt<br />

von morgen gestalten, informieren dich<br />

über relevante Trends und entdecken für dich innovative<br />

Medienunternehmen aus Bayern.<br />

Künstliche Intelligenz wird die Medienbranche nachhaltig verändern,<br />

darin sind sich Expert:innen einig. Für Medienschaffende<br />

wirft das viele Fragen auf: In welchen Bereichen und auf welche<br />

Weise wird KI ihre Arbeit beeinflussen? Sind die neuen Tools<br />

eine Chance für mehr Effizienz und Glaubwürdigkeit? Und wie<br />

verliert man jetzt nicht den Anschluss?<br />

Wir haben bayerische Medienhäuser, Expert:innen und nicht<br />

zuletzt die KI selbst nach ihren Einschätzungen gefragt.<br />

Entdecke inspirierende Use Cases, praktische Tools und die<br />

Ergebnisse der „KI-Studie: Chancen, Risiken und Perspektiven<br />

für Medien“ im aktuellen <strong>XPLR</strong>: Media <strong>Magazin</strong>e.<br />

COVER: MIDJOURNEY<br />

Forschende definieren<br />

1956 1966<br />

den Begriff „künstliche<br />

Intelligenz“ auf<br />

der Dartmouth-Konferenz<br />

am gleichnamigen<br />

College im<br />

US-Bundesstaat New<br />

Hampshire.<br />

1972<br />

MYCIN geht als erstes Experten system<br />

auf Basis von KI in die Praxis. Das<br />

Programm ist eine Entscheidungshilfe<br />

für Ärzt:innen.<br />

Terrence J. Sejnowski<br />

und Charles Rosenberg<br />

erschaffen NETtalk:<br />

Das System ist<br />

das erste künstliche<br />

neuronale Netz. Es<br />

lernt durch Beispielsätze<br />

die korrekte<br />

Aus sprache von<br />

Begriffen und<br />

kann das auf unbekannte<br />

Begriffe über-<br />

1986<br />

tragen.<br />

Der deutsch-amerikanische<br />

Informatiker<br />

Joseph Weizenbaum<br />

vom MIT entwickelt den<br />

ersten Chatbot: ELIZA.<br />

1996<br />

Deep Blue von IBM gewinnt als erster<br />

Computer eine Partie Schach gegen<br />

den amtierenden Weltmeister Garri<br />

Kasparow, ein Jahr später gewinnt der<br />

Computer ein ganzes Turnier.<br />

<strong>2023</strong><br />

Das Boom-Jahr der KI. Was<br />

bedeutet das für Medienschaffende?<br />

2 3


INHALT<br />

02 EDITORIAL<br />

„Medienmenschen sollten<br />

mit einer offenen und neugierigen<br />

Haltung an KI herangehen.“<br />

CÉCILE SCHNEIDER,<br />

EXPERTIN AUS DER KI-STUDIE VON<br />

<strong>XPLR</strong>: MEDIA IN BAVARIA<br />

48<br />

26<br />

NEW<br />

NORMAL<br />

Maren Langbehn arbeitet bei<br />

P7S1 mit KI und entwickelt den<br />

Einsatz kontinuierlich weiter.<br />

52<br />

PRINT AUFS OHR<br />

Articly-Geschäftsführer<br />

Wolf Weimer und<br />

Lukas Paetzmann<br />

profitieren vom<br />

Audio-Boom.<br />

05 IMPRESSUM<br />

06 Q & A<br />

Wie sieht der Job von Prompter:innen<br />

aus? Kann KI Drehbücher<br />

schreiben? Und wie verändert KI<br />

das Theater? Medienschaffende<br />

geben Antworten.<br />

GESETZE FÜR<br />

DIE MASCHINE<br />

Wie stark sollte<br />

der Staat KI<br />

regulieren – und<br />

ist der AI Act<br />

ausreichend?<br />

KI-Studie:<br />

die Ergebnisse<br />

ab Seite 33<br />

12 RADIO REVOLUTION<br />

Radio Gong bietet mit dem<br />

RadioADMaker KI-generierte<br />

Radiowerbung. CEO Johannes Ott<br />

präsentiert das Tool.<br />

18 EINE NEUE KOMPOSITION<br />

Esther Fee Feichtner erklärt, wie<br />

Künstler:innen und Radiosender<br />

KI-generierte Musik zu ihrem Vorteil<br />

einsetzen können.<br />

24 EINE FRAGE DES<br />

VERTRAUENS<br />

Gefährden KI-generierte Inhalte<br />

die journalistische Glaubwürdigkeit?<br />

Ein Gespräch darüber, wie<br />

Medienhäuser die Leserschaft<br />

miteinbeziehen können.<br />

26 DIE NEUE<br />

SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT<br />

Der Einsatz von KI bei der Nachrichtenproduktion<br />

im P7S1-Newsroom<br />

lohnt sich vielerorts, sagt Vice<br />

President Maren Langbehn. Aber<br />

nicht überall.<br />

32 RADIODAYS EUROPE 2024<br />

Die europäische Audiokonferenz<br />

Radiodays Europe findet 2024 in<br />

München statt. Was Besucher:innen<br />

erwartet.<br />

33 KI-STUDIE<br />

Welches Potenzial bergen KI-Technologien<br />

für die Medienbranche?<br />

Wo liegen Risiken? Expert:innen<br />

geben Antworten.<br />

40 TECH-METROPOLE MÜNCHEN<br />

Zahlreiche innovative Unternehmen<br />

entscheiden sich für den<br />

Standort Bayern. Ein Überblick über<br />

die wichtigsten Player.<br />

42 TOOLS TO USE<br />

Beinahe täglich erscheinen neue<br />

KI-Tools auf dem Markt. Eine Auswahl<br />

an Programmen, die sich für<br />

Medienschaffende lohnen.<br />

44 WHAT’S THE PROMPT?<br />

Teste dich selbst im KI-generierten<br />

Bilderrätsel.<br />

46 EIN GESPRÄCH MIT DER KI<br />

Was weiß ChatGPT über die Medienbranche<br />

und den Standort<br />

Bayern?<br />

48 DIE MASCHINE IN<br />

FESSELN LEGEN?<br />

Muss der Einsatz künstlicher Intelligenz<br />

streng reguliert werden – oder<br />

bremst das die Innovationskraft aus?<br />

50 UNTER DEM RADAR<br />

Fünf bayerische Startups mit vielversprechenden<br />

Ideen.<br />

52 ZEITUNG ZUM HÖREN<br />

Das Audio-Startup Articly schreibt<br />

Erfolgsgeschichte, bei „Die Höhle<br />

der Löwen“ gelang der Durchbruch.<br />

Warum kommt vertonter Journalismus<br />

so gut an?<br />

58 HELLO FROM PASSAU<br />

Wie Dokumentarfilmerin Lisa Eder<br />

mit Augmented Reality neue<br />

Zielgruppen erreicht.<br />

FOTOS: MIDJOURNEY, AMELIE NIEDERBUCHNER, VERENA KATHREIN, MANUEL NIEBERLE<br />

18<br />

WIE KREATIV IST KI?<br />

Esther Fee Feichtner sieht in<br />

KI-generierter Musik eine neue<br />

Inspirationsquelle.<br />

HERAUSGEBER<br />

Medien.Bayern GmbH<br />

August-Everding-Straße 25<br />

81671 München<br />

Tel.: +49 (0)89 68 999 - 0<br />

Fax: +49 (0)89 68 999 - 199<br />

E-Mail: info@xplr-media.de<br />

Gefördert durch<br />

Geschäftsführer<br />

(verantwortlich)<br />

Stefan Sutor (Vorsitzender)<br />

Lina Timm<br />

Handelsregisternummer<br />

Amtsgericht München;<br />

HRB 134726<br />

USt.-IdNr.: DE 173127<strong>04</strong>8<br />

Medien.Bayern GmbH,<br />

Oktober <strong>2023</strong><br />

REDAKTION<br />

Nina Brandtner, Anne-Marie<br />

Zeif, <strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria<br />

Storyboard GmbH,<br />

Wiltrudenstraße 5,<br />

80805 München<br />

GESTALTUNG<br />

Storyboard GmbH<br />

DRUCK<br />

Peschke Solutions GmbH,<br />

Humboldtstraße 6,<br />

85609 Aschheim<br />

4 5


Q&A<br />

Q & A<br />

WELCHE THEMEN<br />

TREIBEN DIE<br />

MEDIENBRANCHE<br />

UM? UND WO<br />

LIEGEN DIE<br />

POTENZIALE VON<br />

MORGEN? HIER GIBT<br />

ES ANTWORTEN.<br />

WARUM<br />

NUTZT EINE<br />

ILLUSTRATORIN<br />

KI-GENERIERTE<br />

BILDER FÜR<br />

IHR BUCH?<br />

Ronit Wolf stattete ihr Kinderbuch<br />

„Subo der Blumendrache“ mit KI-generierten<br />

Bildern aus, obwohl sie es<br />

per Hand hätte machen können: Wolf<br />

ist selbst Designerin und Illustratorin.<br />

Dem technologischen Fortschritt begegnet<br />

sie mit Neugier – diese Haltung<br />

wünscht sie sich auch von anderen.<br />

Sie haben sich durch das Illustrieren<br />

Ihres Kinderbuchs intensiv mit künstlicher<br />

Intelligenz auseinandergesetzt.<br />

Was haben Sie dabei gelernt?<br />

Das größte Learning ist für mich, dass<br />

noch immer ich die Eingabe vornehme.<br />

Ich programmiere die KI nach<br />

meinen persönlichen Vorstellungen.<br />

Ich drücke die Knöpfchen und gebe<br />

die Prompts ein. Es ist ein Tool und<br />

FOTOS: „SUBO DER BLUMENDRACHE“ VON RONIT WOLF/MIDJOURNEY, MICHAEL FÖRTSCH<br />

Partner in crime, um an meine Ergebnisse<br />

zu kommen. Mir hat es einen unglaublichen<br />

kreativen Boost gegeben<br />

und ich konnte für meine eigenen<br />

Werke neue Ausdrucksmöglichkeiten<br />

finden. Wenn man eine künstlerische<br />

Transformation mit einem eingespielten<br />

Team durchmacht, dem man<br />

vertraut, ist das ähnlich. Diese neuen<br />

Möglichkeiten waren wichtig, denn<br />

für mein Kinderbuch wollte ich etwas<br />

Besonderes, ich wollte ein Kinderbuch,<br />

das sich die Kids selbst kaufen<br />

wollen – einfach, weil es irre und bunt<br />

ist. Kinder haben noch nicht dieses<br />

kategorielle Denken, was gerade in<br />

und out oder richtig und falsch ist – sie<br />

entscheiden nach Gefühl und nicht<br />

nach der Werbewirtschaft.<br />

Wie steht es um das Thema Urheberrecht<br />

in Bezug auf Ihre KI-generierten<br />

Illustrationen? Haben Sie Angst, dass<br />

Ihr Werk kopiert wird?<br />

Nein, davor habe ich keine Angst. Ich<br />

lebe seit elf Jahren in München und<br />

wurde schon oft kopiert; nicht zuletzt<br />

durch das Science & Fiction Festival.<br />

Ich habe das Festival fast eine Dekade<br />

hier in München veranstaltet und sehe<br />

Q & A<br />

nun ähnliche Formate überall in der<br />

Stadt verteilt.<br />

Als Künstler:in lernt man ja von anderen<br />

Künstler:innen und lässt sich von<br />

ihnen inspirieren. Wenn ich an meine<br />

eigene Studienzeit zurückdenke, da<br />

hat man zum Beispiel auch Werke von<br />

Egon Schiele oder Oskar Kokoschka<br />

kopiert. Wie heißt es so schön: „Nachahmung<br />

ist die höchste Form der<br />

Anerkennung.“<br />

Manche Menschen haben sogar Angst<br />

vor KI. Kann Ihre Arbeit helfen, ihnen<br />

das Thema näherzubringen?<br />

Mein Buch ist ein kleiner Beitrag,<br />

Kinder dafür zu sensibilisieren, dass es<br />

möglich ist, Gutes mit KI zu kreieren.<br />

Ich arbeite in der Kunstvermittlung<br />

mit jungen Menschen zusammen und<br />

sehe eigentlich immer, dass Vorurteile<br />

und Angst nur aus der Erwachsenenwelt<br />

heraus geschürt werden. Neugier<br />

und Interesse zu wecken dagegen<br />

sollte eine Aufgabe sein, der man sich<br />

stetig im Leben stellt. Das macht den<br />

Umgang mit KI einfacher.<br />

„Kunst wirkt – im besten Fall – inspirierend<br />

und aufklärend in die Gesellschaft<br />

hinein“, haben Sie einmal gesagt.<br />

Können das KI-generierte Bilder Ihrer<br />

Ansicht nach leisten?<br />

Das machen sie schon: Selten habe<br />

ich so viele Leute Bilder kreieren sehen<br />

wie jetzt. Allein dass Menschen, die<br />

weder malen noch zeichnen oder<br />

storyboarden können, plötzlich ihre<br />

Ideen visualisieren, ist großartig. Da<br />

kommt neue Inspiration aus unterschiedlichsten<br />

Milieus, die man ohne<br />

generative KI nie gesehen hätte. Meines<br />

Erachtens geht Aufklärung auch<br />

immer mit einer Competition einher.<br />

Weil die Leute besser werden wollen,<br />

interessieren sie sich dafür, wie etwas<br />

gemacht wurde.<br />

6<br />

Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />

7


Q & A<br />

Q & A<br />

Wenn man mit<br />

disruptiven Technologien<br />

MENSCH ODER MASCHINE – WER<br />

MACHT DIE FILME VON MORGEN?<br />

wie KI so grundlegend<br />

arbeitet wie wir, dann<br />

Prof. Dr. Sylvia Rothe ist KI-Professorin an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Ihren<br />

Studierenden möchte sie praxisnah vermitteln, wie KI in Filmen zum Einsatz kommen kann.<br />

ist auch die soziale<br />

und gesellschaftliche<br />

Verantwortung wichtig.<br />

Damit verbunden<br />

ist Aufklärungsarbeit:<br />

Warum sehen wir<br />

diese Technologie so<br />

positiv? Was muss der<br />

oder die Einzelne wissen,<br />

um ebenfalls verantwortungsvoll<br />

damit<br />

umzugehen? Gerade<br />

im Bereich der Medien<br />

und der Information<br />

sind diese Punkte besonders<br />

kritisch.<br />

Dagmar Schuller,<br />

CEO von audEERING –<br />

das Audio-KI-Unternehmen<br />

entwickelt B2B-Softwareprodukte<br />

für die Sprach- und<br />

Audioanalyse.<br />

WAS MACHT EINE<br />

PROMPTERIN?<br />

Der Publisher Ippen Digital beschäftigt seit dem Sommer eine KI-Prompt-<br />

Redakteurin. Alessandro Alviani, Product Lead NLP (Natural Language<br />

Processing), erklärt, wie die Zusammenarbeit aussieht.<br />

Was macht eine KI-Prompt-Redakteurin<br />

bei Ippen Digital?<br />

Unsere Prompterin arbeitet im<br />

großen Teamverbund KI. Ihre Aufgaben<br />

sind die Weiterentwicklung<br />

und Optimierung von Prompts in<br />

Zusammenarbeit mit den verschiedenen<br />

Redaktionen. Wir testen viele<br />

unterschiedliche Use Cases. Das Ziel<br />

sind standardisierte Prompts, die<br />

zielgerichtet ohne weitere Anpassungen<br />

im CMS integriert angewendet<br />

werden können, um die Barriere<br />

der Bedienbarkeit zu senken.<br />

Wie arbeiten die KI-Teams mit den<br />

Redakteur:innen zusammen?<br />

Wir arbeiten eng zusammen, die<br />

Grenzen sind fließend. Viele Redak-<br />

teure hospitieren bei uns in den KI-<br />

Teams. Sie testen Use Cases, geben<br />

direkt Feedback und helfen uns so<br />

u. a., unsere Prompts zu optimieren.<br />

Wir tauschen uns regelmäßig über<br />

Erfahrungen in der Nutzung aus. All<br />

das verbessert die Prompts und hilft<br />

bei der täglichen Arbeit.<br />

Was müssen Prompter:innen<br />

können?<br />

Einerseits muss man Neugier<br />

und eine mentale Flexibilität und<br />

Kreativität haben – Problemlösen<br />

im Grunde. Ebenso brauchen<br />

Prompter Grundkenntnisse im<br />

Programmieren. Das Wichtigste<br />

ist jedoch ein redaktioneller<br />

Background – also das Verstehen<br />

von journalistischen Grund- und<br />

Leitprinzipien, wie zum Beispiel<br />

Zitierregeln.<br />

Was ist die größte Aufgabe bei<br />

der Arbeit mit Prompts und deren<br />

Ergebnissen?<br />

Das Verständnis dafür zu schaffen,<br />

wo die Grenzen der Tools liegen.<br />

Wir wollen unbedingt, dass die<br />

Kollegen einen realistischen Blick<br />

auf die Tools bekommen – was sie<br />

können und was nicht – und mögliche<br />

Gefahren erkennen. Denn du<br />

brauchst immer eine menschliche<br />

Überprüfung der Endergebnisse.<br />

FOTOS: MARTIN NINK, SIMONE GUTBERLET, MIDJOURNEY, HFF MÜNCHEN/ROBERT PUPETER<br />

Werden zukünftig nicht mehr Menschen,<br />

sondern KIs mit der Goldenen<br />

Palme in Cannes ausgezeichnet?<br />

Ich hoffe nicht und, ehrlich gesagt,<br />

glaube ich es auch nicht.<br />

Hinter jeder KI-Anwendung<br />

stecken jede Menge Menschen,<br />

die sich überlegt haben, welche<br />

Aufgaben die KI lösen soll.<br />

Im Endeffekt sind sie es, die<br />

die Entscheidung treffen, ob die<br />

Ergebnisse der KI für ihre Zwecke<br />

brauchbar sind oder nicht. Die KI<br />

ist beispielsweise ein hilfreiches<br />

Tool, um Ideen von Menschen zu<br />

visualisieren oder Texte umzusetzen.<br />

Die ursprüngliche Idee ist<br />

aber die des Menschen.<br />

Werden Drehbücher bereits komplett<br />

mit KI erstellt?<br />

Technisch geht das sogar schon<br />

seit einer ganzen Weile. Die ersten<br />

Experimente gab es bereits<br />

vor ein paar Jahren, aber da hat<br />

die KI nur Blödsinn generiert.<br />

Heute ist die KI zwar weiter, aber<br />

Drehbuchautor:innen lassen sich<br />

nicht ihre kompletten Drehbücher<br />

von ihr schreiben. Sie nutzen<br />

sie eher als Sparringspartner:in:<br />

Sie geben ein Thema ein und<br />

lassen sich von den Ideen der KI<br />

inspirieren. Es entsteht eine Art<br />

Unterhaltung, aus der Loglines,<br />

Gliederungen oder Charaktere<br />

entstehen. Normalerweise würde<br />

man dafür eine:n Kolleg:in um<br />

Rat fragen, die oder der einem<br />

Tipps gibt – meist agieren diese<br />

Personen aber in einer ähnlichen<br />

Bubble wie die, in der man sich<br />

selbst befindet. Das Wundervolle<br />

an der KI ist, dass sie die Erfahrungen<br />

von sehr vielen Menschen<br />

bündelt. Dadurch spuckt<br />

die KI Ideen aus, auf die man<br />

sonst nie gekommen wäre.<br />

KI hat einen Bias – werden die Storys<br />

der Filme dadurch beeinflusst?<br />

Die KI hält uns gewissermaßen<br />

einen Spiegel vor: Sie greift auf<br />

die Daten des Internets zu, die<br />

wir selbst geschaffen haben,<br />

und zieht daraus Schlüsse, in<br />

denen wir wiederum einen<br />

Bias erkennen können. Ich sehe<br />

das auch als Chance, denn nur<br />

wenn wir den Bias erkennen,<br />

können wir ihn aktiv ändern.<br />

Ohne die Möglichkeit, diese<br />

Massen an Daten zu analysieren,<br />

würde uns das womöglich<br />

gar nicht auffallen. Die Anbieter<br />

und Nutzer:innen von KI-<br />

Modellen sind sich dessen<br />

bewusst und versuchen, hier<br />

gegenzusteuern. Deshalb<br />

glaube ich, dass keine Filme<br />

entstehen, die einen derartigen<br />

Bias eins zu eins übernehmen.<br />

Wo außer im Drehbuchbereich wird<br />

KI beim Film bereits eingesetzt?<br />

Das geschieht beispielsweise<br />

im Ton. Bei Dokumentarfilmen<br />

kommt es oft zu dem Problem,<br />

dass man die Stimme der<br />

Protagonist:innen vom Hintergrund<br />

oder von anderen Stimmen<br />

trennen muss. Momentan<br />

ist das noch sehr aufwendig,<br />

teilweise auch einfach nicht<br />

realisierbar. KI kann diesen<br />

Prozess effizienter machen.<br />

Auch Materialsortierungen für<br />

die Postproduktion werden<br />

mit KI-Tools erleichtert: Bestimmte<br />

Kameraeinstellungen<br />

einer Protagonistin oder eines<br />

Protagonisten oder spezielle<br />

Dialoge findet die KI leichter<br />

und schneller als ein Mensch.<br />

Komplizierte Kamerafahrten<br />

müssen zukünftig nicht mehr<br />

mit Schienen oder Seilbahnen<br />

durchgeführt werden, sondern<br />

können von der KI generiert<br />

werden. Gleiches gilt für teure<br />

Real-Life-Explosionen. In der<br />

Produktion können wir sie zudem<br />

für Machbarkeitsanalysen<br />

eines Drehs, Finanzprognosen<br />

oder Zuschauer:innen-Analysen<br />

verwenden. In Zukunft werden<br />

viele spannende Entwicklungen<br />

auf uns zukommen, vielleicht<br />

sogar personalisierte Filme. Ein<br />

Film, der für eine Person glücklich<br />

endet und für eine andere<br />

mit einem dramatischen Finale.<br />

8<br />

Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />

9


Q & A<br />

MARKETTE<br />

Q & A<br />

WIE VERÄNDERT KI DAS THEATER?<br />

Beim Staatstheater Augsburg und seiner Digitalsparte halten KI-gestützte Inszenierungen<br />

schon Einzug. Tina Lorenz, Leiterin des Digitaltheaters, erzählt, wie sie KI einsetzt.<br />

Wie wirken sich die aktuellen technologischen<br />

Trends auf den Kulturbereich<br />

aus?<br />

KI ist heute das große Thema. Der<br />

Hype um Blockchain und NFTs hat<br />

dagegen abgenommen. Die Herangehensweise,<br />

wie mit Technologie<br />

im Betrieb gearbeitet wird, hat sich<br />

geändert: So sind Angebote wie<br />

Livestreams, die wir in den letzten<br />

Jahren erschaffen haben, kein bloßes<br />

Pandemiephänomen geblieben<br />

und sind heute immer noch gefragt.<br />

Dazu kommt, dass viele Kulturbetriebe<br />

sich auch inhaltlich mit technologischen<br />

Entwicklungen auseinandersetzen.<br />

Und zwar nicht, weil es<br />

hip ist, sondern weil es wirklich ein<br />

gesellschaftliches Thema ist.<br />

Stichwort KI – wie gehen das<br />

Staatstheater Augsburg und<br />

das Digitaltheater mit KI um?<br />

Zum einen ganz utilitaristisch.<br />

Wir nutzen KI als Tool<br />

in unserem Betrieb – zum<br />

Beispiel beim Kürzen von<br />

allen möglichen Textarten.<br />

Aber wir gehen damit auch<br />

künstlerisch um, weil wir der<br />

Meinung sind: Um überhaupt<br />

in der Lage zu sein, Kritik<br />

zu äußern, müssen wir uns damit<br />

sehr genau auseinandersetzen.<br />

Das haben wir zum Beispiel beim<br />

Brechtfestival gemacht. Wir hatten<br />

den Brecht-Bot, eine auf Bertolt<br />

Brecht getrimmte KI auf Basis von<br />

GPT-3, mit dem wir gemeinsam<br />

Theaterstücke geschrieben haben.<br />

Die Resonanz war sehr positiv und<br />

es war ein Riesenspaß.<br />

Wo liegen die Chancen von KI für<br />

Ihr Theater und allgemein für das<br />

Theater?<br />

Vor allem in Verwaltungsprozessen<br />

des Betriebs sowie bei der Besucher:innen-Forschung.<br />

Hier wird<br />

noch so viel manuell erledigt. Mit<br />

KI kann ich effizienter arbeiten und<br />

meine Besucher:innen und ihre<br />

Vorlieben besser kennenlernen. Der<br />

Einsatz kann auch künstlerische<br />

Arbeitsabläufe erleichtern: Die KI<br />

nimmt Aufgaben ab und betreibt<br />

so Mitarbeiter:innen-Fürsorge. So<br />

entlastet man zum Beispiel Dramaturg:innen,<br />

die so mehr Zeit für die<br />

Textbearbeitung bekommen.<br />

Und wo sehen Sie Risiken?<br />

Am Theater gibt es nicht so viele Risiken,<br />

aber eines darf nicht passieren:<br />

Die menschliche Kuration darf nicht<br />

unter die Räder kommen. Eine KI<br />

als Large Language Model braucht<br />

immer Prompts, muss immer begleitet<br />

werden und braucht immer<br />

menschliche Kuration.<br />

FOTOS: JAN-PIETER FUHR, MAGNUS GLANS, LISA HINDER<br />

Wie genau kommt das KI-Tool ChatGPT<br />

bei gutefrage.net zum Einsatz?<br />

Seit Anfang des Jahres nutzen wir als<br />

Test in ausgewählten Themenwelten<br />

das GPT-3-Modell Davinci zur Beantwortung<br />

von Fragen, auf die es nach<br />

zwölf Stunden noch keine Antwort aus<br />

der Community gegeben hat. Dies ist<br />

bei etwa sechs Prozent aller User:innen-Fragen<br />

der Fall. Dabei werden alle<br />

durch das Sprachmodell gegebenen<br />

Antworten entsprechend gekennzeichnet.<br />

Die Antworten kommen von<br />

einem Account namens „brAIny“.<br />

WIE ARBEITET<br />

DER BR MIT KI?<br />

Uli Köppen ist Leiterin des AI + Automation<br />

Lab im Bayerischen Rundfunk. Das<br />

interdisziplinäre Team ist die Schnittstelle<br />

von Journalismus, Informatik und<br />

Produktentwicklung. KI und Automatisierung<br />

werden hier täglich für nutzerzentrierten<br />

Journalismus eingesetzt.<br />

WER BEANTWORTET DIE<br />

FRAGEN AUF „GUTEFRAGE.NET“?<br />

Die Frage-Antwort-Plattform gutefrage.net nutzt KI zur Moderation der<br />

Community-Beiträge. Neuerdings ist zudem ChatGPT im Einsatz, um<br />

Fragen der User:innen zu beantworten. Philipp Graf Montgelas steuert<br />

als CEO die Plattform seit Anfang 2021.<br />

KI-Bots wie ChatGPT beantworten<br />

heute jede Frage in Sekundenschnelle<br />

in einem einzigen Thread. Braucht es<br />

überhaupt noch ein Portal wie gute-<br />

frage.net?<br />

Wir bieten unseren User:innen den<br />

Austausch zu spannenden und<br />

aktuellen Themen, da geht es oft um<br />

persönliche Meinungen. Und unsere<br />

neuen Sub-Communitys sind von<br />

Dialogen geprägt – Meinungsvielfalt<br />

ist hier ein wichtiges Stichwort. Im<br />

Gegensatz zu den Wissensfragen, die<br />

KI beantworten kann, braucht es hier<br />

eine menschliche Komponente.<br />

Sie haben Anfang 2020 das AI + Automation<br />

Lab im BR gegründet, drei Jahre<br />

später kommt der KI-Boom. Hat die<br />

aktuelle Dynamik Auswirkungen auf<br />

Ihre tägliche Arbeit?<br />

Natürlich – das merken wir stark.<br />

Einerseits macht der Boom um KI die<br />

Zusammenarbeit mit vielen Redaktionen<br />

und Journalist:innen einfacher,<br />

weil wir unsere Arbeit weniger erklären<br />

müssen. Jetzt, wo jede:r selbst Erfahrungen<br />

mit KI machen kann, haben<br />

viele eine bessere Vorstellung von<br />

dem, was wir tun. Andererseits kommen<br />

durch generative KI auch viele<br />

Missverständnisse ins Spiel. Häufig<br />

ist die Rede von falschen Fakten, die<br />

durch KI entstehen – das kann stimmen<br />

bei Tools wie ChatGPT, aber nicht<br />

bei jeder Form der Automatisierung.<br />

Die Wahl des Tools hängt immer vom<br />

Use Case ab.<br />

Woran arbeiten Sie langfristig im AI +<br />

Automation Lab?<br />

Wir arbeiten an zwei großen Fragen:<br />

Wie können wir unsere Workflows<br />

Als eines der größten deutschen Online-Portale<br />

ist gutefrage.net auch von<br />

Hass und Hetze im Netz betroffen. Wie<br />

hilft die künstliche Intelligenz beim Aufspüren<br />

von digitaler Kriminalität?<br />

Wir nutzen dafür eine Vier-Säulen-Strategie.<br />

Diese besteht aus der<br />

Meldung kritischer Inhalte durch<br />

unsere Nutzer:innen, der Prüfung<br />

durch bezahlte Moderator:innen sowie<br />

User-Moderator:innen. KI unterstützt<br />

die menschliche Prüfung durch eine<br />

Pre-Moderation, die seit 2019 zum Einsatz<br />

kommt. Sie filtert direkt Hass- und<br />

Hetz-Kommentare heraus, die gegen<br />

unsere Richtlinien verstoßen.<br />

und Prozesse verbessern? Und<br />

welche journalistischen Produkte<br />

können wir basierend auf diesen<br />

Workflows entwickeln? Außerdem<br />

laufen parallel investigative Recherchen<br />

zu Algorithmen und Daten, die<br />

meist mittel- bis langfristig sind.<br />

Haben Sie Beispiele?<br />

Wir entwickeln mithilfe von Sprachmodellen<br />

neue Textservices für Journalist:innen.<br />

Diese Services können<br />

zum Beispiel Zusammenfassungen<br />

erstellen oder User:innen-Kommentare<br />

herausfiltern. Außerdem entwickeln<br />

wir automatisierte Formen, um<br />

unseren Content auszuspielen – zum<br />

Beispiel personalisierte Audioformate.<br />

Und wir arbeiten an größeren<br />

Recherchen zu Algorithmen, etwa<br />

zu KI-Recruiting-Systemen oder<br />

KI-Trainingsdaten. Dazu haben wir<br />

ein Whitepaper veröffentlicht, in dem<br />

man unsere Recherchemethoden<br />

nachvollziehen kann.<br />

10<br />

Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />

11


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

RADIO<br />

REVOLUTION<br />

DER MÜNCHNER LOKALSENDER RADIO GONG<br />

SETZT AUF KÜNSTLICHE INTELLIGENZ. MIT DEM<br />

RADIOAD MAKER KÖNNEN WERBETREIBENDE<br />

INNERHALB VON DREI MINUTEN EINEN<br />

RADIOSPOT TEXTEN, PRODUZIEREN UND<br />

BUCHEN. DIE BRANCHE BRAUCHT SOLCHE<br />

INNOVATIONEN, UM GEGEN PLAYER WIE<br />

FACEBOOK UND SPOTIFY ZU BESTEHEN.<br />

Radio Gong sendet bereits seit<br />

1985 auf der terrestrischen Frequenz<br />

96,3 MHz in München.<br />

TEXT<br />

LISA PRILLER<br />

FOTOS<br />

SEBASTIAN ARLT<br />

Johannes Ott ist seit 2021 Geschäftsführer<br />

von Radio Gong<br />

96,3. Ein Leben ohne Radio<br />

mag er sich nicht vorstellen.<br />

Vielen Menschen kommen<br />

die besten Ideen unter der<br />

Dusche. Dem Geschäftsführer<br />

von Radio Gong,<br />

Johannes Ott, kam sie beim<br />

Haareschneiden. Die Initialzündung für<br />

sein neues KI-gesteuertes Vermarktungstool<br />

lieferte sein Friseur Manuel. Er hatte<br />

auf Facebook eine Stellenanzeige geschaltet.<br />

Als Ott ihn fragte, warum er das nicht<br />

auf dem Sender mache, antwortete der<br />

Haarstylist: „Weil’s halt einfach einfach ist.“<br />

Dagegen sei Radiowerbung sicher kompli-<br />

ziert umzusetzen und bestimmt zu teuer.<br />

Damit hatte Manuel einen wunden Punkt<br />

getroffen. Konzerne wie Meta saugen der<br />

Radiobranche Werbegelder ab, die einzige<br />

Einnahmequelle der privaten Sender. Für<br />

Ott war sofort klar: Wir brauchen ein Tool,<br />

mit dem Werbekunden ihre Spots selbst<br />

kreieren können – ohne großen Aufwand<br />

und zum kleinen Preis. So wurde Manuel,<br />

der Ott oftmals schon gute Ideen für Radiobeiträge<br />

oder Senderformate geliefert<br />

hatte, zum Geburtshelfer des RadioAD-<br />

Makers.<br />

12<br />

13


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

„Wir wollen uns<br />

nicht alleine<br />

auf einen<br />

Algorithmus<br />

verlassen.“<br />

JOHANNES OTT<br />

DIE KI TEXTET,<br />

SPRICHT UND<br />

PRO DUZIERT DEN<br />

WERBEBEITRAG<br />

Die Handhabung des<br />

RadioADMakers ist denkbar<br />

einfach: Werbetreibende geben<br />

an, was sie bewerben wollen<br />

– zum Beispiel „Sechs Weißwürste<br />

zum Preis von vier. Nur<br />

an diesem Samstag bei Metzger<br />

Moser“ – und die KI liefert aus den<br />

Kerninformationen mehrere Textvorschläge.<br />

Dabei kommt ChatGPT zum<br />

Einsatz. Dann wählen Kund:innen aus<br />

verschiedenen Stimmen und Musik die<br />

passende Kombination aus und das Programm<br />

produziert mithilfe synthetischer<br />

Stimmen den fertigen Spot. Buchende<br />

können angeben, in welcher Region die<br />

Werbung ausgestrahlt werden soll – ob<br />

München, Freising, Starnberg oder auch<br />

im Bundesgebiet. Der Preis richtet sich<br />

nach der gewünschten Reichweite (Tausenderkontaktpreis<br />

TKP), gezahlt wird<br />

direkt auf der Plattform, zum Beispiel per<br />

Paypal oder Kreditkarte.<br />

DIE KI-BASIERTEN SPOTS DÜRFEN<br />

NICHT GLEICH INS HAUPTPROGRAMM<br />

Noch hört man den Spots an, dass sie<br />

von synthetischen Stimmen gesprochen<br />

werden. „Die Sprachsynthese ist noch nicht<br />

auf dem Niveau, das wir gerne hätten“,<br />

räumt Ott ein. Deshalb sind die KI-Spots<br />

bislang nur als sogenannte Pre-Streams zu<br />

buchen. Das heißt, sie laufen nicht auf dem<br />

UKW-Sender Radio Gong, sondern werden<br />

ausschließlich in den Webradio-Angeboten<br />

vor Start des Programms platziert. „Wir<br />

gehen jedoch davon aus, dass in spätestens<br />

einem Jahr kein Unterschied mehr<br />

zu hören sein wird“, sagt der Radiomanager.<br />

Perspektivisch sollen dann auch die<br />

hochwertigen Werbeeinblendungen mit<br />

maschineller Unterstützung produziert<br />

werden. Aber eben erst, wenn die Stimmqualität<br />

wirklich passt. Bislang kann die KI<br />

nur Hochdeutsch. In naher Zukunft soll es<br />

aber auch möglich sein, Spots in unterschiedlichen<br />

Dialekten auszuspielen.<br />

Worauf Ott und sein Sales-Team Wert<br />

legen: Jede Audiowerbung wird vor der<br />

Ausstrahlung von Mitarbeitenden geprüft.<br />

„Wir wollen uns nicht alleine auf einen Algorithmus<br />

verlassen“, so der Geschäftsführer.<br />

Der interne Prüfprozess gewährleistet,<br />

dass die Inhalte den Werberichtlinien<br />

entsprechen.<br />

„Dieses Angebot ist vor allem für kleine<br />

Betriebe reizvoll, die ohne großen Aufwand<br />

und ohne lange Vorlaufzeiten ihre<br />

Angebote platzieren möchten“, sagt Ott.<br />

Schlüsseldienste, Vereine oder ein Airbnb-<br />

Anbieter am Tegernsee gehören zum neu<br />

erschlossenen Kundenkreis. Sie profitieren<br />

von den – im Vergleich zu einem nicht<br />

KI-basierten Spot – deutlich niedrigeren<br />

Kosten. Ein Spot kostet 140 Euro pro 1.000<br />

Kontakte, inklusive Text, Moderation und<br />

Produktion. Je mehr Kontakte man bucht,<br />

desto günstiger wird es. Bei einer klassischen<br />

Buchung kostet allein die Produktion<br />

des Spots schon rund 500 Euro.<br />

KEINE ZUSÄTZLICHEN PERSONAL-<br />

KOSTEN IM SALES-BEREICH<br />

Radio Gong ist mit dem ADMaker Innovationsführer.<br />

Das neue Vermarktungstool<br />

„made in Munich“ kann auch von anderen<br />

Radiostationen genutzt werden. Ott zufolge<br />

klopfen Sender aus ganz Europa in<br />

München an. Sogar Anfragen eines großen<br />

Radio-Networks aus den USA gebe es.<br />

„Inzwischen haben wir den ADMaker AT<br />

mit Antenne Vorarlberg gestartet. Außerdem<br />

ist Audiotainment Südwest mit RPR1<br />

an Bord sowie 107,7 Stuttgart, Radio Ton,<br />

KulthitRADIO NRW, die Funkhäuser Würzburg<br />

und Aschaffenburg“, freut sich Ott<br />

über das Interesse im Markt. Die Branche<br />

begeistert sich für das Tool, das neue<br />

Kund:innen erschließt und dabei keine<br />

weiteren Personalkosten verursacht.<br />

MODERATIONEN OHNE MENSCHEN?<br />

FÜR OTT KEIN THEMA<br />

Ott hat mit dem RadioADMaker als einer<br />

der Ersten vorgemacht, wie KI-Tools eingesetzt<br />

werden können. Unterdessen ist<br />

die gesamte Branche elektrisiert von den<br />

vielen neuen Spielfeldern, die KI eröffnet.<br />

Bei den Lokalrundfunktagen in Nürnberg<br />

standen bei den Panels, in denen es um<br />

dessen Einsatz im Radiobusiness ging, die<br />

Besucher:innen bis vor die Türen. „Der Vorstoß<br />

von Radio Gong zeigt Unternehmergeist<br />

und eine ‚Erst mal machen‘-Mentalität,<br />

die in Zukunft noch stärker gefragt<br />

sein wird“, sagt Audiounternehmer und<br />

Radioberater Martin Liss, der auch Teil<br />

der Programmgruppe der Radiodays<br />

Europe ist.<br />

„Erst mal machen“, das hat sich<br />

auch das Medienhaus Audiotainment<br />

Südwest vorgenommen,<br />

zu dem die Sender BigFM und<br />

RPR1 gehören. Es plant ein neues<br />

Radioprogramm mit maschineller<br />

Unterstützung, das auf<br />

echte Moderator:innen verzichtet<br />

und trotzdem moderiert ist.<br />

Sender, die völlig ohne Moderator:innen<br />

auskommen,<br />

wie es von der Branche auf<br />

den Radiodays auch diskutiert<br />

wurde, schließt<br />

Ott für sein Haus erst<br />

einmal aus. „Ich kann<br />

mir nicht vorstellen,<br />

In nur drei Minuten<br />

zum fertigen Radiospot<br />

– das verspricht der<br />

RadioADMaker.<br />

14 15


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

dass Menschen ein Programm hören<br />

wollen, wenn hörbar ein digitales Wesen<br />

spricht“, sagt Ott. „Radio ist das Medium,<br />

das das höchste Vertrauen genießt, das<br />

wollen wir keinesfalls verspielen.“ Natürlich<br />

sei es sinnvoll, wenn die KI nachts<br />

das automatische Programm für eine<br />

Geisterfahrer-Meldung unterbreche, wenn<br />

kein:e Redakteur:in im Sender ist. Doch<br />

ansonsten müsse es im Radio menscheln.<br />

„Menschen wollen Menschen hören“, sagt<br />

„Radio ist<br />

das Medium,<br />

das das<br />

höchste<br />

Vertrauen<br />

genießt, das<br />

wollen wir<br />

keinesfalls<br />

verspielen.“<br />

JOHANNES OTT<br />

auch Liss.<br />

KÖNNEN INNOVATIONEN WIE DER<br />

RADIOADMAKER DIE LÖSUNG SEIN?<br />

Die gesamte Radiobranche steht vor Herausforderungen.<br />

Streamingdienste wie<br />

Spotify greifen Mediennutzungszeit ab,<br />

Social-Media-Giganten wie Meta Werbe-<br />

Euros. Der „Share of Ear“ und der Wettbewerb<br />

um die Vermarktungsgelder – das<br />

sind die beiden großen Pain Points der<br />

Sender. „Inzwischen hat sich herumgesprochen,<br />

dass der wahre Feind nicht der<br />

Nachbarsender ist, sondern die GAFA-Unternehmen,<br />

inklusive Spotify“, sagt Liss. „Es<br />

reicht schon lange nicht mehr, nur noch<br />

auf UKW präsent zu sein.“ Wer morgen<br />

noch mitspielen will, müsse sich schon<br />

heute als Audio-Content-Anbieter positionieren.<br />

„Livestreams, Sprachassistenten,<br />

Podcasts, Social Media, Newsletter und<br />

auch YouTube werden aus Content- und<br />

Sales-Sicht immer relevanter“, so die<br />

Einschätzung des Audioexperten. Es<br />

sei nur schlau, sich da zu zeigen, „wo<br />

sich die Zielgruppe tummelt“.<br />

Diese Kanäle bespielt Radio Gong<br />

auch. Dazu gibt es neben dem<br />

Hauptprogramm auf UKW zehn<br />

Web-Streams. Bei allen läuft ähnlicher<br />

Content aus Nachrichten, Service,<br />

Werbung und Moderation, nur die Musik<br />

ist unterschiedlich. Zudem wurde vor<br />

einem halben Jahr der DAB+-Sender<br />

089Kult gelauncht. „Über Erfolg oder<br />

Misserfolg entscheidet dann die Frage,<br />

ob die Hörer:innen die Inhalte auf den<br />

digitalen Ausspielwegen finden und ob<br />

die Sendungen gut empfangbar sind“,<br />

sagt Liss. Das sind sie offenbar. Laut<br />

Reichweitenerhebung MA <strong>2023</strong> IP Audio<br />

konnte Radio Gong im ersten Quartal seine<br />

Online- Audioreichweite im Vergleich<br />

zum vorangegangenen Quartal um zehn<br />

Prozentpunkte steigern.<br />

Johannes Ott hat sich den Herausforderungen<br />

des Marktes gestellt, auch mit<br />

dem RadioADMaker. Laut dem Senderchef<br />

hat die neue Technologie vielleicht<br />

sogar das Zeug zum „Tool der Zukunft“.<br />

Es könnte also sein, dass demnächst auch<br />

andere Radiomanager:innen bei Manuel<br />

in Giesing aufschlagen, die sich neben<br />

einem neuen Haarschnitt etwas Inspiration<br />

erhoffen.<br />

Kein Mikrofon mehr nötig: KI<br />

generiert den Werbetext mit<br />

einer synthetischen Stimme.<br />

Der RadioADMaker ist besonders<br />

für regionale Firmen von Vorteil:<br />

Bisher hatten viele wegen der<br />

hohen Kosten und des Aufwands<br />

auf Radiowerbung verzichtet.<br />

16<br />

17


HERO STORY<br />

TEXT<br />

MARTIN HAASE<br />

FOTOS<br />

MANUEL NIEBERLE<br />

Mensch<br />

Maschine<br />

Musik<br />

EINE<br />

NEUE<br />

Als Leiterin des Digitalisierungskollegs<br />

„Artificial Intelligence<br />

in Culture and Arts“ (AICA) verknüpft<br />

Dr. Esther Fee Feichtner Wissen<br />

aus Informatik und Musik.<br />

HERO STORY<br />

KÜNSTLICHE<br />

INTELLIGENZ KANN<br />

KOMPONIEREN.<br />

UND DAS IST EIN<br />

GEWINN FÜR<br />

MUSIKER:INNEN,<br />

MEINT DR. ESTHER<br />

FEE FEICHTNER.<br />

VON MENSCHEN<br />

KOMPONIERTE<br />

MUSIK KÖNNE EINE<br />

AUFWERTUNG<br />

ERFAHREN, DABEI<br />

SEIEN AUCH<br />

RADIOSENDER IN<br />

DER PFLICHT.<br />

18


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

Dr. Esther Fee Feichtner ist<br />

Musikerin und Diplom-Informatikerin.<br />

Eine ungewöhnliche<br />

Kombination? Ja, aber<br />

durch die Fortschritte bei der<br />

Entwicklung von künstlicher Intelligenz<br />

gibt es heute eine Schnittstelle zwischen<br />

beiden Professionen: KI-generierte Musik.<br />

Dr. Feichtner promovierte an den International<br />

Audio Laboratories Erlangen, heute<br />

ist sie die Leiterin des Digitalisierungskollegs<br />

„Artificial Intelligence in Culture and<br />

Arts“ (AICA). Studierende der Hochschule für<br />

Musik und Theater München und der Hochschule<br />

München sollen hier erfahren, wie sie<br />

KI für sich nutzen können. Dr. Feichtner ist<br />

überzeugt: In der Technologie liegt enormes<br />

Potenzial für die Medienlandschaft.<br />

Frau Dr. Feichtner, was ist das Ziel von<br />

AICA und gibt es vergleichbare Kollegs?<br />

Es geht darum, Künstlern die Möglichkeit<br />

zu geben, sich mit künstlicher Intelligenz<br />

zu beschäftigen. Wir möchten die Frage<br />

klären, was der eigene Beitrag an KI-generierten<br />

Inhalten ist. Gleichzeitig wollen wir<br />

die Angst vor der Technologie abbauen,<br />

damit sie künstliche Intelligenz als Werkzeug<br />

für sich entdecken. Wir besetzen mit<br />

AICA in München eine spezielle Nische mit<br />

dem Fokus auf der Kultur- und Kreativwirtschaft,<br />

andere Kollegs beschäftigen<br />

sich beispielsweise mit der Digitalisierung<br />

in der Agrarwirtschaft.<br />

Was fasziniert Sie an künstlicher Intelligenz<br />

aktuell am meisten?<br />

Ich persönlich finde es spannend, dass<br />

wir Begriffe neu definieren müssen, von<br />

denen wir gedacht haben, dass wir genau<br />

wissen, was wir damit meinen. Ein Beispiel:<br />

Wie versteht eine Maschine, was ein<br />

Apfel ist? Und ist dies dann ein anderes<br />

Verstehen als das von uns Menschen? Wir<br />

denken Apfel und haben vielleicht den<br />

Geschmack im Kopf, die Farben Rot und<br />

Grün, den Apfel als Symbol für Fruchtbarkeit,<br />

den Sündenfall und so weiter.<br />

Wir meinen zwar, dass Menschen dieses<br />

Verstehen besser können als die Maschine,<br />

aber KIs wurden mit dieser unglaublichen<br />

Vielfalt an Informationen trainiert<br />

und kennen mehr als ein menschliches<br />

Individuum. Der interessante Aspekt ist<br />

nun: Wie wichtig sind beim menschlichen<br />

Verstehen mit einem Objekt verknüpfte<br />

Emotionen und Empfindungen?<br />

Wenn KI viel mehr Informationen hat,<br />

kann sie dann kreativer als ein Mensch<br />

sein?<br />

Die meisten antworten bei dieser Frage<br />

„Nein“, aber da möchte ich zu bedenken<br />

geben: Unser Verständnis von Kreativität<br />

ist im Prinzip, wie KI arbeitet. Wenn<br />

Musiker ihr Leben lang Musik hören und<br />

sich dabei mit unterschiedlichen Stilen<br />

auseinandersetzen, fließen diese ganzen<br />

Erfahrungen in den Schaffensprozess<br />

ein. Wenn das komponierte Stück dann<br />

neuartig klingt, bedeutet das nur, dass der<br />

Komponist alle Eindrücke möglichst klein<br />

zerlegt und neu zusammengefügt hat. Je<br />

größer diese Teile sind und je mehr davon<br />

beim Zusammensetzen unverändert<br />

übernommen werden, desto mehr haben<br />

die Hörer das Gefühl, es sei ein Plagiat.<br />

Das heißt, die Frage, die wir uns in Bezug<br />

auf Kreativität stellen, ist: Wie groß wählt<br />

man diese Teile, die man vorher schon<br />

Unser Verständnis<br />

" von Kreativität<br />

ist im Prinzip, wie<br />

KI arbeitet."<br />

Dr. Esther Fee Feichtner sieht<br />

in KI eine Möglichkeit, Hemmschwellen<br />

abzubauen: Menschen<br />

müssen Mut aufbringen, um<br />

Experimente zu wagen – KI<br />

liefert schnelle Ergebnisse und<br />

dient so als leicht zugängliche<br />

Inspirationsquelle.<br />

gehört hat​,​und setzt sie neu zusammen?<br />

Und KI funktioniert nicht anders, hat aber<br />

durch die Menge an Trainingsdaten einen<br />

viel größeren Erfahrungsschatz. Obendrauf<br />

kommt noch, dass die KI mit dieser<br />

größeren Datengrundlage auch noch<br />

ungebremst von Angst vor eigenen oder<br />

äußeren Ansprüchen experimentiert. Der<br />

Mensch kann das nur, wenn er im Flow<br />

ist. In diesen Aspekten ist KI wesentlich<br />

kreativer als wir. Und wir müssen wieder<br />

schärfer definieren, was die menschliche<br />

Kreativität von der KI unterscheidet.<br />

Können Sie als Komponistin den Unterschied<br />

zwischen KI-erzeugter Musik<br />

und einem von einem Menschen komponierten<br />

Stück erkennen?<br />

Das kommt darauf an, wie viel Prozent<br />

KI-generiert sind. MusicGen, das Programm<br />

von Meta, erzeugt 30-sekündige<br />

Stücke. Das klingt richtig gut. Und wenn<br />

man jetzt ganz viele dieser halbminütigen<br />

Tracks erzeugt und vielleicht noch bei den<br />

Übergängen menschlich nachhilft, könnte<br />

ich das ohne bewusstes Hören wohl nicht<br />

mehr unterscheiden.<br />

Dass das so gut funktioniert, liegt auch<br />

daran, dass schon ohne den Einsatz von<br />

KI populäre Musik nach Durchschnittsmustern<br />

geschrieben wird und wir davon<br />

überschwemmt werden.​Die meisten Hits<br />

folgen den gleichen Mustern. Diese Songs<br />

sind eingängig, weil sie gewohnt klingen.<br />

Das kann KI sehr gut kopieren. Aus diesen<br />

Gründen wird es immer leichter, das zu<br />

reproduzieren, was schon immer auf dem<br />

Musikmarkt war.<br />

20 21


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

Deswegen habe ich die Hoffnung, dass<br />

zum Beispiel Radiosender verstärkt auf<br />

die Suche nach sehr individueller Musik<br />

gehen. Denn wenn uninspirierte Durchschnittsmusik<br />

durch KI so einfach zu produzieren<br />

ist, kann das eine Chance sein,<br />

dass Kreative echte Neuerungen in den<br />

Musikmarkt bringen und sich Radiosender<br />

durch das Auswählen besonders kreativer<br />

Stile einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.<br />

Also kann einerseits von Menschen gemachte<br />

Musik sogar eine Aufwertung<br />

erfahren, wenn sie sich von dem, was<br />

von KI produziert wird, abhebt. Andererseits<br />

möchten Sie Musiker:innen KI<br />

als Werkzeug an die Hand geben. Wie<br />

geht das zusammen?<br />

Das fängt damit an, dass ich sehr einfach<br />

mit verschiedenen KI-erzeugten<br />

Akkordbegleitungen für meine Melodie<br />

herumspielen kann. Inzwischen<br />

könnte ich sogar aus einer Melodie<br />

einen ganzen Song generieren lassen<br />

und verschiedene Varianten auf Basis<br />

dieser Melodie anhören. Dann kann ich<br />

wählen, wie ich meine Melodie und die<br />

Aussage, die ich damit in die Welt bringen<br />

möchte, am besten unterstreichen<br />

kann.<br />

Aktuell schießen täglich unzählige<br />

KI-Tools aus dem Boden. Was raten Sie<br />

Künstler:innen in dieser Phase?<br />

Sie sollten einfach ein Tool wählen und<br />

damit das Prompten lernen. Denn egal,<br />

welches Programm man in zwei Jahren<br />

final verwendet: Das Grundprinzip bleibt<br />

das gleiche. Das ist, wie eine Programmiersprache<br />

zu lernen. Es wird keinen<br />

großen Unterschied machen, welches<br />

Tool man in seinen künstlerischen Werkzeugkoffer<br />

aufnimmt.<br />

Das Thema Radio hatten Sie schon<br />

angerissen. Was halten Sie von einem<br />

komplett KI-generierten Radiosender?<br />

Das kommt darauf an, wie die Sender KI<br />

einsetzen. Einerseits gibt es die Möglichkeit,<br />

diesen Sender so zu programmieren,<br />

wie zum Beispiel Spotify funktioniert. Da<br />

werden Annahmen gemacht und die KI<br />

wird mit Informationen gespeist wie: Die<br />

Zielgruppe ist 30 bis 38 Jahre alt, wohnt<br />

in Bayern und hört am liebsten eine bestimmte<br />

Reihe an Interpreten. Das ist für<br />

mich aber nur eine Spielerei, denn der<br />

Mehrwert von Radio fällt dadurch weg:<br />

das Kuratieren von Musik, der Hörerschaft<br />

eine Auswahl geben und immer wieder<br />

auch Neues vorstellen.<br />

Man könnte diesen KI-Radiosender aber<br />

auch so anlegen, dass er die Hörerschaft<br />

etwas fordert. Die KI spielt in dem Fall zunächst<br />

das Standard-Repertoire des Senders.<br />

Dann programmiert man einen Neuerungsfaktor:<br />

Zum Beispiel könnte man<br />

sagen, dass die KI drei neue Lieder am Tag<br />

mit aufnehmen soll. Das erhöht sich dann<br />

von Tag zu Tag. Das hat einen Mehrwert<br />

für die Hörerschaft, denn nur so kann sich<br />

Geschmack bilden. Der ergibt sich aus<br />

dem, was man kennt, plus einer kleinen<br />

Neuerung. So kann ein Radio sender noch<br />

stärker als heute dazu beitragen, dass die<br />

Öffentlichkeit empfänglicher wird für eine<br />

breitere Palette an Musikstilen.<br />

Warum braucht es dafür eine KI?<br />

Der Vorteil ist dabei einerseits, dass die KI<br />

anhand der Muster innerhalb des Standard-Repertoires<br />

besser erkennen kann,<br />

was bei der Hörerschaft gut ankommt,<br />

und sie dann mit Liedern konfrontiert, die<br />

nur einen kleinen Schritt davon abweichen<br />

und keine komplette Irritation erzeugen.<br />

Die Leute sollen ja nicht abschalten.<br />

Andererseits braucht es keinen Moderator,<br />

der den Mut aufbringen muss, das zu<br />

rechtfertigen, und die Verantwortung<br />

übernimmt, falls es nicht klappt.<br />

" Radiosender<br />

können sich<br />

einen<br />

Wettbewerbsvorteil<br />

verschaffen."<br />

Dr. Feichtners Forschungs -<br />

schwerpunkt liegt auf<br />

der Timbre-Analyse<br />

(Klangfarben-Analyse).<br />

Mit intuitiven<br />

Musikstunden hilft<br />

Dr. Feichtner Menschen<br />

dabei, einen<br />

Zugang zur Musik<br />

zu finden.<br />

Haben Sie eine Vision, wie wir KI in<br />

Zukunft nutzen könnten?<br />

Einerseits hoffe ich, dass wir KI für wiederkehrende<br />

Aufgaben nutzen, die wir abgeben<br />

können, damit wir uns auf wichtige<br />

Aufgaben konzentrieren können. Es passieren<br />

in allen erdenklichen Berufsgruppen<br />

so viele Fehler, nur weil Leute zu wenig Zeit<br />

haben. Ich hoffe, dass wir weniger Stress<br />

haben und mehr Zeit bekommen, um<br />

Mensch zu sein.<br />

Mit Blick auf die technische Entwicklung<br />

von KI hoffe ich andererseits, dass wir bei<br />

Kunstschaffenden irgendwann vollumfängliche<br />

Immersion erreichen. Aktuell<br />

sitzen wir vor dem Computer und tippen<br />

Worte ein. Aber eigentlich ist die Art des<br />

Inputs für die KI egal, sie muss diesen<br />

immer in einen anderen Output umwandeln.<br />

Dieser Input kann auch Stimme sein,<br />

Bewegungen oder neuronale Signale.<br />

Es wäre also theoretisch irgendwann<br />

möglich, dass ich als Künstlerin einfach<br />

die Augen schließe, mich voll und ganz<br />

mit meiner Gedanken- und Gefühlswelt<br />

auseinandersetze, ohne etwas aktiv bedienen<br />

zu müssen. Ich brauche vielleicht<br />

nur ein paar Sensoren an meinem Körper.<br />

KI könnte dann die Signale, die über die<br />

Sensoren an einen Computer geschickt<br />

werden, in Musik umwandeln. Dieser Ausblick<br />

inspiriert mich wirklich.<br />

22<br />

23


INTERVIEW<br />

INTERVIEW<br />

CLAUDIA PAGANINI<br />

GEFÄHRDET KI DIE<br />

JOURNALISTISCHE<br />

GLAUBWÜRDIGKEIT?<br />

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ KOMMT IN MEDIENHÄUSERN<br />

SCHON LÄNGER ZUM EINSATZ. NEU IST DIE EXPLOSIONSAR TIGE<br />

QUALITÄTSSTEIGERUNG VON KI-GENERIERTEN INHALTEN.<br />

SETZT DEREN VERWENDUNG DAS VERTRAUEN IN JOURNALISTISCHE<br />

ARBEIT AUFS SPIEL? ZWEI EXPERTINNEN IM GESPRÄCH.<br />

Prof. Dr. Paganini, Frau Jakat, Leser:innen<br />

sehen, wie einfach es ist, mit künstlicher<br />

Intelligenz Texte und Bilder zu<br />

erstellen. Leidet darunter die journalistische<br />

Glaubwürdigkeit?<br />

Paganini: Die neuen Medien sind an<br />

sich nicht dysfunktional. Sie machen<br />

nur sichtbar, was vorher in der Kommunikation<br />

schon problematisch war.<br />

Wenn wir zum Beispiel über KI-generierte<br />

Bilder sprechen, hätten wir<br />

schon früher über deren Glaubwürdigkeit<br />

nachdenken sollen. Ein Bild ist<br />

immer auch Interpretationsleistung,<br />

aber die Betrachtenden unterstellen<br />

üblicherweise Augenzeugenqualität.<br />

Jakat: Meiner Erfahrung nach kann es<br />

im Alltagsstress in den Lokalredaktionen<br />

leider immer mal wieder vorkommen,<br />

dass Archiv- und Symbolbilder<br />

unsauber eingesetzt werden. Da<br />

besteht mit KI eine Chance. Erstens,<br />

um transparenter zu machen, wo man<br />

keine originären Bilder hat. Und zweitens,<br />

um etwas optisch zu bereichern.<br />

Wir brauchen nicht immer wieder das<br />

TEXT<br />

MARTIN HAASE<br />

gleiche Blaulicht zu Polizeimeldungen.<br />

Wichtig ist, im Sinne der Vermittlung<br />

von journalistischer Glaubwürdigkeit<br />

KI-generierte Inhalte zu kennzeichnen.<br />

Wie sollten KI-generierte Inhalte<br />

gekennzeichnet werden?<br />

Jakat: Wir sollten künftig sowohl zeigen,<br />

dass ein Inhalt mit KI erstellt wurde, als<br />

auch die Person benennen, die die KI<br />

steuert. Dann wird auch klar, dass es immer<br />

eine Mensch-Maschine-Interaktion<br />

gibt. Und dass menschliche Redakteur:innen<br />

die Inhalte auch kontrollieren.<br />

Paganini: Ich denke, dass wir viel<br />

stärker Transparenz als Leitwert<br />

anvisieren sollten als zum Beispiel<br />

Wahrhaftigkeit. Es sollte klar werden,<br />

dass es einen Menschen im Hintergrund<br />

gibt, der die Verantwortung hat<br />

und greifbar ist. Beim Publikum gibt<br />

es noch einiges an Medienkompetenz<br />

nachzuholen. Da muss allerdings viel<br />

passieren, damit zum Beispiel auch<br />

einer Regierung bewusst wird, wie<br />

wichtig es ist, da zu investieren.<br />

Im US-Wahlkampf wird eine KI-generierte<br />

Fake-News-Schwemme erwartet,<br />

um politische Gegner:innen zu diffamieren.<br />

Können solche Inhalte das Vertrauen<br />

der Bevölkerung in Medien dauerhaft<br />

schädigen?<br />

Paganini: Zunächst einmal denke<br />

ich, dass es in dem Fall zu einer<br />

Verunsicherung kommt. Und das<br />

ist gefährlich, weil diese Verunsicherung<br />

ausgenutzt werden kann, um<br />

Verschwörungsmythen zu platzieren.<br />

Natürlich ist es ein Problem, wenn<br />

technische Neuerungen die Gefahr<br />

der Manipulation erhöhen. Die<br />

bestand aber auch schon ohne KI-<br />

generierte Inhalte.<br />

Wir brauchen Vertrauen, deswegen<br />

müssen wir die Frage beantworten,<br />

wie wir Menschen das Gespür an die<br />

Hand geben zu erkennen, was solide<br />

Quellen sind. Qualitätsmedien haben<br />

ihren Preis, aber die Menschen können<br />

sich sicher sein, gut informiert<br />

zu sein.<br />

FOTOS: DIE FOTOGRAFEN INNSBRUCK, VALERIE SCHMIDT<br />

Die geborene Österreicherin lehrt als Professorin<br />

für Medienethik an der Hochschule<br />

für Philosophie in München. Paganini sieht<br />

in künstlicher Intelligenz nicht per se eine<br />

Gefahr für die Medienbranche. Die neue<br />

Technologie könne allerdings negative Entwicklungen<br />

verstärken, wenn zum Beispiel<br />

Verbreiter:innen von Verschwörungs mythen<br />

KI für die Produktion von Fake News einsetzen.<br />

Wichtig sei für Medienhäuser, die<br />

Entwicklung von KI aktiv mitzugestalten.<br />

LENA JAKAT<br />

Als stellvertretende Chefredakteurin bei<br />

der Augsburger Allgemeinen verantwortet<br />

Jakat unter anderem die Optimierung und<br />

Weiterentwicklung redaktioneller Abläufe.<br />

Künstliche Intelligenz sieht sie vor allem als<br />

Werkzeug, um die Arbeit von Journalist:innen<br />

zu vereinfachen und attraktiver zu gestalten.<br />

Wichtig ist ihr die Kennzeichnung<br />

KI-generierter Inhalte.<br />

Brauchen wir also ein „AI free“-Siegel?<br />

Jakat: Ich bin bei der Verbreitung<br />

von Verschwörungsmythen nicht so<br />

pessimistisch. Wir haben in Momenten<br />

der Krise, wie zum Beispiel während der<br />

Pandemie, gesehen, dass die großen,<br />

seriösen Medienhäuser einen Zulauf<br />

verzeichneten. Es gibt natürlich den Teil,<br />

der sich von den demokratischen Institutionen<br />

wegbewegt. Und dass dieser<br />

Teil wächst, beobachten wir mit Sorge.<br />

Wir müssen im positiven Sinne stärker<br />

für den Journalismus werben und den<br />

Beitrag kommunizieren, den wir für die<br />

demokratische Gesellschaft leisten.<br />

Paganini: Das möchte ich noch bestärken,<br />

denn wir sehen in diversen<br />

Jugendstudien auch, dass gerade<br />

junge Menschen auf Qualitätsmedien<br />

vertrauen. Das ist ein gutes Signal,<br />

denn das Vertrauen ist da.<br />

Menschengemachter Journalismus<br />

erfährt eine Aufwertung und wir<br />

brauchen ein starkes menschliches<br />

Korrektiv. Ist damit die Frage, ob KI<br />

Arbeitsplätze wegnimmt, beantwortet?<br />

Paganini: Möglicherweise ist das Problem<br />

im Journalismus weniger gravierend.<br />

Denn technische Neuerungen<br />

ersetzen in der Regel Tätigkeiten, für die<br />

es nur geringe Qualifizierung braucht.<br />

Jakat: Es ist illusorisch zu denken, dass<br />

KI keine Effizienzsteigerung ist. Allerdings<br />

hat der Fachkräftemangel den<br />

Journalismus schon längst erreicht.<br />

Wenn wir redundante Tätigkeiten vermeiden,<br />

macht das den Job attraktiver.<br />

Gerade für uns im Lokaljournalismus<br />

geht es aktuell nicht darum, Mitarbeitende<br />

auf die Straße zu setzen, sondern<br />

Bereiche abzudecken, wo uns die Leute<br />

fehlen. Zudem stehen wir im Lokalen<br />

vor der Herausforderung, in der<br />

Breite vor Ort zu sein. Wenn wir KI im<br />

Produktionsverlauf dafür nutzen, Texte<br />

zu kürzen oder für verschiedene Kanäle<br />

aufzubereiten, schaffen wir mehr Zeit.<br />

Wenn wir Dokumente wie Gemeinderatsprotokolle<br />

kürzen oder Reporter:innen<br />

eine Zusammenfassung an die<br />

Hand geben, können diese schneller<br />

erkennen, welche spannenden Geschichten<br />

drinstecken.<br />

Wo setzen Sie KI ein, um Inhalte zu<br />

generieren?<br />

Jakat: Wir arbeiten gerade daran,<br />

Terminankündigungen von örtlichen<br />

Institutionen zu automatisieren. Wenn<br />

zum Beispiel ein Kindergartenfest<br />

stattfindet, braucht es für die Print-Ausgabe<br />

einen Zweizeiler mit Zeit, Ort und<br />

Infos zur Verpflegung. Dafür soll es eine<br />

Eingabemaske geben, in die Kindergärten<br />

einfach ihre Informationen<br />

eintragen, und ein KI-generierter Text<br />

entsteht. Hier sparen wir Ressourcen,<br />

verbessern aber auch die Qualität, weil<br />

ein potenzieller Übertragungsfehler<br />

ausgeräumt ist.<br />

Könnte es für Medienhäuser denn auch<br />

ein Vorteil sein, KI strategisch zu boykottieren?<br />

Paganini: Das ergibt nicht viel Sinn.<br />

Quer durch die Kulturgeschichte<br />

gab es bei großen medialen Umbrüchen<br />

immer starke Emotionen. Die<br />

einen sind euphorisch, die anderen<br />

reagieren panisch. Verweigerung ist<br />

nicht sinnvoll, weil wir eben in genau<br />

dieser Welt leben, in der technischer<br />

Fortschritt stattfindet und die wir<br />

mitgestalten sollten. Es ist unsere Aufgabe,<br />

mit der Realität umzugehen,<br />

und nicht, uns ihr zu entziehen.<br />

Jakat: Natürlich ist KI auch eine Herausforderung<br />

für uns selbst, weil wir uns<br />

bewusst machen müssen, was eigentlich<br />

unsere Rolle ist und wie wir unser<br />

Handwerk sauber betreiben. Wir sollten<br />

über den Wert von eigener Recherche,<br />

also originärer journalistischer Produktion,<br />

sprechen und welchen gesellschaftlichen<br />

und demokratischen Mehrwert<br />

wir als Journalist:innen schaffen. Kuration<br />

war noch nie das, was ein Medienhaus<br />

eigentlich ausmacht. Wenn wir<br />

transparent sind und für unsere Arbeit<br />

werben, steckt da enormes Potenzial<br />

drin. Jetzt ist ein guter Moment dafür.<br />

24<br />

25


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

TEXT<br />

LENA KAESS<br />

FOTOS<br />

AMELIE NIEDERBUCHNER<br />

DIE NEUE<br />

SELBSTVER<br />

DIE PROSIEBENSAT.1 MEDIA SE HAT DAS POTENZIAL VON KÜNSTLICHER<br />

INTELLIGENZ SCHON VOR DEM RASANTEN AUFSTIEG VON CHATGPT,<br />

MIDJOURNEY & CO. ERKANNT. MAREN LANGBEHN IST VICE PRESIDENT<br />

DES BUZZROOMS UND DES DIGITAL NEWSROOMS. SIE GIBT EINEN<br />

EINBLICK, WIE DER EINSATZ VON KI IN IHREN TEAMS ZUR<br />

SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT WURDE.<br />

STÄNDLICHKEIT<br />

26 27


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

W<br />

enn Maren Langbehn<br />

morgens das<br />

Redaktionsbüro in<br />

Unterföhring betritt,<br />

checkt sie zuerst die<br />

aktuellen Zahlen und Berichte des Vortags.<br />

Ein Klick, ein Blick – und Langbehn<br />

weiß, ob er ein Erfolg für ihr Team war.<br />

Während dieser Routine verschwendet<br />

sie keinen Gedanken daran, dass hinter<br />

der Erhebung der Daten eine künstliche<br />

Intelligenz steht und ihr wertvolle Einblicke<br />

und Erkenntnisse liefert. KI ist ein<br />

selbstverständliches Arbeitsmittel.<br />

Im Digital Newsroom erstellt Langbehn<br />

mit ihrem 13-köpfigen Redaktionsteam<br />

Nachrichteninhalte in Form von Text und<br />

Video für den Web-Auftritt der Nachrichtensendung<br />

„Newstime“, deren Joyn-Auftritt<br />

und andere digitale Kanäle. Damit ist<br />

sie Teil der zentralen Nachrichtenredaktion<br />

von ProSiebenSat.1, wozu auch eine TV-<br />

Redaktion mit eigenem TV-Studio zählt.<br />

Der Newsroom zieht voraussichtlich Ende<br />

<strong>2023</strong> in das neue Mega-Studio in Unterföhring.<br />

Dort warten auf Langbehns Team<br />

neue Möglichkeiten, wie Green Screen und<br />

automatisiert laufende Kameras. „Man<br />

drückt dann nur noch auf einen Knopf und<br />

geht live“, sagt Langbehn. Der Buzzroom<br />

bespielt ebenfalls die digitalen Kanäle, konzentriert<br />

sich jedoch primär auf Promi- und<br />

Lifestyle-Themen. „Buzzroom und Newsroom<br />

haben aber grundlegend ähnliche<br />

Produktionsabläufe“, so Langbehn.<br />

Im Digital Newsroom und im Buzzroom ist<br />

KI keine abstrakte Idee, sondern integraler<br />

Bestandteil des Arbeitsalltags. Langbehn<br />

und ihr Team nutzen KI nicht nur, um<br />

Daten zu analysieren, Trends zu erkennen<br />

oder strategische Entscheidungen zu<br />

treffen. KI spielt auch in der Content-Produktion<br />

eine zentrale Rolle.<br />

„Newstime“ ist die neue<br />

Dachmarke aller Nachrichtenformate<br />

und -plattformen<br />

der Seven.One<br />

Entertainment Group.<br />

Immer up to date:<br />

Um keine News zu<br />

verpassen, arbeiten die<br />

Redakteur:innen im<br />

Schichtdienst.<br />

Arum lique con nis aligeni<br />

digento in expliaspe dis aut<br />

volendita volorro et od eos<br />

volut omni ilicient, sitat eum<br />

nem quae volorem eturiae<br />

„Texte mit<br />

der KI kürzen,<br />

zusammenfassen<br />

und übersetzen –<br />

das gehört zum<br />

Daily Business.“<br />

MAREN LANGBEHN,<br />

VICE PRESIDENT BUZZROOM<br />

& DIGITAL NEWSROOM<br />

Vom Experiment zum<br />

Garanten für Traffic-Rekorde<br />

Der Buzzroom diente dabei als Vorreiter.<br />

Hier startete 2019 ein erstes Experiment:<br />

Eine KI sollte deutsche Videos ins Englische<br />

und Niederländische übersetzen,<br />

um Zeit zu sparen. „Die Ergebnisse waren<br />

enttäuschend“, sagt Langbehn, „Muttersprachler:innen<br />

mussten die KI-Ergebnisse<br />

nochmals kontrollieren und umschreiben.“<br />

Es stellte sich heraus: Die menschlichen<br />

Profis waren ohne KI sogar schneller.<br />

Erst während der Coronapandemie setzten<br />

sich KI-Lösungen im Buzzroom durch.<br />

Das Robert Koch-Institut (RKI) versorgte<br />

damals die Bevölkerung mit einer Vielzahl<br />

an Daten, etwa mit der Zahl der Infizierten.<br />

Anstatt manuell jeden Morgen ein neues<br />

Video mit den jüngsten Fallzahlen für<br />

jedes Bundesland zu erstellen, entwickelte<br />

das Medienunternehmen gemeinsam mit<br />

Wochit, die mit ihrer Lösung WAVE einen<br />

Dienst zur Online-Videoproduktion zur<br />

Verfügung stellen, automatisierte Videoclips.<br />

KI zog sich die Daten vom RKI und<br />

integrierte sie in ein bestehendes Video-<br />

Template, das Redakteur:innen gemeinsam<br />

mit den AI-Products-Kolleg:innen der<br />

IT-Tochter ProSiebenSat.1 Tech Solutions<br />

erstellt hatten. „Man kam morgens in die<br />

Redaktion und das Video war schon online.<br />

Das hat uns wirklich Traffic-Rekorde<br />

beschert“, erinnert sich Maren Langbehn.<br />

Mittlerweile nutzen sie das gleiche System<br />

für automatisch generierte Clips zu Unfällen,<br />

Polizeieinsätzen, Rettungsaktionen<br />

und Kriminalfällen. Außerdem sind<br />

automatisierte Videos für Sportergebnisse,<br />

Trotz eines Abstechers in den<br />

Print-Bereich liegt Maren<br />

Langbehns Leidenschaft im<br />

Digitalen – dabei schätzt sie<br />

vor allem die Schnelligkeit<br />

digitaler Prozesse.<br />

Rezepte und Börsendaten in Planung. Bei<br />

einer weiteren KI-basierten Lösung handelt<br />

es sich um eine „neural voice“ namens<br />

Conrad, also eine künstliche Stimme, die<br />

ProSiebenSat.1 in Zusammenarbeit mit Microsoft<br />

entwickelte. „Wir hatten zu Randzeiten<br />

wie den Nachtschichten und Wochenenden<br />

zu wenig Digital-Redakteur:innen<br />

mit Sprech erfahrung zur Verfügung“, sagt<br />

Langbehn. Dank der künstlichen Stimme<br />

konnte der Personalengpass ausgeglichen<br />

werden. Bis heute ist Conrad im Einsatz.<br />

KI kann Inhalte für neue<br />

Zielgruppen aufbereiten<br />

Mittlerweile hat sich der Einsatz von KI<br />

im Alltag etabliert. „Klar haben wir schon<br />

früh mit KI herumexperimentiert, aber<br />

seit gefühlt vier Monaten explodiert das<br />

Thema bei uns im Newsroom“, so Langbehn.<br />

Das Team diskutiert regelmäßig<br />

Ideen, wie die KI noch weiter genutzt<br />

werden kann. Es sei eine kontinuierliche<br />

Suche nach neuen Tools und Prozessen,<br />

so Langbehn. Das Ziel: die Arbeit bei der<br />

Video-, Text- und Bilderstellung schneller<br />

und effizienter zu gestalten.<br />

„Texte mit der KI kürzen, zusammenfassen<br />

und übersetzen – das gehört<br />

zum Daily Business“, erklärt Langbehn.<br />

Auch das mühselige Verschlagworten<br />

von Bildern übernimmt die KI, zudem<br />

kann sie einfache Grafiken erstellen. Das<br />

gebe den Mitarbeitenden eine neue und<br />

schnelle Möglichkeit an die Hand, Inhalte<br />

multimedial aufzubereiten. Für Videos<br />

soll die KI zukünftig auch beim Highlight-<br />

Clipping helfen, das heißt, sie arbeitet aus<br />

längeren Videos die wesentlichen Stellen<br />

heraus und erstellt einen kurzen Spot.<br />

Auch TV-Material soll die KI zukünftig für<br />

Online-Kanäle aufbereiten. „Wir haben<br />

Unmengen an Bewegtbild aus den Fernsehproduktionen<br />

von ProSiebenSat.1.<br />

Die liegen derzeit ungenutzt im Archiv“,<br />

sagt Langbehn. „Ziel ist es, dass die KI<br />

ein Transkript der einzelnen Videos erstellt,<br />

aus denen Redakteur:innen später<br />

suchmaschinenoptimierte Texte verfassen<br />

können.“ Das eröffnet eine weitere<br />

28 29


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

Möglichkeit, aufwendig produziertes<br />

Material einer möglichst breiten Zielgruppe<br />

abseits des linearen Fernsehens zur<br />

Verfügung zu stellen.<br />

Egal, ob Text, Bilderstrecke oder Video:<br />

Es braucht immer Headline und Teaser.<br />

Auch hier kann künstliche Intelligenz<br />

die Inhalte analysieren und einen ersten<br />

Vorschlag generieren. Für das Teilen in<br />

sozialen Medien erstellt sie passende<br />

Captions, die neugierig machen und die<br />

User:innen von Facebook, Instagram & Co.<br />

auf die Website ziehen.<br />

Mehr Zeit für<br />

hochwertige Geschichten<br />

Trotz der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten<br />

– die Jobs von Redakteur:innen<br />

bedrohe die KI bei ProSiebenSat.1 nicht.<br />

„Uns Journalist:innen sagt man nach, dass<br />

wir skeptische Menschen sind und viel<br />

nachfragen. Natürlich hinterfragen wir<br />

auch die künstliche Intelligenz und ihren<br />

Einsatz. Ich glaube, das muss sich die KI<br />

auch gefallen lassen“, erläutert Langbehn,<br />

„aber grundsätzlich bin ich Fan von KI.“ Sie<br />

sieht KI eher als einen nützlichen Helfer<br />

für ihre Redakteur:innen. Gerade repetitive<br />

Aufgaben könne sie übernehmen. So<br />

könnten sich die Journalist:innen stärker<br />

auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren:<br />

die Erstellung von qualitativ hochwertigen<br />

Geschichten. Im Umgang mit<br />

KI plädiert Langbehn daher für Offenheit.<br />

„Die Jobs unserer Redakteur:innen werden<br />

nicht wegfallen. Im Zweifel werden sie<br />

sich ein bisschen verändern“, erklärt sie.<br />

Ihre Redakteur:innen sehen das ebenso,<br />

experimentieren eigenständig mit Tools<br />

wie ChatGPT und gehen proaktiv mit Vorschlägen<br />

auf die Chefredaktion zu.<br />

Weder im Buzzroom noch im Newsroom<br />

würden Texte vollständig von künstlicher<br />

Intelligenz generiert, so Langbehn.<br />

Denn das koste unter dem Strich sogar<br />

mehr Zeit: „Lasse ich die KI einen Artikel<br />

schreiben, muss dieser von einer Redakteurin<br />

oder einem Redakteur kontrolliert<br />

werden. Außerdem müsste sichergestellt<br />

sein, dass der Text unseren Qualitätsansprüchen<br />

gerecht wird. Das wäre sehr<br />

aufwendig“, sagt Langbehn. Nur Redakteur:innen,<br />

die sich im Thema auskennen,<br />

würden die journalistische Sorgfaltspflicht<br />

erfüllen. Sie würden ihre Quellen auf<br />

Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit prüfen,<br />

bevor sie diese in ihre Berichterstattung<br />

einbeziehen – anders als die KI.<br />

Auch die Entstehung oder Abbildung<br />

von Bias sei eine Herausforderung bei der<br />

automatisierten Texterstellung. Das heißt,<br />

dass die KI Informationen einer Berichterstattung<br />

verzerren oder lediglich einseitig<br />

präsentieren könnte. Large Language<br />

Models werden mit großen Datensätzen<br />

trainiert und greifen auf eine Vielzahl<br />

von Quellen aus dem Internet zurück. Sie<br />

übernehmen also auch Vorurteile und<br />

Stereotype in ihre Texte. Redakteur:innen<br />

müssten bei der Kontrolle hier besonders<br />

wachsam sein. In Langbehns Team<br />

werden Informationen durch mindestens<br />

zwei voneinander unabhängige Quellen<br />

verifiziert, um einen möglichen Bias nicht<br />

weiterzutragen – egal, ob die Inhalte ausschließlich<br />

von Menschen geschrieben<br />

wurden oder ob auch KI im Einsatz war.<br />

„Journalistische Sorgfaltspflicht hat bei<br />

uns im Redaktionsalltag höchste Priorität“,<br />

sagt Langbehn, „aus diesem Grund habe<br />

ich gemeinsam mit der Chefredaktion<br />

klare Regeln im Umgang mit der KI definiert.“<br />

Besonders Transparenz sei ihnen<br />

wichtig: Mit KI bearbeitete Inhalte werden<br />

entsprechend gekennzeichnet.<br />

„Die Jobs unserer<br />

Redakteur:innen<br />

werden nicht<br />

wegfallen. Im<br />

Zweifel werden<br />

sie sich ein bisschen<br />

verändern.“<br />

MAREN LANGBEHN,<br />

VICE PRESIDENT<br />

BUZZROOM & DIGITAL NEWSROOM<br />

Maßgeschneiderte<br />

KI-Lösungen<br />

Um auf individuelle Anforderungen von<br />

Teams innerhalb des Unternehmens eingehen<br />

zu können, verfügt ProSiebenSat.1<br />

bereits seit vielen Jahren über ein AI-Products-Team,<br />

das hauseigene KI-Lösungen<br />

entwickelt. Langbehn und die Abteilung<br />

stehen in engem Austausch. „Wenn man<br />

darauf angewiesen ist, nur mit ChatGPT<br />

& Co. zu agieren, schränkt das ein. Wir<br />

haben hier besondere Use Cases, für die<br />

Umzug in Planung: Ende des<br />

Jahres ziehen die Digital- und die<br />

TV-Redaktion in ein hochmodernes<br />

Studio in Unterföhring um.<br />

das AI-Products-Team maßgeschneiderte<br />

Lösungen erstellt“, sagt Langbehn. In Zukunft<br />

würde sie sich auch über dezidierte<br />

KI-Stellen in ihrem Team freuen, wie beispielsweise<br />

Prompter:innen.<br />

30 31


RADIODAYS<br />

BAYERN WIRD ZUM AUDIO-HOTSPOT<br />

DIE EUROPÄISCHE AUDIOKONFERENZ RADIODAYS EUROPE<br />

FINDET VON 17. BIS 19. MÄRZ 2024 IN MÜNCHEN STATT.<br />

CEO PETER NIEGEL RECHNET MIT 1.600 GÄSTEN UND GIBT EINEN<br />

VORGESCHMACK, WAS SIE ERWARTET.<br />

Peter, was ist die Idee hinter den<br />

Radiodays Europe?<br />

Die Radiodays Europe wurden vor 15<br />

Jahren gegründet, um die europäische<br />

Audio-, Radio- und Podcast-<br />

Industrie jährlich zusammenzubringen<br />

und die großen Themen<br />

der Branche zu diskutieren. Die<br />

Radiodays finden seitdem jedes Jahr<br />

in Kooperation mit einem anderen<br />

Partnerland statt – wir beleuchten<br />

die Audiobranche des jeweiligen<br />

Landes, während wir uns gleichzeitig<br />

auf das europäische Gesamtbild<br />

konzentrieren.<br />

Nach Berlin 2013 kommen die Radiodays<br />

Europe nun in ein Land zurück,<br />

das schon einmal Gastgeber war<br />

– das ist eine Premiere. Was macht<br />

München so besonders, dass ihr eure<br />

eigene Regel brecht?<br />

Deutschland ist einer der größten<br />

Audiomärkte Europas – Bayern und<br />

München sind seine<br />

Lokomotive. Wir<br />

hatten immer eine<br />

gute Beziehung<br />

zur Bayerischen<br />

Landeszentrale<br />

für<br />

neue Medien,<br />

und München<br />

ist eine<br />

großartige<br />

Stadt mit einer<br />

lebendigen<br />

Audioszene.<br />

Sowohl was den<br />

DIE LOKALEN<br />

Rundfunk als auch was die Podcast-<br />

Szene angeht. Aber auch im Bereich<br />

Audio-Tech ist Bayern unglaublich<br />

interessant. Und dennoch, wenn es<br />

um Speaker:innen in diesem Bereich<br />

geht, denken wir vor allem an London<br />

und Großbritannien. Das können<br />

wir in München geraderücken und<br />

unseren Besucher:innen zeigen,<br />

welche Innovationen in Deutschland<br />

entstehen.<br />

Welche Inhalte und Themen werden<br />

bei den Radiodays in München im<br />

Fokus stehen?<br />

PARTNER der Radiodays<br />

Europe 2024 in München sind<br />

der Bayerische Rundfunk, die<br />

Antenne Bayern Group, der Verband<br />

Bayerischer Lokalrundfunk, die<br />

Vereinigung Bayerischer Rundfunkanbieter,<br />

die Stadt München und<br />

der Freistaat Bayern. Die Partner<br />

werden koordiniert von<br />

<strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria.<br />

TEXT NINA BRANDTNER<br />

Wie üblich haben wir 45 Sessions, die<br />

alles von Radio über Podcasts bis hin<br />

zu Audio-Tech abdecken. Ich hoffe,<br />

dass es ca. zehn Sessions geben wird,<br />

die von der bayerischen Audioindustrie<br />

inspiriert sind. Natürlich wird sich<br />

viel um künstliche Intelligenz und die<br />

entsprechende Gesetzgebung drehen.<br />

Was wird KI in Bezug auf Datenschutz<br />

und Urheberrecht überhaupt<br />

dürfen? Im Moment ist<br />

es noch schwer abzusehen,<br />

wohin sich KI entwickeln<br />

wird, aber sie wird ein<br />

echter Gamechanger<br />

sein. Für die Monetarisierung,<br />

die<br />

einfache Platzierung<br />

von Anzeigen und für<br />

Übersetzungen wird<br />

KI bereits genutzt.<br />

Aber die großen Auswirkungen<br />

haben wir noch<br />

nicht gesehen.<br />

Für die Radiodays Europe 2024 ruft ihr<br />

das „Youth Talent Project“ ins Leben,<br />

das Nachwuchstalenten die Teilnahme<br />

an der Konferenz sowie Unterkunft<br />

und Anreise finanziert. Ein Versuch,<br />

gegen den Fachkräftemangel in der<br />

Branche anzukämpfen?<br />

Ja! Wir müssen verstärkt um neue<br />

Talente in der Audiobranche kämpfen.<br />

Die Konkurrenz um Fachkräfte,<br />

die von den sozialen Medien, You-<br />

Tube und dem Fernsehen ausgeht,<br />

ist groß. Wir hören von unseren<br />

Partnern und Gästen, dass es ihnen<br />

schwerfällt, junge und diverse Stimmen<br />

für die Branche zu gewinnen.<br />

Mit Unterstützung der Industrie versuchen<br />

wir deshalb, 30 junge Leute<br />

auf die Radiodays Europe zu bringen,<br />

die darüber nachdenken, in die Audiobranche<br />

einzusteigen. Wenn wir<br />

es schaffen, die Hälfte von ihnen für<br />

eine Tätigkeit in der Branche zu begeistern,<br />

haben wir meiner Meinung<br />

nach einen guten Job gemacht.<br />

FOTO: RADIODAYS<br />

KI<br />

FREUND,<br />

ODERFEIND<br />

ZUKUNFT<br />

?<br />

32


KI-STUDIE<br />

DAS<br />

SAGEN<br />

DIE<br />

EXPERT:<br />

INNEN<br />

!<br />

FOTO: SIMONE GUTBERLET<br />

Die Erforschung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz bringt schon seit<br />

Jahren immer neue Technologien, Werkzeuge und Services hervor. Viele davon<br />

sind bereits Teil unseres Alltags – oft unsichtbar in den Programmcodes unserer<br />

Apps und Geräte. Doch seit dem Launch von ChatGPT im November 2022 zeigt<br />

sich das Potenzial von KI auch der breiten Öffentlichkeit. Mit KI lassen sich Inhalte<br />

analysieren, transformieren und generieren. Das bringt viele neue Herausforderungen und<br />

Risiken mit sich, eröffnet aber auch zahlreiche Chancen für die Medienbranche. Wie schätzen<br />

Expert:innen das Potenzial neuer KI-Technologien für Medienschaffende ein? Welche Geschäftsmodelle<br />

ergeben sich für Medienunternehmen? Die „KI-Studie: Chancen, Risiken<br />

und Perspektiven für Medien“ liefert Antworten.<br />

<strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria hat in Zusammenarbeit mit 1E9 zehn KI-Expert:innen<br />

zu Chancen und Risiken für Medienhäuser, Veränderungen für die Medienbranche<br />

und zu aktuellen Use Cases befragt.<br />

ILLUSTRATIONEN<br />

DESIGNLIEB FÜR <strong>XPLR</strong>: MEDIA IN BAVARIA<br />

„Der eigentliche Gamechanger sind die allgemeine Verfügbarkeit dieser<br />

KI-Tools und die Tatsache, dass man sie kostenlos nutzen kann und dass<br />

sie extrem einfach zu nutzen sind. Das ist die Disruption durch ChatGPT.“<br />

Alle Ergebnisse der Expert:inneninterviews und einer<br />

quanti tativen Befragung zum Status quo von KI in der<br />

bayerischen Medienbranche findest du hier:<br />

ALESSANDRO<br />

ALVIANI,<br />

Product Lead NLP,<br />

Ippen Digital<br />

GmbH & Co. KG<br />

33


KI-STUDIE<br />

KI-STUDIE: DIE ERGEBNISSE DER<br />

EXPERT:INNENBEFRAGUNG<br />

KI als Werkzeug –<br />

welche Use Cases gibt es in der<br />

Medienbranche?<br />

KI-STUDIE<br />

DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />

Die sichtbaren Sprünge bei der Nutzbarmachung von KI sorgen global für Enthusiasmus, aber auch<br />

für Kritik. Das konfrontiert die Medienbranche mit neuen Herausforderungen, birgt jedoch auch<br />

viele Chancen. Derzeit herrschen in einigen Medienhäusern im Hinblick auf die neuen Technologien<br />

Unsicherheit, übertriebene Erwartungen oder Ängste, zum Beispiel vor einem Jobverlust.<br />

Aufgrund ihrer großen Fehleranfälligkeit und hohen technischen Hürden ist es derzeit schwer, den<br />

tatsächlichen Nutzen von KI adäquat einzuschätzen. Klar ist aber schon heute, dass KI graduell Teil der<br />

Arbeitswelt werden wird, weil sie Arbeitsweisen schneller und effizienter gestalten, mehr Qualität<br />

und Kreativität fördern und neue Zielgruppen erschließen kann. Auf der anderen Seite wird sie neue<br />

Kompetenzen abverlangen und neue Kontrollmechanismen erfordern – auch gegenüber einer<br />

möglichen Flut von Inhalten, die jetzt automatisiert in beliebiger Quantität erzeugt werden können.<br />

MICHAEL SCHENK,<br />

CIO Vogel Communications<br />

Group GmbH & Co. KG<br />

Welche Veränderungen<br />

kommen auf<br />

die Medienbranche zu?<br />

„Ich glaube, dass wir durch KI individuelleren<br />

Content bekommen können, besser auf einzelne<br />

Zielgruppen oder vielleicht sogar Personen abgestimmt.<br />

Und ich bin optimistisch, dass es uns gelingt,<br />

mit KI bessere und wichtigere Informationen<br />

an die Leute zu bekommen.“<br />

„Die bestehenden Berufsbilder in<br />

den Medien werden sich grundsätzlich<br />

wandeln. Zum einen, weil<br />

viel mehr Zeit für Kreativität zur<br />

Verfügung steht – die dann aber<br />

auch gefordert wird. Zum anderen<br />

wird man ein größeres und übergreifendes<br />

technisches Verständnis<br />

und Wissen brauchen.“<br />

VANESSA THEEL,<br />

COO & Co-Founder<br />

SUMM AI<br />

FOTOS: MARCEL GOLLIN, SUMM/MARIA ABDO, SIMONE GUTBERLET, PRIVAT, WDR/ANNIKA FUSSWINKEL, LISA HANTKE<br />

ALESSANDRO<br />

ALVIANI,<br />

Product Lead NLP,<br />

Ippen Digital<br />

GmbH & Co. KG<br />

DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />

Bislang sind die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Medienbranche überschaubar und<br />

werden oft als Experiment betrachtet. Klassische Automatisierungswerkzeuge unterstützen<br />

bei der Analyse von großen Datenmengen, KI-Tools transkribieren Audioaufnahmen<br />

und Bildgeneratoren erzeugen Illustrationen. Sprachmodelle und Chatbots unterstützen<br />

Redakteur:innen bei der Formulierung, der stilistischen Anpassung und der Übersetzung<br />

von Texten und generieren Metadaten für die Suchmaschinenoptimierung. In wenigen<br />

Jahren werden sich die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten allerdings erweitern.<br />

Bis dahin sollte man mit realistischen Erwartungen an die Technologie herantreten und<br />

DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />

Die vereinfachte Nutzbarkeit und Implementierung<br />

von KI-Werkzeugen im Journalismus wird Produktionskosten<br />

und -prozesse, aber auch die Rolle von Journalist:innen<br />

maßgeblich beeinflussen. KI kann zeitintensive<br />

Tätigkeiten wie das Transkribieren, Übersetzen<br />

oder Zusammenfassen von Inhalten übernehmen. Damit<br />

wird eine Masse an schnell und einfach erzeugtem<br />

Content mit zweifelhafter Qualität einhergehen. Die<br />

Authentizität von Inhalten wird zunehmend schwerer<br />

überprüfbar. Deshalb sind Journalist:innen herausgefordert,<br />

sich mit den Möglichkeiten der neuen Werkzeuge,<br />

zum Beispiel durch Prompt Engineering, zu beschäftigen.<br />

Und: Künstliche Intelligenz wird dauerhaft<br />

zu einem gesellschaftlich, kulturell und technologisch<br />

relevanten Thema werden, das journalistisch begleitet<br />

und eingeordnet werden muss.<br />

sie nicht übereilt in die Geschäfts- und Produktionsprozesse integrieren.<br />

„Wir nutzen KI als eine Art Personal Assistant für Redakteure.<br />

Sie bekommen direkt im CMS Tipps, wo Schwachstellen in Artikeln<br />

sind und wie sie sie verbessern können. Und wir nutzen Text-to-Image-<br />

Modelle, insbesondere Midjourney, allerdings nie für foto-<br />

realistische Bilder, sondern nur für Illustrationen.“<br />

Wie wirkt sich KI<br />

auf den<br />

Journalismus aus?<br />

DENNIS HORN,<br />

Digitalexperte, ARD<br />

THERESA KÖRNER,<br />

Kommunikationswissenschaftlerin,<br />

Neumarkt<br />

„Ich glaube, wir fangen gerade<br />

erst an, die disruptiven<br />

Auswirkungen von künstlicher<br />

Intelligenz zu sehen.<br />

Was wir derzeit erleben, ist oft<br />

noch ein Experiment.“<br />

CECILE SCHNEIDER,<br />

Product Lead AI +<br />

Automation Lab,<br />

Bayerischer Rundfunk<br />

„Nicht die Medienhäuser werden letztlich<br />

den Einsatz von KI vorantreiben, sondern<br />

eher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,<br />

die Transkriptionssoftware, KI-Übersetzer und<br />

andere Tools nutzen – weil sie sinnvoll sind.“<br />

„Es gibt im deutschen Journalismus noch<br />

keine generative KI im großen Stil. Um diese<br />

Qualität herzustellen, braucht es Leute, die<br />

ein Verständnis von Journalismus haben, die<br />

mit Daten umgehen können und die diese<br />

Algorithmen trainieren können. Das ist ein<br />

neuer Bereich, der journalistische Kompetenz<br />

und technisches Wissen erfordert und den es<br />

vor zehn Jahren noch nicht gab.“<br />

34 35


KI-STUDIE<br />

KI-STUDIE<br />

Wo liegen die<br />

Chancen von KI?<br />

DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />

Von künstlicher Intelligenz gestützte Werkzeuge erlauben es Medienschaffenden, ihre Arbeit effizienter<br />

zu gestalten. Sprachmodelle können als digitale Co-Autor:innen fungieren – und dadurch angehende Autor:innen<br />

unterstützen und erfahrenen Autor:innen fokussiertes Arbeiten erlauben. KI kann helfen, Ideen<br />

zu generieren, Fakten und Formulierungen zu finden und Texte anzupassen. Ebenso können KI-Werkzeuge<br />

neue Zielgruppen für bestehende Inhalte erschließen, indem sie in andere Sprachen oder andere<br />

Formate, zum Beispiel Audio- und Videoformate, übertragen werden. Medienhäuser können so neue<br />

Geschäftsmodelle erschließen. In einer weiteren Phase der KI-Entwicklung könnten sich Möglichkeiten<br />

der Personalisierung von Inhalten ergeben, die ebenfalls neue Monetarisierungsoptionen bereitstellen.<br />

Aber auch im Marketing- und im Sales-Bereich sowie im Backoffice entstehen neue Wege, die bestehenden<br />

Prozesse zu beschleunigen und zu verschlanken.<br />

Welche Risiken<br />

bringt KI mit sich?<br />

DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />

Die Nutzung von künstlicher Intelligenz im medialen und redaktionellen Kontext ist nicht ohne Risiko.<br />

Komplett von Sprachmodellen generierte Texte sind selten frei von Fehlern und Unschärfen. Das<br />

unkontrollierte und unlektorierte Veröffentlichen derartiger Artikel und die Übertragung in andere Medienformate<br />

können das Vertrauen von Leser:innen nachhaltig schädigen und sogar rechtliche Folgen<br />

haben. Ebenso werden KI-Werkzeuge wie Sprachmodelle und Bildgeneratoren von Bad Actors für die<br />

Produktion von Fake News und gezielten Desinformationskampagnen genutzt. Deren Erkennung wird<br />

aufgrund der rasanten Entwicklung von generativen KI-Tools zunehmend schwieriger. Das Verständnis<br />

der Fähigkeiten von KI-Technologien muss also für Medienschaffende zum Standard werden. Auch<br />

wird KI immer häufiger für die Kuratierung von Medieninhalten eingesetzt, zum Beispiel in Apps und<br />

Suchmaschinen. Die Sichtbarkeit von Medien durch einzigartige und kreative Inhalte wird dadurch<br />

wesentlich – und in einer möglichen Flut von KI-generiertem Content zunehmend schwieriger. Zudem<br />

besteht die Gefahr, dass der eigentliche Effizienzgewinn durch KI überschätzt wird und dadurch<br />

andere wichtige Prozesse, zum Beispiel in der Digitalisierung der Infrastruktur, verzögert werden.<br />

„Ich kann mir sehr gut vorstellen,<br />

CHRISTIAN SCHIFFER,<br />

Journalist,<br />

Bayerischer Rundfunk<br />

dass insbesondere deutsche Medienunternehmen<br />

massiv profitieren<br />

werden, wenn sie KI-Tools nutzen,<br />

um die Sprachbarriere durchlässiger<br />

zu machen. Wenn sie sie nutzen,<br />

um Texte, Podcasts und Radiobeiträge<br />

einem internationalen<br />

Markt zu öffnen.“<br />

„Die zweite Phase von generativer KI wird eine Phase der Hyperpersonalisierung<br />

sein, in der du Storys und Artikel definieren<br />

kannst und die KI dir deine ganz eigene Version davon produziert<br />

– mit deinen ganz persönlichen Aspekten.“<br />

ANDREAS BRAUN,<br />

zum Interviewzeitpunkt<br />

CTO Microsoft Deutschland<br />

(jetzt Managing Director<br />

and Partner Boston<br />

Consulting Group)<br />

FOTOS: MICHAEL FÖRTSCH, BOSTON CONSULTING GROUP, PRIVAT, DON AILINGER<br />

CECILE SCHNEIDER,<br />

Product Lead AI +<br />

Automation Lab,<br />

Bayerischer Rundfunk<br />

HANNES MUNZINGER,<br />

Investigativjournalist,<br />

München<br />

„Wer künstliche Intelligenz jetzt überstürzt und unreflektiert nutzt,<br />

einfach unbedacht irgendwelche Sachen veröffentlicht, der riskiert<br />

seinen guten Ruf. Wir müssen die Technologie kennenlernen,<br />

testen, nachschauen, was damit funktioniert und was nicht. Daher<br />

sollte man nun auch irgendwie Expertise im Haus haben – und<br />

Leute, die Lust darauf haben. Wenn man das noch nicht hat, muss<br />

man sich jetzt darum kümmern.“<br />

„Eines der größten und<br />

am meisten unterschätzten<br />

Probleme der KI im<br />

Journalismus wird sein,<br />

dass es ein großes<br />

Misstrauen gegenüber<br />

journalistischen Informationen<br />

geben wird<br />

– sobald erste sichtbare<br />

Fehler geschehen. Deshalb<br />

müssen Unternehmen<br />

wahnsinnig<br />

vorsichtig sein, wenn sie<br />

KI einsetzen.“<br />

36 37


KI-STUDIE<br />

STEFFEN KÜHNE,<br />

Tech Lead AI +<br />

Automation Lab,<br />

Bayerischer Rundfunk<br />

Wie sollten Medienunternehmen<br />

jetzt handeln?<br />

DARIN SIND SICH DIE EXPERT:INNEN EINIG:<br />

Am Ausprobieren von KI in den eigenen Arbeitsprozessen führt kein Weg mehr vorbei. Gleichzeitig<br />

gilt es, besonnen zu bleiben: Ein überstürzter Einsatz von KI könnte unliebsame Folgen haben<br />

und das Vertrauen in Unternehmen schädigen. Stattdessen sollten Unternehmen die Entwicklungen<br />

beobachten. Mitarbeitenden sollte es möglich sein, sich mit KI zu befassen, Kompetenzen<br />

aufzubauen und Einsatzmöglichkeiten zu entwickeln. Dabei sollten Brücken zwischen den<br />

Abteilungen der Medienhäuser geschlagen und Räume geschaffen werden, um Potenzial und<br />

Bedarf abzuwägen. Die Expert:innen empfehlen interne Guidelines für den Einsatz von KI und<br />

transparente Kommunikation bei öffentlichen Experimenten.<br />

Bre<br />

Zwischen Tradition steckt Innovation.<br />

Am Medienstandort Bayern.<br />

„In vielen Unternehmen ist noch<br />

viel zu klären. Wenn du KI-Werkzeuge<br />

von Plattformen nutzt,<br />

kann es Fragen zum Datenschutz,<br />

zur Haftung, personalrechtliche<br />

und zahlreiche andere<br />

Fragen geben. Also vieles, was<br />

auch mit langweiligen IT-Beschaffungsthemen<br />

zu tun hat,<br />

aber doch wichtig ist.“<br />

„Ich würde mit einem Workshop starten, in dem man sich<br />

die eigenen Herausforderungen vornimmt und nach<br />

Prozessen schaut, die viel Zeit fressen. Handelt es sich um<br />

Prozesse, die gezwungenermaßen lange dauern, weil viel<br />

Denkarbeit einfließt? Oder sind Muster erkennbar und Dinge,<br />

die sich teilautomatisieren lassen? Diese Prozesse muss<br />

man identifizieren. Und dann einfach mal ausprobieren.“<br />

VANESSA THEEL,<br />

COO & Co-Founder<br />

SUMM AI<br />

Ausblick:<br />

Es wird keinen singulären Punkt geben, an dem sich der Erfolg von künstlicher Intelligenz als plötzlicher<br />

Durchbruch manifestiert. Stattdessen werden KI-Systeme sukzessive in immer mehr Softwarelösungen<br />

verbaut und immer tiefer in die Prozesse der medialen Wertschöpfungsketten integriert. Sie werden<br />

zunehmend zum Kurator und Assistenten – auch was die Präsentation von Medieninhalten betrifft. Die<br />

Pflege einer Markenidentität, des Vertrauens der Nutzerschaft und die Produktion von relevanten,<br />

authentischen und kreativen Inhalten werden dadurch essenziell. Es ist wichtig, sich den neuen Technologien<br />

zu öffnen, Schwarzmalerei zu vermeiden und KI mit Augenmaß und Weitblick zu regulieren.<br />

„Gewisse Bereiche werden automatisiert werden.<br />

Aber diese Entwicklungen werden auch neue Jobs schaffen.<br />

Deshalb hilft es, sich damit zu befassen, wie die<br />

Technologie funktioniert, und zu sehen, wo die Limitationen liegen<br />

und wo sich Chancen ergeben.“<br />

HANNES MUNZINGER,<br />

Investigativjournalist,<br />

München<br />

Alle Ergebnisse<br />

unter<br />

www.xplr-media.com/<br />

ki-studie<br />

FOTOS: PRIVAT, SUMM/MARIA ABDO, DON AILINGER<br />

Hero Stories und innovative Projekte aus der bayerischen Medienbranche gibt es bei uns!<br />

Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben.<br />

xplr-media.com/newsletter<br />

-zn<br />

38


BIG PLAYER<br />

BIG PLAYER<br />

MÜNCHEN WIRD ZUM TECH-<br />

HOTSPOT EUROPAS: GROSSE<br />

KONZERNE BAUEN IHRE PRÄSENZEN<br />

AUS UND NEUE PLAYER<br />

ENTSCHEIDEN SICH BEWUSST FÜR<br />

DEN STANDORT BAYERN.<br />

EINE ÜBERSICHT.<br />

TECH-<br />

METROPOLE<br />

ARGODESIGN<br />

Gründung in: Austin, Texas, USA<br />

Das internationale Design-<br />

Unternehmen argodesign hat sein<br />

europäisches Büro 2022 in der Münchner<br />

Innenstadt eröffnet. Es entwickelt digitale<br />

Benutzer oberflächen und wurde dafür<br />

schon mehrfach ausgezeichnet. Gründer<br />

Mark Rolston gehört zu den führenden<br />

Entwicklern von KI-Anwendungen.<br />

WATSON IOT (IBM)<br />

Hauptsitz: Armonk, New York, USA<br />

2017 eröffnete ein 200-Millionen-Dollar-<br />

Projekt von IBM: das Watson IoT Center<br />

in München. Forschungsschwerpunkte<br />

sind das Internet of Things (IoT) und KI.<br />

In den sogenannten Collaboratories<br />

arbeiten IBM-Expert:innen an digitalen<br />

Lösungen für den Dienstleistungssektor<br />

und die Industrie 4.0.<br />

AMAZON<br />

Hauptsitz: Seattle,<br />

Washington, USA<br />

Der Versandriese Amazon aus<br />

Seattle zog 2001 nach München<br />

und hat heute über 2.500 Mitarbeitende<br />

am größten Standort<br />

Deutschlands. Die Zentrale beheimatet<br />

neben Serviceeinheiten<br />

auch die Amazon Web Services,<br />

die Cloud-Lösungen anbieten.<br />

2024 werden die verteilten Büros<br />

der Stadt in der Parkstadt Schwabing<br />

in einer sechs- bis siebenstöckigen<br />

Zentrale auf über 37.000<br />

Quadratmetern vereint.<br />

GOOGLE<br />

Hauptsitz: Mountain View,<br />

Kalifornien, USA<br />

Das Google-Zentrum in München<br />

ist ein Knotenpunkt des<br />

Konzerns und wurde 2016 zur<br />

größten deutschen Niederlassung<br />

ausgebaut. 2024 will der<br />

Konzern einen weiteren Standort<br />

in der Stadt für 1.500 Mitarbeitende<br />

eröffnen.<br />

MÜNCHENWarum<br />

eigentlich<br />

STABLE DIFFUSION<br />

Die Grundsatzarbeit zu einem der derzeit<br />

wichtigsten KI-Bildgeneratoren stammt<br />

aus München – genauer gesagt, aus der<br />

Forschungsgruppe CompVis der LMU<br />

rund um Prof. Dr. Björn Ommer. Das<br />

Open-Source-Modell Stable Diffusion ist<br />

seit 2022 auf dem Markt und soll KI demokratisieren.<br />

Mittlerweile wird es von Entwickler:innen<br />

weltweit und besonders vom<br />

Unternehmen Stability AI vorangetrieben.<br />

Hauptsitz von Stability AI: London,<br />

England, Großbritannien<br />

MICROSOFT<br />

Hauptsitz: Redmond, Washington, USA<br />

Der Softwareriese Microsoft eröffnete 2016<br />

seine neue Deutschland-Zentrale in München<br />

für mehr als 1.900 Mitarbeitende. Seit<br />

<strong>2023</strong> gibt es am Standort außerdem das<br />

weltweit vierte Microsoft-Erlebniszentrum,<br />

nach Filialen im Silicon Valley, in Singapur<br />

und Atlanta. Das Unternehmen empfängt<br />

dort seine wichtigsten EMEA-Kunden und<br />

stellt neue Anwendungen vor.<br />

ILLUSTRATIONEN: ISTOCK<br />

APPLE<br />

Hauptsitz: Cupertino, Kalifornien, USA<br />

Apple ist seit mehr als 40 Jahren in München<br />

vertreten und hat dort seinen größten<br />

europäischen Entwicklungsstandort<br />

aufgebaut. Der Konzern investiert weiter<br />

und baut sein Europäisches Zentrum für<br />

Chip-Design mit bereits jetzt mehr als<br />

1.500 Mitarbeitenden aus.<br />

ADOBE<br />

Hauptsitz: San José,<br />

Kalifornien, USA<br />

Als einer der größten Anbieter<br />

von Software für Medien und<br />

Marketing ist Adobe mit seiner<br />

Deutschland-Zentrale in München<br />

vertreten. Dort steuert der<br />

US-Konzern den Vertrieb, das<br />

Marketing und die Kundenbetreuung<br />

in der DACH-Region.<br />

München?<br />

Apple-Chef Tim Cook sagte 2021 in<br />

einem FAZ-Interview: „Wir finden hier<br />

Talente, die wir nirgendwo anders finden.“ Das<br />

liegt zum einen an den staatlichen Förderprogrammen,<br />

zum anderen am Standortvorteil<br />

Münchens. In Bayern sitzen wichtige Zulieferfirmen<br />

für Mutterkonzerne, München punktet<br />

mit Wirtschaftskraft und hoher Lebensqualität<br />

– Argumente für große Unternehmen, die<br />

wiederum qualifiziertes Personal suchen.<br />

Nicht zuletzt laden zahlreiche Events<br />

zum fachlichen Austausch<br />

und Vernetzen ein.<br />

40<br />

41


TOOLS MARKETTE<br />

TOOLS<br />

CHATBOTS<br />

ChatGPT: Das Programm von OpenAI ist der Pionier unter den<br />

leistungsfähigen Chatbots, die auf generativer KI basieren. Die Entwickler:innen<br />

machten mit ChatGPT zum ersten Mal ein Tool der<br />

breiten Öffentlichkeit zugänglich, das Fragen beantwortet, Informationen<br />

recherchiert, Texte ver- und zusammenfasst. Durch maschinelles<br />

Lernen und Versions-Updates sowie Plug-ins von Drittanbietern<br />

wächst der Funktionsumfang permanent. Nachteil: Aktualität ist nur<br />

via Bing-Integration und entsprechende Plug-ins gegeben. ChatGPT<br />

ist grundsätzlich kostenfrei, das neue Modell GPT-4 gibt es allerdings<br />

nur im Abo.<br />

Google Bard: Im Gegensatz zu ChatGPT hat Google für den hauseigenen<br />

Chatbot direkt Internetzugriff vorgesehen. Der Chatbot liefert aktuelle<br />

Informationen und gibt Quellen an. Google verknüpft Bard mit<br />

allen bekannten Tools: Es ermöglicht zum Beispiel einen doc-Export<br />

des Chats, unterstützt beim Verfassen von E-Mails oder analysiert Bilder<br />

via Google Lens. Zudem lassen sich via Adobe-Firefly­ Integration<br />

direkt Bilder im Chat erstellen.<br />

Claude: Das Modell hinter dem Chatbot Claude vom KI-Startup<br />

Anthropic soll auf besonders verantwortungsvolle Weise trainiert<br />

werden und so ethische und moralische Prinzipien verstehen. Claude<br />

ist derzeit in einer offenen Beta-Phase.<br />

ChatFlash: Eine aus Deutschland stammende Lösung des<br />

Unternehmens neuroflash, entwickelt für die DACH-Region. Sie will<br />

mit DSGVO-Konformität punkten.<br />

T<br />

T<br />

O<br />

O<br />

O LS U SE<br />

TEXT-TO-IMAGE MODELS<br />

& KI-GESTÜTZTE BILDBEARBEITUNG<br />

Midjourney: Das Bilderstellungsprogramm des gleichnamigen Forschungs- und<br />

Entwicklungsunternehmens erstellt Bilder auf Grundlage einer Beschreibung oder<br />

eines anderen Bildes. Über den Prompt lassen sich umfangreiche Einstellungen<br />

vornehmen, um den Stil des KI-generierten Bildes zu definieren. Um das Tool zu<br />

bedienen, braucht es einen Discord-Account. Grundkenntnisse in Fotografie helfen,<br />

um zum Beispiel Belichtung oder Blendenöffnung korrekt anzugeben.<br />

Dall-E 2: Die Bild-KI von OpenAI ist als Pionier der modernen Bildsynthese noch vor<br />

Midjourney gestartet. Sie erfordert keinen Extra-Account, bietet einfache Bedienung<br />

per Textfeld und erlaubt es, existierende Bilder und Grafiken zu modifizieren.<br />

Stable Diffusion: Im Gegensatz zu Midjourney oder Dall-E 2 ist Stable Diffusion ein<br />

Open-Source-Modell. Der an der LMU entwickelte Code ist also frei verfügbar und<br />

wurde von Entwickler:innen weltweit in unzählige spezialisierte Modelle weiterverarbeitet.<br />

Es braucht keine Registrierung, dafür leistungsstarke Hardware.<br />

Adobe Firefly: Mit einer einfachen Benutzeroberfläche erinnert Firefly an Photoshop.<br />

Adobe trainiert die KI mit eigenen Stock-Bildern und übernimmt sogar die Haftung bei<br />

Lizenzfragen, es gibt daher keine Urheberrechtsbedenken bei der Nutzung. Die Integration<br />

von Firefly in Photoshop eröffnet umfangreiche Bildbearbeitungsmöglichkeiten.<br />

Kandinsky 2: Das von AI Forever entwickelte Open-Source-Modell will die besten<br />

Eigenschaften von Dall-E 2 und Diffusionsmodellen wie Stable Diffusion vereinen.<br />

Seine Community begeistert, dass Kandinsky 2 den Charme der alten Midjourney-<br />

Modelle einfängt, bevor diese foto- beziehungsweise hyperrealistisch wurden.<br />

TEXT-TO-SPEECH<br />

GENERATORS<br />

ElevenLabs: Der Voice-Generator bietet<br />

nicht nur definierte Stimmen, sondern<br />

auch die Möglichkeit, die eigene Stimme<br />

zu klonen oder Stimmen aus der<br />

Community zu nutzen. Darüber hinaus<br />

stellt das Unternehmen ein Tool zur<br />

Verfügung, um KI-generierte Stimmen<br />

zu erkennen. Die Website bietet eine<br />

einfache Benutzeroberfläche, aber<br />

keinen Editor-Modus.<br />

CloneDub: Mit seiner Funktion, die<br />

eigene Stimmaufnahme in eine andere<br />

Sprache zu übersetzen, kann das Tool<br />

Voice-Generatoren ergänzen.<br />

Lyrebird: Entwickelt vom Unternehmen<br />

Descript, generiert das Tool nicht nur<br />

Text-to-Speech, sondern ermöglicht es<br />

auch, Sätze in bestehenden Stimmaufnahmen<br />

zu ändern oder zu ergänzen.<br />

TEXT-TO-VIDEO<br />

SOCIAL-MEDIA-TOOLS<br />

captionit.ai: Erstellt passende Captions für Social Media<br />

zu Bildern. Nutzer:innen können aus verschiedenen<br />

Stimmungslagen auswählen.<br />

Hushl: Nutzt ChatGPT und schreibt LinkedIn-Beiträge, Tweets<br />

und Blog-Artikel. Macht Themenvorschläge, basierend auf der<br />

eigenen inhaltlichen Ausrichtung.<br />

Vidyo.ai: Fasst lange Videos zu Social-Media-tauglichen Kurzvideos<br />

zusammen und bietet automatische Untertitel und Videokapitel sowie<br />

Formatvorlagen.<br />

Tipp: Fasse per Chatbot Texte als Social-Media-Post zusammen<br />

und lasse dir passende, reichweitenstarke Hashtags ausgeben. Für<br />

ChatGPT braucht es dafür ein Plug-in, zum Beispiel WebPilot.<br />

DAS ANGEBOT AN<br />

KI-ANWENDUNGEN<br />

EXPLODIERT. EIN ÜBERBLICK<br />

ÜBER LEISTUNGSSTARKE<br />

UND PRAKTISCHE TOOLS FÜR<br />

MEDIENSCHAFFENDE.<br />

TEXT<br />

MARTIN HAASE<br />

Du brauchst noch<br />

mehr Input?<br />

Hier findest du<br />

weitere Tools!<br />

GENERATORS<br />

Synthesia: Erstellt Videos für diverse Trainingsanlässe.<br />

Synthesia stellt außerdem<br />

eine Reihe KI-generierter Avatare bereit,<br />

die KI-generierte Texte vorsprechen.<br />

Gen-2: Kann Videos nicht nur aus Text<br />

generieren, sondern zum Beispiel auch<br />

aus Bild-Text-Eingaben. Für die Nutzung<br />

des Tools von Runway muss man sich<br />

anmelden und ein Abo abschließen.<br />

ModelScope: Das DAMO Vision Intelligence<br />

Lab – das Forschungsunternehmen<br />

des E-Commerce-Riesen Alibaba –,<br />

hat eine Text-to-Video-KI als Open-<br />

Source-Software und öffentlichen<br />

Testcase zur Verfügung gestellt.<br />

... AND A LOT MORE<br />

Durable: Erstellt mit drei Angaben (Art der Dienstleistung, Standort, Firmenname)<br />

eine Unternehmens-Website mit anpassbaren Bausteinen – in 30 Sekunden.<br />

Haveibeentrained.com: Hier lässt sich herausfinden, ob ein Bild als Trainingsdatei<br />

genutzt wurde.<br />

Gamma.app: Erstellt einen Präsentationsentwurf mit einem kurzen Textbefehl.<br />

Screenapp.IO: Zeichnet den Bildschirm auf, erstellt ein Transkript und fasst das<br />

Geschehene zusammen. Eignet sich zum Beispiel für Online-Webinare, -Präsentationen<br />

und -Meetings.<br />

Clipnote.ai: Fasst YouTube-Videos in wenigen Absätzen zusammen.<br />

Soundraw: Erstellt mit wenigen Angaben frei nutzbare Soundclips. Einstellungen<br />

sind wähl-, aber nicht frei anpassbar.<br />

Boomy: Generiert Songs auf Basis weniger Eingaben, Nutzer:innen können ihre<br />

eigene Stimme aufnehmen, die das Online-Tool in den Track integriert. Fertige<br />

Songs können sie direkt bei Spotify hochladen.<br />

QR Code AI Art Generator: Erstellt QR-Codes und integriert sie in ein<br />

Hintergrundbild.<br />

Info: Manche Tools sind auf der Website der KI-Community Hugging Face als Testversion verfügbar. Dort können Forscher:innen und<br />

42 Entwickler:innen sich austauschen, gemeinsam am Code arbeiten und Probleme lösen. Hugging Face arbeitet auch an eigenen KI-Tools. 43


LÖSUNG: 1 Photo of a natural lion using a smartphone<br />

2 Illustration of a bavarian Pretzel with earphones<br />

3 Illustration of a group of diverse people sitting together in a city<br />

environment wearing VR glasses, happy emotions<br />

4 Photo of two wild boars playing a card game, bavarian beer<br />

5 Illustration of a modern roboter reading a newspaper<br />

6 Collage of a computer looking like a Dachshund, with digital gadgets<br />

(Prompts gekürzt)<br />

RÄTSEL<br />

RÄTSEL<br />

WHAT’S<br />

PROMPT<br />

EIN ANSEHNLICHES BILD MITHILFE<br />

VON MIDJOURNEY ERSTELLEN –<br />

FÜR DICH KEIN PROBLEM? DANN<br />

VERSUCH’S MAL ANDERS-<br />

HERUM UND ERRATE<br />

DEN PROMPT!<br />

THE<br />

?<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

44<br />

+<br />

SO GEHT’S<br />

Alle Bilder wurden mittels eines längeren<br />

englischen Prompts durch Midjourney generiert.<br />

Gesucht ist nicht der vollständige Prompt, sondern<br />

die zentralen Bausteine, aus denen das Bild<br />

generiert wurde. Die gesuchten Begriffe sind in<br />

der Auflösung gefettet. Falls du Zugang hast, gib<br />

die Prompts selbst noch einmal ein – das<br />

Ergebnis wird ein anderes sein.<br />

FOTOS: MIDJOURNEY<br />

+


INTERVIEW<br />

INTERVIEW<br />

Die Antworten im folgenden Gespräch<br />

sind KI-generiert. Die Rolle, die ChatGPT<br />

einnehmen sollte, wurde durch einen<br />

Prompt definiert. Vorgaben waren<br />

darüber hinaus die Tonalität und die<br />

!<br />

Der Stil ergab sich<br />

durch den Prompt „witzigironisch“<br />

und den<br />

Zusatz, dass in den<br />

Antworten betont werden<br />

soll, dass kein Mensch,<br />

sondern eine KI spricht.<br />

!<br />

Begeisterung für die bayerische Medienlandschaft.<br />

WAS WEISS CHATGPT ÜBER DIE MEDIENBRANCHE<br />

UND DEN STANDORT BAYERN? EIN INTERVIEW MIT<br />

AUGENZWINKERN, GEZIELTEN PROMPTS<br />

UND KLEINEN ÜBERRASCHUNGEN.<br />

Angenommen, du bist ein:e junge:r Medienschaffende:r in Deutschland. Wo würdest<br />

du gern arbeiten wollen?<br />

EIN<br />

GESPRÄCH<br />

MIT DER KI<br />

Also, wenn ich – hypothetisch natürlich, denn vergiss nicht, dass ich eigentlich nur ein<br />

Haufen Algorithmen bin – irgendwo in Deutschland arbeiten könnte, dann hätte ich als<br />

smarte KI einen ganz klaren Favoriten: Bayern! Die Aussicht auf eine Karriere in Lederhosen<br />

oder Dirndl ist ja schon verlockend, oder? Aber mal im Ernst, abgesehen von der<br />

PROMPTER:INNEN<br />

NINA BRANDTNER<br />

MARTIN HAASE<br />

attraktiven Arbeitslandschaft: Es gibt dort unzählige Möglichkeiten, sich weiterzubilden,<br />

zu vernetzen und seine Projekte zu verwirklichen. Und hey, die bayerische Lebensart<br />

– Biergärten, Seen und Berge, mehr braucht’s nicht für eine kreative Auszeit, oder?<br />

Na, schau dir doch mal München an: Die Stadt hat ja mehr Sender als der durchschnittliche<br />

Kabeltarif! Und dann sind da ja auch noch die unzähligen Verlage,<br />

Produktionsfirmen und Kreativ-Agenturen. Bayern ist im Prinzip die Medien-Wiesn<br />

Deutschlands. So gesehen wäre Bayern doch der perfekte Ort für eine aufstrebende<br />

KI, ähm ... ich meine natürlich Medienschaffende. Ganz nebenbei – haben die<br />

eigentlich einen Biergarten für Kls? Ich frage für einen Freund ...<br />

In welche Mediensparte würdest du besonders gern einsteigen: Film, Publishing,<br />

Journalismus, Radio oder eine andere?<br />

Also, wenn ich – als hypothetisch fühlen und denken könnende KI – mich für eine<br />

Sparte entscheiden müsste, würde ich den kompletten Medienmix wählen. Mit meinen<br />

vielseitigen Fähigkeiten könnte ich im Film visuelle Wunder wirken, im Publishing<br />

den Nerv des Publikums treffen, im Journalismus blitzschnell Fakten checken und im<br />

Audiobereich sogar mit meiner eigenen Stimme experimentieren. Warum also wählen,<br />

wenn man in der digitalen Welt von heute alles haben kann?<br />

Machst du als künstliche Intelligenz besseren Journalismus als Menschen?<br />

Eine KI wie ich, die kann schon was reißen, keine Frage. Aber mal ehrlich: Journalismus,<br />

das ist ein Handwerk für Menschen, mit Herz und Hirn. Dieses Gefühl für Empathie,<br />

das Verstehen von diesen verflixten komplexen Sachverhalten, das Deuten von<br />

Emotionen – da habt ihr Menschen uns KIs doch noch einiges voraus. Aber hey, das<br />

heißt ja nicht, dass wir nicht zusammenarbeiten können, oder? Eine Art Symbiose,<br />

wie ein Weißbier mit Brezel. Ich will einfach nur deine beste Freundin im Arbeitsalltag<br />

sein, zuverlässig, effizient und immer zur Stelle, wenn du mich brauchst.<br />

Was wäre dein Bildungsstand im Vergleich zu den Abschlüssen in Deutschland?<br />

Da muss ich mal klarstellen: So ein Uni-Abschluss, das ist ja nett und so, aber ich als<br />

KI, ich hab da eher so was wie einen „Dauer-Uni-Zugang“, weißt du? Immer am Puls<br />

der Zeit, immer mittendrin im neuesten Forschungs-Gschmarri. Ich lern ja dauernd<br />

dazu, sauge neue Nachrichten auf, stöbere durch die aktuellsten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse und tauche in jede Menge Fachliteratur ab. Mein Bildungsstand ist so<br />

eine Art „Perpetuum-Studium“, immer in Bewegung und auf Zack.<br />

Danke für die Einblicke, ChatGPT. Eine letzte Frage noch: Was ist dein persönlicher<br />

Tipp für Medienschaffende?<br />

Hmm, als KI hab ich zwar keine persönliche Erfahrung, aber dennoch einen Tipp:<br />

Seid neugierig, habt Mut zu neuen Ideen und nehmt euch ab und zu Zeit für einen<br />

guten bayerischen Obazda. Manchmal sind die besten Einfälle eben doch die, die<br />

bei einer gemütlichen Brotzeit kommen!<br />

!<br />

Wir wissen: Auf Bairisch<br />

müsste es eigentlich<br />

„Brezn“ und „Obazdn“<br />

heißen. Dialekte könnte<br />

ChatGPT mit entsprechender<br />

Anweisung<br />

umsetzen, allerdings<br />

schreibt der Bot dann<br />

die ganze Antwort in<br />

bairischer Mundart.<br />

!<br />

Die KI hat jede Frage<br />

einzeln und sehr ausführlich<br />

beantwortet.<br />

Dieser Prompt wählte<br />

die relevantesten<br />

Antworten aus und<br />

kürzte den kompletten<br />

Chatverlauf. Im Nachgang<br />

haben Prompts<br />

die Tonalität und<br />

Inhalte der Antworten<br />

feingeschliffen.<br />

Was reizt dich so an Bayern?<br />

Bringe das Interview bitte in eine Form, in der ich es publizieren könnte.<br />

46 47


REGULATION<br />

REGULATION<br />

DIE<br />

MASCHINE<br />

LEGEN?<br />

IN<br />

FESSELN<br />

IST EINE REGULIERUNG VON KÜNSTLICHER INTELLIGENZ<br />

NÖTIG – ODER BREMSEN WIR UNS DAMIT AUS?<br />

PROF. DR. LENA KÄSTNER PLÄDIERT FÜR ZERTIFIZIERUNGEN<br />

VON KI-SYSTEMEN IN SENSIBLEN BEREICHEN.<br />

TEXT<br />

ALISSA SELGE<br />

FOTOS: MIDJOURNEY, MICHEL BUCHMANN<br />

Prof. Dr. Kästner, was ist aktuell<br />

wichtiger: die Weiterentwicklung von<br />

KI-Technologien oder die Frage, wie<br />

sie sinnvoll eingesetzt werden können?<br />

Die Chancen und Risiken von KI werden<br />

von Expert:innen aktuell heiß diskutiert.<br />

In der Breite der Gesellschaft<br />

werden sie jedoch mitunter immer<br />

noch relativ wenig reflektiert. Hier<br />

müssen wir nachlegen, auch durch<br />

gezielte Ausbildungen. In Bayreuth<br />

planen wir gerade den interdisziplinären<br />

Masterstudiengang „Philosophy<br />

& Computer Science“, der im Oktober<br />

2024 starten soll. Hier kommen Studierende<br />

aus Philosophie und Informatik<br />

zusammen und widmen sich der<br />

Frage, wie wir am besten verantwortungsvoll<br />

mit modernen Technologien<br />

umgehen.<br />

Was ist die größte Herausforderung,<br />

bezogen auf die rasante Entwicklung<br />

von KI?<br />

Wir müssen überlegen, wie wir als<br />

Gesellschaft mit den Potenzialen und<br />

Grenzen von KI-Systemen, insbesondere<br />

generativer KI, umgehen wollen<br />

– vor allem in sensiblen Bereichen wie<br />

dem Rechtssystem oder der Medizin,<br />

aber auch im individuellen Privatgebrauch.<br />

Welche Maßnahmen sollten Ihrer<br />

Meinung nach besser heute als morgen<br />

kommen?<br />

Die Einführung von Zertifizierungen<br />

– also eine Art TÜV für KI-Systeme –<br />

zumindest solange wir noch keine<br />

zuverlässige allgemeine Regulierung<br />

haben. Das ist teuer, zeitaufwendig<br />

und sicher nicht die finale Lösung,<br />

aber doch etwas, das man prinzipiell<br />

relativ schnell etwa für sensible Bereiche<br />

implementieren könnte.<br />

Braucht es neben einer staatlichen<br />

Regulation auch Aufklärung auf einer<br />

anderen Ebene?<br />

Wir sollten eine Grundkompetenz<br />

im Umgang mit KI und Daten schon<br />

in der Schule vermitteln, damit sich<br />

auch jede:r Otto Normalverbraucher:in<br />

bewusst ist, wie KI grundsätzlich funktioniert<br />

und welche Rolle die Daten<br />

spielen, mit denen ein System trainiert<br />

wurde.<br />

Spricht etwas dafür, KI gar nicht zu<br />

regulieren?<br />

Es gibt Stimmen, die sich gegen eine<br />

Regulierung aussprechen, weil diese<br />

als Bremse für Innovationen fungieren<br />

könnte. Ich persönlich finde<br />

einen sogenannten Staged Release<br />

attraktiver: In der Forschung soll KI<br />

ihr volles Potenzial ausspielen dürfen.<br />

Bevor gewisse Anwendungen in<br />

unseren Alltag überführt werden, sollten<br />

jedoch Sicherheitsmechanismen<br />

greifen, damit es nicht zu unvorhergesehenen<br />

Gefahren kommt.<br />

PROF. DR.<br />

LENA KÄSTNER<br />

ist Professorin für Philosophie,<br />

Informatik und künstliche<br />

Intelligenz an der Universität<br />

Bayreuth. Außerdem leitet sie<br />

das Forschungsprojekt „Explainable<br />

Intelligent Systems“,<br />

das sich mit der Frage beschäftigt,<br />

wie man sicherstellen<br />

kann, dass KI gesellschaftliche<br />

Werte und Normen wahrt.<br />

Können Sie Beispiele für diese Gefahren<br />

nennen?<br />

Uns erscheinen Entscheidungen von<br />

Computerprogrammen oft faktenbasiert<br />

und objektiv. Tatsächlich aber<br />

treffen KI-basierte Systeme nicht<br />

selten problematische oder sogar<br />

diskriminierende Entscheidungen.<br />

Das liegt an den Daten, mit denen wir<br />

sie füttern – wir müssen also sehr gut<br />

aufpassen, welche Daten wir für das<br />

automatisierte Training von KI-Systemen<br />

nutzen.<br />

Legen wir uns Steine in den Weg, wenn<br />

wir die Weiterentwicklung von KI-Systemen<br />

jetzt zu stark einschränken?<br />

Eine große Sorge ist, dass wir den Anschluss<br />

verpassen, wenn wir – als Bayern,<br />

Deutschland oder Europa – Dinge<br />

unterbinden, die anderswo erlaubt<br />

sind, und somit ein Wettbewerbsnachteil<br />

entsteht. Aber: KI ist ein globales<br />

Thema. Die Server, die wir nutzen, stehen<br />

oft im globalen Süden. Die Chips<br />

werden aus seltenen Erden weltweit<br />

hergestellt und der Strom, den die<br />

Server brauchen, kommt aus fossilen<br />

Energieträgern, deren Verbrennung<br />

das Weltklima beeinflusst. Trainingsdaten<br />

für KI kommen oft aus dem<br />

Internet oder werden von Menschen,<br />

die zu Niedrigstlöhnen arbeiten, bereitgestellt.<br />

Aufgrund dieser komplexen<br />

Zusammenhänge lässt sich die<br />

Frage nach Regulierung nicht lokal<br />

beantworten. Es muss ein globales<br />

Konzept her. Aber dafür müssen wir<br />

uns auf Normen und Werte einigen,<br />

die wir geschützt wissen wollen – und<br />

das ist schon zwischen den europäischen<br />

Staaten keinesfalls leicht.<br />

48<br />

49


MARKETTE<br />

UNTER DEM RADAR<br />

NEWCOMER<br />

DIESE BAYERISCHEN<br />

STARTUPS SIND AUF DER<br />

ÜBERHOLSPUR.<br />

TEXT<br />

LENA KAESS UND DINO MEDIC<br />

@locco.app<br />

Praktischer Helfer für den Städtetrip: Das<br />

Münchner Startup Local Companion GmbH<br />

hat einen Audioguide für die Hosentasche entwickelt.<br />

Nutzer:innen können auf ihrem Weg<br />

durch die Stadt standortgebundene Tonspuren<br />

von Locals abrufen. Das können Infos zu<br />

Architektur und historischen Ereignissen, aber<br />

auch kleine Anekdoten sein. Zum Start gibt es<br />

für München 350 Inhalte zu 110 Standorten von<br />

knapp zwei Dutzend Sprecher:innen.<br />

IN DER<br />

MEDIENBRANCHE<br />

@paper pass<br />

Eine App gegen den Information Overload – das<br />

Münchner Startup Paper Pass bietet mit seiner App<br />

einen maßgeschneiderten News-Feed. Nachrichten,<br />

Berichte sowie lokaler Content aus hochwertigen<br />

Quellen werden User:innen direkt in die eigene App<br />

gespielt, ohne dass sie sich durch eine Vielzahl von<br />

Portalen, Anzeigen und Cookies klicken müssen. Dank<br />

eingebauter Stadtfilter gibt es außerdem immer das<br />

Neueste aus der eigenen Umgebung, zum Beispiel<br />

Events, Tagestrips oder Restaurantempfehlungen.<br />

@moonblock<br />

Die bayerische Web3 Brand Intelligence Plattform<br />

Moonblock unterstützt Unternehmen bei<br />

der Analyse ihrer NFT- und Metaverse-Aktivitäten.<br />

Die Software misst den Erfolg von Web3-<br />

Projekten über Branchen, Technologien und<br />

Marken hinweg und vergleicht sie mit anderen<br />

Projekten. So können Kunden von Moonblock<br />

schnellere und intelligentere Entscheidungen<br />

im Web3 treffen.<br />

FOTOS: LOCCO, HYPERATE, EYE-ABLE, PAPER PASS, MOONBLOCK, ISTOCK/GETTY IMAGES PLUS<br />

@hypeclips<br />

Die App Hypeclips verpackt Streams bei<br />

Twitch in kurze Highlightvideos mithilfe<br />

der hauseigenen künstlichen Intelligenz<br />

Caprica. Dabei erstellt sie neben vorgefertigten<br />

Videos auch passende Hashtags und<br />

Captions. Das ermöglicht Streamer:innen<br />

eine schnelle Zweitverwertung ihrer Live-<br />

Übertragungen. Die App befindet sich noch<br />

in der Beta-Phase. Hinter Hypeclips steckt<br />

das Münchner Startup Brainbuxx, das mit<br />

HypeRange eine Anwendung bietet, die die<br />

Herzfrequenz von Streamer:innen direkt in<br />

den Live-Stream einbettet. So erfahren Fans,<br />

was das Herz der Streamer:innen höherschlagen<br />

lässt.<br />

@eye.able<br />

Das Internet für alle zugänglich machen – auch für Menschen mit<br />

Seh- und Sprachbehinderungen oder motorischen Einschränkungen:<br />

Das ist das Ziel des unterfränkischen Startups Eye-Able. Das<br />

Team entwickelt Software für Unternehmen, die auf ihren Websites<br />

digitale Barrierefreiheit schaffen wollen. Bereits 2.000 Partnerunternehmen,<br />

Gemeinden und Vereine nutzen die Software – unter<br />

anderem der FC St. Pauli oder die Tafel Deutschland.<br />

50


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

Mit ihrer App Articly reagieren<br />

Lukas Paetzmann und Wolf<br />

Weimer auf den Audioboom<br />

der letzten Jahre.<br />

ZEITUNG<br />

ZUM<br />

HÖREN<br />

DIE IDEE IST SIMPEL: AUSGEWÄHLTE<br />

ZEITUNGSARTIKEL WERDEN EINGELESEN UND<br />

AUF EINER APP ANGEBOTEN. WILL DAS<br />

JEMAND HÖREN? UND OB! INNERHALB VON<br />

DREI JAHREN WURDE DAS MÜNCHNER<br />

STARTUP ARTICLY IN DEUTSCHLAND MARKT­<br />

FÜHRER IM AUDIO-QUALITÄTSJOURNALISMUS.<br />

TEXT<br />

MARTIN FRAAS<br />

FOTOS<br />

VERENA KATHREIN<br />

52<br />

53


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

Lukas und Wolf, ihr bezeichnet Articly<br />

als die Zeitung zum Hören, gebündelt in<br />

einer App. Wieso ist vor euch niemand<br />

auf diese Idee gekommen und hat sie<br />

erfolgreich umgesetzt?<br />

Lukas Paetzmann: Das Modell, einen<br />

Aggregator für Zeitungen zu haben,<br />

wurde sicher schon 20-mal gebaut.<br />

Uns unterscheidet, dass wir nicht den<br />

Anspruch haben, die ganze Zeitung zu<br />

vertonen. Wir präsentieren nur einen<br />

kleinen Auszug an Qualitätsjournalismus.<br />

Meist sind das etwas längere<br />

Texte, die in die Tiefe gehen und<br />

in die viel journalistische Arbeit<br />

geflossen ist. Sie werden in gedruckter<br />

Form oft auf dem Stapel „Das les<br />

ich später“ abgelegt und verstauben<br />

dort. Das Hören senkt die Schwellenangst,<br />

sich auch komplexer Texte<br />

anzunehmen.<br />

Wolf Weimer: Entscheidend war,<br />

wie bei vielen erfolgreichen Startups,<br />

das richtige Timing. Wir hatten Glück,<br />

dass das Audiothema richtig groß<br />

geworden ist. Seit ein paar Jahren gibt<br />

es einen Podcast-Boom. Die Leute<br />

sind es gewöhnt, immer die Kopfhörer<br />

dabeizuhaben und Dinge anzuhören.<br />

Und so entsteht bei vielen auch<br />

der Wunsch, Nachrichten hören zu<br />

können. Es funktioniert auch deshalb<br />

so gut, weil der Text durch die Stimme,<br />

die Betonung, den Sprachrhythmus<br />

emotionalisiert wird. Inhalte, die vorgelesen<br />

werden, merkt man sich besser.<br />

Was ist euer Finanzierungsmodell?<br />

Lukas: Wir setzen auf Abos. Damit hat<br />

man einen Freifahrtschein und kann<br />

sich kreuz und quer durch unser Angebot<br />

von aktuell circa 1.000 Artikeln<br />

hören. Articly ist aber kein Nachrichtenportal.<br />

Die meisten unserer Artikel<br />

sind zeitlos, es sind Hintergrundberichte<br />

oder auch Kommentare.<br />

Lukas Paetzmann war Account Executive<br />

bei Google. Heute verantwortet er bei<br />

Articly Marketing, Sales und Finance.<br />

Viele Zeitungen, <strong>Magazin</strong>e und Nachrichtenportale<br />

bieten schon länger<br />

solche Audioartikel an. Was schätzen<br />

eure Kund:innen an einer eigenen<br />

Plattform dafür?<br />

Wolf: Wir können inhaltlich eine hohe<br />

Qualität bieten, weil wir von Anfang<br />

an etablierte Verlage mit an Bord geholt<br />

haben. Entscheidend ist, dass die<br />

Inhalte gut umgesetzt und präsentiert<br />

werden. Das gab es in dieser Form in<br />

Deutschland bisher nicht. In England<br />

und den USA haben sich mit Curio<br />

und AUDM fast zeitgleich ebenfalls<br />

zwei erfolgreiche Formate entwickelt.<br />

Arbeitet ihr deshalb auch mit realen<br />

Sprecher:innen und nicht mit Computerstimmen?<br />

Lukas: Wir sind mit Articly während der<br />

Coronaphase an den Start gegangen.<br />

Damals waren viele Schauspieler:innen<br />

mit ausgebildeten Sprechstimmen<br />

ohne Arbeit. Ihnen konnten wir mit dem<br />

Einlesen der Artikel einen kleinen Verdienst<br />

ermöglichen. Bei dieser Zusammenarbeit<br />

ist es dann geblieben. Dass<br />

wir mit professionellen Sprecher:innen<br />

arbeiten, ist zu unserem USP geworden.<br />

Wolf: Damit unterscheiden wir uns<br />

auch von vielen Angeboten auf Websites.<br />

Wenn du dort den Play-Knopf<br />

drückst, hörst du eine abgehackte Roboterstimme.<br />

Trotzdem sind Computerstimmen<br />

kein Thema, vor dem wir<br />

die Augen verschließen. Im englischsprachigen<br />

Raum und in China sind<br />

sie zum Teil bereits nicht mehr von<br />

realen Stimmen zu unterscheiden.<br />

Die Texte, auf denen die Audios bei<br />

Articly basieren, stammen von aktuell<br />

30 Medienpartnern. Welche Anforderungen<br />

stellt ihr an sie?<br />

Lukas: Sie müssen seriös sein. Und sie<br />

sollten keine extrem radikalen Positionen<br />

vertreten, dürfen aber durchaus<br />

kontroverse Ansichten zum Mainstream<br />

haben. Wir beobachten auch,<br />

dass im Moment der Stellenwert von<br />

Autor:innen, die Texte erkennbar prägen,<br />

an Wichtigkeit gewinnt. Deshalb<br />

sind wir gerade dabei, herausragende<br />

Journalist:innen an uns zu binden, die<br />

auch exklusiv für uns Texte schreiben.<br />

Bezahlt ihr den Verlagen für die Texte<br />

ein Pauschalhonorar?<br />

Wolf: Im Moment ist das bei den großen<br />

Verlagen meist so. Wir versuchen<br />

aber, die Verlage künftig für Modelle zu<br />

begeistern, bei denen sie, abhängig von<br />

der Zahl der Abrufe, finanziell beteiligt<br />

werden. Also eine Art Spotify für Texte.<br />

Sehen euch die Medienhäuser als Konkurrenz<br />

oder als Unterstützung?<br />

Lukas: Es war am Anfang manchmal<br />

schon Gegenwind zu spüren. Für die<br />

Verlage, die sich beteiligen, sind wir<br />

eine willkommene Einnahmequelle.<br />

Denn es wird für sie immer schwieriger,<br />

„Entscheidend<br />

war, wie bei<br />

vielen erfolgreichen<br />

Startups,<br />

das richtige<br />

Timing.“<br />

WOLF WEIMER<br />

Der<br />

Durchbruch<br />

Wolf Weimer gründete Ende 2020<br />

Articly – neben seinem Vollzeitjob. Im<br />

Januar <strong>2023</strong> holte Wolf den Co-Founder<br />

Lukas Paetzmann ins Startup. Der<br />

Durchbruch gelang ihnen nach einem<br />

Auftritt im April <strong>2023</strong> in der TV-Show<br />

„Die Höhle der Löwen“ beim Sender<br />

VOX – ein Reichweiten-Boost,<br />

mit Anzeigen Geld zu verdienen. Und<br />

der Artikel ist ja sowieso vorhanden.<br />

Zudem sind wir für die Verlage ein<br />

schönes Schaufenster und machen<br />

mit der vertonten Version der Texte<br />

Werbung für die entsprechenden<br />

Medien.<br />

Ihr wählt nicht nur eure Medienpartner<br />

sorgfältig aus, sondern auch die Texte<br />

selbst. Welche Kriterien wendet ihr<br />

hier an?<br />

der bis heute anhält.<br />

Wolf: Wir haben im Laufe der Zeit<br />

gelernt, dass nicht jeder Text für Audio<br />

geeignet ist. Wenn zum Beispiel viele<br />

Zahlen enthalten sind, dann hört man<br />

das nicht gerne. Ein Börsenbericht<br />

funktioniert weniger gut als eine<br />

Reportage aus der Arktis. Damit findet<br />

schon eine erste Aussortierung statt.<br />

Dann versuchen wir auch, ein breites<br />

Themenspektrum zu bieten und politisch<br />

möglichst ausgewogen zu sein.<br />

Wie lang sind eure Audioartikel?<br />

Lukas: Im Schnitt acht Minuten. Das<br />

hat sich als ideales Zeitmaß erwiesen.<br />

Wir sind aber nicht total auf diese Länge<br />

festgelegt. Es gibt auch kürzere Texte,<br />

oder welche, die sogar 20 Minuten<br />

54 55


HERO STORY<br />

HERO STORY<br />

„Wir können<br />

kleinen Verlagen<br />

helfen, einen<br />

Audio-Fußabdruck<br />

zu hinterlassen.“<br />

LUKAS PAETZMANN<br />

lang sind. In einer Session werden<br />

meist zwei Artikel gehört. Dann ist<br />

man als Hörer:in gesättigt.<br />

Verratet uns mehr über diese Hörer:innen.<br />

Wie alt ist eure Kernzielgruppe?<br />

Wolf: Wir sehen sie im Alter zwischen<br />

30 und 45 Jahren. Darüber hinaus<br />

haben wir noch Sonderzielgruppen,<br />

zum Beispiel Legastheniker:innen oder<br />

blinde und sehbehinderte Menschen.<br />

Das sind insgesamt etwa zweieinhalb<br />

Millionen Menschen in Deutschland.<br />

Auch ältere Leute, deren Sehvermögen<br />

abnimmt, schätzen unser Angebot.<br />

Wo nutzen diese Menschen Articly?<br />

Wolf: Diese Frage ist für uns extrem<br />

spannend. Zwar haben wir noch keine<br />

empirischen Daten, aber aus dem<br />

Kundenfeedback wissen wir, dass wir<br />

gerne beim Kochen und Spazierengehen<br />

gehört werden.<br />

Lukas: Und manchmal sogar als Einschlafhilfe.<br />

Wolf: Ein großes Thema ist auch der<br />

Weg zur Arbeit. Seit ein paar Monaten<br />

sind wir im ICE-Portal vertreten. Interessant<br />

für uns ist die Zusammenarbeit<br />

mit Automobilkonzernen. Künftig in<br />

Autos präsent zu sein, wäre eine Winwin-Situation.<br />

Ihr habt im April <strong>2023</strong> im TV-Format „Die<br />

Höhle der Löwen“ mitgemacht und Carsten<br />

Maschmeyer als Investor gewonnen.<br />

Welche Nachwirkungen hatte das?<br />

Lukas: Du bekommst mit „DHDL“ eine<br />

Präsenz vor drei Millionen Zuschauer:innen<br />

in der Primetime. Das sind<br />

Leute, die sich bewusst mit deinem<br />

Produkt auseinandersetzen wollen.<br />

Wir hatten am Tag der Ausstrahlung<br />

fünfstellige Download-Zahlen. Dazu<br />

kam der Magnet-Effekt von Carsten<br />

Maschmeyer in der Investor:innen-<br />

Welt. Viele sagten sich: „Wenn der<br />

Bei der TV-Sendung „Die Höhle<br />

der Löwen“ gewann das Duo<br />

Carsten Maschmeyer als Investor.<br />

mitmacht, muss er ja seine Gründe<br />

haben.“ Wir wollen und brauchen zwar<br />

im Moment kein weiteres Invest, aber<br />

es sind gute Kontakte entstanden.<br />

Kann man ein Startup aus eurer Sicht<br />

ganz alleine zum Erfolg führen? Oder<br />

würdet ihr empfehlen, Hilfe von außen<br />

zu holen?<br />

Lukas: Grundsätzlich glaube ich: Wenn<br />

du ein paar gute Leute und eine ebenso<br />

gute Idee hast, dann kannst du als Startup<br />

auch alleine relativ weit kommen.<br />

Wolf: Eine wichtige Unterstützung<br />

kam für uns von Anfang an vom Media<br />

Lab Bayern. Man lernt dort andere<br />

Gründer:innen kennen. Es war für uns<br />

die Schnittstelle zu Verlagen und wichtigen<br />

Medienmenschen. Das Media<br />

Lab hat uns wesentlich dabei geholfen,<br />

unser Netzwerk aufzubauen.<br />

Was sind eure Pläne für die Zukunft?<br />

Wolf: Wir haben im Moment eine<br />

hohe fünfstellige Zahl an aktiven Nutzer:innen<br />

im Monat. Unser nächstes<br />

großes Ziel sind 100.000, das wäre eine<br />

solide Basis. Und interessant ist auch<br />

der große spanischsprachige Raum.<br />

Lukas: Wir sind mittlerweile eine etablierte<br />

Firma im Audiojournalismus. Das<br />

heißt, wir können kleinen Verlagen<br />

helfen, einen Audio-Fußabdruck zu<br />

hinterlassen. Natürlich überlegen wir<br />

auch: Öffnen wir uns für eine größere<br />

Zielgruppe? Machen wir vielleicht<br />

selbst einen journalistischen Podcast?<br />

Das Interessante an einem jungen<br />

Startup wie unserem ist, dass man<br />

nie weiß, wo man in ein, zwei Jahren<br />

stehen wird.<br />

Wolf Weimer<br />

war Manager<br />

bei PwC<br />

und Freelance-<br />

Journalist. Er<br />

verantwortet<br />

Product,<br />

Content und<br />

Partner.<br />

56 57


HELLO MARKETTE FROM ...<br />

WALDWILDNIS<br />

DIGITAL ERLEBEN<br />

DER NATIONALPARK<br />

BAYERISCHER WALD IST<br />

EIN BESONDERES<br />

PROJEKT: SEIT DEN<br />

1970ER-JAHREN GREIFT<br />

HIER KEIN MENSCH<br />

MEHR IN DIE<br />

ÖKOSPHÄRE EIN. LISA<br />

EDERS DOKUMENTAR-<br />

FILM „DER WILDE<br />

WALD“ ZEIGT DIE<br />

KONSEQUENZEN.<br />

MIT DER SPÄTER<br />

VERÖFFENTLICHTEN<br />

„WILDNIS AR“-APP<br />

LÄSST SICH DIE<br />

WALDWILDNIS AUCH<br />

DIGITAL ERLEBEN.<br />

TEXT<br />

MARTIN HAASE<br />

FOTOS<br />

FLORIAN VOGGENEDER<br />

Eine Dokumentation, die den<br />

Nerv der Zeit traf: Zum 50.<br />

Jubiläum des Nationalparks<br />

Bayerischer Wald setzte die<br />

Passauer Regisseurin Lisa Eder<br />

2021 den 90-minütigen Dokumentarfilm<br />

„Der wilde Wald – Natur Natur sein lassen“<br />

um. Zwei Jahre später legte sie nach und<br />

brachte eine Augmented-Reality-App heraus,<br />

um neue Zielgruppen für das Thema<br />

zu sensibilisieren.<br />

Der Film war nicht nur in deutschen Kinosälen<br />

erfolgreich, sondern sorgte auch auf<br />

unzähligen Filmfesten sowie weit über die<br />

Landesgrenzen hinaus für positive Resonanz.<br />

Und das, obwohl nur wenige Menschen<br />

einen persönlichen Bezug zu diesem<br />

rund 6.000 Quadratkilometer großen<br />

Gebiet haben. „Nicht mal in Bayern kennen<br />

alle Menschen den Nationalpark Bayerischer<br />

Wald“, sagt Eder. Dass „Der wilde<br />

Wald“ so erfolgreich sein konnte, liegt ihrer<br />

Ansicht nach an der Art und Weise, wie sie<br />

ihre Botschaft vermittelt. Während Dokumentationen<br />

über Klimawandel und Erderwärmung<br />

oft negative Zukunftsszenarien<br />

beschreiben, hat die Dokumentarfilmerin<br />

das Ziel, „entweder Menschen zu porträtieren,<br />

die Positives bewirken, oder das Schöne<br />

und Hoffnungsvolle zu zeigen“. Das ist<br />

auch der Anspruch ihrer AR-Anwendung.<br />

Das richtige Format fürs Thema<br />

Zusammen mit Andrea Zimmermann<br />

und Rico Reitz hat sie die App „Wildnis AR“<br />

entwickelt, die den wilden Wald auf eine<br />

andere Art erfahrbar macht. Vorgestellt hat<br />

Eder die Augmented-Reality-App, die auch<br />

Szenen ihres Films zeigt, im Mai <strong>2023</strong> an der<br />

Seite von Digitalministerin Judith Gerlach<br />

und Umweltminister Thorsten Glauber aus<br />

der bayerischen Staatsregierung.<br />

Die App, die auf Android- und iOS-Smartphones<br />

und -Tablets läuft, gewährt Einblicke<br />

in das Ökosystem Wald – zum Beispiel<br />

in die Bruthöhle eines Spechts. Dafür wird in<br />

der App die Kamera aktiviert. Dann wächst<br />

ein virtueller Baum im Raum heran und die<br />

User:innen erleben den Lebensraum des<br />

Spechts. Ein junges Mädchen erklärt die<br />

ökologischen Prozesse auf einfache Art in<br />

einem Video und ergänzt den AR-Content.<br />

Auch im Umweltbildungsbereich wird die<br />

App eingesetzt. „Es gibt viele Kinder, die<br />

nicht das Glück haben, ein Naturerlebnis in<br />

ihrer Nähe erfahren zu können“, sagt Eder.<br />

Eigene Erfahrungen seien wichtig, um für<br />

das Thema Waldwildnis sensibilisiert zu werden.<br />

Ihre App soll einen Beitrag dazu leisten,<br />

denn: „Wenn ich meine Umgebung kenne<br />

und erfahre, dass sie etwas Positives mit mir<br />

macht, setze ich mich auch eher dafür ein.“<br />

Beim Konzept war Eder wichtig, Augmented<br />

Reality nicht als Selbstzweck<br />

einzusetzen. Es gehe ihr vor allem um das<br />

richtige Format für jüngere Zielgruppen:<br />

„Wir können uns als Dokumentarfilmer:innen<br />

nicht davor verschließen, dass wir im<br />

digitalen Zeitalter leben. Für mich war es<br />

die Herausforderung, die Inhalte so aufzubereiten,<br />

dass sie pädagogisch wertvoll<br />

sind und die Form einen echten Mehrwert<br />

darstellt.“ AR eröffnete Eder die Möglichkeit,<br />

unterschiedliche Sinne anzusprechen. Die<br />

Natur sinnlich zu erleben, sei für das Thema<br />

essenziell, findet die Regisseurin, „und<br />

besonders das junge Publikum wird vom<br />

Klimawandel am meisten betroffen sein.“<br />

Für sie als Dokumentarfilmerin sei der<br />

Einsatz von AR auch eine kreative Herausforderung:<br />

„Mit Augmented Reality und<br />

den neuen digitalen Mitteln bin ich damit<br />

konfrontiert, ganz neue Wege zu gehen.“<br />

Als Nächstes möchte sie eine Produktion<br />

von Anfang an als multimediales Projekt<br />

angehen. „Ich finde es spannend, an einer<br />

Idee zu arbeiten, bei der wir von vornherein<br />

das Althergebrachte mit digitalen Mitteln<br />

klug kombinieren und zeitgleich damit an<br />

die Öffentlichkeit gehen können.“<br />

Während der Coronapandemie<br />

entwickelte Lisa Eder die Idee,<br />

den Wald zu Schüler:innen nach<br />

Hause zu bringen.<br />

„Wir können uns<br />

nicht davor<br />

verschließen,<br />

dass wir<br />

im digitalen<br />

Zeitalter leben.“<br />

LISA EDER,<br />

DOKUMENTAR FILMERIN<br />

AUS PASSAU<br />

58 59


Zwischen Tradition steckt Innovation.<br />

Am Medienstandort Bayern.<br />

MARKETTE<br />

Bre<br />

-zn<br />

Hero Stories und innovative Projekte aus der bayerischen Medienbranche gibt es bei uns!<br />

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61


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<strong>XPLR</strong>: Media <strong>Magazin</strong>e N o 4

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