160 Zeichen Literatur - Freitagsspiel
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nen Menschen aufgenommen wurde. Nicht immer ist die<br />
Verwandtschaft so offensichtlich wie bei:<br />
LiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebe<br />
LiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebe<br />
TriebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeLiebeSeitensprung<br />
Doch der Subtext, den Wiederholung oder marginale Änderungen<br />
und kleine Störungen in der Umgangssprache eröffnen, erweist<br />
sich als ein Feld der Assoziationen, das weit über <strong>160</strong> <strong>Zeichen</strong><br />
hinausragt. In diesen Momenten findet sich der Leser mit einer<br />
verdichteten Sprache konfrontiert, die er selbst aufzulösen hat<br />
oder – wie Peter Altenberg für seine Prosaskizzen forderte – deren<br />
Konzentration er auf ein genießbares Maß herabsetzen muss.<br />
„Denn sind meine kleinen Sachen Dichtungen?! Keineswegs. Es<br />
sind Extrakte! Extrakte des Lebens. Das Leben der Seele und des<br />
zufälligen Tages, in 2–3 Seiten eingedampft, vom Überflüssigen<br />
befreit wie das Rind im Liebig-Tiegel! Dem Leser bleibe es<br />
überlassen, diese Extrakte aus eigenen Kräften wieder aufzulösen,<br />
in genießbare Bouillon zu verwandeln, aufkochen zu lassen im<br />
eigenen Geiste, mit einem Worte, sie dünnflüssig und verdaulich<br />
zu machen.“ (Peter Altenberg: Selbstbiographie; in: Mein Lebensabend,<br />
Berlin 1919)<br />
Altenberg macht wörtlich, dass in der Kürze die Würze steckt. In<br />
diesen Momenten lässt der Text seinen Adressaten zum Dichter<br />
werden, aktiviert den Leser. Wie weit diese Verknappung ohne<br />
Attitüde und doch stilprägend im 20. Jahrhundert reicht, zeigt<br />
sich nicht zuletzt in der Form der Minimalerzählung, die im<br />
Stern als Abgeschlossener Roman Kultstatus erlangt. Auch Tetsches<br />
Spuren – Autor der Kalau-Texte – lassen sich in vielen Texten<br />
wieder finden. Hier zeigt sich deutlich, dass <strong>Literatur</strong> produktiv<br />
im Alltag geprägt wird. Diese Tendenzen und Traditionen münden<br />
zusammen mit dem neuen Sprachgefühl, das seine Wörter und<br />
<strong>Zeichen</strong> schöpft, wo sie sich ihm bieten, in Texte, die längst nicht<br />
immer frei von Zitat und Kopie sind. Wer hier bemängelt, dass<br />
unvollständige Sätze, Anglizismen oder Wortneuschöpfungen zu<br />
verschluderten Sprachläufen führen, verschließt sich der Kraft,<br />
die neue Kommunikationsmedien wecken.<br />
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