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Symbolische Orte machen

ISBN 978-3-98612-039-9

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Einführung<br />

Die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg haben viele deutsche Städte<br />

nachhaltig geprägt. Gerade dort, wo der Wiederaufbau als Chance für eine<br />

gravierende Veränderung von Stadtstruktur und Stadtbild genutzt wurde,<br />

hat sich dies auf sehr widersprüchliche Art in einer gebrochenen städtischen<br />

Identität niedergeschlagen. Hierüber wurde bereits viel geschrieben,<br />

sodass im Folgenden auf Fragen nach einer Definition von städtischer<br />

Identität verzichtet werden soll. Vielmehr wollen die nachfolgenden Beobachtungen<br />

und Überlegungen aufzeigen, wie sich im Spannungsfeld<br />

zwischen einer Erinnerung an das verlorene und dem allmählich entstandenen<br />

neuen Stadtbild eine ganz eigene Form von hybridem Bekenntnis zu<br />

Städten ergibt. Die sich hieraus entwickelnde Reflexion über die unterschiedlichen<br />

Zeitschichten der Stadtentwicklung und die kontextbezogene<br />

Weiterentwicklung der Stadt stellt ein wesentliches Merkmal von Baukultur<br />

dar. Die symbolische Rolle des <strong>Orte</strong>s ergibt sich dabei nicht aus der Zeichenhaftigkeit<br />

eines vermeintlich kohärenten Ganzen, das beispielsweise<br />

für eine »Blütezeit« steht, in der die Stadt wesentliche prägende Strukturen<br />

in kurzer Zeit hervorgebracht hat (Landshut, Regensburg – Mittelalter;<br />

Karlsruhe – Absolutismus etc.), sondern vielmehr aus der Tatsache der<br />

Widersprüchlichkeit, die in das Stadtbild eingeschrieben ist und als solche<br />

zeichenhaft für die Zerrissenheit und wechselvolle Geschichte steht.<br />

Anknüpfungspunkte ergeben sich daraus für die Stadtentwicklung immer<br />

wieder. So wurden die Brandwände in Berlin als besonders prägend<br />

erachtet, obwohl sie gerade einen unfertigen und uneinheitlichen Zustand<br />

verkörperten. Unter hohem Entwicklungsdruck und angesichts der »Sperrigkeit«,<br />

die ein solches prägendes Merkmal mit sich bringt, lassen sich<br />

daraus auch nur mit Mühe tragfähige Folgerungen für die Stadtentwicklung<br />

ziehen. Letztlich lässt sich ein zerrissen wirkendes Stadtbild nur<br />

schwer romantisieren oder popularisieren, und so sind inzwischen sogar<br />

Brandwände in Berlin bebaut worden, die über zusätzliche symbolische<br />

Überhöhungen durch überregional bekannte Wandbilder verfügten. Dies<br />

gilt sogar bisweilen für solche, die so politisch aufgeladen waren wie der<br />

»Baumpate« von Ben Wagin am S-Bahnhof Tiergarten oder die Wände des<br />

Tacheles in Berlin-Mitte. Die genannte »Sperrigkeit« ist eben doch für viele<br />

ein nicht leicht ertragbarer Zustand, und überdies schwer konservierbar<br />

oder gar weiterentwicklungsfähig im Sinne eines »lebendigen Erbes«.<br />

Ähnliche »Brüche« im Stadtbild oder komplexe Überschreibungen sind<br />

nicht immer leicht »lesbar«. Sie stellen eine intellektuelle Herausforderung<br />

dar, sowohl was das Bekenntnis zu ihnen trotz ihres eher »unharmonischen«<br />

Erscheinungsbilds als auch was die Entschlüsselung und<br />

Würdigung der vielfältigen Spuren anbetrifft. Mitunter ist es gelungen,<br />

denkmalpflegerische Forschung und Inventarisierung, populäre stadtgeschichtliche<br />

Neugier und Staunen<strong>machen</strong>, didaktisch hochkarätige<br />

Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sowie kreative<br />

Spannung und Inspiration für die weitere Stadtentwicklung zusammenzuführen,<br />

beispielsweise an einigen <strong>Orte</strong>n um die ehemalige Berliner<br />

»Mauer« – bis hin zur immer weiter gesteigerten Komplexität des<br />

Mauergedenkens an der Bernauer Straße.<br />

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